58. C.H.B an den Direktor des Lyzeums in Bonn …, Bonn, 26.3.1916. (Entwurf)
Hochgeehrter Herr Schubert!
Ich melde hiermit meine Tochter Hertha im Lyzeum ab, da ich beabsichtige, sie vom April an in die Klostermann’sche Schule zu schicken.
Wie Sie wissen, kam ich hierher mit der festen Absicht, mich von den sozialen Vorurteilen gegen die städtische Mädchenschule nicht anstecken zu lassen, zumal ich aus Prinzip die städtischen oder staatlichen Schulen den privaten vorziehe. Nach fast zwei Jahren Erfahrung habe ich mich aber überzeugt, daß mein Kind unter der sozialen Zusammensetzung seiner Mitschülerinnen zu leiden hat. Die seelische Einbuße, die einem kleinen Mädchen dadurch zugemutet wird kann m.E. den Vorteil eines besseren Unterrichts nicht aufgewogen werden. So sehe ich mich schweren Herzens genötigt, mein Kind die Schule wechseln zu lassen.
Vielleicht haben Sie die Güte mich wissen zu lassen, ob der Wechsel zum 1. April oder mit dem Ferienanfang zu geschehen hat, da ich nicht wegen der wenigen Tage evtl. doppeltes Schulgeld zahlen möchte.
In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)
Bericht aus Konstantinopel über türkische Probleme
56. Bericht an C.H.Becker. Konstantinopel, 1.8.1915 von einem Anonymus
(Bitte sofort zurück. Streng vertraulich) (Schreibmaschinentext)
Gerade in der letzten Zeit habe ich Gelegenheit gehabt, mancherlei zu hören, was nicht in der Zeitung steht und doch verdient, festgenagelt zu werden, wenn es sich hoffentlich auch nur um Halbfertiges handelt.
Vorweg möchte ich eine Frage behandeln, die sich, wie mir scheint, bereits demnächst einem katastrophalen Ende nähert: die Armenierfrage.
Schon wiederholt deutete ich Dir an, daß die Russen nicht nur im Osten große Armenieraufstände, die den türkischen Truppen redlich zu schaffen machten und wohl auch zu dem bekannten Mißerfolg im Kaukasus geführt haben, organisiert haben, sondern daß auch hier in der Hauptstadt eine große Verschwörung mit Filialen über das ganze Reich hin entdeckt worden ist, an der Armenier stark beteiligt waren.
C. H. Becker mit türkischer Delegation während des Ersten Weltkrieges (1916/17?)
Diese Vorkommnisse gaben der Zentralregierung, d.h. in diesem Falle Talaat und Enver, Anlaß, die türkisch-armenische Frage mit einem Schlage und möglichst radikal zu lösen. Dementsprechend mögen denn auch die Anweisungen an die untergeordneten Provinzialbehörden gelautet haben, die diesen jedenfalls eine sehr große Handlungsfreiheit gewährten. Hier in der Hauptstadt wurden durch ordentliche Gerichtsverfahren oder auch ohne ein solches ein paar Dutzend Leute, zumeist Armenier, aufgehängt, ebenso soll es in den Provinzstädten gewesen sein. Man kann ruhig annehmen, daß diese Leute es redlich verdient haben. In den Provinzstädten an unserer Bahn, also in einer Gegend, wo die Vorkommnisse noch europäischer Kontrolle einigermaßen unterliegen, wurden eine ungeheure Menge von Verhaf-tungen vorgenommen und die Verhafteten südostwärts gebracht, zum Teil wohl, um in den Städten an der persischen Grenze neu angesiedelt zu werden und so, dem heimatlichen Boden und den Banden der Verwandtschaft entrissen, politisch ungefährlich gemacht zu werden.
Das traf natürlich auch manchen Unschuldigen. Ich kann das nachprüfen an einzelnen Fällen innerhalb unseres Bahnpersonals, die verhaftet und verschleppt wurden z. B. weil ihr Name in einer Adressenliste, die bei einem Verschwörer gefunden worden war, genannt war. Nicht immer gelang es uns, die Enthaftung dieser Beamten zu erreichen.
Ganz anders freilich wurde in den östlichen Provinzen vorgegangen, wo die blutigen Aufstände freilich auch ganz andere Mittel rechtfertigten. Man benutzte das kurdische Militär, das bei solchen Gelegenheiten trotz der Stammesfremdheit treu zu den Türken hält, und ließ die Aufstände ebenso blutig niederschlagen. Daß dabei der Stamm als solcher für das Vergehen eines einzelnen Mitgliedes zu büßen hatte, darf in dieser Gegend nicht Wunder nehmen. Und doch ist es für uns Europäer schrecklich, aus glaubwürdiger und nüchterner Quelle zu hören, daß es in den Provinzen Van und Bitlis, wo vor dem Kriege das armenische Bevölkerungselement das Vorwiegende war, kaum noch Armenier gibt.
Osmanisches Reich im Ersten Weltkrieg, aus: dtv-Atlas zur Weltgeschichte Band 2, S. 404
Das war freilich auch die Absicht der Machthaber hier. Rußland sollte endlich einmal der Anlaß genommen werden, sich dauernd und immer wieder in die inneren Verhältnisse der Türkei einzumischen und dabei sich auf die Armenierfrage zu stützen.
Am bedenklichsten und schrecklichsten sind die Vorgänge, die ich jüngst von den verschiedensten Seiten vom oberen Euphrat geschildert hörte. Einer der deutschen Etappen-Offiziere in Diyarbakir hat von der Brücke über den Euphrat ein Bild stromaufwärts aufgenommen, auf dem der Strom, so weit auf der Photographie sichtbar ist, mit Leichen bedeckt ist, die sich vor der Brücke stauen. Tausende Armenier, Männer, Frauen und Kinder, werden in Armenien, in Karput und anderswo mit gefesselten Händen in den Strom geworfen und ertrinken natürlich. Dieses Los mag auch einen großen Teil derjenigen treffen, die von hier zu den östlichen Siedlungen geführt werden. Die Zusammensetzung eines solchen armenischen Auswanderungszuges einige Tage von unserer Bahn wird mir wie folgt geschildert: Der Zug besteht aus kräftigen Männern, älteren Kindern und schwangeren Frauen. Alte Leute und kleine Kinder sieht man überhaupt nicht, es sei denn Säuglinge. Beim weiblichen Geschlecht fehlt das Alter von 12 bis 40 im übrigen völlig.
Und einige deutsche Schwestern vom Roten Halbmond schilderten mir, wie bei ihrem Hause nicht weit vom Euphrat – ich will den Ort nicht nennen, um ihnen keine Ungelegenheiten zu machen – oftmals täglich solche Züge gefesselt vorbeigeführt wurden und die Mütter (sie) anflehten, ihre kleinen Kinder zu retten. Oft hätten sie die Kleinen genommen und dann bei der zuständigen Landesbehörde die Erlaubnis erbeten, sie zu behalten. Der Mutessarif habe auf das höflichste erwidert, er freue sich daß sie die Kinder aufziehen wollten, aber sonst bestünden nicht die geringsten Bedenken. Nach einigen Tagen kamen dann Soldaten, nahmen ihnen die Kinder und warfen auch sie in den Fluß.
Es gibt dort auf dem kaukasischen Kriegsschauplatz einen Abenteurer, einen venezolanischen Indianer, General natürlich, der unter Castro und unter Villa in Mexiko gekämpft hat und jetzt bei den Türken einen höheren Posten bekleidet. Dieser hat einem deutschen Etappenoffizier erklärt, er sei gewiß nicht zimperlich, sonst würden die Türken ihn auch kaum an die Spitze eines kurdischen Regimentes gestellt haben; aber was man jetzt von den Armeniern verlange, das ginge ihm über die Hutschnur, und er reise jetzt wieder weg.
Das alles könnte uns ja kalt lassen; denn was bei uns alle Tage an Elend sich ereignet, ist sicherlich auch nicht geringer. Aber was mich schmerzt ist, daß vor der Geschichte wir einmal als die Schuldigen dastehen werden. Was verschlägt es dagegen, wenn die Botschaft Material sammelt um nachzuweisen, daß die Armenier auch furchtbar grausam vorgegangen sind, daß bei diesen Vorkommnissen weit und breit kein deutscher Offizier zugegen gewesen sein könne, der sicherlich Derartiges verhindert haben würde, daß sie, die deutsche Botschaft, den Türken immer und immer wieder nahegelegt habe, sich zu mäßigen, daß sie aber machtlos sei. Wer wird uns glauben, daß wir hier machtlos waren, wie es wirklich der Fall war; denn wir brauchten die Türkei auf das allerdringlichste und mußten sie dauernd bei guter Laune halten. Wir konnten zu gewissen Zeiten gar nicht wagen, auch nur den geringsten Druck auf sie auszuüben. Wenn ich wir sage, so heißt das natürlich in allererster Linie Österreich.
Unlängst sagte mir noch zu diesem Kapitel einer der wenigen deutschen Dolmetscher, der sich hier bei der türkischen Armee befindet, Dr. Ritter, er habe bei einem Gespräch mit hochgebildeten türkischen Offizieren mit Staunen bemerkt, wie wenig diesen der Grundsatz geläufig sei, daß man gegen unschuldige Kinder und Frauen keine derartigen administrativen Maßregeln ergreife, geschweige denn Krieg führe. Im Unterbewußtsein dieser Leute sind die Frau und die Kinder eben doch noch Sachen, über die der Sieger ebenso verfügen kann, wie über andere Gegenstände, deren er zur Erzielung eines militärischen Erfolges bedarf
Doppelt schmerzlich aber ist es, daß es bei allem diesem zu Hause immer noch Leute gibt, die von den türkischen „Waffenbrüdern“ gar von den Preußen des Ostens reden, nicht etwa als Phrase der Kriegsbegeisterung und der gegenwärtigen Lage Rechnung tragend, sondern allen Ernstes und lange vor dem Kriege.
Sie sind denn auch neulich einmal tüchtig reingefallen, diese Schwätzer, die mit den Türken auf Du und Du stehen wollen, die es als ihre Hauptaufgabe betrachten, wie sie jedem erzäh-len, der es hören will, sich das Vertrauen der Türkei zu erwerben und die deswegen unter anderem auf die all die kleinlichen Intrigen, die in Byzanz und Umgebung gesponnen werden, eingehen, zum Schaden des deutschen Ansehens. Nein, die Achtung der Türken müssen wir uns erwerben, dann kommt das Vertrauen schon ganz von selbst.
Also neulich trafen hier einige Hundertfünfzig deutsche Pioniere ein, natürlich das Beste, was man hatte. Die Schützengräben sitzen jetzt nämlich dicht aufeinander, und der Minenkrieg ist den Türken noch völlig fremd. Man schickte die umgehend an die Dardanellen, ohne indes besondere Vorbereitungen zu treffen, sie würden mit den türkischen Waffenbrüdern schon vorzüglich auskommen, bei der Flotte wäre es auch glänzend gegangen.- Die Herren vergaßen nur eins, daß man nämlich bei der Flotte, die darin viel verständiger ist, die Türken mit den deutschen Waffenbrüdern zusammenlegen ließ und nicht umgekehrt. Und der Erfolg war denn auch nicht anders, als ihn jeder Einsichtige, der hier einigermaßen mit Land und Leuten vertraut ist, hätte voraussagen können: nach knapp 14 Tagen waren von diesen 150 sturmerprobten Leuten nur noch etwa 20 an der Front, alle anderen lagen hier fest mit Dysenterie und ähnlichen Krankheiten und einem von der Hitze, von ungenügender Ernährung und Ungeziefer auf das Äußerste geschwächten Körper. Na, inzwischen ist dem nun abgeholfen, und die neu Ankommenden finden es besser.
Die taktische Frage an den Dardanellen ist im übrigen nach den Schilderungen aller militärischen Sachverständigen eine außerordentlich günstige, und in der Hinsicht ist wohl nur bei ganz groben Fehlern etwas zu befürchten. Der Schuh drückt ganz woanders, und zwar da in wachsender empfindlicher Weise. Aber auch hier gilt wie überall das Wort: Zeit gewonnen, alles gewonnen! Rohstoffe sind, scheint’s noch ausreichend im Lande. Die Schwierigkeit liegt in der Verarbeitung. Und da gibt man sich die allergrößte Mühe, diese Möglichkeiten ständig zu erweitern. Hoffentlich langt’s. Es kommt hinzu, daß die Verbündeten lange keinen Angriff gemacht haben und daher die Bestände sich natürlich vergrößert haben. Es fehlen leider immer noch die großen Kaliber, die trotz aller diplomatischen Verhandlungen nicht über die Donau zu bekommen sind. Man hat auch da Abhilfe geschaffen, und man wundert sich immer von neuem über die Organisationsmöglichkeiten, die der deutsche Geist zu erfinden versteht. Immerhin sind die Kosten dieses neuen Weges ungeheure und die Sache selbst sehr riskant. Näheres möchte ich nicht mitteilen zur Zeit, da die Sache noch ganz im Anfange ist. Was uns aber hier vor allem fehlt, sind große Geschütze; denn die sogenannte schwere Artillerie an den Dardanellen ist nach heutiger Auffassung kaum Mittelartillerie. Alles liegt zwar vorbereitet an der ungarisch-rumänischen Grenze; aber da bleibt es eben liegen.
