Willy Bornemann

HA.VI. Rep.92. Becker B. Nr.7920 (Willy Bornemann 1910-1930)

104. C.H.B. an Dr. Willy Bornemann, Frankfurt, Zeil 72 Hamburg (?), 22.10.1910

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Lieber Willy!

Du bist zwar ein hartnäckiger Schweiger, aber wenn man etwas von Dir will, muß man Dir trotzdem wieder schreiben. Bitte sei so freundlich und bestelle mir denselben schönen Turnapparat, den Du unserem Walter geschenkt hast, für mein Patenkind Joachim Becker, Arndt-str.25. Veranlasse bitte, daß er in meinem Auftrage dorthin geschickt wird und daß mir gleichzeitig hierher die Rechnung zugeht. Ein kleines Briefchen lege ich bei.

Hoffentlich geht es Allen so gut wie bei uns; die Photographien wirst Du wohl erhalten haben.

Herzlichst Dein alter (C.H.B.)

 

105. C.H.B. an Willy Bornemann. Hamburg, 29.12.1910

Maschinenkopie

Lieber Willy!

Zu Weihnachten haben wir gegenseitig ohne viel Worte unserer beiden Söhne gedacht, und ich hoffe, daß der Trambahnwagen Carl soviel Freude gemacht hat, wie Walter das Pilzbuch, mit dem Du gerade eine Liebhaberei von ihm getroffen hast. Stinkpilz ist seitdem ein Lieb-lingswort bei uns geworden. Nimm jedenfalls vielen Dank für die beiden Geschenke.

Punkt 2 meines Briefes betrifft den Jahreswechsel, zu dem Hedwig und ich Duttan und Dir alles Gute wünschen. Möge Euch Euer Kleiner auch im folgenden Jahre so viel Freude bereiten und Ihr selbst so glücklich und befriedigt Euer Leben genießen, wie bisher.

Ich freue mich, Dich in wenigen Wochen wiederzusehen. Am 25. Januar halte ich in Frankfurt und zwar im Verein für Geographie und Statistik einen Vortrag über die Araber in Spanien. Es wäre nett, wenn Du hinkommen könntest. Ich glaube, Du hast mich noch nie sprechen hören. Es wird allerdings diesmal eine milde Plauderei, da das gebildete Frankfurt nicht ohne Lichtbilder auskommen konnte. Ich fahre dann von Frankfurt weiter nach Metz, Saarbrücken und Neunkirchen, wo ich über sympathischere Dinge Vorträge halten werde. Dann gehe ich für 14 Tage nach Hamburg zurück, um hier am 20. Februar über Marseille nach Ägypten zu fahren, wo ich ohne Frau zwei Monate verbringen will.

Alles Nähere mündlich und damit Prosit Neujahr!

Von Herzen Dein alter (C.H.B.)

 

106. Willy Bornemann an C.H.B. o.O. (Frankfurt/M?), 31.12.1910

Lieber Carl!

Herzlichsten Dank für Deine lieben Zeilen und auch in Carlchens Namen für den prächtigen Trompetenwagen (? Schlecht leserlich) , mit dem Du ihm eine riesige Freude gemacht hast. Für alles was fährt, ist er begeistert, und so konntest Du ihm gar nichts Erwählteres schenken, als jetzt einen Wagen.

Wir hatten recht unruhige Weihnachten und zwar infolge der Verlobung meiner Schwester. Es kam sehr plötzlich 10 Tage vor Weihnachten, wird erst in den nächsten Tagen öffentlich. Der Bräutigam Carl Barthet ist ein sehr netter Mensch, Inhaber der Ferien-Lampen, aber eigentlich ein besserer Schneider, was man ihm aber durchaus nicht anmerkt. Vielleicht er-innerst Du Dich seiner von der alten Schule her, obwohl er 5 Jahre jünger war als wir. In

pekuniärer Beziehung ist die Partie eine sehr gute, und da Emmy durch ihre reichen Freundin-nen recht verwöhnt war, wird sie den vielen Mammon schon anzuwenden wissen. Vielleicht noch besser als der Bräutigam gefällt mir dessen noch ledige Schwester, so gut, daß ich Tutten schon eifersüchtig gemacht habe. Auch der Vater (die Mutter ist tot) macht einen gemütlichen guten Eindruck.

Meine Mutter ist natürlich froh darüber, daß sie Emmy glücklich versorgt weiß. Ich hoffe, sie wird sich nun selbst etwas mehr (Ruhe? Weggelocht) gönnen, nachdem sie eingesehen, daß sie mit all ihrer Plackerei es doch nicht zu Ergebnissen hat bringen können, die im Vergleich zu den Lampen respektive Barthet’schen Mammon irgend in Betracht käme.

Uns in der Fürstenhofstraße geht es gut.- Wir freuen uns sehr auf Dein Herkommen am 25.1. Ich wünschte, ich könnte auch mal aus meiner Tretmühle heraus. Alle Tage immer mehr Krankheit mit ansehen müssen, ist ein bißchen reichlich viel. Man gewöhnt sich aber auch daran.

Mit den herzlichsten Neujahrswünschen von Haus zu Haus Dein aller Willy.

 

107. C.H.B. an Willy Bornemann. O.O. (Hamburg?), 11.1.1911

(Maschinenkopie)

Lieber Willy!

Ich habe Dir schon geschrieben, daß ich am 25. Januar in Frankfurt einen Vortrag halte. Da ich annehme, daß Du nicht Mitglied des Vereins für Geographie und Statistik bist und da Einzel-karten nicht ausgegeben werden, schicke ich Dir anbei zwei Karten, die Du im Verhinderungsfalle weitergeben kannst.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

108. C.H.B. an Frau Bornemann, Frankfurt. Bonn, 8.12.1914

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Liebe Frau Bornemann!

Diesmal habe ich wirklich den 4.Dezember vergessen, obwohl er doch in meinem Kalender wie jedes Jahr rot angestrichen war. Was werden Sie von mir gedacht haben? Ich hoffe, Sie haben es auf Konto des Krieges gesetzt, der uns ja allerdings etwas aus dem normalen Leben herausreißt. Ich hatte den Kopf so voll und reiste außerdem gerade in diesen Tagen zum Besuch meiner Schwester Riedel nach Magdeburg, daß ich es wirklich vergaß, Ihnen zu gratulieren. Lassen Sie es mich es heute nachholen und Ihnen in dankbarer Treue meine herzlichsten Glück- und Segenswünsche aussprechen. Meine Frau schließt sich mir natürlich aufs Herzlichste an.

Von uns kann ich im allgemeinen nur Gutes berichten. Zwar ist unsere Hertha zur Zeit an Mumms erkrankt; aber dafür geht es den Anderen gut. Sorge hatten wir eigentlich nur wegen meiner Mutter, die plötzlich fiebrige Verdauungsstörung bekam und stark abfiel, was in ihrem Alter doch immerhin bedenklich ist. Jetzt scheint sie es wieder überwunden zu haben.

Von unseren Verwandten im Felde haben wir bisher gute Nachricht. Mein Bruder Alex steht sogar noch in Hannover. Der Bruder meiner Frau ist durch einen Zufall bayerischer Nachrichten-Offizier bei meinem Schwager Riedel geworden, der in der Gegend von Arras die preußische Nachbar-Division führt. Zwei Söhne meines Schwester stehen in Rußland, einer ist auf einem Kriegsschiff. Bisher ist alles gut gegangen.

Aber sonst hat sich der Kreis der Freunde doch sehr gelichtet, und auch habe manchen verloren, der mir nahe stand. Leider bin ich selbst verdammt, still zu Hause zu sitzen, doch habe ich mich bemüht, wenigstens mit der Feder mein Teil beizusteuern. Auch hoffe ich, da noch einiges leisten zu können. Es ist eben auch ein geistiger Kampf, der jetzt tobt. Gottlob dürfen wir ja guten Mutes in die Zukunft sehen. Die neuesten Ereignisse in Rußland scheinen ja sehr günstig zu sein.

Mit herzlichen Grüßen an Ihre Kinder – ich denke auch oft daran, wie es Hans ergehen mag – bin ich in alter Freundschaft Ihr getreuer (C.H.B.)

 

109. C.H.B. an Willy Bornemann. Bonn, 24.12.1914

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Mein lieber Willy!

