HA VI Nr. 6293 (CHB - Walter Becker 1924-1932)
88. C.H.B. an den Reichsminister der Finanzen, Berlin. Berlin, 5.4.1924
Privatsekretariat (Maschinenkopie)
Mein unmündiger Sohn Walter, der keinerlei eigenes vermögen oder Einkommen besitzt und zu meinem steuerlichen Haushalt gehört, soll in England ein Semester studieren. Die Formalitäten seiner Aufnahme in Birmingham sind erledigt. Der Ankauf englischer Noten und die Überweisung der Pensionskosten sind mit Genehmigung des Finanzamtes in die Wege geleitet. Das englische Einreisevisum ist erteilt. Es fehlt nur noch der Sichtvermerk des zuständigen Finanzamtes.
Es bedarf wohl keiner weiteren Begründung, welche Bedeutung es auch im vaterländischen Sinn hat, wenn der akademischen Jugend insbesondere den künftigen Staatsbeamten, in ihrer entwicklungsfähigsten Zeit ein Einblick in ausländische, insbesondere angelsächsische Verhältnisse ermöglicht wird. Selbst als höchstbezahlter Staatsbeamter ist man heute nicht mehr in der Lage, die mit schweren persönlichen Opfern erkaufte Bereitstellung von Mitteln zur möglichst besten Ausbildung des Sohnes noch um eine Summe von 500 Mark zu vermehren, deren Erhebung zudem von Erwägungen ausgeht, die auf den vorliegenden Fall ganz gewiß nicht zutreffen. Unter diesen Umständen bitte ich ergebenst, den Härteparagraphen anwenden und die ‚Unbedenklichkeitserklärung’ unter Erlaß der Gebühr von 500 Goldmark für den anliegenden Paß meines Sohnes geben zu wollen. Da im Zusammenhang mit dem Beginn des englischen Studiensemesters als Abreisetermin der 15. oder 16. April d.Js. in Aussicht genommen ist, wäre ich für die Herbeiführung einer baldigen Entscheidung besonders dankbar. (C.H.B.)
89. C.H.B. an Sohn Walter, Birmingham. (Berlin), 7.7.1924
(Maschinenkopie)
Lieber Walter!
Im Anschluß an meinen Brief von gestern will ich Dir nur mitteilen, daß mir die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft, gez. Schairer, u.a. Folgendes geschrieben hat:
Gleichzeitig teilen wir Ihnen mit, daß Dr. Schairer an die Leitung der Swanwik-Konferenz in London geschrieben und sie gebeten hat, als deutschen Gast Ihren Sohn Walter einzuladen. Die anderen deutschen Studenten, die Dr. Schairer für die Konferenz ausgewählt hat, sind:
- Dr. Hans Harmsen, z. Zt. Stud.rer.pol. Universität Berlin, Berlin-Zehlendorf, Schwerinstraße 10, der einer der bekanntesten Führer der Jugendbewegung in Berlin ist. Ferner
- Stud.jur. Hans D. von Gemmingen, Heidelberg, Gaisbergstraße 22, der Dr. Schairer von Dr. Bergsträsser sehr warm empfohlen worden ist.
(C.H.B.)
90. Hertha Becker an ihren Bruder Walter. Salem, 13.3.1925
Lieber Walter!
Vielen Dank für den ‚unverdienten’ Brief und die Karte von Stöckchen (anbei zurück). Ich fühle mich außerordentlich schuldbewußt, aber in Anbetracht dessen, daß ja bald Ferien sind und ich schrecklich viel zu tun habe, werde ich mich an den glühenden Kohlen verbrennen, die Du auf mein Haupt geladen hast. Erst will ich mal Deine Fragen beantworten. Vera, die seit einigen Tagen krank ist (hohes Fieber) und infolgedessen und aus noch verschiedenen anderen Gründen jetzt kein Examen macht, wird am 29.März eingesegnet , in Konstanz. Habe ich wegen Hellmut irgend etwas vergessen? Ich hoffe nicht. Daß Mutter noch im Bett liegt, ist ja einfach entsetzlich. Hat sie irgend einen Arzt?
Mir geht es wieder ausgezeichnet. Es ist plötzlich eisig hier geworden, es liegt ziemlich Schnee, man kann etwas Schilaufen.
Das schriftliche Abitur ist vorbei und unter allgemeiner Aufregung ganz gut verlaufen. Montag kommt das mündliche. Der Geheimrat regt sich furchtbar auf und traktiert uns, als die Zukünftigen ganz wahnsinnig. Ich arbeite kaum etwas anderes als Realistenmathematik für mich und mit drei anderen, die alle ziemlich am Sitzenbleiben sind, mehr oder weniger. Und dazu muß ich am Mittwoch einen Vortrag halten über ‚Das Wesen des deutschen Volkslieds und Goethes Stellung dazu’, also für Arbeit ist gesorgt. Außerdem bin ich in Abwesenheit der Abiturienten das größte Mädchen usw.. Wir haben jetzt jede Woche einen sehr interessanten Musikgeschichte-Vortrag.
Jetzt muß ich aber Schluß machen, obgleich dieser Brief Dich sicher nicht befriedigt, aber ich habe noch keine Ferien und auch noch kein Abitur gemacht und weiß außerdem, daß mein Bruder auch mal vorlieb nimmt.