Die Balkanstaaten gehen von dem Standpunkt aus, daß trotz aller deutschen Siege der Krieg noch immer nicht entschieden ist. Ich halte nach den Informationen über die Auffassungen des Hauptquartiers, die man hier so erhält, vielleicht leichter als in Deutschland, diese Ansicht der Balkanstaaten nicht für ganz abwegig. Solange es uns nicht gelingt, England irgendwo zu packen, kann uns ein Frieden immer noch um ein gut Teil aller Erfolge, die wir in glänzenden Siegen auf dem Festlande errungen haben, bringen. Mit den geringen Munitionsbeständen, die die Balkanstaaten nun einmal haben, und der Unfähigkeit, neue in größerem Umfange selber zu produzieren, sind sie in der Lage, den Krieg höchstens drei Monate zu führen, können also erst dann für die eine oder andere Partei eingreifen, wenn feststeht, daß die Kämpfe in absehbarer Zeit beendet sein werden. Gesetzt z.B. Rumänien griffe für den Zweibund ein, besetzte in einigen siegreichen Schlachten Bessarabien, so müßte es doch nach drei Monaten, wenn es nicht gelingt, ihm ausreichend Munition zuzuführen, wieder heraus, ja, wäre bei der abgeschlossenen Lage kaum imstande, sich gegen ein neu mit amerikanischer Munition versorgtes Rußland zu halten. Ich meine, man muß sich auch einmal dies vergegenwärtigen, einmal, um die Lage und Stellungnahme der Balkanstaaten zu verstehen, dann aber auch, um einzusehen, daß mit diplomatischem Drücken und hochoffiziellen Drohartikeln in den Zeitungen nichts zu machen ist. Diese Mittel sind alle sehr gut, wenn es sich darum handelt, die Regierungen zum Einschreiten, entgegen der Stimmung des gesamten Volkes, auf Seiten des Zweibundes zu bewegen. Denn darüber müssen wir uns klar sein, daß sowohl in Rumänien, wie in Bulgarien die Sympathien der Bevölkerung ganz auf Seiten unserer Feinde stehen, in Rumänien wegen der Beziehungen sprachlicher Art zu den romanischen Staaten, in Bulgarien außerdem noch aus geschichtlichen Erwägungen und Beziehungen. Die Bulgaren sind eben den Russen höchst verwandte Slawen, und es nützt nichts, ihnen zu erzählen, daß man nachweisen kann, daß sie ursprünglich ein türkisches Volk sind.
Anders wird natürlich die Lage, wenn man sich in Deutschland dazu entschließen könnte, die österreichische Niederlage von Arandjelowatsch wieder gutzumachen, vorausgesetzt, daß wir militärisch dazu imstande sind. Dann würden wir Bulgarien mit einem Schlage wieder ganz auf unserer Seite haben, aus Rachsucht, ja, würden es in einem gewissen Augenblicke zum Einschreiten bewegen können, und Rumänien, das dann befürchten müßte, ganz links liegen zu bleiben, würde dann von selber kommen und aus der Hand fressen. Das in Deutschland hin und wieder erträumte Bündnis mit Serbien halte ich für ganz verfehlt. Es kann uns nur – die Geschehnisse der letzten Zeit haben es gezeigt – mit Bulgarien endgültig verfeinden und so die ganze Dardanellenaktion, augenblicklich der Angelpunkt der gesamten auswärtigen Politik Deutschlands, in Frage stellen.
Nach diesen kurzen Abschweifungen in die Balkanpolitik aber wiederum zur Sache, nämlich zu einigen militärischen Einzelheiten, die hier so nach und nach ruchbar werden.
In einem meiner früheren Schreiben deutete ich bereits an, daß, so Unerfreuliches die sogenannte Afghanistanexpedition gezeitigt hat, so erfreulich andererseits die Ergebnisse von ähnlichen Unternehmungen, insbesondere in Persien, sind. In der Tat kann man wohl heute sagen, daß Persien jederzeit bereit ist loszuschlagen, sobald nur der regelmäßige Nachschub von Munition sichergestellt ist. Ein in sich bereits völlig abgeschlossenes Unternehmen, das unter deutscher Leitung erfolgt ist, ist die Zerstörung der Ölquellen von Ahwas, von der auch in den Zeitungen berichtet worden ist. Der deutsche Hauptmann Klein ist an der Spitze von türkischem regulärem Militär in Eilmärschen in Südpersien eingefallen, hat dort die nichtsahnenden Engländer überfallen, ihnen große Verluste beigebracht und die Ölquellen der englischen Gesellschaft, die das indische Militär decken sollten, teils zerstört, teils angezündet, vor allem aber alle Baulichkeiten gründlich mit Dynamit beseitigt, so daß vorläufig die Produktion hat eingestellt werden müssen. Dann haben sich die Türken wieder zurückgezogen.
Noch ein zweites Unternehmen ist erwähnenswert: die zweiteAfghanistanexpedition. Von der ersten habe ich bereits berichtet. Aus den brauchbaren Trümmern dieser unter Einschaltung einer vorzüglich ausgerüsteten Maschinengewehrabteilung und unter Führung eines deutschen Bab(t)isten, des Hauptmanns der Reserve Niedermayer, ist eine neue Expedition ausgerüstet worden, die ihre Aufgabe sehr viel ernster nahm und jetzt jedenfalls bereits in der Nähe von Kabul angekommen sein dürfte. Kann eine solche Unternehmung auch nichts Entscheidendes leisten, so darf man bei der Zusammensetzung der Abteilung, alles Leute, die sich bereits im Westen ausgezeichnet haben und z.T. Land und Leute wirklich kennen, doch erwarten, daß den Engländern aus ihrem Wirken mancherlei Schwierigkeiten erwachsen werden, deren sie nicht so leicht Herr werden, wie damals in Singapur-
Endlich erwähne ich noch eine Mission, deren Aufgabe es war, auf dem KaspischenSee mit bewaffneten Booten den Russen Schwierigkeiten zu bereiten., insbesondere, wenn möglich in Baku einige Überraschungen zu hinterlassen. Hiervon haben die Russen durch ihren vorzüglich geleiteten Spionagedienst offenbar Wind bekommen und haben darauf Enseli, den ein-zigen in Frage kommenden persischen Hafen, stark mit Truppen belegt. Geschütze und Munition dieser Abteilung tun augenblicklich vorzügliche Dienste auf dem Tigris und hat den Engländern schon manche trübe Stunde bereitet.
Die ägyptische Grenze ist augenblicklich beiderseits von Truppen entblößt. Die Türken sitzen in befestigten Lagern nicht weit vom Kanal in der Wüste und machen dort hin und wieder eintägige Ausflüge, die indes nur der Beunruhigung der Feinde dienen sollen und vielleicht einmal einen Zufallserfolg liefern. Die deutschen Offiziere sind fast alle vom Kanal zurückgezogen, auch in Syrien finden sich nur noch wenige, und auch diese dürften in den nächsten Tagen abberufen werden. Von Berlin ist angeregt worden, für dieses Herbstunternehmen auch deutsche Truppen heranzuziehen. Ich glaube, daß die Erfolge an den Dardanellen nicht gerade dazu beigetragen haben, diesen Plänen neue Nahrung zu geben. Der Europäer ist dort unten nur leistungsfähig, wenn in sehr weit gehendem Maße für sein leibliches Wohl gesorgt wird. Das würde aber zur Voraussetzung haben, daß schon jetzt inden Etappen in Syrien und im Sinai große Vorräte an Konserven usw. aufgehäuft würden, was wiederum mit Rücksicht auf die mangelnde Bahnverbindung insbesondere durch den Balkan unmöglich ist. Man darf doch nicht vergessen, daß auch unsere Offiziere sich auf dem etwa einen Monat dauernden Zuge durch die Wüste und zurück sich trotz merkbarer Läuseplage kaum je waschen konnten, da das wenige mitgeführte Wasser knapp zum Trinken von Mensch und Vieh reichte. Andererseits sind für das Unternehmen, wie einstimmig von allen Augenzeugen versichert wird, die türkische, besonders die anatolischenTruppen völlig ausreichend, die sich unter guter Führung und mit ordentlicher Verpflegung vorzüglich schlagen, im Gegensatz zu den Arabern.
So sind die Bahnen1 für das neue Unternehmen m.E. genau vorgezeichnet; der ganze Etappendienst, insbesondere die Eisenbahnen, die außer unseren Bahnen, noch kaum europä-ische Beamte haben, müssen von deutschen Offizieren geleitet werden, die vielleicht noch einige der höchsten Kommandostellen einzunehmen hätten, wie es im vorigen Winter war.
Unsere Bahn wird bis dahin soweit fertig, daß nur der Taurusübergang noch mit Automobilen überwunden werden muß. Die ganze übrige Strecke kann (mit) Munition und Geschütz gefahren werden, und zwar bis zum Herbst voraussichtlich ohne umzuladen bis weit in die Wüste hinein.
Schließlich möchte ich noch einmal zu meinem Ausgangspunkt zurückkehren, den Armeniervorgängen. Gerade die letzten Tage haben da mancherlei neues Material zu Tage gefördert, insbesondere zur innerpolitischen Beurteilung der Frage. Auch von deutscher Seite bringt man jetzt aus dem gleichen Grunde größeres Interesse entgegen. Es ist natürlich mit Sicherheit zu erwarten, daß die Steuerkraft der Türkei, die ohnehin durch den Krieg schwerer leidet denn je, erheblich auf die schiefe Ebene gerät. Das hat einen doppelten Sinn. Ein nicht unerheblicher Teil der Steuern, nämlich insbesondere der sogenannten armenischen (?unleserlich) Provinzen, wurde von Armeniern aufgebracht: ja, auch in Provinzen, die nicht überwiegend armenische Bevölkerung hatten, trugen diese doch den Löwenanteil der Steuern, da sie die betrieblicheren, die reicheren waren. Diese ganze Steuerleistung wird natürlich auf Jahre hinaus vernichtet, und es wird, da die Steuern zum größeren Teile in irgendeiner Form an europäisches Kapital verpfändet sind, auf ebenso lange Zeit auch die Kreditwürdigkeit der Türkei herabgesetzt. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß in diesem Kriege zum ersten Male die Requisitionen nach deutschem Muster durchgeführt sind, also in rigorosester Weise, ohne daß deswegen etwa auch nach deutschem Muster den Betroffenen eine, auch nur die kleinste Entschädigung in Geld gewährt worden wäre. Endlich ist zu berücksichtigen, daß der größte Teil der Steuerbeamten, insbesondere die der DettePublique2, also gerade diejenigen Steuern, an denen das deutsche Kapital in hervorragender Weise interessiert ist, Armenier sind, deren Sterblichkeit in den letzten Wochen in so erschreckendem Maße zugenommen hat, daß ein ordnungsgemäßer Eingang der Steuern nicht nur in Frage gestellt, sondern bereits unmöglich geworden ist.
Das sind nun nicht etwa nur theoretische Erwägungen, sondern ich bin leider in der Lage, sie bereits jetzt mit praktischen Beispielen zu belegen. Unlängst war ein Herr hier, der, mit reich-lichen Kapitalien und Sachkenntnissen ausgestattet, in der Türkei eine Spinnerei gründen wollte, weil er nach dem, was geschehen ist, seine gleichen Unternehmungen in Italien aufzugeben sich gezwungen sieht. Es war, als er uns um Rat fragte, naheliegend, ihm die ProvinzAdana3 zu empfehlen, die nicht nur selber in großem Umfange Baumwolle – jährlich etwa 100 000 Ballen – hervorbringt, sondern wo man an den Hängen des Taurus auch erwarten durfte, Wasserkräfte zu finden. Bereits nach fünf Tagen kehrte er aufs tiefste enttäuscht zu-rück. Freilich Baumwolle gab es in Hülle und Fülle, auch Wasserkräfte zum Antreiben von Turbinen waren in günstiger Lage überall zu finden, in solcher Stärke, daß man unbedenklich auch im trockensten Sommer mit ihrer Leistungsfähigkeit rechnen konnte. Aber Arbeiter gab es nicht mehr, gar keine. Der ungelernte Handarbeiter bezieht dort augenblicklich einen Tagelohn von 18 Piastern, d.h. etwa 3 Mark. Darauf ein Geschäft zu gründen mit erheblichen Investitionen ist natürlich unmöglich. Nun beabsichtigt man, diese ganzen entvölkerten Strecken – Adana war eine der dichtest bevölkerten Provinzen der Türkei – mit mohammedanischen Flüchtlingen aus Rußland, Rumänien und anderswo neu zu besiedeln; damit ist aber vorläufig auch nichts gewonnen, weil die muhammedanische Frau z.B. nicht in der Fabrik arbeitet. So sind also die Aussichten in wirtschaftlicher Hinsicht für die Provinz Adana in nächster Zeit sehr trübe.