Zu Weihnachten und dem neuen Jahre möchte ich Deiner Frau und Dir sowie meinem lieben Patenjungen einen herzlichen Gruß senden. Ich habe in diesen ernsten Zeiten von dem üblichen Weihnachtsgeschenk Abstand genommen, da ich nicht etwas kaufen will, was Ihr vielleicht Eurem Jungen von Euch aus schenken wollt. Auch bekommt er vielleicht zu Weihnach-ten schon soviel sonst, daß es richtiger ist, das Geschenk zu kapitalisieren. Ich lege Dir deshalb M(ark) 20,- ein mit der Bitte, sie nach Belieben für Euren Carl zu verwenden. Ich habe gar nichts dagegen, wenn Ihr sie in seine Sparkasse legt.

Von uns kann ich im allgemeinen nur Gutes melden. Wir sind zwar mit allerlei Krankheiten und Dienstbotenärger reichlich bedacht gewesen, aber was bedeutet das in diesem Jahr, wo rings um einen herum die fallen, die einem nahe stehen. Unseren engeren Familien ist es zwar bisher gut ergangen. So sind sämtliche Riedels seit dem ersten Mobilmachungstag draußen, ebenso mein Schwager Fritz, ohne daß bisher was passiert wäre. Dafür hat sich der Freundes-kreis um so mehr gelichtet, und gestern bekam ich die Nachricht von dem Tode meines treuen Schülers und Assistenten Graefe. Jahrelang habe ich in Hamburg mit ihm zusammen gearbeitet, und nun ist er bereits zwei Monate lang tot, ohne daß Eltern und Braut es wußten. Gleichzeitig starb hier Professor Sell, der uns ein väterlicher Freund geworden war und schon mei-nen Bruder Ferdinand wie dann unseren Jüngsten1 getauft hatte. Gottlob lauten die Nachrichten aus Gelnhausen wieder günstig. Eine Zeit lang hatten wir große Sorge um die Mutter, da sie ganz schwere Verdauungsstörungen mit starkem Kräfteverfall bekam. Nun scheint sie wieder hoch zu sein. Aber immerhin lastet doch all das viele Traurige auf dem diesmaligen Weihnachtsfest, und man muß sich etwas zusammenreißen, um für seine Kinder die nötige Freude zusammen zu bringen. Unser Jüngster wird diesmal den Christbaum zum ersten mal mit einem gewissen Bewußtsein erleben. Er läuft jetzt sehr nett an einer Hand, und man kann schon die Anfänge einer Unterhaltung mit ihm bewerkstelligen.

Von Deiner lieben Mutter hatte ich neulich einen rührenden Brief. Danke ihr bitte vielmals für

ihre freundlichen Berichte. Hoffentlich seid Ihr über Hans beruhigt. Ich wünsche Euch allen ein gutes Fest und ein gutes neues Jahr, das uns hoffentlich einen Frieden in Ehren bringt.

Es wird Dich noch interessieren zu hören, daß Fischler als Zivilarzt den Bonner Universitäts-Lazarettzug führt und vor einigen Wochen mit nach Frankreich abgefahren ist. Die Schwierig-keit seiner Situation wurde durch den Ausbruch des Krieges ungeheuer gesteigert. Die Lösung ist eine vortreffliche. Er ist sehr erholt und war mit wiederbeginnender Arbeit ganz der Alte. Walter Groß sitzt in Antwerpen und hat nichts zu tun, worüber er kräftig schimpft. Sehr ulkig ist auch, daß mein Schwager Fritz als bayerischer Nachrichten-Offizier zum Stabe meines Schwagers Riedel, der die Nachbar-Division führt, kommandiert ist.

Ich will am 1.Januar nach Gelnhausen, dann über Berlin nach Hamburg. Ob ich Dich auf der Durchreise sehe, weiß ich noch nicht. Dann aber wird sich wohl um den 28. Gelegenheit zu einem Wiedersehn bieten.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus, ein gesegnetes Fest und ein gutes neues Jahr! (C.H.B.)

 

110. C.H.B. an seinen Patenjungen Karl Bornemann. Bonn, 22.12.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Karl!

Zu Weihnachten sende ich Dir und Deinen Eltern unsere herzlichsten Grüße. Ich habe mir lange überlegt, was ich Dir Schönes zu Weihnachten schenken könnte; aber ich habe Dir schließlich nichts geschickt, weil ich befürchtete, Du fändest vielleicht das Gleiche unter dem Weihnachtsbaum. So sende ich Dir erliegend 20 M; davon kannst Du Dir irgendeine Freude machen, oder Du kannst sie in Deine Sparkasse tun, wie es Dir Deine Eltern raten. Als Dein Vater und ich noch klein waren, da war es immer eine große Sache, wenn Dein Vater zu Weihnachten von seinem Patenonkel 20 M geschickt bekam, und ich habe mich oft mit ihm gefreut, wie glücklich er über dieses Geld war. Nun bin ich Dein Patenonkel, und da möchte

(Schlußblatt fehlt)

 

111. C.H.B. an Frau Bornemann. Bonn, 29.5.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Frau Bornemann!

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundlichen Zeilen und weiß, daß Sie mit mütterlicher Teilnahme an der neuen Wendung meines Schicksals2 innerlich beteiligt sind. Es war mir eine große Wohltat, den bedeutungsvollen Schritt, noch ehe er öffentlich wurde, mit Willy besprechen zu können. Mittlerweile wird er ja in der Öffentlichkeit bereits sehr diskutiert, und es freut mich eine gute Presse zu finden. Hoffentlich erfülle ich alle die Wünsche, die man in mich setzt, und hoffentlich hält auch meine Gesundheit durch. Ich hätte mir diese Entwick-lung nie träumen lassen; man soll aber zugreifen, wenn einen das Schicksal vor eine große Aufgabe stellt. Und so wage ich es. Allen denen aber, die wie Sie so herzlichen Anteil nehmen, bin ich aufrichtig dankbar.

In alter Freundschaft Ihr Sie dankbar verehrender (C.H.B.)

 

112. C.H.B. an Willy Bornemann, Frankfurt, Leerbachstraße 18. Berlin, 19.2.1920

(Maschinenkopie)

Mein lieber Willy,

Zu Deinem Geburtstag sende ich Dir meine innigsten Glückwünsche. Als kleines äußeres Zeichen füge ich ein Exemplar meiner letzten Schrift bei, die ja vielleicht nicht in allen Punkten Deine Zustimmung finden wird, mit der Du aber im großen Ganzen doch einverstanden sein wirst.

Dankbar gedenke ich des herzerquickenden Abends, den ich mit meinem Freunde Wende bei Euch verbringen durfte. Ich bin Dir und Deiner lieben Frau wirklich von ganzem Herzen dafür verpflichtet, daß Ihr mich bei meinen zahlreichen Besuchen immer wieder mit der gleichen Herzlichkeit aufnehmt, obwohl unsere Gastfreundschaft in den letzten Jahren so eine ausschließlich einseitige geworden ist und ich immer nur der empfangende Teil bin. Niemals verlasse ich Eure Wohnung ohne das lebhafte Bedauern, daß uns das Leben örtlich so weit auseinandergebracht hat. Unsere gemeinsam verbrachte Jugend und unsere innere Entwick-lung aneinander bilden für uns beide einen unveräußerlichen Besitz, und wenn ich an Deinem Tische sitze, versinken die 20 Jahre, die zwischen unserm gemeinsamen Leben und der Gegenwart liegen, in einem Meer des Vergessens. Besonders dankbar bin ich auch Deiner lieben Frau, die mit unvergleichlichem Verständnis unser altes Verhältnis vertieft und bereichert hat. Diesmal hatte ich mir vorgenommen, noch einmal besonders zu Euch zu kommen, um etwas mehr Fühlung mit Carl zu bekommen; aber leider mußte ich meinen Plan ändern. Nach sehr anstrengenden Tagen in Marburg und Frankfurt – beide Veranstaltungen aber von Erfolg begleitet – war ich so müde, daß ich mich 8 Tage in Gelnhausen ganz ruhig verhielt und bei der Rückreise nur wenige Stunden in Frankfurt zur Regelung einiger dienstlicher Angelegenheiten mich aufhielt. Besonders lieb war mir, daß Du bei dieser Gelegenheit auch meinen Freund Wende kennen gelernt hast. Je weniger wir imstande sind, eine tägliche körperliche und geistige Gemeinschaft aufrecht zu erhalten, um so wichtiger ist es mir, daß Du die Menschen kennst, die jeweils mit mir in dieser Gemeinschaft stehen. Wende ist nicht nur mein Nachfolger und – wenn ich so sagen darf – mein Schüler, sondern er steht mir aus dieser gemeinsamen Arbeit heraus ganz außerordentlich nahe. So haben wir denn die ruhigen 8 Tage in Geln-hausen bei guter Verpflegung, auf wenige heizbare Zimmer beschränkt, sehr genossen. Inzwischen hat die Alltagsarbeit uns wieder überflutet, und Marburg, Frankfurt und Gelnhausen liegen wie ein schöner Traum hinter uns.

