Deutsch-Türkische Vereinigung, 1914-27

VI.HA. Nl. C.H.Becker. Nr.176 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Anmerkung des Archivs:

Die DTV gründete im August 1915 als Unterabteilung eine

  • Auskunftsstelle für deutsch-türkische Wirtschaftsfragen, die später, 1916 in
  • Zentralgeschäftsstelle für deutsch-türkische Wirtschaftsfragen (zeitweilig auch
  • Deutsch-Türkische Wirtschaftszentrale) umbenannt wurde und ab
  • 1918 als Wirtschaftsinstitut für den Orient e.V. neu konstituiert wurde.
  • Geschäftsführer waren R. Junge (wissenschaftliche Abteilung) und G. Kayser (kaufmännische Abteilung)

 

60. Zentralgeschäftsstelle für Deutsch-Türkische Wirtschaftsfragen.

 Geschäftsbericht für die Zeit vom 1.10.1915 bis 31.3.1917. Berlin, 31.3.1917

(gekürzt vom Hg.)

(Die DTV) wollte im weitesten Sinne aufklärend wirken und zwar sowohl durch Auskünfte wie durch gutachtliche und sachverständige Unterstützung der Behörden, wirtschaftliche verbände und privater Kreise. Sie gedachte dadurch wie durch die Schaffung eines wissenschaftlichen Orientinstituts an der Regelung der künftigen Friedensbeziehungen am wirtschaftlichen Teile mitzuarbeiten.

…Folgende Flugschriften sind bereits herausgegeben und im Verlage von Gustav Kiepenheuer Weimar erschienen:

  • Heft 1: Die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen;
  • Heft 2: Türkisches Zollhandbuch;
  • Heft 3: Türkische Wirtschaftsgesetze

In Vorbereitung sind folgende:

  • Heft 4: Winke für Geschäftsanknüpfungen mit der Türkei. Organisation und Technik des Handels in und mit der Türkei.
  • Heft 5: Wichtige türkische Handelszweige, Textilwaren, Kleineisen, Maschinen..

Mit Ende des vorigen Jahres (i.e. 1916) entschloß sich die Zentralgeschäftsstelle diese Tätigkeit zu ergänzen durch die Herausgabe von vertraulichen Nachrichten. Diese sollen dazu dienen, vor allem den Mitgliedern der DTV aus Handel und Gewerbe aktuelles wirtschaftliches Nachrichtenmaterial, das für sie von geschäftlichem Wert sein kann, in einer Zusammenfassung, die das Heraussuchen dieser Nachrichten aus den Quellen erspart, zu übermitteln.(…)

Diese Aufklärungsarbeit war die Zentralgeschäftsstelle aber auch durch eine umfangreiche Auskunftstätigkeit zu ergänzen in der Lage, und zwar durch Auskünfte in Form größerer Denkschriften und Gutachten, vor allem an die Reichsbehörden, wie durch kleinere Auskünfte im laufenden Geschäftsverkehr. Diese letzteren betrafen Fragen über Bezugs- und Absatzmöglichkeiten, über Transportverhältnisse und über die Vorbereitung des Friedensgeschäfts. Hier war es oft nicht leicht, befriedigende Auskünfte zu geben, da die Kriegsverhältnisse mit ihrer Fülle von Zentralisationen und Bestimmungen die Aufgabe sehr erschwerten. An größeren Denkschriften wurden unter anderem erstattet:

  • Berichte und Gutachten über die Nahrungsmittelversorgung in der Türkei,
  • Über die Filmpropaganda in der Türkei;
  • Über Einrichtungen des deutschen Kriegsein- und Verkaufs in der Türkei u.a.m.

Da sich Anzeichen bemerkbar machten, daß, wie vor dem Kriege in unseren Kolonien, so jetzt auch on der Türkei zweifelhafte Existenzen sich mit schwindelhaften Gründungen befassen, gliederte sich die ‚Auskunftsstelle’ eine besondere ‚Begutachtungsstelle für Gründungswesen in der Türkei’ an. Diese Begutachtungsstelle prüft die der Öffentlichkeit mitgeteilten Pläne über Neugründungen in der Türkei nach und läßt, falls es sich ergeben sollte, daß sie sich auf übertriebenen Hoffnungen oder auf falschen Darstellungen der tatsächlichen Verhältnisse aufbauen, der Öffentlichkeit Aufklärungen zugehen.

An gesunden Gründungsprojekten teilzunehmen, ist andererseits die Zentralgeschäftsstelle (ZG) immer bereit gewesen; allerdings kann diese Teilnahme nur in der Form gewährt werden, daß die ZG ihre sachverständige und gutachtliche Arbeit für die Prüfung der Projekte und ihre Einrichtungen für die Beratung der Projekte den Interessenten zur Verfügung stellt.

(…)

Der Verbreitung der wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit, für die so der bisher fehlende Grundstock1 geschaffen wurde, dient das von den Mitarbeitern der wissenschaftlichen Abteilung herausgegebene und redigierte ‚Archiv für Wirtschaftsforschung im Orient’, im Verlage von Gustav Kiepenheuer in Weimar.

(…)

Die ZG ist immer bemüht gewesen, alle ihre Aufgaben zu lösen unter Benutzung zuverlässigen Materials und unter Heranziehung wirklicher theoretischer und praktischer Kenner des Orients und ist weiter bestrebt, ihre Aufgaben zu erledigen unter Vermeidung aller Doppelarbeit und durch Begrenzung ihrer Arbeitsgebiete und Zusammenarbeit mit bestehenden Institutionen.2

 

61. Auswärtiges Amt an C.H.B., Professor in Bonn. Berlin 4.2.1914

Vertraulich! (Maschinenmanuskript)

An Herrn Professor Dr. Heinrich Becker, Hochwohlgeboren, Bonn.

Wie mir der vorbereitende Ausschuß zur Gründung einer DTV mitgeteilt hat, bringen Euer Hochwohlgeboren den auf die Förderung deutscher Kultur in der Türkei gerichteten Bestrebungen lebhaftes Interesse entgegen.

In der Tat unterliegt es keinem Zweifel, daß bei der Neugestaltung der Dinge, die sich in der Türkei vollzieht, die Reform des Bildungswesens von grundlegender Bedeutung sein wird. Hilfe von deutscher Seite würde der Türkei in dieser Arbeit besonders wertvoll und auch, wie wohl hinzugefügt werden darf, besonders willkommen sein. Die Schaffung deutsch-türkischer Schulen mit Einschluß von Hochschulen und alle anderweitige, der Übertragung deutscher Kulturwerte dienende Tätigkeit würde zugleich in erwünschter Weise die mannigfache Anregung und Förderung ergänzen, die die Türkei auf sonstigen Gebieten von Deutschland her zuteil wird. Die wirtschaftliche Rückwirkung, die andere Nationen aus ihrer Kulturarbeit in der Türkei seit langen Jahren erfahren, dürfte dann auch für Deutschland in vollem Maße zu erwarten sein.

Der erwähnte Ausschuß hält nunmehr den Zeitpunkt für gekommen, alle an seinen Bestre-bungen interessierten Kreise zu einer umfassenden Vereinigung zusammenzuschließen, in die vielleicht andere, ähnliche Ziele verfolgenden Gruppen eintreten könnten. Seine Auffassung von der Art, wie diese Vereinigung wirksam sein würde, hat er in dem anliegenden Satzungsentwurf3 niedergelegt, von dem ich annehmen möchte, daß er eine zweckmäßige Grundlage für die Betätigung des Vereins darstellen würde.

Bei der Bedeutung der Angelegenheit habe ich mich gern bereit erklärt, dem Wunsche des Ausschusses entsprechend, in der konstituierenden Versammlung den Vorsitz zu übernehmen. Ich beehre mich demgemäß, Euer Hochwohlgeboren zu dieser Versammlung, die am 11. d.M. im Bundesratssaale, hier, Wilhelmstraße 71, vormittags 11 ¼ Uhr, stattfinden soll, ergebenst einzuladen; an die Verhandlungen würde sich eine gesellige Zusammenkunft der Teilnehmer schließen. Es würde mich freuen, Sie in der Versammlung begrüßen zu können oder, falls Sie verhindert sein sollten, anderweit zu hören, daß Sie Ihre Erfahrung und Ihr Interesse in den Dienst der Sache stellen wollen.

Gez. Jagow

 

62. Deutsch-Türkische Vereinigung an C.H.B. Berlin, 22.7.1914

Ehrenmitglieder: Exz. Generalfeldmarschall Frhr. Von der Goltz, Berlin ; Exz. General Mahmud Mukhtar Pascha, Kaiserlich Türkischer Botschafter in Berlin; Exz. Frhr. von Wangenheim, Kaiserlich Deutscher Botschafter in Konstantinopel.

Vorstand: Vorsitzender: Wirklicher Legationsrat Dr. Helfferich, Direktor der Deutschen Bank Berlin;

  1. stellvertr. Vors. Dr. Schacht, stellv. Direktor der Dresdner Bank Berlin;
  2. 2. stellv. Vors. Prof. Dr. Wiedenfeld, Köln;
  3. Schatzmeister: Dr. Alexander, Direktor der Orientbank, Berlin;
  4. Franz Johannes Günther, stellv. Generaldirektor der Anatolischen Eisenbahn, Konstantinopel;
  5. Dr. von der Nahmer, Köln
  6. Geh. Oberreg.-Rat Dr. Sachau, Direktor des orientalischen Seminars, Berlin;
  7. Generalkonsul Dr. Paul von Schwabach, Berlin

An die Mitglieder der Deutsch-Türkischen Vereinigung e.V.

Wir bitten Sie den von Ihnen gezeichneten Mitgliedsbeitrag nunmehr an eine unserer (oben angegebenen) Zahlstellen einzusenden, damit wir Ihnen die Mitgliedskarte zustellen können.

In der Beilage überreichen wir Ihnen

  • Den Aufruf der DTV, dessen Ausschuß durch Neuwahlen ständig erneuert wird; und
  • Eine Antwortkarte mit der Bitte um Ausfüllung und Einsendung.

Wir danken Ihnen für Ihre bisherige Mitarbeit. Ein guter Anfang ist gemacht, aber doch nur ein Anfang!

Das wichtige kulturpolitische Werk, das uns im Interesse der deutschen Entwicklung zur Aufgabe gestellt ist, bedarf weit größerer Mittel als bisher, wenn es neben den älteren und größeren Erfolgen von Frankreich und England sich einen Einfluß sichern soll. Wir bitten daher auch Sie nochmals um Ihre fernere Mitwirkung durch die Gewinnung weiterer Mitglieder und Mittel für die Ziele der DTV.

Mit vorzüglicher Hochachtung die DTV e.V- gez. Jäckh4

Anlage

 

63. Aufruf zum Beitritt in die DTV.

Erst spät ist Deutschland in den friedlichen Wettbewerb um die Märkte der Levante ein-getreten. Nach der Errichtung des Deutschen Reichs vergingen Jahrzehnte, ehe unser Handel und Gewerbefleiß sich anschickten, ihren Erzeugnissen in der Türkei Absatz zu suchen. Man darf sagen, daß der Bau der Anatolischen Bahn und die Begründung einer direkten Schiffahrtsverbindung zwischen deutschen und türkischen Häfen den ersten Anstoß gaben, unsere Waren in größeren Mengen dorthin zu führen. Eine steigende Entwicklung unserer Ausfuhr nach dem türkischen Reich ist seitdem zu verzeichnen, von 34 auf 105 Millionen Mark jährlich, ebenso wie bei den Rückfrachten, die sich von 10 auf 75 Millionen hoben. Durch rastlose treue Arbeit hat sich die dort angesiedelte deutsche Kaufmannschaft im ganzen Orient den Ruf vollkommenster Zuverlässigkeit erworben, und gewaltige Leistungen sprechen von der Tüchtigkeit unserer Ingenieure und Baumeister, die jetzt daran sind, den Schienenweg zwischen der osmanischen Hauptstadt und dem Persischen Golf zu vollenden.

Unsere Industrie wird dadurch, wie schon bisher, Gelegenheit zu großen Lieferungen geboten. Deutsche Offiziere, schon seit den tagen Moltkes, wie deutsche Beamte, widmen sich in hingebungsvoller Pflichterfüllung der Entwicklung des türkischen Heeres und der Verwaltung.

Und doch stehen wir weit hinter anderen Völkern zurück in dem planmäßigen Streben, deutsche Kultur und Sprache, Wissenschaft, Sitte und Art der einheimischen Bevölkerung in der Türkei näher zu bringen und ihnen Freunde zu gewinnen. Nur wenige Krankenhäuser werden von uns unterhalten, viel zu wenig Schulen vermitteln Bekanntschaft mit unserem Geistesleben, das doch den Wettbewerb mit dem aller andern Völker aufnehmen darf. Die Ausfuhr geistiger Güter sollen wir beginnen, um Herz und Verstand der einheimischen Bevölkerung an uns zu fesseln.

Jeder Osmane, der unsere Sprache spricht, der deutsche Bücher liest, der in einem deutschen Spital Genesung fand, wird ein Freund unserer Kultur, ein Abnehmer deutscher Waren. Zielbewußt haben Franzosen, Engländer und Italiener sich bemüht, mit weiten Kreisen der verschiedenen Stämme und Bekenntnisse des türkischen Reiches in enge Verbindung zu treten und auf diese Weise Boden zu gewinnen. Es bestehen in der Türkei zurzeit insgesamt gegen 1000 fremde Schulen mit rund 90 000 Schülern. Davon entfallen auf:

  • Italien 67 Schulen mit rund 5000 Schülern
  • England 126 10 000
  • Amerika 273 18 000
  • Frankreich 550 54 000
  • Deutschland 23 3 000

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, der deutschen Kultur Eingang zu verschaffen. Ganz abgesehen von der dauernden, mehr in der Stille sich vollziehenden Tätigkeit der Schulen und Anstalten der deutschen Niederlassungen in der Türkei, haben eine Reihe von Vereinen, die von verschiedenen Gesichtspunkten auf ein gemeinsames Ziel hinwirken, sich diese Aufgabe gestellt. Ihre Mittel flossen nicht zu reichlich, und trotz des gemeinsamen Ziels machte sich die Zersplitterung störend fühlbar.

Ein kraftvolles, geschlossenes Vorgehen, selbständig und doch Hand in Hand mit der amtlichen deutschen Vertretung und den großen deutschen Unternehmungen, kann allein den gewünschten Erfolg verbürgen. Zu diesem Zweck hat sich die

Deutsch-Türkische Vereinigung

gebildet. Was sie plant, läßt sich in Kürze folgendermaßen umreißen:

  • Gründung, Betrieb und Unterhaltung von Schulen und Erziehungsheimen,
  • von Kranken- und Heilanstalten,
  • sowie später von Hochschulen,
  • Entsendung deutscher Lehrer und Ärzte an türkische Schulen und Spitäler,
  • Errichtung von deutschen Büchereien und anderen Bildungsstätten,
  • Verbreitung passender Schriften,
  • Unterstützung türkischer Staatsangehöriger, die in Deutschland ihre Ausbildung vervollständigen wollen,
  • und andere geeignete Mittel, die beiden Völker sich näher zu bringen.

Deutschland hat sich stets als wahrer Freund des osmanischen Reichs und Volks erwiesen: ihm liegen Gedanken an einen Gebietserwerb fern; die Erhaltung einer starken, selbständigen Türkei ist sein aufrichtiger Wunsch, seinernstes Bemühen. Wir wollen geben, um zu empfangen, wir wollen nicht hinter anderen Völkern zurückbleiben in der Gewinnung der Herzen der Türken für unsere Kultur, unsere Wissenschaft und unser Geistesleben, in der wirtschaftlichen Erschließung der Türkei.

Ein weites Arbeitsfeld liegt vor uns. Es nutzbringend zu bestellen zum Wohl der Türkei, zur Mehrung deutschen Ansehens, zur Förderung unserer verschiedenen Beziehungen zum Orient bedürfen wir der Mitwirkung weitester Kreise Deutschlands, ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses und des Berufs. Wir glauben sagen zu dürfen, daß unsere Absichten bei den vaterlandsliebenden Osmanen volles Verständnis gefunden haben, so daß wir auf ihre Unterstützung rechnen können. So fordern wir zum Beitritt in die Deutsch-Türkische Vereinigung auf.

(Es folgen die obengenannten Namen der Ehrenmitglieder, des Vorstandes und der Ausschußmitglieder, unter ihnen Ballin, C.H.Becker, Borsig, Duisberg, Rathenau, Siemens, Warburg u.a.m.)

 

64. DTV Dr. Carl Anton Schäfer an C.H.B., Bonn. Berlin, 4.11.1915

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Professor!

In Verfolg meines Schreibens vom 1. d.M. kann ich Ihnen heute über eine Unterredung, die ich gestern mit Herrn Junge bei Scheich Schauisch hatte, berichten. Schauisch ging bereitwilligst auf die arabischen Verhältnisse ein. Er betonte zunächst ganz allgemein, daß die arabischen Führer eine Stellung einnehmen, die auf einer Balance zwischen der Türkei und England hinausläuft. Ihr Hauptziel ist, sich ihre Unabhängigkeit zu erhalten. Da Enver

Pascha, mit dem ja Schauisch gut befreundet ist, heute aber eine Politik einschlage, die die Unabhängigkeit dieser arabischen Stämme garantiere, und die nur ein Bundesverhältnis der arabischen Stämme mit der Türkei erstrebe, könne es sein, daß jetzt verschiedene arabische Führer sich mehr auf die Seite der Türkei neigen. Im einzelnen bestätigte er Ihre Ansicht, daß Ibn Sa’ud unbedingt auf seiten der Engländer, dagegen Ibn Raschid auf seiten der Türken steht. Idris hält er für einen dunklen Ehrenmann, von dem es wohl sein könnte, daß er jetzt ’mal wieder mit der Türkei geht. Von Jahja sprach er mit warmen Worten und sieht in ihm einen unbedingten Anhänger der Türkei. Er machte übrigens auch interessante Bemerkungen darüber, daß die Groß-Scherifen von Medina und Mekka Kamelabgaben erhielten, die pro Kamel etwa 20 Mark betragen dürften. Da sie in einer Eisenbahn ein Unternehmen sehen, das sie dieser Kamelabgabe verlustig machen würde, sind sie vorläufig gegen Eisenbahnprojekte in Arabien. Man müßte ihnen daher ein finanzielles Interesse an den künftigen Eisenbahnen geben, wodurch wohl der Widerstand gegen die Eisenbahnprojekte gebrochen würde.

Wie denken Sie übrigens über den Aufsatz von Prof. Hartmann in der Frankfurter Zeitung: Türkisch als Weltverkehrssprache? Der Ausdruck ‚Weltverkehrssprache’ ist natürlich pompös, wenn nicht sogar lächerlich. Immerhin glaube auch ich, daß man die frage untersuchen muß, ob es nicht notwendig ist, an Stelle der türkischen Schriftzeichen für den Verkehr mit der westeuropäischen Wirtschaftswelt andere geeignetere Schriftzeichen einzuführen.

Es fällt mir übrigens ein, daß der in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wirkende türkische Staatsmann Fuad Pascha in seiner Grammatik der osmanischen Sprache (deutsch von Kellgren 1853) den Vorschlag machte, die türkischen Schriftzeichen durch die armenischen zu ersetzen, weil diese am geeignetesten wären.

Ich bin mit verbindlichsten Grüßen Ihr Ihnen ganz ergebener (gez.) Dr.Schäfer

 

65. C.H.B. an Dr. Schäfer, DTV (Bonn), 9.11.1915

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Doktor!

Freundlichen Dank für Ihre Mitteilungen, die ja in allem Wesentlichen meine Angaben bestätigen. Sie fragen mich nach dem Aufsatz von Professor Martin Hartmann: Ich weiß, daß er schon lange diesen Gedanken verteidigt; ich halte ihn für ganz undurchführbar. Der Orient wird sich gewiß europäisieren: aber daß die Türkei die europäische Schrift annimmt, das dürfte das allerletzte Entwicklungs (unleserlich:-stadium?) sein und hat ebenso viel Wahrscheinlichkeit für sich, wie der Vorschlag, den Martin Hartmann einst dem Scheichulislam gemacht haben soll, den Islam abzuschaffen. In Deutsch-Ostafrika war es möglich, die ara-bische Schreibung des Suaheli allmählich unter dem Einfluß der deutschen Verwaltung durch die Lateinische zu ersetzen; aber in Konstantinopel wird, wie die Dinge auch laufen, die islamische Staatsautorität bestehen bleiben, und für alle religiösen Parteien ist die Beibehal-tung der arabischen Schrift eine religiöse Prestigefrage.

Mit verbindlichen Grüßen Ihr Ihnen sehr ergebener (C.H.B.)

 

66. Reinhard Junge, DTV, an C.H.B. Berlin, 15.11.1915

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Professor!

(…)

Durch die Wahrscheinlichkeit meiner Abreise (in die Türkei) wird auch die Herausgabe meiner Archivhefte besonders schwierig, umsomehr noch deshalb, weil ich meinen Hauptmitarbeiter, Herrn Tillmann, in die Türkei mitnehmen möchte. Ich will deshalb versuchen, die beiden ersten Hefte für das letzte Quartal 1915 und das erste Quartal 1916 bereits in den nächsten fünf Wochen druckfertig zu haben. Dazu fehlt es mir aber noch sehr an Aufsätzen. Ich hätte nun an Sie, sehr verehrter Herr Professor, die große Bitte, ob Sie mir in den nächsten Wochen einen kleinen Aufsatz senden könnten und gegebenenfalls auch einige Bücher kurz besprechen würden. Bücher zur Besprechung würden wir ihnen aus unserer Bibliothek zusenden, würden aber bei älteren Werken leider zunächst um Rücksendung bitten müssen. Als Aufsatz erschiene es mir ganz besonders wünschenswert, wenn Sie einmal einen kurzen Überblick über das bei Ihnen erscheinende arabische Buch über die Schönheit des Handels5 geben wollten. Dieses Buch ist doch für den National-Ökonomen sehr wichtig und seine endgültige Herausgabe durch den Krieg sehr weit hinausgeschoben, daß man wenigstens schon einen Hinweis auf seine Grundzüge geben könnte.

Mein Buch wird voraussichtlich in 8 Tagen herauskommen. Ich schicke Ihnen alsdann zunächst zwei Exemplare.

Herr Dr. Jäckh läßt Sie bestens grüßen und bittet mich, Sie darauf hinzuweisen, wie dringend erwünscht zurzeit ein kleines Handbuch über die Frage der Kapitulationen in der Türkei in deutscher Sprache wäre. Würde es Ihnen nicht möglich sein, ein solches Buch, das mir eine dringende Lücke auszufüllen scheint, zu schreiben? Die französischen Arbeiten sind alle ungenau, veraltet, häufig zu umfangreich, und wer heute bei uns über Kapitulationen schreibt, ist gewöhnlich Jurist und versteht vom Orient gar nichts. Da aber die Aufhebung der Kapitulationen doch die eigentliche Grundfrage des ganzen Krieges für die Türkei bildet, so müßte jedem Deutschen, der mit der Türkei arbeitet, einmal Gelegenheit gegeben werden, sich schnell und übersichtlich über diese Frage zu informieren. Ich glaube, daß wirklich niemand zur Abfassung gerade dieses Buches berufener wäre als Sie selbst.

