Reichswirtschaftsminister Curtius, 1927

VI. Nachl. Becker Nr.142

164. Reichswirtschaftsminister Curtius an C.H.B. z.Z. Karlsbad 19.9.1927

Persönlich (Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Kollege!

In der mir ärztlich auferlegten Muße der Karlsbader Kur habe ich mich erneut mit dem Problem des Reichsschuldengesetzes beschäftigt. Ich höre, daß die erste Lesung des Reichstages mit Rücksicht auf die Reichsratsverhandlungen noch hinausgeschoben werden muß. Für diese soll eine preußische Denkschrift in Vorbereitung sein. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es möglich machen könnten, mir diese Denkschrift, sobald es geht, unmittelbar zuzusenden.

Mit besten Empfehlungen und Grüßen Ihr sehr ergebener Curtius.

 

165. C.H.B. an Minister Curtius, Karlsbad. Berlin, 21.9. 1927

Einschreiben! Persönlich! (Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Kollege!

Ihrer Bitte entspreche ich gern. Ich muß Sie nur dringend bitten, die Einlagen als wirklich geheim zu betrachten. Das Gutachten ist mein persönliches Votum an die preußischen Staatsminister; in ihm ist in jedem Falle zunächst einmal die Problemstellung gegeben – natürlich von meinem liberalen Standpunkt aus. Ich versuche schon einen Kompromiß, doch wird die endgültige Denkschrift des Preußischen Kabinetts natürlich ziemlich anders aussehen. Nach langen Zwischenverhandlungen und Referentenbesprechungen haben wir gestern in einer 5-stündigen Kabinettssitzung endgültig Beschluß gefaßt, der natürlich einen Kompromiß mit dem Zentrum darstellt. Die für die Sitzung hergestellte Drucksache habe ich persönlich korrigiert, so daß Sie daraus ersehen können, wie die preußischen Anträge an den Reichsrat aussehen werden. Zurzeit wird noch an der Begründung gearbeitet, die sich im wesentlichen an das Gutachten anschließen wird. Aber naturgemäß nun den Zentrums-standpunkt mit hineinarbeiten muß. Ich glaube, daß die Volkspartei nicht weniger liberal sein kann als die preußischen Zentrumsminister. Infolge dessen könnte vielleicht schon bei entsprechender Einwirkung auf Herrn von Keudell im Reichsrat die Entwicklungslinie des Preußischen Votums in das Reichsgesetz Aufnahme finden. Sie werden natürlich merken, daß wir uns in einigen Punkten um die Schwierigkeit gedrückt haben, indem wir die Sache der landesrechtlichen Regelung überwiesen. Ich glaube aber, daß es ein sehr vernünftiger Weg ist, da die Hauptschwierigkeit darin besteht, eine reichsrechtliche Formulierung zufinden, die uns auf die sehr verschiedenen Verhältnisse der einzelnen Länder paßt. Das gilt namentlich für den geordneten Schulbetrieb.

bemerke übrigens, daß ich das Gutachten privatschriftlich und persönlich den Herren Marx und von Keudell habe zugehen lassen, die es aber ihrerseits, wie ich zu meiner Freude bemerkt habe, tatsächlich geheim gehalten haben. Die andere Drucksache ist bisher noch in keine andere Hand gelangt. Ich glaube mich aber dazu ermächtigt, Sie darüber zu orientieren, da in wenigen tagen die preußischen Beschlüsse ja doch offiziell an den Reichstag gehen werden. Ich bemerke aber ausdrücklich, daß das Protokoll der Sitzung noch nicht von allen Herren Ministern ratifiziert ist. Sie wissen ja selbst am besten, daß bei so komplizierten Gesetzesvorlagen, die wir im Kabinett und ohne Referenten bearbeitet und verabschiedet haben, nachträglich noch hier und da Korrekturen angebracht werden müssen. Mein Gutachten ist übrigens im benachbarten Marienbad entstanden, wo ich einige Wochen zur Kur war.. Ich bin sehr glücklich, daß wir tatsächlich trotz der ungeheuerlichen Schwierigkeit der Aufgabe die Termine eingehalten und, wie mit der Reichsregierung verabredet, tatsächlich am 20. September d.J. endgültig Beschluß gefaßt haben.

Mit den besten Wünschen für Ihre Kur und in der Hoffnung Sie nach Ihrer Rückkehr einmal persönlich sprechen zu können Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

Leone Caetani, Fürst von Teano, 1906-1914

I/92 Nachl. Becker. Rep 92 Nr. 85 

140. Caetani an C.H.B. Rom, Palazzo Caetani, 2.4.1906

Hochgeehrter Herr Doktor,

Ich bitte Sie meinen besten Dank anzunehmen für Ihre hochinteressante und aufregende Arbeit über den Nimbaa (?). Ich bemerke, daß Sie äußerst freundlich auch meinen bescheidenen Namen unter Ihre Zitate drucken, auch nehme ich es als eine große Ehre, was Sie darüber urtheilen.

Besitzen Sie das erste Buch meiner Annali? Ich könnte Ihnen noch ein Exemplar davon schicken, wenn Sie es nicht besitzen, und werde sicher den 2. Band senden, sobald der Druck fertig ist,

Ich besitze schon Ihre wertvollen Arbeiten über die Geschichte Ägyptens unter dem Islam und habe besonders auffallende Bemerkungen gefunden in die Theile über die Steuerverhältnisse, die mich jetzt speziell interessieren für meine Arbeit.

Mit ergebenstem (?) Dank L. Caetani di Teano

 

141. Leone Caetani an C.H.B. Rom, 15.4.1906

Hochgeehrter Herr Professor,

ich danke für ihren höchstliebenswürdigen Brief, und für den Auszug aus (der) Z(usammen)fassung, den ich gleich mit großem Interesse gelesen habe. Ich erwarte auch mit großer Spannung auf Ihre Arbeit über den Arabischen Papyri, denn leider der Karabaeck liefert nichts mehr aus der Raimeri-Sammlung, und ohne die Papyri ist es unmöglich etwas bestimmtes zu wissen über die wirklichen Steuerverhältnisse aus allen Islam und den realen Zustand des Grundbesitzes für die Nicht-Musulmanen im Anfang des Islam.

Ich gründe meine Forschungen hauptsächlich auf ihre bahnbrechenden Arbeiten; ich will die Sache durchstudieren, um das Califat des `Kmar besser ins Klare zu setzen. Ich hoffe, daß meine Arbeiten Ihnen auch etwas nützen werden, aber die werden nie so wichtig für Sie, als die Ihrigen für meine Arbeit.

Mit besten Empfehlungen ergebenst L. Caetani.

 

142. Leone Caetani an C.H.B. Rom, 13.6.1906

Hochgeehrter Herr Doktor,

ich habe Ihnen nicht eher antworten wollen, da ich wünschte mir, das wichtigste Theil von Ihrer bewunderungsvollen Arbeit (zu) lesen. Jetzt schreibe ich Ihnen mit dem Ausdruck meiner größten Dankbarkeit und innigster Bewunderung für (das), was Sie geleistet haben. Die Einleitung hat mich sehr interessiert, und was Sie über die wirklichen inneren Zustände der umayyadischen1 Verwaltung schreiben wirft (ein) großes Licht auf viele historische Probleme. Sie bahnen den Weg zur gerechten Rehabilitation der viel verläumdeten Dynastie. Ihre Worte über die Gîzyah haben mich auch ganz besonders interessiert, da es ein Gegenstand (ist), worüber ich mich letztens sehr viel beschäftigt (habe). Was ich in alou Yusuf und Yahy-ben-Âcham über die Gîyah und den Kharay gelesen habe, hat mich nie überzeugt daß es korrekt ist, und ihre jetzige Arbeit, wie auch Ihre früheren haben mich sehr geholfen.

Ihre Grundidee, daß die persische Staatsverwaltung die ganze islamische Regierung beeinflußt hat, ist für mich ein wirklicher Lichtstrahl: ich habe mir nie einen guten Grund finden können, warum gerade die Verhältnisse des Sawud (?) hereinspielen vor den Augen unserer literar-historischen Quellen liegen. Ich glaube, man müßte in der Art und Weise wie das Land erobert wurde den Schlüssel des Enigma2 finden: im Sawad alle Städte, außer(halb) Hirab (?) wurden erobert ansonsten mit Gewalt, und keine „sulhan“ durch Verträge, während in Syrien geschah gerade das Gegentheil, wie Balanez (?) uns berichtet. Alle Städte capitulierten und machten regelmäßige Verträge. Was denken Sie darüber?

Verzeihen Sie mir mein barbarisches deutsch, aber ich hoffe, daß Sie jedoch mich verstehen werden, da Sie diese arabischen Papyri so vortrefflich gelesen, verstanden, commentiert und illustriert haben.

Mit allerbestem Dank ergebenst L.Caetani.

P.S. Der II. Band der Annali ist gedruckt, aber es fehlen noch die Indices, eine gräßliche Arbeit, die mir vielleicht noch manche Momente nehmen werden. Sobald alles fertig sein wird, eine der ersten Kopien schicke ich nach Heidelberg!

 

143. Leone Caetani an C.H.B. London SW, 18.10.1906

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr!

Ich hoffe, Sie werden mich verzeihen, wenn ich Ihnen mit der Maschine antworte, aber ich habe so viele Briefe zu schreiben, und Sachen zu thun, daß es mir nicht möglich ist, alles mit der Feder zu fixieren ohne Handschmerze zu kriegen. Ich bitte Sie meinen allerinnigsten Dank anzunehmen für die Güte, mit welchem Sie freiwillig an meiner Arbeit Ihre höchst-werthvolle Mithilfe leisten werden, und nehme Ihren Vorschlag als eine große Ehre, und mit größter Dankbarkeit an. Der Druck wird langsam voranschreiten, so daß eine Arbeit Ihnen nicht viel von Ihrer werthvollen Zeit aufnehmen wird. In diesem Moment habe ich Schwierigkeiten mit meinem Drucker, der etwas erschreckt ist von der Größe der Arbeit: dies wird vielleicht den Anfang des Druckes einige Wochen verspäten, aber ich hoffe doch vor Ende November Ihnen einige Druckbogen schon schicken zu können. Mein zweiter Band ist schon fertig gedruckt (ca.1200 Seiten), aber der Index ist noch nicht fertig: ich habe einen alphabetischen Index für die zwei ersten Bände gemacht, und werde in Zukunft jedem Bande einen Index geben, und am Ende werden alle Indices zusammen schmelzen. Ich bin jetzt auch mit einem Onomasticon Arabicum beschäftigt, was unbedingt nötig ist in einem Werke wie die Annali, wie Sie wohl schon bemerkt haben werden. Es ist eine riesige Arbeit und kann nur langsam vollendet werden. Es ist möglich, daß ich in diesem Winter eine Art Probe davon drucken werde (40 Kopien), um es den Fachgenossen zu zeigen und ihren Rat, und Verbesserungen zu hören. In diesem Falle könnte ich Ihnen auch diese Druckproben schicken?

Im Monat Januar (1907) hoffe ich Ihnen den zweiten band der Annali zu schicken: darin steckt vieles Neues, worüber ich Ihre hochgeschätzte Meinung gespannt bin zu haben. Ich habe die „Riddah“ der Jahre II und 12 der Higrah auf ziemlich neuen Linien aufgefaßt, und die Chronologie gründlich revidiert und ich hoffe, korrekt corrigiert. Ganz neu ist die gesamte Auffassung der Eroberungen und deren Ursachen, wozu ich ganz neues Material gebraucht habe, ein Material, das sonst allen Orientalisten unbemerkt geblieben ist. Wenn meine Ideen angenommen werden, muß man die ganze alte Geschichte des Orients und die Anfänge des Islam verschieden ansehen von dem, was man vorher gemacht hat. Ich hoffe, daß das ganze Problem interessieren wird, da die ganze Sache mit dem großen Problem der Urheimat der Semiten am engsten verbunden ist.

Ich bitte Sie nochmals einen allerinnigsten Dank anzunehmen für Ihre Mitarbeit an den Annali, und glauben Sie mich immer Ihnen ergebenst L. Caetani di Teano

 

144. Leone Caetani an C.H.B. Rom, 10.4.1907

Hochverehrter Herr,

ich danke Ihnen bestens für Ihren liebenswürdigen Brief: Ihre Sympathie für meine Arbeit ist für mich die höchste Anregung, um weiter zu gehen, und darum bin ich Ihnen sehr dankbar. Es würde mir sehr lieb sein, wenn Sie eine kleine Besprechung von meinem Werke herausgäben.

Ich weiß nicht, woher der Papyrus kommt, und auch nicht wer es besitzt. Eine Photographie ist mir (in die) Hand gekommen mit vielen anderen Papieren von unbekannter Herkunft. Der zweite Papyrus befindet sich in der Bodleiana und ist von Marqolionka herausgegeben.

Die ersten 200 Seiten meines III. Bandes sind schon beim Drucker: am Ende April wird vielleicht die erste Korrektur fertig sein und ich hoffe, Ihnen die Druckbogen ungefähr Mitte Mai schicken zu können. Zur selben Zeit hoffe ich Ihnen auch den zweiten Theil des II. Bandes schicken zu können: der Index hat mir ungemein viel Zeit und Arbeit gekostet und ist länger und größer gekommen als ich dachte; aber wenigstens ist er vollständig.

Mit dem innigsten Dank L.Caetani.

P.S. Ich danke Sie auch für Ihre Büchlein: sehr lehrreich und mit vielen tiefen anregenden Gedanken!

 

145. Leone Caetani an C.H.B. Rom, 15.7.1907

Hochverehrter Herr Doktor,

ich kann Ihnen nicht sagen, mit welchem Interesse ich Ihre Bemerkungen gelesen habe, und wie dankbar ich bin. Ich habe alle Ihre Bemerkungen angenommen: sie sind mir sehr, sehr nützlich gewesen. Ich verkürzte oft meine Übersetzungen, wo ich glaubte, nichts wichtiges zu finden, aber Sie haben einen schärferen Blick, und werde recht dankbar sein, wenn Sie mir eine Lücke andeuten. Die Arbeit ist so groß, daß nicht selten einige Details entschlüpfen mir.- Sie sind sehr nachsichtig und milde im Ausdruck Ihres Urteils, und darum danke ich Sie innigstens, aber ich bitte Sie auch, mich nicht zu schonen, und auch streng zu urteilen, wenn Ihnen etwas gar nicht gefällt.

Ich reise ab von Rom nach einigen Tagen, und die anderen Druckbogen werden nicht bereit sein vor November, (wenn) Sie wieder in Heidelberg zurück sein werden. Während des Sommers kann ich nicht weiter drucken, weil die Hitze mich von meiner Bibliothek weg jagt: und ich gehe nach England, um frische Luft zu atmen und neue Kräfte zu sammeln für nächsten Winter. Während des Sommers sammele ich Materialien: im nächsten Winter hoffe ich mit dem III. Band rascher weiter zu gehen. Zur selben Zeit fang ich an meinen Onomasticum Arabicum zu drucken – es ist nur ein Versuch! (80 000 Zetteln!)

Ich bin auch beschäftigt jetzt mit einer „Facsimile“-Ausgabe von einem fast vollständigen Exemplar von Ibn Maskawayh. Der erste Band kommt heraus im nächsten Winter, und der zweite bald nachher mit „Summarium und Indices“. Später will ich auf ähnliche Weise auch den Munbazam-us-ibn-al Qawez herausgeben, worin vieles wichtiges steckt.

Es thut mir leid, daß es mit dem Ansal-al-Asraf so langsam weiter geht!

Wieder mit allerherzlichem Dank nochmals L. Caetani

 

146. Leone Caetani an C.H.B. Rom, 25.3.1908

Hochverehrter Herr Doktor,

Ich danke Sie für Ihren interessanten Brief und die wertvollen Notizen, wovon die meisten mir neu sind. Ich habe noch nicht die Eroberung Spaniens gründlich studiert. Das wird wohl nachher kommen.

Ich bin gerade in diesen tagen von einer größeren Reise nach Syrien zurück, wo ich die Schlachtfelder besucht habe, um einige Sachen mir klar zu machen. Die Reise ist sehr nützlich gewesen und habe vieles interessantes zusammen gesetzt, welches ich glaube die ganze Frage der Yarmuk-Schlacht erklärt auf sehr einfache Weise.

Mit innigstem Dank bleibe ich ergebenst Leone Caetani

 

147. Leone Caetani an C.H.B. Rom, 4.4.1908

Hochverehrter Herr Doktor,

ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihren freundlichen Brief und höchstinteressanten Bemerkungen. Jetzt werde ich sie sorgfältig studieren, und es ist möglich, daß ich auch in dem wichtigsten Punkte …Ihren „Point of view“ annehmen werde., denn es scheint mir, daß Ihre Gegenargumente sehr stark begründet sind. Ich suche nur die Wahrheit und will nicht meine Ansichten impromieren3. Sie zeigen sich als einen höchst wichtigen Mitarbeiter der Annali: ich bin Ihnen schon vieles schuldig. Im Vorwort werde ich klar darstellen, wie viel Sie für mich geleistet haben.

Meine Orient-Reise hat den Druck der Annali ziemlich verspätet, so daß vor ein paar Monaten es mir schwerlich (möglich) sein wird, andere Druckbogen zu schicken. Ich werde vielleicht einen Vortrag machen an dem internationalen Congreß der historischen Wissenschaften in Berlin im nächsten Sommer (1909?).

Mit dem erneuten Ausdruck meiner innigsten Dankbarkeit ergebenst L.Caetani di Teano

 

148. Karte von Leone Caetani an C.H.B Rom, 5.11.1908

Innigsten Dank für die höchst interessanten Excerpte! – Die Antwort zu K’s Artikel ist meisterhaft!

 

149. Karte von Leone Caetani an C.H.B. Rom, 28.12.1908

Leone Caetani bittet den Herrn Prof. C.H.Becker um herzlichen Dank zu genehmigen für den meisterhaften Vortrag, welcher neue Bahnen öffnet in den islamischen Studien.

 

150. C.H.B. an Don Leone Caetani, Principe di Teano. O.O., 26.3.1910

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Prinz!

Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für die Übersendung des 3ten Bandes Ihrer Annali

dell’Islam. Ich bewundere auch diese neue Leistung von ganzem Herzen. Ich habe den ganzen Text bereits in den Druckbogen gelesen, wenn ich Ihnen auch seinerzeit nur zu den ersten Jahren Bemerkungen schickte, weil ich für die späteren Jahre nicht die nötige Zeit zu eingehenden Studien fand, aber gelesen und angenommen habe ich fast alles. Sie werden einen starken Reflex Ihrer Gedanken in dem einleitenden Aufsatze zu meiner Zeitschrift „Der Islam“ finden. Ich hoffe, Sie schreiben mir dann einmal, was Sie über die dort niedergelegten Gedanken denken. Sie werden selbst merken, wie viel Anteil Sie daran haben.

Ich habe mit großer Freude und Genugtuung bemerkt, daß Sie all meine kleinen Bemerkungen und Glossen Ihrem epochemachenden Werke einverleibt haben. Das gibt einem natürlich freudigen Anlaß zu weiterer eifriger Mitarbeit. Ich bitte ja, mir auch Ihre weiteren Druckbogen zugehen zu lassen, und ich hoffe sehr, Ihnen ausführliche Bemerkungen dazu zugehen zu lassen. Heute möchte ich mich darauf beschränken, Ihnen von Herzen für dieses wertvolle Geschenk zu danken. Eine sehr starke Reaktion darauf werden Sie auch in meinem Abschnitt The Expansion of the Saracens in der Cambridge Medieval History finden. Auch für die Göttinger Gelehrtenanzeigen bereite ich eine Besprechung vor, sie währt lange, aber ich hoffe, sie wird dann um so gründlicher.

Mit erneutem herzlichen Dank und verbindlichen Grüßen

Ihr wie stets sehr ergebener (C.H.B.)

 

151. C.H.B. an Don Leone Caetani, Principe di Teano. O.O., 21.5.1913

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Prinz,

wie Sie gehört haben werden ist vor kurzem Hugo Winckler gestorben. Ich möchte ihm gern einen kurzen Nachruf im „Islam“ widmen, in dem nicht etwa seine Verdienste um die Assyriologie, sondern seine bahnbrechende Tätigkeit für die Erkenntnis der Anfänge des Islams zur Darstellung kämen. Zur Abfassung einer solchen kurzen Würdigung scheint mir niemand geeigneter als Sie, und Sie würden mich zu Dank verpflichten, wenn Sie im Styl und Umfang des Nachrufs von Nöldeke auf Euting (siehe letztes heft des Islam) einige Worte sagen wollten. Italienisch natürlich.

In bekannter Verehrung und mit verbindlichen Grüßen Ihr Ihnen sehr ergebener (C.H.B.)

 

152. Leone Caetani an C.H.B. Rom, 28.6.1913

Camera del Deputatii

Hochverehrter Herr Professor,

ich bin krankgewesen, und in der Verwirrung ist Ihr hochgeschätzter Brief ohne Antwort geblieben. Ich bitte Sie mir zu verzeihen. Ich fürchte, daß in meinem jetzigen Zustande, mit viel aufgehäufter Arbeit es mir unmöglich sein wird, eine Notiz über Winckler zu schreiben. Da ich auch kein Assyriologe bin, würde mein Urtheil über diesen Theil seiner Lebensarbeit sehr dürftig bleiben. Ich habe ihn nur als Historiker studiert und bewundert. Er hatte einen weiten und tiefen Blick, und was wir Italiener nennen „intuizione storico“. Er sah was geschehen war. Ich danke ihnen für die Kopie von Batudz, die ich noch nicht erhalten habe.

Ich finde „Der Islamausgezeichnet: es konnte nicht besser gemacht werden.

Ich hoffe (daß) Sie (sich) in bester Gesundheit befinden und immer tüchtig arbeiten können.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Leone Caetani

 

153. C.H.B. an Don Leone Caetani, Principe de Teano, Via Botteghe Oscure 32.

Bonn, 6.7.1914 (Maschinenkopie)

Hochverehrter Freund,

vor ein paar Tagen empfing ich die zwei stattlichen Teile Ihrer Chronographia Islamica und beeile mich, Ihnen meinen verbindlichsten Dank dafür auszusprechen. Ich hatte mich seiner Zeit bereit erklärt, selbst eine Besprechung der Chronographie für den Islam zu übernehmen, aber das Rezensionsexemplar ging auf dem Wege zwischen Geuthner und Trübner verloren, und meine Reklamation blieb von Seiten Geuthners unerledigt. Ich hörte von letzterem, daß Sie von diesem Werke gar keine Exemplare verschenkten und konnte das auch sehr wohl würdigen und verstehen. Um so überraschter bin ich allerdings jetzt, plötzlich diese kostbare Gabe von Ihnen zu erhalten. Ich darf ja wohl annehmen, daß es sich um ein Rezensionsexemplar handelt. Jedenfalls werde ich es so betrachten und alsbald darüber referieren. Für heute kann ich Ihnen nur meine aufrichtige Bewunderung aussprechen, daß Sie uns auch mit diesem neuen praktischen Werke bereichert haben. Solche Regesten sind auch neben Ihren Annali geradezu unentbehrlich, namentlich für den Unterricht. Hoffentlich gelingt es Ihnen, dieses Unternehmen recht zu fördern und trotzdem die Annali nicht zu vernachlässigen. Es wäre doch schön, wenn Sie auch die Annali bis zum Jahre 750 vollenden könnten. Ich bewundere dies Werk um so mehr, je öfter ich es benutze.

Sie haben von mir in den letzten Jahren nur Kleinigkeiten erhalten. Ich war in Hamburg übermäßig mit organisatorischen Aufgaben belastet und habe mir leider dabei eine erhebliche Schädigung meiner Gesundheit zugezogen. Ich erhole mich jetzt in der Ruhe von Bonn langsam, aber ich bin dadurch genötigt, nur mit halber Kraft zu arbeiten, was mir sehr schmerzlich ist. Immerhin hoffe ich doch, in den nächsten Jahren wieder mehr publizieren zu können. Zahllose Arbeiten liegen halbfertig da. Je weniger ich selber zur Zeit leisten kann, um so mehr bewundere ich Ihre ungebrochene Arbeitskraft und hoffe nur, daß sie Ihnen im Interesse unserer Islamstudien noch recht lange erhalten bleiben möge.

Im Islam, Band V, 2/3, wird Sie wohl besonders die doppelte Auseinandersetzung Nöldekes mit den Lammen’schen Theorien interessiert haben. Ich war sehr glücklich, daß es mir gelang, den alten Herrn zu dieser Äußerung zu veranlassen. Auch mir ist es zweifellos, daß Lammens Hyperkritik treibt. Daß alle seine Sachen äußerst geistvoll sind, ist natürlich nicht zu leugnen.

Mit erneutem Dank und verbindlichen Grüßen

Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

154. Leone Caetani an C.H. B. Rom, 13.7.1914

(Maschinenmanuskript)

Caro Professore,

Mi permetta di scriverle in italiano, ch‘ Ella ben comprende, ni risparmi del tempo, date le mie numerose occupazioni.

Ho piacere che Ella abbiy gradito l’invio dei due fascioli della Chronographia Islamica, che ho fatto per suggerimento del Geuthner. Questi mi aveva detto a Parigi, che Ella aveva que ricevuto il terzo fascicolo e che i primi due erano stati perduti. Quindi la continuazione dei fascicoli Le sarò rimessa direttamente dal libraio: cosí mi dice il Geuthner e, quando Le sarò comodo, Le sarò grato se me lo verrà confermare, essendo mio desiderio che ella abbia l’opera completa.

La ringrazio delle sue cortesi espressioni e mi auguro che Ella abbia a rimettersi presto in perfetta salute per contribuire con il suo grande ingegno e con la sua vasta coltura al nostro comune lavoro.

Spero anch‘ io giungere all’anno 750: intanto to Le comunico che il volume VII° degli Annali è quasi pronto e l’VIII° sarò composto per la fine dell ‘estate: con questo due volumi arriverà a tutto l’anno 35. Sono anche composti per circa la metà i volumi X° e XI°, che comprendo – no gli anni 36-40. Lavoro con tre tipografie e così spero di accelerare la pubblicazione, ma uno dei miei collaboratori mi ha abbandonato e non ho ancora potuto rimpiazzarlo.

In autunno uscierá il quarto fascicolo della Chronographia, che spero comprenderà fin tutta l’annata 85.

La saluto molto cordialmente Leone Caetani.

155. C.H.B. an Leone Caetani. Bonn, 21.7.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Prinz,

freundlichen Dank für ihren Brief vom 13. Juli, den ich erst heute beantworte, da ich inzwischen mit meinem Verleger korrespondiert habe. Die Versendung der Rezensionsexemplare der Chronographia ist von Geuthner offenbar sehr nachlässig besorgt worden, denn es ist nicht richtig, daß ich das dritte Fascikel bisher erhalten habe. Das erste ging verloren, das zweite schickte mir jetzt der Verleger. Fascikel 1 & 2 erhielt ich von Ihnen. Bitte lassen Sie mich wissen, wohin ich das doppelte zweite Fascikel senden soll und haben Sie die Freundlichkeit, mir das dritte und die folgenden Fascikel direkt zugehen zu lassen. Ich werde dann jedenfalls im Islam darüber sprechen. Ich beglückwünsche Sie auch heute nochmals zu dem schnellen Erscheinen Ihrer Werke. Mich erfüllt es mit besonderem Neid, da meine Gesundheit mich in letzter Zeit häufiger zur Schonung zwingt. Trotzdem hoffe ich, wenn ich mich diesen Sommer vollständig erholt habe, mehrere Arbeiten schnell hintereinander herauszubringen.