Hier schlagen wir uns mit Parlament und Staatsministerium herum und kämpfen mit anderen Ministerien um die neue Besoldungsordnung. Jeder Tag bringt sein Neues. Aber manchmal bäumt es sich in mir auf gegen das Zuviel an Arbeit, das auf mir lastet. Als ich gestern abend nach 3 ½ stündiger ununterbrochener Arbeit den letzten Aktendeckel zuklappte, war ich wirklich etwas ärgerlich. Und doch, wohin soll es führen, wenn wir nicht bis zur letzten Kraft unsere Pflicht tun? Darin allein findet man ja auch einen Trost gegenüber den immer schwie-riger werdenden Verhältnissen. Es ist interessant zu beobachten, daß die Gebildeten zunächst die geistige Spannkraft zur Arbeit wiedererlangt haben. Hoffentlich folgen auch die handar-beitenden Volksgenossen uns nach. In diesem Sinne habe ich mich heute morgen einem sehr interessierten Ausländer gegenüber äußern können. Willy Hepner, dessen Du Dich entsinnen wirst, brachte mir den früheren englischen Minister Trevelyan, der, wie du Dich vielleicht erinnerst, als Mitglied der Labour Party bei Kriegsbeginn mit Jone Burns und Morley aus dem Kabinett austrat. Es ist ein famoser Mann, der nach besten Kräften Deutschland helfen möchte.

Über Willy Hepner, der sich sehr deutschfreundlich benommen hat, fällt mir Wilhelm Trendelenburg ein, für den Du Dich ja früher gelegentlich interessiert hast. Er hat vor nicht ganz einem Jahre plötzlich seine Frau verloren und hat sich jetzt wieder mit einer Schülerin verlobt, da er eine Mutter für seine 7 Kinder braucht. Er hat mindestens 10 Rufe gehabt und ist zur Zeit Ordinarius in Tübingen.

So, nun muß ich aber zu meiner Arbeit zurück. Nimm diese Zeilen als Zeichen treuen freundschaftlichen Gedenkens.

Mit allen guten Wünschen für Dich und die Deinen (C.H.B.)

 

113. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 23.8.1920

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Lieber Willy,

Ich bin zum Schuljubiläum in Frankfurt, wohne im Hotel Baseler Hof von Donnerstag früh an, besichtige an diesem Vormittag u.a. die Musterschule, wo es mir Spaß machen würde, zufällig in Karls Klasse zu kommen. Ich muß mich darin allerdings der Führung des Direktors überlassen. Zu Mittag esse ich bei Alex, nachmittags halte ich mir frei. Vielleicht könnte ich Euch einmal kurz begrüßen; ich werde Alexens telegraphieren, im Näheres zu verabreden. Abends möchte ich an dem Begrüßungsabend im Zoologischen Garten teilnehmen. Eventuell könnte ich am Freitag bei Euch zu Tisch sein, nach Schluß des Aktes in der Paulskirche. Nachmittags will ich an dem Kaffee am Forsthaus einnehmen und um 6 Uhr dann wieder nach Gelnhausen fahren.

Wir haben nichts voneinander gehört, und ich würde mich riesig freuen, Euch wiederzusehen. Karls Geburtstag habe ich natürlich schmählich vergessen. Er soll mir das nicht übelnehmen. Ich freue mich dafür um so mehr, ihm meinen Glückwunsch jetzt persönlich bringen zu können.

In alter Freundschaft Dein (C.H.B.)

 

114. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 15.12.1920

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Lieber Willy,

Ich fand immer keine Zeit zum Schreiben; deshalb telegraphierte ich Dir heute, daß wir am Sonntag sehr auf Euch rechnen. Da nun von Frankfurt neuerdings am Sonntag mehrere Züge

fahren, muß ich wissen, wann und wo Ihr ankommt. Je nach der Menge Eures Gepäcks könnten wir das erst nach dem Hotel besorgen. Jedenfalls fahren wir dann 20 Minuten zu uns heraus und könnten dort noch 1 bis 1 ½ Stunden gemütlich zusammen sein. Ich lasse dann das Auto warten, so daß ihr dann bequem ins Hotel zurückfahren könnt. (C.H.B.)

 

115. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 22.2.1921

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Lieber Willy,

Hoffentlich ist Walters Brief zu Deinem Geburtstag rechtzeitig angekommen. Ich hatte mich auf die Erinnerung beschränkt und auf ein treues Gedenken und komme mit meinem schriftlichen Glückwunsch nun wohl etwas spät. Aber ich möchte Dir doch auch ein direktes Zeichen herzlichen Miterlebens zukommen lassen. Zugleich bitte ich Dich, meinen Freund Carl um Entschuldigung dafür zu bitten, daß ich den versprochenen Historiker von Weihnachten immer noch nicht geschickt habe. Aber die Situation ist buchstäblich die, daß ich niemals um eine Zeit, da die Läden noch oder schon offen sind, in Steglitz anwesend bin, wo ich bei unserm dortigen Buchhändler seiner Zeit das Universum gekauft und dann gleich zum Austausch zurückgegeben habe. Ich möchte aber gern selbst für Carl etwas aussuchen und hatte an Bismarcks ‚Gedanken und Erinnerungen’ oder so etwas Ähnliches gedacht. Leider weiß ich ja aber gar nicht, was er alles schon besitzt. Sollte er also einen diesbezüglichen Wunsch haben, wäre es mir natürlich sehr angenehm, ihn zu erfahren.

Wir stehen hier stark in Spannung, ob uns die Wahlen3 einen neuen Kurs im Ministerium bringen werden. Merkwürdigerweise ist die Entwicklung der extremen Parteien nicht ganz so schlimm wie erwartet. Es würde aber eine ganz andere und zwar viel gesündere Situation geschaffen, wenn die Deutsche Volkspartei doppelt so stark wie die Deutschnationalen wäre. Letztere werden durch ihre radikalen Schreier auch in ihren vernünftigen Mitgliedern aus-geschaltet, während Deutsche Volkspartei, Zentrum und Sozialdemokratie eine sehr trag-fähige Regierung bedeuten würden. Wir müssen uns doch im Augenblick ganz unter den

Primat der auswärtigen Politik beugen, aber leider gibt es wenige Leute in Deutschland, die wirklich politisch denken können. Da Minister Haenisch durch Liebäugeln mit dem Bürgertum sich bei seinen eigenen Genossen sehr stark kompromittiert hat, ist nicht sicher, daß er wieder zum Minister gemacht wird. Das kann dazu führen, daß wir einen noch links stehen-deren Sozialisten als Minister bekommen oder aber, daß das Ministerium überhaupt an einen Bürgerlichen fällt. Beides halte ich im Augenblick noch für einen Fehler. (C.H.B.)

 

116. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 10.3.1921

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Lieber Willy,

Ich habe Walter versprochen, Dir auf Deine Anfrage wegen des Patengeschenkes zur Konfirmation zu antworten, da ich alle derartigen Anfragen beantwortet habe und mir Mühe gebe, für Walther eine schöne Bibliothek bei dieser Gelegenheit zusammenzubringen. Bücher sind etwas so Teures, daß man seinen Kindern nicht mehr so viel schenken kann wie früher und man deshalb solche Anlässe wie die Konfirmation ausnutzen muß. Trotz aller Vorbe-sprechungen haben natürlich zwei Paten bereits Schillers Werke geschenkt, doch hoffe ich, das noch zu entwirren. Jedenfalls bitte ich von Schiller, Goethe, Keller, Bismarck, Treitschke absehen zu wollen.

Wie schwierig die Auswahl ist, habe ich neulich gesehen, als ich selbst zu dem gleichen Zwecke einen Buchladen aufsuchte. Ich bitte Dich freundlichst ein Werk zu wählen, das wertvoll für’s ganze Leben ist. Viel wird davon abhängen, was Du in Frankfurt bekommst. Hier ist es sehr mangelhaft bestellt. Walther hat z.Zt. stark literarische Neigung, jedenfalls vorwiegend geisteswissenschaftliche, doch liegt es Dir vielleicht mehr etwas Naturwissenschaftliches zu schenken. Ich fände jedenfalls Klassiker hübsch bis zu Storm, Hauptmann und Ibsen; es wird eben einfach davon abhängen, was Du bekommst. Ich würde auch kein Bedenken haben, zu einem gut erhaltenen antiquarischen Werk zu greifen; das wird immer noch länger halten als die modernen, auf schlechtem Papier gedruckten Ausgaben. Sehr willkommene Gaben sind natürlich auch die neueren Memoirenwerke: Nur eines möchte ich Dich bitten: schicke mir möglichst bald eine Postkarte mit der Mitteilung, was Du gewählt hast, da ich auf vielerlei Fragen antworten muß und sich sonst bei der derzeitigen Lage des Büchermarktes Doppelgeschenke nicht vermeiden lassen. Das schönste Geschenk wäre natürlich, wenn Du selber kämst; aber ich fürchte, daß wir damit kaum werden rechnen dürfen.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

117. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 23.1.1923

(Maschinenkopie)

Lieber Willy!