Übrigens sagt Herr Dr. Jäckh, daß Sie durch ihn evtl. einmal Akten über die jungtürkische Revolution zugänglich gemacht erhalten könnten, die sonst unzulänglich sind.

Ich hoffe, daß es Ihrer Gesundheit weiter recht gut geht, bitte Sie, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen und Herrn Dr. Böker, der neulich bei uns war und auf den ich für die nächsten Wochen noch ein besonderes Attentat vorhabe, herzlich zu grüßen.

Mit vielen Empfehlungen und herzlichen Grüßen

Ihr aufrichtig ergebener (gez.) Reinhard Junge.

 

67. DTV Reinhard Junge an C.H.B. Berlin, 15.11.1915

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Professor!

Im Anschluß an unseren früheren Briefe und persönlichen Besprechungen mit Ihnen erlauben wir uns, Sie ergebenst anzufragen, ob Sie bereit wären, in einem von uns veranstalteten Kursus über die Grundfragen türkischer Wirtschaft einen etwa zehnstündigen Vortrag zu übernehmen. Wir würden Sie bitten, Ihre Vorlesung am Dienstag den 11.Januar abends um 8 Uhr zu beginnen. Wir bitten Sie ergebenst, uns gütigst mitzuteilen, ob Ihnen der angegebene Zeitpunkt genehm ist.

Ebenso bitten wir, uns rechtzeitig angeben zu wollen, ob wir eine militärische Beurlaubung für Sie in die Wege leiten sollen.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung ganz ergebenst

Deutsch-Türkische Wirtschaftszentrale. (gez.) R. Junge.

 

68. C.H.B. an DTV, Herrn Junge. Bonn, 18.11.1915

(Maschinenkopie)

In Beantwortung Ihrer Einladung vom 15. November, an einem Kursus über die Grundlagen türkischer Wirtschaft teilzunehmen, erkläre ich mich gern bereit, etwa 10 Vorträge zu übernehmen unter der Voraussetzung, daß ich für den Monat Januar von meinen militärischen Verpflichtungen befreit werde und auch vom Kultusministerium den entsprechenden Urlaub erhalte. Mit dem Kultusministerium werde ich mich selbst in Verbindung setzen, doch bitte ich Sie, die militärische Angelegenheit Ihrerseits zu regeln, und zwar mich dann gleich für den ganzen Januar zu reklamieren. Ich habe heute wieder einen Stellungsbefehl zur Untersuchung erhalten und schließe daraus, daß man mich in nächster Zeit verwenden wird. Nun brauche ich zur Vorbereitung der Berliner Vorträge natürlich einige Tage Zeit, so daß ich vom 1. Januar an frei sein müßte, wenn ich am 11. den Kursus beginnen sollte. Eine Reklamation dürfte, da ich als Dolmetscher gemustert bin, keine großen Schwierigkeiten machen.

Nähere Angaben, an welchen Tagen die Vorträge stattfinden, sowie Einzelheiten in der Anordnung können ja wohl einer späteren Verabredung vorbehalten bleiben. Ich bitte nur, Samstag, den 15. Januar, frei zu halten.

In vorzüglicher Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren sehr ergebener (C.H.B.)

 

69. C.H.B. an Herrn Reinhard Junge, DTV. Bonn, 18.11.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge!

Meinem offiziellen Brief an die Deutsch-Türkische Vereinigung möchte ich noch einige private Mitteilungen hinzufügen. Zunächst Dank für Ihren Privatbrief. Ich bin sehr erfreut, daß Ihre Sache so gut läuft und verstehe es durchaus, daß Sie jetzt in der Türkei wichtiger sind, als beim Arrangement von Berliner Vorträgen. Trotzdem bedauere ich es natürlich ungemein, da ich mir gerade von unserem Hand in Hand Arbeiten den größten Vorteil versprochen habe. Jedenfalls bitte ich Sie, in Berlin alles so vorzubereiten, daß auch in Ihrer Abwesenheit die Sache anständig funktioniert. Da Sie ausfallen, werde ich die Grundlage wohl etwas breiter legen müssen und bin bereit, bis zu 10 Stunden zu sprechen. Wir müssen aber wohl auch die Disposition ändern, da das fein ineinander gearbeitete System durch die Trennung zerrissen wird. Eine mündliche Aussprache wäre natürlich sehr erwünscht; ich weiß aber nicht, ob es sich möglich machen läßt, da ich jederzeit mit meiner Einberufung rechnen muß und natürlich alle Hände voll zu tun habe.

Ich lese nicht nur 9 Stunden Kolleg, sondern habe Volkshochschulkurse und bisher noch wöchentlich mehrere auswärtige Vorträge, daneben noch meine bis zur Gluthitze gesteigerte publizistische Tätigkeit. Unter diesen Umständen weiß ich wirklich nicht, wo ich Zeit und Kraft hernehmen soll, auch noch Ihre und Dr. Jäckhs mir ja im Grunde sehr sympathischen Unternehmungen (zu) übernehmen. Ich soll auch die neue Auflage meines Aufsatzes im Kriegsbuch up to date bringen und, wenn möglich, die Armenierfrage im amtlichen Sinne darlegen. Aber all das ist für mich natürlich undurchführbar, solange ich jederzeit eingezogen werden kann. Bestimmte Vorhersagen bekommt man ja beim Militär nicht, und ich kann natürlich von mir aus nicht um eine generelle Reklamierung aus literarischen Gründen einkommen, obwohl meine jetzige Tätigkeit dem Vaterlande wohl mehr nützt, als mein Dolmetschen in einem Gefangenenlager oder auf einem Postbüro. Ich werde meine Pflicht tun da, wo man mich hinstellt, verlange keine Extrawurst, kann aber natürlich auch keine Verpflichtungen gegen Dritte übernehmen.

Wenn es nach mir ginge, würde ich jetzt zwei Sachen schreiben:

  1. ein allgemein informatorisches Buch über die Türkei, Politik, Staatsaufbau, Wirtschaftsleben usw., kurz, das was meine Vorträge enthalten sollen, und
  2. ein Islambuch, das ich schon lange vorbereitet habe, aber zu dessen Vollendung ich auch vor der Fülle der Tagesarbeit nicht komme.

Mein türkisches Publikum, das ich als Vorbereitung auf den Berliner Kursus lese, hat 200-250 Hörer angezogen. Man sieht, wie die Dinge jetzt alle Welt interessieren, und ich würde natürlich bedauern, das jetzt alles aufgeben zu müssen; aber ich sehe es in diesem Kriege so oft, daß man die nicht technischen Sachverständigen am falschen Platze verwendet – unser einziger wirklicher Kenner der persisch-türkischen Grenzdistrikte, Oberleutnant d.R. Dr. Herzfeld6, der drei orientalische Sprachen spricht, wird zur Leitung des Küchentrains vor Laon verwandt! – daß ich wirklich für mich nichts Besonderes beanspruchen mag noch kann.-

Sagen Sie bitte Herrn Dr. Jäckh meinen besten Dank für das Angebot, mich gelegentlich einmal Akten über die jungtürkische Revolution einsehen lassen zu wollen. Ich werde mit großer Freude von seiner Freundlichkeit Gebrauch machen.

Lassen Sie mich bitte wissen, wann Sie abreisen und ob der Kursus diesmal wirklich definitiv ist. Ich mußte Ihnen meine Reklamierung für Januar überlassen, weil ich nicht zum zweiten Male in Sachen dieses Kursus von mir aus das Generalkommando in Koblenz um Rückstellung angehen kann. An das Kultusministerium schreibe ich selbst, wenn alles perfekt ist; doch dürfte es ja wohl keine Schwierigkeiten machen.

Dr. Böker ist übrigens z.Zt. in Berlin oder auf Reisen.

Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

70. C.H.B. an Herrn Reinhard Junge, DTV. Bonn, 23.11.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge,

Meine gestrige Unterhaltung mit Herrn Dr. Böker veranlaßt mich, Ihnen heute doch noch einmal in Sachen der Vorträge zu schreiben. Böker erzählte mir von der bevorstehenden Einführung einer schärferen Zensur in Sachen Türkei. In einer derartigen Behörde würde ich übrigens persönlich wohl besser am Platze sein, als irgendein verwundeter Offizier; so aber muß ich damit rechnen, daß ich nur Schwierigkeiten haben werde. Böker meint, man wolle im Auswärtigen Amt nur rosa Berichte über die Türkei haben. Unter diesen Umständen werden die Vorträge einen ganz anderen Charakter haben müssen, als wie er von uns seiner Zeit beabsichtigt war. Schreiben Sie mir bitte überhaupt, wie sich in den Köpfen des A.A. die Vortragsserie spiegelt. Ich hatte gedacht, bei dieser Gelegenheit einmal aus dem Rahmen der populären Vorträge herausgehen zu dürfen und den Orient und seine Wirtschaft schildern zu können, wie sie wirklich sind; da kann man natürlich nicht sehr rosa färben, sonst richtet man nur Unglück mit diesen Vorträgen an7.

Ich dachte mir ein Auditorium von etwa 50 wirklich ernstlich interessierten, vorurteilsfreien Leuten, nicht etwa einen Saal mit Hunderten, die amüsiert und unterhalten sein wollen, also kurz gesagt, mehr ernste Kollegform, als hübsch zurechtgemachte Vortragsform. Natürlich kann ich auch Letzteres; dann würde ich aber mehr auch auf die politischen Verhältnisse, namentlich der letzten Jahre, eingehen, aber das wäre natürlich etwas ganz anderes, als was wir uns ursprünglich gedacht haben. Ich bedauere es überhaupt sehr, daß man amtlicherseits das Interesse der türkischen Empfindlichkeit höher stellt, als das Zukunftsinteresse der deutschen Wirtschaft; denn nichts kann uns jetzt mehr schaden, als bei den schon sowieso viel zu großen Hoffnungen, die das große Publikum auf die Türkei setzt, auch noch amtlicherseits alles Graue rosa zu färben. Die Türken sind viel zu schlau, darin etwas anderes als deutsche Schwäche und deutsche Angst vor türkischer Sonderpolitik zu erblicken, und die naturnotwendige Folge ist dann, daß die Türken immer unverschämter werden und die deutschen

Diplomaten immer größere Schwierigkeiten haben. Wenn man auch in der Presse die Türkei schont, so sollte man wenigstens die Kreise, die ihr Leben und ihr Geld riskieren wollen sorgfältig informieren. Man hat fast den Eindruck, als ob im A.A. vor der persönlichen Bequemlichkeit der Referenten alle anderen Interessen zurückzutreten haben. Sie machen ja vielleicht auch manchmal jetzt ähnliche Erfahrungen. Aber jedenfalls bitte ich Sie, mich darüber aufzuklären, auf welchen Standard ich mich bei den Vorträgen einrichten soll, und vor allem, ob man die Wahrheit sagen darf oder sie verschweigen muß. Ich bin ja, wie Sie wissen, im allgemeinen sehr vorsichtig, auch wenn ich kritisiere; aber wenn die deutschen Orient-Interessenten den Orient nur in den Farben sehen sollen, wie er sich in den Köpfen jungtürkischer Politiker als Zukunftsideal spiegelt, dann allerdings hätten meine Vorträge keinen Zweck.

Dr. Böker kommt ja Ende der Woche wieder nach Berlin und wird dann die Sache auch nochmals mit Ihnen besprechen. Philippson hat es viel leichter als ich, da er die natürlichen, unveränderlichen Grundlagen und nicht die politisch-wirtschaftlichen Verhältnisse zu besprechen hat. Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus und mit einem freundlichen Gruß an Dr. Jäckh Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

Deutsch-Türkische Wirtschaftszentrale,

71. Dr. R. Junge an C.H.B. Berlin, 25.11.1915

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Professor!

Ich freue mich, daß ich Ihre Bedenken hinsichtlich des Kursus vollkommen zerstreuen kann. Der Kursus wird deswegen vor geladenem Publikum abgehalten werden, weil ein ganz besonderer Wert darauf gelegt wird, diesmal die volle Wahrheit zu hören. Daß diese Wahrheit freilich nicht einen feindseligen Ton annehmen darf, wie wir es auch so manches Mal erlebt haben, ist ja selbstverständlich und gerade bei Ihnen am allerwenigsten zu befürchten.

Ob ich selbst werde an dem Kursus teilnehmen können, ist immer noch gar nicht abzusehen.

Was Ihre Äußerung über die Zensurfrage angeht, so kann ich Ihnen vertraulich mitteilen, daß entsprechende Verhandlungen zwischen uns und dem Kriegspresseamt im Gange sind, und daß ich die große Hoffnung habe, daß gerade Sie, wenn Sie einmal militärisch eingezogen sind, zu uns abkommandiert werden. Es ist nämlich nicht unwahrscheinlich, daß wir, falls die Zensur eingeführt wird, einen erheblichen Teil der Zensurarbeit bei uns ausführen werden.

Ich hoffe, daß Ihre Gesundheit sich weiter gebessert hat. Mit besten Empfehlungen und vielen Grüßen Ihr aufrichtig ergebener (gez.) Reinhard Junge.

 

72. DTW. Anfang Dezember 1915

Ankündigung des Kursus im orientalischen Seminar, Universität Berlin.

Kursus über die Grundlagen deutsch-türkischer Wirtschaftsgestaltung

  • Einleitung: Deutschlands Interessen an einem starken türkischen Wirtschaftsleben (Dr. E. Jäckh, Berlin) Wirtschaftliche Interessen – Politische Interessen.
  • Erster Vortrag: Die Verhältnisse der Natur in der Türkei und ihre Bedeutung für die Wirtschaft (Prof. A. Philippson-Bonn

Weltlage und Oberflächengestaltung – Klima und Gewässer – Pflanzen- und Tierwelt – Mineralvorkommen – Die geographischen Grundlagen der Siedlungsweise.

  • Zweiter Vortrag: Die im Menschen liegenden oder vom Menschen gesetzten Wirtschaftsgrundlagen der Türkei (Prof. C. H. Becker-Bonn); Prof E. Mittwoch-Berlin; R. Junge-Berlin

Die Volksstämme der Türkei – Die religiösen Organisationen und ihre Bedeutung für die Wirtschaft – Die allgemeine Gesellschaftsorganisation – Die Zahl der Menschen – Zusammenfassung über die Bedeutung der Wirtschaftsbedingungen in der Türkei.

  • Dritter Vortrag: Zur Vorgeschichte und Geschichte der rein orientalischen Wirtschaft (Prof. C.H.Becker-Bonn; R. Junge-Berlin)

Byzantinische Einflüsse – Die altarabische Wirtschaft – Der Typ einer alten türkischen Wirtschaft – Nomadenwirtschaft – Modifikation des alttürkischen Wirtschaftstyps in der Türkei.

  • Vierter Vortrag: Die bisherigen typischen Entwicklungsgänge orientalischer Wirtschaft überhaupt unter europäischen Einflüssen (R. Junge-Berlin)

Die rein händlerische Beeinflussung des Orients durch Europa und ihre grundlegenden Fehler – Die Einschmelzung des Orients in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die beste Form der Europäisierung auf einer orientalischen Basis.

  • Fünfter Vortrag: Die heutige türkische Wirtschaft als Mischung der drei Entwicklungstypen (Dr. Schäfer-Berlin, R. Junge-Berlin)

Die heutige türkische Volkswirtschaft – Die türkische Finanzwirtschaft – Bisherige deutsch-türkische Wirtschaftsbeziehungen – Über das deutsch-türkische Wirtschaftsprogramm.

 

73. Deutschland und die Türkei (o.D.) Dezember 1915

Vortragskonzept von C.H.B. (?)

(Maschinenkopie)

Deutschlands Zusammengehen mit der Türkei fußt auf der Parallelität unserer Interessen.

Worin besteht das Interesse der Türkei an Deutschland?

Die Politik Rußlands, Englands und Frankreichs zielt auf eine Auflösung der Türkei, die Deutschlands auf ihre Erstarkung. Trotz aller Versicherungen unserer Gegner haben die

Ereignisse die Türkei zu dieser Erkenntnis gebracht. Dadurch wird die Türkei in unsere Arme getrieben.

Welches Interesse hat nun aber Deutschland an dem Erhaltenbleiben, an der Reform der Türkei?

Unsere Interessen sind vor allem wirtschaftlich (Bahnbauten, Absatzgebiet usw.), dann aber auch politisch (Bundesgenosse).

Der Vortrag wird hauptsächlich auch die Voraussetzungen behandeln, unter denen eine ersprießliche deutsch-türkische Zusammenarbeit möglich ist.

Unsere hiesigen Arbeiten nehmen einen immer mehr wachsenden Umfang an, so daß selbst Herrn Bökers Arbeitskraft bei weitem nicht mehr ausreicht, und wir bereits noch einen weiteren Herrn einstellen mußten, dem wahrscheinlich demnächst noch andere folgen werden.

Ist eine Reklamation für Sie für den Kursus notwendig?

Ich hoffe, daß Ihre Gesundheit weiter recht gute Fortschritte macht und bin mit herzlichen Empfehlungen und Grüßen Ihr aufrichtig ergebener (gez.) Reinhard Junge.

 

74. C.H.B. an DTV. Bonn, 9.12.1915

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr!

Für die Vorträge, die ich im Januar in Berlin halten soll, wäre es mir sehr erwünscht, das neue türkische Gesetz über Rechtsstreitigkeiten zwischen Fremden und Osmanen kennen zu lernen, das nach Zeitungsmitteilungen z.Z. in Konstantinopel debattiert wird oder gar schon erlassen ist. Könnten Sie mir dasselbe vielleicht beschaffen?

Ich benutze diese Gelegenheit, um die Deutsch-Türkische Vereinigung darauf hinzuweisen, wie wichtig es gerade für unsere Wirtschaftsinteressenten wäre, die in der nächsten Zeit zu erwartenden zahlreichen neuen türkischen Gesetze möglichst bald nach ihrer Publizierung in autoritativer deutscher Übersetzung kennen zu lernen. Vermutlich würden sich sehr weite Kreise dafür interessieren, und ließe sich da vielleicht ein alle paar Monate erscheinender Recueil8 schaffen, der diese Gesetze enthielte. Vielleicht nehmen Sie die Anregung in das Programm der Deutsch-Türkischen Vereinigung auf und könnte Herr Professor Giese von der neuen Konstantinopler Universität die Sache in die Hand nehmen.

In vorzüglicher Hochachtung ergebenst (C.H.B.)

 

75. C.H.B. an Reinhard Junge (DTV) Bonn, 9.12.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge!

Ich empfing gestern Ihr Buch und möchte Ihnen sofort meinen wärmsten Glückwunsch aussprechen, daß es ihnen geglückt ist, wenigstens den ersten Teil Ihrer mit so viel Liebe vorbereiteten Arbeit herauszubringen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gelegen mir Ihre Arbeit kommt. Ich will Ihnen aber verraten, daß ich hier die Kaisers-Geburtstagsrede halten soll und den Anlaß benutzen werde, ganz allgemein über das Thema ‚Die Europäisierung des Orients’ zu sprechen. Das wird mir eine Gelegenheit sein, mich intensiv mit Ihren Gedanken auseinanderzusetzen, und ich werde mit Freude daran auch eine Besprechung im Islam knüpfen.

Ich danke Ihnen auch besonders für Ihren freundschaftlichen Brief. Ich danke Ihrer Anregung so Vieles, daß Sie wirklich keinen Anlaß haben, sich bei mir zu bedanken. Ich hoffe sehr, daß unsere persönlichen Beziehungen und unsere sachliche Zusammenarbeit in dem Sinne sich weiter entwickeln möchte, in dem sie so vielversprechende Anfänge zeigte.

Fasen Sie bitte diese kurzen Zeilen nicht als eine vorläufige Abspeisung auf: aber ich schreibe mit Absicht heute noch nichts über den Inhalt Ihres Buches; ich will es erst in Ruhe durchdenken. Aber es widerstrebte mir, Ihnen nicht gleich ein Wort freudiger Teilnahme und herzlichen Dankes zukommen zu lassen.

Bis hierhin war der Brief diktiert, als Ihr Eilbrief (?) eintrifft. Ich bin bereit, die Besprechung für die Frankfurter Zeitung zu übernehmen. Es wird wohl keiner besonderen Empfehlung bedürfen, obwohl mir die Frankfurter Zeitung neulich meinen Armenieraufsatz zurück-geschickt hat. Wenn sie das Buch natürlich schon vergeben hat, kann ich nichts daran ändern.

Stuhlmann wird Ihr Buch gewiß (?unleserlich) gern besprechen, und können Sie sich bei ihm, wie bei Direktor Krauss, ruhig auf mich berufen.

Was meine Reklamierung betrifft, so möchte ich doch schon dringend bitten, daß Sie etwas Derartiges veranlassen, wie ich schon in meinem ersten Brief geschrieben habe, da es uns sonst blühen kann, daß ich die ganze Arbeit umsonst mache, oder daß ich sogar mitten in den Vorlesungen abbrechen muß. Ich hatte gedacht, diesbezügliche Schritte wären längst eingeleitet.

Ihnen, Dr. Böker und Herrn Dr. Jäckh freundliche Grüße. An Jäckh schreibe ich nächstens in Beziehung auf meinen sogenannten ’Pessimismus’. Schumacher hat mir Jäckhs Botschaft ausgerichtet.

Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

76. DTV. Reinhard Junge an C.H.B., Bonn Berlin, 10.12.1915

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Professor!

Soeben geht mir von der Frankfurter Zeitung das beiliegende Schreiben zu. Ich habe der Frankfurter Zeitung mitgeteilt, daß ich Sie um die Liebenswürdigkeit einer Besprechung bereits ersucht habe9, und betont, daß es mir geeigneter erscheinen würde, wenn Sie, und nicht ich, die Besprechung ausführen wollten. Ich habe jedoch gesagt, daß ich zur Selbstbesprechung gern bereit sein würde für den Fall, daß Sie, sehr verehrter Herr Professor, nicht gewillt wären, mit der Beschleunigung, welche die Frankfurter Zeitung augenscheinlich wünscht, den Aufsatz zu schreiben.

Ich bitte Sie ergebenst, der Frankfurter Zeitung gütigst mitteilen zu wollen, wie Sie sich zur Übernahme der Besprechung stellen und die Frankfurter Zeitung zu veranlassen, mir das endgültige Resultat mitzuteilen.

Verzeihen Sie, sehr verehrter Herr Professor, daß Ihre Zeit mit solchen unbescheidenen Bitten in Anspruch nehme und seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem aufrichtig ergebenen (gez.) Reinhard Junge.