Mit verbindlichen Grüßen und nochmaligem besten Dank

Ihr Ihnen verehrungsvoll ergebener (C.H.B.)


1 Da ich leider kein Arabisch kann, dürfte meine Transkription der arabischen Namen etwas zweifelhaft sein. Die Thematik dürfte trotzdem einigermaßen klar geworden sein.

2 Enigma, wohl wie franz. Énigme = Rätsel

3 er meint wohl: aufzwingen; franz. imposer

Ernst-Robert Curtius, 1916-1933

VI.HA Nachl.Becker C.H. Nr.141

 166. Ernst-Robert Curtius an C.H.B. Heidelberg, (1916?1) Pfingstsonntag

Sehr verehrter Herr Professor,

schon vorgestern habe ich mich aus der drückenden Bonner Atmosphäre hierher gerettet und schon gestern hatte ich Bonn vergessen – da werde ich durch Ihre gütige Sendung auf das angenehmste an Bonn erinnert, an das neue lebendige akademische Bonn, das im Begriffe war, sich neu zu bilden, nur das nun durch Ihr Fortgehen wieder eine schwere Einbuße erleidet.

Haben Sie verbindlichsten Dank für die Übersendung des Vortrags, der mir eine Fülle neuer Tatsachen und Gedanken vermittelt hat. Wie anders ist dieser mit seinen politischen Problemen ringende, in voller Krise befindliche Orient als der, in den vor bald 100 Jahren Goethe einlud, „Patriarchenhaft zu kosten“.- Diesem sich ankündigenden Panislamismus gegenüber wird auch der christliche Gedanke nicht indifferent bleiben können. Oder hat er nicht mehr genug Vitalität?

Ich darf Ihnen nun meine besten Wünsche für angenehme und erfolgreiche Gestaltung Ihrer neuen Tätigkeit aussprechen und bleibe, hochverehrter Herr Professor, mit nochmaligem Dank und den verbindlichsten Empfehlungen Ihr ganz ergebener Curtius.

 

167. E.R. Curtius an C.H.B. Bonn, 25.2.1917

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Geheimrat,

Für Ihren sehr gütigen Brief sage ich Ihnen aufrichtigen Dank. Sie werden leicht erfassen, daß der Plan der Bonner romanistischen Auslandsstudien, die Sie in Ihrer freundschaftlichen Plauderei berührten, für mich ein Objekt größten Interesses ist. Wenn der Plan einmal der Organisation näher rückt, wird sich, wie ich hoffe, auch für mich da eine Möglichkeit der Betätigung erschließen. Zwar sehe ich Meyer-Lübke selten, aber er scheint sich energisch für die Sache einsetzen zu wollen, und da ich den Eindruck habe, daß er mir wohl gewogen ist, wird er mich, falls er Leiter des Unternehmens wird, wohl auch heranziehen. Wie verbes-serungsbedürftig unser romanistischer Universitätsunterricht ist, haben mir die Prüfungen, denen ich beiwohnte, schlagend bewiesen. Wohl sind gewisse altfranzösische Kenntnisse vorhanden, aber grade mit denen ist im Schulunterricht wenig anzufangen. Theoretische Grammatik wird noch notdürftig gewußt. Sprechfertigkeit betrübend gering (hier hätte die Wirksamkeit der Lektoren einzusetzen – momentan haben wir ja gar keinen). Literatur-geschichte wird schematisch aus subalternen Kompendien auswendig gelernt. Über Charakter und Geschichte der französischen Kultur ist gar nichts bekannt. Die Prüfungsordnung verlangt zwar „Bekanntschaft mit der Geschichte Frankreichs, soweit sie für die sachliche Erläuterung der gebräuchlichen Schulschriftsteller erforderlich ist“, aber diese Bestimmung steht bescheiden am Schluß und scheint einen platonischen Charakter zu haben. Das Literaturstudium erstreckt sich im günstigsten falle bis zur Romantik. Würde man nach den Wirkungen des 70er Krieges oder nach der geistesgeschichtlichen Stellung Renans oder nach der Bedeutung des Dreyfußprozesses fragen, so riefe das äußerstes Befremden hervor.

Und doch scheint mir, daß für die zukünftigen Lehrer des Französischen grade die Kenntnis der neueren und neuesten französischen Kulturgeschichte ein Haupterfordernis sein müßte.-

Aber dieser Zustand hängt eben eng mit der Entwicklung der romanischen Philologie zusammen. Sie hat sich entwickelt an der Interpretation mittelalterlicher Texte. Romanische Grammatik des Mittelalters und Textkritik sind bis heute ihr Zentrum geblieben. Alles was darüber hinausgeht wurde lange als unwissenschaftlich verachtet, wird heute zwar geduldet, aber noch nicht als selbständig anerkannt. Die meisten Romanisten haben sich ihre Lehrstühle durch Arbeiten aus dem Gebiet der mittelalterlichen Philologie erobert, diese bleibt ihr Arbeitsgebiet und die sie behandelnden Vorlesungen gelten als die wichtigsten. Die literarischen Vorlesungen der Ordinarien gehen fast nie über das 17.Jh hinaus, Seminar-übungen erst recht nicht. Die Folge davon: für die neuere Literatur springt der Lektor ein, der in den seltensten Fällen geschulter Literaturhistoriker ist und dessen Vorträge von den Studenten mehr der Sprachtechnik als des Inhalts wegen besucht werden. Was ich da kurz zusammenfasse, hat Schneegans 1912 in seiner Aufsatzsammlung „Studium und Unterricht der romanischen Philologie“ ausgeführt und urkundlich belegt. In demselben Buch zeigt er auch, wie ganz anders die Franzosen angreifen. Dort ist es nicht statthaft, zwei moderne Fremdsprachen nebeneinander als Examensfächer zu betreiben, es wird Spezialisierung verlangt. Die Anforderungen sind dann aber auch sehr groß. Ein Agrégé d’allemand muß sich in moderner deutscher Kultur-, Kunst- und politischer Geschichte ganz gründlich auskennen, wie die von S(chneegans) mitgeteilten Examensprogramme beweisen.

Es muß irgendwie gelingen, französische Geistes- und Kulturgeschichte als selbständige, nicht an die altfranzösische Philologie gebundene Disciplin dem Rahmen unseres Universitätsunterrichts einzufügen. Das Bonner Romanische Institut wird hoffentlich dazu beitragen, die bestehenden Lücken in dieser Hinsicht zu ergänzen.

Wenn aus den Auslandsstudien etwas lebendiges werden soll, dürfen sie, wie mir scheint, nicht nur ein Aggregat von spezialistischen Einzelbelehrungen über Wirtschaftsgeographie, Recht usw. sein, sondern es muß neben diesen unentbehrlichen Fachkenntnissen die Tendenz zu geschichtsphilosophischer Synthese, zum Verstehen der kulturellen Triebkräfte von innen heraus, zur Geltung kommen. Und grade bei den romanischen, den französischen Studien ist eine solche allgemeinere Betrachtungsweise vielleicht in höherem grade erwünscht als bei bulgarischen oder Kolonialstudien. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich Ihre Worte, es komme Ihnen für Bonn auf die Schaffung einer wissenschaftlichen romanistischen Atmosphäre an, auch in diesem Sinne deute. Bonn ist für den romanischen Linguisten schon jetzt die erste Universität, nur durch Meyer-Lübke . Es hängt nur von der Gewinnung bedeutender Lehrkräfte ab, daß es auch für den romanischen Kulturforscher die erste Universität wird.

Über das Projekt habe ich bisher nur mit Meyer-Lübke – flüchtig – gesprochen, und des öfteren mit Smend2, der mir auch die sehr interessante Denkschrift gab. Wenn die freie Kommission, von der Sie sprechen, zusammentritt, wird sich wohl schnell ein Lehrplan aufstellen lassen. Ich brauche Ihnen nicht zu versichern, daß ich gern und mit größtem Interesse „Träger des Gedankens“ (um Ihre Worte zu brauchen) zu werden versuchen will, sobald meine Mitarbeit erwünscht ist.

Smends Erholung schreitet erfreulicherweise regelmäßig fort. Ich darf ihn jetzt öfter besuchen.

Wenn ich nach meinen persönlichen Erfahrungen schließe, ist das Interesse für französische Dinge bei uns jetzt nicht groß. Seit einem Jahr gehe ich mit einem kleinen M(anuskript) „Die literarischen Wegbereiter des modernen Frankreich“ hausieren, und habe jetzt schon von vier Verlegern einen Korb bekommen. Ich will es jetzt aber auf Zureden von Smend noch einmal versuchen, und zwar hier bei Ahn. Hoffentlich gelingt es mir doch noch einmal, gedruckt zu werden, Es wird für mich eine große Freude sein, wenn ich Ihnen das erste Exemplar übersenden kann als Zeichen der aufrichtigen Dankbarkeit und Verehrung

Ihres Ihnen ganz ergebenen Ernst Robert Curtius.

 

168. E.R. Curtius an C.H.B. Bonn, 29.11.1917

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Nach meiner Rückkehr von Berlin bin ich zu Meyer-Lübke gegangen um ihm Bericht zu erstatten. Er war mit allem einverstanden, nur die Bibliothek für romanische Geisteskultur beunruhigte ihn etwas. An sich begrüßt er sie zwar. Er sieht ein, daß das romanische Seminar dadurch erstens entlastet und zweitens in seiner Funktion als rein wissenschaftliches For-schungsinstitut für die linguistischen philologischen und zeitlich weiter zurückliegenden literarischen Gebiete nur gefestigt wird. Aber er hat Bedenken, „mehr Bedenken als sie Becker offenbar hat“, sagte er. Genauer wollte er sie nicht darlegen. Sie schienen sich auf Unterbringung, Unterhaltskosten, vor allem aber auf die Verwaltung der Bibliothek zu beziehen. Sollte ihm der Gedanke: ein Privatdozent als Bibliotheksleiter, bedenklich erscheinen? Ich weiß es nicht, habe ihm aber geraten, Ihnen diese Bedenken mitzuteilen, Sie würden jedenfalls bereit sein, sie zu würdigen.

Was die spanischen Kurse im nächsten Sommer betrifft, so billigt er den in Berlin entstandenen Plan. Ich sagte ihm, es empfehle sich vielleicht mit der Aufstellung eines fertigen Programms zu warten, bis Herr Haas wieder in Berlin sei. Ich habe weiter die Vermutung ausgesprochen, Sie würden uns von der Rückkehr des Herrn Haas in Kenntnis setzen und uns mit ihm in Verbindung setzen. Daraufhin erklärte Meyer-Lübke mit der Festsetzung des Pro-gramms warten zu wollen, bis wir aus Berlin von der Rückkehr des Herrn Haas verständigt würden. Wir warten also in dieser Hinsicht die Berliner Initiative ab.

Mit Clemen habe ich die Bibliotheksfrage besprochen. Er war von dem Gedanken sehr begeistert. Nur meinte er, Herr Duisberg dürfe nicht den Eindruck gewinnen, daß mit der Übergehung der Freunde und Förderer über ein (von) diesen gestiftetes Kapital verfügt werde. Dieser Eindruck kann aber vermieden werden, wenn Herr von Boettinger den Gedanken der romanischen Bibliothek als aus eigener Initiative entsprungen den Freunden und Förderern vorträgt. Die Vorstellung einer Einmischung oder Pression seitens des Ministeriums könnte dann nicht auftauchen. Was die Beschaffung der Bücher betrifft, rät mir Clemen zu dem Verfahren, welches er bei seinem Institut anwendet. Er bezieht französische Werke für hohe Beträge aus der Schweiz, hat aber mit der Schweizer Buchhandlung das Abkommen getroffen, daß die Zahlung erst nach Herstellung der Valuta erfolgt, dafür werden 6% Zinsen gezahlt. Auf diese Weise könnte man zu verhältnismäßig normalen Preisen den Grundstock der Bibliothek schon während des Krieges aufstellen.

Herr Kiepenheuer hat wohlwollende Prüfung meines M(anuskripts) in kurzer Frist zugesagt. Er befürchtet allgemeines Druckverbot im Januar. Womöglich müßte der Satz also noch im December fertiggestellt werden. Herr Kiepenheuer hat sich inzwischen vielleicht schon bei Ihnen angemeldet. Jedenfalls wollte er es tun.

(Handschriftlich)

Zum Schluß darf ich Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, noch sagen, daß ich mit großer Dankbarkeit auf die Berliner Tage zurückblicke. Sie haben mir eine Aufgabe gezeigt, die meinen wissenschaftlichen Neigungen ebenso wie der Richtung meiner praktischen Tätigkeit entgegenkommt, und für die ich meine beste Energie einsetzen möchte. Das Bewußtsein, durch Ihr Wohlwollen und Vertrauen gefördert zu werden, macht mich glücklich. Dafür ebenso wie für Ihre gütige Gastfreundschaft sage ich Ihnen von Herzen kommenden Dank. Mit der Bitte um Empfehlungen bei Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin bleibe ich in aufrichtiger Verehrung Ihr Ihnen ganz ergebener E.R. Curtius.

PS. Sollten Sie Herrn Regierungsrat Trendelenburg sehen, so bitte ich, mich ihm zu empfehlen. Ende der Woche hoffe ich ihm die gewünschten Mitteilungen machen zu können. Bisher war es mir wegen dringender Arbeiten an meinen Vorlesungen nicht möglich.

 

169. E.R. Curtius an C.H.B. Bonn, 1.12.1917

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Geheimrat!

In der nächsten Woche, von Dienstag ab, wird hier die Bibliothek von Wendelin Foerster versteigert. Sie enthält einiges aus dem Gebiet der modernen romanischen Literatur und Kultur, was wir für die geplante Boettinger-Bibliothek gut brauchen könnten. Es wäre schade, diese Gelegenheit zu verpassen. Es wäre andererseits ein Akt dekorativer Pietät, wenn man in die neue romanische Bibliothek einiges aus dem Besitz des berühmten Bonner Romanisten übernehmen könnte. Darum erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie in der Lage sein würden, mir einen Kredit in der Höhe von 500 Mark zu gewähren, aus dem ich einiges erwerben könnte. Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie mir den Bescheid telegraphisch zukommen lassen könnten, damit er mich vor dem Beginn der Auktion noch erreicht. Besonders günstig ist es, daß mit der Bibliothek einige Bücherregale versteigert werden. Bei der großen Schwierigkeit, solche jetzt neu zu beschaffen, wäre es sehr erwünscht, wenn ich auch diese erwerben könnte.

Noch eine andere Angelegenheit möchte ich ihnen vortragen dürfen. Clemen, Smend und ich haben heute das Weyersberg’sche Haus besichtigt. Es stellte sich folgendes heraus. Die sehr schönen großen Räume des Erdgeschosses hat der Pedell Remagen bezogen. In der ersten Etage sind die Zimmer nach der Gartenseite vom orientalischen Seminar bezogen. Die Zimmer der Straßenseite sind noch leer, aber angeblich für das Rheinische Wörterbuch bestimmt. Die zweite Etage ist noch leer, enthält aber nur eine Reihe kleinerer, niedriger, für Institutszwecke ungeeigneter Räume. Außerdem ist die Gärtnerwohnung im Nebengebäude vorhanden, welche der Kurator an einen städtischen Polizeibeamten vermietet hat.. Diesem könnte gekündigt werden, der Pedell Remagen könnte dessen Wohnung beziehen, das rheinische Wörterbuch könnte als nicht zur Universität gehörig in ein anderes Lokal verwiesen werden, dann würden schöne und geeignete Räume für die romanische Bibliothek freiwerden. Ein Plan des Hauses ist leider nicht vorhanden, wie auf dem Universitätsbauamt festgestellt worden ist. Es wäre nun sehr wünschenswert, wenn die Räume am 1. April 1918 für die Bibliothek freigemacht werden könnten. Dann hätten wir bei Gelegenheit der spanischen Kurse im Sommer schon den erfreulichen Anfang einer Pflegestätte der romanischen Kultur vorzuzeigen. Dies ist aber nur möglich, wenn dem Polizeibeamten am 1. Januar gekündigt werden kann. Daher wäre es nötig, die erforderlichen Entscheidungen noch im Laufe dieses Monats zu treffen. Herr Clemen reist Montag nach Berlin und wird Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, diese Verhältnisse noch mündlich auseinandersetzen.

Nachträglich scheinen mir 500 Mark zu wenig, um auch noch die Regale zu erwerben. Würden Sie die Bitte um einen Kredit von 800 (achthundert) Mark exorbitant finden? Ich hoffe natürlich, mit viel weniger auszukommen. Vorhin telefonierte ich mit Meyer-Lübke und er hat es gebilligt, daß ich Sie um einen Kredit bäte.

Wenn wir erst einmal soweit sind, daß wir auch nur ein paar leere Zimmer, ein paar halbleere Regale und 100 Bände romanischer Literatur haben, ist das Kind wirklich geboren. Und wird es auch wachsen und gedeihen. Es ist dann nicht mehr widerlegbar.

Mit den besten Empfehlungen bleibe ich, hochverehrter Herr Geheimrat, in der aufrichtigsten Verehrung Ihr Ihnen ganz ergebener Ernst Robert Curtius.

 

170. E.R. Curtius an C.H.B. Bonn, 6.12.1917

Hochverehrter Herr Geheimrat,

Für Ihren soeben in meine Hände gelangten Brief vom 5.d.M. beeile ich mich, Ihnen meinen ergebensten Dank zu sagen.

Was die Raumfrage betrifft, so sind Clemen und ich uns völlig einig, und es kann nur in einer unklaren Wendung meines Briefes begründet sein, wenn Sie den Eindruck erhielten, ich beanspruchte das Erdgeschoß des Weyersberg’schen Hauses. Ich bin mit den Räumen des Rheinischen Wörterbuches schon sehr zufrieden. Auf die Dauer werden sie natürlich nicht ausreichen.

Die telegraphische Ermächtigung zum Bücherkauf in der Höhe von 1000 Mark habe ich richtig erhalten, und ich bin Ihnen ganz besonders dankbar dafür, daß Sie vermittelt haben. Ich habe an den verflossenen Auktionstagen nur wenig gekauft, weil ganz übertrieben gesteigert wurde und weil ich den Hauptteil der Summe auf die Regale verwenden möchte.

Das amtliche Telegram ist mir auch aus dem Grunde besonders willkommen, weil der Direktor der Universitäts-Bibliothek, sowie er von der geplanten Boettinger-Bibliothek gehört hatte, einen Antrag an den Herrn Minister gerichtet hat mit der Bitte, dieses Unheil zu verhindern. Der Curator hat mich zu einer Gegenäußerung aufgefordert, in der ich unsern Plan ausführlich begründen werde.

Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie den allgemein-romanischen3 Charakter des geplanten Instituts nicht durch spanische Sonderwünsche gefährdet wissen wollen. Es wird nur darauf ankommen, daß die öffentlichen Mittel, die Dr. Frohberger durch Druck auf das Auswärtige Amt aufzubringen hofft, dem ganzen Institut und nicht nur spanischen Abteilung zugute kommen. Der Embryo darf nicht zu einer Mißgeburt mit verkümmertem franco-italienischen Leib und spanischem Wasserkopf werden.

Mit nochmaligem sehr herzlichen Dank für Ihren Brief und Ihre wohlwollende Unterstützung bleibe ich, hochverehrter Herr Geheimrat, Ihr Ihnen ganz ergebener Curtius.

 

171. E.R. Curtius an C.H.B. Bonn, 17.12.1917

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Ihr Brief vom 13.d.M. verpflichtet mich zu tiefer Dankbarkeit. Einmal gibt es mir in dieser unglücklichen Angelegenheit, in der ich mein Recht bei Ihnen glaubte suchen zu dürfen und suchen zu müssen, Recht und Genugtuung so völlig und reichlich, wie ich es mir nur wünschen konnte. Darüber hinaus ist er mir der tief verpflichtende Beweis Ihrer Güte.

Ich werde nun meinerseits alles tun, was in meinen Kräften steht, um die von Ihnen wie von mir dringend gewünschte Lösung herbeizuführen. An Geheimrat Meyer-Lübke schreibe ich genau in den von Ihnen vorgesehenen Ausdrücken.

An einer vom Herrn Kurator anberaumten Sitzung, die zum Zweck hatte, Herrn Geheimrat Erman zum Verzicht auf seinen Einspruch gegen die Errichtung der Boettinger-Bibliothek4 zu bestimmen, konnte ich nicht teilnehmen; Smend hat Ihnen, wie ich von ihm höre, über ihren Verlauf im einzelnen unterrichtet.

Unerledigt bleibt im Augenblick noch, daß Herr Geheimrat Meyer-Lübke grade die Aus-drücke, die ich als ehrverletzend empfinden muß, auch den an der Sitzung beteiligten Herren (den Geheimräten Ebbinghaus, Erman und Schulte) oder einigen von ihnen wiederholt zu haben scheint. Smend hat Ihnen einen Vorschlag auch dieses Restes gemacht, dem ich zustimme.

Daß Sie, wie ich aus Ihrem Brief vom 13.d.M. sehe, mich mit Herrn Geheimrat von Boettinger in Verbindung setzen wollen, darf ich heute schon wenigstens mit lebhaftem Dank begrüßen.

Ich empfinde sehr, wie unwürdig Ihrer sonstigen Aufgabe die eingehende und zeitraubende Beschäftigung mit Leidigkeiten wie diese ist. Auch aus dieser Empfindung heraus darf ich Ihnen die Hoffnung aussprechen, daß es nicht an mir liegen soll, wenn Sie wieder mit solchen Dingen belästigt werden sollten. In großer Dankbarkeit bleibe ich, hochverehrter Herr Geheimrat, Ihr Ihnen von neuem tief verpflichteter Curtius.


Konflikt Curtius – Meyer-Lübke um Errichtung eines 2. romanischen Seminars in Bonn


172. C.H.B. an Ernst Robert Curtius. Berlin, Wilhelmstraße 68, 19.12.1917

(Maschinenkopie)

Mein lieber Herr Curtius,

Haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief vom 17.12. Er fordert ja keine unmittelbare Antwort, aber ich habe doch das Gefühl, als ob ich Ihnen noch einen besonderen Gruß zu Weihnachten schicken sollte. Es beschäftigt mich sehr, daß Sie durch das unglückliche Zusammentreffen unserer Besprechung mit der Auktion Förster in eine etwas schiefe Lage gekommen sind, und ich könnte mir denken, daß Ihnen dieser erste Versuch auf dem Parkett der Amtlichkeit etwas die Freude an der Sache verdorben hätte. Ich vertraue auf Sie und auf Ihre Freude an der großen Aufgabe, daß Sie einer solchen Stimmung, wenn sie einmal in diesen Tagen aufgestiegen sein sollte, nicht Raum geben. Ich hoffe, daß sich derartige Dinge nicht wiederholen werden. Jedenfalls habe ich versucht, was ich tun konnte, um die zu dieser Explosion Anlaß gebende Stimmung aus der Welt zu schaffen. Ich habe nicht nur Smends Vorschlag telegraphisch zugestimmt, sondern habe auch noch von mir aus einen ganz ausführlichen Brief an Schulte und den Kurator geschrieben. Ich hoffe, daß nun von allen Seiten auf einen dauernden Frieden hingearbeitet wird, und daß auch Ihnen die Ihnen zustehende Genugtuung gegenüber dem Meyer-Lübke’schen Angriff zuteil geworden ist. Ich glaube sogar, daß diese kleine Verstimmung jetzt zu Anfang insofern nützlich war, als sie luftreinigend gewirkt hat. Nehmen Sie es wie eine Impfung, die ein kleines Fieber erzeugt, aber dann zu dauernder Immunität führt. Ich hoffe, daß die Impfung allseitig war. Und damit hoffe ich, die Akten in dieser Angelegenheit schließen zu können, und bitte Sie, auf diese Zeilen nicht noch einmal besonders zurückzukommen. Auch Sie brauchen jetzt die Ruhe der Weihnachtstage für andere Gedanken …

Mit den besten Wünschen zu den Feiertagen und zum Jahreswechsel bin ich in bekannter Gesinnung Ihr Ihnen freundschaftlich ergebener gez. Becker.

 

173. C.H.B. an Geheimrat Prof. Schulte, Bonn. Berlin, 19.12.1917

Vertraulich! (Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Kollege.

Das Wohlwollen, das Sie mir in Bonn stets entgegengebracht haben, ermutigt mich dazu, Sie heute darum zu bitten, mir dabei zu helfen, die durch das Auftreten des Dr. Curtius bei der Förster-Auktion entstandene Verstimmung möglichst bald aus der Welt zu schaffen. Es handelt sich dabei eigentlich um zwei Angelegenheiten: einmal um die Stiftung einer Boettinger-Bibliothek und zweitens um die Ereignisse bei der Auktion. Daß bei solchen Neugründungen, namentlich wenn sie auf der für Bonn vereinbarten Linie liegen, das Ministerium bei den ersten Verhandlungen die Sache in Bonn anhängig macht, ist einfach ausgeschlossen. Es würde meistens die Sache selber in Frage stellen und auch nicht der bisherigen Praxis entsprechen. Nun kann ich Ihnen ganz persönlich, aber nur für Sie bestimmt, sagen, daß ich einigermaßen enttäuscht bin über die Art und Weise, wie Meyer-Lübke die Zügel am Boden hat schleifen lassen. Wie oft haben wir darüber gesprochen, daß ein reiner Grammatiker eine solche Aufgabe nicht lösen kann. Deshalb hatte ich von vorn herein großen Wert auf die Zuziehung von Curtius und von Vertretern anderer Fächer gelegt. M.L. hat ihn aber konstant geschnitten, wie ich nicht etwa von Curtius, sondern von anderer Seite auf Befragen erfuhr. Ich sah deshalb ein, daß ein ausschließlicher Aufbau auf dem Meyer-Lübke’schen Seminar das ganze Unternehmen gefährdet haben würde, und deshalb habe ich den Herrn Minister dazu bestimmt, die beiden romanistischen Aufgaben zu trennen. Nun haben sich bei einem zufälligen Zusammensein in Berlin die Dinge etwas überstürzt, und es könnte dadurch der Anschein erweckt werden, als ob M.L. irgendwie übergangen werden sollte, wovon natürlich keine Rede ist, denn ich bin der Erste, der die große Bedeutung M.L.’s auf seinem Gebiete anerkennt. Man muß nur die Dinge trennen und nicht aus Rücksichtnahme auf akademische Rangverhältnisse eine gute Sache gefährden. Ich habe natürlich auch damit gerechnet, daß M.-L. und die anderen Herren großzügig genug denken, diese neue Bahnen einschlagende Entwicklung willig zu unterstützen. Gerade bei Ihnen bin ich in diesem Punkte sicher, und ich bitte Sie nur freundlichst, meine Politik in der Hinsicht fördern helfen zu wollen. Daß ich nichts Unakademisches und Unkollegiales tue, wenn ich auch einmal andere Wege einschlage, als sie bisher üblich waren, so viel gute Meinung darf ich nach allen Vor-gängen ja wohl doch in Bonn voraussetzen.