Was aber für Adana gilt, gilt bis zu einem gewissen Grade auch für die anderen Provinzen, insbesondere die mit gemischter Bevölkerung, etwa griechischer.- Und da gibt es Leute in Deutschland, die – man sagt mir so – glauben, die Türkei vor einer Invasion deutschen Kapitals schützen zu müssen. Ich glaube vielmehr, man wird das deutsche Kapital schützen müssen. Jedenfalls kenne ich ein Geschäft und sogar mehrere deutsche, die sich dankbar bekreuzigen werden, wenn dieser Kelch für dieses Mal noch an ihnen vorüber gegangen ist.
Damit laß mich heute schließen.
Konstantinopel, den 4. August 1915
(Eine Kopie dieser Analyse schickte der gleiche anonyme Verfasser am gleichen Tage an
einen „lieben Heinrich“. Da heißt es im 2. Absatz:)
„Ich schätze Dich damit einverstanden, daß ich von diesem Schreiben einen Durchschlag an Becker sende, den ja die Orientalia besonders interessieren. Das Original des Briefes geht an Wohldorf, damit sich unsere respektiven Frauen auch daran freuen können.“
57. Anonymus an seinen Freund Heinrich (s.o.) Kopie an C.H.B.
Konstantinopel, 21.9.1915
Lieber Heinrich!
Nach längerer Pause greife ich wieder einmal in die Tasten, um Dir zunächst einmal für Deine letzten lieben Zeilen vom 3.d.M. aus Ingelmunster zu danken. Inzwischen hast Du auch von mir einen Brief erhalten, da ich den Durchschlag des Briefes an Klügmann als solchen nicht angesehen wissen möchte.
Seitdem hat sich ja manches geändert, nicht zum wenigsten hier unten, und alles in allem wohl zum Besseren, d.h. zum Besseren Deutschlands; denn für diese Gegend habe ich allerlei Bedenken zu erheben und Einschränkungen zu machen, wie ich weiter unten ausführen werde.
… und nochmals Türkeiprobleme …
Wenn man heute über die Ereignisse hier unten berichten will, so muß man die äußere von der inneren Politik streng unterscheiden; denn beide laufen kaum noch mit einander parallel. Das hat auch, glaube ich, einen inneren Grund. Es handelt sich dabei um einen Konflikt der Regierenden nicht nur mit den Interessen des Landes, sondern vielleicht auch unter sich, an denen der eine oder andere leicht zu Grunde gehen kann. Aber das liegt zur Zeit noch in weiter Ferne und erheischt die Aufmerksamkeit nur in minderem Grade, da ungleich wichtigere und hiervon ganz unabhängige Fragen zur Entscheidung drängen. Ich komme auf diesen Punkt noch einmal am Schluß des Briefes zurück. Ich werde dann an der Hand des vorerst zu Entwickelnden leichter meine Gedanken ausdrücken können.
Die äußere Politik wird ja in erster Linie von der jeweiligen militärischen Lage nicht nur hier unten, sondern auch daheim beeinflußt und ist nach Sachlage befriedigend.
Der bereits angekündigte große Angriff der Engländer ist inzwischen mit dem bekannten Erfolge in Szene gegangen. Die Verbündeten haben auf der äußersten Westspitze der Gallipoli-Halbinsel weitere Truppen, etwa 100 000 Mann der neuen Kitchener-Armee gelandet, haben aber bei der Landung und den sich anschließenden Kämpfen reichlich 25% davon wieder verloren, meist Tote. Immerhin sitzen sie auch hier fest im Lande und dürften mit den zur Zeit verfügbaren Hilfsmitteln nicht wieder daraus vertreibbar sein. Sie binden einen entsprechenden Teil weiterer türkischer Truppen, was doch immerhin als ein bedingter Erfolg, wenn auch nur ein recht bedingter, anzusehen ist. Die Verluste der Türken sind natür-lich auch nicht gering, sie sind indessen mit denen im Frühjahr beiden ersten Landungen nicht im Entferntesten vergleichbar.
Die weiteren englischen Aussichten dürften als ungünstige ohne weiteres bezeichnet werden. Im eigentlichen Frontalangriff kommen sie kaum weiter. Die Führung ist dazu viel zu schlecht, auch die Truppen nicht ausdauernd genug. Eine gewisse Möglichkeit bot die Unterbindung der türkischen Zufuhr durch einen schneidig ausgeführten Unterseebootskrieg im Marmarameer, und es gab Augenblicke, wo ein solches Unternehmen aussichtsreich schien. Inzwischen aber scheint der Augenblick verpaßt.
Eines der schneidigsten U-Boote ist neulich in dem vor den Dardanellen freilich recht unvollkommen eingebauten Netz hängen geblieben und nach allen Regeln der Kunst abgewürgt worden, ein weiteres wahrscheinlich von einem Flieger zerstört worden. Auch was hier im Marmarameer so an kleinen Verrätereien mit Proviantlieferungen usw. geleistet wurde, scheint inzwischen lahmgelegt worden zu sein. Außerdem steht die bulgarische und rumäni-sche Grenze vor ihrer Öffnung oder sind, während ich dies schreibe, schon geöffnet, so daß im Notfalle auch von dort aus Verproviantierung auf dem Landwege möglich ist.
Dies ist aber auch leider das einzig Erfreuliche, was ich von hier unten berichten kann. Der ägyptische Feldzug ist wiederum aufgeschoben worden aus dem von mir schon früher angedeuteten Grund, daß nämlich die Vorbereitungen nicht früh genug fertig werden. Die Hauptvoraussetzung für diesen Feldzug ist ein ungehinderter Verkehr mit dem Waffen produzierenden Deutschland und dieser soll ja erst geschaffen werden. Aber die Bedeutung des ägyptischen Feldzuges selber ist auch eine ganz andere geworden. Wiederholt nämlich ist es den Türken durch Minen gelungen, den Suezkanal zu sperren, ohne daß deswegen die englische Zufuhr wesentlich behindert oder verteuert worden wäre. Die Engländer fangen, wie es scheint, auch an, Kohlenstationen an den ostafrikanischen Küsten anzulegen, so daß sie selbst für den Fall einer endgültigen Sperrung des Kanals in der Lage wären, das indische Getreide um Afrika herum nach England zu verschiffen.
Andererseits aber hat man durch die zahlreichen Reisen in Persien und der Art und Weise, wie England auf die mancherlei Unternehmungen dortselbst reagiert hat, gelernt, die Wichtigkeit des Schatt-el-Arab richtig einzuschätzen, woselbst die Engländer gerade in der letzten Zeit gewaltige Anstrengungen gemacht haben und leider nicht ohne Erfolg. Hier aber haben die Türken augenblicklich ihnen nichts Ebenbürtiges gegenüber zu stellen, obschon der Munitionsnachschub weit einfacher ist, als durch die Wüste beispielsweise. Es kommt hinzu, daß hier die Engländer den Türken mitten im Fleische sitzen und zudem noch in einer deut-schen Einflußsphäre. Eine Unternehmung aber gegen Basra könnte leicht, die angenehmen Beziehungen nach Persien und weiter ostwärts zeigen es, mit einem Schlage gegen Indien vereinigt werden. Der Erfolg würde wohl noch radikaler sein als in Ägypten, der Einsatz freilich auch höher.
Aus dem Kaukasus gibt es nicht Neues zu melden.
Was wird uns die Zukunft bringen? An den Dardanellen wird man wohl in absehbarer Zeit mit einem neuen verzweifelten Angriff zu rechnen haben. Die Engländer können es wirklich nicht ruhig mit ansehen, daß wir uns eine Verbindung mit Deutschland schaffen, auf der Munition und schweres Geschütz in beliebigen Quantitäten herbei geschafft wird, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, durch einen letzten Angriff das Ziel zu erreichen. Auf Imbros haben sie eine Ballonhalle gebaut und man erwartet ein italienisches Luftschiff. Was sie sich freilich davon versprechen, ist mir nicht ganz klar. Nach Konstantinopel werden sie kaum damit fahren können. In Anatolien aber und Thrazien Bomben zu werfen dürfte kaum den erhofften Erfolg haben. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine menschliche Ansiedelung getroffen wird, geschweige denn ein militärisch bedeutsamer Schaden angerichtet werden, ist denn doch gar zu gering. Im übrigen weiß man, daß die Engländer wieder neue Einheiten der Kitchener-Armee heranbringen. Da aber bereits zwei Transporte abgesoffen sind, so werden sie daran wohl auch nicht allzuviel Freude erleben. Unsere U-Boote sind sehr fleißig an der Arbeit und haben jetzt mehrere Stützpunkte an der kleinasiatischen Küste, so daß sie es nicht mehr nötig haben, ihre Vorräte in Konstantinopel zu ergänzen, was die Engländer ihnen durch Auslegung von mit Minen gespickten Netzen auch recht erschwert haben.
Nehmen wir also einmal an, daß es gelingt, in absehbarer Zeit schweres deutsches und öster-reichisches Geschütz in Stellung zu bringen, so dürfte das Schicksal ihrer Dardanellen-unternehmung in wenigen Stunden besiegelt sein. Und die Frage für sie sowohl wie für uns drängt sich dann auf: Was dann? Die Türken werden dann eine erhebliche Menge Truppen frei bekommen, und, da der Weg nach Deutschland zur Heranschaffung neuer Haubitzen frei sein wird, treten auch all die Unternehmungen südwärts in ein neues Stadium. Diese werden die Engländer mit allen Kräften zu unterbinden trachten müssen und das ist bequem nur möglich in der cilicischen Ebene, wo die Bahn nicht allzuweit von der Küste entlang läuft. Dort sind also für den Winter neue Kämpfe zu erwarten. Das Gelände dort ist zur Verteidi-gung nicht so günstig, wie auf Gallipoli, indes sind dann auch die Hilfsmittel der Türken wesentlich vermehrt, so daß nach den bisherigen Erfahrungen der Erfolg auch dort nicht von allzu großer Bedeutung sein wird, wenn man auch die Landungsmöglichkeit nicht ganz wird bestreiten können.
Aber mit der wachsenden Kühle gegen den Winter zu wird man auch mit einer vermehrten Tätigkeit der Engländer im Irak rechnen müssen, und bei dem Wankelmut der dortigen Araberstämme und ihrer Feindschaft gegen die Türken wird man allerlei Erfolge der englisch-indischen Truppen mit in Kauf nehmen müssen, wenn nicht, wie schon oben empfohlen, ein energischer Abwehrfeldzug dorthin in die Wege geleitet wird. Denn daß die Türken mit ihren Truppen – 9 Bataillone – ernstlich etwas ausrichten könnten, ist wohl ausgeschlossen, zumal es dort auch artilleristisch an allem und jedem mangelt.
Ein energischer Angriff der Russen im Kaukasus dürfte von den Türken dort wohl kaum abgewehrt werden können. Ob es aber dazu kommt und Nikolai nicht vielmehr seine Tätigkeit auf politisches Gebiet erstrecken wird, steht ja nochvöllig dahin. Jedenfalls würde er noch umfassender Vorbereitungen bedürfen, über die es Winter wird, und der kaukasische Winter ist recht unangenehm.
So rosig nach allem nun die äußere militärische Lage aussieht, so befriedigend scheint nach allem auch die politische Konstellation zu sein. In erster Linie interessiert ja das Verhältnis zu Bulgarien, dessen Klärung unendliche Schwierigkeiten gemacht hat. Wie oft sind nicht die Unterhändler ohne jeden Erfolg auseinander gereist, wie oft wurde nicht die Einigkeit mündlich erzielt und gefeiert und in alle Welt hinaus posaunt, immer stellte sich dann noch im allerletzten Augenblicke heraus, daß die Bulgaren irgend etwas anders auslegen wollten und die Unterzeichnung der fertig paraphierten Verträge von dieser Auslegung abhängig machen wollten. Schon vor vier Wochen ging die Nachricht an die Leiter an die Dardanellen: der Vertrag mit Bulgarien soll geschlossen sein; wir schreiben soll nur, weil wir die Unterschrift nicht mit eigenen Augen gesehen haben! Und wie richtig war noch ein jedes Mal diese Reserve!
Darüber dürfen wir uns ja keinen Täuschungen hingeben: das bulgarische Volk ist slawophil und daher steht es mit ganzem Herzen auf Seite der Russen. Aber der Bulgare ist zu nahe dem eigentlichen Orient, als daß er allein des Herzens Stimme folgte. Auch das russische Gold hat auch noch in der letzten Zeit ganz nachdrücklich gewirkt. Es kam hinzu, daß es unserem diplomatischen Vertreter nicht gelingen wollte, sich mit der sehr deutsch-freundlichen Königin zu stellen, so daß schließlich Not am Mann war und die Sache anfing, ein sehr unfreundliches Angesicht zu bekommen.