Ich bin die Nacht vom 29. auf den 30. Januar in Frankfurt und würde gern den Abend des 29. Januar (Montag) bei Euch verbringen. Darf ich kommen? Antwort erbeten bis zum 28. d. M. nach Gelnhausen. Nachdem wir uns in diesem Sommer nur einmal kurz telephonisch gesprochen und ich mich um die Jahreswende durch brutales Schweigen in jeder Richtung hin ausgezeichnet habe, fühle ich das dringende Bedürfnis, einmal wieder ein paar Stunden gemüt-lich mit Dir, Deiner Frau und Karl zu verplaudern. Ich wäre sehr dankbar, wenn Ihr es ein-

richten könntet, mich zu empfangen. Alles nähere mündlich.

Herzlichste Grüße von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

118. Telegramm von C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 21.2.1929

(Maschinenkopie)

Gedenke des heutigen Tages mit innigen Wünschen in alter Freundschaft. Carl

***

Carl Heinrich Becker.

 

119. Nachruf auf Willy Bornemann. Februar 1930

Er war 13 Jahre alt, als ich ihn kennen lernte. Wir waren Klassenkameraden, dann Verbin-dungsbrüder, vor allem Freunde, vom ersten Tage an. Seine Jugend war auch meine Jugend.

Überschlank, fast zart gebaut, blond, blauäugig, mit frischen Farben, zurückhaltend u(nd) doch zutraulich, klug, aber nie sich vordrängend, besaß er von Natur das Charisma, daß jedermann ihn gerne hatte.

In Kreuznach, wo sein Vater Schulaufsichtsbeamter war, am 21.2.1877 geboren, kam er 1890 durch die Berufung des Vaters zum Stadtschulrat nach Frankfurt/Main, die Stadt, in der sich später auch sein Mannesleben abspielen sollte. Schon auf dem alten städt(ischen) Gymnasium in der Junghopstraße (?Unleserlich) zeigte sich sein Wesen von der gleich sympathischen Seite, wie es nachher im Rupertenkreise und später in der Praxis des Berufes allgemein in Erscheinung trat. Vom Vater, der Westfale war, hatte er die Charakterfestigkeit und die Schweigsamkeit; er war nie der Mann der Worte oder der Formulierungen, aber er besaß eine kritische, ja ironische Art gegenüber jedem Übertriebenem, jedem Gefühlsüberschwang, jedem blinden Optimismus. Er war kritisch und hart gegenüber sich selbst. Nicht als ob ihm Weichheit fremd gewesen wäre. Von seiner temperamentvollen, feinfühligen Mutter, die einer alten rheinischen Familie entstammte, hatte er eine seltene Gefühlslebendigkeit ererbt, die aber bei ihm durch das kritische Erbteil von Vatersseite gebändigt war. So kam es, daß er sich selbst sehr bescheiden, ja zu bescheiden einschätzte, was in Zeiten nervöser Belastung, z.B. vor dem Examen sich bis zu Minderwertigkeitsgefühlen steigern konnte. Dabei war er gewiß kein Hypochonder; niemand konnte, namentlich in jungen Jahren, so ausgelassen, so rheinisch fröhlich sein wie er. Als er im Sommersemester 1895 Ruperte wurde, war er ein geradezu idealer Fuchs und keine leichte Aufgabe für seinen Leitburschen, dem leider allzufrüh heimgegangenen A.H.Weichsel, der ihn auch zur Verbindung gebracht hatte, oder für einen Fuchsmajor bei der damals noch streng geübten Commentpraxis. Obwohl er der Verbindung nur als CK (?)beigetreten war, genoß er eine so große Beliebtheit, schon nach 2 Semestern in den RC (?) berufen wurde und hier jahrelang eine aus Vernunft und früh geborene Vermittlerrolle gespielt hat. Seine Güte ließ ihn alles verstehen, seine Vernunft lehrte ihn Eingreifen oder Laufenlassen, wie es die Umstände erforderten. So konnte er der Freund vieler, allen ein guter Kamerad sein.

Aus dieser Hülfsbereitschaft erklärt sich auch seine Berufswahl. Er studierte Medizin und zwar 5 Semester in Heidelberg, dann 2 Semester in Berlin und dann bis zum Staatsexamen (24.3.1901) wieder in Heidelberg. Es war nicht das Naturwissenschaftlich-Technische, das ihn zur Medizin zog, es war das Menschliche. Nicht durch Worte oder Lehre, sondern durch Handeln helfen, das entsprach seiner Natur. Da er zeitlebens an einem nervösen Herzen litt, konnte er nicht daran denken, praktischer Arzt zu werden, aber auch Neigung trieb ihn zur Spezialisierung; daß er gerade Dermatologe wurde, war mehr eine zufällige Entwicklung, da ihm als Assistenz- und später Oberarzt am Städtischen Krankenhaus (1901-1905) bei Geheimrat Herzheimer eine ungewöhnliche Gelegenheit zu erstklassiger Spezialisierung gerade auf diesem Gebiete geboten wurde. Am 14.1.1905 promovierte er in Leipzig und am 1.4.des gleichen Jahres eröffnete er in Frankfurt seine Fachpraxis.

Es ist unmöglich, im Rahmen eines kurzen Nachrufs ein Leben zuwürdigen, das nicht in wenigen großen Geschehnissen sich auswirkte, sondern in unermüdlicher Kleinarbeit des Alltags bestand. Die Patienten suchten ihn; keiner verließ ihn dem er einmal geholfen. Die Collegen schätzten ihn wegen seines Könnens und seiner versöhnlichen Persönlichkeit, dem äußerer Ehrgeiz, ein Gelten wollen in Vereinen und auf Kongressen fernlag. Er lebte seiner Arbeit, sein Leben war ein Dienst. Die öffentlichen Dinge sah er nur von fern, manchmal mit leidenschaftlicher Kritik, aber ohne Bedürfnis zum aktiven Eingreifen. Er war eben Arzt, der über oder neben dem politischen Leben stand. Im Krieg war es ihm selbstverständlich, daß er sein Können in den Dienst der gr(oßen) vaterländ(ischen) Sache stellte. Erst in Frankfurter Lazaretten tätig, wurde er von 1916-1918 in der Etappe und schließlich auf seinen Wunsch trotz seiner zarten Gesundheit auch an der Westfront verwandt. Kurze Zeit wirkte er dabei an einem von unseren a(Aktiven?) H. Wager geleiteten Lazarett. Das Leben brachte ihn überhaupt immer wieder mit Ruperten zusammen. Eine Schicksalsfügung ließ ihn am gleichen Tage sterben, an dem auch sein Freund a.H. Robert Walde von uns schied. (12.2.1930)

Schwer lasteten auf seiner im Grunde weichen Natur die Nöte des Lebens. Sein Beruf, gerade als Dermatologe, war dazu angetan, keine allzu idealistische Auffassung des Lebens aufkom-men zu lassen. Er zog als Empiriker die Konsequenzen aus seinen Beobachtungen, war aber in seinem eigenen Leben der lebendige Gegenbeweis gegen manchmal von ihm vertretener pessimistischer Grundsätze. In seinem persönlichen Leben herrschte Reinheit, Sonne und Glück. Er durfte die erste große Liebe seines Lebens als Gattin heimführen und das Schicksal hat diese Ehe in seltener Weise gesegnet. Hier lagen die Quellen seiner Kraft im Kampf mit den dunklen Mächten eines wachsenden Pessimismus.

Und auch zwei Welten gab es, die ihm seine Freude schufen und ohne die man ihn nicht richtig versteht, die Kunst und die Natur.

Schon auf der Schule ist er gern gewandert, später hat er Italien und Sizilien, hat er Dänemark und Schweden, von wo seine Gattin stammte, kennen gelernt, aber über die Größe der ausländ(ischen) Natur hat er nie die Liebe zu Taunus und Spessart verloren. In jungen Jahren war er auch ein leidenschaftlicher Jäger, aber die Natur war ihm bei der Jagd immer das Wesentliche. Und als Spiegel der Natur empfand er die Kunst. Auf einer großen Italienreise 1898 hatte er künstlerisch sehen gelernt, seine Mittel erlaubten ihm keine großen Anschaffungen, aber im kleinen ist er ein Mäzen gewesen, an den mancher junge Künstler, dem er durch Auskünfte geholfen, heute dankbar zurückdenkt.