Das neue Institut wird natürlich keine Konkurrenz zur Universitäts-Bibliothek, schon weil es ein Präsenz-Institut werden soll. Wir haben hier die Interessen der Universitäts-Bibliotheken doch natürlich immer im Auge, und man konnte sich wirklich in Bonn darauf verlassen, daß der Herr Minister, der solange die Universitäts-Bibliotheken im Spezialreferat gehabt hat, schon dafür sorgen wird, daß kein Zweig der Universitätsverwaltung geschädigt wird. Natür-lich kann auch nicht zugegeben werden, daß die Universitäts-Bibliotheken jede andere Sonderentwicklung hemmen. Ich kenne ja nun diese Fragen auch zur Genüge und habe seiner Zeit in meinem Verhalten gegenüber der Prym’schen Bibliothek wirklich in selbstloser Weise gezeigt, daß ich die Interessen der Universitäts-Bibliothek wohl gegenüber denen der Seminare abzuschätzen weiß. Es gibt aber Fälle, wo man auch einmal einen anderen Weg einschlagen muß, und darin sehe ich kein Unglück, namentlich wenn es sich nicht um eine beliebige Bibliothek, sondern um diejenige handelt, die die Sondernote Bonns mitverkörpern soll. Eine wirkliche Schädigung, ja auch nur Einbuße, wird aber die Universitäts-Bibliothek unter keinen Umständen erleiden, und gewisse Doppelanschaffungen sind geradezu eine Notwendigkeit.

Die ganze Sache ist kompliziert worden durch die Auktion Förster. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn Curtius sich dabei ganz zurückgehalten hätte. Aber, mein Gott, Sie sind auch einmal jung gewesen und wissen, was der freudige Eifer für eine neue Sache bedeutet. Daß jemand, der zum ersten Male im amtlichen Auftrage steigert, noch nicht das heilige Zeremoniell kennt, das in solchen Fällen üblich ist, ist doch weiß Gott nicht wunderbar. Die so oft angezogene akademische Kollegialität hätte es dann doch wohl erfordert, daß einer der älteren Herren den jüngeren in nicht verletzender Weise darauf aufmerksam gemacht hätte. Statt dessen sofortige Gereiztheit auf allen Seiten, Beschwerden in Berlin und beim Kurator usw. Ich muß gestehen, daß dieses Bild akademischer Kollegialität etwas tief Betrübendes für mich hat. Als Außenstehender werden Sie darüber vermutlich ebenso denken. Curtius hat zweifellos formell gefehlt, aber Meyer-Lübke hat sich durch die Briefe, die er daraufhin geschrieben hat, ebenso zweifellos ins Unrecht gesetzt. Und dabei kann man ihm den Vorwurf nicht vorenthalten, daß er mindestens im gleichen Maße gegen die Gesetze der Kollegialität gehandelt hat, deren Verletzung er Curtius zum Vorwurf macht. Das Auftreten Meyer-Lübkes gegen Curtius ist mir nur erklärlich aus einer schon lange bestehenden Gegensätzlichkeit, die bei diesem Anlaß explosionsartig zum Ausbruch kam. Ich gebe zu, daß Curtius’ ganzes Wesen und sein gesellschaftliches Auftreten anders ist, als wie es bei dem Durchschnitts-Privatdozenten in Bonn der Fall ist; aber das ist doch seine reine Privatsache. Erstens stammt Curtius aus elsässischem Milieu, zweitens war er schwer verwundet und hat noch unter den Nachwehen seiner Nervenverletzung zu leiden, und endlich ist er auch in seiner ganzen wissenschaftlichen Struktur so vollkommen anders, wie das bisher in Bonn üblich war, daß ich mir diese Gegensätzlichkeit nur zu leicht erklärte. Ich habe ihn aber genügend kennen gelernt und habe von urteilsfähiger Seite so viel Gutes über ihn gehört, daß ich mir für die Ziele, die ich mit den Auslandsstudien verfolge, gerade von Curtius sehr viel verspreche. Curtius ist meines Erachtens für seine harmlose Ungeschicklichkeit mehr als genug bestraft; die ihm durch Meyer-Lübke widerfahrende Ehrenkränkung hat er aber keinesfalls verdient, und ich lege Wert darauf; Ihnen diesen meinen Standpunkt persönlich darzulegen mit der Bitte, ihn nötigenfalls auch andern gegenüber zu vertreten. Am liebsten ist mir natürlich, wenn möglichst bald wieder Gras über der Sache wächst. Sie, der Sie schon so oft die Gemüter beruhigt haben, könnten sich auch bei dieser Gelegenheit wieder ein neues Verdienst erwerben. Wenn Sie Curtius näher kennten, würden Sie in ihm einen überaus fein reagie-renden, empfindsamen und im wahrsten Sinne des Wortes kollegial denkenden Menschen erkennen. Es würde mir sehr leid tun, wenn ihm diese Angelegenheit seine Bonner Stellung erschwerte, und ich bitte Sie darum, alles zu tun, um eine normale Zusammenarbeit zwischen ihm und Meyer-Lübke herbeizuführen.

Es ist schon lange mein Wunsch, einmal wieder nach Bonn zu kommen; aber ich stecke derartig tief in der Arbeit, daß ich mich kaum durchfinden kann, und meistens von 8 Uhr morgens bis 9 Uhr abends von Hause fern bleiben muß. Mir läge besonders daran, den Standpunkt des Herrn Ministers in der Angelegenheit der Studenten-Bibliothek einmal mit einigen Herren in Bonn zu besprechen, obwohl ich referatsmäßig daran nur als Korreferent beteiligt bin. Auch hier handelt es sich um eine Neuerung, die nicht aus rerum novarum cupiditate entstanden ist, sondern aus einem zeitgemäßen Bedürfnis für Ergänzung der Universitäts-Bibliothek entspricht. Es liegt ja nun einmal leider nicht im Aufgabenkreis der Universitäts-Bibliotheken, die nicht5 wissenschaftlichen, der Allgemeinbildung gewidmeten Bedürfnisse der akademischen Jugend zu erfüllen. Ich verfolge mit der Förderung aller solcher Gründungen den Zweck, die akademische Jugend mit ihren wirklichen Lebensbedürfnissen wieder an die Universität zu fesseln. Sie ist leider im Begriff, sich ihre trockene Fachbildung in den Hörsälen zu holen und ihren übrigen Menschen unabhängig von der Einwirkung der Universität zu bilden. Das ist ein großes Thema; ich darf es nur einmal anklingen lassen. Auch hierfür setze ich bei Ihnen Verständnis ohne Weiteres voraus.

Ich schließe mit den besten Wünschen zu Weihnachten und zum Neuen Jahre, indem ich Sie bitte, diesen Brief als durchaus vertraulich betrachten zu wollen.

Mit freundlichen Grüßen, auch an Ihre verehrte Gattin, in bekannter Hochschätzung und Verehrung Ihr ergebenster

gez. Becker, Geheimer Regierungsrat

 

174. E.R. Curtius an C.H.B. Bonn, 5.6.1918

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter lieber Herr … soll ich nun sagen Professor? Da Sie den Geheimrat ablehnen … ich bin da in einer stilistischen Unwissenheit, die mir das Schreiben an Sie in demselben Maße schwerer macht wie mir Sie Ihr Wunsch, nicht mehr als Geheimrat angeredet zu werden, menschlich näher bringt… Unser Briefe haben sich also gekreuzt. Mein Briefchen von heute nachmittag, in dem ich Sie um Rücksendung des Vertrags bat, ist gegenstandslos geworden durch Ihren inzwischen eingetroffenen Brief. Verzeihen Sie, daß ich glaubte Sie belästigen zu müssen. Litzmann hatte mir heute mittag die Hölle heiß gemacht und ange-deutet, daß sich unheildrohende Gewitterwolken über mir zusammenziehen würden, wenn nicht bis spätestens Mitte Oktober mein Buch erschienen wäre, deshalb schrieb ich dann gleich an Sie. Es wird sich wohl um Fakultätsgeheimnisse handeln, die vielleicht nicht so wichtig sind wie sie Litzmann vorkommen.

Ach, Ihr Brief hat mir so wohl getan. Die letzten Tage waren recht anstrengend, es war ein ewiges Herumlaufen, Anordnen, Schreiben, Konferieren und Telefonieren, so daß ich mich etwas abgespannt fühle. Und das äußert sich dann bei mir immer in dem elementar durch-brechenden vernichtenden Gefühl: Du kannst nichts und weißt nichts, Du bist ein bluff, wirst immer unzulänglich bleiben, ein Blender wie ein Apfel, in dem ein Wurm sitzt. Manchmal ist das so bedrückend, daß man alles wegwerfen möchte und ins Kloster gehen, wozu ich auch entschieden mehr passe als zu erfolgreicher Betätigung in der Welt. Nun, in dieser Stimmung tat mir der herzliche Ton Ihres Briefes in der Seele wohl. Er verstärkte in mir den Wunsch, Sie wieder einmal zu sehen, und nicht in geschäftlichen Angelegenheiten.

Ihre Kritik des Vertrages hat mich wieder verblüfft, weil sie so absolut richtig ist und ich niemals auf diese Dinge gekommen wäre. Das Sie aber so etwas für mich tun! Es rührt mich sehr. Ich habe sofort in Ihrem Sinne an Kiepenheuer geschrieben. War er übrigens bei Ihnen, wie er mir neulich brieflich in Aussicht stellte?

Ich finde es einfach wundervoll, daß Sie Blüher gelesen haben. So etwas ist im preußischen Kultusministerium gewiß noch nie passiert. Das neueste von Blüher steht in dem eben erschienenen Jahrbuch „Tätiger Geist“ und ist wieder ganz ausgezeichnet. Blüher ist natürlich stark von George beeinflußt, den er auch citiert, aber er macht aus gelebter Dichtung eine politische Philosophie, die sich in Tat umsetzen wird. Sein letzter Aufsatz schließt mit den Worten: „Wir wollen beunruhigen und erregen, wie wir selber Beunruhigte und Erregte sind.“

Das ist der Atem der Jugend und des Märzwindes, der befeuerte Pulsschlag aus dem der Reigen, der Hymnus, das heroische Leben geboren wird. Es ist so schön, daß Blüher alle liberalen und fortschrittlichen Ideologien verpönt. Es ist etwas Großes in seinem Willen zum platonischen gemeinschaftschaffenden Eros, und wieviel schöner freier und göttlicher wäre die Welt, wenn alle die, die es angeht, auf die zeitlose Forderung hören wollten, zu deren Interpreten sich Blüher macht.

Gewiß kenne ich Hildebrandts Symposion-Ausgabe. Sie dient ja ganz verwandten Gedanken-gängen. Auch sie wäre ohne George nicht möglich gewesen.

Schön war es, viel mit Percy Gothein zusammenzusein. Es liegt eine große Charis über ihm.

Nochmals sehr warmen Dank von Ihrem Ihnen in großer Verehrung ergebenen Curtius.

PS. Wegen der Studenten frage ich im Curatorium nach.- Darf ich mir meine Auslagen für Bürokosten des Ausschusses aus der für den Kurs überwiesenen Summe erstatten lassen oder ist Gesuch an den Herrn Minister erforderlich?

 

175. E.R. Curtius an C.H.B. Bonn, 9.6.1918

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter lieber Herr Professor,

der spanische Kurs ist zu Ende; und das bedeutet für mich, daß ich den Weg zu mir selbst wieder zurückfinden kann, daß es endlich wieder Zeit da ist für gesammeltes geistiges Sein; und auch die Verse, die mir die ganze Zeit her im Ohr liegen, bekommen jetzt erst ihre Wirklichkeit:

It is full summer now, the heart of June,
Not yet the sun-burnt reapers are a-stir
Upon the upland meadow where too soon
Rich autumn-time, the season’s usurer,
Will lend his hoarded gold to all the trees,
And see his treasure scattered by the wild and spendthrift breeze.

Die erste Sunde, sie mir selber wieder gehört, will ich benutzen, um Ihnen von Herzen u danken für Ihren überaus gütigen und vertrauensvollen Brief, der mir wieder einmal gezeigt hat, welche weit über mein Verdienst hinausgehende Teilnahme Sie mir entgegenbringen. Zur Sache selbst darf ich vielleicht noch folgendes bemerken. Daß die spanischen Studien ein solides linguistisches Rückgrat bekommen, ist natürlich nicht nur erwünscht und begrüßens-wert, sondern wohl unerläßlich. Vielleicht ist Spitzer dafür auch der geeignete Mann. Gegen Spitzer kann ich gar nichts haben, sobald dafür gesorgt wird, daß er mich hier nicht aus meiner Funktion als Vertreter der neueren französischen Literatur- und, ich möchte einmal hinzufügen können, Kultur-Geschichte6 verdrängt. Es wäre ja nicht unmöglich, daß Meyer-Lübke sich gesagt hätte: der Curtius wird mir zu übermütig, und den ducke ich jetzt, indem ich ihm einen meiner Schüler vor die Nase setze. Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat M.-L- bei der Fakultät angeregt, sie möge Spitzer ein Extraordinariat beantragen. Nun wäre es natürlich für mich etwas demütigend, wenn Spitzer sofort nach seiner Berufung zum Extra-ordinarius befördert und damit dokumentiert würde, daß seine Verdienste soviel höher eingeschätzt werden als die meinen, die, das gebe ich zu, sehr unbeträchtlich sind. Wenn er aber nur als Privatdozent für Altspanisch hier neben mir existiert –und das ist ja wohl der Sinn Ihres Briefes –so stört mich das natürlich gar nicht. Vorausgesetzt, daß er sich an sein Spanisch hält und sich nicht in meine französischen Sachen hineinmischt. Denn das muß ich allerdings sagen: mein Streben geht dahin, den Bonner akademischen Betrieb der modernen Frankreichkunde in meine Hand zu bekommen.

Heute morgen war Dr. Froberger lange bei mir. Ich habe früher ganz falsch über ihn geurteilt. Im Laufe dieses Sommers habe ich ihn besser kennengelernt und kann nur sagen, daß ich ihn außerordentlich hochschätze. Nicht nur ist er ein puits de science, sondern er ist auch organisatorisch und technisch hervorragend, und endlich versteht er sich ausgezeichnet darauf, die Menschen (Menschen jeder Sorte) zu behandeln. Es ist mir klar geworden, daß unsere Auslandsstudien nur dann florieren können, wenn er dauernd und intensiv mitarbeitet, wozu er auch gern bereit ist. Er besitzt den Sinn für das praktische und für die politischen Erfordernisse des Augenblicks, der den übrigen Ausschußmitgliedern fast ganz abgeht. Wäre es nicht möglich, an dem zu schaffenden spanischen Institut für ihn in irgendeiner Form eine besondere Funktion zu schaffen? Bei den wertvollen Beziehungen, die er zu spanischen Politikern und Schriftstellern unterhält, würde seine regelmäßige, in der Konstitution des Instituts zum Ausdruck gebrachte Mitarbeit von allergrößter Bedeutung sein. Als wissen-schaftlichen Leiter müßte man natürlich einen Historiker nehmen, aber Fr(oberger) könnte ihm vielleicht als Adjunkt für die laufenden deutsch-spanischen Beziehungen und für die moderne Literatur beigegeben werden, und eine verwaltungstechnische Form ließe sich wohl dafür finden. Der große Erfolg unseres Kursus wäre ohne Fr(oberger) undenkbar.

Besonders schön war, daß er uns den spanischen Generalkonsul und die beiden Delegierten des spanischen Königs hierhergebracht hat. Sie sind drei Tage hier gewesen und sind nicht nur durch das sehr gut verlaufene Bankett im Royal, sondern auch durch Abendeinladungen bei Clemens, Meyer-Lübkes und Landsbergs gefeiert worden. Der eine Spanier ist ein junger Militärarzt, der hier gern auch etwas von den Universitätskliniken sehen wollte. Ich brachte ihn in die Hautklinik, wo uns Professor Hoffmann sehr liebenswürdig alles zeigte, fast zuviel, denn wenn es mir auch sehr interessant war, versilberte Hirnsubstanz eines Paralytikers mit den schraubenzieherförmigen Spirochäten drin durchs Mikroskop oder Blutproben von Wassermann’scher Reaktion zu sehen, so gingen doch die naturgetreuen Moulagen syphili-tischer Geschwüre und gar die Demonstrationen am lebenden Krankenmaterial etwas über meine Bedürfnisse hinaus. Aber es war überaus bildend und Smend, der mich immer noch für einen Ästheten hält, wird bestimmt begeistert sein, wenn er erfährt, daß ich mit seiner romantisch geliebten Physiologie und Pathologie in konkrete Berührung gekommen bin.

Wie ist es universitätstechnisch zu ermöglichen, daß Froberger im nächsten Winter eine einstündige Vorlesung über moderne spanische Literatur abhält?

Ende nächster Woche werde ich auf einem Landgut bei Düsseldorf zwei Tage mit Scheler zusammensein. Wenn man doch auch den für die preußischen Universitäten in irgend einer Form fruktifizieren könnte.

Mit nochmaligem von Herzen kommenden Dank bleibe ich, hochverehrter Herr Professor,

Ihr Ihnen aufrichtigst ergebener Curtius.

 

176. Ernst Robert Curtius an C.H.B. z.Z. Hinterzarten, 8.9.1918

Lieber Herr Becker,

Sie interessierten sich im Winter für meinen Schwager Werner Picht. Er fährt in dienstlicher Angelegenheit demnächst nach Berlin. Darf er Sie da mal besuchen? Er weiß natürlich nichts von der Angelegenheit Delbrück-Jena (die inzwischen wie ich vermute erledigt ist). Aber es würde mich sehr für ihn freuen, wenn er Sie kennen lernen dürfte. Er schwankt immer noch, ob er sich bei Gothein (resp. Alfred Weber) habilitieren oder ob er sich irgend eine politische Tätigkeit suchen soll, bei der er seine eingehende Kenntnis Englands verwenden könnte. Seit dem 1. August (19)14 im Felde, fühlt er sich außer Connex mit dem innerdeutschen geistigen und politischen Zuständen und brennt darauf, in den Berliner Urlaubstagen einige Anregungen u(nd) Eindrücke zu gewinnen. Ich glaube, daß er Ihnen als Mensch gut gefallen würde.

Das Datum seiner Reise steht noch nicht fest, es kann aber jeden Tag sein.

Ich habe hier oben 4 friedliche Wochen verlebt, mich aber nicht sonderlich erholt; man lebt eben nicht umsonst im 5. Kriegsjahr. Aber etwas freue ich mich, Ihnen berichten zu können: Mein Buch ist im Druck, und ich lese eifrig Korrekturen. Ich komme mir vor wie ein Schulbub, der seine Aufgaben gemacht hat. Freilich frage ich mich: ist zwischen einer solchen Arbeit und, sagen wir portugiesischer Ortnamenforschung noch etwas gemeinsames, das die Etikette „romanische Philologie“ für beide Dinge berechtigt machte?

Morgen fahre ich zu Clemens. Sie haben mich eingeladen auf ihr Landgut (Altenrode, Station Gielde, bei Bössum, Kreis Goslar). Ich hoffe auf ein paar stille Herbsttage dort.

Und wie mag es Ihnen gehen? Ob Sie wohl Whitman gelesen haben in Gelnhausen?

Ich denke oft an unser schönes Zusammensein in Bonn und hoffe auf Wiederholung irgendwann irgendwo.

Mit vielen guten Wünschen ganz Ihr Ernst Robert Curtius.

 

177. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 13.10.1918

(Maschinenmanuskript, Kopie?)

Lieber Herr Becker,

in diesen schweren Tagen sind meine Gedanken oft bei Ihnen gewesen, und ich hätte viel darum gegeben, mit Ihnen reden zu können. Man hat das Bedürfnis sich zusammen zu schließen und sich des Gemeinsamen bewußt zu werden. Stefan George schrieb 1917 in seinem „Krieg“: „Kein Triumph wird sein, nur viele Untergänge ohne Würde.“ Man sieht jetzt leider viele solche Untergänge oder doch Zusammenbrüche. Und gerade die früher hochgemuten und großsprecherischen Pächter des Patriotismus klappen einfach zusammen, anstatt sich auf die sittliche Welt in uns und über uns zu besinnen und daraus das Gesetz ihrer Haltung zu nehmen. Wir müssen die Tragik bis ins Mark empfinden, aber wir müssen daraus eine Katharsis gewinnen. Das ist mit der – nun, glücklich! – erledigten Weltanschauung des reinen Nationalismus (dieser Idolatrie) nicht möglich.7 Wundervoll ist Smend in seiner männlichen, klaren Haltung. Das Zusammensein mit ihm hat etwas wohltuendes für mich. Diese Zeit zeigt hüllenlos was an einem Menschen ist. Und wer noch nicht wußte, wie wenig an den Geheimräten des geistlosen Bismarckkultus ist, der weiß es jetzt. Nun, sie sind jetzt abgetan. George schließt sein Gedicht: „Sieger bleibt, wer das Schutzbild birgt in seinen Marken, und Herr der Zukunft, wer sich wandeln kann.“ Eine tiefe Wandlung geschieht nun mit uns allen; eine Wandlung, von der die innerpolitische Revolution nur ein Oberflächen-symptom ist. Aber schon diese Revolution ist eine Befreiung; der unreine und unehrliche Machtgedanke und der imperialistische Materialismus ist zusammengebrochen. Und in dem neuen Deutschland werden wir endlich einmal wieder einen Idealismus der Tat und des Glaubens erleben und gestalten können. Das ist eine große Aufgabe, die alle Energien anspannen muß, und die alle tiefsten und edelsten Kräfte des deutschen Volkes freimachen wird. Welche Aufgabe wächst hier den Universitäten zu! Sie werden wieder Pflanzstätten des ethischen Idealismus werden müssen, und sie werden wieder der Sache des Volkes dienen können. Bald wird sich das alles noch deutlicher abzeichnen.

Ich komme heute noch zu einer Sache, die sehr kleinlich und gleichgültig scheint. Kiepen-heuer hat ohne mich zu fragen die beiliegende Zeichnung8 von Pechstein für den Einband meines Buches bestimmt. Sie mag gute expressionistische Graphik sein, aber sie paßt zu Gegenstand und Geist meines Buches wie die Faust aufs Auge. Außerdem sagen Clemen und Smend, es würde mein wissenschaftliches Ansehen schädigen, wenn ich mich in diesem Gewande produzierte.. Mein Buch wird schon durch sein Thema das Mißtrauen der offiziellen Wissenschaftler erregen, und dies Mißtrauen würde durch diese Ausstattung eine Verstärkung erfahren, die mich – meinen meine Freunde – akademisch diskreditieren könnte. Das möchte ich um so mehr vermeiden, als ich mir bei den jetzigen Verhältnissen ohnehin Sorge um meine ganz in der Luft schwebende Zukunft machen muß. Kiepenheuer hat sich vertraglich die Ausstattung vorbehalten, und lehnt, wie Sie aus dem beiliegenden Brief sehen, ab, auf diese Zeichnung zu verzichten. Ich würde Sie nicht mit dieser Sache behelligen, aber Smend verlangt es von mir, er sagt, Sie hätten sich so für mein Buch interessiert, daß ich die Pflicht hätte, Ihre Meinung einzuholen. Was ich hiermit tue. Wenn Sie die Befürchtungen für grundlos halten – um so besser. – Die Zeichnung erbitte ich gelegentlich zurück, da Kiepenheuer sie wiederhaben will. Der Druck steht übrigens seit drei Wochen still, aus mir unbekannten Gründen.

Vorgestern war Fritz Sell auf der Durchreise hier, leider nur zwei Stunden.

Verzeihen Sie mein Anliegen und nehmen Sie herzliche Grüße von Ihrem Ihnen aufrichtig ergebenen E.R. Curtius.

 

178. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 25.11.1918

Lieber Herr Becker,

eben bekam ich die Neue Europäische Zeitung und las mit dem größten Interesse Ihren Aufsatz. Ich entnehme daraus, daß Sie auch unter den veränderten Umständen für Ihre großen culturpolitischen Ideen weiterarbeiten. Das zu wissen ist eine Genugtuung.- Gerne würde ich das neue Blatt abonnieren, aber ich muß jetzt jeden Pfennig sparen, da die einzigen Quellen meines Einkommens in Frage gestellt sind: meine Militärpension (man wird wohl die der Offiziere herabsetzen und die der Mannschaften erhöhen) und meine Collegeinnahmen (denn wie Smend sagt, sollen die Colleggelder abgeschafft werden). Und mein Stipendium ist mir unter Adolf Hoffmann auch nicht mehr sicher. Jedenfalls muß ich auf die Notwendigkeit gefaßt sein, mir einen neuen Beruf zu suchen, was freilich nicht leicht sein wird. Aber dies nur beiläufig aus obigem Anlaß. Es wäre gütig von Ihnen wenn Sie mir, falls Sie wieder etwas in die neue Zeitung schreiben, mal einen Abzug schickten.

Man kann jetzt, wenn man nicht aktiv Politiker ist, nicht tun als warten, bis die Ordnung wieder da ist, was freilich 6-12 Monate dauern dürfte. Hoffentlich verhindert uns die Occupation9 nicht zu sehr am schriftlichen Verkehr.

Dibelius beginne ich mehr zu schätzen als es früher möglich war. Sie hatten recht! – Fritz Sell ist wieder hier, was sehr erfreulich ist.

Ich befürchte immer noch Kündigung des Waffenstillstands 6 Einmarsch der Entente. Die Problematik des deutschen Geschichtsverlaufs ist schwer zu begreifen.

Ganz der Ihrige E.R. Curtius.

 

179. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 1.12.1918

Lieber Herr Becker,

Daß Sie für einen so ausführlichen Brief Zeit fanden, stimmt mich sehr dankbar. Sehr beglückend zu wissen, daß Sie mit der neuen Regierung zusammenarbeiten, und daß Ihre unschätzbaren Kräfte und Ideen den großen reformatorischen Aufgaben der Gegenwart erhalten bleiben. Wer Sie kennt, weiß mit Bestimmtheit, daß die Männer, mit denen Sie zu arbeiten haben, sich dem starken Einfluß Ihrer Persönlichkeit nicht werden entziehen können. Aus den Richtlinien des Ministeriums, die die Frankfurter Zeitung heute veröffentlicht, höre ich mit voller Deutlichkeit Ihre Gedanken heraus.

Die Voraussetzung für alles weitere ist freilich: Wahrung der Reichseinheit. Wenn sich die rheinische Republik10 auftut, für die das Zentrum und unser Freund Froberger eifrig agitieren (bitte ihm gegenüber nicht zu erwähnen, daß ich seinen Namen nannte), wird das Berliner Ministerium, wie ich fürchte, hier nicht mehr anerkannt werden. Und wem werden dann die rheinisch-westfälischen Hochschulen ausgeliefert sein? Falls wir einen Bund deutscher Republiken bekommen, wäre ja immerhin ein Bundesminister für Volksbildung denkbar. Aber das alles hängt ja ganz von der zukünftigen staatlichen Gestaltung Deutschlands ab. Der „sacro egoismo der Rheinländer ist jedenfalls ein sehr zu beachtendes Motiv. Und wenn ihm die Entente entgegenkommt, kann es bald soweit sein, daß jeder, der hier für Preußen eintritt, als antipatriotisch verfemt wird. Die Entente sei fest entschlossen – so versichern die Zentrumsleute – Preußen zu zerschlagen; so müsse denn das Rheinland sich selbständig machen.

Ihren Aufsatz aus der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung las ich mit großem Interesse und freue mich auf die Fortsetzungen. Fritz Sell und ich werden uns zusammen auf die Wochenausgabe der Neuen Europäischen Zeitung abonnieren.

Meine Bonner Zukunft compliziert sich jetzt dadurch, daß Gaufinez(?) zurückerwartet wird. Immerhin hat Meyer-Lübke mir die Abhaltung des Osterferienkurses über französische Literatur angetragen, weil Gaufinez noch nicht da sei und sich somit nicht übergangen fühlen könne. Wenn wir rheinische Republik unter französischem „Protektorat“ werden, ist G(aufinez) natürlich der große Mann hier, ein Märtyrer des deutschen Militarismus.