Handschriftliches P.S. Bitte wollen Sie, falls Sie den Aufsatz selbst zu schreiben die Güte haben, nicht bloß das Schlußwort zum 1. Band, sondern ganz besonders10 auch den §26, der gesperrt gedruckt das eigentlich Grundlegende enthält, berücksichtigen.

 

77. C.H.B. an DTV, Reinhard Junge. Bonn, 11.12.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge!

Auf Ihr heutiges Telegramm teile ich Ihnen schleunigst mit, daß m.E. die Reklamation 11ein-gereicht werden muß bei dem stellvertretenden Generalkommando des VIII. Armeekorps in Koblenz. Ich habe seinerzeit meinen ersten Antrag beim hiesigen Bezirkskommando einge-reicht; das kann aber nicht entscheiden und schickte mir dann den Bescheid des Generalkommandos. Wenn Sie nun amtlicherseits vorgehen, ist es wohl das Richtige, daß Sie sich direkt an das Generalkommando wenden. Ich mag es nicht tun, weil ich in der gleichen Angelegenheit ja schon einmal vorstellig geworden bin und der Kursus ja nachher nicht stattfand. Ich glaube übrigens, daß es keinerlei Schwierigkeiten machen wird, da ich dieser Tage auf dem Bezirkskommando hier erfuhr, daß meine Einberufung für die nächste Zeit nicht zu erwarten sei; aber bis Januar ist lange, und sie könnte uns doch plötzlich störend dazwischen fahren.

In Eile mit herzlichen Grüßen Ihr ergebener (C.H.B.)

 

78. C.H.B. an DTV, Herrn Reinhard Junge. Bonn, 13.12.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge!

Die Frankfurter Zeitung hat mir inzwischen geschrieben, daß sie sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt und erst das mir ja schon bekannte Resultat Ihrer Antwort abwarten wolle. Ich habe nun den gestrigen Sonntag benutzt und mich etwas näher mit Ihrem Buche beschäftigt. Es ist nicht ganz leicht, aus einem so umfangreichen Werke ein Feuilleton von 250 Zeilen zu machen. Es kommt natürlich darauf a, dem großen Publikum die Grundgedanken darzustellen. Ich habe gestern mit meiner Skizze begonnen und hoffe heute oder morgen fertig zu werden. Wenn Sie nichts mehr hören, geht mein Manuskript morgen an die Frankfurter Zeitung ab. Ich opfere Ihnen gerne diese zwei Tage, und zwar nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern vor allem auch der Sache wegen. Wenn ich auch kein Nationalökonom von Fach bin, ist es für Sie doch jedenfalls nützlicher, wenn Sie in der Frankfurter Zeitung von fremder Seite eingeführt werden; eine Selbstanzeige ist doch immer nur ein Notbehelf. Es war mir übrigens sehr lieb, daß Sie mich noch auf bestimmte Stellen hingewiesen; ich hätte sie ja wohl selber gefunden, aber da die Sache so schnell gehen soll, war es jedenfalls besser so.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen freundschaftlich ergebener (C.H.B.)

 

79. C.H.B. an DTV, Herrn Reinhard Junge. Bonn, 15.12.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge!

Ihrem Wunsche entsprechend hatte ich alles stehen und liegen gelassen und einen Artikel über Ihr Buch geschrieben. Nachdem ich ihren Briefwechsel mit der Frankfurter Zeitung von Ihnen erhalten hatte und mein Artikel schon fertig war, nahm ich an, daß ich ohne weitere Aufforderung meinen Artikel an die Frankfurter Zeitung schicken könnte. Das ist gestern geschehen. Leider kreuzt sich nun damit ein Brief der Frankfurter Zeitung an mich, in dem sie mir schreibt:

Da uns Herr Reinhard Junge zugesagt hat, einen Aufsatz über die in seinem Werke erörterten Probleme zu schreiben, möchten wir doch lieber ihm selber das Wort geben. Wir danken Ihnen nochmals für Ihr freundliches Anerbieten.“

Ich habe nun natürlich nun sofort mein Manuskript zurückgefordert und werde es der Köln-ischen Zeitung anbieten, wenn Sie nicht dort vielleicht auch schon irgend ein Arrangement getroffen haben. Da ich mich nicht einer zweiten Abweisung aussetzen möchte, bitte ich Sie, die Sache zu arrangieren. Ich weiß wohl, warum ich mich trotz vielen Drängens immer wieder der Mitarbeit an der Tagespresse enthalte; man hat nur Ärger und Unannehmlichkeiten davon, wenn man nicht als berufsmäßiger Journalist in festen Beziehungen steht.

Ich darf Sie vielleicht bitten, Herrn Dr. Schäfer auf seine Anfrage vom 13. Dezember zu antworten, daß ich zu der Arbeit für die Leipziger Illustrierte Zeitung bereit bin. Ich habe zwar die Absicht, die ganzen Vorträge bei Kiepenheuer drucken zu lassen; aber ein kleines Feuilleton wird vielleicht doch herausspringen.

Mit herzlichen Grüßen ihr getreuer (C.H.B.)

 

80. DTV, Reinhard Junge an C.H.B. Berlin, 21.12.1915

Maschinenmanuskript

Sehr verehrter lieber Herr Professor!

Ich fürchte, daß Sie infolge der Unannehmlichkeiten mit der Frankfurter Zeitung und infolge meines bisherigen Schweigens etwas erzürnt sind. Ich wollte Ihnen jedoch erst schreiben, nachdem die Angelegenheit mit der Frankfurter Zeitung endgültig nach der einen oder anderen Richtung geregelt war. Nach mehrfachem Brief- oder Telegrammwechsel beharrte leider die Zeitung weiter auf ihrem Wunsche, und ich muß – so unangenehm mir das in mehrfacher Hinsicht ist – die Besprechung selbst vornehmen.

Ich bedauere es aufrichtig, daß Sie in Ihrer so großen Liebenswürdigkeit und Freundschaft-lichkeit mehrere Tage geopfert haben und dann derartige Unannehmlichkeiten hatten. Durch das mehrfache Überkreuzen von Briefen war leider eine besondere Verwirrung entstanden. Ich möchte Ihnen jedenfalls dafür von Herzen danken, daß Sie mit solcher Zuvorkommenheit sich der Arbeit gewidmet haben. Ich möchte nunmehr folgendes vorschlagen: Entweder würde es sich empfehlen, wenn Sie selbst sich an die Kölnische Zeitung wenden wollten. Soviel ich weiß, macht aber gerade die Kölnische Zeitung in solchen Fällen immer besondere Schwierigkeiten. Es bliebe aber der zweite Weg, daß ich im Falle Ihres Einverständnisses Professor Ludwig Stein auffordern könnte, Ihren Artikel für die Vossische Zeitung zu erbitten.

Ich möchte Ihnen nochmals versichern, wie sehr leid es mir tut, daß gerade Sie, der Sie mir auch neuerdings wieder, wie stets, mit einer so liebevollen Freundschaftlichkeit entgegen-traten, eine solche Erfahrung mit der Frankfurter Zeitung machten. Ich selbst habe alles versucht, um zu einem anderen Resultat zu kommen, aber die Zeitungen sind ja manchmal vollkommen unberechenbar. Ich möchte auch noch besonders darauf hinweisen, daß der Brief, welchen ihnen die Frankfurter Zeitung zuerst schickte, ganz mißverständlich ist. Ich habe durchaus nicht etwa von mir aus mit der Zeitung ein besonderes Arrangement getroffen, sondern wie aus der Abschrift meines Briefes, die ich Ihnen mitschickte, hervorgeht, nur zugesagt, daß ich zur Selbstbesprechung bereit sein würde, falls Sie oder die Zeitung nicht auf das andere Arrangement eingingen.

Heute ist es mir möglich, Ihnen auch das gebundene Exemplar meines Buches mit nochmaligem herzlichen Dank zu überreichen.

Näheres von meiner jetzigen Arbeit wird Ihnen Herr Dr. Böker erzählen.

Ich freue mich auf ein Wiedersehen und eine eingehende Aussprache mit ihnen in Berlin. Selbst wenn ich auf etwa einige Wochen inzwischen vereisen müßte, so werde ich doch zum wenigsten bei dem letzten Teil Ihrer Vorträge wieder anwesend sein.

Ich wünsche Ihnen und den Ihren ein recht gesundes und frohes Fest und bitte Sie nochmals herzlich, die Unannehmlichkeiten mit der Frankfurter Zeitung mir nicht verübeln zu wollen.

In alter Anhänglichkeit und aufrichtiger Verehrung Ihr stets ergebener (gez.) R. Junge.

 

81. C.H.B. an DTV, Reinhard Junge. Bonn, 22.12.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge!

Herzlichen Dank für Ihren Eilbrief. Sie wissen, aß ich nicht so empfindlich bin und daß ich ganz genau weiß, daß Sie an der Affäre mit der Frankfurter Zeitung völlig unschuldig sind. Manchmal hängt die Widerhaarigkeit der Zeitungen bloß an der Tatsache, daß der betreffende Referent gern das Buch behalten möchte. Jedenfalls ist die Sache für mich erledigt. Ich habe der Kölnischen Zeitung schon vorgestern geschrieben und warte deren Bescheid ab. Wenn sie ablehnt, schicke ich mein Manuskript an Sie resp. an Jäckh, und dann kann der es irgendwo anbringen. Natürlich ist mir die Vossische Zeitung sehr angenehm; sonst kann es auch im Größeren Deutschland oder in dem neuen Jäckh’schen Organ placiert werden. Ich habe mich allerdings im Wesentlichen auf ein gebildetes Publikum eingestellt.

Herrn Böker sprach ich erst kurz, doch hoffe ich, ihn heute noch zu sehen.- Ich freue mich, daß Sie so viel zu tun haben und daß der Kursus amtlicherseits so gute Aufnahme gefunden hat. Ich habe mir inzwischen das Programm genau durchgesehen und die einzelnen Vorträge, die auf je 1 Stunde berechnet sind, auf einliegendem Blatt skizziert. Seinerzeit hatten wir etwa 8 Stunden ausgemacht; neulich schrieben Sie mir, ich möchte mich auf 10 einrichten. Ich glaube, daß mir 9 genügen werden. Ich habe das zwischen uns verabredete Programm innerhalb der zweiten Vortragsreihe etwas geändert. Natürlich bleiben jeweils unsere Verabredungen für mich maßgebend, doch ist eine speziellere Angabe des Inhalts jeder einzelnen Vorlesung wohl nicht nötig. Ich bemerke, daß ich die Familien- und Schulfrage, die ja nur gestreift werden soll, mit in dem einleitenden Vortrag behandeln werde. Wenn Sie irgend etwas anderes wünschen, schreiben Sie mir bitte sofort; sonst richte ich mich jetzt auf das beiliegend gegebene Programm. Ich werde die Vorträge so ausarbeiten, daß ich sie nachher bei Kiepenheuer drucken lassen kann.

Ich rechne also damit, daß ich am 11. Januar anfange und 14 Tage in Berlin bleibe. Vorher kann ich nicht kommen, da ich hier noch am 8. (1.1916) Kolleg lese, und am 24. will ich dann hier wieder anfangen. Jedenfalls aber sehen wir uns dazwischen. Es täte mir leid, wenn Sie nicht da wären, da ich mir gerade von Ihren Zusammenfassungen einen großen Nutzen für die Hörer versprochen habe.

Zu Weihnachten sende ich Ihnen herzliche Grüße. Möge Ihre wichtige Arbeit im neuen Jahre Deutschland und Ihnen zum Segen gereichen!

Mit freundschaftlichen Grüßen Ihr ergebener (C.H.B.

Anlage

Übersicht

über die auf je 1 Stunde berechneten Vorträge von

Professor Dr. C. H. Becker

2. Vortragsreihe

  • Ethnographische Verhältnisse und Aufbau der Gesellschaft
  • Religion und Wirtschaft (Der Islam und das Wirtschaftsleben; die Milletverfassung der fremden Religionen)
  • Das außenpolitische Problem und die Kapitlulationen
  • Das innerpolitische Problem (Parteien und Nationalitäten)
  • Staatsverwaltung und Selbstverwaltung
  • Jurisdiktion
  • Steuerwesen
  • Staatsfinanzen und Staatsschuldenverwaltung.

3. Vortragsreihe

Nachwirkungen byzantinischer und arabischer Wirtschaft.

 

82. C.H.B. an DTV, Reinhard Junge. Bonn, 3.1.1916

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Junge!

Auch heute komme ich wieder nur zu ein paar kurzen Worten, die ich meinem Artikel noch nachsenden möchte. Sie werden gesehen haben, was Sie ja schon wußten, daß ich weitgehendst mit Ihnen übereinstimme, und daß ich eigentlich nur in Bezug auf die Liebe, die Sie immer fordern, sachlich anderer Meinung bin. Liebe im Handel ist Utopie. Ich freue mich zu hören, daß mein Artikel eine ganze Reihe von Leuten veranlaßt hat, sich Ihr Buch anzuschaffen, und daß Ihre Grundgedanken allgemeine Zustimmung finden. Das Problem mußte nur einmal gestellt und ausgesprochen werden; das bleibt für immer Ihr großes Verdienst. Ich fand, daß die Kölnische Zeitung sich sehr anständig benahm, daß sie den Artikel an so hervorragender Stelle abdruckte. Ich hatte allerdings verlangt, daß er als Artikel und nicht als Besprechung erschien. Da die Kölnische Zeitung mich schon lange gern als gelegentlichen Mitarbeiter hätte, hat sie mir offenbar damit einen Gefallen tun wollen.

Ihre Bitte um empfehlenswerte Literatur ist nicht ganz leicht zu erfüllen, da die Liste zu groß werden würde, und ich bin noch so in meine Arbeit vertieft, daß ich Ihnen die Liste wohl erst in einigen Tagen werde schicken können. Es ist ja auch nicht nötig, daß sie zu Anfang meiner Vorträge bekannt wird; es genügt, wenn die Hörer sie am Ende bekommen. Dabei kommt mir der Gedanke, ob es nicht praktisch wäre, die wichtigste Literatur über die Türkei im Orientalischen Seminar aufzulegen. Eine Buchhandlung wie Asher oder Meyer & Müller würden diese Gelegenheit doch gern benutzen und dabei ein gutes Geschäft machen. Was nicht im Buchhandel zu haben ist, könnte ja aus den Beständen der Bibliothek des Orientalischen Seminars ausgestellt werden. Besprechen Sie aber die Sache erst mit Mittwoch, ehe Sie sich an Moritz wenden; denn Moritz ist sehr empfindlich und gewiß gekränkt, daß er in dem Kursus nicht auch zu Wort kommt.

Der eigentliche Zweck dieses Briefes aber ist, lieber Herr Junge, Ihnen nochmals für das zweite Exemplar des Buches mit seiner für mich geradezu beschämenden Widmung zu danken. Ich freue mich sehr Ihrer hier zum Ausdruck kommenden freundschaftlichen Gefühle und erwidere dieselben, wie Sie ja wissen, aufrichtig. Daß Sie vielleicht auch einiges von mir gelernt habe, ist mir eine Beruhigung, da ich mir nur zu sehr bewußt bin, wie viel ich umgekehrt Ihrer Anregung verdanke.

Ich freue mich sehr auf unsere Zusammenarbeiten in Berlin; ich werde allerdings noch mit meinen Vorträgen zu tun haben und halte, um es Ihnen gleich zu annoncieren, am 14. und 15 Vorträge in Dresden, am 21. spreche ich in der Asiatischen Gesellschaft in Berlin. Zu einem gemütlichen Beisammensein wird sich also voraussichtlich am besten Sonntag, der 16. oder Montag der 17. eignen.

Ich hoffe, Sie haben das neue Jahr gut angetreten und wünsche Ihnen auch weiterhin den besten Erfolg. Hoffentlich bekommt auch Ihre Gattin etwas mehr von Ihnen zu sehen, als bisher.

In bekannter Gesinnung Ihr getreuer (C.H.B..

 

83. DTV, Dr. Jäckh, an C.H.B. Leipzig, 20.1.191612

Anlage von Wagner & Debes, Leipzig (Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Doktor!

Das Leipziger Kunstgewerbemuseum war so freundlich, mir Ihre Adresse zu geben, und ich nehme mir die Freiheit, Sie um einige Auskunft und einige Anhaltspunkte zu bitten.

Wie jedenfalls wissen, leidet durch den Krieg die Druckbranche und darunter besonders die Steindruckereien, die im Frieden ¾ ihrer Erzeugnisse in Ausland und hauptsächlich nach England und Amerika geschickt haben, mit am meisten. Da nun durch eifrige Polemik immer auf den Orient als zukünftiges Wirtschaftsgebiet hingewiesen wird, liegt es auch für die Steindruckereien Deutschlands nahe, einen Ersatz in dem ausfallenden Export im Orient und hauptsächlich in der Türkei zu suchen.

Ich möchte nun im Fachorgan der Steindruckereibesitzer Deutschlands, dessen Redaktion ich in Kriegszeiten übernommen habe, da der eigentliche Redakteur im Felde steht, einen Artikel bringen, der auf die besonderen Verhältnisse des Islam näher eingeht. Man muß sich doch vorstellen, daß der größte Prozentsatz der verschiedenen Geschäftsinhaber der Steindruckbranche dem Gefühlsleben der Mohammedaner und seiner Geschmacksrichtung vollkommen fremd, vollkommen als Neuling gegenübersteht und selbst beim besten Willen nicht wüßte, wie die Druckerzeugnisse ausgestattet werden müßten, damit sie dort Abnehmer finden. Deswegen fände ich es gut schon jetzt durch Schrift, am besten noch durch Ausstellen orientalischer Druckartikel selbst, die bis jetzt wohl meistens aus Frankreich und England gekommen sind und Absatz gefunden haben, den Leuten zu Hilfe kommen und ihnen die richtigen Wege zu weisen. Schon jetzt könnten sich unsere Lithographen in orientalischen Ornamenten üben, die für Karten, Briefköpfe, Packungen und dergleichen mehr zu verwenden wären. Das Ornament des Islam ist doch fein gegliedert und geästelt, mehr an Laubsägearbeit erinnernd, daß ein deutsches Ornament neuester Richtung meiner Meinung nach dem mohammedanischen Betrachter brutal vorkommen muß und ihn nicht zum Kauf reizen dürfte. Ich selbst habe ja keine Erfahrung über die Geschmacksrichtung des heutigen Türken und beurteile ihn vielleicht an der Hand der köstlichen Kunsterzeugnisse in alten Koranhandschriften, Keramiken, Teppichen, Webereien und dergleichen mehr, falsch und zu hoch.

Ich bitte Sie deswegen freundlichst, als vorzüglicher Kenner des Orients, mir zu sagen, ob es für einen Export in der graphischen Branche von Wert ist, sich in die orientalische Kunst zu vertiefen und Motive aus dieser Kunst für irgendwelche Druckerzeugnisse anzuwenden, oder ob der mohammedanischen Welt mit abendländischen Motiven, die auf unser Gefühlsleben eingestellt sind, gedient ist? Wenn Sie eine gewisse Kenntnis der Kunst des Islam für erforderlich halten, könnten Sie mir vielleicht einige Bücher nennen, die man den Leuten empfehlen könnte und aus denen sie material zum Verarbeiten finden würden.

Es wäre auch gut, wenn die verschiedenen Kunstgewerbemuseen der deutschen Städte durch Ausstellungen mohammedanischer Buchkunst unseren Druckereien und auch unseren buchgewerblichen Akademien und Fachschulen unterstützen würden. Herr Professor Craul vom Leipziger Kunstgewerbemuseum ist leider verreist, und ich konnte mit ihm noch nicht Rücksprache nehmen. Um aber keine Zeit zu verlieren, wende ich mich gleich an Sie, da Sie mir ja doch am besten mit Rat und tat zur Seite stehen können.

Für eine freundliche Unterstützung schon im Voraus bestens dankend, verbleibe ich mit größter Hochachtung Ihr sehr ergebener gez. Carl Wagner.

 

84. DTV an C.H.B. Berlin, 21.1.1916

Herrn Professor Dr. Becker, z.Zt. Berlin

Wir erlauben uns, Ihnen hiermit das vereinbarte Honorar von Mark 400 für Ihre Vorträge über die

Grundfragen deutscher und deutsch-türkischer Wirtschaft

einschließlich Reisevergütung zu überreichen.

Mit vorzüglicher Hochachtung. Auskunftsstelle für Deutsch-Türkische Wirtschaftsfragen.

(gez.) Seiler

 

85. C.H.B. an DTV, Berlin. Bonn 10.2.1916

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr!

In Beantwortung Ihrer Anfrage vom 9.2.1916 bin auch ich der Ansicht, daß sich die Anfrage der Firma Wagner & Debes in Leipzig mit einem sehr wichtigen Gegenstand beschäftigt. Der Orient hat allerdings seine einheimische Kunst fast ganz verloren, zumal die Ausübung, namentlich des Buchschmuckes, wohl meistens in Händen von Levantinern liegen dürfte. Wie primitiv und geschmacklos derartige Dinge sind, möge Ihnen einliegendes Kriegsprodukt beweisen, das vollkommen unter pseudo-europäischer Geschmacksrichtung steht. Das einige wirklich künstlerische Empfinden der Muhammedaner liegt heutigen Tages in der künstle-rischen Handhabung ihrer Schrift, was man schon aus den Köpfen jeder orientalischen Zeitung oder jeder Flugschrift entnehmen kann. Immerhin geht das Bestreben der führenden türkischen Kreise auf eine Wiederbelebung der künstlerischen orientalischen Tradition, wie sie in Konstantinopel besonders durch Halil Bey, den Direktor des Museums, gepflegt wird. Dem halb gebildeten Orientalen imponiert heutigen Tages der Schund Europas derartig, daß er ihn seiner heimischen Ware vorzieht. Die nationalistische Richtung in der Türkei wird zweifellos das Rückgreifen auf die künstlerische Arabeske mit Freuden begrüßen, und künstlerisch ausgestattete lithographierte Korane, die von dem deutschen Verlag, natürlich ohne Verlagsangabe, in der Türkei verbreitet worden sind, haben massenhaften Absatz gefunden.. Man muß nur möglichst die europäische Herkunft verhüllen. Das deutsche Kunstgewerbe könnte auf diese Weise stark auf die Veredelung des nationalen Geschmacks der Türkei einwirken.

Um Sie über orientalische Ornamentik zu informieren, empfehle ich vor allem das noch immer klassische

  • Tafelwerk von Prisse d’Arvennes, L’Art arabe. Gutes Illustrationsmaterial hat weiter
  • der Manuel d’Art Musulman, Ravaisse und Migeon, 2 Bände, Paris 1907, besonders Band 2. In diesem Werke ist auch eine ziemlich erschöpfende Zusammenstellung der Literatur zu finden.
  • Neueren Datums ist Herzfelds Artikel „Arabesken“ in der Enzyklopädie des Islam, wo auch Tafeln beigegeben sind, die vielleicht gerade für den Zeichner von Bedeutung sind.
  • Über das Wesen der arabischen Arabeske hat vom rein zeichnerischen Standpunkt der bekannte Museumsdirektor Lichtwark einen hübschen Aufsatz geschrieben im Handbuch der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde, Band 18, 1912, S.83 (Der Palmettenfries).
  • Reiches Material bieten natürlich auch alle kunstgewerblichen Museen und die von der Firma Wagner & Debes geforderten Spezialausstellungen sind eigentlich überall schon vorhanden, wo überhaupt islamische kunstgewerbliche Gegenstände existieren.