Der Grund ist ziemlich klar: Es war eine sehr tief gehende Verstimmung und ein weitgehendes Mißtrauen des Königs gegen die deutsche Politik, insbesondere gegen den Kaiser. Nicht ganz mit Unrecht vielleicht. Ist doch noch in allzu frischer Erinnerung aller hier unten die Art, wie der Kaiser im letzten Moment der Friedensverhandlungen in Bukarest, den Bulgaren Kavalla nahm und den Griechen gab. In die gleiche Zeit fiel damals die Überreichung des Marschallstabes an den König von Griechenland auf dem Potsdamer Bahnhof und die erste Verstimmung des griechischen Königs mit seinem Minister. Es bestand wohl damals bei dem Kaiser die Absicht, fortan griechische Politik zu machen, also türkenfeindliche und gleichzeitig auch auf Kosten der Bulgaren. Es ist wohl eines der Hauptverdienste Wangenheims, daß er gegen eine solche Politik energisch Front machte, selbst auf die Gefahr hin, sich die Allerhöchste Ungnade zuzuziehen.- Die Bulgaren aber hat diese Politik tief verstimmt, und es gab kaum eine Möglichkeit, den Zaren Ferdinand von der Ehrlichkeit der deutschen Absich-ten zu überzeugen. Ich glaube auch fest, daß das auch jetzt noch nicht gelungen ist. Wenn wir doch allerlei Erfolge in der letzten Zeit, dank des Eingreifens des Herzogs von Mecklenburg erzielen konnten, so beruht das wohl vor allem darauf, daß der König der Bulgaren eben den englischen Absichten und ihrer Verbündeten ein noch größeres Mißtrauen entgegen bringt und, tief verstimmt über die Politik der Alliierten, die ihm und sein Land in den letzten Jahren systematisch und mit unverkennbarer Absicht von Westeuropa abgeschlossen haben. Bestellte Bulgarien in Deutschland Eisenbahnmaterial, so blieb es aus unaufgeklärten Gründen in Serbien oder in Rumänien liegen. Geschütze von Schneider-Creusot gingen nicht aus Marseille ab, oder blieben in Saloniki. Kruppkanonen ging es wie den Eisenbahnschienen. Das ist wohl der Hauptgrund für unseren Erfolg.
Worin dieser eigentlich besteht, wäre ich in Verlegenheit zu sagen. Die nächste Zukunft muß es ja zeigen. Alles in allem aber bin ich doch der Ansicht, daß ein möglichst großes Bulgarien die Orientpolitik für uns wesentlich vereinfacht, wobei ich allerdings voraussetze, daß mit Bulgarien eine Art traditioneller Freundschaft gepflogen werde, die vor allem in weitgehenden gegenseitigen wirtschaftlichen Zugeständnissen ihren Ausdruck findet, z. B. in Bulgarien einzuräumenden Vorzugszöllen. Die bulgarische Gegenleistung könnte in Transiterleichterungen bestehen oder auch nur in rein politischen Vergünstigungen, wie z. B. in einem Bündnisvertrage auf eben dieser wirtschaftlichen Grundlage. Die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten haben sich noch immer, vor allem aber in diesem Kriege, als den besten politischen Kitt erwiesen.
In diesem Zusammenhange wird es Dich interessieren, daß Liese und ich neulich in Therapia Zeuge wurden des erzielten Einvernehmens mit Bulgarien. Bei der Botschafterin versammel-ten sich neben niederen Sternen der Fürst Hohenlohe, Markgraf Pallvicini und der bulgarische Gesandte nebst Familie. Insbesondere diese letztere wurden mit besonderer Auszeichnung empfangen. Die Kinder durften auf zahlreichen Eseln reiten und in schönen Wagen im Parke spazieren fahren, immerhin ein pikantes Vergnügen und selten, wenn man bedenkt, daß Therapia durchaus im Bereiche der Fahrten der russischen Wasserflugzeuge liegt und ständig Fliegerwacht gehalten wird. Die bulgarischen Exzellenzen sahen eigentlich so aus, als ob sie nicht so schnell an all das Schöne glauben wollten.
Über das Verhältnis zu Griechenland kann ich Dir herzlich wenig sagen. Es steht ja auch zur Zeit nicht im Vordergrunde des Interesses4. Mit der Tatsache, daß Griechenland ständig Kriegsmaterial für Serbien und Rußland über Saloniki durchläßt, müssen wir uns abfinden, dürfen ihm nicht einmal allzusehr grollen; denn es befindet sich eben in gar sehr übler Lage. Indes vielleicht läßt sich dieser Umstand bei der endgültigen Neuordnung der Dinge auf dem Balkan zu Gunsten Bulgariens verwerten. Bemerkenswert ist immerhin, daß dem bulgari-schen Haß aus Anlaß der erzwungenen Abtretung von Kavalla keineswegs eine entsprechende Zuneigung auf Seiten Griechenlands gegenüber steht, obschon man auch dort nicht ableugnet, diesen Erwerb ausschließlich dem Kaiser zu verdanken. Auch in Griechenland scheint ein gewisser Zwiespalt zu bestehen zwischen den Neigungen der Krone und dem Volke mit dem Unterschiede gegenüber Bulgarien, daß hier die Minister mit der Krone, dort aber gegen den König gehen. Den Anschluß aber hat Veniselos doch endgültig verpaßt. Wir brauchen darüber nicht zu klagen und, ich glaube, Griechenland auch nicht, jedenfalls im Endergebnis so wie es sich jetzt stellt.
Die sonstige Politik interessiert nicht in diesem Zusammenhange. Rumänien usw. ist in erster Linie deutsche und nicht türkische Politik.
Über die Beziehungen (der Türkei) zu Deutschland möchte ich mich noch am Schluß verbreiten. Das Problem ist recht verwickelt und wird es eigentlich von Stunde zu Stunde mehr.
Im Vordergrunde des Interesses stand in den letzten Wochen die armenische Frage, wohl das wichtigste der inneren Politik, die der Krieg gezeitigt hat. Das Interesse hat inzwischen nachgelassen. Die Frage hat aufgehört zu existieren. Alles Interesse wäre ja auch nicht im Stande gewesen, die Hunderttausende wieder ins Leben zu rufen, die türkische Blindheit, Unfähigkeit und Habsucht ums Leben gebracht. Noch sind ja nicht alle Einzel-heiten dieser schrecklichsten Christenverfolgung aller Zeiten, für die wir unseren guten deutschen Namen herleihen mußten, bekannt, und verfrüht scheint es, etwa ein abschließen-des Urteil über Grund und Täter fällen zu wollen, auch die Zusammenhänge sind nicht im Einzelnen klar. Meine in einem meiner letzten Briefe ausgesprochene Hoffnung, daß das Übel sich auf die der europäischen Zivilisation ferner liegenden Gebiete beschränken, würde, daß insbesondere die unserer Bahn benachbarten Gebiete verschont bleiben würden, hat sich nicht erfüllt. Ja, die Türken haben sich nicht gescheut, sogar aus der Hauptstadt eine ganze Reihe von Armeniern abzuschieben, natürlich die wirtschaftlich Schwachen und die Armen, deren Notschreie ungehört verhallen mußten. Das ganze Elend lagert nun an unserer Bahn entlang. Die im Süden wohnenden Armenier werden nach dem Norden, die im Norden wohnenden nach Süden gefahren, d.h. natürlich nur, wenn die Behörden das Fahrgeld erschwingen
können, was ihnen, trotzdem sie das Vermögen der Unglücklichen in freigebigster Weise beschlagnahmen, nur in seltenen Fällen gelingt. So liegt der ganze Jammer Wochen und Wochen an unserer Bahn. Allein dabei handelt es sich um nahezu 200 000 Seelen. Diese Zahl läßt entsetzliche Schlüsse auf das zu, was fern von Bahn und Kultur geschehen ist. Nur ein ganz geringer Bruchteil der Unglücklichen, die einmal auf den Schub gebracht worden sind, dürften mit dem Leben davonkommen. Wo Reisestrapazen nicht helfen, hilft eine kurze Wanderung durch die Quelländer des Euphrat mit ihrer kurdischen Bevölkerung oder die vulkanische Wüste am Ararat oder im Sinai, die ohne jede Subsistenzmittel sind.
Immerhin müssen wir festhalten, schon jetzt, daß das ganze Unwesen ausgegangen ist eben von den Armeniern. Wenn die Türken im kaukasischen Feldzug nahezu 90 000 Mann verloren haben, wenn der Lebensmittelnachschub nach Ägypten durch die Zerstörung der Bahn nach Alexandrette erschwert worden ist, so geht das alles zu Lasten der Armenier oder wenigstens ein gut Teil davon. Auch an Scheußlichkeiten haben die fanatisierten Armenier im äußersten Osten nichts zu wünschen übrig gelassen. Es mag den Türken also hingehen, daß sie dort in den direkt gefährdeten Provinzen Feuer und Schwert haben walten lassen, einschließlich auch den Zypern gegenüber liegenden Küsten.
Aber was weiter geschehen ist, geht über alles Menschliche hinaus. Es ist auch sehr unklug und unwirtschaftlich. So sind mir z.B. Fälle bekannt, wo sich in größeren Städten am Morgen nach der armenischen Ausweisung herausstellte, daß auch nicht ein einziger Bäcker unter den verbliebenen Muhammedanern war. Aber solche Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Das ganze Gesicht von Anatolien ist anders geworden. Hinfort wird man auf seinen Reisen nicht mehr damit rechnen können, in europäischen Hotels unterzukommen, oder in bequemen Wagen zu fahren, sondern wird sich hinfort mit den landesüblichen Hans und Jailis begnügen müssen. In den Dörfern findet man nicht mehr einen geschickten Schmied, der die zerbrochene Achse ausbessert oder einen Sattler, der den zerrissenen Steigbügel flickt.
Vernichtend aber wirkt diese Menschen- und Wertezerstörung auf die Steuerkraft und damit auf die Kreditwürdigkeit des Landes. Alle bisherigen Angaben über Steuererträgnisse einer Provinz usw. haben jeden Wert verloren, und damit die Sicherheit aller der Pfänder, die die türkischen Anleihen decken sollen.
Einschalten möchte ich nur noch, daß die ganze Verfolgung sich richtet fast ausschließlich gegen die orthodoxen Armenier, die wohl auch den Hauptherd der Widersetzlichkeit gebildet haben. Die freilich nur geringe Zahl der römisch-katholischen und protestantischen Armenier ist unbehelligt geblieben. Ebenso die Griechen. Der Ausdruck Christenverfolgung ist also nur cum grano salis zu verstehen. Auch ist es uns z. B. gelungen, freilich nur mit unsäglichen Mühen, unser zahlreiches armenisches Personal und ihre Familien zu retten, aber das auch nur mit Rücksicht auf die Mobilisation der Bahnen und nur solange dies dauert.
Daß es auch von armenischer Seite in der Verzweiflung zu mancher Gewalttat gekommen ist, ist nur begreiflich.
Was ist nun gegen diese Greuel von deutscher Seite unternommen? Gewiß hat man das nicht ruhig mit angesehen, zumal auch sehr große deutsche pekuniäre Interessen auf dem Spiel standen. Es sind Noten in schärfster Tonart an die Türkei ergangen. Ein Weißbuch wird darüber wohl demnächst nähere Belehrung geben. Aber das alles war völlig erfolglos, und zwar aus zwei Gründen, einmal wegen der engen Beziehungen Deutschlands mit der Türkei, die es ihm unmöglich machten, wirklich scharfe Seiten aufzuziehen; darüber weiter unten. Dann aber auch, weil die Leiter in Konstantinopel einfach die Herrschaft über die Bewegung verloren. Anfangs wollten sie wohl nicht und ließen den entfesselten Leidenschaften nur allzu gern ihren Lauf. Allmählich aber wurde auch ihnen bei der Sache gruselig. Insbesondere Djavid, früherer Finanzminister, der bei seiner Rückkehr aus Berlin die Geschichte fertig vorfand, soll sehr gejammert haben über den zerstörten Staatshaushalt. Da aber war es zu spät geworden. Die halb unabhängigen Provinzkönige parierten nicht mehr Order, Depeschen verschwanden, wurden falsch übermittelt oder falsch ausgelegt. Insbesondere wir wissen ein Lied davon zu singen. Niemals wollte man in Aleppo so wie in Adana oder in Konstantinopel gar. Und schließlich lehnte sich noch ein jedes Saträplein, ein jeder Kaimakam auf, und es ist kein Absehens mehr. Daß dabei natürlich unter anderem auch pekuniäre Gesichtspunkte mitspielten, möchte ich nur angedeutet haben. Es versteht sich für jeden, der den Orient wirklich kennt, eigentlich von selbst.
Nein, die einzige Macht, die hätte helfen können, wenn sie gewollt hätte, wären die Vereinig-ten Staaten gewesen. Aber die Botschaft erhielt Anweisung, zwar christliche Untertanen der Türkei zu schützen, aber nur insoweit solches ohne politische Konflikte möglich sei; also etwa das, was bisher unsere Auslandsvertreter auf den Weg mitzubekommen pflegten. Was dabei herauskommt, ist ja bekannt.