Die Mahnungen an die Bevölkerung zur Würde halte ich für gänzlich aussichtslos. Wenn schon Mahnungen nötig sind! In Frankreich und England wären sie nicht nötig. Hier trifft eine gewisse westdeutsche Schlappheit mit rheinischer Carnevals-Weltanschauung zusammen, die alten Herren in der „Lese11 erwägen schon, ob man die Besetzungs-Offiziere nicht zum gemeinsamen Schoppen einladen soll … Kurzum, ich befürchte das schlimmste.

Smend steht auf einem sehr ehrenwerten aber unfruchtbaren Legitimitätsstandpunkt, der nur zu Protest mit Skepsis, nicht zu zielsetzendem und zukunftsgläubigem Aufbau die Möglichkeit gibt. Ich hoffe nur, er wird nicht dauern beiseite stehen.

In herzlicher Ergebenheit Ihr E.R. Curtius.

 

180. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 5.12.1918

Lieber Herr Becker,

Von morgen ab wird wahrscheinlich der Postverkehr gesperrt, und bis er wieder eröffnet ist, haben wir die rheinische Republik. Litzmann hat den Eindruck, daß sie auf keinen Fall mehr verhindert werden kann! –Es wird die Zentrumsrepublik sein. Schulte wird der große Mann sein und seine Freunde beim Katholischen Kultusministerium protegieren. Zu diesen Freun-den gehört Meyer-Lübke. Ich nicht. Meine Bonner Zukunft scheint dadurch äußerst fragwürdig zu werden. Die noch nicht konstituierte Böttinger-Bibliothek, was wird aus ihr? Wird Meyer-Lübke nicht alles daran setzen, unter den veränderten Verhältnissen die gesamten romanischen Angelegenheiten in seine Hand zu bekommen? Und mich unschädlich zu machen?

Das sind Erwägungen, die jetzt leider actuell sind, und die ich Ihnen nicht verschweigen wollte.

Die Universitätsreform bringt hoffentlich auch eine Änderung derart, daß über gemeinsame akademische Fragen der ganze12 Lehrkörper sich aussprechen kann. Die Geheimherrschaft des Senats ist doch ein unbefriedigender Zustand.

Seit gestern kein deutscher Soldat mehr! Verloren für immer, diese Armee, die unser Stolz war. Unsagbar wehmütig, die Klänge der letzten Regimentskapellen.

Hoffentlich kann ich Ihnen bald wieder schreiben.

Mit allen guten Wünschen Ihrer stets gedenkend E.R. Curtius.

 

181. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 20.1.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

da Clemen heute mit seinem Waffenstillstandpaß nach Düsseldorf fährt, kann ich ihm einen uncensierten Brief mitgeben, den ich nun in aller Eile schreiben muß. Ich komme eben von Meyer-Lübke und habe mit ihm über die Auslandsstudien gesprochen und ihn gebeten, er möge darüber an Sie schreiben, was er nun auch tun wird. Sie werden besser als ich wissen, daß Cöln diese Studien zu einem Hauptprogrammpunkt gemacht hat., was mir gestern durch Froberger bestätigt wurde. Unter diesen Umständen müssen wir Bonner uns die Frage vor-legen, ob wir weiter das rheinische Monopol für romanische Auslandsstudien behalten können und sollen, und diese Frage können wir natürlich nicht selbst beantworten, wir können sie nur an Sie richten und von Ihnen eine Anweisung erbitten. Fallen unsere Auslandsstudien fort, so erlahmt damit die einzige Offensive, die bisher gegen den einseitig philologisch-linguistischen Betrieb de modernen Sprach- und Literaturstudiums unternommen wurde. Allerdings muß man sich sagen, daß in Cöln mit seiner großen kaufmännischen etc. Bevölkerung der Boden für Auslandsstudien günstiger ist als hier. Cöln will ja übrigens nicht nur die Auslandstudien, sondern auch die neuere Philologie und zwar unter kulturwissenschaft-lichen13 Gesichtspunkten betreiben – also grade das, was ich immer als Desideratum emp-funden habe. Wir Bonner würden dadurch noch mehr in das rein philologisch-grammatische abgedrängt, was ich natürlich sehr beklagen würde.. Es wird sich ja zeigen, wie und mit welchem Erfolge die Cölner diese Pläne ausführen. Von Cöln profitiert alles was in Bonn steril und verkalkt ist, ich denke z.B. an die klassische Philologie. Aber was hier etwa an zukunftsfähigen Keimen lag, das wird natürlich durch die Cölner Gründung – die man natürlich falls sie wirklich neuartig wertvolles bietet, nur aufrichtig begrüßen kann – geschädigt.

Mein Buch ist immer noch nicht heraus, wenigstens habe ich seit vier Wochen keine Nach-richt vom Verleger. Ist das nicht eine Schande? Vor Weihnachten hat er die letzten Korrek-turen bekommen – und doch hüllt er sich in Schweigen und Untätigkeit.

Mir geht es recht gut, mit den nachher zu erwähnenden Einschränkungen. Ich habe in den letzten Monaten eine Reihe produktiver wissenschaftlicher Gedanken gehabt, die ich nun in meinem Colleg ausmünze und die sich, wie ich hoffe, zu einem Buch über die Psychologie oder die Seelengeschichte der französischen Romantik14 auswachsen werden, das etwas wirklich originelles und fruchtbares sein könnte und den steckengebliebenen Karren unserer romanistischen Literaturforschung ein Stück weiterschieben könnte.

Sehr schlecht geht es leider meinen geliebten Eltern, und diese Dinge drücken sehr auf mir. Mama ist psychisch zusammengebrochen und mußte in die Heidelberger Nervenklinik überführt werden. Die unmittelbar auslösende Ursache ihrer seelischen Erkrankung waren die schweren Sorgen um unsere wirtschaftliche Zukunft: man hat fast die Hälfte von Papas Pension gestrichen, und ein Weiterleben ist nur in der Form möglich, daß das geringe Kapital aufgebraucht wird. Ich selbst werde mich schon durch die Welt schlagen, aber die armen alten Eltern. Und meine beiden unverheirateten Geschwister, für die ich sorgen müßte und nicht kann. Fritz, der nach vier Kriegsjahren sein erstes medizinisches Semester begonnen und damit ein Studium ergriffen hat, das das teuerste und aussichtsloseste ist. Aber er hängt leidenschaftlich daran, seine ganze Begabung geht dahin, und es ist schwer ihm zu sagen: gib die Wissenschaft auf und nimm eine Stellung an, in der Du gleich etwas verdienen kannst.

Fritz Sell sehe ich öfters. Er ist immer nett und zutraulich, aber seine Dissertation schreitet nicht recht vorwärts und ich beginne zu glauben, daß seine Begabung für schöpferische wissensch(aftliche) Arbeit nicht ausreicht. Sein Denken ist nicht reich und bildsam genug.

In aufrichtiger Verehrung ganz der Ihre ERC

 

182. C.H.B. an Ernst Robert Curtius. Berlin, Wilhelmstraße 68, 11.2.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Curtius,

ich sende Ihnen anliegend einen Durchschlag meines Briefes an Meyer-Lübke zu Ihrer persönlichen Kenntnisnahme.

Daß ich hier wie ein Löwe gegen die Kölner Universitäts-Pläne gekämpft habe, wird Ihnen wohl inzwischen auch von anderer Seite bestätigt worden sein, aber gegenüber politischen Feuerwaffen unterliegt auch der Herr der Steppe. Ein Monopol für romanische Auslandsstudien werden Sie sicher nicht behalten. Ich fürchte namentlich für das Spanische, schon wegen des Süd-Amerika-Instituts. Pflegen Sie deshalb besonders das Französische und geben Sie ihm durch Ihre persönliche Arbeit einen eigenen Charakter. Daß Ihr Buch immer noch nicht herausgekommen ist, bedauere ich aufrichtig. Ich würde bei Kiepenheuer nach diesen Erfahrungen nie etwas verlegen lassen.

Mit wärmster Anteilnahme habe ich von den traurigen Verhältnissen in Ihrer Familie gelesen. Einen solchen psychologischen Zusammenbruch habe auch ich in meiner nächsten Familie bei einer meiner älteren Schwestern erlebt und kenne also das ganze Elend solcher Zustände. Daß gleichzeitig Ihr Vater auch materiell benachteiligt wird, ist geradezu unglaublich, da muß man doch unbedingt sehen, daß etwas dagegen geschieht. Vor allem sollte ihm von irgendeiner Seite die Fürsorge für Ihren jüngsten Bruder abgenommen werden. Ich überlege, ob sich da nicht irgendwie Mittel und Wege finden lassen. Bei all diesem Elend freut es mich, daß Sie selber wissenschaftlich vorankommen, es hilft einem doch über vieles hinweg. Daß Fritz Sell kein eigentlich wissenschaftlicher Kopf ist, war mir stets bekannt, aber eine anständige Dissertation wird er doch sicher zustande bringen. Von der Habilitation habe ich ihm immer abgeraten.

Von mir könnte ich Ihnen vieles berichten. Ich habe ziemlich stark über den engeren Rahmen meiner Stellung hinausgegriffen, doch soll Ihnen darüber Smend berichten, der überhaupt voll von Nachrichten zu Ihnen kommen wird. Ich wollte nur unabhängig davon Ihnen auch einmal ein persönliches Wort warmer Teilnahme und freundschaftlicher Gesinnung zukommen lassen. In bekannter Gesinnung Ihr Ihnen herzlich ergebener

gez. Becker, Geheimer Regierungsrat

 

183. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 1.3.1919 (?)

Hochverehrter Herr Professor,

Für die gütige Übersendung Ihrer Studie über das Ubi nos sage ich Ihnen herzlichen Dank. Ich habe die Arbeit mit großem Interesse und bewundere, wie es Ihnen gelungen ist, ein so unbedingt allgemein menschliches Motiv mit sicherer Hand in der vorliegenden spezialisierten Form doch auf eine eindeutig bestimmbare Wurzel, die Kynischen Statute (?unleserlich), zurückzuführen. Belege ließen sich wohl noch massenhaft finden.

Bei Horaz fällt mir ein: Vixere fortes ante Agamemnon und Abatulit clarum cita mors Achillen Longa Tithonum minuit Senectus. (II,16,29), wo allerdings nur das Vergehen der Heroen ausgesprochen, aber nicht die Frage Ubi sunt gestellt wird.

Mit nochmaligem aufrichtigem Dank Ihr ergebenster Curtius.

 

184. Karte von Ernst Robert Curtius an C.H.B. (Unterstaatssekretär) Bonn, 23.6.1919

Lieber Herr Becker,

Nehmen Sie herzlichen Dank für die Übersendung Ihres Buches, das ich soeben mit dem größten Interesse gelesen habe. Es ist herrlich, diesen frischen Geist zu spüren. Ich glaube, Sie haben den meisten von uns jungen aus dem Herzen gesprochen. Sie verstehen uns eben. Ihre Reformvorschläge scheinen mir durchaus überzeugend. Bei den Geronten werden Sie wohl mancherorts anstoßen. In Ermans giftiger Zeitungspolemik gegen die Studentenbücherei haben wir noch in den letzten Wochen ein flagrantes Beispiel für das geistige Trägheitsgesetz hier erlebt.

Es war mir sehr leid, Sie nicht zu sehen. Ich mußte aber zum bestimmten Termin fahren, wenn ich noch Anschluß an meine jugendliche Wandergenossenschaft erreichen wollte. Sonnenverbrannt und mit neugesammelter Kraft bin ich nun aus Eifel und Moseltal zurückgekehrt.

Werden Sie in den Ferien in Gelnhausen sein? Vielleicht könnten wir uns dann einmal irgendwo treffen. Ich hoffe, den August in Heidelberg zu verbringen. Vielleicht kommen Sie aber auch zum Univ(ersitäts-Jubiläum.

Mein Buch haben Sie inzwischen hoffentlich erhalten, wenn Kiepenheuer die Sache nicht wieder verbummelt hat. Ich hoffe damit in Ihrem Sinne ein wenig Synthese getrieben zu haben.

Aufrichtigst ganz der Ihre ERC

 

185. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 2.7.1919

Lieber Herr Becker,

Ihr schöner mich beglückender Brief war der erste Reflex meines Buches. Ich danke für soviel warmes und gütiges Verstehen. Was Sie schildern, erlebte auch ich, als ich mich mit diesen Dingen beschäftigte: die überraschende und beglückende Entdeckung einer Verwandtschaft der Besten in der neuen Jugend der beiden Völker. Ich glaube, daß unsere Katastrophen viele Hemmungen aus dem Wege geräumt haben, die sich dem Gemeinschaftsgefühl des heutigen Europa entgegenstellten. Noch sehen wir wenig von neuen positiven Gütern staatlicher socialer Art. Aber wieviel freier sind wir geistig geworden, und wie viel officielle Lügen haben wir abgestreift. Das reinigt wohltätig unsere moralische Atmosphäre.

Das Persönliche in meinem Buch können und sollen nur wenige herausfühlen. Es sollte nur als leiser Unterton die Objektivität der Darstellung begleiten.

Ich höre, daß Sie zum 3.8. herkommen. Hoffentlich darf ich Sie dann sehen. Nur noch vier Wochen. Ich freue mich darauf.

Ihr Ihnen von Herzen ergebener ERC

 

186. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Heidelberg, 8.9.1919 (?)

Sehr verehrter Herr Becker,

Eben bekomme ich einen Brief vom sächsischen Cultusministerium. Man bietet mir die durch die Berufung von Heiß nach Freiburg erledigte Professur an der Technischen Hochschule Dresden an. Ich soll mich zum Zweck mündlicher Verhandlungen in Dresden einfinden. Was sagen Sie zu dieser Sache? Ich erwarte täglich die Einreiseerlaubnis in die Schweiz, um die ich mich seit 4 Wochen bewerbe, um meinen Vater zu sehen. Ich werde also schreiben, daß ich Anfang Oktober nach Dr(esden) kommen würde.

Ich muß natürlich annehmen, das meinen Sie doch auch? Natürlich bliebe ich viel lieber im Rheinland. Eckert und Scheler beabsichtigen, wie ich weiß und Sie wohl auch wissen, mir eine Berufung nach Cöln als Extraordinarius zu verschaffen. Sei es in Cöln, sei es in Bonn – Westdeutschland würde ich aus persönlichen und aus sachlichen Gründen (näherer Contakt mit der westlichen Cultur) dem Osten unendlich vorziehen. Dazu kommt, daß ich natürlich lieber an einer Universität wäre als an einer Technischen Hochschule. Solange aber der Cölner Ruf nicht effektiv ergangen ist, kann ich zwischen Privatdocentur in Bonn und einer Professur in Dresden nicht schwanken.

Ich würde es als einen großen Freundschaftsbeweis empfinden, wenn Sie mich Ihre Meinung kurz wissen ließen.

Ich bin seit 4 Wochen hier, allein mit meiner lieben Schwester. Vater und Bruder sind schon seit 6 Wochen in der Schweiz. Das ging natürlich nur mit Hilfe eines Credits, den alte Freunde in der Schweiz durch Bürgschaft bei der Bank ermöglichten. Es bleibt ein schweres Opfer, aber es war unbedingt notwendig, denn beide waren durch die Hungersnot hier, die auf schwere seelische Erschütterungen traf, an den Rand völliger Prostration gekommen. Mein Vater soll womöglich noch über den Oktober in der Schweiz bleiben und hat das dringende Bedürfnis, mich zu sehen. Das ist der einzige Grund, weshalb ich beabsichtige, noch für 8 Tage in die Schweiz zu gehen.

Ich habe hier allerhand alte Freunde wiedergesehen: Gundolf, Max Weber (der so gerne in Bonn wäre!), auch George. Außerdem hat sich das Schwimmbad im Neckar zu einer Art platonischer Akademie entwickelt, wo sich strebsamer Nachwuchs um Troeltsch und Driesch schart. Troeltsch sprach mir freundlich von meinem Buch, was mir eine aufrichtige Freude war. Das Buch scheint übrigens seinen Weg zu machen. Trotzdem erst wenige Rezensionen erschienen sind (die Hauptmenge soll erfahrungsgemäß immer erst 3-4 Monate nach Erscheinen kommen), sind bereits 800 (von 2000) verkauft.

Heidelberg ist schön wie immer, aber für mich doch voll von sehr wehmütigen Erinnerungen. Augustin schreibt nach dem Tod seiner Mutter: Quoniam itaque deserebar tam magno eius solatio,sanciabatur vita, quae una facta erat ex mea et illius. – So ist es.

Die Dresdner Sache soll auf Wunsch des Ministeriums vertraulich behandelt werden. Durch mich wird jedenfalls nichts in die Zeitung kommen.

Wie mag es Ihnen gehen? Könnten wir doch einmal wieder ein paar gut ruhige Stunden zusammen haben.

In alter Anhänglichkeit und Herzlichkeit stets der Ihre Ernst Robert Curtius.

 

187. C.H.B. an Ernst Robert Curtius. Berlin W 8, 12.9.1919

(Maschinenkopie)

Mein lieber Curtius,

Ihr Fall beschäftigt mich schon seit mehreren Tagen, und ich habe Gelegenheit gehabt, mich auch mündlich mit dem sächsischen Referenten, Geheimrat Apelt, – übrigens ein sehr feiner und geistiger Mensch, selbst langjähriger Dozent – über Sie unterhalten. Ich habe das Gefühl, daß Sie einfach keine Wahl haben. Daß ich Sie nur schweren Herzens aus Preußen und ganz besonders aus Bonn scheiden lasse, brauche ich Ihnen nicht lange zu versichern. Sie werden natürlich bei erster Gelegenheit zurückgerufen, und nach Ihrem Buch und bei Ihrer ganzen Stellung brauchen Sie keine Angst zu haben, dauernd auf einer Technischen Hochschule sitzen zu bleiben. Aber ich sehe, abgesehen von der materiellen Sicherung, doch auch einige innerliche Gründe, die Sie zur Annahme dieses Rufes bestimmen müßten. Es kann Ihnen jetzt nur nützlich sein, für ein paar Jahre –wenn es so lange dauert – aus dem Rheinlande zu verschwinden, damit Sie Urteil an anderen Verhältnissen des deutschen Hinterlandes klären und dann mit um so tieferem Verständnis die Ihnen nun einmal vom Schicksal gewiesene Aufgabe der Verständigung zwischen deutschem und französischem Wesen irgendwo an unserer Westgrenze zu erfüllen. Ich würde die Stelle auch annehmen, wenn man Ihnen jetzt ein Extraordinariat in Köln böte; nur wenn Sie dort gleich Ordinarius werden könnten, geben Sie einem Kölner Ruf den Vorzug. In diesem Falle würde der Nutzen, den Sie stiften können, den Nachteil aufwiegen, den ich darin sähe, daß Ihnen ein tieferer Einblick in die mittel- und ostdeutschen Verhältnisse bisher nicht vergönnt war. Übrigens scheint mir gerade Dresden ein sehr geeigneter Boden für Sie. Schon die Baukunst Dresdens entspricht Ihrer seelischen Stimmung, die Sie brauchen, und ich glaube, daß sich dort auch mancherlei feinsinnige Leute zusammenfinden. Dresden ist für Sie mehr, als es Leipzig sein könnte. Ich glaube, es würde wie eine seelische Kur auf Sie wirken und Ihrer geistigen Selbständigkeit nur förderlich sein.

Zu dem schönen Erfolge Ihres Buches gratuliere ich Ihnen herzlich. Es hat diesen Erfolg verdient. Von mir bekommen Sie in diesen Tagen auch wieder eine kleine Schrift direkt vom Verleger, die Sie wohl in Bonn bei Ihrer Rückkehr erwarten wird.

Mit den besten Wünschen für Ihre Erholung bin ich in freundschaftlicher Gesinnung

Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

188. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 23.11.(o.J., wohl 1919)

Lieber Herr Becker,

Nehmen Sie den beiliegenden Aufsatz als kleines Zeichen dankbaren Gedenkens. Ich bin so froh, daß ich Sie neulich sehen durfte und daß Sie so gut und verständnisvoll zu mir waren. Sehr dankbar bin ich Ihnen dafür, Hoffentlich wird es mir gelingen, das Vertrauen zu rechtfertigen, daß Sie in mich setzen. Ich fühle eine Periode neuer Schaffenskraft in mir anbrechen und arbeite an einem Balzac-Buch und an einer historischen Studie über die französischen Decadenz-Theorien (philosophisch, soziologisch, politisch, künstlerisch) im 19. J(ahrhundert). Die Anregung zu diesem Thema gab mir ein Vortrag, den ich auf Veranlassung von Dibelius hielt.

Unser (Ihr!) Kränzchen schickt sich an, neu aufzublühen. Wir haben Behn, Litt, Spiethoff cooptiert und hoffen auch noch Bertram (der erst nach Weihnachten hier einziehen und seine Lehrtätigkeit beginnen wird) zu gewinnen.

Ich bekomme jetzt wieder einige französische Neuerscheinungen und habe vor, mich, soweit Zeit und Mittel es gestatten, auf dem laufenden zu halten über die geistige Bewegung in Frankreich. Es muß einige Leute in Deutschland geben, die darüber informiert sind. Über manches werde ich in der Westdeutschen Wochenschrift berichten. Ich glaube zwar nicht, daß die Leser hat und daß ihr ein langes Leben beschieden ist, aber sie nimmt alles, was ich ihr gebe, und von dem Honorar kann ich mir Cigaretten kaufen. Ansonsten ist es schwer, bei den großen Zeitungen Einlaß zu finden.

Nun habe ich aber genug von mir erzählt.- Die verfrühte Nachricht von meiner Ernennung zum a.o. Prof(essor) ist hier – offenbar durch Indiskretion des Univ(ersitäts)-Sekretariats – in die Zeitungen gekommen.

In aufrichtiger Ergebenheit grüßt Sie herzlich Ihr ER Curtius.

 

189. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Marburg, 11.6.1920

Sehr verehrter lieber Herr Becker,

schon lange hätte ich Ihnen geschrieben, hemmten mich nicht zwei Dinge.

  • Die Scheu, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen;
  • Die Scheu, in den Ruf eines correspondierenden Mitglieds des Ministeriums zu kommen.

Ich habe in Bonn an Smend und hier an Herrn von den Steinen (mit dem ich übrigens bisher nicht zusammentraf) gesehen, dass eine solche Sonderstellung vielfach die Kritik herausfordert. Immerhin, hier kann ich meine Anliegen nicht mehr durch Smend vertreten lassen, und außerdem haben Sie mir doch soviel Freundschaft bewiesen, daß ich vielleicht das Menschenrecht habe, jene Hemmungen zu überwinden – auch in einem Moment, wo die Erschütterungen der großen Politik wohl auch Ihren Wirkungskreis besonders stark in Mitleidenschaft ziehen.

Falls Sie trotz dieser Zeitlage imstande sind, sich für Marburg zu interessieren, so möchte ich mir erlauben, etwas für Marburg zu erbitten: nämlich ein außerplanmäßiges Extraordinariat für Ernst Bertram. Wir bedürfen hier dringend eines jungen Germanisten, der die alten und die heutigen Kräfte des deutschen Geistes lebendig macht. So sehr ich Elster schätze und verehre (seine Persönlichkeit hat etwas ungemein sympathisches und innerlich Vornehmes), so bezweifle ich doch, ob er grade diese Funktion ausfüllen kann. Es ist eine vornehme Gelehrtennatur (mit starker administrativer und geschäftstechnischer Begabung) des älteren Typus und ich glaube, daß seine Hörer eine sehr gediegene wissenschaftliche Schulung erhalten. Aber er ist doch der einzige Vertreter der neueren deutschen Literatur in Marburg, und wird kaum imstande sein, das große Gebiet allein mit der wünschenswerten Vielseitigkeit zu pflegen. Als Ergänzung würde ein philosophisch und künstlerisch interessierter jüngerer Germanist die dankbarste Aufgabe haben: die eines lebendigen Vermittlers zwischen den neuen Kräften des deutschen Geistes und der Marburger Studentenschaft. Viele unter ihr darben in dieser Beziehung.

Als geeignete Persönlichkeit wüßte ich, wie gesagt, nur Bertram (mit dem ich natürlich über diese Sache nie gesprochen oder correspondiert habe). So gut man Wolters der hiesigen Fakultät präsentieren konnte, so gut, scheint es mir, würde es mit Bertram gehen. Es bleibt zu beachten, daß wir hier zwar ein Institut für die Wissenschaft vom Deutschtum im Auslande haben, daß aber der inländische deutsche Geist vielleicht fachmäßig noch nicht genügend repräsentiert ist.

Leichter als ich dachte habe ich mich in die neuen Verhältnisse eingewöhnt. Ich habe große Freude am Verkehr mit Jakobsthal (dem sehr feincultivierten Archäologen), Friedländer, Wolters (obwohl ich seine ausschließliche George’sche Geschichtsperspektive nicht teile), Hartmann und Heiler. Mit letzterem bin ich öfters zusammen. Die tiefreligiöse Prägung seiner Persönlichkeit, die sich mir erst allmählich erschlossen hat, zieht mich sehr an. Ob allerdings unsere Theologen dafür Verständnis haben – darüber sind Zweifel erlaubt. Es ist ein paradoxer und betrübender Tatbestande, daß die protestantische Theologie gar keinen Connex mit der immer mächtiger erstarkenden religiösen Bewegung unserer Tage zu gewinnen weiß. Wie sehr könnte sie sich bereichern und vertiefen, wenn sie etwas von dieser lebendigen Kraft in sich aufnähme. Aber sie verharrt seltsamerweise in intellektualistischem Historismus und Kritizismus in demselben Zeitpunkt, wo alle lebendigen Geister nach metaphysica fundierte und mystisch geprägter Religiosität verlangen. Sie nähert sich einer Existenzkrise, ohne es zu ahnen.

Entschuldigen Sie den ungebührlich langen Brief und gedenken Sie bisweilen freundlich

Ihres Ihnen in aufrichtiger Verehrung stets dankbar ergebenen E.R. Curtius.

 

190. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 2.7.1920 (?)

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

Ihr ausführlicher Brief hat mir solche Freude gemacht, daß ich Ihnen gleich danken möchte. Auch wegen Bertram und Heiler möchte ich gleich etwas erwidern.

Ich verstehe, daß Sie Bonn nicht entblößen möchten. Aber es muß für Marburg in germani-stischer Beziehung etwas geschehen. Es handelt sich um einen dringenden Notstand. Immer wieder klagen die besten Studenten über die Öde, zu der sie hier auf diesem Gebiet verurteilt sind. Es darf nicht sein, daß Philipp von Zesen einer ausführlichen Betrachtung gewürdigt wird, während über das moderne geistige Deutschland geschwiegen wird. Sie wissen, wie die einzelnen Fächer aufeinander Rückwirkung haben. Wenn für eine so centrale Sache wie es die deutsche Literatur seit 1850 ist, hier nicht gesorgt wird, werden die Studenten, auf die es ankommt, Marburg meiden, und damit werden auch die Bemühungen von Wolters, Hartmann, Friedländer und mir (um nur diese Namen zu nennen) illusorisch. Es werden jetzt zwei neue germanistische Lehrstellen beantragt: eine für Dialektgeographie und eine für Sprechtechnik!! Sollte es wirklich so stehen, daß für peripherische Spezialitäten und Techniken etwas getan wird, während centrale Notwendigkeiten unerfüllt bleiben? Das können Sie nicht wollen. Wenn Sie uns nicht Bertram geben wollen, dann octroyieren Sie irgend einen andern jungen Germanisten, evtl. einen Habilitanden. Irgendwo wird jemand zu finden sein – Sie haben ja so reiche Informationsmöglichkeiten.