Gruß und Kuß, Deine Hertha
91. C.H.B. an Sohn Walter, stud.jur., Gelnhausen (Berlin), 8.4.1925
Privatsekretariat (Maschinenkopie)
Lieber Walter,
Einliegend schicke ich Dir den Brief des Amerikaners, den ich eröffnet habe, weil ich es für richtig hielt, erst einmal mit Remme darüber zu sprechen. Remme rät nach wie vor sehr zu, obwohl der Brief Mutter und mir nicht übermäßig gefallen hat. Immerhin ist es ein Zeichen besonderer Liebenswürdigkeit, daß er in Deutsch geschrieben ist. Ich habe mir nun überlegt, daß Du ihm schreiben solltest und zwar in gutem englisch, daß du Dich sehr freuen würdest, ihm zur Verfügung zu stehen, daß es Dir aber wegen Deiner Universitätsstudien unmöglich wäre, vor Sonntag, dem 19., zu ihm zu stoßen. Nach seinem Plan würdest Du dann direkt nach Baden-Baden fahren und ihn dort treffen. Du kannst ihm ja ein paar Worte über Deinen Aufenthalt in England sagen, und daß Du Dich seiner Jungens schon nett annehmen würdest. Remme meint, Du solltest die 15 Dollar die Woche beanspruchen. Schreibe ihm bitte sofort, denn der Brief hat einige Zeit bei mir gelegen, und er möchte natürlich bald etwas Entscheidendes wissen. Remme wird gleichzeitig noch einmal an den Generalkonsul schreiben und darüber aufklären, daß Du mein Sohn bist, was natürlich bei einem Besuche von Berlin für einen Amerikaner auch einen gewissen Reiz haben wird.
Von Herthas Operation wirst Du gehört haben. Ich bin sehr beruhigt, daß sich nachträglich herausgestellt hat, daß die Operation unbedingt notwendig war. Auch heute kam wieder ein erfreuliches Telegramm: ‚Gute Nacht ohne Schlafmittel, Stimmung und Befinden gut.’
Für Deine Karte mit Carl Bornemann danke ich bestens. Auch hat mir Mutter Deinen Brief und Deine Karte aus Heidelberg geschickt. In Sachen Hertha waren wir etwas ungeduldig geworden, da die Nachrichten, die Ihr uns schicktet, außerordentlich unpräzis waren und Mutter sich doch mit allem auf die Reise einstellen mußte. Na, diese Dinge sind nun erledigt, und ich hoffe, daß Mutter mit Hertha eine schöne Erholungszeit erlebt. Zufällig erfuhr ich, daß Götsch gerade ebenfalls in Friedrichshafen bei seinem Bruder weilt; er wird vielleicht Hellmut mitnehmen können und dadurch Mutter entlasten.
Du wirst gelesen haben, daß ich inzwischen wieder zum Minister ernannt bin, und wir hoffen, daß es nun für längere Zeit Ruhe gibt. Aber gewiß ist im politischen Leben ja nichts! Gerade die heutige Nachricht von dem Frevel der Aufstellung Hindenburgs hat mich doch sehr erschüttert. Hoffentlich ist das deutsche Volk politisch reif genug, um auf diesen parteipolitischen Schwindel der Rechten nicht hereinzufallen. Nachdem Ludendorff sich selbst zerstört hat, nun auch noch den alten Nationalheros Hindenburg in den Parteikampf zu ziehen, ist ein so unerhörtes Unternehmen, daß ich gar keine Worte dafür habe, zumal doch bekannt ist, daß Hindenburg schon am Ende des Krieges ein überalterter Mann war und für eine siebenjährige Leitung der gesamten Reichspolitik doch einfach nicht mehr in Frage kommen kann. Und so etwas geschieht unter der Ägide derjenigen Parteien, die mit Inbrunst und Überzeugung immer wieder von dem Primat der auswärtigen Politik sprechen. Für das Ausland konnte die Rechte wahrlich keine dümmere Wahl treffen. Mir tut der arme Hindenburg bis in die Seele leid; denn selbst wenn er mit wenigen Stimmen Majorität gewählt werden sollte, so ist er doch nur ein Schatten und ein Spielball in den Händen einiger Drahtzieher. Ich saß gerade neben Simons auf einem Frühstück beim Reichskanzler, als die Nachricht kam. Sie erweckte geradezu eine gewisse Depression. Es war übrigens ein sehr nettes Frühstück, das ich nur leider früh abbrechen mußte, da ich hinterher zur Beisetzung von Partsch, die sehr würdig verlief, fahren mußte.
Ich hatte viel amtliche Repräsentationen in letzter Zeit, und Du wirst meinen Namen öfters in den Zeitungen gelesen haben. Ich war zweimal beim Reichspräsidenten zum Frühstück und gebe heute abend selbst einen Empfang für die klassischen Philologen anläßlich der Tagung über das Gymnasium im Zentralinstitut. Es werden ungefähr 80 Personen kommen, dazu der Reichspräsident und der Reichskanzler.
Die nächsten Tage bleibe ich ruhig zu Hause und will an meinem zweiten Band arbeiten. Ostern werde ich in Ruhe mit Gragger verleben.
Allen Lieben in Gelnhausen herzliche Grüße. (C.H.B.