Als Berater kämen also in erster Linie die Direktoren der kunstgewerblichen Museen in Frage, die auch die nötigen zeichnerischen Vorlagen haben dürften. Exportware, die besonders für die Türkei gearbeitet wird, sollte sich der figürlichen Darstellung möglichst enthalten, obwohl sich auch der Orient jetzt langsam daran gewöhnt, wie einliegendes Blatt beweist. In schiitischen Ländern oder richtiger gesagt in Ländern mit alter Kunsttradition hat man auch in islamischer Zeit niemals auf figürliche Darstellungen verzichtet. So sind sie in den arabischen Gebieten immer beliebter gewesen als in semitischen.

Endlich möchte ich noch darauf hinweisen, daß die Nachrichtenstelle für den Orient seit über einem Jahr systematisch den Orient mit Flugschriften überschüttet. Sie hat dabei m.E. im buchhändlerischen Geschmack den richtigen Weg betreten, d.h. sich ausschließlich auf Zierschrift und einfache gute alt-orientalische Arabesken beschränkt. Es wird Ihnen ein Kleines sein, sich einige charakteristische Beispiele aus der Tauentzienstraße kommen zu lassen.

Hoffentlich genügen Ihnen diese Angaben. Auf spezielle Fragen bin ich gern zu weiterer Auskunft bereit.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.

 

86. DTV, Hugo Tillmann an C.H.B. Berlin, 2.3.1916

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Professor!

Nunmehr scheint der Versuch der Veröffentlichung türkischer Gesetze seiner Verwirklichung einen Schritt näher gekommen zu sein. Denn einmal wird Herr Junge bei seiner Anwesenheit in Konstantinopel – er ist gestern früh abgereist – versuchen, für uns die türkischen Texte zu beschaffen. Sodann aber hat sich in Herrn Kammergerichtsreferendar Keichel ein bereitwilliger Mitarbeiter für die Übersetzungen gefunden. Herr Keichel übersetzt zur Zeit, wenn ich recht unterrichtet bin, türkische Strafgesetze. Er hat sich auch uns zur ehrenamtlichen Mitarbeit angeboten. In der Zwischenzeit aber, bis wir die Gesetzestexte in Händen haben, will er sich durch Mitarbeit an der Bibliographie, soweit es Dienst ihm erlaubt, beschäftigen. Hierbei möchte er Ihre gütige Unterstützung in der Weise in Anspruch nehmen dürfen, daß er Sie mit Rat anginge, welche Veröffentlichungen für seine bibliographische Arbeit wohl am ehesten in Frage kämen. Bei einer morgigen Rücksprache werde ich Herrn Referendar Keichel noch nahelegen, wenn er an Sie sich zu wenden erlaubt, doch schon gleich anzugeben, welche Zeitschriften und andere Veröffentlichungen er schon durchgesehen hat.

Wir haben uns diese Zeilen erlaubt, um Sie vor Herrn Keichel’s Schreiben von den zugrunde liegenden Zusammenhängen zu unterrichten.

Sehr langsam schreitet nu ja auch die Herausgabe des ersten Archivheftes fort. Wir hoffen, daß Ihnen die erste Korrektur Ihrer Arbeit schon zugegangen ist. Kiepenheuer hatte versprochen, am 1. März mit der Zeitschrift herauszukommen und vertröstet uns jetzt auf Mitte des Monats. Wir werden drängen, daß dieser Termin nun endgültig aber auch erfüllt wird.

Wir danken Ihnen schon jetzt für Ihre liebenswürdigen Bemühungen und verbleiben mit größter Hochachtung ergebenst

Auskunftsstelle für Deutsch-Türkische Wirtschaftsfragen. (Gez.) Hugo Tillmann.

 

87. DTV, Herr Börer (?) an C.H.B. Berlin, 4.3.1916

(Maschinenmanuskript)

Herrn Professor Dr. C.H. Becker, Bonn

Im Anschluß an Ihre Bemerkungen über die neue türkische Sprachverordnung13 sende ich Ihnen einliegend Abschrift einer Mitteilung des Hilal, woraus allerdings hervorzugehen scheint, daß auch für die fremden Gesellschaften in der Türkei die türkische Sprache in ihrem Handelsbetrieb obligatorisch wird. Als Begründung wird angeführt, daß es dadurch den osmanischen Staatsangehörigen, welche nur türkisch beherrschen, erleichtert werden soll, sich am kaufmännischen Leben zu beteiligen.

Ob dieser Zweck dadurch erreicht wird, erscheint mir zweifelhaft, denn würde es den Geschäftsbetrieb dieser Gesellschaften außerordentlich erschweren, wenn nicht weitgehende Ausnahmen bewilligt würden, andererseits stellte es gewissermaßen für die Türkei eine Prämie dar auf die Lässigkeit, fremde Sprachen zu lernen.

Den Originaltext des Gesetzes habe ich noch nicht gesehen und wird man bis zu dessen Kenntnis mit dem Urteile an sich wohl noch zurückhalten müssen.

Daß Herr Professor Jäckh und Herr Junge am 1. d.M. abgereist sind, habe Sie ja bereits gehört.

Inzwischen erhielt ich Ihre Kaisers-Geburtstags-Rede, die mich sehr interessiert, und für die ich Ihnen herzlichst danke. Hoffentlich gibt sie dem Zensor keinen Anlaß zum Eingreifen.

Mit herzlichen Grüßen, auch an Ihre Frau Gemahlin, Ihr sehr ergebener (gez.) G. Börer

 

88. C.H.B. an DTV. Bonn, Evtl. 20.3.1916

(Maschinenkopie, dessen 1. Blatt betr. Edition türkischer Gesetze wohl lt. Archiv als verloren gelten muß.(vgl. 2.3. und 17.3.1916)

… daß die Redaktion ihren Sitz in Konstantinopel habe und im Wesentlichen aus Männern der Praxis (Dolmetschern) besteht. Gelehrte sollten hier nur beratend mitwirken. Unter allen Umständen bin ich dafür, keine kleine Privatunternehmung zu beginnen, sondern nur die maßgebenden Leute darauf zu stoßen, daß hier von Reichswegen irgend etwas geschehen muß. Wenn im Übrigen auch mehrere Hände daran zusammenarbeiten, empfiehlt es sich doch zweifellos im Einzelfall wie bei der mustergültigen Gesetzessammlung von Biliotti und Ahmed Sedad das Zusammenarbeiten eines orientalisch wie juristisch ausgebildeten Europäers mit einem Türken. Ich bewundere die Unternehmungslust von Professor Kampffmeyer; aber ich würde bei der skizzierten Sachlage es doch nicht für richtig halten, daß er, Tschudi und ich eine Sache vorbereiteten, die doch keinesfalls von uns ausgeführt werden könnte. Es handelt sich um ein Unternehmen von erheblicher Größe, da nicht nur die täglich in Massenproduktion erscheinenden neuen Gesetze durchgearbeitet (unleserlich ) ersetzt werden müßten, sondern da das gesamte Gesetzesmaterial früherer Zeit immer dabei zu berücksichtigen wäre; denn nur auf diesem Hintergrund kann man die Entscheidung treffen, welche modernen Gesetze wichtig für unseren Recueil werden könnten

Wenn das Reich und die Botschaft in Konstantinopel nicht einsehen, um welch’ unerläßliche Aufgabe es sich hier handelt, dann sollten wir lieber die ganze Orientpolitik gleich aufgeben; denn dann würden auch alle Bemühungen der deutschen Gelehrtenwelt vergeblich gegen diesen Eisberg von Unverstand anrennen. Ich glaube sogar, daß es nicht einmal der richtige Weg ist, wenn Gelehrte die Sache anregen, da es dann gleich wieder als aschgraue Theorie gilt. Es sollten einige führende Leute des Wirtschaftslebens auf die Unerläßlichkeit hinweisen. Hier läge eine schöne und wichtige Aufgabe für die Deutsch-Türkische Vereinigung.

Mit verbindlichen Grüßen Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

89. DTV, Dr. Schäfer an C.H.B. Berlin, 17.3.1916

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Professor!

Herr Prof. Dr. Kampffmeyer regt an, in gemeinschaftlicher Arbeit mit Ihnen und Professor Tschudi, zunächst einmal provisorisch über die im Türkischen Reichsanzeiger (Taqwim-i-waqai) erscheinenden Gesetze usw. ein knappes Register anzufertigen und abzudrucken mit regelmäßiger Weiterführung. Diejenigen Gesetze, die besonders wichtig sind, sollen dann je nach Bedarf übersetzt werden. Wie stellen Sie sich zu diesem Vorschlag, und in wessen Händen soll die Redaktion dieser Gesetzesregistratur liegen? Was die Übersetzung der Gesetze betrifft, so steht uns Herr Referendar Keichel zur Verfügung, jedoch dürfen wir ihn nicht zu sehr behelligen. Es müßten daher weitere Mitarbeiter zur Übersetzung herangezogen werden. Mit aufrichtigen Grüßen Ihr ganz ergebener (gez.) Dr. Schäfer.

 

90. DTV, Dr. Schäfer an C.H.B. Berlin, 28.3.1916

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Professor!

Empfangen Sie meinen aufrichtigen Dank für Ihr sehr geschätztes Schreiben vom 20.d.M., mit dessen Grundgedanken ich durchaus übereinstimme Inzwischen ist uns ein Bericht von Herrn Junge eingelaufen, worin er Folgendes mitteilt, was ganz mit Ihren Vorschlägen übereinstimmt:

Nach dem Kriege soll ein Archiv für Recht und Gesetzgebung in der Türkei ins Auge gefaßt werden, das Herr Professor Nord, Dragonan der Deutschen Botschaft in Konstantinopel, und Herr Junge gemeinsam herausgeben sollen. Herr Professor Voigt will bei der Übersetzung der Gesetze ebenfalls mitarbeiten. Voraussetzung hierzu ist jedoch, daß Herr Professor Nord als Staatsbeamter vom Auswärtigen Amt die Erlaubnis erhält. Ich habe dieserhalb beim Auswärtigen Amt eine Eingabe gemacht. Vorläufig will (Herr)Junge durch Professor Nord und Voigt zusammen die wichtigsten Wirtschaftsgesetze aus dem Urtext übersetzen lassen und sie als Außerordentliche Veröffentlichungen seines Archivs herausgeben. Hierzu ist jedoch ein Zuschuß seitens kapitalkräftiger Persönlichkeiten oder Firmen notwendig. Ich habe mich deswegen mit Herrn Direktor Schacht ins Benehmen gesetzt. Ich glaube, daß auch die Schwerindustrie, die ja unter den deutschen Industrien das stärkste Interesse an der Türkei hat, an dieser Gesetzessammlung besonders interessiert sein wird und deshalb zu Zuschüssen herangezogen werden muß.

Ich werde Sie über das weitere Ergebnis dieser sehr wichtigen Angelegenheit auf dem laufen-den halten und verbleibe inzwischen mit aufrichtigen Grüßen

Ihr ganz ergebener (gez.) Dr. Schäfer

(Handschriftlicher Zusatz unleserlich und irrelevant für das Thema.)

 

91. DTV, Dr. Schäfer an C.H.B. Berlin, 4.4.1916

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Professor!

Herr Junge bittet uns, Sie von folgender Unterredung zwischen ihm und Herrn Professor Dr. Nord, betreffend verschiedene Fragen des türkischen Zivilrechts14, zu benachrichtigen:

Herr Professor Nord vertritt den Standpunkt, daß zwar das Seerecht und Strafrecht französische Einflüsse besitzt, daß aber das Zivilrecht (Medschelle) davon durchaus frei ist. Es ist lediglich kodifiziertes Scheriatrecht. Die sämtlichen wirklich maßgebenden türkischen Rechtslehrer der Universität Konstantinopel erklären entschieden, daß die in Europa bestehende Auffassung von den französischen Einflüssen absolut falsch sei. Zu Ihrer Ansicht, daß Genossenschaftsfragen vor die Scheriatgerichte gehören, erklärt Professor Nord, daß praktisch alle wirtschaftlich wichtigen Streitfragen mit landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften vor die Zivil-, ja teilweise sogar Handelsgerichte kämen, da bei der Kompetenzfrage nicht nach Eigenart des Klägers oder Beklagten, sondern nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts unterschieden werde; daher würden seiner Ansicht nach, obwohl Genossenschaften unter die Scheriatgerichte fallen, Klagen mit ihnen anderen Gerichten unterliegen.

Was die Herausgabe und Übersetzung der türkischen Gesetze betrifft, so ist Herr Direktor Schacht der Ansicht, daß hier eine dankenswerte Aufgabe für die Deutsch-Türkische Vereinigung bestünde, und er ist bereit, eine finanzielle Unterstützung seitens der Deutsch-Türkischen Vereinigung in dem Vorstand vertreten.

Bezüglich des neuen Sprachgesetzes ist Herr Junge der Ansicht, daß seine praktischen Wirkungen nicht eine umwälzende Bedeutung haben werden. Da es erst 1919 in Kraft tritt, so besteht die Hoffnung, daß es auch bis heute noch nicht durch ein Irade bestätigt worden. Immerhin war das Gesetz notwendig, um dem türkischen Nationalismus entgegenzukommen, der als Grundlage für den Aufschwung der Türkei zu pflegen ist. Auswüchse werden sich mit der Zeit wohl beschneiden lassen.

Ich verbleibe mit aufrichtigen Grüßen Ihr ganz ergebener Dr. Schäfer.

 

92. Anlage zum Brief15 der DTV an C.H.B. Berlin, 5.4.1916

Deutsch-Türkisches Handbuch (Entwurf der Gliederung)

  • Geographischer Überblick: Prof. Philippson
  • Sprache und Schrift, Prof. Mittwoch
  • Geschichte: Prof. Hartmann
  • Politik: Prof. Jäckh
  • Verfassung (Kaiserliches Haus, Fremde Gesandtschaften & Konsulate, Kapitulationen: Prof. Becker
  • Heer und Flotte: Major Prigge, Exz. Imhoff Pascha
  • Religion: Prof. Becker
  • Missionen: Reichstagsabgeordneter Erzberger
  • Schulwesen: Geheimrat Schmidt, Konstantinopel
  • Fremde Schulen: Geheimrat Schmidt, Konstantinopel
  • Medizinalwesen (Krankenhäuser, Apotheken). NN.
  • Landwirtschaft: Dr. Bücher, H. Tillmann
  • Bergbau. Petroleum: Dr. Schäfer; andere Mineralien : Bergassessor Dr. Scheffer
  • Handel I (Statistik, Ein- und Ausfuhr):Dr. Schäfer
  • Handel II: Wichtigste Handelplätze und –artikel: G.Kayser
  • Handel III: Regel und Winke für den Geschäftsverkehr mit der Levante; (gegliedert nach einzelnen Landesteilen, Reklame)
  • Handelspolitik: Handelsgesetze; Zolltarif: Dr. Paddel, Dr. Nord, Dr. Schäfer
  • Gewerbe und Industrie: R.Junge
  • Verkehrswesen: Verkehrswege nach der Türkei (Eisenbahnen: Dr. Böker; Donau: Dr. Zimmermann); Eisenbahnen in der Türkei: H.Hecker; Schiffahrt und Häfen: G. Kayser; Post, Telegraphie: Postrat Andersch
  • Finanzwesen (Staatsanleihen): Dr. Schäfer
  • Bankwesen: Dr. Schäfer
  • Währung: NN
  • Buchhandel: B. Sutter
  • Presse: Redakteur Tekin Alp, Konstantinopel
  • Vereine:: Dr. Schairer
  • Anhang: Münz-Maß-Gewichtstabellen; Paßvorschriften; Verzeichnis der deutschen Firmen; Verzeichnis der wichtigsten ausländischen Firmen; Gesetze.

 

93. DTV, Prof. Jäckh an Geheimen Regierungsrat C.H.B. Berlin, 12.7.1918

Mit Empfehlung der Anlage von Dr. Carl Seyffert, Deutsche Feldpost 46. Abschrift

Dr. Seyffert an Prof. Jäckh E.H.O., 30.6.1918

Sehr verehrter Herr Professor!

Erst heute ist es mir möglich, Ihnen zu antworten und zu danken für die so liebenswürdige Weitergabe meines Briefes an Herrn Geheimrat Schmidt in Konstantinopel. Ich habe Herrn Geheimrat auf sein Antwortschreiben ausführlicher geschrieben und ihm auseinandergesetzt, was ich mir gedacht hatte. Um das vorweg zu nehmen, es ist mir im wesentlichen darum zu tun, möglichst ganz in türkischen Dienst zu kommen, nicht nur während des Krieges etwa. Ich habe mir gedacht, daß es wohl an der Zeit wäre, um an eine systematische Erforschung des türkischen Volkes und seiner Kultur zu denken. Dazu wäre einmal eine Art Forschungsinstitut nötig, wie es z. B. die Archäologen schon lange haben, – in dem in ganz systematischer Weise das Volkstum studiert würde, anthropologisch und kulturell, z. B. die Ernährung, Kleidung, Wohnung, um nur anzudeuten, was ich meine, natürlich spezialisiert bis in alle Einzelheiten, und das müßte einmal wissenschaftlich in Publikationen niedergelegt werden, und dann, was ebenfalls wichtig ist, es müßten systematische Sammlungen angelegt werden, aus denen einmal ein, ich will sagen Nationalmuseum hervorgehen könnte, das die ganze kulturelle Entwicklung des Landes und Volkes darstellte. Als langjähriger Museumsbeamter kenne ich die Mängel unserer gänzlich unsystematischen Sammlungen, die meist von Laien angelegt sind, zur Genüge, und ich habe mich (seit Jahren) mit dem Gedanken befaßt, wie man ein Museum, das neu (errichtet? in der Abschrift verstümmelt) würde, von Anfang an gestalten könnte. (?Nicht rekonstruierbare Passage:)…..wiederholt in Vorträgen bei Kongressen usw. an die Öffentlichkeit gekommen, leider sind aber überall schon uralte Sammlungen vorhanden, deren Ergänzung kaum mehr möglich ist. Es handelt sich auch immer um ethnologische Sammlungen von sehr schwer zu ergänzenden Beständen. Bei einem räumlich beschränkten Gebiete wie die Türkei, ließen sich diese Schwierigkeiten leichter überwinden, und es ist heute ja auch noch nicht zu spät, um die späteren Kulturschichten der türkischen Bevölkerung zu studieren. Ich würde mir nicht nur eine riesig interessante Arbeit, sondern vor allen Dingen auch einen äußerst wertvollen Beitrag für die Wissenschaft versprechen, und das kann ich etwas beurteilen, weil mir das ägyptische und nordafrikanische ehemalige türkische Reich aus eigenen Studien bekannt ist.

Freilich fragt es sich nun, ob die türkische Regierung an der Errichtung eines solchen Landes- und Volksmuseums Interesse hat, und ob sie die Mittel dazu aufbringen will. Ich würde Ihnen jedenfalls zu größtem Danke verpflichtet sein, Herr Professor, wenn es Ihnen möglich wäre, meine Pläne zu unterstützen und mir behilflich sein, sie an der rechten Stelle zu Gehör zu bringen. Wie gesagt habe ich in demselben Sinne schon vor längerer Zeit auch an Herrn Geheimrat Schmidt geschrieben und ihm klar gelegt, was ich mir für eine Tätigkeit vorstelle. Leider fehlen mir persönliche Beziehungen zur Türkei ganz, ich habe wohl Herrn Professor Wieting einmal kennen gelernt, doch weiß ich nicht, ob er noch in Konstantinopel ist und ob er mich überhaupt noch kennt. Jedenfalls bin ich aber der Meinung, daß es wohl im Interesse der Regierung sein dürfte, das Volkstum festzulegen in seinen Grundzügen, in einem Augenblicke, wo sich eine vollständige Wandlung vollziehe wird. Ich würde Ihnen zu etwaigem Rat und Unterstützung sehr verbunden sein und bin mit vorzüglichster Hochachtung ganz ergebenst (gez.) Dr. Carl Seyffert.

 

94. DTV, Herr Russack, an Staatssekretär C.H.B. 22.6.1922

Übersendung seiner Denkschrift

Denkschrift

(Durch die Niederlage der Mittelmächte ergaben sich eine Reihe von Problemen für die DTV, die noch durch die Geldentwertung verstärkt wurde. Die Finanzen wurden besonders strapaziert durch die Schließung der Deutschen Schule in Adana, der Rückreise der Lehrer nach Deutschland, der Bezahlung der Gehälter usw.

Die Mitteilungen werden weiter herausgegeben, wobei man anstrebt, sie völlig durch Aufnahme von Anzeigen zu finanzieren. Die wirtschaftlichen Interessen sollten im Vordergrund stehen – politisch müsse man sehr vorsichtig sein.

Interessant im weiteren ein Hinweis auf die Deutsch-Persische Gesellschaft Seite 5-6:)

Die Verhältnisse bei der Deutsch-Persischen Gesellschaft liegen nebenbei bemerkt so, daß der Herausgeber der dortigen, vorzüglich gemachten Mitteilungen, Konsul Wasmuss, den Geschäftsführer der DTV vor 8 Wochen aufforderte, diese eben entwickelten Gedanken in einer Denkschrift für den Vorstand der Deutsch-Persischen Gesellschaft niederzulegen. Er selbst erklärt sich mit dem Gedanken der Zusammenlegung der beiderseitigen Mitteilungen einverstanden und forderte den Geschäftsführer der DTV, als er mit dem Plan bei dem Vorstand der Deutsch-Persischen Gesellschaft nicht durchdrang, auf, die Herausgabe der Mitteilungen der DPG, sowie die Geschäftsführung der DPG mit dem ausgesprochenen Zweck, die Durchführung dieses Programms durch persönliche Verbindung zu erreichen, mitzuübernehmen – ein Plan, der lediglich durch das Dazwischenkommen des früheren Leiters der Deutschen Schule in Teheran von Konsul Wasmuss nach einer halben Stunde zurückgenommen wurde. Eine neue Nummer der Mitteilungen der DPG, die sonst regelmäßig monat-lich erschienen, ist bisher nicht herausgekommen.

(Der Rest der Denkschrift befaßt sich mit den Finanzen der DTV.)

 

95. DTV, Herr Kayser an Staatsminister C.H.B. Berlin, 24.1.1927

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Minister!

