Schloßschule Salem, 1924

HA VI Nachl. C.H.Becker. Rep 92 B. Nr.6283

375. Staatsekretär Professor Dr. C.H. Becker an Prof. Otto Baumann, Schloßschule Salem. Berlin, 5.1.1924.

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Als einer der Väter, die ihre Kinder der Salemer Schloßschule anvertraut haben, bin ich Ihnen dankbar, daß Sie mich sofort von den Angriffen in Kenntnis gesetzt haben, die in letzter Zeit in der Salemer Presse laut geworden sind. Diese Angriffe haben mich um so mehr überrascht, als ich anläßlich der Beerdigung des unvergessenen Geheimrat Reinhardt zu beobachten die Gelegenheit hatte, daß dieser bedeutende Pädagoge, der sein letztes großes Lebenswerk in der Schloßschule errichtet hatte offenbar von dem ganzen Salemer Tal aufrichtig betrauert wurde. Die Angriffe müssen also wohl von zugewanderten und völlig unorientierten Leuten ausgehen; denn die urdeutsche und echt badische Bodenständigkeit der Schloßschule ist doch für jeden Sachkenner ebenso augenscheinlich, wie der vaterländische Tradition und Aufgeschlossenheit für die Gegenwart harmonisch verbindende Geist, in dem sämtliche Pädagogen der Anstalt sich zu einzigartiger Gemeinschaft zusammengefunden haben. Was Sie und Ihre Mitarbeiter, insbesondere auch Herr Kurt Hahn, in Salem an Erziehungsarbeit leisten, darauf ruhen die Augen des ganzen pädagogisch interessierten Deutschlands. Ich habe seit der Begründung der Schloßschule diese Arbeit verfolgt und darf Ihnen bei dieser Gelegenheit wohl aussprechen, daß ich nicht nur als sachverständiger Fachmann der in Salem geleisteten Arbeit höchste Anerkennung zoll, sondern daß ich auch als Vater die praktische Konsequenz daraus ziehe und Ihnen nun bereits das zweite Kind anvertraut habe, das ich mir körperlich, seelisch und geistig nirgendwo besser aufgehoben denken kann als in der Salemer Schloßschule. Was hier, namentlich auch unter Herrn Hahns sittlichem und patriotischem Einfluß, den Kindern an erziehlichen Werten der Gemeinschaft geboten wird, geht weit über das hinaus, was das harmonischste und gebildetste Elternhaus bieten kann.

Sollten die Angriffe gegen die Anstalt Ihnen eine Bekanntgabe dieses Briefes wünschenswert erscheinen lassen, so bitte ich Sie, jeden beliebigen Gebrauch von ihm machen zu wollen.

Mit den besten Wünschen für das bevorstehende Abitur und für die endgültige Neuregelung der Leitungsfrage

In besonderer Hochschätzung Ihr ergebenster (C.H.B.)