92. C.H.B. an seinen Sohn Walter, Freiburg. (Berlin), 13.3.1926
Privatsekretariat (Maschinenkopie)
Lieber Walter!
Einliegend sende ich Dir 100 Mark für Deine Reise. Du mußt sehen, wie Du damit zurecht kommst. Bitte schreibe recht bald einmal, wie Deine Pläne eigentlich sind, d.h. besonders, wann Du zurückzukommen gedenkst.
Wir haben nach langem hin und her nun alle Reisepläne für Ostern endgültig aufgegeben, da es bei Muckels Gesundheitszustand nicht gut geht und auch Mutter kaum frisch genug dazu ist. Sollte schließlich das Wetter wundervoll werden. so können wir ja von hier doch noch irgendwohin fahren; das aber müssen die Umstände ergeben. Wahrscheinlich wird Eberhard zu Ostern da sein, und dann wird es schon ganz vergnügt werden. Auch mit Deiner Rückkehr bitte ich es so einzurichten, daß Hertha, die am 25. oder 26. kommt, noch ein paar Tage allein hier sein kann, ehe der allgemeine Ostertrubel beginnt. Hellmut ist gestern zum ersten Mal eine halbe Stunde aufgewesen, und wir sind nun sehr neugierig auf den Befund. Die Pflege ist schrecklich langweilig und anstrengend für Mutter, und es wird höchste Zeit, daß sie durch Hertha eine gewisse Entlastung erfährt. Auch wird es recht lange dauern, bis Muckel wieder seine alte Frische hat und vor allem ohne spezielle Rücksichten leben kann.
In Osterholz las ich Deinen Brief an Onkel Ferdi. Ich war als einziger Vertreter der Familie hingefahren und verlebte dort zwei sehr nette Tage, traf auch Ully, besichtigte Schulen im Kreise und fuhr dann zwei Stunden mit Else im Auto nach Stade, wo wir einen Abend lang beim Regierungspräsidenten tanzten; dann in der Nacht durch Sturm und Braus mit Tante Else nach Osterholz zurückgefahren, und von dort aus heim nach Berlin, wo ich sofort einen Bierabend bei Hindenburg mitmachte. Gestern hatte ich selbst ein Frühstück mit einigen Hauptwirtschaftsführern zur Finanzierung des Gragger’schen Instituts, die auch bestens gelang. Abends war ich mit Mutter auf der Sowjetbotschaft zu einem sehr festlichen Dîner mit der ganzen Preußischen Regierung und danach noch allein zur Jahresfeier der Hochschule für Politik. So geht es jetzt tagaus tagein, und ich wundere mich immer, daß Magen und nerven noch Stand halten. Wir hatten neulich ein sehr elegantes Frühstück auch auf er Französischen Botschaft, und am Tage meiner Rückkehr aus Osterholz war Mutter allein wieder dort zu einem großen Empfang. Auch aus diesen Gründen freue ich mich auf die Ruhe der Ostertage.
Zu Herthas Empfang ist schon alles vorbereitet. Muckel ist ins Spielzimmer disloziert und Herthas Zimmer mit aus Augsburg eingetroffenen Korbmöbeln sehr nett dekoriert. Es verdient immerhin Erwähnung, daß uns das unglaubliche Mädchen bis heute außer einem Telegramm noch ohne jede Nachricht über ihr Abitur gelassen hat, obwohl es schon 8 Tage her ist,, und sie erst auf ein Telegramm von uns hin entschloß, uns
(Schluß fehlt) (C.H.B.)
93. Kultusministerium (wahrscheinlich RR Duwe) an Walter Becker. Berlin, 7.5.1926
(Maschinenkopie)
Sehr geehrter Herr Becker!
Ihr Herr Vater, der augenblicklich durch die Beratung des Etats unseres Ministeriums im Plenum des Landtages besonders stark in Anspruch genommen ist, hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß er am Freitag, dem 14. des Monats in St. Blasien die Eröffnung eines vom Preußischen Lehrerverein dort eingerichteten Kurhauses vornehmen wird. Bei seinen Reisedispositionen hat der Herr Minister auch einen Tag des Zusammenseins mit Ihnen in Aussicht genommen, für den Sie nach Belieben ein Programm vorsehen möchten.
Der Herr Minister wird hier am Mittwoch, dem 12. Mai, abends 9.12 Uhr abfahren und am Himmelfahrtstage mittags 12.34 Uhr in Freiburg eintreffen. Am Freitag, dem 14. Mai, kommt mit dem gleichen Zuge Herr Ministerialdirektor Kaestner nach und werden dann beide Herren vom Bahnhof die Weiterfahrt mit dem Auto, das ihnen von dem Kurhause geschickt wird, fortsetzen. For Sie steht also die Zeit vom 13. Mai 12.34 h bis 14.Mai 12.34 h zur Verfügung. Am Sonnabend, dem 15. Mai, kommen die Herren wieder mit dem Auto nach Freiburg, um von hier mit dem Zuge um 9.30 h vormittags die Fahrt nach Coblenz/Bonn fortzusetzen.