Ich ereifre mich aktivistisch mehr als meiner Art entspricht. Denn mein Urteil über Verjüngungs- und Erneuerungsmöglichkeit der Universitäten wird zusehends skeptischer. Früher war ich Optimist. Jetzt neige ich zum Fatalismus. Was fallreif ist, möge ganz und schnell zugrunde gehen. Von diesem Standpunkt aus müßte ich logischerweise davon abstehen, eine Verbesserung der Dinge erreichen zu wollen.

Ich habe aber grade in den letzten Tagen wieder etwas lebendige Hoffnung geschöpft im Contact mit Dr. Albert Dietrich, der hier über den politischen Menschen sprach und mich mit Dr. Roeseler besuchte. Dietrich ist ein Erdmann-Schüler, war der nächste Freund von Otto Braun, arbeitet mit Werner Picht für die Volkshochschule und steht auch, soviel ich verstand, in Arbeitsgemeinschaft mit Troeltsch, der Ihnen von ihm erzählen muß (Er wohnt in Wilmersdorf, Brügerstraße 82). Sie müssen ihn kennen lernen und er muß sich in Berlin oder Göttingen oder hier habilitieren, für Philosophie. Er ist ein feiner Typus, männlich, tatenhaft(?), Geist und Politik in platonischer Weise als Einheit sehend; Kant und Katholizität (sein Ausdruck), Herrenmenschentum und Proletarierwirklichkeit als Pole umgreifend. Muß, um leben zu können, in sächsischen Industriestädten vor Arbeitern reden; hat den gestaltenden Eros zur neuen Hochschule; sollte in ihr einen Platz finden.

Die Babinger-Affäre paßt zu allem übrigen. Ich war leider nicht in der betr(effenden) Facultätssitzung. Bei unserm Dekan ist aber alles hoffnungslos.

Heiler hatte starkes Heimweh nach dem Katholicismus und hat sich wohl mit dem Gedanken einer Rückkehr getragen. Er ist anlehnungsbedürftig und sehr impulsiv. Die Impulsivität läßt ihn stark oscillieren. Jetzt entfernt er sich wieder stark von Rom und construiert sich eine eklektische subjective Frömmigkeit unter schwedischen Einflüssen. Er muß unbedingt in der hiesigen Facultät bleiben und wird es hoffentlich auch, wenn ihn die Schweden nicht definitiv an sich ziehen.

Eh ich katholisch werde – im äußerlich-rechtlichen Sinne – müßte sich manches ändern. Der Seele und dem Geiste nach bin ich es längst, wie alle Menschen meiner Generation, die nach metaphysischer Religion, nach Gemeinschaft, nach Überwindung der flachen bourgeoisen Denkweisen des 19. J(ahrhunderts) streben. Aber zwischen dieser Katholicität der geistigen Structur und dem Eintritt in das heutige durch Thomismus und Regimentalismus verbaute System der Curie liegen die gewichtigsten Hindernisse. Für eine solche geistige Situation haben die Marburger Theologen natürlich kein Verständnis, sondern sie wittern in Heiler und mir (die so grundverschieden sind) die römische Gefahr, stecken die Köpfe zusammen und schreiben sorgenvoll nach Berlin. O diese alten Weiber! Sie haben mir Rade – ausgerechnet Rade! – auf die Bude geschickt. Er legte mir ein Mustersortiment protestantischer Novitäten vor, aus den ich meinen Bedarf decken könnte. Ich fand es lieb und komisch.

Heiler ist im Grunde ein verspäteter Modernist vom Typus Schnitzer, denkt noch historis-tisch, weshalb er nie zu principieller Klarheit kommen wird.

Nun genug. Ich verstehe zu gut, daß Sie Marburg nicht berühren werden. Mir freilich ist es schmerzlich. Es wäre so schön, wenn ich Sie einmal wieder sprechen dürfte.

In herzlicher Dankbarkeit und aufrichtiger Verehrung Ihr E.R. Curtius.

 

191. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 6.9.1920

Sehr verehrter lieber Herr Becker,

Nach einigen durch Familienrücksichten gebotenen Ortsveränderungen habe ich mich für einige Wochen in Bonn festgesetzt, um in einem angenehmen und nicht aufregenden Milieu ruhig arbeiten zu können. Bonn ist sehr still und meine Freunde sind fast alle abwesend. Ich wünsche es mir nicht anders und bin auch mit dem Regen zufrieden, denn ich bin ganz absorbiert von der Arbeit an einem neuen Buch, von dem ich hoffe, daß es interessant werden wird: über Maurice Barrès. Das Thema hat mich seit vielen Jahren gefesselt, und ich muß endlich einmal meine Studien darüber verwerten und meine Gedanken darüber zu Papier bringen. Maurice Barrès ist eine so einflußreiche und wichtige Figur im gegenwärtigen Frankreich und resümiert in sich so viele typische Momente der zeitgenössischen Ideengeschichte, daß er eine eingehende Darstellung wohl verdient. Er ist einer der interessantesten Vertreter jener großen Wendung zum Irrationalismus, die sich schon um 1890 ankündigte und die jetzt in voller Blüte steht. Bei Barrès gipfelt diese Wendung in der Ideologie des französischen Nationalismus. Die Entstehung dieser Ideologie zu untersuchen und damit einen Beitrag zur Wesenserkenntnis des Nationalismus zu geben wird eine der Aufgaben meines Buches sein. Leider werde ich trotz intensiver Arbeit vor Semesterbeginn nicht damit fertig werden. Das ist mir sehr schmerzlich. Denn im Semester kann ich mir den Grad der Concentration nicht abgewinnen, der zu fruchtbarer Arbeit nötig ist. Darum kam mir heute der Gedanke, inofficiell bei Ihnen anzufragen, ob es möglich wäre, daß ich bis zum 1. December beurlaubt würde. Ich bin ganz ungewiß darüber, ob so etwas tunlich ist. Eine bejahende Antwort würde mich sehr glücklich machen. Ich bin sicher, daß Sie das verstehen werden.

Ist es wahr, was man hier munkelt, daß einige Cölner Professoren ein Sondervotum für Worringer abgegeben hätten? Ich hoffe es. Denn ich bin überzeugt, daß Sie daraufhin Worringer ernennen werden. Ich kenne die Einwände gegen ihn, aber Sie werden sicher der Meinung sein, daß seiner reichen und lebendigen Persönlichkeit endlich volle Geltungs-möglichkeit gebührt. Ich würde es sehr bedauerlich finden, wenn er sich verbittert von der Universität löste.

In stets dankbarer Ergebenheit Ihr E.R. Curtius

 

192. C.H.B. (Staatssekretär) an Prof. Dr. Ernst Robert Curtius. Berlin, 10.9.1920

(Maschinenkopie)

Mein lieber Herr Curtius,

Ihre Pläne über Maurice Barrès haben mich sehr interessiert. Ich wünsche ihnen den besten Erfolg für Ihre Arbeit und freue mich sehr, bald wieder ein neues Buch von ihnen zu lesen. Ich habe allerdings Bedenken, Ihnen zu raten, schon jetzt um Urlaub einzukommen. Wir könnten das nicht ohne die Fakultät tun, und ich habe die Befürchtung, daß ein solcher Antrag Ihrer Stellung im Kollegenkreise nicht gerade förderlich sein würde. Es ist nämlich mit Sicherheit zu erwarten, daß Sie kurz vor dem 1. Dezember merken werden, daß Sie doch nicht fertig werden können und dann werden Sie entweder eine Verlängerung beantragen und erhalten oder aber das Odium des Urlaubs umsonst auf sich genommen haben. Es wird sich in einigen Semestern sehr viel leichter machen lassen, wenn die erste Hochflut der Kriegsteil-nehmer abgelaufen ist. Wir würden uns, wie gesagt, einem Antrag Ihrerseits nicht versagen, aber als Freund warne ich Sie eigentlich davor. Nehmen Sie lieber die Unbequemlichkeit in Kauf, daß Sie die schöne Arbeitsruhe unterbrechen müssen und Ihr Buch erst etwas später fertigstellen können.

In großer Eile mit freundschaftlichen Grüßen Ihr Ihnen herzlich ergebener (C.H.B.)

 

193. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 24.9.1920

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

Für Ihren freundlichen Brief und das ausführliche Eingehen auf mein Anliegen sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank. Die von Ihnen geltend gemachten Bedenken gegen eine Beurlau-bung auch nur bis zum 1. December abzuschwächen, kann ich mir natürlich nicht anmaßen. Ich glaube nur, daß Sie meine Situation nicht ganz richtig sehen. Die Arbeit a meinem neuen Buch „Maurice Barrès und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalismus“ ist soweit vorgeschritten, daß ich nur noch weniger Wochen zum Abschluß bedarf. Hätte ich den November noch frei, so würde ich bis dahin ohne jeden Zweifel imstande sein, das M(anuskript) völlig abzuschließen. Ich bin fest entschlossen die Arbeit in den nächsten Wochen zu vollenden. Eine Verschleppung etwa bis in die Osterferien oder gar ins Sommersemester ist für mich ganz ausgeschlossen.. Ich muß dieses Buch bald fertig machen, um die Arme frei zu haben für andere Pläne. Da Sie eine Beurlaubung für unrätlich halten, werde ich sehen müssen, daß ich im W(inter)S(emester) die Arbeit abschließe. Das wird mich nötigen, meine übrige akademische Tätigkeit für die nächste Zeit etwas zurücktreten zu lassen, obwohl mir das unsympathisch ist. Aber ich will die Aufgabe zwingen und will nur hoffen, daß ich dem verdoppelten Energieaufwand, der dadurch bedingt ist, gewachsen bin.

Ein Aachener Kirchenblättchen hat, wie ich erst jetzt erfahre, die Nachricht von meinem Übertritt zum Katholicismus gebracht. Für den Fall, daß das Gerücht auch bis zu Ihnen gedrungen sein sollte, teile ich Ihnen mit, daß kein wahres Wort daran ist. Ich habe eine Berichtigung veranlaßt.

In stets dankbarer Verehrung Ihr ganz ergebener Ernst Robert Curtius.

 

194. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Marburg, 7.11.1920

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

ich benutze einen geschäftlichen Anlaß, um Ihnen zu schreiben. Die Facultät hat auf meine Anregung im vergangenen Semester eine Honorarprofessur für den sehr verdienten hiesigen romanistischen Privatdocenten Professor Glaser beim Ministerium beantragt und zugleich Beschränkung seiner Lehrverpflichtung beim hiesigen Gymnasium. Vor der Genehmigung dieses Antrags und insbesondere auch des letzteren Punktes hängt der Lehrplan für das kommende Semester ab, den ich mit Glaser zusammen jetzt festsetzen muß. Es wäre mir daher von großem Interesse, wenn ich wüßte, ob wir eine Bewilligung des Antrags erwarten dürfen. Ist es unbescheiden, wenn ich Sie bitte, mir darüber etwas zu sagen?15

Ich habe mich in den Ferien an meinem Barrès ziemlich überarbeitet und mußte während der letzten Zeit ganz aussetzen. Um mich zu entspannen und mir einige anregende Eindrücke zu verschaffen, habe ich einige tage in München zugebracht. Es war eine sehr schöne Zeit, um so mehr, als Bertram und Worringer auch da waren. Ein alter Wunsch von mir wurde erfüllt, ich lernte Thomas Mann kennen. Die Rückkehr nach Marburg bedeutete in jedem Betracht den Winter. Ich komme indessen wenig zur Besinnung über Marburg, weil ich alle freie Zeit für die Fertigstellung meines neuen Buches verwende. Ich will es auf jeden Fall im Januar spätestens in Druck geben, um es los zu sein. Eigentlich ist es ja das unvernünftigste was man tun kann, sich mit einer solchen Aufgabe zu belasten, man zerstört sich damit schöne Lebenszeiten. Ich hatte ja auch eigentlich geschworen, nach den Wegbereitern sobald nichts wieder zu schreiben. Sie hatten mich Mühe genug gekostet, und ich hätte nach dem Motto handeln können: Halt, die Carriere ist geschlossen! Aber man ist inconsequent. Die Wegbereiter haben übrigens auf dem Hallenser Neuphilologentag im October, wie mir Dibelius erzählte, als Beweis für den Verfall der Wissenschaft dienen müssen. Daß ich den Herren Collegen ein Dorn im Auge bin, wußte ich freilich schon vorher.

Gestern besuchte mich Herr von den Steinen. Ich habe mich mit großem Gewinn von ihm über die homerische Frage belehren lassen und erhoffe mir noch weitere Bereicherung von ihm. Daß ich hier dank Friedländer und Jacobsthal fruchtbare Berührung mit Kennern der Antike habe, rechne ich zu den nicht zahlreichen unverkennbaren Vorzügen von Marburg.

Ich entbehre es, daß ich Sie solange nicht gesehen habe, man wird sich fremder, ohne es zu wollen. Vielleicht bringt das neue Jahr eine Wandlung Inzwischen gedenken Sie freundlich Ihres Ihnen von Herzen ergebenen E.R. Curtius.

 

195. Ernst Robert Curtius an C.H.B. z.Z. Heidelberg, (o. D., Dezember 1920

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

Es war sehr gütig von Ihnen, mir telegraphischen Rat zu erteilen, und ich danke Ihnen aufs herzlichste. Ich habe Ihre Anweisung befolgt und ein Zusammentreffen in F(rankfurt am Main) angeboten, worauf ab(er) Wecksch (?) aus Zeitmangel nicht einging. Doch schrieb er außerordentlich freundlich, mit Anspielungen auf eine Zukunft, an die ich erst glauben werde, wenn ich untrügliche Zeichen in Händen halte.

Inzwischen kam die Ernennung zum Extraordinarius. Das war eine große Freude, und kam so schön zu Weihnachten. Es war nicht ganz leicht, dieses Weihnachten, zum ersten Mal ohne die Mutter, und wir mußten uns alle zusammennehmen. Mein Avancement war nun doch auch ein Weihnachtsgeschenk für meinen Vater. Er sieht, daß aus seinem Sohn etwas zu werden anfängt. Mit dieser Beförderung ist denn auch die Möglichkeit näher gerückt, daß ich einmal in der Lage sein werde, meinem Vater etwas von seinen materiellen Sorgen abzunehmen und etwas für meine Geschwister zu tun. Darüber bin ich so froh. Einzig und allein Ihrem Wohl-wollen habe ich diese Ernennung zu danken. Ermessen Sie meine große Dankbarkeit.

Hier lernte ich einen jungen Gelehrten kennen, der mal von sich reden machen wird; Dr.von Weizsäcker, Sohn des württembergischen Ministers, Assistent von Krehl. Ein Mediziner, der eine theistisch-speculative Vorlesung über Naturphilosophie hält, als geistige Persönlichkeit original, auch als Mensch sehr sympathisch, und – was in Heidelberg bemerkenswert – endlich einmal kein Jude.Heute kam Friedrich, (Fritz) Sells Dissertation. Hübsch geschrieben, viele hübsche Ansätze, aber im ganzen so jeder tieferen Fassung der Probleme ausweichend. Jedenfalls ein Beweis, daß Fritz sich zur wissenschaftlichen Laufbahn nicht eignet. Nein, es ist schon gut, daß er sich nicht habilitiert. Es wäre schade, wenn er zu früh in geistige Geruhsamkeit verfiele. Aber seine Schüler werden ihm wohl Probleme stellen.

Mit den besten Wünschen für das neue Jahr und wiederholtem Ausdruck meiner Dankbarkeit; bleibe ich, lieber Herr Becker Ihr aufrichtigst ergebener Ernst Robert Curtius.

P.S. Bitte mich Herrn Geheimrat Wende bestens zu empfehlen.

 

196. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Marburg, 15.6.1921

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

am 29.d.M. soll ich in Berlin einen Vortrag halten. Ich werde dann jedenfalls noch am 30.6. und 1. Juli in Berlin sein. Es würde mir eine große Freude sein, wenn ich Sie sehen dürfte. Um Sie nicht zu ungelegener Zeit zu stören, teile ich Ihnen deshalb meine Pläne mit und erwarte von Ihnen einen Wink, ob und wann Sie mich zu sehen wünschen.

Darf ich die Gelegenheit benutzen, um Ihnen zu sagen, wie freudig auch ich aus der Ferne die Krönung Ihrer bisherigen Wirksamkeit teilgenommen habe.

In alter Verehrung ganz Ihr E.R. Curtius.

 

197. C.H.B. an Ernst Robert Curtius. Berlin, 20.6.1921

(Maschinenkopie) Privatsekretariat

Lieber Herr Curtius,

Freundlichen Dank für Ihre rechtzeitige Ansage. Ich habe mir den 29.Juni vorgemerkt, um, wenn irgend möglich, Ihrem Vortrag beizuwohnen. Vielleicht darf ich Sie dann bitten, mir den 30. abends zu schenken. Meine Frau ist zwar leider verreist, doch nehmen Sie vielleicht auch einmal für ein paar Stunden mit mir allein vorlieb.

In herzlicher Freude auf ein Wiedersehen Ihr Ihnen freundschaftlich ergebener (C.H.B)

 

198. C.H.B an Ernst Robert Curtius. Berlin, 24.6.1922

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Herr Curtius,

Freundlichen Dank, daß Sie sich meiner Kusine, Fräulein Roth, so freundlich angenommen haben. Wollen Sie ihr bitte sagen, daß ich ihr die gewünschten 6000 Mark zur Verfügung stelle. Ob sich ein Teil auf amtliche Fonds übernehmen läßt, vermag ich im Augenblick noch nicht zu übersehen. Jedenfalls werde ich das Geld beschaffen. Und habe Mannhardt zugesagt,

Mannhardt hat Ihnen richtig berichtet, ich bin zwischen dem 3. und 5. (Juli) in Marburg und habe Mannhardt zugesagt, einen Abend bei ihm auf der Burse zu verbringen. Ganz besonderen Wert lege ich darauf, auch Sie bei dieser Gelegenheit wiederzusehen.

Mit freundschaftlichen Grüßen Ihr getreuer (C.H.B.)

 

199. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Marburg, 22.11.1922

Lieber Herr Becker,

Vielleicht interessiert Sie Anlage16. Wenn es Ihnen keine Mühe macht, schicken Sie sie mir zurück. Ich sammle alles auf fr(anzösische) Universitäten bezüglich.

Ich schreibe Ihnen nicht länger, denn es geht mir nicht gut. Marburg deprimiert mich physisch und psychisch. Besonders nach den schönen Eindrücken, die ich in den Ferien empfangen konnte. Sie haben meinen kleinen Artikel ja wohl erhalten.

Seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem aufrichtig ergebenen E.R. Curtius.

 

200. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Marburg, 10.1.1923

Lieber Herr Becker,

Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren überaus freundschaftlichen Brief und bin sehr froh, Sie bald sprechen zu dürfen. Ein Zusammentreffen in Frankfurt (Main) wäre ja an sich praktisch gewesen, aber Sie haben ganz recht: es ist richtig, daß ich auch mit Richter spreche.

Auf gutes Wiedersehen also! Ihr Ihnen immer dankbar ergebener E.R. Curtius.

 

201. Professor Ernst Robert Curtius, Prof. in Heidelberg, an C.H.B.

Heidelberg, 11.1.1926

Lieber Herr Becker,

aus Paris zurückkehrend finde ich Ihre freundliche Zusendung, für die ich Ihnen herzlich danke. Ich kann das nicht tun, ohne zu erwähnen, was mich Ihnen in den letzten Jahren entfremdet hat. Ich schrieb ihnen Anfang 1924 einen Privatbrief17 über meine Marburger Nachfolge. Sie ließen mir amtlich durch Richter antworten. Das konnten Sie als Minister tun, als Freund durften Sie es nicht tun. Wenn mein Brief ein Fehlgriff war, mußten Sie ihn mir als Freund zurückschicken und mich auf den amtlichen Weg verweisen.

So aber zerstörten Sie das Vertrauensverhältnis, das zwischen uns bestand. Ich entwarf damals einen Brief an Sie, schickte ihn aber nicht ab, weil ich mich nicht affectfrei fühlte. Heute, nach zwei Jahren, ist das anders. Darum darf ich heute mit meinem Dank diese verspätete Erklärung verbinden.

Möge sie Klärung und Bereinigung bedeuten.

Ihr Ernst Robert Curtius.

 

202. C.H.B. (Minister) an Ernst Robert Curtius in Heidelberg. Berlin, 24.2.1926

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Herr Curtius!

Ihr Brief vom 11.Januar, den ich bei meiner Rückkehr aus der Schweiz vorfand und wegen großer Geschäftsüberlastung nicht sofort beantworten konnte, hat mich doch einigermaßen erschüttert. Ich danke Ihnen, daß Sie sich so offen aussprechen, muß aber zugleich gestehen, daß mir Ihre Empfindlichkeit einfach unfaßbar ist. Gewiß war ich damals über Ihren Brief etwas entsetzt, da Sie in der lokalen Spannungsatmosphäre Marburgs Harakiri an Ihrer eigenen großen Tradition zu begehen schienen. Tatsächlich hat sich nachher herausgestellt, daß das Aufrechterhalten der literaturgeschichtlichen Tradition personell nicht möglich war, und so habe ich dann natürlich auch keinen Moment gezögert, Ihrer Anregung folgend, über die lokalen Hemmungen hinwegzugehen. Das Endresultat entsprach also Ihren Wünschen. Da ich solche sachlichen Fragen nicht als persönliche Freundschaftsangelegenheit, sondern geschäftlich zu behandeln pflege, habe ich mit dem damaligen Referenten, dem jetzigen Ministerialdirektor Richter die Sache genau durchgesprochen und, da mir seine persönliche Beziehung zu Ihnen bekannt war, keine Bedenken getragen, wie in hundert ähnlichen Fällen, Ihnen eine sachliche Auskunft zukommen zu lassen. Da Sie wissen, daß Richter nicht nur einer meiner nächsten Mitarbeiter, sondern auch einer meiner nächsten Freunde ist, schien mir die Angelegenheit dadurch in vollkommen aktvoller Weise erledigt, da ich mir nicht denken konnte, daß der vielgewandte Richter sich Ihnen gegenüber in der Form würde vergreifen können. Wenn Sie einmal, lieber Herr Curtius, einen Tag lang oder eine Woche lang mein Leben führen müßten, dann würden Sie verstehen, warum es unmöglich ist, derartige Briefe meiner Freunde – und ich bekomme gottlob sehr viele derartige direkte Äußerungen – anders zu behandeln. Wie so etwas Ihr Vertrauen in mich erschüttern konnte, ist mir einfach unverständlich und ich glaubte wirklich unsere Beziehungen für ein derartiges Mißverständnis gefestigt. Natürlich muß ich mit der Großzügigkeit meiner Freunde rechnen, daß sie mir auch eine gewisse Ausnahmeposition zubilligen. Ich habe immer stillschweigend mit Ihnen gerechnet als mit einem geistigen Stützpunkt meiner kulturellen Politik, und mir wäre nie der Gedanke gekommen, daß Sie eine derartige Handlung meinerseits mißverstehen könnten. Ich glaube auch jetzt noch nicht, daß ich mich darin getäuscht habe. Sie haben ja auch aus der Übersendung meiner kleinen Schrift ersehen, daß ich Sie zu den ganz wenigen rechne, an deren Urteil mir wirklich etwas gelegen ist. Sie waren, glaube ich, der einzige Kollege in Heidelberg, dem ich sie sandte, gerade weil ich weiß, daß Ihr Blick über den Fachhorizont herausreicht. Und nun enttäuschen Sie mich so schwer. Das einzige, was mich an Ihrem Brief gefreut hat, war die Offenheit Ihrer Kritik, und ich bitte, mir diese Offenheit auch in Zukunft zu erhalten und zu versuchen, das Vertrauensverhältnis zu mir wider herzustellen, wenn Sie es noch können.

Meinerseits in unveränderter Gesinnung, grüße ich Sie von Herzen.

Ihr (C.H.B.)

 

203. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Heidelberg, 13.4.1926

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

Schon lange wollte ich Ihnen für Ihren Brief vom 24. Februar danken – Überlastung und Ermüdung haben mich bisher daran gehindert. Aber die Zeitungsmeldung von Ihrem fünfzigsten Geburtstag ist nun doch ein deutlicher Wink des Schicksals, daß ich ihn nicht überhören kann. Es ist mir nun doppelt erfreulich, das in unserem letzten Briefwechsel berührte Mißverständnis geklärt und behoben zu wissen: denn so kann ich von ganzem Herzen und in ganzer Freiheit Ihnen meine Glückwünsche und freundschaftlichen Grüße zur Vollendung des zehnten Lustrums aussprechen. In diesen Tagen, wo Sie fünfzig werden, trete ich in mein 40.Jahr ein –ein chronologischer Zufall, der mir aber jedenfalls die Besinnung über Dezimalwendepunkte des Lebens nahelegt und mich zugleich daran erinnert, daß nun auch gerade zehn Jahre vergangen sind seit der Zeit, da Sie mir Ihre Freundschaft schenkten. Wenn ich mir vergegenwärtige, was ich idealiter und realiter durch Sie empfangen habe, kann ich nur im Bewußtsein tiefer Verpflichtung auf dieses Jahrzehnt zurückblicken.

Nehmen Sie an Ihrem Festtage die Versicherung dieser Gesinnung freundlich auf

von Ihrem freundschaftlich ergebenen Ernst Robert Curtius.

 

204. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Heidelberg, 28.8.(?)1926

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

haben Sie herzlichen Dank für die Zusendung Ihrer Schrift über die Pädagogische Akademie. Ich habe sie mit lebhaftem Interesse gelesen mit ästhetischem Genuß an der klaren Gedankenführung. Dennoch kann ich nicht ganz mit Ihnen gehen. Ich halte es für soziologisch erwiesenes Factum, daß neue Bildungs- und menschliche Gestaltideale sich immer nur in der Weise durchsetzen, daß eine kleine Elite von Führern sie zuerst erfaßt und verwirklicht, und daß sie sich erst von da ausbreiten. Das ist der aristokratische Weg: der von oben nach unten. Einen umgekehrten Prozeß kann ich mir nicht vorstellen.

Ich zweifle auch, ob ein Humanismus ohne Kenntnis der alten Sprachen möglich ist. Gewiß brauchten die Griechen nicht persisch zu lernen. Aber sie waren eben Griechen und wir sind es nicht. Da alle modernen Nationalculturen der griechischen entstammen, sind sie in diesem Sinne notwendig sekundär. Man kann dieses Factum segnen oder verwünschen – auf jeden Fall muß man mit ihm rechnen. Es fordert ständige Neuberührung zwischen deutschem und antikem Geist, und die ist im fruchtbarsten Sinne nur möglich, wo Griechisch und Latein noch verstanden werden. Diese Vermittlung zu sichern, wird sicher mehr und mehr Sache der Universität werden, nachdem das humanistische Gymnasium abgebaut ist.

Ich glaube auch, daß wir aus Gründen unserer kosmopolitischen geistigen Geltung die antike Bildung wieder viel mehr pflegen müßten. Sie wissen ja so gut wie ich, daß in England, Frankreich, Italien die letzten Jahre eine machtvolle Bewegung Zurück zu den Klassischen Studien 18gebracht haben. Dieser Humanismus der studia humaniora ist das culturelle Einheitsband unseres Occidents. Sollen wir unsere Zugehörigkeit zu dieser übernationalen Geisteswelt lockern; oder es soweit kommen lassen, daß wir in dieser Gemeinschaft als Ignoranten am untersten Platz sitzen?

Das sind Bedenken, die ich nicht zu überwinden vermag. Sie werden mir sicherlich nicht verdenken, daß ich sie offen ausspreche.

Mit den besten Grüßen bleibe ich Ihr in alter Verehrung ergebener E.R. Curtius.