In der mir kürzlich in so freundlicher Weise gewährten Unterredung über die nächste Entwicklung der DTV hatte ich mir erlaubt darauf hinzuweisen, daß eine Erweiterung des Berichtsgebietes unserer Mitteilungen auf die Türkei in ihren alten politischen Grenzen aus verschiedenen Gründen zweckmäßig sein würde. Es gibt heute keine Zeitschrift, die über Palästina, Syrien, Arabien usw., kulturelle und wirtschaftliche Dinge zusammenfassend, wie wir es jetzt für die Türkei tun, berichtet. Vom Standpunkt des deutschen Exporteurs aus bildet der ganze vordere Orient aber eine wirtschaftliche Einheit. Durch die Erweiterung unseres Berichtsgebietes hoffe ich, auch die Finanzierung der Mitteilungen durch einen entsprechenden Zuwachs an Beziehern zu erleichtern. Politische oder sonstige Bedenken dürften einer Erweiterung unserer Mitteilungen in dem angedeuteten Sinne nicht im Wege stehen. Ich habe deswegen Herrn Geheimrat von Richthofen im Auswärtigen Amt, dem deutschen Botschafter in Konstantinopel, Herrn Nadolny, und auch der hiesigen türkischen Botschaft Rücksprache genommen.

Nun ist kürzlich das Komitee Pro Palästina gegründet worden. Ich habe mich daraufhin vor einigen Tagen mit Herrn Professor Sobernheim im Auswärtigen Amt, der diesem Komitee ebenfalls angehört, in Verbindung gesetzt und ihn darauf aufmerksam gemacht, daß es mir sehr erwünscht wäre, wenn das Komitee unsere Mitteilungen als eines der Organe benutzt, durch die es seine Nachrichten der Öffentlichkeit zugehen läßt. Herr Professor Sobernheim hielt diesen Gedanken für sehr glücklich und versprach mir, ihn aufzunehmen und gegebenenfalls in der nächsten Präsidialsitzung am 3.3.(1927) zur Sprache zu bringen. Da ich gelesen habe, daß auch Sie, Herr Minister, dem Ehrenausschuß des Komitees angehören, wollte ich, angesichts des lebhaften Interesses, das von Ihrer Seite unseren Bestrebungen stets entgegengebracht worden ist, und das mir in der kürzlichen Besprechung in so nachdrücklicher Weise wieder in Erscheinung trat, nicht verfehlen, hiervon Kenntnis zu geben. Ich möchte daher die Bitte aussprechen, falls auch Sie, hochgeehrter Herr Minister, meinem Vorschlage zustim-men, Ihren großen Einfluß bei dieser Gelegenheit zu unseren Gunsten im Komitee Pro Palästina geltend zu machen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung ergebenst (gez.) Kayser


1 Zum Grundstock gehört 1917 eine Bücherei von 1100 Bänden, ein Denkschriften- und Spezialfragenarchiv, ein Zeitungsarchiv mit monatlich 6-700 Zugängen.

2 Z.B mit dem Deutschen Überseedienst

3 Typische Vereinssatzung, von mir nicht abgedruckt. Blatt 10-14 des Dossiers.

4 Schriftführer war der Syndikus Dr. Ernst Jäckh, Berlin

5 Hervorhebung des Herausgebers.

6 Herzfeld, Ernst Emil *1879 Celle +1948 Basel. Professor in Basel/Princeton N.J.. Mitbegründer der islami-schen Archäologie, Architektur und Kunstgeschichte. Sein Mitarbeiter Krefter entdeckte 1933 in Persepolis die berühmten Schrifttafeln in Gold und Silber, auf denen Darius in Alt-Persisch, Elamisch, Babylonisch den Umfang seines Königreiches beschrieb – und legt sie als Grundstein für die Persepolisbauten

7 Hervorhebungen vom Herausgeber

8 Sammlung von Texten, meist Gesetzestexten (Französisch)

9 Der inhaltsgleiche Brief Junges wurde von mir nicht eingefügt Der Herausgeber.

10 Unterstreichungen von Reinhard Junge.

11 Reklamation im öffentlichen Interesse statt Einberufung zur Armee.

12 Der Brief der DTV vom 9.2.1916 folgt als Blatt 64 im Dossier und wurde von mir nicht abgedruckt.

13 Hervorhebung vom Herausgeber.

14 Alle Hervorhebungen durch den Herausgeber.

15 Von mir nicht abgedruckt.

Anonymus, Türkei, 1916

59. Anonymus an C.H.B. Konstantinopel, 19.2.1916 * Streng vertraulich

Lieber Heinrich!

Längst schon war es Wunsch, Dir auf Deine lieben Zeilen vom 2. Januar in gewohnter ausführlicher Weise zu antworten. Indes ist das heute gar nicht mehr so leicht wie früher, wo man aus dem frisch pulsierenden Leben des Krieges, wie er sich in allernächster Nähe abspielte, berichten konnte. Seit dem Abzug der Engländer von Anaforta und Seddulbahr ist es hier still geworden, wenn auch die sich in aller Stille abspielenden Ereignisse vielleicht wichtiger und bedeutsamer sind, was das was vorher war.

Der Abschluß der Kämpfe hier unten war in jeder Beziehung ein Knalleffekt, freilich nicht in dem Sinne, wie ihn das Publikum, das fromme Schaf, in den Zeitungen zu lesen bekommen hat. Der militärische Schluß der Dardanellenaktion1 liegt ja eigentlich schon viel früher. Der Abzug war ja nur gleichsam ein Schlußschnörkel. Es ist ja wohl auch in der deutschen Presse nicht geleugnet worden, daß der eigentliche Abzug ein außerordentlich geschicktes Manöver war. Daß aber die Engländer tatsächlich so ganz ungeschoren weggekommen sind, danken sie doch noch einer kleinen türkischen Besonderheit.

Schon lange nämlich vor dem Abschluß bestand zwischen L.v.S2, dem Oberstkommandie-renden der Truppen, und v.U., dem Oberstkommandierenden der Festungen, ein erheblicher Gegensatz in der Auffassung über den bevorstehenden Abzug der Gegner. Der eine gründete seine Ansicht, daß noch eine Schlußoffensive zu erwarten sei, auf die Meldungen seiner Unterführer, der andere seine gegenteilige Ansicht auf die Meldungen der deutschen Flieger und seiner artilleristischen Marinebeobachter. Der Gegensatz steigerte sich so weit, daß allerlei unfreundliche Worte fielen über junge Marineoffiziere, die von nichts eine Ahnung hätten.

Und dann waren mit einem Male die Engländer von Anaforta weg und die deutschen Beobachter hatten doch recht behalten.

Mag nun dieser Vorgang den Stachel des Zweifels in die Brust L.’s gesetzt haben, mag man es auf türkischer Seite allzu toll getrieben haben, jedenfalls bei der Räumung von Seddulbahr kam man auch im Oberkommando den Gegnern auf die Schliche – der Nebel war auch minder stark – und befahl den Angriff, der aber nicht erfolgte. Die Türken hatten sich nämlich überzeugt, daß der heilige Boden des Vaterlandes auch so geräumt werden würde und sahen daher nicht ein, warum lediglich des Knalleffektes halber und um den Deutschen einige Arbeit in Flandern zu ersparen, sie ihr kostbares Leben auf das Spiel setzen sollten.

Man spricht von Gehorsamsverweigerung, von falschen und unterschlagenen Meldungen. Ein ganzes Rudel von Regimentskommandeuren sollte standrechtlich erschossen werden und es bedurfte der Ausreise des Kriegsministers und eines Vertreters der Botschaft, um den toben-den Löwen zu besänftigen. Man sagte damals, er werde gehen. Aber er ist auf seinem Posten geblieben. Allerhand Hochachtung vor dem Pflichtbewußtsein.

Alle Ehrungen aber wurden ebenso unhöflich wie kühl abgelehnt. Ohne jeden Aufwand ist L., dem wir doch eigentlich unsere Existenz hier verdanken, nach Konstantinopel zurückgekehrt und dann wieder auf seinen Posten bei den Truppen.

Von der Beute, die die Verbündeten zurückgelassen haben, hast Du wohl in den Zeitungen gelesen. Sie muß tatsächlich recht erheblich gewesen sein, wenn auch bei den ganz großen Zahlen auf die Türken kein Verlaß ist. Aber wenn man englischen Speck und vorzüglich abgelagerten Chesterkäse auf der großen Perastraße kaufen kann, so muß es schon sehr viel gewesen sein; denn in erster Linie haben sich natürlich die Truppen versorgt. Und ungeheure Mengen von Lebensmitteln sind der türkischen Gemütsart entsprechend vernichtet worden. Nur Marmelade ist nicht bis in die Stadt gelangt, sie sind eben sehr große Leckermäuler und die Lazarette an der Front sind von Leuten, die sich überfressen haben, überfüllt.

Nun tobt der Krieg fern von hier. Der Kaukasus interessiert so wenig. Es sind kaum deutsche Offiziere in leitender Stellung dort unten. Die Türken haben mit dem Erbfeind ganz allein abrechnen wollen. Man sieht, was dabei herauskommt. Jetzt, wo Holland in Not ist, müssen und dürfen wir wieder ein bißchen helfen.

Kut-el -Amara3 ist noch weiter fort. Wenn meine besondere Aufmerksamkeit ihm gilt, so liegt das daran, daß ich, wie Dir früher schon geschrieben, die Wiedereroberung von Basra für außerordentlich wichtig halte. Außerdem hängt vom Erfolge dort unsere Politik in Persien4 ab, die ich in ihren wirtschaftlichen Folgen für nicht minder bedeutend, oder, wenn man will unbedeutend – halte, wie die türkische. Außerdem ist unsere Anteilnahme durch die Anwesenheit von Goltz bekundet, der sich mit einem sehr auf Zuwachs berechneten Stabe nun schon recht lange in Bagdad und weiterer Umgebung aufhält. Endlich befindet sich bei eben diesem Stabe Dr. Ritter, den Du vielleicht noch von Hamburg her kennst, und von dem ich doch hin und wieder einmal etwas höre.

Über die Unternehmungen selbst und meine Vermutungen darüber kann ich Dir für heute nichts berichten. Ich weiß allzu viel darüber in amtlicher Eigenschaft. Nur das kann ich sagen; denn es hat merkwürdiger Weise in der Zeitung gestanden, daß wir mit Hochdruck an den noch offenen Gebirgsstrecken unserer Bahn bauen. Die Schwierigkeiten und sich entgegen stellenden Hemmungen sind natürlich besonders große. Ich brauche Dir nicht zu sagen, auf welchem Gebiete sie liegen. Den Umständen nach sind unsere Fortschritte recht befriedigende.

Das sind aber vorläufig doch alles nur Episoden. Der wahre Schwerpunkt der Handlung liegt doch hier in Konstantinopel und betrifft wirtschaftliche Fragen und damit Gegenstände, die einen bleibenden Wert haben sollen.

Das Bild, das ich mir von den wirtschaftlichen Vorgängen machen kann, ist natürlich nur ein ganz einseitiges.- Einmal glaube ich nicht, daß man, rein wirtschaftlich gesprochen die Beziehungen zur Türkei aus dem Gesamtrahmen der deutsch-orientalischen Beziehungen wird herauslösen können und unter diesem Gesichtspunkte wird es sehr wichtig sein zu wissen, was geht an Parallelerscheinungen in Bulgarien vor? Und darüber weiß ich herzlich wenig; ich kann nur hoffen, daß sie erfreulicher sind, als das, was sich hier ereignet. Dann aber kommt bei der Ausgestaltung dieser Beziehungen und Durchdenken der zahlreichen Probleme, die sie bieten, vor allem auch Österreich in Betracht, das hier ältere Beziehungen hat, als Deutschland. Endlich geht die Entwicklung auf diesem Gebiete auch so unendlich viel langsamer vor sich, als auf politischem, und das, was ich sehe, ist ja auch nur einkleiner Ausschnitt dessen, was sich an bemerkenswertem wirklich ereignet.

Den Kenner der hiesigen Verhältnisse überraschte vor allem die völlige Verkennung der wirklichen Verhältnisse der Türkei, insbesondere ihrer Produktionsmöglichkeit, der man in Deutschland huldigte, als es nach der Eröffnung des Schienenweges durch Serbien und der Schiffahrt auf der Donau galt, die Ausfuhr aus der Türkei in die richtigen Bahnen zu leiten.

Diese Unkenntnis hatten sich die Türken, die bessere Diplomaten sind, als wir, bereits zu Nutze gemacht, als sie noch unter dem verstorbenen Botschafter einen Vertrag mit dem Deut-schen Reiche abgeschlossen hatten, besagend, daß der Warenaustausch nur von Staat zu Staat unter Ausschaltung jeder privaten Betätigung gehandhabt werden sollte.

Der Sinn dieses Vertrages von türkischer Seite war der, daß die Regierung auf diese Weise sich Geld zum Krieg führen verschaffen wollte. Sie requirierte im Innern Waren und verkaufte sie gegen bar an den zahlungskräftigen Bundesgenossen.

Deutscherseits erkannte man bald den Unsinn einer solchen Bindung und Einengung, man konnte sich indes von der einmal eingegangenen Verpflichtung nicht losmachen. Die Lösung wurde nun in der Form gefunden, daß das Kriegsministerium eine Anzahl von Sachkennern, d.h. Warenkennern hierher sandte, die mit offiziellem Charakter ausgestattet, den Warenaustausch zwischen den türkischen Instanzen und den deutschen Interessenten vermitteln sollten.- Durch diese Maßnahme wurden zunächst einmal alle hier ansässigen, sach- und ortskundigen Kommissionshäuser ausgeschaltet. Der Form nach gab es wohl keine andere Lösung; denn etwa die Einordnung dieser Kommissionäre in die Reichseinkaufskommission hätte die Türken sicherlich stutzig gemacht und sie verstimmt. Sie wollen eben den Gegenkontrahenten über den Löffel balbieren können.- Das ist denn auch auf das Gründlichste besorgt worden.-

Mit welchen unrichtigen Instruktionen, welch falschen Anschauungen die Leute hierher gesandt wurden, erhellt z. B. daraus, daß man unter anderem auch um Feststellungen über die Möglichkeit, Getreide aus der Türkei zu beziehen forderte. Auf dieses Kapitel komme ich weiter unten in anderem Zusammenhange noch zurück.

Nun, um das Ergebnis bis heute vorwegzunehmen: Die Kommission tagt seit Monaten hier und irgendwie nennenswerte Mengen an Rohstoffen haben die Grenze noch nicht überschritten.

Und was schlimmer ist: gab es früher noch einige hochwertige Waren, die man als Postpakete oder mittels reichlicher Beträge von Schmieröl hinausbekommen konnte, wie z.B. Seide und getrocknete Därme, – auch Mohair ist in großen Beträgen als Postpaket ins Ausland gegangen – so fiel jetzt auch diese Möglichkeit weg, da auch diese kleinen Mengen ausschließlich der deutschen Kommission vorbehalten bleiben.

Weiter wurde die Tätigkeit der Kommission erschwert durch die Beschlagnahme sämtlicher Bahnen im Innern für Militärtransporte. Wenn die Beschlagnahme und Einstellung des Privatverkehrs ebenso überflüssig war, wie auf unseren Bahnen, so kann sich die Kommission für ihren Mißerfolg auch bei den deutschen Offizieren beklagen, die sich in diesem Falle zum willfährigen Werkzeuge türkischer Schikanen und Schaumschlägereien gemacht haben.

Endlich versagte die politische Unterstützung vollständig. Ich werde dafür noch einige Beispiele geben.

Das ist eine Frage, über die sich unendlich viel schreiben ließe. Fraglich ist auch, ob es sich anders hätte machen lassen. Denn das Übel sitzt sehr tief und es ist gegenwärtig nur schwer etwas daran zu ändern. Sicher aber ist das eine, daß augenblicklich die deutsch-türkischen Beziehungen auf diplomatischem Gebiet türkischerseits völlig die erforderliche Distanz völlig vermissen lassen.

Dafür ein Beispiel aus einem ganz anderen Gebiet. Als v(on) d(er )G(oltz) sich auf seinem Floße Bagdad nahte, verließ der türkische Höchstkommandierende den Palast des englischen Residenten, den er bis dahin inne hatte, und ließ das Gebäude in ein Hospital umwandeln. Auf Orientalisch ist das einfach eine Frechheit , die man sich auf keinen Fall hätte bieten lassen sollen. Aus unserem Betriebe könnte ich auf dem Gebiete des sog. Salonwagens diese Bei-spiele leicht vermehren. Da hätte es eben auch heißen sollen, principiis obstat. Jetzt ist die Sache gar nicht mehr so leicht.

Doch zurück zur Kommission. Diese ging von der zutreffenden Erwägung aus, daß es für die wirtschaftliche Kraft des Landes nützlicher sein würde, wenn sie die großen ihr zurVerfügung gestellten Geldmittel nicht ausschließlich den Komitatscis und ihren Hinterleuten zu Gute kommen ließen, sondern dem Produzenten. Sie begann also damit, große Käufe, besonders in Wolle, Baumwolle und anderen Stapelwaren abzuschließen, meist wohl loco Produktionsort, teilweise aber auch in Konstantinopel und vertrauensvoll fing gerade an, so manches bisher ängstlich verborgen gehaltene Pöstchen Ware (sich) hervorzuwagen. Der Markkurs natürlich wurde durch diese Käufe ungeheuer geworfen und steht heute etwa 30% (sic!) unter der Goldparität. N.B. Das ist doch eigentlich ein Skandal!!

Mit den Drahtziehern verhandelte man gleichzeitig über die Ausfuhrerlaubnis. Die Beziehungen waren angeblich die freundlichsten. Der Orientale ist immer höflich, obschon die Leute merkten, daß man bestrebt war, sich den übernommenen Verpflichtungen zu entziehen und nicht von ihnen, den berufenen Vertretern des Staates, kaufen wollte. Das schön ausgedachte Geldgeschäft war im Begriffe zu zerfallen.-Da kam der erlösende und kühne Griff. Die türkische Generalintendantur requirierte die formell für den Kriegsbedarf des Deutschen Reiches als staatsrechtlicher Persönlichkeit gekauften gesamten Wollvorräte. Vorwand: die Ausfuhrerlaubnis sei nur für 200 000 kg beantragt, angekauft aber seien 500 000 kg (!!). Und es gibt Leute von großer politischer Bedeutung auf unserer Botschaft, die den Türken völlig Recht geben und meinen, Geheimrat S., der Leiter der Einkaufsgesellschaft, wäre in Deutschland für solche Handlung ins Zuchthaus gekommen.

Dementsprechend fiel denn auch die diplomatische Vertretung der Beschwerde der Kommis-sion aus. Die Türken siegten auf der ganzen Linie. Die Kommission konnte den ganzen requirierten Betrag noch einmal kaufen. Darüber weiter unten. Die Kommission versuchte noch einmal wider den Stachel zu löcken und excerpierte aus Berlin eine dringende Bitte des Generalstabes um Wolle. Die Wolle wurde türkischerseits umgehend zur Verfügung gestellt, wie es die Bundesbrüderlichkeit erheischt, — in Diârbekir! Zur Auffrischung Deines geogra-phischen Gedächtnisses: es liegt am obersten Tigris.- Also das ist auch wieder mal eine solche Frechheit, wie die oben erwähnte, die man sich deutscherseits nie hätte gefallen lassen dürfen. Es ist höchst beklagenswert, daß es zu so etwas gekommen ist.

Nun verhandelt die Einkaufsgesellschaft mit einer Vereinigung von Hinterleuten der Minister, die bereits seit langem besteht und das türkische Wirtschaftsleben in so schamloser Weise ausbeutet, daß es ihretwegen bereits zu der Dir früher einmal signalisierten Interpellation im Parlament gekommen ist. Diese Vereinigung, die sich, wie gesagt, höchstmögender Bezieh-ungen erfreut, tritt in die verschiedenen Abschlüsse des Reiches als Wiederkäufer und Rück-käufer etc. in einer mir nicht näher bekannten Weise ein und hat sich auf dem Papiere zunächst stark gemacht, die Waren vor der Requisition zu schützen und die Ausfuhrbewilli-gung zu erwirken. Diese Transaktionen haben, ohne daß bisher ein wirklicher Erfolg sichtbar wäre, zunächst, soweit mir bekannt und hier ruchbar, die bereits gekauften Waren um etwa 30% verteuert. Das Geschäftsgebaren dieser Gesellschaft erfreut sich angeblich nicht des Beifalles des Generalintendanten. Die Reichseinkäufer aber meinen, daß sie auf der stärkeren Seite seien, da ja fast das gesamte Ministerium auf ihrer Seite sei. Die Tätigkeit der Gesellschaft hat denn auch mit einer erneuten festlichen Requisition seitens des Intendanten begonnen.

Andere Türkenkenner, und mit ihnen ich, neigen zu der Ansicht, daß die „unfreundlichen Beziehungen“ des Generalintendanten zur Djemiet einfach ein Theater sind, um bei einer späteren Gelegenheit sich für eine neue Kombination noch einmal bezahlen zu lassen. In Wirklichkeit sitzt jedenfalls der Generalintendant augenblicklich fester denn je: er vertritt gegenwärtig den auf einer Inspektionsreise befindlichen Kriegsminister, was nicht ohne Zustimmung des Gesamtministeriums möglich wäre.

Soweit die politische Seite der ganzen Frage. Inzwischen verfaulen, verschimmeln und verderben die unglücklichen Gegenstände dieser Politik: Wolle und Baumwolle, in unzureichenden Lagern im Innern.

Einen Vorbehalt muß man indes machen: einem Mitgliede der Einkaufsgesellschaft ist es gelungen, alle von ihm gekauften Waren, wenn auch bisher nur kleinere Mengen, über die Grenze zu bringen, das ist die Erzabteilung. Er ist von vorneherein den einzig rechten und erfolgversprechenden Weg gegangen und hat sich mit den maßgeblichsten deutschen Kommissionshäusern in Verbindung gesetzt. Bei den Türken indes durfte dieses Geschäftsgebaren nicht viel Anklang gefunden haben und sie werden binnen kurzem nicht verfehlen, ihm den Weg tüchtig mit Dornen zu bestreuen.

Im allgemeinen hat sich die wirtschaftliche Lage im Innern nicht gerade verbessert. Es war vorauszusehen, daß die rücksichtslose Vernichtung des fleißigen armenischen Bauernelementes in sehr erheblichem Maße auf die Ernteergebnisse und die Anbaufläche wirken würde. Das ist denn auch geschehen. Es kommt hinzu, daß die Ernteschätzungen über die vorige Ernte, die auf den gebotenen Zehntenpachtsummen sich gründete, völlig falsch war, da die Zehntenpächter eine erhebliche Preissteigerung eskomptiert hatten. So herrschen denn an vielen Plätzen des inneren Anatoliens Zustände, die an Hungersnot verzweifelt erinnern. Es kommt hinzu, daß die neue Ernte von Heuschrecken auf das Äußerste bedroht sind. Es sind freilich allerlei Anläufe bemerkbar, um diese Schädlinge zu vernichten und vor allem um die Anbaufläche zu vergrößern. Aber alles was geschieht, kommt reichlich spät und dürfte, solange die Türken mit der Durchführung der Maßnahmen betraut werden, an der allgemeinen Indolenz und Unbildung scheitern.