Von Ihrem Herrn Vater Ihnen recht herzliche Grüße übermittelnd, denen ich solche von mir mit verbindlichsten Empfehlungen anschließe, bin ich Ihr sehr ergebener (?Duwe)
94. Walter Becker an seinen Vater C.H.B. Genf-Champel, 2.8.1926
Lieber Vater,
nach herrlicher Fahrt über Romanshorn – Zürich – Bern – Fribourg – Lausanne bin ich gestern abend hier wohlbehalten angekommen. Es war der erste August du auf den Bergen zu beiden Seite des Sees loderten die Feuer. Die Stadt selbst war gebadet in einem Meer von licht, als ich ankam.
Hier draußen wurde ich von Mme Gentat (?) reizend aufgenommen und in demselben Zimmer untergebracht, in dem ich voriges Jahr mit Oskar gewohnt habe. Es liegt im ersten Stock und hat einen herrlichen Blick über die alten Bäume des Gartens auf den Lalève. Ich bin wirklich sehr froh, daß ich hier wohne, und habe mich aufs neue überzeugt, daß der Preis im Verhältnis zu dem, was ich dafür bekomme, nicht zu hoch ist.
Der Hauptzweck dieser Zeilen ist begreiflicherweise der, Dich über meine finanzielle Lage zu orientierten. Ich habe zur Zeit noch 350 Franken, also nicht ganz 300 Mark. (Die anderen 100 Mark – 800 hattest Du mir geschickt – sind für Reisekosten etc. draufgegangen. Als Hauptposten wären zu nennen: Mark 16,35 =20 frs, die ich hier als Anzahlung einschicken mußte; Mark 8,80 Franz(ösisches) Lexikon und Grammatik; Mark 33,10 Billet Freiburg Genf; Mark 12,40 Gepäck; sowie Reiseausgaben und Schlußausgaben in Freiburg.) Das Zimmer hier kostet mit voller Pension 9 Franken pro Tag + 5% Bedienung. Das wären für den ganzen August Franken 293, wozu noch 5 Franken für Licht kommen. Der Kurs an der Universität kostet 90 Franken. 20 Franken habe ich schon im Voraus bezahlt, es bleiben also noch 70 Franken zu bezahlen.
- Pension Frs. 298.-
-
Kurs Frs. 70.-
Frs. 368.-
Ich glaube nicht, daß hierzu noch sehr wesentliche Ausgaben hinzukommen. Ich bitte Dich aber, mir (möglichst sofort noch etwas zu schicken, und vielleicht ein bißchen mehr, als ich unbedingt brauche, damit ich für alle Fälle etwas in der Tasche habe. Ich brauche Dir nicht zu versichern, daß ich alle Extraausgaben möglichst einschränken werde. Ich besitze wie gesagt z.Zt. noch 354 Frs.—
Heute früh war ich auf der Universität. Alles scheint glänzend organisiert zu sein. Die Kurse beginnen heute Nachmittag. Die Stadt ist bezaubernd, das Wetter strahlend. Es kann eine herrliche Zeit werden.
Hier im Haus habe ich viel Gelegenheit zu sprechen, und kein Mensch kann ein Wort Deutsch. Ich bin überzeugt, daß ich sehr schnell hereinkommen werde.
Nun Schluß für heute. Ich wünsche Dir weiter gute Erholung und grüße Dich vielmals,
von Herzen Dein Walter.
95. C.H.B. an Sohn Walter in Genf (Berlin?), 18.9.1926
Privatsekretariat (Maschinenkopie)
Lieber Walter!
Gestern war Oskar bei mir, wir hatten eine gemütliche Teestunde im Rauchzimmer des Ministeriums. Ich will überlegen, ob ich Dir für Paris nicht noch ein paar Einführungen verschaffen kann. Jedenfalls suche meinen Freund Professor Louis Masssignon auf (Paris VII, Rue Monsieur 21). Am besten schreibst Du ihm vorher. Ich betrachte ihn als einen, der zu meinem engeren Freundeskreise gehört. Du wirst in ihm einen ganz hervorragenden Typ feinster französisch-katholischer Geistigkeit kennenlernen. Glänzender Orientalist, aus sehr gutem Hause, vermutlich aber jetzt in bescheideneren Verhältnissen lebend. Er ist etwa 40 Jahre. Ich bin mit ihm in Griechenland und Holland sehr nahe zusammen gewesen. Er ist ein Mystiker, hat ein Erlebnis wie Paulus vor Damaskus gehabt und sein ganzes Leben danach gestaltet. Davon brauchst Du ihm gegenüber natürlich nichts zu wissen. Grüße ihn sehr, sehr herzlich von mir und sage ihm, wie freundschaftlich ich an ihn denke. Hoffentlich ist er in Paris. Ich werde Dich durch ein paar Worte avisieren.
Hellmut geht es wieder gut. Er kommt dieser Tage auf den Ottenberg zurück. – Hier stand alles im Zeichen des neu ernannten Generalintendanten. Die Sache ist ausgezeichnet abgelaufen, und selbst einige Mäkler habe ich durch lange persönliche Besprechungen zu freudig zustimmenden Artikeln gebracht. Damit sind wir eingroßes Stück auf dem Wege der Gesundung der Berliner Opernverhältnisse vorangekommen. – Meine Rede auf Tagore im Kaiserhof lege ich Dir im Auszuge bei.