Angesichts dieser Lage der inneren Verwaltung ist es denn auch nicht verwunderlich, daß die Türkei sich in einer der schwersten finanziellen Krisen befindet, die sie je hat durchmachen müssen.
Die von Deutschland geleisteten Subsidien sind den türkischen Machthabern durch die Finger gegangen, sie wissen selber wohl kaum wie. Gedacht waren diese Goldsendungen als Dek-kung für eine Notenausgabe. Man dachte nach europäischem Muster an eine Dritteldeckung. Aber das Problem ist viel verwickelter. Denn womit sollten wohl die anderen beiden Drittel gedeckt werden? Durch Wechsel? In einem Lande, wo es keine zuverlässige Rechtsprechung, geschweige denn ein ausreichend summarisches Wechselprozeßverfahren gibt, wo die Sicherheit der Firmen und ihrer Wechsel keinen Vergleich mit europäischen Ländern gestattet, schon weil die Auffassungen über Treu und Glauben alles und jedes zu wünschen übrig lassen, wo endlich die Masse der Wechsel völlig unzureichend ist, zumal jetzt im Krieg, um darauf irgendwelche Finanztransaktionen von Bedeutung stützen zu können.
Man hat dann zu dem Ausweg gegriffen, daß man Gold an neutraler Stelle legte und dagegen Noten ausgab, Goldzertifikate also der Dette Publique, die sich als internationales Institut noch des größten Vertrauens erfreut.
Aber das alles sind ja Tropfen auf einen heißen Stein. Das, ich glaube von DjavidBej geprägte Bonmot, die Türkei könne ihren Krieg am billigsten führen, ist natürlich Unsinn und es ist sehr bedauerlich, daß man es in Deutschland nachgeschwatzt hat. Solange natürlich, als noch Waren im Lande waren, als man den Bauern und den heimischen und verbündeten Kaufleuten nehmen konnte, was sie hatten, solange man in Deutschland und Österreich-Ungarn Dumme fand, die Waren lieferten, ja solange kann man natürlich einen Krieg billig führen; denn bezahlt wurden weder die einen noch die andern und die diplomatischen Vertreter der verbündeten Mächte sahen diesem schamlosen Treiben tatenlos zu, mußten es vielleicht. In ganz großen Verlegenheiten half dann das oft angewandte Hilfsmittel, daß man irgend welche Dinge requirierte, die man überhaupt nicht brauchen konnte und sie so schnell wie möglich wieder ans Ausland, Bulgarien oder Griechenland, gegen Barzahlung verkaufte, um sich so einiges Geld zu verschaffen. Es versteht sich, daß dabei auch die Verbündeten mit den eigenen Untertanen durchaus gleich behandelt werden.
Der Erfolg ist denn auch nicht ausgeblieben. Im Lande zirkuliert überall recht reichlich Gold, die Regierung aber hat nichts. Nicht einmal so viel, um ihre Truppen und Offiziere ausreichend zu bezahlen. So hat es denn neulich an den Dardanellen einige Mißstimmigkeiten gegeben eben infolge nicht ausreichender Bezahlung der Soldaten – und das will etwas heißen bei der hiesigen lammfrommen Bevölkerung, die gewöhnt ist, daß ihre Regierung viele Monate im Rückstand ist mit dem, was sie schuldet. Darauf erging dann an Deutschland die sehr energische und m.E. angemessene Forderung auf Zahlung ausreichender Subsidien.
In Deutschland griff man zunächst wieder den Plan einer türkischen Papiergeldausgabe auf. Dazu waren natürlich einige gesetzliche Änderungen nötig; denn die Banque ImpérialeOttomane ist ja eigentlich ein französisches Institut und in ihrem Statut wegen Papiergeldausgaben stark beschränkt. Als man also dazu übergehen wollte, diese Bank ihrer Privilegien zu berauben und eine richtige Staatsbank nach deutschen Vorschlägen zu gründen, stellte sich heraus, daß Djavid Bej inzwischen eine Konzession auf eine solche genommen hatte, Djavid Bej, der im Beginne des Krieges offen erklärt hat, er betrachte es als eine seiner vornehmsten Aufgaben, den Franzosen das Bett warmzuhalten. Man munkelt, diese Vorliebe stamme daher, daß ihm die von Frankreich aus der bekannten in Frankreich abgeschlossenen letzten großen türkischen Anleihe zukommende Provision noch nicht ausgezahlt, sondern nur gut-gebracht worden sei. Aber das mag auch falsch sein. Jedenfalls ist er neben einem bedeutendem Finanzmann, wohl dem einzigsten, den die Türken wirklich haben, auch ein erklärter Feind Deutschlands. Er legt sich quer, wo er kann, und man läßt sich das in Berlin bisher gefallen, muß es sich vielleicht gefallen lassen.
Damit komme ich aber nun zu einem der traurigsten Kapitel der hiesigen Lage: das ist die von oben bis unten herrschende Korruption, die geradezu ungeheuerliche Formen annimmt. Ein jeder an irgendeiner Stelle, wo er etwas zu sagen hat, macht aus seinem Amt ein Geschäft teils für die eigenen Taschen, teils für die Komiteekasse, zu irgendwelchen Dingen, die man in Deutschland als Reptilienfonds und Verwandtes bezeichnen würde. Das verteuert natürlich die Volkswirtschaft ins ungemessene und zeitigt Erscheinungen, daß z.B. im Inneren an unserer Bahn selbst erhebliche Getreidevorräte liegen und daß doch aus Bulgarien Getreide und Mehl nach Konstantinopel gebracht werden muß, weil die Bevölkerung darbt. Waggons erhält man nämlich nur durch Vermittlung eines Intendanturoffiziers, bei dem die Anweisung einen bestimmten nicht unerheblichen und je nach Geschäftslage variierenden Satz kostet. Die Beispiele könnte ich mühelos verzehnfachen! Einzelpersonen und ganze Verwaltungs-zweige wetteifern darin.
Kurz, das gegenwärtige Regierungssystem ist durch und durch faul mit allen den großen und kleinen Leuten, die daran hangen. Die Anhänger des Regimes können denn auch ihr Haupt stolzer tragen, denn je. Das was jetzt geschieht, unterscheidet sich in nichts von dem, was früher war.
Auf dieser Basis versteht man denn auch ziemlich die gegenwärtigen deutsch-türkischen Beziehungen. Leider bin ich nicht in der Lage darüber eben so ausführlich berichten zu können, wie über die oben behandelten Fragen. Ich weiß darüber zuviel in amtlicher Eigenschaft. Als Charakteristika möchte ich daher nur zwei Momente herausheben:
Als vor einigen Wochen die deutsche Presse dem türkischen Bundesgenossen Mut zusprach aus Anlaß der italienischen Kriegserklärung, da schrieb die türkische Presse mehrfach: der Trostsprüchlein habe man nun genug gehört, Taten begehre man zu sehen.
Als dann am 20. v(origen) M(onats) an der Save und der Donau die ersten deutschen Kanonenschüsse fielen, da ging der Korrespondent einer deutschen Zeitung hier zu den türkischen Ministern, um ihre Meinung über diesen bedeutsamen Abschnitt zu hören und erhielt an maßgebendster Stelle zur Antwort: Neuer Abschnitt? Wieso? Nun ist es ja gewiß sehr nützlich für Deutschland, wenn es dem österreichischen Verbündeten den Rücken frei machen kann. Uns? Uns geht das doch nichts an! Hilfstruppen an die Dardanellen? Nein, die brauchen wir wahrlich nicht. Nur die schwere Artillerie freilich, die uns Deutschland am Anfange des Krieges fest versprochen hat, ja, da wäre es vielleicht nützlich, wenn Deutschland endlich mal sein Versprechen wahr machte.
Über die Behandlung, die deutschen Untertanen hier vorzugsweise zu Teil wird, habe ich mich bereits weiter oben ausgelassen. Es genügt vielleicht noch hinzuzufügen, daß den Eng-ländern und Franzosen und ihrem Eigentume in Smyrna z. B. auch nicht ein Haar gekrümmt worden ist. Den Deutschen requirierte man den letzten Klepper aus dem Stalle, die Direktoren der englischen Banken können noch heute vierspännig fahren.
Es kann einem wahrhaftig leid, bitter leid tun um das schöne reiche Land und seine arbeit-same, bescheidene und tapfere Bevölkerung.
Herr Dr. Jaeckh5 ist jetzt hier. Es wird wieder fleißig in deutsch-türkischer Freundschaft gemacht. Freilich hat man sich allerseits angelegen sein lassen, insbesondere auch an der Bot-schaft, ihm recht reinen Wein einzuschenken, im Sinne etwa des vorliegenden Schreibens, und manche seiner rosigen Wölklein hat er denn auch heruntergeholt. Vielleicht läßt sich mit dem, was nachbleibt, erfolgreich arbeite. Die nächste Zukunft wird es zeigen. Denn lange geht es hier nicht mehr gut., deutsch-türkisch, ohne die eiserne Faust. Gar mancher von den ganz großen und begabten Führern der Jungtürken ist mit uns darin einig.
Verstehende Zeilen, die niederzuschreiben ich natürlich viele Tage gebraucht habe, kann ich heute, am 3. Oktober nun noch durch ein persönliches Erlebnis ergänzen.
Mit Liese war ich unlängst im Inneren, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Von Ada-Basar fuhren wir auf einsamen Landwegen durch prächtige Eichenwaldungen in die Berge hinauf nach einem einsamen alten Armenierkloster Armasch, einem uralten armenischen Heiligtum der armenischen orthodoxen Kirche mit einer berühmten Bibliothek. Je mehr wir uns der armenischen Siedlung näherten, um so kultivierter wurde das Land. Die letzte halbe Stunde führte durch üppige Maisfelder, Weinberge und Tabakpflanzungen. Dann kam das Dorf, völlig tot. In einigen wenigen Häusern noch ein paar Frauen und kleine Kinder, etwa 40 alles in allem, auch diese schon beim Zusammenpacken. Auf dem Platz vor dem mächtigen Kloster mit großer Kuppelkirche einige uralte Männer, die unter der Aufsicht von einem Dutzend türkischen Gendarmen, die letzten Ochsen vor die letzten Wagen spannten. Es ging alles sehr ruhig ab. Selten hörte man Scheltworte. Die Frauen weinten, die Kinder waren herzlich unbekümmert, aus den Augen der wenigen Männer trafen uns, die Deutschen, die all dies Elend gewollt und veranlaßt haben, so wird es ihnen ja eingeredet, haßerfüllte Blicke. Von den Türken aber wurden wir in das Karakol geleitet und dort zwar sehr höflich, aber bestimmt in den Garten gesperrt. Zwei Posten vor die Türe und drin waren wir. Sorgfältig hatte ich nämlich eine Anmarschstraße gewählt, wo kein Telegraph unsere bevorstehende Ankunft anmelden konnte. Dann kam der Herr Müdir. Auch er war sehr höflich, stellte sich und sein Haus zur Verfügung. Aus dem Garten durften wir aber zunächst nicht heraus. Allmählich aber gelang es, daß Mißtrauen der Potentaten zu überkommen, dieses unter anderem auch durch Überreichung einer türkischen Schilderung der letzten Hindenburgsiege, und wir durften uns also im Dorfe bewegen, freilich ständig unter starker Bedeckung. Der Müdir entschuldigte sich, er habe schrecklich viel zu tun mit diesen verd … Armeniern, zu unserer weiteren Gesellschaft blieb nur der neueingesetzte Imam. In dem ganzen reichen Dorfe fand sich an Essen nur etwas Käse und Kaffee und ein wenig Brot. Glücklicherweise hatten wir Vorsorge getroffen. Als ich um einige Trauben bat, wurde mir erklärt, Trauben pflückte man nicht, es sei zu weit. Dabei ist das ganze Dorf von Weinbergen umgeben und die Traubenernte gerade dieses Jahr unerhört reich. So verkam die reiche Siedlung. Noch waren die letzten Bewohner nicht vertrieben, noch standen die Gassen, die Gestelle mit den frisch gepflückten Tabakblättern, die diese arbeitsamen Frauen und Kinder, während die Männer sich an den Dardanellen schlagen oder schon längst ausgewiesen worden sind, noch bis in die letzten Stunden vor ihrer Vertreibung aufgebaut hatten, und schon war es den Nachfolgern zu weit, die Trauben auch nur zu pflücken.
So verschwindet wieder eines der ältesten Kulturvölker von der Bildfläche und muß dem Unverstand der herrschenden Rasse weichen, gegen die es sich durch Jahrhunderte hat durchsetzen können.6
1 Die Bagdad-Bahn von Konya (Südtürkei) nach Bagdad (Irak) und weiter nach Basra ist die Fortsetzung der türkischen Anatolischen Bahn und wurde zwischen 1903 und 1940 (!) unter Mitwirkung deutscher Ingenieure und deutschen Kapitals gebaut.