Was ich vor Monaten als Menetekel in meinen Briefen an die Wand malte, ist nun wirklich Tatsache geworden: Deutschland muß, statt seinerseits Rohstoffe aus der Türkei beziehen zu können, auch die Ernährung der Bevölkerung zum Teil übernehmen und liefert von seinen in Rumänien gekauften Getreidebeständen hierher. Die Türken sind nämlich nicht fähig gewesen, selber mit den Rumänen zum Geschäft zu kommen. Nach echt orientalischer Weise haben sie gefeilscht und gefeilscht, bis die Engländer ihnen zuvor kamen und große Einkäufe für sich belegten.

In Syrien scheinen, bis auf die Heuschreckengefahr, die Verhältnisse besser zu sein. Es waren dort ja auch keine Armenier zu vernichten.

Das sind die Ereignisse, die für mich heute im Mittelpunkte meiner orientalischen Interessen stehen. Sie sollten die Basis für die künftigen deutsch-türkischen Beziehungen abgeben. Aber ich glaube nicht, daß man auf dem bisher eingeschlagenen Wege der Zuerkennung einer Gleichberechtigung der Türkei weiter kommt. Es wird zuvor noch ein reinigendes Gewitter nötig sein, das diese Beziehungen auf eine etwas mehr der Wirklichkeit entsprechenden Grundlage stellt. Das schließt natürlich nicht aus, daß vielerlei an positiven Einzelleistungen mit in den neuen Zustand übernommen werden. Und darum arbeite ich auch durchaus hoffnungsvoll an solchen Einzelleistungen mit.

Insbesondere glaube ich, daß man auch an deutscher maßgebender Stelle diese Aufgabe durchaus erkannt hat. Allzu viele kleine Einzeläußerungen unserer jüngsten Politik beweisen mir das. Vor allem halte ich die Art und Weise, wie man die bulgarische Flöte bläst und ihre Klänge gar sanft in die türkischen Ohren klingen läßt, für außerordentlich geschickt und durchaus dem türkisch-orientalischen Verständnis angemessen. Wenn der Zeppelin nach Bulgarien fährt und nicht in die Türkei, wenn Mackensen zwar Sofia aber nicht Konstantinopel besucht und der Kaiser nach Nisch, Zar Ferdinand5 nach Pless und Wien reist und der Draht uns hier jedes Wort der Freundschaft und Zuneigung geschäftig zuträgt, dann weiß der Türke Bescheid und mancher fängt bereits an, nachdenklich zu werden.

Diese Politik wird auch in den deutsch-persischen Beziehungen ihre Früchte tragen, und es wird Zeit, daß den Türken klar wird, daß wir in Persien keine türkische, sondern in erster Linie deutsche Politik treiben wollen. Das wird seine ganze Bedeutung aber erst nach dem Kriege haben. Augenblicklich ist es nur Episode, und noch dazu eine recht bedeutungslose; denn die Sachen dort unten lassen mancherlei zu wünschen übrig.

Aber damit komme ich schon in das Gebiet des Politischen, das ich eigentlich in diesem Brief nicht behandeln wollte.

Alles in allem sehe hier jetzt recht vertrauensvoll in die Zukunft. Es wird noch manche Nuß zu knacken eben. Aber eines Tages werden die Türken müssen. Es gibt in Deutschland noch allzu viele, die noch unter dem Banne der früheren Zeitungsschalmeien stehen. Aber sie werden immer weniger. Auch auf der Botschaft zeigt man großes Interesse dafür, die Zahl dieser Gedankenlosen daheim möglichst vermindert zu sehen und hat mich ermuntert, in diesem Sinne zu berichten. Sonst freilich müßte ich befürchten, daß diese Zeilen nie in Deine Hände kommen würden. Inzwischen wird Jäckh hier erwartet! Was wird er bringen? Davon ein ander mal mehr.


1 Im Kampf gegen die Türkei nutze England die Chance und annektierte Ende 1914 Zypern und Ägypten. Nach dem Angriff auf Gallipoli im April 1915 hielten sich die Briten Januar 1916 dort. Die Dardanellen blieben in türkischer Hand. Beim türkischer Angriff auf den Suezkanal wird dessen Ostufer 1916 von den Briten besetzt.

2 General von Seeckt?

3 In Mesopotamien endet der 1. Vorstoß der Briten mit ihrer Kapitulation in Kut-el-Amara im April 1916; der 2. Vorstoß endete dann im März 1917 mit der Eroberung von Bagdad.

4 Nach einem russischen Vorstoß Frühjahr 1916 in Armenien und Persien wird Türkisch-Armenien zurückgewonnen. Nach Ausbruch der russischen Revolution besetzt Großbritannien ganz Persien!

5 Von Bulgarien

Anonymus, Türkei, 1915

Bericht aus Konstantinopel über türkische Probleme

56. Bericht an C.H.Becker. Konstantinopel, 1.8.1915 von einem Anonymus

(Bitte sofort zurück. Streng vertraulich) (Schreibmaschinentext)

Gerade in der letzten Zeit habe ich Gelegenheit gehabt, mancherlei zu hören, was nicht in der Zeitung steht und doch verdient, festgenagelt zu werden, wenn es sich hoffentlich auch nur um Halbfertiges handelt.

Vorweg möchte ich eine Frage behandeln, die sich, wie mir scheint, bereits demnächst einem katastrophalen Ende nähert: die Armenierfrage.

Schon wiederholt deutete ich Dir an, daß die Russen nicht nur im Osten große Armenieraufstände, die den türkischen Truppen redlich zu schaffen machten und wohl auch zu dem bekannten Mißerfolg im Kaukasus geführt haben, organisiert haben, sondern daß auch hier in der Hauptstadt eine große Verschwörung mit Filialen über das ganze Reich hin entdeckt worden ist, an der Armenier stark beteiligt waren.

C. H. Becker mit türkischer Delegation während des Ersten Weltkrieges (1916/17?)
C. H. Becker mit türkischer Delegation während des Ersten Weltkrieges (1916/17?)

Diese Vorkommnisse gaben der Zentralregierung, d.h. in diesem Falle Talaat und Enver, Anlaß, die türkisch-armenische Frage mit einem Schlage und möglichst radikal zu lösen. Dementsprechend mögen denn auch die Anweisungen an die untergeordneten Provinzialbehörden gelautet haben, die diesen jedenfalls eine sehr große Handlungsfreiheit gewährten. Hier in der Hauptstadt wurden durch ordentliche Gerichtsverfahren oder auch ohne ein solches ein paar Dutzend Leute, zumeist Armenier, aufgehängt, ebenso soll es in den Provinzstädten gewesen sein. Man kann ruhig annehmen, daß diese Leute es redlich verdient haben. In den Provinzstädten an unserer Bahn, also in einer Gegend, wo die Vorkommnisse noch europäischer Kontrolle einigermaßen unterliegen, wurden eine ungeheure Menge von Verhaf-tungen vorgenommen und die Verhafteten südostwärts gebracht, zum Teil wohl, um in den Städten an der persischen Grenze neu angesiedelt zu werden und so, dem heimatlichen Boden und den Banden der Verwandtschaft entrissen, politisch ungefährlich gemacht zu werden.

Das traf natürlich auch manchen Unschuldigen. Ich kann das nachprüfen an einzelnen Fällen innerhalb unseres Bahnpersonals, die verhaftet und verschleppt wurden z. B. weil ihr Name in einer Adressenliste, die bei einem Verschwörer gefunden worden war, genannt war. Nicht immer gelang es uns, die Enthaftung dieser Beamten zu erreichen.

Ganz anders freilich wurde in den östlichen Provinzen vorgegangen, wo die blutigen Aufstände freilich auch ganz andere Mittel rechtfertigten. Man benutzte das kurdische Militär, das bei solchen Gelegenheiten trotz der Stammesfremdheit treu zu den Türken hält, und ließ die Aufstände ebenso blutig niederschlagen. Daß dabei der Stamm als solcher für das Vergehen eines einzelnen Mitgliedes zu büßen hatte, darf in dieser Gegend nicht Wunder nehmen. Und doch ist es für uns Europäer schrecklich, aus glaubwürdiger und nüchterner Quelle zu hören, daß es in den Provinzen Van und Bitlis, wo vor dem Kriege das armenische Bevölkerungselement das Vorwiegende war, kaum noch Armenier gibt.

Osmanisches Reich im Ersten Weltkrieg, aus: dtv-Atlas zur Weltgeschichte Band 2, S. 404
Osmanisches Reich im Ersten Weltkrieg, aus: dtv-Atlas zur Weltgeschichte Band 2, S. 404

Das war freilich auch die Absicht der Machthaber hier. Rußland sollte endlich einmal der Anlaß genommen werden, sich dauernd und immer wieder in die inneren Verhältnisse der Türkei einzumischen und dabei sich auf die Armenierfrage zu stützen.

Am bedenklichsten und schrecklichsten sind die Vorgänge, die ich jüngst von den verschiedensten Seiten vom oberen Euphrat geschildert hörte. Einer der deutschen Etappen-Offiziere in Diyarbakir hat von der Brücke über den Euphrat ein Bild stromaufwärts aufgenommen, auf dem der Strom, so weit auf der Photographie sichtbar ist, mit Leichen bedeckt ist, die sich vor der Brücke stauen. Tausende Armenier, Männer, Frauen und Kinder, werden in Armenien, in Karput und anderswo mit gefesselten Händen in den Strom geworfen und ertrinken natürlich. Dieses Los mag auch einen großen Teil derjenigen treffen, die von hier zu den östlichen Siedlungen geführt werden. Die Zusammensetzung eines solchen armenischen Auswanderungszuges einige Tage von unserer Bahn wird mir wie folgt geschildert: Der Zug besteht aus kräftigen Männern, älteren Kindern und schwangeren Frauen. Alte Leute und kleine Kinder sieht man überhaupt nicht, es sei denn Säuglinge. Beim weiblichen Geschlecht fehlt das Alter von 12 bis 40 im übrigen völlig.

Und einige deutsche Schwestern vom Roten Halbmond schilderten mir, wie bei ihrem Hause nicht weit vom Euphrat – ich will den Ort nicht nennen, um ihnen keine Ungelegenheiten zu machen – oftmals täglich solche Züge gefesselt vorbeigeführt wurden und die Mütter (sie) anflehten, ihre kleinen Kinder zu retten. Oft hätten sie die Kleinen genommen und dann bei der zuständigen Landesbehörde die Erlaubnis erbeten, sie zu behalten. Der Mutessarif habe auf das höflichste erwidert, er freue sich daß sie die Kinder aufziehen wollten, aber sonst bestünden nicht die geringsten Bedenken. Nach einigen Tagen kamen dann Soldaten, nahmen ihnen die Kinder und warfen auch sie in den Fluß.

Es gibt dort auf dem kaukasischen Kriegsschauplatz einen Abenteurer, einen venezolanischen Indianer, General natürlich, der unter Castro und unter Villa in Mexiko gekämpft hat und jetzt bei den Türken einen höheren Posten bekleidet. Dieser hat einem deutschen Etappenoffizier erklärt, er sei gewiß nicht zimperlich, sonst würden die Türken ihn auch kaum an die Spitze eines kurdischen Regimentes gestellt haben; aber was man jetzt von den Armeniern verlange, das ginge ihm über die Hutschnur, und er reise jetzt wieder weg.

Das alles könnte uns ja kalt lassen; denn was bei uns alle Tage an Elend sich ereignet, ist sicherlich auch nicht geringer. Aber was mich schmerzt ist, daß vor der Geschichte wir einmal als die Schuldigen dastehen werden. Was verschlägt es dagegen, wenn die Botschaft Material sammelt um nachzuweisen, daß die Armenier auch furchtbar grausam vorgegangen sind, daß bei diesen Vorkommnissen weit und breit kein deutscher Offizier zugegen gewesen sein könne, der sicherlich Derartiges verhindert haben würde, daß sie, die deutsche Botschaft, den Türken immer und immer wieder nahegelegt habe, sich zu mäßigen, daß sie aber machtlos sei. Wer wird uns glauben, daß wir hier machtlos waren, wie es wirklich der Fall war; denn wir brauchten die Türkei auf das allerdringlichste und mußten sie dauernd bei guter Laune halten. Wir konnten zu gewissen Zeiten gar nicht wagen, auch nur den geringsten Druck auf sie auszuüben. Wenn ich wir sage, so heißt das natürlich in allererster Linie Österreich.

Unlängst sagte mir noch zu diesem Kapitel einer der wenigen deutschen Dolmetscher, der sich hier bei der türkischen Armee befindet, Dr. Ritter, er habe bei einem Gespräch mit hochgebildeten türkischen Offizieren mit Staunen bemerkt, wie wenig diesen der Grundsatz geläufig sei, daß man gegen unschuldige Kinder und Frauen keine derartigen administrativen Maßregeln ergreife, geschweige denn Krieg führe. Im Unterbewußtsein dieser Leute sind die Frau und die Kinder eben doch noch Sachen, über die der Sieger ebenso verfügen kann, wie über andere Gegenstände, deren er zur Erzielung eines militärischen Erfolges bedarf

Doppelt schmerzlich aber ist es, daß es bei allem diesem zu Hause immer noch Leute gibt, die von den türkischen „Waffenbrüdern“ gar von den Preußen des Ostens reden, nicht etwa als Phrase der Kriegsbegeisterung und der gegenwärtigen Lage Rechnung tragend, sondern allen Ernstes und lange vor dem Kriege.

Sie sind denn auch neulich einmal tüchtig reingefallen, diese Schwätzer, die mit den Türken auf Du und Du stehen wollen, die es als ihre Hauptaufgabe betrachten, wie sie jedem erzäh-len, der es hören will, sich das Vertrauen der Türkei zu erwerben und die deswegen unter anderem auf die all die kleinlichen Intrigen, die in Byzanz und Umgebung gesponnen werden, eingehen, zum Schaden des deutschen Ansehens. Nein, die Achtung der Türken müssen wir uns erwerben, dann kommt das Vertrauen schon ganz von selbst.

Also neulich trafen hier einige Hundertfünfzig deutsche Pioniere ein, natürlich das Beste, was man hatte. Die Schützengräben sitzen jetzt nämlich dicht aufeinander, und der Minenkrieg ist den Türken noch völlig fremd. Man schickte die umgehend an die Dardanellen, ohne indes besondere Vorbereitungen zu treffen, sie würden mit den türkischen Waffenbrüdern schon vorzüglich auskommen, bei der Flotte wäre es auch glänzend gegangen.- Die Herren vergaßen nur eins, daß man nämlich bei der Flotte, die darin viel verständiger ist, die Türken mit den deutschen Waffenbrüdern zusammenlegen ließ und nicht umgekehrt. Und der Erfolg war denn auch nicht anders, als ihn jeder Einsichtige, der hier einigermaßen mit Land und Leuten vertraut ist, hätte voraussagen können: nach knapp 14 Tagen waren von diesen 150 sturmerprobten Leuten nur noch etwa 20 an der Front, alle anderen lagen hier fest mit Dysenterie und ähnlichen Krankheiten und einem von der Hitze, von ungenügender Ernährung und Ungeziefer auf das Äußerste geschwächten Körper. Na, inzwischen ist dem nun abgeholfen, und die neu Ankommenden finden es besser.

Die taktische Frage an den Dardanellen ist im übrigen nach den Schilderungen aller militärischen Sachverständigen eine außerordentlich günstige, und in der Hinsicht ist wohl nur bei ganz groben Fehlern etwas zu befürchten. Der Schuh drückt ganz woanders, und zwar da in wachsender empfindlicher Weise. Aber auch hier gilt wie überall das Wort: Zeit gewonnen, alles gewonnen! Rohstoffe sind, scheint’s noch ausreichend im Lande. Die Schwierigkeit liegt in der Verarbeitung. Und da gibt man sich die allergrößte Mühe, diese Möglichkeiten ständig zu erweitern. Hoffentlich langt’s. Es kommt hinzu, daß die Verbündeten lange keinen Angriff gemacht haben und daher die Bestände sich natürlich vergrößert haben. Es fehlen leider immer noch die großen Kaliber, die trotz aller diplomatischen Verhandlungen nicht über die Donau zu bekommen sind. Man hat auch da Abhilfe geschaffen, und man wundert sich immer von neuem über die Organisationsmöglichkeiten, die der deutsche Geist zu erfinden versteht. Immerhin sind die Kosten dieses neuen Weges ungeheure und die Sache selbst sehr riskant. Näheres möchte ich nicht mitteilen zur Zeit, da die Sache noch ganz im Anfange ist. Was uns aber hier vor allem fehlt, sind große Geschütze; denn die sogenannte schwere Artillerie an den Dardanellen ist nach heutiger Auffassung kaum Mittelartillerie. Alles liegt zwar vorbereitet an der ungarisch-rumänischen Grenze; aber da bleibt es eben liegen.

Die Balkanstaaten gehen von dem Standpunkt aus, daß trotz aller deutschen Siege der Krieg noch immer nicht entschieden ist. Ich halte nach den Informationen über die Auffassungen des Hauptquartiers, die man hier so erhält, vielleicht leichter als in Deutschland, diese Ansicht der Balkanstaaten nicht für ganz abwegig. Solange es uns nicht gelingt, England irgendwo zu packen, kann uns ein Frieden immer noch um ein gut Teil aller Erfolge, die wir in glänzenden Siegen auf dem Festlande errungen haben, bringen. Mit den geringen Munitionsbeständen, die die Balkanstaaten nun einmal haben, und der Unfähigkeit, neue in größerem Umfange selber zu produzieren, sind sie in der Lage, den Krieg höchstens drei Monate zu führen, können also erst dann für die eine oder andere Partei eingreifen, wenn feststeht, daß die Kämpfe in absehbarer Zeit beendet sein werden. Gesetzt z.B. Rumänien griffe für den Zweibund ein, besetzte in einigen siegreichen Schlachten Bessarabien, so müßte es doch nach drei Monaten, wenn es nicht gelingt, ihm ausreichend Munition zuzuführen, wieder heraus, ja, wäre bei der abgeschlossenen Lage kaum imstande, sich gegen ein neu mit amerikanischer Munition versorgtes Rußland zu halten. Ich meine, man muß sich auch einmal dies vergegenwärtigen, einmal, um die Lage und Stellungnahme der Balkanstaaten zu verstehen, dann aber auch, um einzusehen, daß mit diplomatischem Drücken und hochoffiziellen Drohartikeln in den Zeitungen nichts zu machen ist. Diese Mittel sind alle sehr gut, wenn es sich darum handelt, die Regierungen zum Einschreiten, entgegen der Stimmung des gesamten Volkes, auf Seiten des Zweibundes zu bewegen. Denn darüber müssen wir uns klar sein, daß sowohl in Rumänien, wie in Bulgarien die Sympathien der Bevölkerung ganz auf Seiten unserer Feinde stehen, in Rumänien wegen der Beziehungen sprachlicher Art zu den romanischen Staaten, in Bulgarien außerdem noch aus geschichtlichen Erwägungen und Beziehungen. Die Bulgaren sind eben den Russen höchst verwandte Slawen, und es nützt nichts, ihnen zu erzählen, daß man nachweisen kann, daß sie ursprünglich ein türkisches Volk sind.

Anders wird natürlich die Lage, wenn man sich in Deutschland dazu entschließen könnte, die österreichische Niederlage von Arandjelowatsch wieder gutzumachen, vorausgesetzt, daß wir militärisch dazu imstande sind. Dann würden wir Bulgarien mit einem Schlage wieder ganz auf unserer Seite haben, aus Rachsucht, ja, würden es in einem gewissen Augenblicke zum Einschreiten bewegen können, und Rumänien, das dann befürchten müßte, ganz links liegen zu bleiben, würde dann von selber kommen und aus der Hand fressen. Das in Deutschland hin und wieder erträumte Bündnis mit Serbien halte ich für ganz verfehlt. Es kann uns nur – die Geschehnisse der letzten Zeit haben es gezeigt – mit Bulgarien endgültig verfeinden und so die ganze Dardanellenaktion, augenblicklich der Angelpunkt der gesamten auswärtigen Politik Deutschlands, in Frage stellen.

Nach diesen kurzen Abschweifungen in die Balkanpolitik aber wiederum zur Sache, nämlich zu einigen militärischen Einzelheiten, die hier so nach und nach ruchbar werden.

In einem meiner früheren Schreiben deutete ich bereits an, daß, so Unerfreuliches die sogenannte Afghanistanexpedition gezeitigt hat, so erfreulich andererseits die Ergebnisse von ähnlichen Unternehmungen, insbesondere in Persien, sind. In der Tat kann man wohl heute sagen, daß Persien jederzeit bereit ist loszuschlagen, sobald nur der regelmäßige Nachschub von Munition sichergestellt ist. Ein in sich bereits völlig abgeschlossenes Unternehmen, das unter deutscher Leitung erfolgt ist, ist die Zerstörung der Ölquellen von Ahwas, von der auch in den Zeitungen berichtet worden ist. Der deutsche Hauptmann Klein ist an der Spitze von türkischem regulärem Militär in Eilmärschen in Südpersien eingefallen, hat dort die nichtsahnenden Engländer überfallen, ihnen große Verluste beigebracht und die Ölquellen der englischen Gesellschaft, die das indische Militär decken sollten, teils zerstört, teils angezündet, vor allem aber alle Baulichkeiten gründlich mit Dynamit beseitigt, so daß vorläufig die Produktion hat eingestellt werden müssen. Dann haben sich die Türken wieder zurückgezogen.

Noch ein zweites Unternehmen ist erwähnenswert: die zweite Afghanistanexpedition. Von der ersten habe ich bereits berichtet. Aus den brauchbaren Trümmern dieser unter Einschaltung einer vorzüglich ausgerüsteten Maschinengewehrabteilung und unter Führung eines deutschen Bab(t)isten, des Hauptmanns der Reserve Niedermayer, ist eine neue Expedition ausgerüstet worden, die ihre Aufgabe sehr viel ernster nahm und jetzt jedenfalls bereits in der Nähe von Kabul angekommen sein dürfte. Kann eine solche Unternehmung auch nichts Entscheidendes leisten, so darf man bei der Zusammensetzung der Abteilung, alles Leute, die sich bereits im Westen ausgezeichnet haben und z.T. Land und Leute wirklich kennen, doch erwarten, daß den Engländern aus ihrem Wirken mancherlei Schwierigkeiten erwachsen werden, deren sie nicht so leicht Herr werden, wie damals in Singapur-

Endlich erwähne ich noch eine Mission, deren Aufgabe es war, auf dem Kaspischen See mit bewaffneten Booten den Russen Schwierigkeiten zu bereiten., insbesondere, wenn möglich in Baku einige Überraschungen zu hinterlassen. Hiervon haben die Russen durch ihren vorzüglich geleiteten Spionagedienst offenbar Wind bekommen und haben darauf Enseli, den ein-zigen in Frage kommenden persischen Hafen, stark mit Truppen belegt. Geschütze und Munition dieser Abteilung tun augenblicklich vorzügliche Dienste auf dem Tigris und hat den Engländern schon manche trübe Stunde bereitet.