Heute ist ein herrlicher Tag. Mutter und Hertha sind ans Wasser gegangen. Ich beginne morgen eine längere Reiseperiode, zunächst Naturforschertag in Düsseldorf mit Gesolei, wo ich Lexis’ ens und vielleicht Ernst Blumenstein treffen werde. Dann Breslau. Der Betrieb beginnt wider gründlich. Ich freute mich sehr, von Oskar zu hören, daß Du im Winter viel zu Hause sein und arbeiten willst. Die Botschaft hör’ ich wohl.—Weidmannsheil! Geld werde ich dann wohl nach Paris schicken, sobald Du schreibst, wohin. Wenn’s nicht zu viel kostet, bleibe natürlich möglichst lange dort, damit Du recht viel davon hast.
Mit herzlichen Grüßen Dein getreuer (Vater).
96. C.H.B. an Sohn Walter, Lausanne-Ouchy. (Berlin), 25.9.1926
Privatsekretariat (Maschinenkopie)
Lieber Walter.
Ich schicke Dir einliegend 100 Schweizer Franken und 25 Dollar. Es ist für Paris am besten, langsam zu wechseln. Eine weitere Sendung schicke ich Dir dann unmittelbar nach Paris, wenn es nötig ist. Ich bin der Meinung, daß Du möglichst lange in Paris bleiben solltest. Einliegender Brief meines Freundes Massignon (Paris VII, Rue Monsieur 21) wird Dir zeigen, was für ein entzückender Mensch das ist. Schreibe ihm also, bitte, sofort. Ich will ihm Deine Adresse in paris mitteilen, aber ist schon richtig, daß Du ihm auch persönlich schreibst.
Uns allen geht es sehr gut. Heute nur so viel; ich bin in großer Eile und schreibe Dir nach Paris in Ruhe. (C.H.B.)
97. C.H.B. an Sohn Walter, Referendar, Chicago, bei Dr. Baum (Berlin), 26.1.1929
(Maschinenkopie)
Lieber Walter!
Heute erhielten wir mit der Morgenpost Deinen ersten Brief aus Amerika, der von Deiner Seefahrt berichtet. Schon seit Tagen hatten wir bei jeder Post darauf gelauert, da natürlich unsere Gedanken sehr viel bei Dir sind und es uns so merkwürdig vorkommt, daß immer fast 14 Tage zwischen Deinem Erleben und unserem Nacherleben liegen. Da Du gar nichts von Deiner Gesundheit schreibst, hast Du offenbar die Grippe der ersten Tage schnell überwunden und doch ganz viel Genuß von der Überfahrt gehabt. Mit größter Spannung erwarten wir die ersten Nachrichten aus Chicago. Jeder, mit dem ich spreche, stellt mir Empfehlungen für Dich zur Verfügung, aber ich habe sie bisher alle abzudrängen verstanden, da ich glaube, daß Du zunächst genügende besitzest. Nur Dr. Paul Lempner erklärte sofort, daß er Dir schreiben wolle und daß er so ganz besonders gute Freunde hätte, die Dir gerade auf juristischem Gebiet von Nutzen sein könnten. Deshalb konnte ich sein Angebot nicht ablehnen, und Du wirst ja wohl inzwischen seinen Brief erhalten haben. Bei der ganzen Art Kempners handelt es sich da gewiß um innerlich wertvolle Menschen. Ferner hatte ich neulich ein langes Gespräch mit unserem deutschen Konsul Dr. Ahrens in St.Louis, der zurzeit hier ist und den ich von früher her kenne. Er würde Dir natürlich jeden Gefallen tun, wenn Du hinkämst. Er ist ein frischer, noch jüngerer Mann, der mir auch allerlei Tips über die Chicagoer Gesellschaft gegeben hat. Er meint, Du würdest ja wohl von selbst durch Generalkonsul Simon mit Louis Günzel in Beziehung kommen. Das wäre ein sehrempfehlenswertes Haus. Dagegen sprach er mit sehr viel Reserve von dem Vertreter des Norddeutschen Lloyd, Ludwig Plathe, der sehr reaktionär und zudem sehr indiskret sei. Du möchtest Dich also bei ihm durch etwaige Liebenswürdigkeit nicht täuschen lassen. Endlich erhielt ich einen reizenden Brief von meinem ältesten Schüler Professor Julian Morgenstern (Cincinatti, Ohio, The Hebrew College), von dem ich Dir ja schon gesprochen habe. Ich sende Dir auf besonderem Zettel den Dich betreffenden Auszug seines Briefes.
Von uns ist nur Gutes zu berichten. Ich verbringe meinen Sonnabend nachmittag im Ministerium, nachdem ich vorhin um ½ 3 Uhr mit Mutter und Hellmut, Wende und Kunert zusammen zu Mittag gegessen und mit ihnen beim Kaminfeuer die Korrekturen für unser großes Tischordnungsprogramm nächsten Montag gelesen habe. Wir werden Dir einen Reindruck zugehen lassen, damit Du siehst, wie viel erlauchte Leute an diesem Feste teilgenommen haben. Die ganze vorige Woche waren wir keinen einzigen Abend zu Hause. Ich hatte Hellmut zwischen vorigem Sonntag und heute, Sonnabend, überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Montags beim Reichskanzler, Dienstag beim Reichspräsidenten mit Hertha und hinterher sehr vergnügter Universitätsball, auf dem ich sogar noch getanzt habe, und zwar mit der Frau von Eberhard, während Hertha mit ihm tanzte. Am Mittwoch war ein Dîner bei Guérards, am Donnerstag ein fabelhaft elegantes Essen auf der Niederländischen Gesandtschaft, gestern war das Universitätskonzert unter dem Protektorat der Mutter in der alten Aula mit daran (an)schließendem Tee und guter mittelalterlicher Musik, wobei Sooth und Frau Richter mitwirkten, und heute Abend gehe ich mit der Tante Sophie auf den Presseball. Morgen kommt Professor Fischler aus München, unser alter Freund, zu Tisch und abends Harro und Unruh. Am Montag ist dann die Gesellschaft.