 

205. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Heidelberg, 30.1.1927

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

ich muß am 5.-8. Februar zur Tagung des Deutsch-Französischen Studiencomitees in Berlin sein. Sehr gerne würde ich Sie bei dieser Gelegenheit sehen dürfen, wenn Ihre Zeit es zuläßt.

Ich bin am Samstag, dem 5.2. vorläufig noch den ganzen Tag verfügbar, von da ab allerdings ganz besetzt. Ich werde nach meiner Ankunft am Samstag vormittag telefonisch im Ministerium anfragen, ob ich Sie sehen kann.

In aufrichtiger Verehrung Ihr stets ergebener Ernst Robert Curtius.

Anmerkung Becker: Bitte Samstag Abend kommen. Zum Frühstück sind wir beide bei Bruns erwartet. Freundl(icher) Gruß. B(ecker)

 

206. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Heidelberg, 1.2.1928

Lieber Herr Becker,

Für Ihren schönen, mich so erfreuenden Brief habe ich Ihnen noch nicht gedankt. Darf ich es mündlich tun? Ich muß am 8. und 9. d.M. in Berlin sein, um an einer Sitzung des Deutsch-Fr(anzösischen) Studiencomités teilzunehmen. Am 10. und 11. bin ich voraussichtlich auch noch in Berlin. Fall Sie an einem dieser vier Tage eine Viertelstunde frei hätten, wäre ich sehr froh, Sie sehen zu dürfen. Aber wenn Sie keine Zeit haben, versteht das niemand besser als ich.

In freundschaftlicher Ergebenheit Ihr Ernst Robert Curtius.

 

207. Telegramm von Ernst Robert Curtius an Minister Becker. Heidelberg, 2.2.1928

Stehe Samstag Abend zur Verfügung. Wohne Excelsiorhotel. Curtius

 

208. Staatstelegramm Minister Beckers an Ernst Robert Curtius. Berlin, 2.2.1928

Bitte mir Samstag abend zu reservieren. Zum Frühstück sind wir beide bei Bruns erwartet.

Freundlichen Gruß. Becker

 

209. Staatstelegramm Minister Beckers an Ernst Robert Curtius. Berlin, 6.2.1928

Hocherfreut erwarte Sie Freitag zwei Uhr im Ministerium zu Tisch. Becker.

 

210. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Heidelberg, 28.2.1928

Lieber Herr Becker,

in dankbarer Erinnerung an unser letztes Zusammensein sende ich Ihnen ein kleines Buch, das Ihnen dieser Tage zugehen wird.: eine von mir eingeleitete Auswahl aus den Schriften Ortegas (di Gasset), den zu meiner Freude jetzt auch Keyserling (im Spanien-Kapitel seines Spektrum Europas) als einen Führer europäischen Geistes bezeichnet. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich meine, daß grade Sie für diesen originellen fruchtbaren Denker Verständnis haben werden.

Ihr in herzlicher Verehrung stets ergebener E.R. Curtius.

 

211. C.H.B. an Ernst Robert Curtius. Berlin, 17.3.1928

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Curtius!

Im Drange der Geschäfte komme ich erst heute dazu, Ihnen für die freundlichen Zeilen vom 28.v.Mts. und das ihnen beigefügte mich lebhaft interessierende Buch zu denken. Hoffentlich finde ich recht bald eine ruhige Stunde, um mich mit ihm beschäftigen zu können.

Augenblicklich stecke ich in Etatberatungen, nach deren Beendigung ich zu kurzem Erholungsaufenthalt nach Meran zu fahren gedenke, wo meine Frau sich mit meinem Jüngsten bereits befindet.

In alter Gesinnung mit herzlichen Grüßen Ihr ergebenster (C.H.B.)

 

212. Ernst Robert Curtius an C.H.B. z.Z. Rome, 8.12.1928

Lieber sehr verehrter Herr Becker,

Haben Sie herzlichen Dank für Ihren gütigen Brief vom 4.d.M. und für die wirksame Unterstützung von Jourdan.

Von meinem römischen Aufenthalt (den ich bis März auszudehnen hoffe) wage ich Ihnen nicht zu erzählen. Zu viel wäre zu sagen, und ich respektiere Ihre Zeit. Ich schaue, genieße, lerne; freue mich an dem kleinen Welttheater kosmopolitischer Geselligkeit und versenke mich mit Eifer und Liebe in den großen Kosmos von Kunst und Geschichte.

In aufrichtiger Verehrung Ihr stets dankbarer ergebenst E.R. Curtius.

 

213. Ernst Robert Curtius, Prof. in Bonn, an C.H.B. Bonn, 31.1.1930

Lieber sehr verehrter Freund,

Mit großer Bestürzung, mit tiefer Betrübnis, mit bitterem Ärger über unsere kleinliche Parteipolitik lese ich die Nachricht von Ihrem „freiwilligen“ Rücktritt. Welche und wie viele Motive dabei zusammengewirkt haben, kann ich aus der Ferne nicht ermessen; auch keine Vermutung darüber wagen, ob das positive Gefühlsmoment der Entlastung und neuen Handlungs- und Schaffensfreiheit oder das Negative des unvollendet abgebrochenen Werkes bei Ihnen vorwaltet. So sehr ich das letztere verstehen würde, so sehr möchte ich Ihnen das erstere wünschen.

Ich lese, daß Sie in den Süden reisen und kann meiner Phantasie nicht verbieten, mit dem Gedanken einer Begegnung zu spielen. –da ich mit meiner Frau Mitte Februar nach Italien fahre.

In herzlicher Verehrung Ihr stets dankbarer Curtius.

 

214. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 10.3.1931

(Maschinenmanuskript)

Lieber, hochverehrter Herr Becker,

Als ich Samstag in dem Lehrgang der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung gesprochen habe, sagte mir Herr Ministerialdirektor Schneider, er habe Sie vor einigen Tagen gesehen und Sie hätten ihm gesagt, daß Sie über Samstag und Sonntag verreist wären. Aus diesem Grunde habe ich Sie nicht angerufen. Nun höre ich aber von Justizrat Adler, daß Sie doch in Berlin waren, und beklage mein Mißgeschick, das mich einer irrigen Information zum Opfer fallen ließ. Es hätte mir so sehr viel daran gelegen, Sie zu sehen.

Im vorigen Sommer ließ ich Ihnen mein Frankreichbuch zugehen; ich hoffe, daß es in Ihre Hände gelangt ist.

In alter Verehrung und Freundschaft Ihr von Herzen ergebener Curtius.

 

215. C.H.B. an Ernst Robert Curtius. Berlin, 12.3.1931

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Curtius,

Daß wir uns verfehlt haben, bedauere auch ich natürlich sehr. Ich tue es um so mehr, als ich Ihnen für Ihr schönes Frankreich-Buch noch gar nicht gedankt habe. Ich habe es allerdings, wie ich ehrlich bekennen muß, vorerst zurückgestellt, da ich neben einer großen Fülle von Abwicklungsgeschäften meine ganze Kraft für die Wiedereinarbeitung in meinen alten Beruf gebraucht habe. Sie werden das würdigen und verstehen. Ich hätte Ihnen auch gern von Amerika erzählt. Das muß schon mündlich geschehen, da ich nicht zu den Reisenden gehöre, die nach dreimonatigem Aufenthalt in diesem doch völlig andersartigen Kontinent ein Buch darüber zu schreiben wage. Auf Ihr Buch komme ich bestimmt zurück, wenn ich, wie voraus-zusehen, sehr bald wieder in die französische Sphäre eintrete. Im letzten Jahre haben England und Amerika das Terrain bei mir beherrscht. Ich rüste mich gerade, über Heidelberg nach Davos zu fahren, wo ich an den diesjährigen Internationalen Hochschulkursen teilnehmen werde.

Ich schicke Ihnen in den nächsten Tagen eine kleine Schrift, für die ich bei ihnen Interesse voraussetze: Das Erbe der Antike im Orient und Occident“. Es war mein Antrittsvortrag als Vizepräsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaf19t. Ich kann Ihnen im übrigen nur wiederholen, was ich Ihnen schon in Rom gesagt habe, daß ich mich als Professor ganz außerordentlich wohl fühle und mit der Politik definitiv Schluß gemacht habe. Meines Erachtens bleibt auf rein geistigem Gebiet genug zu tun, namentlich wenn man etwas über die Grenzsphäre des eigenen Faches hinauszuschauen gelernt hat.

Mit freundlichen Grüßen, auch an Ihre Gattin, die zu treffen mir besonders lieb und wertvoll war, bin ich in alter freundschaftlicher Gesinnung Ihr ergebenster (C.H.B.)

 

216. Ernst Robert Curtius an C.H.B. Bonn, 1.1.1933

Lieber, sehr verehrter Herr Becker,

Es war mir eine große Freude, in Gestalt Ihres Aufsatzes ein Lebenszeichen von Ihnen zu erhalten. Wir sahen uns zuletzt –kurz – im Frühjahr 1930 in Rom. Sie entschwanden dann nach Asien. Ich war absorbiert durch den Aufbau meiner neuen – durch Ehe und Universitätswechsel umgestalteten Existenz.

Dann habe ich mich in die leidigen deutschen Culturkämpfe gestürzt. Ich bereue es nicht. Es gibt Situationen, in denen man Zeugnis ablegen muß. Aber nun glaube ich wieder das Recht auf Einsamkeit und Inwendigkeit zu haben – auf die stärkende, härtende und befreiende Lösung von den Aktualitäten. Weshalb ich auch dem 3ten Humanismus (dessen Verfasser ich kenne) kritisch abwartend gegenüberstehe. Ich weiß aus bester Quelle, daß die Fusion Hitler – George – als Eventualität – gewisse Kreise ebenso sehr beschäftigt wie andere die Fusion Schleicher-Strasser. Wer hätte nicht seinen Spaß daran, wenn 3tes Reich und 3ter Humanismus verschämt kokettieren. Sittlich beglückend sind solche Transaktionen nicht. Ich wünschte, daß in Deutschland wieder Männer aufstünden, die Lutherisches Ich kann nicht anders! sprächen; Charaktere ohne Conjuncturverflochtenheit.

Aber anstatt für Deutschland fromme Wünsche zu formulieren, will ich lieber Ihnen herzliche Neujahrswünsche senden als Ihr in alter Freundschaft ergebener Ernst Robert Curtius.


Ernst-Robert Curtius – Professor für Romanistik und Literaturwissenschaften, Privatdozent, Anmerk. d. Grafik

1 Carl H. Becker wurde am 16.6.1916 ins Preußische Kultusministerium nach Berlin berufen, das Fragezeichen des Archivs erledigt sich daher.

2 Smend, Gelehrtenfamilie. Christian, OKR, 1838-1920, Sohn Carl, ev. Theologe, Relgionshistoriker 1866-1940, Bruder Paul, Kunsthistoriker, 1866-1947, Bruder Otto, Historiker, 1871-1946

3 Hervorhebung vom Herausgeber

4 Hervorhebung vom Herausgeber

5 Hervorhebung vom Herausgeber

6 Hervorhebung vom Herausgeber

7 Hervorhebung vom Herausgeber

8 Die Zeichnung liegt aus textimmanenten Gründen leider nicht bei.

9 Die Rheinlande wurden noch 1918 von den Franzosen besetzt: Zone 1 Düsseldorf-Essen bis 1926; Zone 2 Köln-Essen bis 1929; Zone 3 um Mainz bis 1930. Die Saar blieb 1935 französisch.

10 Hervorhebung vom Herausgeber. Die rheinische Republik wurde nicht verwirklicht!

11 Ist mir unklar, was das für ein Verein ist…

12 Die Macht der Ordinarien wird in den Briefen sehr deutlich; bis dato regierte der Senat die Uni!

13 Hervorhebung vom Herausgeber.

14 S.o.

15 Mitarbeiternotiz an Staatssekretär Becker vom 17.12.1920: Herr Staatssekretär, wegen der Entlastung Glasers ist das Schulkollegium mit Weiterem beauftragt worden. Glaser wurde anheimgestellt, ob er seine Remuneration zur Bezahlung eines Vertreters im Schulunterricht verwenden wolle. Wende. (Hervorhebung dieses Tollhausstückes von dem Herausgeber.)

16 liegt nicht bei. BB

17 Der Brief liegt nicht in den Akten. BB

18 Hervorhebungen vom Herausgeber.

19 Heute Max-Plank-Gesellschaft.

Gesellschaft für Islamkunde, 1915-17

VI. Nachl.C.H.Becker. Rep.92. Rep.Becker D. Nr.2946

156. C.H.B an Gesellschaft für Islamkunde, Herrn Prof.Kampffmeyer, Berlin S 42. B(onn), 6.5.1915 

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Kollege!

Es freut mich, daß Sie meinen Aufsatz sofort drucken lassen wollen. Ich darf Sie wohl bitten, mir 100 Separatabzüge mit Originaltitel zur Verfügung zu stellen.

Sie beantworten meine Frage nicht, ob ich einen kurzen Überblick über die benutzte Literatur hinzufügen soll. Es wäre wohl nützlich, wenn die wichtigsten hier in Frage kommenden Vorarbeiten einmal irgendwo zusammengetragen würden, aber beim Versuch merke ich, daß das eine sehr komplizierte Arbeit ist. Nur auf Ihren speziellen Wunsch würde ich sie unternehmen.

Es freute mich sehr, daß mein Vortrag so gut besucht war, und hoffe ich nur, daß meine Hörer eine ebenso angenehme Erinnerung an diese Veranstaltung behalten wie ich. Ein merkwürdiger Zufall fügt es, daß ich in einigen Wochen in dem gleichen Gebäude abermals einen Vortrag halten soll, der sich aber wohl auf die Türkei beschränken wird.

Mit nochmaligem besten Dank und verbindlichen Grüßen Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

157. Deutsche Gesellschaft für Islamkunde an C.H.B. Berlin, 8.5.1915

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Kollege,

besten Dank für Ihren freundlichen Brief vom 6. d.M. Ich wollte Ihnen auch gerade noch wegen der Literatur schreiben. Ich habe darüber nachgedacht und glaube, daß es doch sehr wertvoll sein würde, einen kurzen Überblick über die benutzte Literatur Ihrem Vortrag hinzuzufügen. Dies deswegen, weil die kreise, die heute den fragen des Islam und der Türkei nähertreten und sich zum Teil viel mit ihnen beschäftigen, so wenig in den Dingen selbst stehen, so daß es mir wichtig erscheint, sie bei dieser Gelegenheit in die Dinge einführen zu helfen. Ich wäre Ihnen deswegen für Ihre Mühe recht dankbar.

Die 100 Sonderdrucke mit Originaltitel werden Sie erhalten.

Es ist hocherfreulich, daß Sie bald wieder in Berlin einen Vortrag halten. Es kann nicht genug geschehen, weiteste Kreise bei uns zu unterrichten. Ich würde mich freuen, Sie bei dieser Gelegenheit wieder zu begrüßen.

Mit verbindlichen Grüßen Ihr sehr ergebener G. Kampfmeyer.

 

158. C.H.B. an Prof. Kampffmeyer. Bonn, 21.5.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Kollege!

Im Begriff, die bibliographischen Notizen für meinen Aufsatz fertig zu machen, bekomme ich die Nachricht, daß der älteste Sohn meiner Schwester lebensgefährlich verwundet in Tilsit liegt. Ich muß deshalb sofort abreisen und bin nicht sicher, ob ich in den nächsten Tagen zurück sein werde. Der bibliographische Nachweis läßt sich ja wohl auch noch bei der Korrektur hinzufügen. Er wird in Petit etwa 2 Seiten umfassen. Da ich abreise, kann ich diesen Brief nicht mehr persönlich unterzeichnen.

Mit verbindlichen Grüßen Ihr sehr ergebener C.H.Becker

 

159. Karte von Prof. G. Kampffmeyer an C.H.B. Bad Sachsa, 29.5.1915

Lieber Herr Kollege,

ich will Sie natürlich mit der Literatur zu Ihrem Vortrag nicht quälen. Läßt sich dieser Anhang nicht ohne Schwierigkeiten durchführen, so verliert ja natürlich Ihr Aufsatz ohne Literatur nichts an Wert. Das Gute, das ich stiften wollte, kann man dann auch anders allmählich erweitern. Ich muß auch das Heft 2 abschließen. Können Sie mir also die Literatur nicht in diesen Tagen noch senden, so lassen wir sie wohl lieber fort? Und dann nichts für ungut! Mit den besten Grüßen Ihr sehr ergebener G. Kampfmeyer.

 

160. C.H.B. an Prof. Kampffmeyer. Bonn, 31. 5. 1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Kollege!

Ich bin gerade von der Beerdigung meines Neffen zurückgekommen, der nun leider doch seinen Wunden erlegen ist. Ich nehme heute die Arbeit wieder auf und erledige die Korrektur, der ich bei der Rücksendung die bibliographischen Notizen beifüge, die allerdings etwas umfangreich geworden sind; sie können aber ja in Petitdruck 1 gegeben werden. Um die Sache nicht aufzuhalten, überlasse ich Ihnen gern die Korrektur dieses Anhanges. Bei Ihrer bekannten Akribie darf ich ja ganz sicher sein. Mit bestem Dank und verbindlichen Grüßen Ihr ergebenster (C.H.B.)

 

161. Prof. Kampffmeyer an C.H.B. Berlin, 3.6.1915

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Kollege,

(Dank für Schreiben und Übersendung des Literaturnachtrages)

Dazu daß Ihr Neffe seinen Wunden erlegen ist, spreche ich ihnen meine herzlichste Anteilnahme aus. Dieser Krieg schlägt schwere Wunden; auch ich habe einen Neffen in russischer Erde ruhen, einen prächtigen Menschen, um den es mir auch sehr leid war.

Mit verbindlichen Grüßen Ihr ergebenster G. Kampfmeyer.

 

162. Prof. Kampffmeyer an C.H.B., Berlin. Berlin, 26.1.1917

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Geheimrat,

wenn es sich vielleicht darum handeln wird, zwischen einem Teil der innerhalb Berlins auf den Orient gerichteten Bestrebungen eine nähere Fühlung herzustellen, so kommt dabei auch die Deutsche Gesellschaft für Islamkunde in Betracht. Im Hinblick darauf möchte ich eine Neuorganisierung des geschäftsführenden Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde herbeiführen und mit Ihnen beraten. Im Anschluß an unsere neuliche Unterredung und im Einverständnis mit Kollege Hartmann, möchte ich für 1917 die folgende Zusammensetzung des Vorstandes vorschlagen:

  • 1.Vorsitzender: Becker
  • 2. Vorsitzender: Hartmann
  • Schriftführer: Mittwoch
  • Schatzmeister: Sobernheim
  • Herausgeber der Zeitschrift: Kampmeyer

Schriftführer und Schatzmeister würden nicht mit laufenden Geschäften belastet werden. Diese werden auf der Geschäftsstelle erledigt. Es handelt sich um Sitz und Stimme im Vorstand, um das allgemeine Interesse für die Sache.

Könnten Sie mir Ihre etwaige Zustimmung bis zum 1. Februar mitteilen? Dann würden Hartmann und ich uns mit Mittwoch und Sobernheim in Verbindung setzen.

Die allgemeine Versammlung, in der die Wahlen vollzogen würden, soll am 22. Februar stattfinden.

Die Finanzen sind für 1917 in Ordnung.

Der Verlagsvertrag mit der Firma Dietrich Reimer ist vor dem 1. Juli 1916 zum 1. Januar 1917 auf meine Veranlassung gekündigt worden. Für1917 ist für die Zeitschrift ein Vertrag mit der Firma August Hopfer in Burg bei Magdeburg geschlossen. Für weitere Umwandlungen und Neugestaltungen ist freie Bahn.

Zu allen weiteren Auskünften bin ich gern bereit.

Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener G. Kampffmeyer.

 

163. Prof. Kampffmeyer an C.H.B., Kultusministerium. Berlin, 27.3.1917

(Maschinenmanuskript mit Anlagen von Privatdozent Dr.Quelle)

Sehr geehrter Herr Geheimrat,

Dr. Quelle lieferte mir bibliographische Materialien zur Marokkoliteratur für meine Kartoteken. In dm Briefwechsel, der sich daraufhin zwischen uns ergab, machte er mir auch Mitteilungen über seine Stellung zu den südamerikanischen Studien. Da ich annehme, daß die betreffenden Stellen für Sie von Interesse sein können, möchte ich Ihnen hierneben eine Abschrift derselben zur Kenntnisnahme übersenden. Ich kenne Dr. Quelle nicht und bin selbstverständlich in der Angelegenheit persönlich in keiner Weise interessiert. Herr Geheimrat Steinmann sagte mir, daß Philippson günstig über Quelle urteile. Ebenso begegnete ich einem günstigen Urteil bei Baschin, während Penck seiner Zeit offenbar Quelle nicht in einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Weise verwandte, so daß Penck in Gefahr ist, über Quelle schief zu urteilen.

Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (gez.) G.Kampffmeyer.

Anlage 1 Brief von Dr. O.Quelle an Prof. Kampffmeyer vom 20.1.1917 (von mir nicht abgedruckt) mit einer Randbemerkung Beckers vom 16.4.1917 :

Betr. Südamerikainstitut und Auslandsstudien

Herrn MinDir. Schmidt zur g(efälligen) Kenntnisnahme. Das Extraordinariat in Bonn für Quelle ist von der Fakultät beantragt.

Anlage 2 Dr. O.Quelle an Prof. Kampffmeyer vom 25.1.1917

(Die Hamburger Universitätspläne seien immer noch nicht ausgegoren… Für sein geplantes ibero-amerikanisches Institut plante er folgende Veröffentlichungen:

  • Die spanisch-portugiesische Auswanderung nach Amerika (alles im Manuskriptmaterial fertig)
  • Landeskunde von Nordbrasilien (Umfangreiche Manuskriptsammlung schon vorhanden)
  • Die Entwicklung des Hamburger Amerikahandels (Nord- und Südamerika)
  • Wirtschaftsgeographischer Atlas von Südamerika.

Anlage 4 Dr. O.Quelle an Prof. Kampffmeyer vom 17.3.1917 (Abschrift)

(…)

Dann möchte ich Ihnen folgendes noch mitteilen. Ich habe heute die Anfrage bekommen, ob ich nicht fest in die Zentralstelle des Kolonialinstitutes eintreten wolle, evtl. zum 1. April schon. Meine Aufgabe wird vor allem darin bestehen, hier an der Zentralstelle systematisch eine große Auslandsbibliothek aufzubauen. Für Zeitschriftenbeschaffung durch Tausch stände mir der ‚Wirtschaftsdienst’ und die ‚Hamburgischen Forschungen’ zur Verfügung; für die Ausgestaltung der letzteren würde ich noch besonders zu sorgen haben. Als fest angestellter Beamter mit 5800 (Mark) Anfangsgehalt an und für sich ein gutes Angebot.

Nun liegt mir natürlich sehr wenig daran, im Augenblick mich hier festzulegen. Ein Extraordinariat in Bonn mit bes(onderem) Lehrauftrag für Landes- und Wirtschaftskunde für die Rom(anischen) Länder, besonders Pyrenäenhalbinsel und Südamerika, würde mir natürlich mehr zusagen und böte mir zugleich erwünschte Gelegenheit, im Rahmen des in der Preuß(ischen) Denkschrift (von C.H.B.) entwickelten Programms zu wirken. Hier ist alles noch zu ungewiß und man kann noch nicht übersehen, was aus all dem wird, was hier in Gährung sich noch befindet, soweit man von solcher überhaupt reden kann. Ich scheue mich natürlich, in dieser Angelegenheit mich direkt an Geheimrat Becker zu wenden, da ich keinen Entschlüssen irgendwelcher Art vorgreifen möchte.2

Andererseits weiß ich auch nicht, wie weit schon Pläne für Bonn vorliegen. Ebenso möchte ich natürlich auch später weitere Studienreisen, zum wenigsten nach Spanien und vielleicht nach Südamerika nicht ganz aufgeben.

(…)


1 Petit ist in der Buchdruckersprache der zweitkleinste Schriftgrad mit 8 Punkten. Ich habe einmal den Ausdruck in dieser Größe gezeigt.

2 Von Kampffmeyer rot am Rande zur Lektüre empfohlen. Der Herausgeber.

Hauptmann Dühring, 1918

VI. HA Nachl. C.H. Becker. Rep.92 Becker C. Nr. 286

133. Hauptmann Dühring in der Schutztruppe von Kamerun an C.H.B. Bürgenstock/Luzern, 28.7.1918

Sehr geehrter Herr Geheimrat!

Vor einer Woche erlaubte ich mir per Karte die von Freund Eisenlohr an Sie übertragenen Grüße auszurichten.

Heute möchte ich von unseren gemeinsamen Studien berichten und Sie um Ihren gütigen Rat bescheiden angehen.

Eisenlohr und ich haben uns während der unfreiwilligen Muße hauptsächlich bemüht mit Hilfe der Harder’schen Grammatik die Kenntnis der arabischen Schriftsprache anzueignen. Daneben haben wir, soweit es uns möglich war Islamstudien betrieben und namentlich aus dem von Ihnen freundlichst übersandten Werk von Jonquière wissenswerte Anhaltspunkte über die Orientpolitik geschöpft. Die arabisch-türkische Spaltung im Islam hatte ich zum Gegenstand eines Vortrags gemacht, welchen ich aber nicht halten konnte bzw. durfte. Eisenlohr bat mich, sich einmal bei Ihnen zu erkundigen, ob er für seine weitere Carriere gute Aussichten im Orient haben würde und auf welchem Gebiete er sich besonders vorbereiten sollte. Nachdem der Wiedererwerb unserer Kolonien in weitere Ferne gerückt ist, und auch der Frieden noch nicht abzusehen ist, tritt ebenso an mich die Frage heran, eine Verwendung im Orient zu suchen. Durch meine fast zehnjährige Tätigkeit im Norden von Kamerun habe ich das Wesen des Islam aus eigener Anschauung kennen gelernt und Erfahrung in unserer Verwaltung gesammelt, welche den religiösen Vorschriften und Gesetzen der Scharia angepaßt war. Eine im Auftrag des Kolonialamts ausgeführte Studienreise durch Nordnigerien hat mich auch mit dem englischen Verwaltungssystem in den von Mohammedanern bewohnten Kolonien bekannt gemacht. Die Gefangenschaft in Nordafrika hat noch manche interessante Eindrücke in dieser Hinsicht gebracht und die lange Zeit zum Überlegen hat manches unbewußt Aufgenommene klarer und verständlicher erscheinen lassen. Die langjährige Nachbarschaft mit Engländern und Franzosen in der Kolonie hat mir oft Gelegenheit gegeben, mit diesen zu verhandeln und zu verkehren; auch in der Gefangenschaft habe ich dies schwierige Amt im Interesse meiner Kameraden übernehmen müssen. Herr Geheimrat wollen mich gütigst richtig verstehen, wenn ich augenblicklich pro domo spreche, es geschieht aber nur in der Absicht, möglichst bald wieder Gelegenheit zu finden dem Vaterlande meine Dienst zu widmen.

Ich wäre Ihnen dankbarst verbunden, wenn Sie mir durch einen gütigen Rat in der Förderung meines Wunsches behilflich sein könnten. Einglücklicher Zufall führte mich hier mit Herrn Said Runta zusammen, in dessen Hause Eisenlohr in London verkehrt hatte.

Meine afrikanischen Studien werde ich nun wohl auch abbrechen müssen, sie haben mir sehr geholfen, die Misere der Gefangenschaft überwinden zu können. Ich will meine Arbeiten, sobald sich eine sichere Möglichkeit bietet, dem orientalischen Seminar in Berlin überreichen.