3 Die Provinz Adana befindet sich in der SO-Türkei am Mittelmeer, noch heute starke Baumwollproduktion und-verarbeitung; Baustoff- und Nahrungsmittelindustrie; Kraftwerk am Seyhan; Universität seit 1973. Die Seyhan ist 560 km lang, entspringt im inneren Osttaurusgebirge, wird vor Adana aufgestaut für das Kraftwerk und fließt bei der Stadt Adana ins Meer.
4 Anmerkung des Verfassers: Das stimmt heute, am 4.X. freilich nicht mehr: Truppenbewegungen in Saloniki.
5 Vgl. die Korrespondenz mit der Deutsch-Türkischen Vereinigung.
6 Der Verfasser ist wohl in Botschafts-, evtl. auch in Wirtschaftskreisen zu vermuten.
35. C.H.Becker an Fritz Sell Berlin, Continental Hotel, 4.1.1915
Mein lieber Fritz!
Ich darf wohl diese familiäre Anrede gebrauchen, wenn ich Ihnen zum ersten Male zum Geburtstag schreibe. Selbst in der Fülle meines Reisedaseins mit den stündlich wechselnden bunten Eindrücken will ich mir ein par Minuten ersparen, um an den 6.ten zu denken und Ihnen im Geiste herzlich die Hand zu drücken. Das alte Jahr hat für Sie so schwer und traurig abgeschlossen, daß man von dem für Sie so wichtigen neuen Lebensjahr einen sonnigen Einschlag erhoffen möchte. Das Jahr wird Ihnen den Abschluß Ihrer Studien bringen. Damit hört eine der schönsten Lebensperioden auf. Aber Sie werden Ihre jugendliche Frische mit hinübernehmen. Möge Sie Ihnen so lange erhalten bleiben wie Ihrem Vater. Ich habe noch manch andere Wünsche für Sie auf dem Herzen, Sie kennen diese ja. Wir werden ja noch oft davon reden, nach dem der Bann einmal gebrochen ist und nachdem wir uns persönlich nahe getreten sind. Haben Sie nur immer Vertrauen zu mir. Ich setze es in Sie. Und möge unserer Freundschaft alles Konventionelle fern bleiben. Das Schönste ist dabei doch immer die innere Selbstverständlichkeit, die das Gehen lassen ebenso erleichtert wie die ausgesprochene Wahrheit. Und damit alles Gute und einen festen Händedruck!
Meine Reise hat sich bisher sehr gelohnt. Man hört hier doch recht viel, das nicht in den Zeitungen steht, freilich nicht nur Erfreuliches. Einiges werde ich Ihnen mündlich erzählen oder andeuten können. Auch wissenschaftlich war mein hiesiger Aufenthalt nicht ohne Ertrag. Denken Sie, daß ich einen Vertrag aus Nubien in die Hände bekam vom (Jahr) 1320, also gerade aus den Jahren seiner Eroberung durch die Araber und der Vertrag spiegelt deutlich die Verhältnisse wider, die ich Ihnen aus literarischen Quellen im Colleg dargelegt habe. Ein merkwürdiger Zufall. Es gibt sonst gar keine Urkunden aus dieser Zeit.
Morgen gehe ich nach Hamburg, wo es auch wieder viel Neues geben wird.
Empfehlen Sie mich Ihrer verehrten Mutter und grüßen Sie unseren Freund Rohde, den ich leider nicht mehr sah.
In herzlicher Zuneigung Ihr getreuer CHBecker
36. C.H.Becker an Fritz Sell. Frankfurt am Main, 10.9.1915
(Vorangestellt ist eine Collage aus einer Zeitung:
Möbl. Wohnung
4 Zimmer und Küche zu mieten gesucht.
F. Sell, Drachenfelsstr.12)1 Fritz, mein Fritz, wie soll ich deuten
Die Annonce von den Leuten?—
Hält Dich meine Frau zu knapp?
Hält sie Dich zu sehr in Trab?
Ist das Essen Dir zu minder?
Chikanieren Dich die Kinder,
Mädchennot und Hauspalaver?
Oder – sticht Dich bloß der Hafer?—
Oder ist es gar die Wohnung,
Die zu ihrer Nerven Schonung
Meiner Gattin dar sich bot
Von der Domestikennot?
Fritz, ich denke Spielmannslieder
Treibst in Bonn Du, schlicht und bieder.
Spielmannssitten, Styl Bohème
Wäre mir weniger bequem.
Muß ich Dir die Freundschaft künd’gen,
Gar gerichtlich Dich entmünd’gen?
Soll die Kur ich unterbrechen,
Meines Hauses Ehre rächen?—-
Oder gibt es einer alten
Tante oder Anverwandten?
Der mit Pietät und Rührung
Du geliehen kund’ge Führung,
Daß sie, wenn schon einmal da,
Eurem Haus nicht allzu nah?
Oder gibt’s, sie zu erreichen
Und ein wenig erbzuschleichen?—
Doch ich rege mich nicht auf,
Laß den Dingen ihren Lauf.
Werde lieber fett und fetter
Und genieß das schöne Wetter.
Und ich sag wie Wallenstein:
Max, laß diese Possen sein!
Sei’, wie auch sei, sei’s Ernst sei’s Witz:
Bleib bei mir, geh’ nicht von mir, Fritz!
CHB
37. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin, 9.8.1916
Lieber Fritz!
11 Uhr Abends. Zwei Kondolenzbriefe gerade beendigt, der prachtvolle junge meines Hamburger Freundes und Collegen Franke und der treffliche Diener meiner Mutter, der mit seiner Frau im Haus bei uns wohnte. Etwas Furchtbares ist doch dieser Krieg! Ich mag so nicht den Tag beschließen. So wende ich mich in Gedanken zu Dir, der Du mir ja in Person so oft wohlgetan hast, wenn, nun ja, wenn ich es eben gebraucht habe. Dein Brief hat mich gefreut. Ich hoffe fast, daß Du mich hie und da einmal vermißt hast. Gelitten wirst Du nicht darunter haben. (Randbemerkung Beckers: Logikschreck!) Um so mehr freut mich, daß es sich mit Curtius gut gemacht hat. Auch aus seinen Briefen sprach das. Er ist mir überhaupt in seinen schriftlichen Äußerungen sehr sympathisch gewesen. Ein erlebtes Interesse wirkt oft stärker als eine herbe Kritik. Smend ist dagegen vor meinen Blicken verschwunden. Ich bat ihn schriftlich um etwas, doch hat er sich vor Beantwortung offenbar auf seine Jagd zurück-gezogen.
Von unserem Wohnungsprozeß hast Du gehört. Es ist trostlos. Dabei habe ich einfach keine Zeit, mich darum zu kümmern. Ich habe enorm zu tun. Eigentlich alles ist interessant. Umschalten muß man allerdings lernen. Nimm nur mal einen Normaltag wie heute:
Vor ½ 10 Uhr im Amt, ein Stoß Briefe,
Diktieren von Antworten,
5 Telefongespräche
auch eines privat, Ordinarius aus dem Feld,
Vorbereitung einiger Vorträge beim Minister usw.
Dann kombinierter Vortrag beim Minister mit Fritz Trendelenburg im Beisein des Unterstaatssekretärs und des Ministerialdirektors über Ethnologisches Institut,
Deutscher Kunstbesitz im feindlichen Ausland,
Auslandstudien – ich soll Denkschrift für den Landtag machen.
Um 1 Uhr fertig, Unterschriften.
Besuch eines juristischen Ordinarius. Der sich mit seiner Fakultät verkracht hat und beinahe in Thränen ausbricht.
Um 2 Uhr entschlüpfe ich mühsam zum Essen, treffe dort Ernst Trendelenburg, mit dem sehr interessante politische Unterhaltung.
Um ½ 4 Uhr empfange ich einen Abgesandten der bulgarischen Gesandtschaft, Sondierung wegen Semesteranrechnung; etwa eine Stunde französische Darlegung unserer Prüfungsverhältnisse;
Besuch eines durchreisenden Ordinarius der Chemie mit allerlei Anträgen und Wünschen.
Empfang eines Pressevertreters über die neuen Berufungen.
Zwei Aktenberge mit ca. 50 Unterschriften.
Langes Telefon über die neuen klimatolog(ischen) Stationen in der Türkei. (Morgen Abend bin ich mit dem Türkischen Landwirtschaftsminister im kleinsten Kreise eingeladen.)
Abendessen mit drei auswärtigen Orientalisten, Gang durch den Tiergarten,
Telefon mit Bonn und dann wie eingangs.
So geht es alle Tage. Gestern kam ich erst um 12 Uhr nachts nach Hause. Der August ist besonders schlimm. Im September wird es besser. Ich wachse mich in mein Amt ein und ich glaube, man ist ganz zufrieden mit mir. Im Amt, aber auch draußen. Ich habe schon zahlreiche Dankbriefe erhalten. In Bonn habe ich in das Chaos der jurist(ischen) Fakultät ziemlich ener-gisch eingegriffen. Ich hoffe, daß man allseits zufrieden war. Persönlich bleibt alles liegen. Jetzt drängt das Nachwort auf meinen Freund Mestsack (?recht unleserlich. BB). Aber ich habe einfach keine Sammlung dazu. Morgen gehen die Meinen nach Rothenfelde. Hoffentlich geht das Experiment nach Wunsch.—
Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß solche Briefe nur für Dich sind.
Die Raben der Trennung krächzen. Gute Nacht! Von Herzen Dein Carl.
P.S. Grüße Deine Mutter herzlich. Ich überlasse es Dir, was Du ihr von mir erzählen willst.
38.C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, Schillerstr. 2, 4.1.1918
Mein lieber Fritz!
In Anbetracht Deines bevorstehenden Geburtstages habe ich Dir nicht mehr zum Jahreswechsel geschrieben. Nimm heute Dank für Dein treues Gedenken und zugleich unsere besten Wünsche zu dem Beginn Deines bürgerlichen und menschlichen Jahres. Wir denken Dein in herzlicher, brüderlicher Freundschaft. Du wirst uns auch als Studienreferendar nicht lieber als bisher, aber es wird Dir gewiß eine hohe Genugtuung bereiten, Dich demnächst mit diesem schönen Titel schmücken zu dürfen. So legt Dir das Kultusministerium eine prunkende Gabe in die Wiege Deiner Lehrtätigkeit. Es war mir neulich leid, daß ich nicht einmal ausführlich mit Dir über Eure Seminarverhältnisse sprechen konnte. Erst nach Deinem Besuch kam ich hinter die etwas bedenkliche Geschäftsführung, die Wünsche immer gleich für genehmigte Etatposten hält. So mußte ich Deinem Chef etwas gegen den Wagen fahren, ungern gewiß, aber aus einfachem Pflichtgefühl heraus. Natürlich blieb dann auch die Chose an mir hängen, obwohl sie leider nicht zu meinem Referat gehört. Es bleiben leider in letzter Zeit immer mehr Dinge bei mir hängen, die mich nichts angehen, aber mich packt manchmal die sogenannte Initiative, wenn die Dinge im Schlick des Verwaltungsapparates zu versinken drohen. Und dann bleiben meine eigenen großen Sachen liegen. Es ist zum Verzweifeln. Aber ich irre ab. Kehre zum Ausgangspunkt zurück: Möge Dein Leben nicht verschlicken, sondern sich nach Deinem und unseren Wünschen entwickeln. Vor allem wünsche ich Dir die Kraft zu einem schönen Doctor.
Wir hatten ein schönes, stilles Fest. Helli war bezaubern und süß, die Großen schon bewußt und gedämpft. Ich trauerte den akadem(ischen) Weihnachtsferien nach und mußte die liebsten Leute brieflos ausgehen lassen, auch Deine verehrte Mutter, der ich erst heute schreiben werde.
Politisch bin ich mit Kühlmann einverstanden. Es spucken ihm aber so viel Leute in den Brei, daß er sicher verdorben wird. Ludendorff verlangt jetzt die Narewlinie. Es ist schwer möglich, damit den Reichstag zu versöhnen und künftige russische Politik zu machen. Eine Beteiligung Englands an den Verhandlungen würde ich begrüßen. Wie groß Englands Prestige noch ist, sieht man an der Angst unserer Rechtsradikalen. England muß sich ja doch mit uns auseinandersetzen und diese Auseinandersetzung scheint mir nicht schwer. Jedenfalls ist die Annexionslosigkeitsformel politisch richtig. Man muß nur an Kiautschou, Südwest, Bagdad usw. denken, um zu begreifen, wie weit wir auf diesem Wege kommen können. Kühlmann will England mit englischen Waffen schlagen, aber unsere Machtthematiker verderben ihm das Konzept. Auch England hat nie annektiert ohne zu sagen, es sei nur vorübergehend oder im Interesse des anderen usw. usw. Bei Verhandlungen mit Slaven werden Verhandlungen doch immer 2-3 Mal abgebrochen. Siehe Bulgarien. Doch genug davon.