Von den unzähligen Lessing-Feiern habe ich nur am vorigen Sonntag die Rede von Gundolf gehört, die ganz vorzüglich war und die mich so begeisterte, daß ich ihn am nächsten Tag zum Frühstück einlud., wo wir uns famos unterhielten. Ferner hörte ich in der Akademie einen sehr guten Vortrag von Thomas Mann, echt mannisch, eine Parallele zwischen Lessing und ihm selbst mit dem entzückenden Satz:
Lessing wäre dem Schicksal so mancher Dichter verfallen, daß man erst alles Dichterische ihm abstritte und dann zu dem Urteil käme, daß er eben doch nur ein Schriftsteller gewesen sei, und zwar nicht einmal ein patriotischer.
Es gab natürlich ein allgemeines Geschmunzel. Dann habe ich noch die Lessing-Ausstellung in der Staatsbibliothek mit eröffnet, wobei Molo famos sprach. Du siehst also, an Betrieb fehlt es mir nicht. Aber Gottlob habe ich auch dienstlich zur zeit viel Interessantes. Wir machen jetzt einen Endspurt mit dem Konkordat, da ein klarer Text vorliegen muß, auf den die Volkspartei verpflichtet werden kann, wenn sie überhaupt den Wunsch hat, in die Koalition in Preußen einzutreten. Auf unklare Versprechungen wie bei dem Schulgesetz läßt sich das Zentrum zum zweiten Mal nicht ein. Die starke Spannung mit dem Nuntius hat sich etwas behoben, namentlich da wir uns fast allabendlich auf Gesellschaften begegnen, so daß ich jetzt wieder mit einigem Optimismus der Entwicklung entgegensehe. Aber auch auf schulischem Gebiet gehe ich zur Zeit einigen großen Gedanken nach, die aber noch nicht reif sind, in einem Brief skizziert zu werden.
Damit will ich für heute schließen. Hoffentlich bleibst Du gesund und bist durch Deine kleine Grippe geimpft. Das Ministerium bricht nahezu vor Grippeerkrankungen zusammen. Zur Zeit fehlen unter meinen nächsten Mitarbeitern Lammers, Duwe, Richter, Nentwig, Zierold. Letzterer hat sich sogar fluchtartig nach Stettin zurückgezogen.
Viele innige Grüße vom ganzen Hause (C.H.B.)
98. Walter Becker an seinen Vater C.H.B. Berlin-Steglitz, Schillerstr.2, 15.2.1930
Lieber Vater,
in Liebenwalde war diese Woche so viel los, daß ich erst in dem stillen Berlin dazu komme, Dir für Deinen lieben Brief, den ich sofort an die Geschwister weitersandte, zu danken. Zur Ergänzung meiner Zeilen vom vorigen Sonntag möchte ich noch sagen, daß ich den Präsidenten Hutchins persönlich nicht kennengelernt habe, da er erst nach meiner Abreise von Chicago zum Präsidenten gewählt worden ist. Damals war der Posten gerade verwaist.
Ich nehme an, daß sie Dich dort als Pädagogen und Universitätsfachmann wollen, die dauernde Stellung wäre sicher eine solche mit der Aufgabe, die Organisation der jungen Universität, von der ich neulich schon schrieb, nach deutschem Vorbild leitend zu beeinflussen.
Hier fand ich heute alles bestens vor. Das Verhältnis zu Mlle. Jacobi scheint äußerst harmo-nisch und für alle Teile befriedigend. Heute Nachmittag werden wir mit Gene Staley und ihr eine Bridge-Party geben, ob auf englisch, französisch oder deutsch, wissen wir noch nicht.
Abends gehen Hertha und Hellmut zu einer Galsworthy-Aufführung ins AGD, ich werde mit Marianne Partsch ins Esplanade Tanzen gehen.
Amtgerichtsrat Hassert ist heute nacht plötzlich an das Sterbebett seines Vaters abberufen worden. Wir haben als Vertreter für 10 Tage einen Assessor Last aus Berlin zum Chef.
Die Arbeit in Liebenwalde ist weiterhin äußerst befriedigend, gestern erhielt ich zum ersten Mal ein Lob für ein Civilurteil, während bisher alle von uns beiden gefertigten Urteile als nicht genügend bezeichnet worden waren.
Eure (bzw. Mutters) Briefe habe ich mit viel Interesse soeben gelesen, leider schreibt die Zeitung heute wieder von einem erneuten Wettersturz an der Riviera. Hoffentlich ist auch dieser nur vorübergehend, so daß Ihr recht auf Eure Kosten kommt. Mutters Kniesache ist ja sehr ärgerlich, aber vielleicht hat sie sich gelegentlich des Wettersturzes etwas ausheilen können.