Als ich ihn das letzte mal sprach, war er schon sehr krank. Ich ahnte, daß es ein Abschied für immer sei. Seine Gedankenwelt war erfüllt von der Liebe zu Frau und Sohn, zu Geschwistern und Freunden und von dem ganzen Ernst strengster Berufsauffassung und tiefer, letzter Bescheidenheit. Den Frohsinn der Jugend hatte die Härte des Lebens gebrochen, aber die Vornehmheit, Güte und Selbstlosigkeit seines Charakters leuchteten durch die schweren Schatten seines nahenden Todes.

Wir wollen ihn in uns lebendig halten, er aber ruhe in Frieden. (C.H.B.)


1 Hellmut

2 Es handelt sich um die Berufung ans Preußische Kultusministerium als Hochschulreferent Frühjahr 1916.

3 Es handelt sich um Wahlen zum Preußischen Landtag.

Ernst Eisenlohr (1910-1914)

HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-35)

16. C.H.B. an Dr. Ernst Eisenlohr, Heidelberg, Hamburg, 5.11.1910

(Schreibmaschinenkopie)

Lieber Ernst!

Es ist mir leider ganz unmöglich, Deine Anfrage zu beantworten. Diese ist wohl überhaupt nur die Folge einer häufigen Verwechslung von Kolonialamt und Kolonialinstitut. Mit dem Betrieb des Kolonialamtes haben wir gar nichts zu tun. Auch wissen darüber evtl. kommandierte Offiziere nicht Bescheid.. Dein Bekannter soll sich einfach schriftlich an das Kolonialamt wenden. Das ist der einzige Weg, den auch ich einschlagen könnte. Meiner Erfahrung nach werden den Offizieren weniger vom Kolonialamt, als von ihren eigenen Truppenkörpern Schwierigkeiten bereitet. Da Paul Sigk aber schon in Südwest war, kennt er ja die fraglichen Stellen des Kolonialamtes besser als ich. Wir sind eben kein Zweig des Kolonialamtes, sondern eine freie Hochschule, der das Kolonialamt seine künftigen Beamten überweist; dementsprechend kann ich Dir leider keine Auskunft geben. Überdies sind zur Zeit, soviel ich weiß, nur sehr wenige Offiziere hierher kommandiert. Bei mir persönlich keiner. (Schluß fehlt). (C.H.B.)

 

17. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Hamburg, 22.2.1912

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich will Dir doch auch mitteilen, daß ich nicht zum Rupertenfest komme, nachdem ich erst angenommen hatte. Ich habe in den letzten Tagen furchtbar viel Unruhe gehabt, war in der vorigen Woche vier Nächte im Schlafwagen, habe Sonnabend Prüfung, zur Zeit gerade den Herzog Adolf Friedrich hier in Hamburg mit zu feiern, außerdem ist es Hedwig gar nicht gut gegangen und last not least muß ich bis zum 1. März eine umfangreiche Terminarbeit abliefern, mit der ich durch die vielen äußeren und inneren Hemmungen der letzten Zeit noch sehr im Rückstande bin. Unter diesen Umständen muß ich auf das Wiedersehen mit Dir bei dieser Gelegenheit verzichten und bitte Dich, auch Ackermann und Welde mein Bedauern über meine Behinderung auszusprechen. Es tut mir um so mehr leid, weil die anderen Hamburger Ruperten alle zur Zeit, sei es durch Assessorexamen, sei es durch Wochenbett der Frau am Kommen verhindert sind.

Sollte Hedwig Anfang März wieder frisch sein, so denken wir mal auf ein paar Tage nach Berlin zu kommen und dann werden wir wieder einmal gemütlich beisammen sein.

Mit herzlichen Grüßen vom ganzen Hause (C.H.B.)

 

18. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Hamburg, 12.7.1912

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Aus Deinem Briefe an Hedwig habe ich mit Freuden ersehen, daß es Dir im Grunde doch ganz gut geht, trotz all der kleinen Anlässe zur Kritik, die die neue Umgebung bietet. Zweck dieser Zeilen ist nur, Dich zu fragen, ob Du tatsächlich Deine militärische Übung machst, oder ob Du am 1. August noch in London bist. Da ich ja dann von Brüssel über England nach Esbjerg und nach Fanö fahren will, könnte mich Deine Anwesenheit in London zu einem kurzen Besuch dortselbst bestimmen. Teile mir also bitte mit, sobald Deine Pläne in dieser Hinsicht feststehen.

Du wirst von Hedwig gehört haben, daß wir erst acht Tage später als projektiert nach Fanö gekommen sind, da beide Kinder erkrankten. Nun ist aber die Gesellschaft glücklich dort installiert. Ich habe sie selbst hingebracht und habe auch weiter gute Nachrichten. (C.H.B.)

 

19. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Hamburg, 24.7.1912

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich finde es reizend, daß wir uns in Harwich treffen werden. Könntest Du Dich nicht einen Vormittag frei machen, dann würde ich nicht 12, sondern 36 Stunden in Harwich bleiben und wir könnten einen gemütlichen Abend zusammen verleben. Das wäre nur möglich, wenn ich am 1. August vormittags in Harwich bin und am 2. abends dort abfahre. Das Schiff von Freitag, den 2., will ich jedenfalls nehmen, damit ich den Sonntag schon bei Hedwig bin. Könntest Du Dich nicht frei machen, so würde ich erst am 2. August morgens in Harwich eintreffen und abends weiterfahren, Dich also nur wenige Stunden sprechen, wie Du es in Deinem Briefe vorschlägst. Definitives telegraphiere ich Dir von Brüssel, wo ich Sonntag eintreffe und nach dem Palace Hotel eine definitive Nachricht von Dir erbitte. Ich freue mich wirklich sehr auf ein paar Stunden Zusammensein mit Dir.

Hedwig meinte neulich, Du könntest doch die projektierten 8 Tage Seaside in Fanö verleben und gleich mit mir nach Esbjerg fahren. Das wäre ein famoser Gedanke; ich fürchte aber, er wird Dir zu abenteuerlich sein.

Den Kindern geht es gut. Walter läßt Dich ganz ex tempore grüßen. Hedwig ist leider immer noch nicht ganz frisch. Sie leidet ziemlich unter der Hitze. Alles Nähere dann mündlich. (C.H.B.)

 

20. C.H.B. an Vizekonsul Dr. Ernst Eisenlohr, London, Hamburg, 8.3.1913

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst,

ich komme voraussichtlich am 1. April, evtl. ein paar Tage später, zum Historiker-Kongreß auf gut eine Woche nach London. Wirst Du dann da sein? Jedenfalls hoffe ich auf manch gemütliches Zusammensein mit Dir, obwohl ich begreiflicherweise sehr besetzt sein werde. Kannst Du mir irgendeinen guten Rat geben betreffs einer angenehmen Unterkunft, wo ich nicht allzu gebunden bin? Der Kongreß scheint ziemlich schlecht organisiert, da man bisher noch nichts darüber gehört hat, aber es werden sehr viele ausländische Gelehrte nach London kommen.

Die Masern sind nun endlich vorbei und es schwebt noch ein gewisses Damoklesschwert über Hedwig, daß sie sie zu guter letzt auch noch bekommt. Die Familie ist wenigstens wieder vereinigt. Hoffentlich hat die Misere jetzt ein Ende, es wäre hohe Zeit. Ich bin über alle Maßen mit der Universitätssache beschäftigt und der kurze Aufenthalt in London, wird meine einzige Erholung in diesen Ferien sein. Länger mag ich von hier nicht fort. Am liebsten würde ich irgendeinen Tages(aufenthalt?) mit Dir machen.. Überleg Dir mal was! (C.H.B.)

 

21. C.H.B. an Vizekonsul Dr. Eisenlohr, London, Hamburg, 23.5.1913

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst,

heute nur in aller Eile einen kurzen Gruß und die Mitteilung, daß hier alles weiter nach Wunsch geht. Hellmuth ist ein entzückender kleiner Bengel, und strammer als seine Geschwister im gleichen Lebensalter. Die Kinder sind in Schwartau mit der Großmutter.

Ich sende Dir anbei Walters Brief zurück. Ich habe inzwischen direkt von ihm gehört.