In der herrlichen Umgebung gedenken wir wehmütig der in Frankreich Zurückgebliebenen. Wir hoffen und wünschen, daß sich der Austausch glatt weiter abwickelt, dann wird auch für Eisenlohr die Erlösungsstunde bald schlagen.

Die sich widersprechenden Nachrichten und die lange Ungewißheit gehen den alten Gefangenen sehr an die Nerven. Ich glaube aber, daß Eisenlohr diese Zeit gut überstehen wird, da er sie nach Möglichkeit zum besten Nutzen verwandt hat. Er ist mir während der langen Jahre (der Gefangenschaft) in Anok ein werter und lieber Freund geworden und hat viel zur wissenschaftlichen Anregung beigetragen.

Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung

Ihr sehr ergebener R. Dühring

Hauptmann in der Schutztruppe für Kamerun

Becker im Gespräch bei einem Empfang 1920er Jahre in Berlin
Becker im Gespräch bei einem Empfang 1920er Jahre in Berlin

GEHE Stiftung, 1915/16

HA VI Nachl. Becker C.H. Rep.92 Nr.379

Schriftwechsel mit der GEHE.Stiftung in Dresden 1915/16 und die Zensur

126. C.H.Becker an Dr. Schanze, Dresden. (Bonn), 18.11.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Doktor!

In höflicher Erwiderung Ihres Schreibens vom 12. November frage ich hierdurch ergebenst an, ob für meinen Vortrag am 15. Januar (1916) als Thema Der türkische Staatsgedanke genehm ist. Im Falle der Zustimmung brauche ich weiter keine Nachricht.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener C.H.B

 

127. Dr. Schanze, an C.H.B. Dresden, 22.12.1915

Gehe-Stiftung

Hochgeehrter Herr Professor!

Soeben erhalte ich von der Königl(ichen) Polizeidirektion die Mitteilung, daß auf Anordnung des Kommandierenden Generals das Manuskript Ihres Vortrages in Schreibmaschinen- oder sonst leserlicher Schrift spätestens am 7. Januar einzureichen ist.

Wir bitten ganz ergebenst, uns das Manuskript rechtzeitig zu übersenden, damit wir seine Prüfung und Genehmigung veranlassen können.

Mit ausgezeichneter Hochachtung Die Gehe-Stiftung. Dr. Schanze.

 

128. C.H.B. an Dr. Schanze. Bonn, 28.12.1915

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich habe bei meiner Vortragstätigkeit während des Krieges bisher nirgends ein völliges Manuskript eingereicht, sondern immer nur eine kurze Inhaltsangabe, und dabei habe ich selbst in Festungen, wie Straßburg, und in der Reichshauptstadt gesprochen. Ich spreche nämlich immer frei und mache höchstens ein Manuskript erst nach dem Vortrag. In diesem falle aber liegt es ja anders, weil das Manuskript gleich zum Druck abgeliefert werden soll. Ich werde dafür Sorge tragen, daß es bis zum 6. Januar in Ihren Händen ist. Ich bitte nur darum es sonst niemanden lesen zu lassen.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

129. C.H.B. an Dr. Schanze. Bonn, 3.1.1916

(Maschinenkopie)

Hochgeehrter Herr Doktor!

Anbei übersende ich Ihnen verabredungsgemäß einen Durchschlag meines am 15. Januar zu haltenden Vortrages für die Zensur. Ich möchte mich aber nicht unbedingt auf den Wortlaut festlegen; das ist ja auch nicht nötig. Auch soll der Druck nicht nach diesem Durchschlag, sondern nach dem Original gehalten werden, das ich mit einigen Verbesserungen und Literatur Ihnen anläßlich meines Aufenthaltes in Dresden überreichen kann.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

130. C.H.B. an Dr. Schanze. Bonn, 29.1.1916

(Maschinenkopie)

Hochgeehrter Herr Doktor!

Ich danke verbindlichst für die gütige Übersendung der Zeitungsreferate, die ich hier vorfinde. Ich sehe mit Freude daraus, daß sich die Öffentlichkeit für meine Gedankengänge interessiert hat.

Ich wäre natürlich dankbar, wenn mein Vortrag bald gedruckt würde und darf doch wohl unter allen Umständen auf eine Korrektur rechnen.

Mit nochmaligem besten Dank für die freundliche Aufnahme

Ihr Ihnen sehr ergebener (C.H.B.)

 

131. C.H.B. an das Kuratorium der Gehe-Stiftung Dresden z.H. Herrn Dr. Schanze.

Bonn, 16.2.1916

Einem verehrlichen Kuratorium der Gehe-Stiftung beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, daß mein in Dresden gehaltener Vortrag über den türkischen Staatsgedanken, der Wort für Wort von der Dresdener Zensur genehmigt war, bei der Drucklegung von der Leipziger Zensur derartig zusammengestrichen worden ist, daß ich meine Erlaubnis zur Veröffentlichung in dieser verkürzten Form nicht geben kann.

Historische Tatsachen sind von dem Zensor auf den Kopf gestellt; Gedanken, die ich im amtlichen Kriegstagebuch Deutschland und der Weltkrieg im Auftrage der Regierung ausgeführt habe, sind gestrichen; wissenschaftliche Tatsachen, die in allen Lehrbüchern stehen, sind als staatsgefährdend ausgemerzt; Verteidigungen des derzeitigen türkischen Regimes sind gestrichen, weil bei der Widerlegung der gegnerischen Anwürfe auch deren Meinung zur Darstellung kommen mußte. Die ganze Zensur ist derartig kindlich und unverständig ausgeübt, daß der Inhalt meiner Ausführungen gelegentlich direkt in das Gegenteil verkehrt ist.

Das Groteskeste von allem aber ist, daß die jedem heutigen Türken höchst erfreulich ins Ohr klingende Kritik des Absolutismus unter Abdul Hamid von dem übertürkischen Zensur beanstandet worden ist. Man versteht nicht, wie eine derartige Zensur und ein so vollkommenes Mißverstehen der von Berlin gegebenen Direktiven an den Zentralsitz des deutschen Buchhandels in Leipzig möglich ist. Wenn ich nicht bedauerte, daß die Veröffentlichung meines Vortrages dadurch eine erhebliche Veröffentlichung erführe, würde dieses Dokument militärischer Weisheit die größte Heiterkeit bei mir auslösen. Aber der Gegenstand ist denn doch zu Ernst dazu, und möchte das verehrte Kuratorium der Gehe-Stiftung bitten, seinerseits die Sache in die Hand zu nehmen und in Leipzig durchzusetzen, daß die Beanstandung zurückgezogen wird. Mein Vortrag war ja seinerzeit sogar von einem königlichen Prinzen besucht, und dem Kuratorium Ihrer Stiftung gehören so hervorragende Männer an, daß es Ihnen wohl ein Leichtes sein wird, durch eine private Einwirkung auf den Kommandierenden General die Druckerlaubnis zu erhalten. Zu diesem Zwecke sende ich Ihnen die beanstandeten Fahnen; außerdem erlaube ich mir, die Abschrift meines Briefes an die Firma Teubner beizulegen, aus der Sie ersehen können, welche Schritte ich mir vorbehalte, wenn es der Gehe-Stiftung nicht möglich sein sollte, den Vortrag frei zu bekommen.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

132. C.H.B. an die Gehe-Stiftung. Bonn (?), 31.3.1916

(Maschinenkopie)

Hochverehrte Herren!

Zu meinem schmerzlichen Bedauern muß ich Sie zum zweiten Male in Angelegenheit der Drucklegung meines bei Ihnen gehaltenen Vortrages belästigen. Nach Empfang Ihres gütigen Schreibens vom 22. Februar habe ich meinerseits versucht, die Zensurierung meines Vortrages rückgängig zu machen. Leider hat die Oberzensur die untere Instanz gedeckt, so daß ich es für selbstverständlich hielt, daß mein Vortrag nun erst nach dem Kriege in Ihrer Serie werde erscheinen können.

Zu meinem allergrößten Befremden mutet mir nun aber plötzlich die Firma Teubner in höchst unverbindlicher Form zu, entweder das von der Zensur verballhornte Manuskript jetzt erscheinen zu lassen oder aber gegen Ersatz der Druckkosten auf die Drucklegung überhaupt zu verzichten; nach dem Kriege werde sich niemand mehr für das Thema interessieren. Mir kam dieser Brief in seiner ungeheuerlichen Anmaßung als eine Entgleisung eines Korrespondenten vor, und ich habe eine etwas gereizte Antwort gegeben. Nun deckt Dr. Giesecke völlig die Maßnahme seines Prokuristen. Unter diesen Umständen hat eine Korrespondenz meinerseits mit der Firma Teubner keinen Zweck mehr, da ja alles von dem Vertrag der Stiftung mit der Firma Teubner abhängt, den ich nicht kenne, und der mich auch nichts angeht.

Indem ich Sie bitte, die Angelegenheit zu entscheiden, möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie Ihre Redner gegen derartige Ungezogenheiten Ihrer Verlagsfirma schützen; denn wie sich die Firma Teubner aufspielt, muß man den Eindruck gewinnen, als ob nicht das Direktorium der Gehe-Stiftung, sondern Herr Dr. Giesecke entscheidet, welche Vorträge in Dresden gehalten und nachher gedruckt werden dürfen. Meine Auffassung der Rechtslage habe ich Ihnen in dem Schreiben an Teubner niedergelegt, das ich Ihnen mit der ganzen Korrespondenz zur geneigten Kenntnisnahme überreiche.

Ich würde es sehr bedauern, wenn mein Vortrag nicht in Ihrer Serie erscheinen würde; aber ich habe auch nicht die Absicht, vor dem kapitalistischen Unternehmertum des Herrn Dr. Giesecke einfach zu kapitulieren. Daß das Interesse an der Türkei nach dem Kriege erlöschen sollte, ist außerdem so grotesk, daß man daraus nur schließen kann, daß der Firma Teubner das orientalische Verlagsgebiet nicht liegt; denn ich kann mir gar nicht helfen vor Verlegeranfragen, über orientalische Themata jetzt oder nach dem Krieg zu schreiben1. Also ich habe die Firma Teubner ganz gewiß nicht nötig. Ich würde eine Lösung des Vertragsverhältnisses nur vom Standpunkt einer gestörten schönen Erinnerung bedauern, da mir meine Aufnahme in der Gehe-Stiftung in sehr angenehmer Erinnerung geblieben ist.

Indem ich die Angelegenheit2 Ihrem Ermessen anheimstelle, bin ich mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)


1 Hervorhebung vom Herausgeber

2 Wie die Angelegenheit geregelt wurde, geht aus der weiteren Korrespondenz nicht hervor; jedenfalls erreichte die Stiftung wohl eine gütliche Einigung. Der Herausgeber.

Chinareise 1931/32

Chinareise für den Völkerbund 1931

123. C.H.B an seine Geschwister. Berlin(?), 17.8.1931 (Maschinenkopie)

Liebe Geschwister,

am 30. August werde ich auf der Bremen von Bremerhaven aus meine Reise nach China antreten. Der Plan ist folgender: Ankunft in New York am 5. September, Fahrt über den Kontinent durch Canada nach Vancouver; von dort mit der Empress of Canada ab 12. September zunächst nach Honolulu (17. September), dann weiter nach Yokohama (27. September), Kobe (28. September) und Shanghai (29. September). Wir werden nur kurz in Shanghai bleiben und uns direkt nach Nanking begeben, wo eine erste etwa 14tägige Information stattfinden soll. Geplant ist von dort nach Peking, also in den Norden zu gehen und dort ebenfalls 14 Tage zu bleiben. Alles Weitere ist unbestimmt, doch besteht der Plan, auch irgendwo ins Innere vorzustoßen, etwa nach Hankau, wenn nicht die großen Überschwemmungen der letzten Wochen die Reise unmöglich gemacht haben, und dann nach Canton.- Meine weiteren Pläne sind dann, Japan zu besuchen und Niederländisch Indien, Java. Die eigentliche Mission wird Mitte Dezember zuende sein, und ich werde die normale vierwöchige Rückreise um etwa 6 Wochen überschreiten, um einige mir auch für die Wissenschaft wichtigen Gegenden der Welt kennen zu lernen, so neben Niederländisch Indien mit seiner fast rein muhammedanischen Bevölkerung, wenn möglich Irak und vielleicht Persien. Indien möchte ich eigentlich beiseite lassen, um mir in der kurzen Zeit nicht zuviel zuzumuten. Für die Studienfahrt durch mein eigenes Forschungsgebiet bekomme ich eine seinerzeit bei meiner Berufung ausbedungene Subvention von Seiten des Kultusministeriums zu den Vergütungen des Völkerbundes hinzu, so daß ich auch diese Reise ebenso wie die amerika-nische vom Vorjahr wohl ohne Aufwendungen eigener Mittel werde durchführen können. Nur mit allem Vorbehalt kann ich über die Dauer sprechen. Nach meiner Schätzung werde ich spätestens am 1. März (1932) in Deutschland zurück sein.

Zweck der chinesischen Mission ist der Wunsch des Völkerbundes, China in seiner schwierigen Lage zu beraten und vor allem das von China als Mitgliedsbeitrag an den Völkerbund bezahlte Geld im Interesse Chinas zu verwenden. Ausgangspunkt war eine Sanitätskommis-sion des Völkerbundes, der sich dann eine für Straßen- und Wasserbau und eine für die Silberwährung anschloß. China selbst bat darum, diese Kommissionen durch eine für Unterrichtswesen zu ergänzen. Natürlich mache ich mir keine Illusionen. China ist ein Kontinent, und die politischen Verhältnisse sind so, daß die besten Vorschläge wohl an der Labilität der Verhältnisse scheitern werden. Aber immerhin muß der Versuch gemacht werden, und es war schon im deutschen Interesse einfach unmöglich, daß ich ablehnte. Außerdem betrachte ich es als eine schicksalhafte Fügung, daß mir gerade in diesen für Deutschland so schweren Zeiten eine solche Arbeit für übermorgen angeboten wird, bei der ich meinen doppelten Entwicklungsgang als Orientalist und als Pädagoge verwerten kann. Die Hauptsache wird sein, daß wir lernen und anschauen. Ich glaube, daß alles irgendwie Mögliche an Reformen schon einmal durchdacht oder jedenfalls zu Papier gebracht ist, und daß unsere Hauptaufgabe darin bestehen wird, mit unserer Autorität diejenigen Kreise in China zu stützen, die im Ringen der Meinungen das unserer Überzeugung nach Beste und Wesentlichste zu verwirklichen suchen.

Die Mission besteht aus 4 gleichgeordneten Experten, unter denen ich das Generalreferat und einen formellen Vorsitz führe. Die anderen Herren sind:

  • Professor Langevin, ein berühmter Physiker vom Collège de France, der von Frankreich in letzter Zeit auch in pädagogischen Dingen immerhäufiger herausgestellt wird, und der z.B. auf dem großen Pädagogischen Kongreß in Nizza 1932 Präsident sein wird, während man mir die Vizepräsidentschaft angeboten hat.
  • Der zweite ist ein Engländer, Professor Tawney von der London School of Economics, der Einzige von unserem Kreis, der China schon selbst bereist hat und uns ein sehr wertvolles Exposé über seine Eindrücke vorgelegt hat. Er ist ein sehr kenntnisreicher und angenehmer Mann. Beide Herren etwa meines Alters.
  • Der dritte (im Entwurf zweite!) ist ein Pole namens Falski, Professor an der Universität Warschau und gleichzeitig Leiter des polnischen Volksschulwesens. Ich kenne ihn leider noch nicht,, da er an den Besprechungen in Genf wegen Erkrankung nicht teilnehmen konnte.
  • Außerdem wird uns die rechte Hand von Drummont, ein Captain Walters für die diplomatische Seite der Angelegenheit begleiten. Er ist voraus gereist, um uns den Weg bei den Chinesen zu ebnen.
  • Reisemarschall wird ein Engländer namens Taylor, der uns als Sekretär begleitet.

Wie von meiner amerikanischen Reise werde ich auch diesmal wieder Rundbriefe schreiben, die in Berlin vervielfältigt werden und Euch zugehen. Die heutigen Zeilen gehen nur an die Geschwister, während die Reisebriefe auch einem engeren Kreis von Freunden zugänglich gemacht werden sollen.

Von den Meinigen kann ich nur Gutes berichten. Hellmut fährt heute nach England. Walter macht eine kleine Erholungsreise. Herta ist nach wie vor fleißig, und vor allem ist Hedwig gesund und frisch zurückgekehrt. Es ist noch unentschieden, ob sie während meiner Abwesenheit in Berlin bleibt oder nicht. In so schwierigen Zeiten ist ein so großes Haus wie das unsrige eine Last, wenn man es nicht voll ausnutzen kann.

Diese vorläufige Nachricht wollte ich Euch zukommen lassen, damit Ihr wißt, welches meine Pläne sind. Einige von Euch hoffe ich ja vor der Abreise noch zu sehen. Im übrigen wünsche ich Euch allen einen möglichst erfreulichen Winter.

 

124. Urlaubsgesuch des o.Professors Dr. C.H.Becker an den Kultusminister. Berlin, 1.7.1932

Da ich Ende Juli in Genf vor der Kommission für internationale Zusammenarbeit über meine China-Reise den Schlußbericht erstatten soll und am 27. Juli der internationale Pädagogen-Kongreß in Nizza beginnt, bei dem ich als Vizepräsident zu fungieren habe, bitte ich, sich stillschweigend damit einverstanden erklären zu wollen, daß ich meine Vorlesungen bereits am 20. Juli schließe.

 

125. Einladung für Herrn Professor Carl Becker. New York University, October 1, 1932

(Kongreß anläßlich der 100-Jahr-Feier der University of New York 15.-17.11.1932.

Thema: The Obligation of Universities to the Social Order)

sonstige Briefe, 1924-30

 

116. C.H.B. an seinen Pariser Freund (vgl. Jugendbriefe). Bonn, Drachenfelsstr.12, o.D.

(Entwurf)

Cher ami,

Mon amitié a survécu la guerre et il y avait pendant ces longues années de silence pas de semaine, pas même de jour où je n’ai pas pensé à vous avec la même tendresse paternelle, qui régnait entre nous, et j’ai détesté le sort qui nous séparait.

Votre bonne lettre m’a révoqué les temps inoubliables passés ensemble au soleil de la Grèce et aux dunes des Pays-Bas. Je vous serre la main, qui vous êtes entrés dans la première ligne des générations par la mort de feu votre père et des Eslagat, par la mort de notre maître (illisible). Restons fidèles au double lien, qui nous unit, à l’amitié qui nous soit chère sans nous faire survoir les divergences de nos patries, et à la sienne commence qui dans sa véritable intellectualité exige la collaboration de tous dans l’intérêt du progrès de l’humanité.

Ma santé ne permet pas une activité (illisible, scientifique?), je me suis mis à la disposition de mon gouvernement dans le service civil. Je suis entré au ministère dans le département des universités. La révolution m’a trouvé le seul membre du ministre qui n’était pas issu de la majorité monarchique. Comme tel la confiance des autorités nouvelles, j’ai réussi à sauver les bonnes traditions académiques à tous les orages de la débâcle générale. Je me trouve maintenant à la tête de l’administration de l’industrie publique en Prusse.

Pendant le court espace de six mois j’étais chargé des fonctions d’un ministre dans un cabinet de transition.

Je sui resté un homme académique sans prétention politique. Mon devoir appartient à la reconstruction des formes morales et intellectuelles de ma pauvre patrie. Le peu de temps qui me reste est voué aux études islamiques et à mes cours à l’université.

Recevez mes meilleurs remercîments pour le chef d’œuvre que vous avez bien voulu m’envoyer. Votre essai est un livre de la plus haute importance, digne à être comparé avec les meilleures publications de nos (?illisible). Un de mes amis islamisant venait de faire une thèse sur Hassan Bassi (?). Il était bouleversé mais en même temps plein d’admiration en lisant votre livre.

Dans ma famille, j’ai subi une grosse perte. J’ai perdu à l’âge de 76 ans ma mère à qui me liait un attachement unique. Mon fils aîné a seize ans, le cadet neuf. A l’âge de quatorze une fille possède le cœur de son père. Tous sont grâce à Dieu malgré les difficultés alimentaires dans un état de santé satisfaisant.

Votre dernier mot parvenu à moi via Schenck m’a accompagné dans ces années, pleines de gloire et de déception comme vademecum boni augurii. Je vous remercie de l’avoir repris maintenant. Rien ne pouvait mieux exprimer mes propres sentiments. (CHB)

 

117. C.H.B. an die Verlobte von F.B. Berlin, 30.5.1924

(Maschinenkopie)

Hochverehrte gnädige Frau!

Ihre freundlichen Zeilen geben mir die gewünschte Gelegenheit, Ihnen wieder einmal etwas Mut zuzusprechen; denn ich weiß von F.B. und sehe es ihm an, wie sehr er und Sie unter der Vorstellung einer ungeklärten Lage leiden. Erlauben Sie mir, die Verhältnisse einmal mit voller Objektivität und Nüchternheit zu betrachten.

Zunächst kann ich nicht zugeben, daß sich die äußeren Lebensverhältnisse seit unserer Korrespondenz so gar nicht geändert hätten Materiell ist F.B. besser gestellt wie ein junger Studienrat. Gewiß ist seine Stellung nicht pensionsfähig, aber seine Bezüge sind doch nur in der Theorie kündbar; soweit ich die Geschichte des Ministeriums kenne, ist ein solcher Lehrauftrag noch nie gekündigt worden. Die Stelle ist mindestens so sicher wie irgendeine, die er im Wirtschaftsleben finden könnte, ganz abgesehen davon, daß Bezüge wie die seinigen auch dort nicht mehr ganz so leicht zu haben sind und man auch dort nicht von heut auf morgen Prokurist oder Direktor wird.

Gewiß, Schätze verdient man in der akademischen Laufbahn überhaupt nicht, aber im Kreise der Beamten, auch der höheren, nimmt der Professor mit seinen großen Ferien, seiner Freiheit, seinen immerhin erheblichen Bezügen eine bevorzugte Stellung ein. Entsprechend schwierig und langwierig ist dafür der Zugang. Wer aber in jungen Jahren schon so viel Anerkennung und materiellen Erfolg gefunden hat wie F.B., braucht sich wirklich um 1-2 Jahre früher oder später erreichter Pensionsfähigkeit nicht zu sorgen. F.B. würde sich wohl auch kaum grämen, wenn ihm nicht von außen her das Leben immer wieder schwer gemacht würde. Mir und anderen mit den Verhältnissen und seinen Zukunftsaussichten Vertrauten ist es schlechterdings unerfindlich, warum Sie nicht heiraten, sondern sich in immer neuen Quälereien verzehren, bis die Pensionsfähigkeit oder die Anstellung erreicht ist. In akademischen Kreisen wird ganz allgemein auf einen solchen Lehrauftrag hin geheiratet, namentlich wenn er so gut bezahlt ist wie der F.B.’s, d.h. sich in der Höhe von einer Anfangsprofessur kaum unterscheidet. Was nun eine Berufung betrifft, so war es längst mein Wunsch, F.B. eine Stelle für Islamkunde am Orientalischen Seminar zu geben. Durch Intrigen, die aber nicht gegen ihn, sondern gegen mich gerichtet waren, ist der Reformplan für den Augenblick zurückgestellt und dadurch auch seine Ernennung hinausgeschoben. Für F.B. besteht meines Erachtens aber gar keine Sorge, da die Pläne meiner Gegner einen noch weiteren Ausbau fordern als die meinigen, unter allen Umständen also für sein Fach eine Besetzung stattfinden wird, und da ist er der gegebene Kandidat. Nur wird nun noch etwas verhandelt werden müssen, worüber ½ -1 Jahr vergehen kann.

Unabhängig davon steht die Frage seiner Ernennung zum A.O. Professor. In Bayern wird jeder junge Privatdozent in der Ochsentour zum a.o. Professor ernannt. Das ist ein reiner Titel, den wir gar nicht bewerten. Solche Leute sind für uns doch nichts anderes als Privatdozenten. Der preußische a.o. Professor wird nur nach frühestens 6 Jahren Lehrtätigkeit und auch dann nur an Leute verliehen, die nach Ansicht ihrer Fakultät die Qualität zum Ordinarius besitzen. Obwohl F.B. noch lange nicht das übliche Dienstalter besitzt, wird doch seine vorzeitige Ernennung ernstlich von der Fakultät erwogen. Hierbei ist nun erschwerend, daß seine wissenschaftliche Produktion etwas aus dem Rahmen der üblichen Anwärter hinausfällt, da er sich bemüht hat, neue Wege zu gehen. Nun verlangen aber die Fakultäten ein gewisses Ausgewiesensein nicht nur in der Wissenschaft schlechthin, sondern in den Fächern, für die bestimmte Professuren bestehen. Vielleicht ist da F.B.’s Beschränkung auf Türkisch und Persisch eine gewisse Hemmung, seine Beförderung allzufrüh vor der Regelzeit zu voll-ziehen. All das sind aber nur Schwierigkeiten des Anfangs. Später wird das alles vergessen sein.

Eine letzte Frage ist seine Berufung auf ein Ordinariat. Dafür muß zunächst eine Stelle freiwerden und da kommen ja auch außerpreußische Universitäten in Frage. Ich beurteile seine Chancen sehr günstig, eine feste Gewähr kann dafür kein Mensch übernehmen. Jedenfalls sind seinen Chancen in jedem anderen Beruf ungleich geringere und von sehr viel mehr Glücksfällen abhängig, als wenn er bei der Stange bleibt, wo ja auch seine innere Ein-stellung ihn hält. Aufhören muß aber meines Erachtens, und zwar schleunigst, der unerträgliche Zustand, daß die mangelnde Sachkenntnis Ihrer Angehörigen auf Sie drückt und dadurch die Nerven F.B.’s in Grund und Boden gewirtschaftet werden. Ich bin der Meinung: Heiraten Sie und richten Sie sich bescheiden ein. Bescheiden und entbehrungsreich wird es sein – so haben die Ehen aller großen Gelehrten begonnen, die jetzt die Welt mit ihrem Ruhm erfüllen. Ich weiß, was das auch von der Frau verlangt. Trauen Sie sich die Kraft zu, dann machen Sie schleunigst dem jetzigen unerträglichen Zustand ein Ende. Anstellungsdekrete und Professorentitel machen nicht das Glück der Ehe. Die Chancen sind da – greifen Sie vertrauensvoll zu – oder trennen Sie Ihre Wege, wenn Ihnen dies Vertrauen fehlt, aber der jetzige Zustand führt zur Katastrophe. Das sollten sich die sehr genau überlegen, die Ihrer Ehe widerstreben. Das Mißtrauen gegen F.B. ist menschlich wie beruflich völlig abwegig.

Mit herzlichen Wünschen Ihr ganz ergebener CHB.

 

118. C.H.B an seine Ministerkollegen. Berlin-Steglitz, 10.8.1926

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident. (Kollege)

Anliegend erlaube ich mir Ihnen zu Ihrer persönlichen Kenntnisnahme eine Aufzeichnung zu überreichen, die ich über meine ungarische Reise gemacht habe. Sie ist nicht zur Veröffent-lichung bestimmt.