Alles Liebe Euch beiden, und viele Grüße.
In treuem Gedenken Dein Walter.
99. Walter Becker a The Windermere Hotel, Chicago Ingleside, Magnetawan,
Ontario, Canada. 4.9.1930
(Maschinenkopie)
Dear Sirs,
My father, Dr. C.H.Becker of Berlin, Germany, and I intend to spend a week or two in Chicago the coming October. We want to stay at the south-side of the City and should like to stay at your hotel if we can get a really nice double room at a good weekly rate. I called up your office the other night and got the information that you had rooms for a double rate from 35 to 45 Dollars a week at the East Windermere Hotel. Will you please confirm me this information, and if it is correct, will you reserve a double room for us for a week starting the evening of October 6th. Our address from now on up to September 22nd will be c/o Dr.W.O. von Hentig,70 Seacliff Avenue, San Francisco, California, and I should be much obliged if you would let me have your reply as early as possible. We should want to have a room with bath overlooking the lake at a rate of between 40 and 45 Dollars for the two of us.
Will you please also tell me in your letter, if there is a difference in the management of the two Windermere Hotels, so that in order to avoid confusion we had better give a more definite address for our mail than just Windermere Hotel Chicago.
I am enclosing a check for a suit-case checked at La Salle Street Station Chicago and would oblige me very much by having it brought up to the hotel and checked there at our expense.
Hoping to hear from you soon, yours truly (Walter Becker)
100. Hotels Windermere, Chicago an Walter Becker, San Francisco bei Dr.W.O. von Henting. Chicago, 8.9.1930
Dear Mr. Becker,
We are pleased to receive your letter of September 4th advising that you expect to reach Chicago the evening of October 6th to remain one week, ore possibly more.
We have made a definite reservation for a large comfortable room with twin beds and a private bath which will be in readiness for you on your arrival here at that time at a weekly rate of $45 which we trust will meet your approval.
This room is located in Windermere East Hotel which is the larger and newer of the two units. The two hotels are operated under the same management, which will assure you that there will be no delay in mail reaching you promptly. It would be well, possibly, to have your mail addressed to hotel Windermere East however.
The baggage check which was enclosed in your letter we have turned over to our head porter and your bag will be brought from the La Salle Street Station immediately and taken care of here at the hotel without any charge for the care of same at the hotel until you claim it.
Assuring you this matter will have our personal attention and anticipating your arrival with Dr. C.H. Becker, we are cordially yours (signed) Robert Riley Asssistant Manager.
101. Referendar Walter Becker an C.H.B. Berlin, 26.5.1931
(Maschinenkopie)
Lieber Vater,
Für den Fall, daß ein Dir von mir mit Flugpost nach Eastbourne nachgeschickter Brief des 2.Generalsekretärs des Völkerbundes, Dr. Dufour-Féronce, Dich infolge des Feiertagsbetriebs in England nicht erreicht hat, will ich Dir schnell den Inhalt dieses Briefes wiederholen:
Dr. Dufour fragt bei Dir im Auftrag des Völkerbundsrats vertraulich an, ob Du bereit wärst, die Leitung einer aus 4 Vertretern verschiedener Länder bestehende Völkerbunds–Kommission zum Studium der Erziehungsverhältnisse in China zu übernehmen und mit dieser Kommission noch in diesem Sommer für3 Monate auf Kosten des Völkerbundes nach China zu fahren. Herr Dr.Bonnet, der Direktor des Instituts für internationale geistige Zusammen-arbeit in Paris, wird in diesen Tagen gelegentlich Deines Vortrages gleichfalls versuchen, Dich zur Übernahme dieses Amtes zu überreden. Die Tätigkeit der Kommission bzw. des Völkerbundes überhaupt in dieser Sache ist auf ein Ersuchen der Nanking-Regierung zurück-zuführen. Bisher sind in ähnlicher Weise vom Völkerbund vor allem Enquêten auf sanitärem Gebiet in China vorgenommen worden, die bereits zu erheblichen praktischen Ergebnissen geführt haben sollen. Einzelheiten wirst Du ja, falls Du den Brief noch nicht hast, später aus ihm entnehmen können, wenn er Dich erreicht. Ich wollte Dir nur die Hauptpunkte mitteilen, damit Du evtl. im Bilde bist, wenn Dr. Bonnet Dich auf die Sache hin anspricht. Dr. Dufour scheint sehr viel daran gelegen zu sein, daß gerade ein Deutscher die Führung dieser
Kommission übernimmt.
Ich hatte herrliche Pfingsttage in Liebenwalde. Gene und einbefreundetes Ehepaar kamen gestern noch heraus. Bei strahlendem Wetter lagen wir die ganzen Tage abwechselnd im Wasser und in der Sonne.
Im Hause ist alles in bester Ordnung. Die leider recht zahlreiche persönliche Post schicke ich Dir in diesem Brief.
Hoffentlich bist Du befriedigt mit der Zeit in Eastbourne. Von Hertha kam heute eine vergnügte Karte vom Zusammensein mit Mutter und Hellmut in Salem.