Mit herzlichem Gruß von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

22. Ernst Eisenlohr, an C.H.B. London, 13.11.1913

Lieber Carl,

Deine guten Wünsche, für die ich Dir herzlich danke, sind in Erfüllung gegangen. Ich bin mit der Einrichtung und vorläufigen Verwaltung eines Berufskonsulats in Sao Paulo de Loanda, dem einzigen in Angola, beauftragt und fahre am 25. von Antwerpen ab, um kurz vor Weihnachten ans Ziel zu kommen. Der Erlaß kam gestern.

Ich schreibe mehr, sobald ich kann, bis zu meiner Abreise werde ich alle Hände voll mit Vorbereitungen zu tun haben, daneben muß der Fischereibericht noch abgeschlossen werden. Auch Hedwig kann ich erst später für Ihren Brief danken.

Seid alle herzlich gegrüßt, Ernst.

 

23. Ernst Eisenlohr an C.H.B. London, 17.11.1913

Lieber Carl,

vielen herzlichen Dank; aber Du darfst nicht kommen. Einmal sind es 6 Eisenbahnstunden nach Antw(erpen) und 6 zurück. Und dann ist die Abfahrtsstunde der Elisabeth Brock von der Woermannlinie am 25.11. noch nicht bestimmt. Du würdest also ins Ungewisse fahren. Ich denke am 25. Morgens in A(ntwerpen) anzukommen, wenn nötig am 24., obwohl dieser Tag eigentlich hier noch richtig besetzt ist. In Antwerpen habe ich dann zum dortigen Vizekonsul zu gehen, der evtl. mir Sachen vom Auswärtigen Amt zu übermitteln hat.

Möglich ist natürlich alles und Du weißt, wie gern ich Dich noch sehen würde. Wenn ich schon Samstag Abend hier führe? Bestimme Du und telegraphiere. Antwortadresse ist das Schiff, das mehrere Tage dort liegt oder p.a Vizekonsul Bode, Deutsches Generalkonsulat.

Nochmals sehr in Eile und todmüde und mit herzlichem Dank. Ernst

 

24. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Auf der Höhe von Casablanca, 2.12.1913

Lieber Carl,

ich fange schon an Dich, wie ich es Dir angekündigt habe, in Anspruch zu nehmen. Kannst Du mir die Singelmann’schen Aufsätze über Angola im Jahrgang 1913 der Kolonialzeitung auf pp. 56, 65, 121, 172, 266, 385, 501, 538, 551, 580, 624, 678, 694, 711, 724 und 761, sowie die Artikel von Paul Rohrbach über den gleichen Gegenstand in der Täglichen Rundschau vom 11. bis 17. April 1913, Abendausgaben, sowie endlich einen Abdruck des Staatsangehörigkeitsgesetzes von diesem Jahr womöglich schon kommentiert, andernfalls in der betr. Nummer des Reichsgesetzblatts besorgen? Ich wäre Dir sehr dankbar dafür.

Die Fahrt bisher war ausruhend und wundervoll, von jetzt ab wird es heiß, aber auch interessant werden. Wir kommen morgen nach Las Palmas auf den Capverdischen Inseln und legen dann noch in Monrovia, Sao Thomé, Cap Lopy und den Hafen von Portugiesisch-Congo an, die ich mich freue, bei dieser Gelegenheit kennen zu lernen. Postverbindung nach Loanda ist vom 1.1.1914 ab am 1. jeden Monats ab Lissabon mit portugiesischem Schnelldampfer und dto. mit der Ostafrikalinie am 15. jeden Monats. Langsamere Linien gehen von Lissabon am 7. und 21.jeden Monats. An Zeitungen werde ich Times, Frankfurter, Economist, Kolonialzeitung und 1 oder 2 Lissabonner Blätter beim Auswärtigen Amt beantragen. Meine Gesellschaft werden – hoffentlich – vorwiegend Engländer sein und portugiesische Offiziere, wenn es mir gelingt, auf einen grünen Zweig mit ihnen zu kommen. Konsul Singelmann plant im Auftrage der Kolonialgesellschaft für die trockene Jahreszeit (Anfang Januar) eine Reise nach Angola. Er ist ein netter Mann, ich reise vielleicht – einstweilen meine ganz private Absicht – mit ihm, um das Land kennen zu lernen und ich werde wohl mit ihm auskommen, falls er mir nicht in meine Competenz hineinpfuscht. Vor Rohrbach hat er mich wegen dessen unvorsichtiger Presseäußerung gewarnt.

Euch allen viel Gutes zum Neuen Jahr und herzliche Grüße, Ernst

 

25. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Loanda, Bonn, 6.12.1913

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst,

Wenn man so ausreist, warten die Zurückbleibenden meistens erst auf ein Lebenszeichen von dem Ausreißer, ehe sie selbst schreiben. Dadurch bleibt der betreffende dann oft Wochen und Monate lang ohne Nachricht. Ich will aber nicht so sein, sondern daran denken, daß man Dir doch jetzt schreiben muß, wenn Du zu Weihnachten oder Neujahr einen Gruß von uns haben willst, und da sind es denn zunächst herzliche Wünsche, die zu Dir eilen, daß Du in Deinem neuen Wirkungskreis volle Befriedigung finden mögest. Schreibe uns doch recht bald einmal, wie es Dir dort klimatisch und amtlich gefällt. Ich denke täglich an Dich und begleite Dich auf der schönen Reise über Lissabon nach Togo und Kamerun. In Kamerun wirst Du von der deutschen Verwaltung wohl keine überwältigende Eindrücke bekommen. Vielleicht triffst dort einige meiner alten Hörer.

Von uns ist eigentlich heute noch nicht viel zu reden. Ich habe meine Reise nach Leyden programmgemäß ausgeführt und in einem der schönen, alten, stimmungsvollen Auditorien der Universität auf Snouck’s Katheder meinen Vortrag gehalten. Es waren nahezu alle holländischen Orientalisten anwesen und ich werde stets gern an diese kleine Vortragsreise zurückdenken.

Bei uns im Hause geht alles weiter gut. Hellmuth nahm jetzt die Woche ein gutes halbes Pfund zu, so daß wir über beruhigt sein dürfen. Weihnachten werden wir nun doch hier in Bonn bleiben und nicht wie projektiert, nach Augsburg gehen. Dafür haben wir die Schwiegereltern zu uns eingeladen, doch ist es noch nicht sicher, ob sie kommen.

Heute ist Herzfeld bei mir eingetroffen. Er wohnt bei uns für ein paar Tage, um mir ausführlich über die Resultate seiner großartigen Ausgrabung in Samara zu sprechen. Da würdest Du auch gewiß gern zuhören.

Ganz Deutschland ist zur Zeit von der Zaberner Affaire erfüllt. Es ist einfach unbegreiflich, wie ungeschickt diese ganze Sache von der Regierung angefaßt worden ist. Im Grunde handelt es sich doch um eine Bagatelle. Immerhin habe ich doch vielleicht etwas besser von der Volksvertretung denken lernen. Im allgemeinen bin ich ja für die aufgeklärte Despotie, da von der Volksvertretung die sachverständigen Vorschläge der Regierung meist nur ins Dilettantische übersetzt werden. In diesem Falle aber sieht man doch, welch großen Nutzen Presse und Parlament zur Schärfung des Gewissens der Regierung haben können.

Ich schicke Dir einliegend einen kleinen Aufsatz aus unserer Zeitung, der Dich vielleicht interessiert. Ich habe meinem Nachrichtenbureau in Berlin den Tip gegeben, mir alle Zeitungsausschnitte über Angola und Umgebung zuzusenden. Du sollst sie dann regelmäßig erhalten. Es freut mich, auf diese Weise etwas für Dich tun zu können.

Dieser Brief ist mit der Maschine geschrieben, weil ich gerade einen Moment frei hatte, Dir einen Gruß zu schicken. Zu einem Brief mit der Feder brauche ich immer einem Moment

ruhiger Sammlung, der leider nicht all zu oft eintritt, und ich wollte Dich nicht auf einen solchen warten lassen.

Also Glückauf in Loanda und alles Gute von Hedwig (C.H.B.)

 

26. C.H.B. an Frau Professor Eisenlohr, Heidelberg, 19.10.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrte gnädige Frau!