Die ägyptische Grenze ist augenblicklich beiderseits von Truppen entblößt. Die Türken sitzen in befestigten Lagern nicht weit vom Kanal in der Wüste und machen dort hin und wieder eintägige Ausflüge, die indes nur der Beunruhigung der Feinde dienen sollen und vielleicht einmal einen Zufallserfolg liefern. Die deutschen Offiziere sind fast alle vom Kanal zurückgezogen, auch in Syrien finden sich nur noch wenige, und auch diese dürften in den nächsten Tagen abberufen werden. Von Berlin ist angeregt worden, für dieses Herbstunternehmen auch deutsche Truppen heranzuziehen. Ich glaube, daß die Erfolge an den Dardanellen nicht gerade dazu beigetragen haben, diesen Plänen neue Nahrung zu geben. Der Europäer ist dort unten nur leistungsfähig, wenn in sehr weit gehendem Maße für sein leibliches Wohl gesorgt wird. Das würde aber zur Voraussetzung haben, daß schon jetzt inden Etappen in Syrien und im Sinai große Vorräte an Konserven usw. aufgehäuft würden, was wiederum mit Rücksicht auf die mangelnde Bahnverbindung insbesondere durch den Balkan unmöglich ist. Man darf doch nicht vergessen, daß auch unsere Offiziere sich auf dem etwa einen Monat dauernden Zuge durch die Wüste und zurück sich trotz merkbarer Läuseplage kaum je waschen konnten, da das wenige mitgeführte Wasser knapp zum Trinken von Mensch und Vieh reichte. Andererseits sind für das Unternehmen, wie einstimmig von allen Augenzeugen versichert wird, die türkische, besonders die anatolischenTruppen völlig ausreichend, die sich unter guter Führung und mit ordentlicher Verpflegung vorzüglich schlagen, im Gegensatz zu den Arabern.

So sind die Bahnen1 für das neue Unternehmen m.E. genau vorgezeichnet; der ganze Etappendienst, insbesondere die Eisenbahnen, die außer unseren Bahnen, noch kaum europä-ische Beamte haben, müssen von deutschen Offizieren geleitet werden, die vielleicht noch einige der höchsten Kommandostellen einzunehmen hätten, wie es im vorigen Winter war.

Unsere Bahn wird bis dahin soweit fertig, daß nur der Taurusübergang noch mit Automobilen überwunden werden muß. Die ganze übrige Strecke kann (mit) Munition und Geschütz gefahren werden, und zwar bis zum Herbst voraussichtlich ohne umzuladen bis weit in die Wüste hinein.

Schließlich möchte ich noch einmal zu meinem Ausgangspunkt zurückkehren, den Armeniervorgängen. Gerade die letzten Tage haben da mancherlei neues Material zu Tage gefördert, insbesondere zur innerpolitischen Beurteilung der Frage. Auch von deutscher Seite bringt man jetzt aus dem gleichen Grunde größeres Interesse entgegen. Es ist natürlich mit Sicherheit zu erwarten, daß die Steuerkraft der Türkei, die ohnehin durch den Krieg schwerer leidet denn je, erheblich auf die schiefe Ebene gerät. Das hat einen doppelten Sinn. Ein nicht unerheblicher Teil der Steuern, nämlich insbesondere der sogenannten armenischen (?unleserlich) Provinzen, wurde von Armeniern aufgebracht: ja, auch in Provinzen, die nicht überwiegend armenische Bevölkerung hatten, trugen diese doch den Löwenanteil der Steuern, da sie die betrieblicheren, die reicheren waren. Diese ganze Steuerleistung wird natürlich auf Jahre hinaus vernichtet, und es wird, da die Steuern zum größeren Teile in irgendeiner Form an europäisches Kapital verpfändet sind, auf ebenso lange Zeit auch die Kreditwürdigkeit der Türkei herabgesetzt. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß in diesem Kriege zum ersten Male die Requisitionen nach deutschem Muster durchgeführt sind, also in rigorosester Weise, ohne daß deswegen etwa auch nach deutschem Muster den Betroffenen eine, auch nur die kleinste Entschädigung in Geld gewährt worden wäre. Endlich ist zu berücksichtigen, daß der größte Teil der Steuerbeamten, insbesondere die der Dette Publique2, also gerade diejenigen Steuern, an denen das deutsche Kapital in hervorragender Weise interessiert ist, Armenier sind, deren Sterblichkeit in den letzten Wochen in so erschreckendem Maße zugenommen hat, daß ein ordnungsgemäßer Eingang der Steuern nicht nur in Frage gestellt, sondern bereits unmöglich geworden ist.

Das sind nun nicht etwa nur theoretische Erwägungen, sondern ich bin leider in der Lage, sie bereits jetzt mit praktischen Beispielen zu belegen. Unlängst war ein Herr hier, der, mit reich-lichen Kapitalien und Sachkenntnissen ausgestattet, in der Türkei eine Spinnerei gründen wollte, weil er nach dem, was geschehen ist, seine gleichen Unternehmungen in Italien aufzugeben sich gezwungen sieht. Es war, als er uns um Rat fragte, naheliegend, ihm die Provinz Adana3 zu empfehlen, die nicht nur selber in großem Umfange Baumwolle – jährlich etwa 100 000 Ballen – hervorbringt, sondern wo man an den Hängen des Taurus auch erwarten durfte, Wasserkräfte zu finden. Bereits nach fünf Tagen kehrte er aufs tiefste enttäuscht zu-rück. Freilich Baumwolle gab es in Hülle und Fülle, auch Wasserkräfte zum Antreiben von Turbinen waren in günstiger Lage überall zu finden, in solcher Stärke, daß man unbedenklich auch im trockensten Sommer mit ihrer Leistungsfähigkeit rechnen konnte. Aber Arbeiter gab es nicht mehr, gar keine. Der ungelernte Handarbeiter bezieht dort augenblicklich einen Tagelohn von 18 Piastern, d.h. etwa 3 Mark. Darauf ein Geschäft zu gründen mit erheblichen Investitionen ist natürlich unmöglich. Nun beabsichtigt man, diese ganzen entvölkerten Strecken – Adana war eine der dichtest bevölkerten Provinzen der Türkei – mit mohammedanischen Flüchtlingen aus Rußland, Rumänien und anderswo neu zu besiedeln; damit ist aber vorläufig auch nichts gewonnen, weil die muhammedanische Frau z.B. nicht in der Fabrik arbeitet. So sind also die Aussichten in wirtschaftlicher Hinsicht für die Provinz Adana in nächster Zeit sehr trübe.

Was aber für Adana gilt, gilt bis zu einem gewissen Grade auch für die anderen Provinzen, insbesondere die mit gemischter Bevölkerung, etwa griechischer.- Und da gibt es Leute in Deutschland, die – man sagt mir so – glauben, die Türkei vor einer Invasion deutschen Kapitals schützen zu müssen. Ich glaube vielmehr, man wird das deutsche Kapital schützen müssen. Jedenfalls kenne ich ein Geschäft und sogar mehrere deutsche, die sich dankbar bekreuzigen werden, wenn dieser Kelch für dieses Mal noch an ihnen vorüber gegangen ist.

Damit laß mich heute schließen.

Konstantinopel, den 4. August 1915

(Eine Kopie dieser Analyse schickte der gleiche anonyme Verfasser am gleichen Tage an

einen „lieben Heinrich“. Da heißt es im 2. Absatz:)

„Ich schätze Dich damit einverstanden, daß ich von diesem Schreiben einen Durchschlag an Becker sende, den ja die Orientalia besonders interessieren. Das Original des Briefes geht an Wohldorf, damit sich unsere respektiven Frauen auch daran freuen können.“

 

57. Anonymus an seinen Freund Heinrich (s.o.) Kopie an C.H.B.

Konstantinopel, 21.9.1915

Lieber Heinrich!

Nach längerer Pause greife ich wieder einmal in die Tasten, um Dir zunächst einmal für Deine letzten lieben Zeilen vom 3.d.M. aus Ingelmunster zu danken. Inzwischen hast Du auch von mir einen Brief erhalten, da ich den Durchschlag des Briefes an Klügmann als solchen nicht angesehen wissen möchte.

Seitdem hat sich ja manches geändert, nicht zum wenigsten hier unten, und alles in allem wohl zum Besseren, d.h. zum Besseren Deutschlands; denn für diese Gegend habe ich allerlei Bedenken zu erheben und Einschränkungen zu machen, wie ich weiter unten ausführen werde.

… und nochmals Türkeiprobleme …

Wenn man heute über die Ereignisse hier unten berichten will, so muß man die äußere von der inneren Politik streng unterscheiden; denn beide laufen kaum noch mit einander parallel. Das hat auch, glaube ich, einen inneren Grund. Es handelt sich dabei um einen Konflikt der Regierenden nicht nur mit den Interessen des Landes, sondern vielleicht auch unter sich, an denen der eine oder andere leicht zu Grunde gehen kann. Aber das liegt zur Zeit noch in weiter Ferne und erheischt die Aufmerksamkeit nur in minderem Grade, da ungleich wichtigere und hiervon ganz unabhängige Fragen zur Entscheidung drängen. Ich komme auf diesen Punkt noch einmal am Schluß des Briefes zurück. Ich werde dann an der Hand des vorerst zu Entwickelnden leichter meine Gedanken ausdrücken können.

Die äußere Politik wird ja in erster Linie von der jeweiligen militärischen Lage nicht nur hier unten, sondern auch daheim beeinflußt und ist nach Sachlage befriedigend.

Der bereits angekündigte große Angriff der Engländer ist inzwischen mit dem bekannten Erfolge in Szene gegangen. Die Verbündeten haben auf der äußersten Westspitze der Gallipoli-Halbinsel weitere Truppen, etwa 100 000 Mann der neuen Kitchener-Armee gelandet, haben aber bei der Landung und den sich anschließenden Kämpfen reichlich 25% davon wieder verloren, meist Tote. Immerhin sitzen sie auch hier fest im Lande und dürften mit den zur Zeit verfügbaren Hilfsmitteln nicht wieder daraus vertreibbar sein. Sie binden einen entsprechenden Teil weiterer türkischer Truppen, was doch immerhin als ein bedingter Erfolg, wenn auch nur ein recht bedingter, anzusehen ist. Die Verluste der Türken sind natür-lich auch nicht gering, sie sind indessen mit denen im Frühjahr beiden ersten Landungen nicht im Entferntesten vergleichbar.

Die weiteren englischen Aussichten dürften als ungünstige ohne weiteres bezeichnet werden. Im eigentlichen Frontalangriff kommen sie kaum weiter. Die Führung ist dazu viel zu schlecht, auch die Truppen nicht ausdauernd genug. Eine gewisse Möglichkeit bot die Unterbindung der türkischen Zufuhr durch einen schneidig ausgeführten Unterseebootskrieg im Marmarameer, und es gab Augenblicke, wo ein solches Unternehmen aussichtsreich schien. Inzwischen aber scheint der Augenblick verpaßt.

Eines der schneidigsten U-Boote ist neulich in dem vor den Dardanellen freilich recht unvollkommen eingebauten Netz hängen geblieben und nach allen Regeln der Kunst abgewürgt worden, ein weiteres wahrscheinlich von einem Flieger zerstört worden. Auch was hier im Marmarameer so an kleinen Verrätereien mit Proviantlieferungen usw. geleistet wurde, scheint inzwischen lahmgelegt worden zu sein. Außerdem steht die bulgarische und rumäni-sche Grenze vor ihrer Öffnung oder sind, während ich dies schreibe, schon geöffnet, so daß im Notfalle auch von dort aus Verproviantierung auf dem Landwege möglich ist.

Dies ist aber auch leider das einzig Erfreuliche, was ich von hier unten berichten kann. Der ägyptische Feldzug ist wiederum aufgeschoben worden aus dem von mir schon früher angedeuteten Grund, daß nämlich die Vorbereitungen nicht früh genug fertig werden. Die Hauptvoraussetzung für diesen Feldzug ist ein ungehinderter Verkehr mit dem Waffen produzierenden Deutschland und dieser soll ja erst geschaffen werden. Aber die Bedeutung des ägyptischen Feldzuges selber ist auch eine ganz andere geworden. Wiederholt nämlich ist es den Türken durch Minen gelungen, den Suezkanal zu sperren, ohne daß deswegen die englische Zufuhr wesentlich behindert oder verteuert worden wäre. Die Engländer fangen, wie es scheint, auch an, Kohlenstationen an den ostafrikanischen Küsten anzulegen, so daß sie selbst für den Fall einer endgültigen Sperrung des Kanals in der Lage wären, das indische Getreide um Afrika herum nach England zu verschiffen.

Andererseits aber hat man durch die zahlreichen Reisen in Persien und der Art und Weise, wie England auf die mancherlei Unternehmungen dortselbst reagiert hat, gelernt, die Wichtigkeit des Schatt-el-Arab richtig einzuschätzen, woselbst die Engländer gerade in der letzten Zeit gewaltige Anstrengungen gemacht haben und leider nicht ohne Erfolg. Hier aber haben die Türken augenblicklich ihnen nichts Ebenbürtiges gegenüber zu stellen, obschon der Munitionsnachschub weit einfacher ist, als durch die Wüste beispielsweise. Es kommt hinzu, daß hier die Engländer den Türken mitten im Fleische sitzen und zudem noch in einer deut-schen Einflußsphäre. Eine Unternehmung aber gegen Basra könnte leicht, die angenehmen Beziehungen nach Persien und weiter ostwärts zeigen es, mit einem Schlage gegen Indien vereinigt werden. Der Erfolg würde wohl noch radikaler sein als in Ägypten, der Einsatz freilich auch höher.

Aus dem Kaukasus gibt es nicht Neues zu melden.

Was wird uns die Zukunft bringen? An den Dardanellen wird man wohl in absehbarer Zeit mit einem neuen verzweifelten Angriff zu rechnen haben. Die Engländer können es wirklich nicht ruhig mit ansehen, daß wir uns eine Verbindung mit Deutschland schaffen, auf der Munition und schweres Geschütz in beliebigen Quantitäten herbei geschafft wird, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, durch einen letzten Angriff das Ziel zu erreichen. Auf Imbros haben sie eine Ballonhalle gebaut und man erwartet ein italienisches Luftschiff. Was sie sich freilich davon versprechen, ist mir nicht ganz klar. Nach Konstantinopel werden sie kaum damit fahren können. In Anatolien aber und Thrazien Bomben zu werfen dürfte kaum den erhofften Erfolg haben. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine menschliche Ansiedelung getroffen wird, geschweige denn ein militärisch bedeutsamer Schaden angerichtet werden, ist denn doch gar zu gering. Im übrigen weiß man, daß die Engländer wieder neue Einheiten der Kitchener-Armee heranbringen. Da aber bereits zwei Transporte abgesoffen sind, so werden sie daran wohl auch nicht allzuviel Freude erleben. Unsere U-Boote sind sehr fleißig an der Arbeit und haben jetzt mehrere Stützpunkte an der kleinasiatischen Küste, so daß sie es nicht mehr nötig haben, ihre Vorräte in Konstantinopel zu ergänzen, was die Engländer ihnen durch Auslegung von mit Minen gespickten Netzen auch recht erschwert haben.

Nehmen wir also einmal an, daß es gelingt, in absehbarer Zeit schweres deutsches und öster-reichisches Geschütz in Stellung zu bringen, so dürfte das Schicksal ihrer Dardanellen-unternehmung in wenigen Stunden besiegelt sein. Und die Frage für sie sowohl wie für uns drängt sich dann auf: Was dann? Die Türken werden dann eine erhebliche Menge Truppen frei bekommen, und, da der Weg nach Deutschland zur Heranschaffung neuer Haubitzen frei sein wird, treten auch all die Unternehmungen südwärts in ein neues Stadium. Diese werden die Engländer mit allen Kräften zu unterbinden trachten müssen und das ist bequem nur möglich in der cilicischen Ebene, wo die Bahn nicht allzuweit von der Küste entlang läuft. Dort sind also für den Winter neue Kämpfe zu erwarten. Das Gelände dort ist zur Verteidi-gung nicht so günstig, wie auf Gallipoli, indes sind dann auch die Hilfsmittel der Türken wesentlich vermehrt, so daß nach den bisherigen Erfahrungen der Erfolg auch dort nicht von allzu großer Bedeutung sein wird, wenn man auch die Landungsmöglichkeit nicht ganz wird bestreiten können.

Aber mit der wachsenden Kühle gegen den Winter zu wird man auch mit einer vermehrten Tätigkeit der Engländer im Irak rechnen müssen, und bei dem Wankelmut der dortigen Araberstämme und ihrer Feindschaft gegen die Türken wird man allerlei Erfolge der englisch-indischen Truppen mit in Kauf nehmen müssen, wenn nicht, wie schon oben empfohlen, ein energischer Abwehrfeldzug dorthin in die Wege geleitet wird. Denn daß die Türken mit ihren Truppen – 9 Bataillone – ernstlich etwas ausrichten könnten, ist wohl ausgeschlossen, zumal es dort auch artilleristisch an allem und jedem mangelt.

Ein energischer Angriff der Russen im Kaukasus dürfte von den Türken dort wohl kaum abgewehrt werden können. Ob es aber dazu kommt und Nikolai nicht vielmehr seine Tätigkeit auf politisches Gebiet erstrecken wird, steht ja nochvöllig dahin. Jedenfalls würde er noch umfassender Vorbereitungen bedürfen, über die es Winter wird, und der kaukasische Winter ist recht unangenehm.

So rosig nach allem nun die äußere militärische Lage aussieht, so befriedigend scheint nach allem auch die politische Konstellation zu sein. In erster Linie interessiert ja das Verhältnis zu Bulgarien, dessen Klärung unendliche Schwierigkeiten gemacht hat. Wie oft sind nicht die Unterhändler ohne jeden Erfolg auseinander gereist, wie oft wurde nicht die Einigkeit mündlich erzielt und gefeiert und in alle Welt hinaus posaunt, immer stellte sich dann noch im allerletzten Augenblicke heraus, daß die Bulgaren irgend etwas anders auslegen wollten und die Unterzeichnung der fertig paraphierten Verträge von dieser Auslegung abhängig machen wollten. Schon vor vier Wochen ging die Nachricht an die Leiter an die Dardanellen: der Vertrag mit Bulgarien soll geschlossen sein; wir schreiben soll nur, weil wir die Unterschrift nicht mit eigenen Augen gesehen haben! Und wie richtig war noch ein jedes Mal diese Reserve!

Darüber dürfen wir uns ja keinen Täuschungen hingeben: das bulgarische Volk ist slawophil und daher steht es mit ganzem Herzen auf Seite der Russen. Aber der Bulgare ist zu nahe dem eigentlichen Orient, als daß er allein des Herzens Stimme folgte. Auch das russische Gold hat auch noch in der letzten Zeit ganz nachdrücklich gewirkt. Es kam hinzu, daß es unserem diplomatischen Vertreter nicht gelingen wollte, sich mit der sehr deutsch-freundlichen Königin zu stellen, so daß schließlich Not am Mann war und die Sache anfing, ein sehr unfreundliches Angesicht zu bekommen.

Der Grund ist ziemlich klar: Es war eine sehr tief gehende Verstimmung und ein weitgehendes Mißtrauen des Königs gegen die deutsche Politik, insbesondere gegen den Kaiser. Nicht ganz mit Unrecht vielleicht. Ist doch noch in allzu frischer Erinnerung aller hier unten die Art, wie der Kaiser im letzten Moment der Friedensverhandlungen in Bukarest, den Bulgaren Kavalla nahm und den Griechen gab. In die gleiche Zeit fiel damals die Überreichung des Marschallstabes an den König von Griechenland auf dem Potsdamer Bahnhof und die erste Verstimmung des griechischen Königs mit seinem Minister. Es bestand wohl damals bei dem Kaiser die Absicht, fortan griechische Politik zu machen, also türkenfeindliche und gleichzeitig auch auf Kosten der Bulgaren. Es ist wohl eines der Hauptverdienste Wangenheims, daß er gegen eine solche Politik energisch Front machte, selbst auf die Gefahr hin, sich die Allerhöchste Ungnade zuzuziehen.- Die Bulgaren aber hat diese Politik tief verstimmt, und es gab kaum eine Möglichkeit, den Zaren Ferdinand von der Ehrlichkeit der deutschen Absich-ten zu überzeugen. Ich glaube auch fest, daß das auch jetzt noch nicht gelungen ist. Wenn wir doch allerlei Erfolge in der letzten Zeit, dank des Eingreifens des Herzogs von Mecklenburg erzielen konnten, so beruht das wohl vor allem darauf, daß der König der Bulgaren eben den englischen Absichten und ihrer Verbündeten ein noch größeres Mißtrauen entgegen bringt und, tief verstimmt über die Politik der Alliierten, die ihm und sein Land in den letzten Jahren systematisch und mit unverkennbarer Absicht von Westeuropa abgeschlossen haben. Bestellte Bulgarien in Deutschland Eisenbahnmaterial, so blieb es aus unaufgeklärten Gründen in Serbien oder in Rumänien liegen. Geschütze von Schneider-Creusot gingen nicht aus Marseille ab, oder blieben in Saloniki. Kruppkanonen ging es wie den Eisenbahnschienen. Das ist wohl der Hauptgrund für unseren Erfolg.

Worin dieser eigentlich besteht, wäre ich in Verlegenheit zu sagen. Die nächste Zukunft muß es ja zeigen. Alles in allem aber bin ich doch der Ansicht, daß ein möglichst großes Bulgarien die Orientpolitik für uns wesentlich vereinfacht, wobei ich allerdings voraussetze, daß mit Bulgarien eine Art traditioneller Freundschaft gepflogen werde, die vor allem in weitgehenden gegenseitigen wirtschaftlichen Zugeständnissen ihren Ausdruck findet, z. B. in Bulgarien einzuräumenden Vorzugszöllen. Die bulgarische Gegenleistung könnte in Transiterleichterungen bestehen oder auch nur in rein politischen Vergünstigungen, wie z. B. in einem Bündnisvertrage auf eben dieser wirtschaftlichen Grundlage. Die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten haben sich noch immer, vor allem aber in diesem Kriege, als den besten politischen Kitt erwiesen.

In diesem Zusammenhange wird es Dich interessieren, daß Liese und ich neulich in Therapia Zeuge wurden des erzielten Einvernehmens mit Bulgarien. Bei der Botschafterin versammel-ten sich neben niederen Sternen der Fürst Hohenlohe, Markgraf Pallvicini und der bulgarische Gesandte nebst Familie. Insbesondere diese letztere wurden mit besonderer Auszeichnung empfangen. Die Kinder durften auf zahlreichen Eseln reiten und in schönen Wagen im Parke spazieren fahren, immerhin ein pikantes Vergnügen und selten, wenn man bedenkt, daß Therapia durchaus im Bereiche der Fahrten der russischen Wasserflugzeuge liegt und ständig Fliegerwacht gehalten wird. Die bulgarischen Exzellenzen sahen eigentlich so aus, als ob sie nicht so schnell an all das Schöne glauben wollten.