Viele Grüße und alles Gute für die Pariser Tage. (W.B.)
102. C.H.B. an Walter Becker, Berlin. Paris, 22.3.1932
(Maschinenkopie)
Lieber Walter,
bisher habe ich Dir nur mit einem kurzen Telegramm für alle Deine Mühewaltung danken können. Wenn wir mit Mark 60 Zoll abgekommen sind, so ist das fabelhaft günstig, und ich kann mir nur vorstellen, daß selbst den Argusaugen der Zollbehörde noch einiges entgangen ist. Wenn es Dich auch sehr viel zeit gekostet hat, was ich bedauere, so scheinst Du doch die Sache sehr geschickt gemacht zu haben. Ich finde es einen Unfug, daß man harmlose Reisende so schikaniert. Ich bin doch kein Händler, sondern bringe nur Sachen zu meinem eigenen Gebrauche mit, die ich mir in Deutschland doch nicht gekauft hätte.
Hauptsache dieser Zeilen ist aber nicht nur, Dir zu danken, sondern auch, die Frage der Sekretärin zu beantworten. Ich kann mich zu nichts entschließen, bevor ich weiß, wie weit meine Gehaltskürzung vom 1. April ab geht und ob ich überhaupt noch Mittel für eine Sekretärin vom Ministerium gestellt bekomme. Wenn die Streichungen wirklich so rigoros.
Vorgenommen werden wie verlautet, wird eine ganz neue Regelung greifen müssen und Mutter selbst, mit der ich dies besprach, würde vielleicht die neue Arbeit übernehmen oder aber, wir würden eine Dame für den Haushalt zur Unterstützung der Mutter engagieren, die gleichzeitig einige Stunden für mich arbeitet. Ich kann mich deshalb zur Zeit noch auf niemanden festlegen und vor allem auch auf kein Gehalt. Ich hatte ursprünglich daran gedacht, Hellige ins Haus zu nehmen und ihm noch ein klein wenig draufzuzahlen, um ihm dadurch das Studium zu ermöglichen und als Entgelt jeden tag ein paar Stunden zur Verfügung zu haben. Hellige ist aber Mutter so wenig angenehm, daß sie das sehr ungern tun würde, und ich habe deshalb diesen Gedanken aufgegeben.
Verzeihe die Kürze dieses Briefes. Ich bin stark in der Arbeit und in Paris natürlich auch sonst viel in Anspruch genommen. Es ist herrliches Wetter, und ich genieße diese wunderbare Stadt wie noch nie.
Grüße vor allem auch Hertha. In treuer Liebe (C.H.B.)
103. Dr. Walter Becker an Carola (von Blumenstein?). Berlin, 6.3.1933
(Maschinenkopie)
Liebe Carola!
Auf Deinen Brief vom 2.3.33 hin habe ich soeben mit Herrn Ministerialrat von Rottenburg im Preußischen Kultusministerium telefoniert, dem die Technischen Hochschulen in Preußen unterstehen. Er hat mir folgende Auskunft gegeben:
Die Entscheidung über die frage der Anrechnung des Freiwilligen Arbeitsdienstes auf das praktische Jahr der Studenten steht im freien Ermessen der zuständigen Fakultät. Die Fakultäten pflegen im allgemeinen Bau-Ingenieuren die im freiwilligen Arbeitsdienst verbrachte Zeit ganz oder teilweise anzurechnen, da die von diesen Leuten im freiwilligen Arbeitsdienst geleistete Arbeit auf demselben Gebiet liegt, wie diejenige Tätigkeit, die sie während des praktischen Jahres auszuführen haben. Bei Architekten dagegen besteht eine derartige Übung bisher nicht, da nur in den seltensten Fällen eine Beschäftigung auf einem Bau während des Arbeitsdienstes stattfindet.
Da diese Fragen eine grundsätzliche Regelung aber noch nicht gefunden haben, hält Herr v. Rottenburg ein diesbezügliches Gesuch nicht unbedingt für aussichtslos. Er empfiehlt daher Deinem Sohn, sich zunächst bei dem Arbeitslager einen möglichst genauen Bescheid über die von ihm während der Arbeitsdienstzeit auszuführenden Arbeiten zu holen und dann unter Beifügung dieses Bescheides ein Gesuch an die Fakultät für Architektur an der technischen Hochschule Hannover zu richten bzw. zunächst einmal anzufragen, ob ein solches Gesuch bei dieser Fakultät Aussicht auf Erfolg haben würde.
Mehr kann ich Dir leider auch nicht sagen. Das Kultusministerium ist auf jeden Fall nicht zuständig, da es sich um eine selbständige Entscheidung der Fakultät handelt.
Für Deine warmen Worte der Teilnahme danke ich Dir sehr. Ich hatte schon anläßlich des lieben Briefes, den Du mir nach meiner Verlobung geschrieben hast, die Absicht, Dir einmal ausführlicher zu schreiben, kam nur bisher nicht dazu, und jetzt wirst Du verstehen, daß ich noch weniger die Ruhe dazu finden kann. Es wäre schön, wenn man sich nach der langen Zeit einmal wiedersehen könnte. Mit vielen Grüßen auch von den Meinen an Dich, Deinen Mann und Deinen Sohn bin ich Dein Vetter (W.B.)