Ihr freundliches Schreiben, das ich allerdings erst gestern erhielt, hat gerade die entgegen-gesetzten Empfindungen ausgelöst, als Sie annahmen: Gott sei Dank, wieder ein Lebens-zeichen von Ernst. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich so freundlich benachrichtigen, denn mich beschäftigt die völlige Unterbrechung jeglichen Kontaktes mit Ernst doch auch recht lebhaft. Wie glücklich wird er sein, wenn er endlich neue Nachrichten erhält. Selbst die französischen Siegesnachrichten von der Marne, die er sicher bekommen wird, werden bei einem so klugen Kopfe, wie dem Ernst, doch nur die Überzeugung auslösen, daß die Deut-schen doch nicht nur geschlagen sein können, wenn es nötig ist, sie vor den Mauern von Paris zurückzuwerfen. Ernst ist ja so ruhig, daß er die Dinge mit Fassung ertragen wird. Wenn jetzt Portugal wirklich den Krieg erklärt, so wird er wohl sofort zurückkommen, und ihn als Konsul kann man ja wohl nicht davon abhalten, nach Deutschland zurück zu reisen.

Bei der Zuspitzung unseres Verhältnisses zu Portugal habe ich jetzt nicht mehr an Ernst geschrieben, da er ja vielleicht schon auf der Rückreise ist. Wenn wir allerdings jetzt entscheidend siegen, wird sich doch vielleicht Portugal noch besinnen, seine Kolonien zu riskieren. Die englische Regierung allerdings scheint alle größeren Gesichtspunkte verloren zu haben, und von einer kindischen Wut erfüllt, es nur auf momentane Schädigung Deutschlands abgesehen zu haben. Die portugiesische Kriegserklärung kostete uns nur unsere dortigen Schiffe. Noch ist zwar viel zu tun, aber man kann jetzt dem Lauf der Dinge doch mit einer gewissen Beruhigung entgegensehen. Wenn es uns nur gelänge, auch England ins Knie zu beugen: Aussicht dafür scheint vorhanden.

Mit nochmaligem bestem Danke und der freundlichen Bitte, mich auch weiter auf dem Laufenden zu halten, bin ich mit verbindlichen Grüßen, denen sich auch meine Frau anschließt,

Ihr Ihnen verehrungsvoll ergebener (C.H.B.)

 

27. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Loanda, Bonn, 31.10.1914

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Du hast ewiglange nichts mehr von mir gehört, und ich habe Dir in der letzten Zeit auch mit Absicht nicht geschrieben, da ich nicht glaubte, daß Dich während des Krieges Briefe erreichen würden. Nach dem guten Erfolg von Hedwigs Brief sollst Du aber auch von mir hören. Mögen auch diese Zeilen trotz der sich immer mehr zuspitzenden internationalen Beziehungen in Deine Hände gelangen, um Dir zu bestätigen, wie herzlich wir Dein gedenken. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht von Dir sprechen. Eine Zeit lang schien es ja, als ob Portugal uns den Krieg erklären wolle, und da sahen wir Dich schon im Geiste auf der Heimreise. Hoffentlich kannst Du noch lange unbehelligt dort unten bleiben, bis man Dich freiwillig zurückholt.

So interessant es für Dich in Loanda sein muß, so bedauere ich Dich doch darum, daß Du diese gewaltige Zeit nicht in Deutschland miterlebt hast. Ungeahnte Lebenskräfte, Ideale,, eine starke Einmütigkeit des Volkes, das Schwinden aller politischer und religiöser Gegensätze sind Wirklichkeit geworden. Man sieht, wie sekundär alle diese sonst so wichtig erscheinenden Strömungen doch in Wirklichkeit sind, wenn das Lebensinteresse des Ganzen auf dem Spiele steht. Wir leben ja unter militärischer Diktatur, aber alle Welt befindet sich höchst wohl dabei, und die konservativen Elemente verlangen sozialistische Produktions- und Konsumtions-Regelung. Es geht eben auch so. Und trotz der ans Wunderbare grenzenden Kraftanstrengung merkt man im alltäglichen Leben, selbst in unserem doch linksrheinischen Bonn, abgesehen von den zahlreichen Verwundeten und dem Mangel an Autos, nur wenig vom Kriege. Die Universitäten sind wie alle Schulen in normalem Betriebe, und ich habe ziemlich genau soviel Hörer wie sonst, wenn auch die Gesamtzahl der Studierenden auf die Hälfte herabgesunken ist. Die Nahrungsmittel sind kaum teurer geworden: zwar sind vorübergehend von spekulativen Bauern lokal die Kartoffelpreise gesteigert worden, doch ist nichts zu befürchten, da die Ernte glänzend ist, und die Regierung zu Zwangsverkäufen übergehen wird. Die wenigen Autos benutzen jetzt Benzol statt Benzin. Vom 2. November ab tritt der Friedensfahrplan der Eisenbahn wieder in Kraft. Auf dem Rhein drängen sich die Kohlen-schiffe. Die Industrie ist auch nicht allzusehr geschädigt, dank der glänzenden Politik unserer Reichsbank, die sogar mein Schwiegervater als wahrhaft großzügig bezeichnet.

Trotz aller äußeren Alltäglichkeit haben wir alle natürlich nur einen Gedanken, den Krieg. Damit wacht man auf, damit legt man sich schlafen. Die dreimal kommenden Zeitungen genügen einem nicht, man läuft dazwischen noch zweimal zur Stadt, um Extrablätter zu erhaschen. Sehr groß sind die Verluste, die namentlich in unseren Kreisen erheblich sind, da der Prozentsatz der fallenden Offiziere begreiflicherweise größer ist als der der Mannschaften. In unserem nächsten Familienkreise sind wir durch eine gnädige Fügung verschont geblieben, obwohl Bruder Alex, Schwager Fritz, mein Schwager Riedel, der General, mit drei Söhnen im Felde stehen. Aber sonst sind Unzählige gefallen, die man kennt, und viele, die uns nahe stehen. Am meisten erschüttert hat mich der Tod von Paul Mestverdt, dann Berni Weiß, Ewald Lüders, um nur diese Dir bekannten zu nennen. Ernst Welde scheint es glänzend zu gehen; er ist bei einem Brücken-Train und hatte, bis zur letzten Nachricht von ihm, immer Interessantes erlebt und gute Quartiere gehabt. Walter Groß stand bisher in Germersheim, kam gestern hier durch auf dem Weg nach Antwerpen. Fischler ist bei Kriegsbeginn begnadigt worden, hat überall versucht anzukommen, immer vergeblich und schwer demütigend für ihn, soll aber jetzt, wie wir von Frau Groß hören, in Magdeburg beim Gesundheitsamt tätig sein. Leider macht die Demokratisierung des Krieges vor ihm halt: ja, der Krieg ist für ihn besonders hart, da er ihm das Ausland verschließt. Ganz ohne Nachricht ist man natürlich von all den vielen Freunden im Ausland, ich denke nur an Stübel und all die vielen Leute, die ich in Hamburg ausgebildet habe. Wer wird davon noch leben?

Über die kriegerischen Ereignisse bist Du ja durch die Zeitungen orientiert, wenn Du überhaupt Post bekommst. Das große Ereignis der letzten Tage ist das langerwartete Eingreifen der Türkei, das sehr sorgfältig vorbereitet war. Es bedeutet für uns natürlich eine Entlastung und wirkt wie ein Fuß, mit dem der deutsche Recke nach unten austritt, während er seine beiden Arme gegen Osten und Westen nötig hat. Ich habe natürlich mancherlei über den Gegenstand geschrieben und mache den Versuch, Dir separat einiges zu schicken auf die Gefahr hin, daß es konfisziert wird; die deutsche Zensur hat es natürlich passiert. Übrigens ist unsere Zensur streng aber wohltätig. Dadurch, daß man die gegnerischen, teils unwahren, teils halbwahren, in Einzelfällen auch richtigen Siegesnachrichten hier unterdrückt, ist es gelungen, die allgemeine Stimmung hochzuhalten. Der wirklich gebildete und kritische Mensch hat ja doch Gelegenheit genug, unsere eigene Presse mit Hülfe der neutralen oder feindlichen zu korrigieren. Nun wirken diese ständigen Verunglimpfungen und Entstellungen des Tatbestandes, diese häßlichen Vergrößerungen von kleinen Wirklichkeiten auf die Dauer so deprimierend, daß man die Weisheit unserer Zensur dankbar anerkennen muß. Natürlich sickert, namentlich hier an der Grenze, doch mancherlei durch, was nicht in die Zeitungen kommt, und es ist kein Wunder, daß unter Millionen von Kämpfern auch einige Flaumacher sind. Und überhaupt die Flaumacher! Solche Leute sind gemeingefährlich. Man findet sie aber in allen Schichten. Die Gesamtstimmung ist namentlich bei allen Eingeweihten optimistisch. Der Rausch der ersten Wochen, nach dem es sich in Frankreich nur um einen militärischen Spaziergang zu handeln schien, ist verflogen. Man weiß genau, daß es noch harte Arbeit kosten wird; aber an dem endgültigen Erfolg zweifelt eigentlich niemand. Vor allem will man keinen faulen Frieden, sondern man will eine gründliche Abrechnung, selbst wenn es noch viel Blut kosten sollte. Der Haupthaß richtet sich begreiflicherweise gegen England, dessen Kriegsführung den wahren Charakter dieser Nation erschreckend aufgedeckt hat. Auch der kleinste Sieg über englische Truppen oder Schiffe wird mit größerem Jubel begrüßt, als wie ein drei- oder viermal so großer Sieg über andere Mächte. Auch draußen bei den Kämpfenden soll es ebenso sein.