Einen guten Händedruck Dein alter Carl.
39. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 6./7.1.1919
Lieber Fritz!
Du sollst zu Deinem Geburtstag einen guten Gruß haben; denn Du hast das wirklich verdient. Immer wieder hast Du geschrieben und nie eine Antwort erhalten, aber Du mußt uns mit Revolutionsmaßstab messen. Zum Neuen Jahr im doppelten Sinn ein brüderliches Glückauf!
Wer die jetzige Zeit in Berlin als Gebildeter und Outsider erlebt, kommt aus dem Lachen über diese Harlekinade nicht heraus. Als Deutscher kann man sich verzehren vor Scham und Schmerz. Im Ministerium ist die Episode Hoffmann erledigt; es sei denn, daß er bei einem Spartakussieg wiederkommt. Das Possenspiel war toll, gottlob hatte er nur Kirche und Volksschule, während Haenisch alles andere hat. Haenisch ist gut und gibt sich alle Mühe, verständig zu regieren. In den ersten Wochen gab es einen tägl(ichen) Ministerrat unter Zuziehung der pädagog(ischen) Parteigenossen und unter Ausschaltung des Ministeriums. Daher all der Mist. Langsam wurde Haenisch mutiger, er hat zwar von Anfang an nur mitgemacht um Schlimmeres zu verhüten, aber auch er strebte anfangs aus politi(ischen) Gründen nach weithin sichtbaren Taten. Dabei mußte immer alles sofort heraus, noch am Abend in die Presse. Ich selbst fand aber schnell eine gute Position zu Haenisch und darf mich wohl als seinen Vertrauensmann für Hochschulsachen, aber auch für allgem(eine) Ministerialfragen bezeichnen. Ich habe öfters den Vermittler und Berater gespielt. Ich bin ihm gegenüber völlig loyal, aber von rücksichtsloser Kritik und Offenheit. Das ist der einzig mögliche Standpunkt für mich und ihn. All die Herren, soweit sie gebildet sind, sehen jetzt ein, daß man mit Volksversammlungsreden nicht regieren kann und sie seufzen alle unter den ihnen jetzt präsentierten Wechseln. Nur ein köstliches Bespiel: H(aenisch) hatte einem Petenten geschrieben: Wenn ich Kultusminister wäre, sollten Sie gewiß zugelassen werden, aber …; 14 Tage danach war er Kultusminister und nun mußte der Wechsel sofort eingelöst werden.
Viel Arbeit hatte ich bei meinen Bemühungen, die Collegen zu einem Protest gegen Hoffm(ann) zu bekommen. Es waren die kläglichsten Eindrücke von Männerwürde, die ich je erhielt. Ich will das später alles einmal aufschreiben. Ein Satyriker hätte ein Musterstück schaffen können. Bürgerl(iche) oder auch nur kollegiale Solidarität ist eine Chimäre. Schließlich gingen einige mutige Männer mit mir zum Zentralamtsvorsitzenden als „Staatsbürger“, beileibe nicht als „Deputation“. Dort dachte man genauso wie wir.
Nun haben wir seit gestern die 2. Revolution. Sie ist schlimmer als die erste. Man hat die Inszenierung gelernt. Dabei kommen Rudimente längst vergangener primitiver Zeiten zum Durchbruch. Der halbreligiöse Kampf der Quartiere, noch heute in Afrika bekannt, auch in der deutschen Volkskunde abgeklappt nachweisbar, lebt wieder auf. Eine Gruppe schreit: „Liebknecht hoch, hoch, hoch“, die andere antwortet taktmäßig „nieder, nieder, nieder“. Alles ist in Bewegung und demonstriert, meist ohne recht zu wissen, warum. Dabei wird viel geschossen. Ich war heute nach Tisch in der D(eutschen) Gesellschaft eingeschlossen und sah vom Erker zu, wie vor uns Maschinengewehre tackten. Es war scheußlich. Gottlob ging alles in die Luft und die Massen zerstoben. Die Regierungstruppen sind von Offizieren in Civil geführt, was einen ganz guten Eindruck macht. Den ganzen Nachmittag krachte es ununter-brochen vor meinen Fenstern, doch taten wir unsere Arbeit wie immer, schlichen dann zu einer Hintertür hinaus und auf Umwegen zum Wannseebahnhof.—
Minister-Jubiläum 11.11.1919 Greve’s Hof o. v.l.n.r. Geh.Reg.Rat Gürich, Strafanstaltsdir. Hülsberg, Kommerzienrat Max Pasch u. v.l.n.r. Geh. OberRegRat Prof. Dr. Pallat, Unterstaatssekretär Prof. Dr. Becker, Minister Haenisch, Wirkl.Geh.OberRegRat Klotzsch
Zu Hause geht es noch gut. Wir hatten ein stilles und doch freudiges Fest mit gr(oßem) Christbaum und viel Liedern und sogar mit gutem Essen. Von irgendwoher war uns etwa Mehl zugekommen und es gab weißen Napfkuchen, Du, richtige braune Kuchen nach Hamburger Muster. Vorgestern machten die Kinder sogar eine kl(eine) Aufführung und Laterna magica, kurz, hier draußen leben wir noch wie auf einer Insel. Gelegentlich schlägt dann eine Welle hinein, wie am Weihn(achts)abend unser Leutnant, der das Schloß mitgestürmt hatte, dann gefangen wurde und zerfetzt und degradiert in moralischer Auflösung hereinkam. Wir hatten lange 3 Mann, zwar lästig, aber ordentliche Leute.
Ich schreibe Artikel auf Artikel, Sonntags und Nachts. Kämpfe mit schwerer Erkältung und habe unsagbar viel zu tun, namentlich weil ich schnell mitreden soll. Man erlebt sehr, sehr viel Interessantes. Werdet übrigens in Bonn nicht irre an mir, wenn Ihr nächstens von einer Regierungshandlung lesen werdet, die auch Bonn betrifft. Ich glaube, das Schlimmste verhindert zu haben. Du bist ja diskret, so frag einmal Smend. Er darf Dir’s sagen. Mein Votum für das Staatsministerium hätte Zitelmann nicht besser machen können. Bonn wird allerdings gehörig aus seinem bequemen Schlummer geweckt werden. Gut so; da wird auch Smend zustimmen. Grüße Curtius, für dessen Brief ich herzlich danke. Er ist ebenso rührend wie Du im Schreiben. Er soll bald von mir hören. Ebenso Smend.
Wärmste Grüße Deiner Mutter und Dir von uns allen. Dein Carl.
40. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 19.10.1919
Mein lieber Fritz!
Vorgestern erreichte mich die große, uns alle lebhaft bewegende Nachricht. Ich habe bis zum Sonntag mit meinem Glückwunsch gewartet, weil ich Dir in Ruhe schreiben wollte und die letzten Tage mit Staatshaushaltsausschuß von Morgens bis Abends und gestern einer 40 Personen Soirée bei uns im Hause mehr als voll und verhetzt waren. Heute aber herrscht Windstille vor dem Morgen mit den Vorbesprechungen zur Reichsschulkonferenz neu einsetzenden Sturm, und diese Ruhe laß mich benutzen, Dir beim Schein meiner grünen Lampe einige Worte treuer Teilnahme und freundschaftlichen Miterlebens zu senden.
Überrascht waren wir alle ganz außerordentlich, nicht grade, daß Du Dich verlobst hast; denn Du warst reif dazu und innerlich darauf eingestellt. Du brauchtest die Gesellung auch zur letzten Überführung Deiner Persönlichkeit in das geistige Mannsein. Man spricht so viel von Menschwerdung und so selten von der Mannwerdung. Sie vollendet aber erst die Jugendentwicklung des männlichen Individuums, und sie wird neu erzeugt durch Weib und Kinder. Vielleicht stellen die letzteren noch eine weitere Phase dar, wie überhaupt – Gott sei’s gedankt – der entwicklungsfähige Typ Mensch als Mann noch eine Reihe weiterer Stufen, auch in den Vierzigern noch, aufweist, wie ich in diesen Jahren mit Freuden an mir selber erlebe. Dann beginnt jetzt diese neue Entwicklungsreihe, während Du zugleich die bisherige im Bann des Elternhauses, männlichen und viellieben Freundeskreises sich abspielende beschließest. Überrascht war ich also über die Tatsache nicht, um so mehr aber, daß es ein neuer Mensch ist, der in Dein Leben tritt. Vielleicht wäre Deine Braut auch mir kein in jeder Hinsicht neuer Mensch, wenn unser geistiger Austausch nicht durch die räumliche Trennung so sehr behindert wäre. So habe ich für meine eigene innere Stellungnahme nur Deinen Brief und die aus ihm sprechende fest und starke Liebe, die wie jede echte Liebe nicht blind sondern sehend macht., Deine klare Entschlossenheit, die alle „Aber’s“ durchgedacht hat, und die echt Fritz’sche Mischung von Sentiment und Nüchternheit, von langsamem Abwägen und gefühlsmäßiger Abruptheit, um mir ein Bild von den Vorgängen und der Sachlage zu machen. Aber das genügt vollauf, um Deine künftige Ehe im Zeichen eines günstigen Sternes zu sehen und Dir in alter Treue innigst die hand zu drücken.
Soll man zu einem solchen Bunde mit Glückwünschen kommen? Daß man dem Freunde und seiner Lebensgenossin das Beste wünscht, ist eigentlich zu selbstverständlich, um es zu formulieren. Jeder ist der Schmied seines Glückes, das gilt auch der Ehe. Die Grundlage muß auch hier die geistige Gemeinschaft sein. Die Selbstverständlichkeit der Zusammengehörigkeit. Schwierigkeiten bleiben ja wohl in keiner Ehe aus., und die Ehen sind vielleicht die bestfundierten, vor deren Eingang schon der Kampf stand, und bei denen deshalb nicht nur das Gefühl, sondern der Verstand von Anfang mitgewirkt hat. So sehe ich freudig Deiner Zukunft entgegen. Deine Braut soll uns als Deine Lebensgenossin von Herzen auch in unserem Kreise willkommen sein.
Da wir sie nicht kennen, wohl aber Dich, können wir ihr sachkundiger gratulieren als Dir. Wenn sie Dich richtig zu fassen versteht – und daran zweifle ich nicht -, wird sie in Dir einmal einen mustergültigen Gatten haben; denn Du bringst Deinerseits alle Eigenschaften mit, die eine glückliche und harmonische Familie garantieren. Möge sie umgekehrt Dir immer ein Sporn und ein Stachel sein, den brauchst Du; möge sie Dir stets – wie die Araber es nennen – eine „Tadlerin“ sein.
(Schluß fehlt)
41. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 4.1.1920
Mein lieber Fritz!
Du weißt, meine Zeit erlaubt mir keine langen Briefe, aber zum 6. Januar will ich Dir doch einen persönl(ichen) Gruß senden. Dies neue Lebensjahr wird ja für Dich so bedeutungsvoll, daß man nichts anderes zu wünschen braucht, als daß die Saat aufgehen möge, die hoffnungsfreudig in ihm gepflanzt wird. Ein lieber Besuch hat uns sehr erfreut, und wir danken Dir für Deinen Brief. Dein Jean Paul Buch habe ich gelesen, mit Spannung und Interesse. Mir geht die Konstruktion etwas zu weit, aber ich anerkenne gern den Versuch – den geglückten Versuch -, Dich über das Normalmaß einer Dissertation zu erheben. Meinen besten Glückwunsch und eine gute Presse!
Wir hatten stille Weihnachten, etwas behindert durch fortwährende Krankheit oben und unten außer am H(eiligen) Abend selbst, der sehr harmonisch verlief. Grippe, dann Hellmut Masern, schließlich Mittelohrentzündung, die einen Augenblick bös aussah, aber hoffentlich gut verläuft. Er liegt noch zu Bett. Dazu mancherlei häusliche Schwierigkeiten, so daß meine Frau das neue Jahr nicht gerade rosig begann.—
Mitte des Monats reise ich zur Hochschulkonferenz, dann Frankfurt/Main, Marburg und Gelnhausen, wo ich 8 Tage mit Wende bleibe. Danach sind wir dann hoffentl(ich) hier so weit, daß auch meine Frau mal ausspannen kann.
Alle besten Wünsche Deiner Mutter, Deiner Braut und Dir.
Von Herzen Dein Carl.
42. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 22.3.1920
Randbemerkung Sells(?): Kapp-Putsch
Mein lieber Fritz!
Man ist sich merkwürdig ferngerückt in dem neuen Deutschland mit seinen Putschen und Streiks, mit seinem Verbot von Glückwunschtelegrammen und seinen Verkehrshindernissen. Ebenso wenig wie über den Raum ist man über die Zeit mehr Herr, nachdem gerade Zeitsetzung zum Zeitvertreib für Optimisten geworden ist. Also muß ich schon heute zur Feder greifen, wenn ich überhaupt einigermaßen damit rechnen will, daß Dich an dem entscheidenden Tag Deiner vita nuova wenigstens ein Gruß von mir erreicht. Gern hätte ich, hätten wir, Deinen Hochzeitstag mitgefeiert. Zu normalen Zeiten wäre es ja auch wohl so gekommen, aber das schon an sich jetzt schwer Mögliche ist durch die jüngsten Ereignisse völlig ausge-schlossen worden. So laß Dir wenigstens im Geiste die Hand reichen. Ich denke Dein in herz-licher Liebe und mit sonnigen Wünschen. Wer Dich kennt, wird Dir und Deinem Schicksal vertrauen. Glückauf zu einer restlosen, bewußt genommenen Lebensgemeinschaft!