Über das Verhältnis zu Griechenland kann ich Dir herzlich wenig sagen. Es steht ja auch zur Zeit nicht im Vordergrunde des Interesses4. Mit der Tatsache, daß Griechenland ständig Kriegsmaterial für Serbien und Rußland über Saloniki durchläßt, müssen wir uns abfinden, dürfen ihm nicht einmal allzusehr grollen; denn es befindet sich eben in gar sehr übler Lage. Indes vielleicht läßt sich dieser Umstand bei der endgültigen Neuordnung der Dinge auf dem Balkan zu Gunsten Bulgariens verwerten. Bemerkenswert ist immerhin, daß dem bulgari-schen Haß aus Anlaß der erzwungenen Abtretung von Kavalla keineswegs eine entsprechende Zuneigung auf Seiten Griechenlands gegenüber steht, obschon man auch dort nicht ableugnet, diesen Erwerb ausschließlich dem Kaiser zu verdanken. Auch in Griechenland scheint ein gewisser Zwiespalt zu bestehen zwischen den Neigungen der Krone und dem Volke mit dem Unterschiede gegenüber Bulgarien, daß hier die Minister mit der Krone, dort aber gegen den König gehen. Den Anschluß aber hat Veniselos doch endgültig verpaßt. Wir brauchen darüber nicht zu klagen und, ich glaube, Griechenland auch nicht, jedenfalls im Endergebnis so wie es sich jetzt stellt.

Die sonstige Politik interessiert nicht in diesem Zusammenhange. Rumänien usw. ist in erster Linie deutsche und nicht türkische Politik.

Über die Beziehungen (der Türkei) zu Deutschland möchte ich mich noch am Schluß verbreiten. Das Problem ist recht verwickelt und wird es eigentlich von Stunde zu Stunde mehr.

Im Vordergrunde des Interesses stand in den letzten Wochen die armenische Frage, wohl das wichtigste der inneren Politik, die der Krieg gezeitigt hat. Das Interesse hat inzwischen nachgelassen. Die Frage hat aufgehört zu existieren. Alles Interesse wäre ja auch nicht im Stande gewesen, die Hunderttausende wieder ins Leben zu rufen, die türkische Blindheit, Unfähigkeit und Habsucht ums Leben gebracht. Noch sind ja nicht alle Einzel-heiten dieser schrecklichsten Christenverfolgung aller Zeiten, für die wir unseren guten deutschen Namen herleihen mußten, bekannt, und verfrüht scheint es, etwa ein abschließen-des Urteil über Grund und Täter fällen zu wollen, auch die Zusammenhänge sind nicht im Einzelnen klar. Meine in einem meiner letzten Briefe ausgesprochene Hoffnung, daß das Übel sich auf die der europäischen Zivilisation ferner liegenden Gebiete beschränken, würde, daß insbesondere die unserer Bahn benachbarten Gebiete verschont bleiben würden, hat sich nicht erfüllt. Ja, die Türken haben sich nicht gescheut, sogar aus der Hauptstadt eine ganze Reihe von Armeniern abzuschieben, natürlich die wirtschaftlich Schwachen und die Armen, deren Notschreie ungehört verhallen mußten. Das ganze Elend lagert nun an unserer Bahn entlang. Die im Süden wohnenden Armenier werden nach dem Norden, die im Norden wohnenden nach Süden gefahren, d.h. natürlich nur, wenn die Behörden das Fahrgeld erschwingen

können, was ihnen, trotzdem sie das Vermögen der Unglücklichen in freigebigster Weise beschlagnahmen, nur in seltenen Fällen gelingt. So liegt der ganze Jammer Wochen und Wochen an unserer Bahn. Allein dabei handelt es sich um nahezu 200 000 Seelen. Diese Zahl läßt entsetzliche Schlüsse auf das zu, was fern von Bahn und Kultur geschehen ist. Nur ein ganz geringer Bruchteil der Unglücklichen, die einmal auf den Schub gebracht worden sind, dürften mit dem Leben davonkommen. Wo Reisestrapazen nicht helfen, hilft eine kurze Wanderung durch die Quelländer des Euphrat mit ihrer kurdischen Bevölkerung oder die vulkanische Wüste am Ararat oder im Sinai, die ohne jede Subsistenzmittel sind.

Immerhin müssen wir festhalten, schon jetzt, daß das ganze Unwesen ausgegangen ist eben von den Armeniern. Wenn die Türken im kaukasischen Feldzug nahezu 90 000 Mann verloren haben, wenn der Lebensmittelnachschub nach Ägypten durch die Zerstörung der Bahn nach Alexandrette erschwert worden ist, so geht das alles zu Lasten der Armenier oder wenigstens ein gut Teil davon. Auch an Scheußlichkeiten haben die fanatisierten Armenier im äußersten Osten nichts zu wünschen übrig gelassen. Es mag den Türken also hingehen, daß sie dort in den direkt gefährdeten Provinzen Feuer und Schwert haben walten lassen, einschließlich auch den Zypern gegenüber liegenden Küsten.

Aber was weiter geschehen ist, geht über alles Menschliche hinaus. Es ist auch sehr unklug und unwirtschaftlich. So sind mir z.B. Fälle bekannt, wo sich in größeren Städten am Morgen nach der armenischen Ausweisung herausstellte, daß auch nicht ein einziger Bäcker unter den verbliebenen Muhammedanern war. Aber solche Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Das ganze Gesicht von Anatolien ist anders geworden. Hinfort wird man auf seinen Reisen nicht mehr damit rechnen können, in europäischen Hotels unterzukommen, oder in bequemen Wagen zu fahren, sondern wird sich hinfort mit den landesüblichen Hans und Jailis begnügen müssen. In den Dörfern findet man nicht mehr einen geschickten Schmied, der die zerbrochene Achse ausbessert oder einen Sattler, der den zerrissenen Steigbügel flickt.

Vernichtend aber wirkt diese Menschen- und Wertezerstörung auf die Steuerkraft und damit auf die Kreditwürdigkeit des Landes. Alle bisherigen Angaben über Steuererträgnisse einer Provinz usw. haben jeden Wert verloren, und damit die Sicherheit aller der Pfänder, die die türkischen Anleihen decken sollen.

Einschalten möchte ich nur noch, daß die ganze Verfolgung sich richtet fast ausschließlich gegen die orthodoxen Armenier, die wohl auch den Hauptherd der Widersetzlichkeit gebildet haben. Die freilich nur geringe Zahl der römisch-katholischen und protestantischen Armenier ist unbehelligt geblieben. Ebenso die Griechen. Der Ausdruck Christenverfolgung ist also nur cum grano salis zu verstehen. Auch ist es uns z. B. gelungen, freilich nur mit unsäglichen Mühen, unser zahlreiches armenisches Personal und ihre Familien zu retten, aber das auch nur mit Rücksicht auf die Mobilisation der Bahnen und nur solange dies dauert.

Daß es auch von armenischer Seite in der Verzweiflung zu mancher Gewalttat gekommen ist, ist nur begreiflich.

Was ist nun gegen diese Greuel von deutscher Seite unternommen? Gewiß hat man das nicht ruhig mit angesehen, zumal auch sehr große deutsche pekuniäre Interessen auf dem Spiel standen. Es sind Noten in schärfster Tonart an die Türkei ergangen. Ein Weißbuch wird darüber wohl demnächst nähere Belehrung geben. Aber das alles war völlig erfolglos, und zwar aus zwei Gründen, einmal wegen der engen Beziehungen Deutschlands mit der Türkei, die es ihm unmöglich machten, wirklich scharfe Seiten aufzuziehen; darüber weiter unten. Dann aber auch, weil die Leiter in Konstantinopel einfach die Herrschaft über die Bewegung verloren. Anfangs wollten sie wohl nicht und ließen den entfesselten Leidenschaften nur allzu gern ihren Lauf. Allmählich aber wurde auch ihnen bei der Sache gruselig. Insbesondere Djavid, früherer Finanzminister, der bei seiner Rückkehr aus Berlin die Geschichte fertig vorfand, soll sehr gejammert haben über den zerstörten Staatshaushalt. Da aber war es zu spät geworden. Die halb unabhängigen Provinzkönige parierten nicht mehr Order, Depeschen verschwanden, wurden falsch übermittelt oder falsch ausgelegt. Insbesondere wir wissen ein Lied davon zu singen. Niemals wollte man in Aleppo so wie in Adana oder in Konstantinopel gar. Und schließlich lehnte sich noch ein jedes Saträplein, ein jeder Kaimakam auf, und es ist kein Absehens mehr. Daß dabei natürlich unter anderem auch pekuniäre Gesichtspunkte mitspielten, möchte ich nur angedeutet haben. Es versteht sich für jeden, der den Orient wirklich kennt, eigentlich von selbst.

Nein, die einzige Macht, die hätte helfen können, wenn sie gewollt hätte, wären die Vereinig-ten Staaten gewesen. Aber die Botschaft erhielt Anweisung, zwar christliche Untertanen der Türkei zu schützen, aber nur insoweit solches ohne politische Konflikte möglich sei; also etwa das, was bisher unsere Auslandsvertreter auf den Weg mitzubekommen pflegten. Was dabei herauskommt, ist ja bekannt.

Angesichts dieser Lage der inneren Verwaltung ist es denn auch nicht verwunderlich, daß die Türkei sich in einer der schwersten finanziellen Krisen befindet, die sie je hat durchmachen müssen.

Die von Deutschland geleisteten Subsidien sind den türkischen Machthabern durch die Finger gegangen, sie wissen selber wohl kaum wie. Gedacht waren diese Goldsendungen als Dek-kung für eine Notenausgabe. Man dachte nach europäischem Muster an eine Dritteldeckung. Aber das Problem ist viel verwickelter. Denn womit sollten wohl die anderen beiden Drittel gedeckt werden? Durch Wechsel? In einem Lande, wo es keine zuverlässige Rechtsprechung, geschweige denn ein ausreichend summarisches Wechselprozeßverfahren gibt, wo die Sicherheit der Firmen und ihrer Wechsel keinen Vergleich mit europäischen Ländern gestattet, schon weil die Auffassungen über Treu und Glauben alles und jedes zu wünschen übrig lassen, wo endlich die Masse der Wechsel völlig unzureichend ist, zumal jetzt im Krieg, um darauf irgendwelche Finanztransaktionen von Bedeutung stützen zu können.

Man hat dann zu dem Ausweg gegriffen, daß man Gold an neutraler Stelle legte und dagegen Noten ausgab, Goldzertifikate also der Dette Publique, die sich als internationales Institut noch des größten Vertrauens erfreut.

Aber das alles sind ja Tropfen auf einen heißen Stein. Das, ich glaube von Djavid Bej geprägte Bonmot, die Türkei könne ihren Krieg am billigsten führen, ist natürlich Unsinn und es ist sehr bedauerlich, daß man es in Deutschland nachgeschwatzt hat. Solange natürlich, als noch Waren im Lande waren, als man den Bauern und den heimischen und verbündeten Kaufleuten nehmen konnte, was sie hatten, solange man in Deutschland und Österreich-Ungarn Dumme fand, die Waren lieferten, ja solange kann man natürlich einen Krieg billig führen; denn bezahlt wurden weder die einen noch die andern und die diplomatischen Vertreter der verbündeten Mächte sahen diesem schamlosen Treiben tatenlos zu, mußten es vielleicht. In ganz großen Verlegenheiten half dann das oft angewandte Hilfsmittel, daß man irgend welche Dinge requirierte, die man überhaupt nicht brauchen konnte und sie so schnell wie möglich wieder ans Ausland, Bulgarien oder Griechenland, gegen Barzahlung verkaufte, um sich so einiges Geld zu verschaffen. Es versteht sich, daß dabei auch die Verbündeten mit den eigenen Untertanen durchaus gleich behandelt werden.

Der Erfolg ist denn auch nicht ausgeblieben. Im Lande zirkuliert überall recht reichlich Gold, die Regierung aber hat nichts. Nicht einmal so viel, um ihre Truppen und Offiziere ausreichend zu bezahlen. So hat es denn neulich an den Dardanellen einige Mißstimmigkeiten gegeben eben infolge nicht ausreichender Bezahlung der Soldaten – und das will etwas heißen bei der hiesigen lammfrommen Bevölkerung, die gewöhnt ist, daß ihre Regierung viele Monate im Rückstand ist mit dem, was sie schuldet. Darauf erging dann an Deutschland die sehr energische und m.E. angemessene Forderung auf Zahlung ausreichender Subsidien.

In Deutschland griff man zunächst wieder den Plan einer türkischen Papiergeldausgabe auf. Dazu waren natürlich einige gesetzliche Änderungen nötig; denn die Banque Impériale Ottomane ist ja eigentlich ein französisches Institut und in ihrem Statut wegen Papiergeldausgaben stark beschränkt. Als man also dazu übergehen wollte, diese Bank ihrer Privilegien zu berauben und eine richtige Staatsbank nach deutschen Vorschlägen zu gründen, stellte sich heraus, daß Djavid Bej inzwischen eine Konzession auf eine solche genommen hatte, Djavid Bej, der im Beginne des Krieges offen erklärt hat, er betrachte es als eine seiner vornehmsten Aufgaben, den Franzosen das Bett warmzuhalten. Man munkelt, diese Vorliebe stamme daher, daß ihm die von Frankreich aus der bekannten in Frankreich abgeschlossenen letzten großen türkischen Anleihe zukommende Provision noch nicht ausgezahlt, sondern nur gut-gebracht worden sei. Aber das mag auch falsch sein. Jedenfalls ist er neben einem bedeutendem Finanzmann, wohl dem einzigsten, den die Türken wirklich haben, auch ein erklärter Feind Deutschlands. Er legt sich quer, wo er kann, und man läßt sich das in Berlin bisher gefallen, muß es sich vielleicht gefallen lassen.

Damit komme ich aber nun zu einem der traurigsten Kapitel der hiesigen Lage: das ist die von oben bis unten herrschende Korruption, die geradezu ungeheuerliche Formen annimmt. Ein jeder an irgendeiner Stelle, wo er etwas zu sagen hat, macht aus seinem Amt ein Geschäft teils für die eigenen Taschen, teils für die Komiteekasse, zu irgendwelchen Dingen, die man in Deutschland als Reptilienfonds und Verwandtes bezeichnen würde. Das verteuert natürlich die Volkswirtschaft ins ungemessene und zeitigt Erscheinungen, daß z.B. im Inneren an unserer Bahn selbst erhebliche Getreidevorräte liegen und daß doch aus Bulgarien Getreide und Mehl nach Konstantinopel gebracht werden muß, weil die Bevölkerung darbt. Waggons erhält man nämlich nur durch Vermittlung eines Intendanturoffiziers, bei dem die Anweisung einen bestimmten nicht unerheblichen und je nach Geschäftslage variierenden Satz kostet. Die Beispiele könnte ich mühelos verzehnfachen! Einzelpersonen und ganze Verwaltungs-zweige wetteifern darin.

Kurz, das gegenwärtige Regierungssystem ist durch und durch faul mit allen den großen und kleinen Leuten, die daran hangen. Die Anhänger des Regimes können denn auch ihr Haupt stolzer tragen, denn je. Das was jetzt geschieht, unterscheidet sich in nichts von dem, was früher war.

Auf dieser Basis versteht man denn auch ziemlich die gegenwärtigen deutsch-türkischen Beziehungen. Leider bin ich nicht in der Lage darüber eben so ausführlich berichten zu können, wie über die oben behandelten Fragen. Ich weiß darüber zuviel in amtlicher Eigenschaft. Als Charakteristika möchte ich daher nur zwei Momente herausheben:

Als vor einigen Wochen die deutsche Presse dem türkischen Bundesgenossen Mut zusprach aus Anlaß der italienischen Kriegserklärung, da schrieb die türkische Presse mehrfach: der Trostsprüchlein habe man nun genug gehört, Taten begehre man zu sehen.

Als dann am 20. v(origen) M(onats) an der Save und der Donau die ersten deutschen Kanonenschüsse fielen, da ging der Korrespondent einer deutschen Zeitung hier zu den türkischen Ministern, um ihre Meinung über diesen bedeutsamen Abschnitt zu hören und erhielt an maßgebendster Stelle zur Antwort: Neuer Abschnitt? Wieso? Nun ist es ja gewiß sehr nützlich für Deutschland, wenn es dem österreichischen Verbündeten den Rücken frei machen kann. Uns? Uns geht das doch nichts an! Hilfstruppen an die Dardanellen? Nein, die brauchen wir wahrlich nicht. Nur die schwere Artillerie freilich, die uns Deutschland am Anfange des Krieges fest versprochen hat, ja, da wäre es vielleicht nützlich, wenn Deutschland endlich mal sein Versprechen wahr machte.

Über die Behandlung, die deutschen Untertanen hier vorzugsweise zu Teil wird, habe ich mich bereits weiter oben ausgelassen. Es genügt vielleicht noch hinzuzufügen, daß den Eng-ländern und Franzosen und ihrem Eigentume in Smyrna z. B. auch nicht ein Haar gekrümmt worden ist. Den Deutschen requirierte man den letzten Klepper aus dem Stalle, die Direktoren der englischen Banken können noch heute vierspännig fahren.

Es kann einem wahrhaftig leid, bitter leid tun um das schöne reiche Land und seine arbeit-same, bescheidene und tapfere Bevölkerung.

Herr Dr. Jaeckh5 ist jetzt hier. Es wird wieder fleißig in deutsch-türkischer Freundschaft gemacht. Freilich hat man sich allerseits angelegen sein lassen, insbesondere auch an der Bot-schaft, ihm recht reinen Wein einzuschenken, im Sinne etwa des vorliegenden Schreibens, und manche seiner rosigen Wölklein hat er denn auch heruntergeholt. Vielleicht läßt sich mit dem, was nachbleibt, erfolgreich arbeite. Die nächste Zukunft wird es zeigen. Denn lange geht es hier nicht mehr gut., deutsch-türkisch, ohne die eiserne Faust. Gar mancher von den ganz großen und begabten Führern der Jungtürken ist mit uns darin einig.

Verstehende Zeilen, die niederzuschreiben ich natürlich viele Tage gebraucht habe, kann ich heute, am 3. Oktober nun noch durch ein persönliches Erlebnis ergänzen.

Mit Liese war ich unlängst im Inneren, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Von Ada-Basar fuhren wir auf einsamen Landwegen durch prächtige Eichenwaldungen in die Berge hinauf nach einem einsamen alten Armenierkloster Armasch, einem uralten armenischen Heiligtum der armenischen orthodoxen Kirche mit einer berühmten Bibliothek. Je mehr wir uns der armenischen Siedlung näherten, um so kultivierter wurde das Land. Die letzte halbe Stunde führte durch üppige Maisfelder, Weinberge und Tabakpflanzungen. Dann kam das Dorf, völlig tot. In einigen wenigen Häusern noch ein paar Frauen und kleine Kinder, etwa 40 alles in allem, auch diese schon beim Zusammenpacken. Auf dem Platz vor dem mächtigen Kloster mit großer Kuppelkirche einige uralte Männer, die unter der Aufsicht von einem Dutzend türkischen Gendarmen, die letzten Ochsen vor die letzten Wagen spannten. Es ging alles sehr ruhig ab. Selten hörte man Scheltworte. Die Frauen weinten, die Kinder waren herzlich unbekümmert, aus den Augen der wenigen Männer trafen uns, die Deutschen, die all dies Elend gewollt und veranlaßt haben, so wird es ihnen ja eingeredet, haßerfüllte Blicke. Von den Türken aber wurden wir in das Karakol geleitet und dort zwar sehr höflich, aber bestimmt in den Garten gesperrt. Zwei Posten vor die Türe und drin waren wir. Sorgfältig hatte ich nämlich eine Anmarschstraße gewählt, wo kein Telegraph unsere bevorstehende Ankunft anmelden konnte. Dann kam der Herr Müdir. Auch er war sehr höflich, stellte sich und sein Haus zur Verfügung. Aus dem Garten durften wir aber zunächst nicht heraus. Allmählich aber gelang es, daß Mißtrauen der Potentaten zu überkommen, dieses unter anderem auch durch Überreichung einer türkischen Schilderung der letzten Hindenburgsiege, und wir durften uns also im Dorfe bewegen, freilich ständig unter starker Bedeckung. Der Müdir entschuldigte sich, er habe schrecklich viel zu tun mit diesen verd … Armeniern, zu unserer weiteren Gesellschaft blieb nur der neueingesetzte Imam. In dem ganzen reichen Dorfe fand sich an Essen nur etwas Käse und Kaffee und ein wenig Brot. Glücklicherweise hatten wir Vorsorge getroffen. Als ich um einige Trauben bat, wurde mir erklärt, Trauben pflückte man nicht, es sei zu weit. Dabei ist das ganze Dorf von Weinbergen umgeben und die Traubenernte gerade dieses Jahr unerhört reich. So verkam die reiche Siedlung. Noch waren die letzten Bewohner nicht vertrieben, noch standen die Gassen, die Gestelle mit den frisch gepflückten Tabakblättern, die diese arbeitsamen Frauen und Kinder, während die Männer sich an den Dardanellen schlagen oder schon längst ausgewiesen worden sind, noch bis in die letzten Stunden vor ihrer Vertreibung aufgebaut hatten, und schon war es den Nachfolgern zu weit, die Trauben auch nur zu pflücken.

So verschwindet wieder eines der ältesten Kulturvölker von der Bildfläche und muß dem Unverstand der herrschenden Rasse weichen, gegen die es sich durch Jahrhunderte hat durchsetzen können.6


1 Die Bagdad-Bahn von Konya (Südtürkei) nach Bagdad (Irak) und weiter nach Basra ist die Fortsetzung der türkischen Anatolischen Bahn und wurde zwischen 1903 und 1940 (!) unter Mitwirkung deutscher Ingenieure und deutschen Kapitals gebaut.

2 Staatsschuld

3 Die Provinz Adana befindet sich in der SO-Türkei am Mittelmeer, noch heute starke Baumwollproduktion und-verarbeitung; Baustoff- und Nahrungsmittelindustrie; Kraftwerk am Seyhan; Universität seit 1973. Die Seyhan ist 560 km lang, entspringt im inneren Osttaurusgebirge, wird vor Adana aufgestaut für das Kraftwerk und fließt bei der Stadt Adana ins Meer.

4 Anmerkung des Verfassers: Das stimmt heute, am 4.X. freilich nicht mehr: Truppenbewegungen in Saloniki.

5 Vgl. die Korrespondenz mit der Deutsch-Türkischen Vereinigung.

6 Der Verfasser ist wohl in Botschafts-, evtl. auch in Wirtschaftskreisen zu vermuten.