Das britische Weltreich kracht in allen Fugen, und wenn es auch, wie ich glaube, den Krieg überlebt, so werden die Engländer noch Jahrzehnte an den Folgen zu tragen haben. Der eng-lischen Kriegsführung fehlt alle und jegliche Spur der Ritterlichkeit und der Moral. Dein Schwager hat über England und Deutschland ein Pamphlet verfaßt, das die Stimmung wohl richtig wiedergibt, aber mich im Übrigen doch ziemlich entsetzt hat.

Was nach dem Kriege werden soll, ist unausdenkbar. Jetzt fehlt uns ein Bismarck. Gottlob ist die Diskussion darüber in der Presse verboten. Natürlich wird alles von unseren Erfolgen abhängen. Die Neuordnung muß jedenfalls so erfolgen, daß ein neuer Krieg unmöglich ist. Ich würde gern einmal wieder ein paar Stunden gemütlich mit Dir kannegießern, aber brieflich hat das wenig Zweck. Ich bin für das große Ziel Bagdad-Berlin auf der Basis des Staatenbundes und des geschlossenen Wirtschaftsgebietes, dazu die bekannte Mittellinie durch Afrika. In Europa nur strategische Verbesserungen der Grenze. Um Gotteswillen nichts am Mittelmeer. Die Entscheidung wird ja wohl darin liegen, wie weit es uns gelingt, an England heranzukommen.

Nun noch ein paar Worte über uns. Wir sind in Bonn sehr glücklich. Es geht den Kindern gut. Walter entwickelt sich famos und wird ein heller Kopf, an dem ich täglich meine Freude habe. Hertha leistet bisher mehr im Physischen. Sie eine stramme, dralle Dirn, rosig und appetitlich und eine Musterschülerin. Auch der Jüngste macht uns keine Sorgen mehr. Er spricht noch sehr wenig, fängt aber an zu laufen. Bei meiner Mutter hatten wir im Frühjahr schwere Sorgen, doch ist es durch richtige Behandlung abermals zum Stillstand gekommen, und jetzt ist sie wieder schmerzfrei und von fast unbegrenzter Leistungsfähigkeit trotz ihrer bald 76 Jahre. Auch in Augsburg geht es gut. Ich selbst habe mich gesundheitlich im vergangenen Jahre ziemlich geplagt. Die schwere hamburgische Nervenabspannung hat mich während des ganzen ersten Bonner Jahres nicht verlassen und sich auf meinen schwachen Teil, Magen und Darm, geworfen, so daß ich wirklich über Gebühr geplagt war. Im Frühjahr war ich deshalb in einem Sanatorium in Meran, von wo wir Dir ja öfters schrieben. Man hat mich dort auf allgemeine Nervosität behandelt, ohne der Sache auf den Grund zu gehen. Ende des Sommer-semesters wurde mein Zustand so schlimm, daß ich Urlaub nehmen mußte und mich zu Krehl nach Heidelberg in die Klinik legte, um einmal genau feststellen zu lassen, ob sich nicht etwas Ernsteres hinter meinem unerträglichen Blähungs und Aufstoßerscheinungen verberge. Mit allen Chikanen der modernen Wissenschaft wurde ich untersucht und schließlich festgestellt, daß ich ein nervöses Darmleiden habe, das nicht schlimm aber sehr lästig sei und dem man nur auf psychischem Wege beikommen kann. Irgendwo mußte der Cirkulus vitiosus Darmerkrankung – Depressionen – Darmerkrankung unterbrochen werden. Das sollte unter Leitung von Fränkel geschehen. Da kam der Krieg. Es wurde natürlich nichts daraus; aber die große Tatsache des Krieges mit ihrer Ablenkung der Gedanken von dem kleinen Ich hatte im Zusammenhang mit dem nervenberuhigenden Entscheid Krehls eine sehr günstige Wirkung auf meinen Zustand, so daß ich mich jetzt zwar noch nicht wieder ganz gesund, aber doch erheblich besser fühle.

Ich habe diesen Brief in die Maschine diktiert, damit ihn der Zensor schneller lesen kann und Du Aussicht hast, ihn zu erhalten. Bleibe gesund und sei von uns allen aufs herzlichste gegrüßt. Hoffentlich dauert es nicht mehr zu lange, bis wir uns einmal wieder aussprechen können. Möge es uns bis dahin vergönnt gewesen sein, einen günstigen Frieden zu diktieren. (C.H.B.)

 

28. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Loanda, 20.12.1914

(Schreibmaschinenmanuskript)

Lieber Carl,

mit Deinem ausführlichen Brief, dem orientierendsten, den ich bisher aus Europa bekommen habe, und mit den Drucksachen hast Du mich sehr erfreut. Besonders Deine Schriften haben mir gefallen, bis auf den Gedanken, die Russen durch einen gestärkten Tartarenstaat vom Schwarzen Meer abhalten zu wollen. Das würde ich für utopisch halten. Dagegen hat mir die Schrift von Dibelius über England, obwohl eine Menge Wissen darin leicht verdaulich gemacht ist, nicht eben imponiert.

Die Gedanken darüber, wie der Krieg voraussichtlich verlaufen wird , und was nachher wer-den soll, beschäftigen natürlich auch mich unablässig. Als Unterlagen habe ich die gleichen Nachrichten wie ihr, nur 1 bis 2 Monate später, mit Ausnahme der Reutertelegramme und der Depeschen des Britischen Ministers in Lissabon, Mentiroso Britanico, wie wir ihn hier nennen. Die Resultate, die man beim Frieden hereinbringen kann, bemessen sich selbstverständ-lich in erster Linie nach der Größe des errungenen kriegerischen Erfolges; und da glaube ich, daß wir mit unserem wohlorganisierten Zusammenhalten, mit unserer Volks- und Heeres-kraft in absehbarer Zeit dazu kommen, die französisch-englische Mauer zu durchbrechen und die Heere zu schlagen. Die Russen werden, wenn keine Revolution ausbricht, mit der zu rechnen unvorsichtig wäre, wohl in einem Zustand Prestige, Geld und Menschen seiner Kolonien zu verlieren. Dagegen können wir uns vorsehen durch Erwerb von Flottenstützpunkten und Kohlenstationen, die zugleich dazu dienen müssen, die Türme eines erdumspannenden Telefunkennetzes zu tragen; dazu brauchen wir Milliarden, um unsere Flotte zu vergrößern und leider auch vielleicht einen Stützpunkt an der belgischen Küste. Daran, daß es möglich wäre, die Engländer aus Ägypten hinauszuwerfen, bevor sie nicht völlig am Boden liegen, glaube ich nicht. Die Querlinie durch Afrika und den Schutz unserer wirtschaftlichen Interessen in Vorderasien halte auch ich für notwendig, letzteres aber in Formen, die die Territorialhoheit der Türken wahren und zugleich den wirtschaftlichen Interessensphären der anderen in Syrien usw. ein Ende setzt. In Europa so wenig Grenzänderungen wie nur irgend möglich; darin bin ich ganz mit Dir einig. Die Regelung dieser Dinge wird eine ungeheure Arbeit machen und sehr viel historisches Verständnis und politische Weisheit erfordern.

Mir geht es nicht besonders; meine Nerven sind durch Arbeit, Sorgen und unglaublich viel Ärger ziemlich heruntergekommen. Zudem wird es jetzt recht heiß. Persönlich – amtlich natürlich alles andere – habe ich keinen heißeren Wunsch, als daß Portugal endlich einmal der neutralen Haltung, die schon lange eher das Gegenteil ist, ein Ende machen und mich von diesem Posten und der sehr drückenden Isolierung erlösen möchten. Neulich gab es wieder einen Zwischenfall an der Südgrenze; und neulich wirklich einen sehr schlimmen. Vielleicht ist ihnen das als Vorwand recht, da sie ein neues, anscheinend ziemlich unselbständiges Ministerium haben.

Ich möchte in dieser Zeit endlich auch einmal Soldat sein dürfen.

Seid alle recht herzlich gegrüßt. Ernst