Mit verbindlichen Empfehlungen Ihr sehr ergebener C.H.B

Vorstehendes Schreiben erhalten:

  • Preußischer Min.Präs. Braun
  • Finanzminister Dr. Höpker-Aschoff
  • Min.für Handel u. Gewerbe Dr. Schreiber
  • Justizminister Dr.am Zehnhoff
  • Min.f.Landwirtschaft u.Forsten Steiger
  • Min. für Volkswohlfahrt Hirtsiefer
  • Min. des Innern Severing
  • Reichsmin. des Innern Dr.Külz
  • Reichmin.des Äußeren Dr.Stresemann
  • Gesandten und bevollm. Min. Freiherr von Schoen, Budapest, Gesandtschaft

(Leider liegt der Bericht nicht bei. BB)

Minister C. H. Becker mit seinem Gast Rabindranaht Tagore
Minister C. H. Becker mit seinem Gast Rabindranaht Tagore 1 Rabindranath Tagore, Bengali, *1871 Kalkutta +1951 Kalkutta

 

119. Rudolf Wischnewsky an C.H.B. Berlin, 29.1.1929

Sehr geehrter Herr Minister!

Die Weihnachtsferien, die mit dem Tanzfest im Ministerium so schön eingeleitet wurden, sind nun leider auch vorüber. Ich hatte die Unverfrorenheit jetzt vor dem Examen volle drei Wochen Ferien zu machen, die chemisch mir waren wie Medizin, fast sogar an jeden Gedanken an Medizin.

Ich hoffe, daß es Ihnen gelungen ist, wenigstens für wenige Tage die geplante Fiktion auf-recht zu erhalten, als läge Steglitz ganz weit weg von Berlin und dem Kultusministerium. Ich war in den Ferien zuerst ein paar Tage in Breslau, dann in Neiße bei meinen Schwestern und schließlich noch 10 wundervolle Tage in Oberschreiberhau bei meinem Bruder, der dort Kaplan ist.

Diese 10 Tage waren die eigentlichen Ferien, denn ich konnte beinahe alles tun, was ich in Berlin, also „im Dienst“ nicht tun kann und so gern tun möchte. Es war herrlich. Konnte ich nicht skiern, so konnte ich doch rodeln und als dann sogar der Schnee fast ganz wegtaute, war auch gleich richtiges Frühlingswetter. Ich kam auch wieder einmal dazu, in Ruhe zu lesen. Mein Bruder ist wie ich ein Büchernarr und da hatte ich reichlich Auswahl. Ich las 2 Bände wundervolle „Römische Briefe“ von Konrad von Schlözer. Ich bin überrascht und beschämt von der unglaublichen umfassenden Bildung dieses Mannes Und die billige Ausrede, das wäre doch alles nur formale Bildung will hier gar nicht verfangen. Alles ist mit so viel Anmut und Wärme geschildert, daß man als ganz sicher empfindet, daß all die Liebe und Begeiste-rung Schlözers für Roms Kultur ein Bestandteil seiner Persönlichkeit waren, nicht nur so ein formales „Bescheidwissen“. Glauben Sie nicht auch, daß diese Leute aussterben? Dann las ich Lettenbauers „Friedrich der Große“. Ich habe ihm aus ganzer Seele zugestimmt. Ich glaube auch, um zu sehen, daß Friedrich der Große ein großer Mensch war, braucht man nur seine Totenmaske anzusehen. Für mich ist das Buch „Das ewige Antlitz“ und besonders die Masken Friedrichs und Beethovens geradezu eine Apologie der Menschheit. Ich finde diese Gesichter sind Schranken für den modernen Relativismus. Wenn es auch nur zwei wirklich Große gab, dann reden die Literaten mit aller subtilen Analyse am Wesentlichen vorbei. Verzeihen Sie bitte diese Ihnen vielleicht etwas hitzig erscheinenden Sätze. Aber es ist eines der Themen, über das ich mich immer errege und – nicht mehr –es ist die Frage überhaupt, ob Friedrich der Große nur ein etwas weniger ausgesprochener Teufel (?) war als Herr Hugenberg, und Christus nur ein eben ein etwas begabterer Phantast als Lenin, oder ob nicht da doch Unterschiede qualitativer Natur bestehen.

Jetzt komme ich natürlich wieder kaum noch zum Lesen. Denn obwohl ich bis jetzt mit gänzlich unberechtigter Gelassenheit dem Examen entgegensehe, muß ich doch arbeiten. Man liest jetzt wieder einmal in der Zeitung viel vom Kultusministerium und so weiß ich, daß es auch Ihnen an Arbeit nicht fehlen wird, die wahrscheinlich zum Teil noch weniger erfreulich ist, als Arbeit für ein Examen.

Ich bitte Sie, mich Ihrem ganzen Hause zu empfehlen und bleibe Ihr, Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, sehr ergebener Rudolf Wischnewsky

 

120. Handschriftlicher Entwurf eines Briefes an Herrn Rahmann von C.H.B

Besprechung des Buches von Höhn „Der bürgerliche Rechtsstaat und die neue Front“. Marienbad, Hotel Weimar, 25.7.1929

Hochverehrter Herr Rahmann!

Als ich Ihnen am 11. Juli kurz vor meiner Abreise eine kurze Empfangsbestätigung des mir mit einigen handschriftlichen Zeilen übersandten Buches von Höhn „Der bürgerliche Rechtsstaat und die neue Front“ zugehen ließ, hatte ich gleich die Absicht, Ihnen nach der Lektüre des Buches ausführlicher zu schreiben. Wenn ich das heute aus der Stille meines Kuraufenthaltes heraus tue, so geschieht dies nicht nur, weil mich das Buch sehr lebendig interessiert und mich zum ersten Mal systematisch mit Ihrem politischen Wollen bekannt gemacht hat, sondern auch weil ich bei unserer ersten Begegnung aus Ihren Ausführungen und der Schnelligkeit Ihres Verstehens einer von Ihnen vorher vielleicht anders beurteilten Lage die Überzeugung genommen habe, daß die Sache wie (unleserlich? Führen) eine ernste Auseinandersetzung verdienen. Ich brauche wohl nicht besonders betonen, daß dieser Brief kein amtlicher, sondern ein persönlicher ist und sich auch nicht an den Großmeister des preußischen Ordens, sondern an den Schöpfer einer neuen politischen Idee wendet.

Vorausschicken möchte ich, daß ich keiner politischen Partei angehöre, mich persönlich zur Demokratie, aber nicht zur Demokratischen Partei bekenne; daß ich früher überzeugter Monarchist war, nach den Erfahrungen der letzten 15 Jahre aber ebenso überzeugter Republikaner geworden bin. Meine Arbeit war immer kulturpolitisch. Ich vertrete die Überpartei-lichkeit der Kulturpolitik, weil alle Teile unseres Volkes an der Erhaltung und Erhöhung unseres kulturellen Wissens gleichmäßig interessiert sind Die sachliche Einstellung muß natürlich, um wirken zu können, mit den politischen Machtverhältnissen (Einvernehmen her-stellen). Die Schule ist nun einmal ein Politicum. Die Auffassung von meinem Amt ist die des Treuhänders. Die polit(ischen) Einflüsse können nicht ausgeschaltet werden, deshalb müssen sie paritätisch ausgeglichen werden. Die Verfassungsmäßigkeit der Republik steht außer Frage, ihr muß auch die Schule dienen. Die Schule darf aber nicht das Instrument des polit(ischen) Machthungers einzelner Parteien werden. Im Unterrichtsministerium müssen alle nicht 2staatsfeindlichen Kräfte zu Gehör und Auswirkung kommen. Das wird von den Linksparteien gelegentlich mißverstanden. Die Stimmenthaltung einiger Sozialdemokraten bei dem jüngsten Mißtrauensvotum gegen mich wird durch den Vorwärts damit begründet, daß ich einen Reaktionär auf einen leitenden Posten gesetzt hätte. Richtig ist, daß ich neben Vertretern der SPD, des Z(entrums) und der liberalen Kreise auch einen bewußten Vertreter der evang(elischen) Konfessionsschule, der zufällig d(eutsch)nat(ional) ist, in den Kreis meiner schulischen Berater aufgenommen habe. Es war der klare Ausdruck meines politi-schen Wollens. Diese Treuhänderrolle ist aber nur so lange möglich, als die Eigensucht der Parteien keinem ausgesprochenen Parteivertreter das wichtige Kultusministerium gönnt; kommt auf irgend einer Basis ein alle Reg(ierungs)parteien befriedigender Ausgleich zustande, ist die Politik des Treuhändertums und der Sachlichkeit zu Ende und auch das Bildungsministerium wird zum Objekt der parteipolitischen Machtverteilung. Ich habe das gleich eingangs ausgeführt, weil es meine Stellungnahme zu Ihren Vorschlägen verständlich machen wird.

Weiter möchte ich vorausschicken, daß ich viele Voraussetzungen des Höhn’schen Buches bejahe:

    1. die Unmöglichkeit unserer parlamentarischen Zustände, begründet durch die Übertragung für das individualistische liberale Zeitalter geschaffenen Formen auf den modernen Massenstaat,
    2. die Idee des Staates als lebendig sich erneuernden Organismus mit weitgehender Anerkennung der Smend’schen Integrationslehre, zu der ich mich auch schon in einem Aufsatz bekannt habe. Die Gleichheit unserer Auffassung geht hier so weit, daß ich die Formel „Der Staat sind wir“ mit all seinen Konsequenzen in zahlreichen Reden variiert habe, immer vom Dienst, nicht vom Nutzen aus gesehen.
    3. Auch ich anerkenne die Gemeinschaft als das Höhere, wenn ich auch das Schöpferische nur dem Individuum zusprechen kann, bis zum Volkslied hinab.
    4. Den Gedanken des Zellenaufbaus des Staates halte ich auch für richtig, auch ich glaube, daß nicht die Zweckmäßigkeit respektive die rationale Vernunft, sondern der irrationale Mythos aufbauende Kraft besitzen.3

Aber hier setzt, im Kern Ihrer Lehre, auch meine Kritik ein. Ihre Lehre kontrastiert wunder-voll Interesse und Mythos. Dem Mythos der „Nachbarschaft“ steht das Interesse der Parteibildung gegenüber. Ich bin mein ganzes vorministerielles Leben Religionsforscher gewesen und verstehe etwas vom Mythos und ethnischem Kollektivismus. Für mich liegt die Schwie-rigkeit darin, daß in der primitiven Zeit Mythos und Interesse noch nicht geschieden waren, daß vielmehr auch das materielle Interesse nur in der Form des Mythos Gestalt gewinnen konnte. Auch die altgermanische „Nachbarschaft“ von Sippe oder Sen (?) oder Genossenschaft waren eben nichts anderes als Interessenverbände, die noch als myth(ische) Gemeinschaft empfunden werden konnten, weil die Interessen noch nicht wirtschaftlich oder weltanschaulich differenziert, sondern identisch waren. In jedem solchen Mythos steht aber zugleich ein Interesse. Nun bin ich ganz Ihrer Meinung, daß die differenzierten Interessen nur durch einen mythischen oder wie sonst immer zu benennenden, aber jedenfalls irrational begründete Gemeinschaftlichkeit überwunden werden können, ja müssen, aber so einfach ist die Sache denn doch nicht., daß man nur den neuen Mythos der Nation zu proklamieren brauchte, um alle Parteien und Klassen ihre Interessen vergessen zu lassen.

Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß Ihre Zellentheorie mit der sich daraus ergebenden Fritzermanslex (?), dem seit langem praktizierten Ausleseprinzip der SPD zum Verwechseln ähnlich ist. Es ist das Prinzip der sog. „Zahlabende“. Zahlabende sind nichts anderes als ihre „Nachbarschaften“. Da kennt man sich, da spricht man sich über alle Tagesfragen aus. Nur wer sich hier bewährt, hat Aussicht emporzusteigen und ein Mandat zu erlangen. Das ist der Grund, warum Akademiker es so schwer haben in der SPD aufzusteigen, weil nur auf den Zahlabenden, die für Gebildete manchmal mordslangweilig sein sollen, das nötige Vertrauen erworben werden kann.4 Einer meiner jüngeren Freunde ist diesen Weg gegangen und wird dann auch nach etwa 2jähriger Tätigkeit als Vertrauensmann seiner „Nachbarschaft“ bestimmt, die Parteileitung des Ortes bei der Aufstellung der Kandidaten für die bevorstehenden Wahlen zu beraten. Sie sehen genau Ihr System, nur mit dem Unterschied, daß eben die „Nachbarschaft“ wohl einen beschränkten örtlichen Bezirk, aber unter der Voraussetzung der Zugehörigkeit zur SPD, d.h. also einer Interessengemeinschaft darstellt.

Halten Sie die beiden letzten Gedankengänge zusammen, so ergibt sich die angenehme Schwierigkeit, örtliche Zellen zu schaffen und zwar tragfähige Zellen, denn auf ihnen ruht ja das ganze Gebäude Ihres Staates, während beider ersten Ansprache innerhalb einer Zelle, die ja wohl durch Staatsgesetz als für alle Interessenten und Parteien verpflichtend mit lokalen Grenzen stabilisiert sein müßte, das ganze Wesenshafte(?) unserer differenzierten Kultur zum Ausbruch kommen würde. Lassen Sie aber die Zellen wie bisher in Ihren Reden unter lokalen Führungspersönlichkeiten entstehen, wie alle „Bünde (?), so haben Sie darin doch immer nur einen Teil des Volkes organisiert, d.h. Sie schaffen eine neue Partei. Es wird also alles von der suggestiven Kraft Ihrer Lehre abhängen – denn Gewalt wollen Sie ja offenbar nicht anwenden -, aber gerade wenn es ein freier Kampf der Geister wird, unterschätzen Sie nicht die angenehme Macht der letzthin in den Parteien organisierten großen Interessenverbände. Gerade meine persönlichen Erlebnisse – damit komme ich aufmeine Eingangsvoraussetzungen zurück – haben mich belehrt, daß die Macht der Parteien5 nicht absondern zunimmt und daß gerade das allgemeine Geschimpfe über sie nur ein Beweis dafür ist, wie allmächtig sie geworden sind. Ich bin bestimmt der letzte parteilose Kultusminister und nur möglich, weil ich in der Übergangszeit gerade da war und die Beuteverteilung vorübergehend nicht glatt ging. Wäre ich Marxist, so könnte ich das Parteiregiment mit der kapitalistischen Wirtschaft vergleichen: es muß erst seinen Höhepunkt erreichen, ehe es durch die neue Ordnung der Dinge ersetzt werden kann. Aber gibt es nicht zu denken, daß Marx6 ein falscher Prophet ist?

Bitte nehme diese Zeilen als Ausdruck meines großen persönlichen Interesses an Ihrem politischen Wollen und zugleich als Dank für das wertvolle Höhn’sche Buch. Ich würde mich sehr freuen wenn ich nach meiner Rückkehr einmal Gelegenheit hätte, Ihre Ideen mündlich mit Ihnen zu erörtern. Ich ringe auf dem Gebiet der Schule mit ähnlichen Ideen, aber gerade deshalb sehe ich auch so scharf. Und fest (auf) die schicksalhaften Grenzen, die der größten Gläubigkeit gezeigt sind.

 

121. Ulrich Nyack an C.H.B. o.O. 30.1.1930

Mein lieber Carl!

Wenn es Grimme7 würde, so wäre das wenigstens ein gewisser Trost. Ich sah ihn vor zwei Jahren, als er auf Deinem Presse-Tee das beste Referat über die Verfassungsfeiern in den Schulen hielt, und er machte ja wirklich einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Dir wird es den Abbruch Deiner Arbeit erleichtern, wenn Du sie den Händen eines solchen Mannes, eines solchen Menschen anvertrauen kannst.- Aber vielleicht ist auch dies wieder nur falscher Alarm. Wenn ich doch jetzt bei Dir wäre und Du nur die Kungler fünf Minuten vor Beginn der Tagesarbeit erzählen könntest, wie in den beiden unvergeßlichen Wochen, die ich im Ministerium verbrachte. So ahne ich ja nicht, welche besonderen Momente mitspielen, und vielleicht den Ausschlag geben. Gern wüßte ich, ob die Kandidatur Grimme nicht vielleicht sogar Deine Idee ist, als menschlich-politisch beste Lösung für den Fall, daß Dein Rücktritt doch unvermeidlich würde. Ich trauere ja doch um „unseren“ Kultusminister und mit mir wird es der ganze Kreis tun und gewiß nicht minder!

Aber ob es Dir nicht sogar zu wünschen wäre, wenn Du etwas zur Ruhe und Freiheit kommst, das ist eine andere Frage. Was wohl für Pläne über Deine künftige Position bestehen? Ob von etwas Anderem die rede ist, als von wissenschaftlicher Heimkehr? Eigentlich wäre es ja unsinnig, Deine Erfahrung brach liegen zu lassen. Aber das brauchtest Du ja in keinem Falle zu tun. Ein politisches Buch von Dir – vielleicht doch eine Autobiographie im Rahmen zehnjähriger preußischer Kulturpolitik – wäre wahrhaft zu wünschendes Ereignis.

Erst 14 Tage sind es her, seit Du hier warst, und längst wollte ich Dir noch einmal von Herzen für Deinen Besuch danken, der einzigartig schön und erquickend für den von der Berliner Zentralsonne abgeschleuderten „Privatgelehrten“ war. Wie lange ich diese Rolle noch spielen darf, die ein wahrer Segen für mich in diesen Jahren wäre, wird sich bald entscheiden. Moltke schrieb mir vorgestern, daß Stowser (?) jetzt ein Kabel mit Antwort an Deinen amerikanischen Becker senden wird, um zu wissen, was er finanziell erreicht hat. Wird es nichts, so muß ich aber am 1. Mai die Assistentenstelle antreten, und ich hoffe nur das eine, daß Richter dann auch das Privatdozentenstipendium, wie stets bisher, erneuern wird, denn von den 300 Mark des Assistenten könnten wir gar nicht hier existieren. Aber man soll nicht Sorgen vorwegnehmen, die vielleicht gar nicht eintreten; unwillkürlich zerbricht man sich aber als Familienvater den Kopf darüber, was kommen könnte und was dann gemacht werden müßte.

Vorläufig plane ich noch, zum Historikertag nach Halle zu gehen, da ich ja dort voraussichtlich bei Pallots wohnen kann. Überhaupt komme ich von Mitte März bis Mitte April nach Berlin bzw. vom 20. März an. Dann bist Du doch jedenfalls noch da? Sonst versuche ich, wenn es geht, früher zu reisen! (Ich will bei Farkas(?) meine Vorlesung vorbereiten!)

Kürzlich hatten wir einen sehr interessanten Abend bei Heinrich Simon, der uns auf Empfehlung von Schairer zu einem Abendessen im kleinen Kreise einlud, darunter der recht langweilig aufgedrahtete Kasimir Edschmid. Simon selbst aber war reizend und begeistert, in mir einen Neffen Otto Erich Hartlebens zu treffen; er erzählte mir und zeigte mir sehr Interessantes von Hartleben, z.B. einen Brief von ihm an seine Gardasee-Frau über Steiner, der so betrunken nach Hause gekommen sei, daß er einen Brief an Hartleben von dieser Frau, den er weiterbefördern sollte, nicht einmal liegen gesehen habe, daher die verspätete Antwort! Usw. Simon hatte den Brief schalkhafterweise veröffentlichen wollen, als Steiner noch lebte – aber in dem Augenblick starb er, und da fand er es zu häßlich.

Im übrigen steht alles gut bei uns. Wenn ich nur bald auch von Dir hörte. Ich denke mir, Du wirst jetzt vor allem Gewißheit wünschen. Sobald auch ich sie habe, werde ich Dir wieder schreiben. Ich bin so sehr mit allen Gedanken bei Dir. Bitte grüße auch die Deinen allerbestens von uns.

„Mit Willen und für immer Dein Schuldner“. Ulrich

 

122. C.H.B. an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Berlin, 7.7.1930

(Herrn Minister Grimme?) (Maschinenkopie)

Am 18.August d.J. beabsichtige ich, eine längere Studienreise nach den Vereinigten Staaten anzutreten, wohin mich mehrere Universitäten zu Vorträgen eingeladen haben. Da es mir nicht möglich sein wird, zu Beginn des Wintersemesters zurück zu sein, bitte ich hierdurch, mir einen Urlaub für den Monat November zu bewilligen. Ich rechne damit, Anfang Dezember meine Vorlesungen aufzunehmen.

Ich beabsichtige, die Reise im allgemeinen persönlich zu finanzieren, wäre aber trotzdem dankbar, wenn mir aus dem Fonds des Ministeriums eine Reise-Unterstützung bewilligt werden könnte, da ich – namentlich zur Vorbereitung der Reise und Bestreitung der Reisekosten – ziemlich erhebliche Mittel flüssig machen muß und auch die mir zufließenden Vergütungen im einzelnen noch nicht feststehen.


1 Rabindranath Tagore, Bengali, *1871 Kalkutta +1951 Kalkutta

2 Hervorhebung vom Herausgeber.

3 Strukturierung vom Hersausgeber.

4 Das hat sich bis heute nicht geändert…

5 Hervorhebung vom Herausgeber.

6 Hier handelt es sich natürlich um Karl Marx.

7 Hans Grimme *1889+1963, SPD-Politiker und als Pädagoge ein entschiedener Schulreformer. Nachfolger Beckers 1930-33

Rede zu Ehren Max Liebermanns, o. J.

115. C.H. Becker, Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. (Berlin, undatiert).

Rede zu Ehren von Liebermann1

Täglich führt mich der Weg von meinem Haus zum Amt (in der Wilhelmstraße) an der Berliner Wohnung Liebermanns vorbei, deren Fenster hier nach dem Tiergarten, dort nach dem Pariser Platz blicken. Mir will es scheinen, als könnte Liebermann nirgendwo sonst sein Heim haben, als wiesen seine Persönlichkeit und sein Schicksal ihn mit Notwendigkeit gerade an diesen topographischen Ort.

Der Maler sieht aus seinen Fenstern auf den Pariser Platz hinüber zur Akademie der Künste, hinein in die alte preußische via triumphalis. Welch ein Berlinischer Prospekt – voll von Erinnerungen an die politische und künstlerische Geschichte der Vaterstadt Liebermanns! Es ist der Boden, über den seine malerischen Wahlvorfahren: die Chodowiecki, Schadow, Steffeck und Menzel geschritten sind. An der edlen Zurückhaltung der monumentalen Bauten: des Brandenburger Tores, der Akademie der Künste freut sich das zu höchsten Ansprüchen erzogene Auge des Malers, im Raume dieses Platzes fühlt er sich stolz als Berlinischer Bürger, der Teil hat an alter Familien- und Stadtkultur. Hier berührt uns täglich der Hauch einer großen Tradition, deren Wert der Präsident der Preußischen Akademie der Künste so oft und so eindrucksvoll mit Goethischem Geist und Kantischer Strenge betont hat. Liebermann ist nicht außerhalb Preußens und Berlins, Berlinische Kunst und Preußischer Stil sind nicht ohne Liebermann zu denken.

Und nun ein Blick durch die andere Fensterfront seines Heims, über die Bäume des Tier-gartens hinweg: ein Stück Landschaft mitten in Berlin. So sehr Liebermann Großstädter ist – nach Herkunft, Anlage, Lebensart und Leidenschaft, so sehr ist er Verehrer und Deuter der nordischen Natur, Gestalter unserer Landschaft. Wo immer dieser Maler seine Staffelei hingesetzt hat: auf Thüringische Wiesen, in die Dünen und Gärten Hollands, an die Ufer der Seine, der Alster oder der Havel: stets empfängt er vom Objekt das Gesetz. Ehrfurcht und Sachlichkeit führen seine Hand. Phantasie ist ihm nicht die Kraft, sich etwas „auszumalen“, sondern etwas Gesehenes zu malen. Die Grenzen zwischen Malerei und Dichtung hat Liebermann, ein Lessing des Pinsels, mit kritischer Schärfe, zugleich aber aus der Unmittelbarkeit des schöpferischen Erlebnisses heraus, bezeichnet.

Wie sein äußeres Leben harmonisch zwischen Stadt und Land sich abspielt, wie er an der Grenzstelle zwischen Großstadtlärm und Gartenstille wohnt, so halten sich in seinem künstlerischen Charakter Verstand und Gefühl wundervoll die Waage. Daß der große Künstler zugleich einer der Höchstgebildeten seiner Nation nicht nur sein kann, sondern sein muß, wenn immer er wirklich zur repräsentativen Figur werden soll, das zeigt Liebermanns Beispiel.

Es ist daher dem Preußischen Kunst- und Bildungsminister eine freudige Pflicht, dem vornehmen Bürger, dem genialen Maler, dem geistreichen Denker und dem von hohem Pflichtgefühl erfüllten Präsidenten der Akademie den Dank und die Anerkennung der Staatsregierung auszusprechen.

C. H. Becker mit Max Liebermann und Familie, sowie Waetzoldt
C. H. Becker mit Max Liebermann und Familie, sowie Waetzoldt

 


1 *1847 Berlin +1935 in Berlin

Staatssekretär Hänisch, 1921

Rep.92. Nr.7986 Verschiedene Korrespondenzen 1921-32

114. C.H.B., Staatsekretär, an Minister (Hänisch?). (Berlin), 30.3.1921 (Kopie)

Hochverehrter Herr Minister.

(Auszug)

So habe ich (vor Ostern) einige Sachen erledigen müssen, die ich sonst unter allen Umständen Ihnen vorbehalten hätte, wie z.B. die Koblenzer Hilda-Schul-Angelegenheit. Nach langer Beratung mit Hess und Kaas ist verabredet, daß die Hilda-Schule und ein zweites katholisches Lyzeum verstaatlicht und damit paritätisch werden, daß aber in der Praxis an dem bestehenden konfessionellen Charakter nichts geändert werden soll. Es war der einzige Ausweg.

Und dann habe ich die Disziplinaruntersuchung gegen den Studienrat Wagner in Velbert niedergeschlagen, da er sein Pensionsgesuch eingeeicht hatte und Landé dazu riet. So gab es noch eine ganze Reihe anderer Dinge, die keinen Aufschub vertrugen.

Für Ihren freundlichen Brief besten Dank. Schon vor Ihrem Brief hatten wir hier beschlossen, ein Exemplar der Geschichtstabelle an Ludo Hartmann zum Votum zu schicken. Ich glaube, das Urteil von Meineke und Delbrück hat mit Sozialismus und Nichtsozialismus nichts zu tun, sondern es ist eine Frage des Verhältnisses zum Stoff und zur Stoffmasse. Übrigens braucht die Tabelle gar nicht unbrauchbar zu sein, wenn sie auch für Schulzwecke ungeeignet sein sollte.

Ich habe übrigens mit Interesse die Verhandlungen auf Ihrem Kulturtag im Vorwärts gelesen und besonders ad notam genommen, daß der Vorsitzende des Kulturbeirats beim Parteivorstand wichtiger sein soll als der preußische Kultusminister. Merkwürdig ist doch, wie sehr Ihre Partei immer noch in Utopien lebt.1 Finanzen und Menschen scheinen im luftleeren Raum des Idealismus keine Rolle zu spielen. Ich bin oft als Schwärmer und Fantast verschrien worden; aber ich komme mir entsetzlich maître au fait vor, wenn ich das so hohe Lied der Bildung und Kultur lese, das auf Ihrem Parteitag angestimmt wurde.

Hoffentlich haben Sie einige geruhsame Tage und kommen erfrischt zurück. Ich darf ehrlich von mir sagen, daß ich etwas aufgebraucht bin, obwohl ich gestern im Troubadour war und mich an der Onegin erbaut habe. Nach all dem modernen Zeug von Wagner bis Schrecker tut einem ein Verdi doch wirklich gut, wo die Leute noch richtig singen und alle Leidenschaft und Tragik doch immer so hübsch distanziert bleiben, daß man nie vergißt, in der Loge zu sitzen.

In bekannter Gesinnung Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)


1 Hervorhebung vom Herausgeber.