Die äußere Lösung Deines nächsten Daseins scheint mir erfreulich. Berlin ist jetzt wirklich kein Pflaster für Flitterwochen und –monde. Augenblicklich ist’s hier übler als je. Immerhin wird es sich schon wieder einpendeln, nur sind wir um ein Jahr zurückgeworfen. Links ist wieder Trumpf. Daß eine vernünftige Zeitung wie Kölnische tatsächlich an eine Beteiligung der Rechten an der Regierung – als Folge des Kapp-Putsches glaubt, zeigt, wie wenig klar selbst politisch geschulten Köpfen die ganze Situation ist. Gerade das Mitwirken der Rechtsparteien, die Parole der Fachminister und ähnliche Forderungen Kapps sind durch den Putsch heillos diskreditiert. Das Rechtsbewußtsein der Arbeiter ist enorm gestiegen und die langsam wieder Kraft gewinnende Rechtsidee erschüttert. Es ist zum Heulen. Ich war am kritischen Tage in Bamberg, Hedwig in Gelnhausen. Immerhin gelang es mir noch am Revolutionstag selbst Abends in Berlin zu sein., da ich 30 Minuten nach Empfang der ersten Nachricht schon im Zug saß. Hier habe ich dann alles aus nächster Nähe miterlebt. Die Unterstaatssekretäre haben ja diesmal eine recht erhebliche Rolle gespielt und Herrn Kapp zu Fall gebracht.,eigentlich ehe der Generalstreik richtig einsetzte. Das Schlimmste war aber der trotz der glänzenden Stellung der hohen Beamtenschaft unvermeidliche Rückschlag nach links.2Ich wurde übrigens von den Kappleuten in Schutzhaft genommen, aber nur 2 Stunden, wurde dann von Oberst Bauer in die Reichskanzler geführt, wo ich die Gelegenheit benutzte, sowohl Bauer, wie dem anwesenden Traub – er muß aber auch immer danebenhauen! – sehr gründlich die Meinung zu sagen. Im gleichen Augenblick wurde Ludendorff gemeldet, der also natürlich dahintersteckte. Grundsätzlich stand das Fehlschlagen des Unternehmens aber sehr bald fest, schwierig war nur aus der Situation herauszukommen, ohne entweder die Mehr-heitssozialdemokratie oder unseren letzten militär(ischen) Schutz oder beide einzigen Stützen gegen den Bolschewismus rettungslos zu zerschlagen. Gut ist nur das Eine, daß das Märchen vom „starken Mann“ ausgeträumt ist.—3
Eisenlohr ist zurück, aber noch in Heidelberg, er wird nach Ostern zunächst dauernd nach Berlin kommen.
Und nun nochmals alles Gute, mein lieber Fritz. Überlege Dir bitte mal, womit wir Dir eine Freude zur Hochzeit machen können. Überflüssiges darf man in diesen Zeiten seinen nächsten Freunden nicht schicken. Nach der Hochzeit könnt Ihr es auch besser übersehen. Vielleicht weiß auch Deine liebe Mutter einen Rat. Ihr gilt mein herzlich mitfühlender Gruß! Wir werden am 30.ten Deiner und Deiner Frau in geschwisterlicher Treue gedenke. Dein Carl
43.C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 18.6.1920
Zum Tode von Frau Prof. Sell
Mein lieber Fritz!
In stillen Nachtstunden eilen meine Gedanken zu Dir – etwas mehr gesammelt, als es der Drang dieser Tage erlaubt hatte. Still und friedlich ist dies Lebenslicht verlöscht, das nicht nur geleuchtet, das auch erwärmt hat. Wir waren wirklich tief bewegt. Zunächst überwog der Schreck, die Überraschung. Ich bin so daran gewöhnt, daß Herzleidende, die sich schonen, oft sehr alt werden, daß ich nie an einen so plötzlichen Ausgang dachte. Auch hatten wir gerade korrespondiert, und es war eigentlich ein Zufall, daß meine Frau nicht bei ihr war; denn sie hatte sie gerade jetzt aufsuchen wollen. Deine Mutter war uns – ganz abgesehen von Dir und den alten Familienbeziehungen – als Mensch so teuer und lieb geworden, daß wir sie als zu uns gehörig betrachteten. Ich konnte mir für meine Frau keine bessere Vertraute, keine treuere Beraterin und kein vollkommenderes Vorbild wünschen. Aber auch ich selbst war ihr in schlichter, fast kindlicher Anhänglichkeit und Verehrung verbunden. Du weißt das ja alles, Du hast es ja miterlebt, aber was Du nicht wissen kannst, ist, daß diese Beziehungen nach der Trennung sich vertieft haben, daß wir oft und mit Liebe ihrer gedachten und hier keinen Ersatz für diese intensivste Bonner Beziehung gefunden haben.
So trauern wir wirklich von Herzen mit Dir und Deinem Bruder. Ihr habt unendlich viel verloren und seid mit jungen Jahren in die „andere Riege“ getreten. Auch für Deine Frau ist dieser Tod doch unendlich schmerzlich. Wie viel hätte ihr diese herrliche Frau noch sein können! Sie ist dahin gegangen, wie sie seit dem Tode ihres Mannes gelebt hatte, still und unauffällig, ohne irgend jemand zu behelligen und doch in harmonischer Form, wie ein Hauch, der aber noch fühlbar, erquickend und belebend – unmerklich versucht. Wir werden zeitlebens ihrer in Dankbarkeit und Treue verbunden sein und die persönlich geweihte Liebe auf Dich und Deine Frau übertragen. Das liegt sicher in ihrem Sinn, und schon der Gedanke würde sie freuen. So reiche ich Dir zu einem brüderlichen Händedruck die Hand.—
In alter Freundschaft Dein Carl.
44. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin W 8, Unter den Linden 4, 26.8.1924
Privatsekretariat (Maschinenmanuskript)
Lieber Fritz!
Ich nehme an, daß Du in diesen Tagen nach Godesberg zurückkehrst, und so brauche ich mir nicht zu große Vorwürfe darüber zu machen, daß ich die Beantwortung Deines freundlichen Briefes vom 1.8. solange hinausschob. Es war gut, daß ich es tat, denn ein Empfang war ich fest entschlossen abzulehnen. Ich kann mir eine größere auswärtige Vortragstätigkeit neben meiner sonstigen Inanspruchnahme nicht leisten. Nun habe ich mich aber bereit erklärt, am 16. November in Düsseldorf die dortige Vortragssaison im Theater mit einem Vortrag über „Staat und Kultur“ zu eröffnen. Vielleicht könnte ich Montag, den 17. oder Dienstag den 18. November (nicht später) diesen Vortrag bei Euch wiederholen. Einen zweiten großen Vortrag in dieser Zeit neu zu machen, trage ich Bedenken. Eine Plauderei über den heutigen Orient und seine politische Lage kannst Du natürlich jederzeit haben, namentlich, wenn ich jetzt das Schlußkapitel meines zweiten Bandes vollendet habe, wobei ich gerade bin. Also grundsätz-lich bin ich bereits. Vielleicht teilst Du mir mit, wie groß ungefähr das Auditorium sein wird., vor dem ich zu sprechen habe. In Bezug auf Honorar bitte ich mich genau so zu behandeln wie andere Redner. Die Reisespesen fallen ja sowieso weg, da ich vermutlich eine dienstliche Besichtigung mit der Fahrt verbinden werde. und, falls das die Verhältnisse verbieten, ja bis Düsseldorf die Reise von der dortigen Organisation bezahlt erhalte.
Hoffentlich habt Ihr erfreulichere Ferien gehabt wie wir. Sie fingen bei uns mit einer Angina unseres Pflegesohnes an, führten über eine Blinddarmentzündung von Hellmut zu einer Darmgrippe meiner Frau und schlossen mit einem verknaxten Fuß der letzteren, so daß der an sich so wundervolle Ostseeaufenthalt schließlich doch mit einem gewissen Minus geendet hat. Ich persönlich war nur drei Tage dort, wo gerade mal Wetter und Gesundheit sich von der besten Seite zeigten. Ich habe noch nicht ganz 14 Tage Ferien gehabt, bin aber doch drei Wochen weggewesen, da ich an eine genußreiche Woche in Gelnhausen mit meinem Freunde Gragger den Besuch der Akademischen Olympia in Marburg und dann den Besuch der Tagung der Europäischen Studentenhilfe in Elmau anschloß, der mich mal wieder tief in die internationalen Beziehungen hineinführte und in jeder Hinsicht erfreute. Ich hielt einen großen Vortrag über „Das Wesen der deutschen Universität“, der jetzt gedruckt wird.
Seit wenigen Tagen ist die ganze Familie, außer Walter, wieder zusammen, und zurzeit ist alles wohl. Hertha soll noch recht viel Opern und Theater gezeigt bekommen, ehe sie in ihre Salemer Einsamkeit zurückkehrt. Von Walter haben wir glänzende Nachrichten. Er hat ein Mordsglück mit seinem englischen Aufenthalt. Er ist nach beendetem term etwas in Mittel- und Nordengland herumgereist und ist jetzt tutor in einem Wald-Cottage in Dorset, unweit der Südküste. Zum Schluß soll er dann nach London, den Winter aber in Deutschland studieren.
Meine Pläne für die nächste Zeit sind die folgenden: Ich werde am 15. September die Veran-staltung „Jugend und Bühne“ in Frankfurt eröffnen, am 1.-4. Oktober den Orientalisten-Kongreß in München mitmachen und am 25. Oktober die goldene Hochzeit meiner Schwiegereltern in Augsburg feiern. Vielleicht führt uns unser Stern irgendwo wieder einmal zusammen.
Mit guten Grüßen und Wünschen von Haus zu Haus, in alter Freundschaft
Dein getreuer (gez.) CHBecker
45. Preußisches Ministerium für Wissenschaft etc. Berlin, 10.11.1924
MR Duwe an Dr. Fritz Sell, Godesberg (Maschinenmanuskript)
Sehr geehrter Herr Doktor.
Im Anschluß an mein heutiges Telegramm teile ich Ihnen im Auftrage des Herrn Staatssekretärs D Dr. Becker, der an einer Bronchitis erkrankt ist und einige Tage das Bett hüten muß, ergebenst mit, daß er zu seinem großen Bedauern sein Vorhaben, am 17. November nach Godesberg zu kommen, aufgeben muß. Es finden an diesem Tage mit dem Präsidenten der Gemischten Kommission in Oberschlesien Herrn Calonder Besprechungen in Schulan-gelegenheiten im Ministerium statt, an denen der Herr Staatssekretär als Vertreter des in diesen Tagen verreisten Herrn Ministers unter allen Umständen teilnehmen muß. Herr Staatssekretär Becker muß deshalb in der Nacht von Sonntag zu Montag von Düsseldorf direkt nach Berlin zurückkehren. Er bedauert diese Absage außerordentlich, da der Abstecher nach Godesberg ihm besondere Freude bereitet hätte. Er bittet, den zugesagten Vortrag hiermit aber nicht als ganz abgesagt zu betrachten; er wird ihn gern bei der nächsten geeigneten Gelegen-heit nachholen.
Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor von Herrn Staatssekretär Becker auftragsgemäß herzlichste Grüße übermittelnd, bin ich mit besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener (gez.) Duwe
46.C. H. Becker an Dr. Sell. Berlin-Steglitz, 3.12.1924
Mein lieber Fritz!
Du hättest schon lange ein persönliches Wort von mir erhalten, wenn ich nicht die letzten acht Tage mit einer verschleppten Bronchitis alias Grippe zu Bett gelegen hätte. Es tat mit aber sehr leid Dir absagen zu müssen, aber wir konnten ja nicht voraussehen, daß unser Plan gerade in die Wahlzeit fallen würde. DerMinister immer fort, ich mich mit besagter Grippe herumschlagend, der Besuch Calonders, dem ich am Tag meines Godesberger Vortrages einen großen Empfang im Ministerium geben mußte, tags zuvor der Vortrag in Düsseldorf, der sehr gut lief, aber schließlich nach acht Tagen lag ich fest und mußte die Sache aus-schwitzen. Morgen will ich wieder Dienst tun, vorher aber doch noch sagen, wie leid mir das alles tut.—
Wann soll denn nun mein Vortrag dort steigen? Wollen wir nicht aufs Frühjahr warten? Gleich nach Neujahr fahre ich vielleicht nach Holland, am 15. Januar spreche ich in Leipzig vor der Studentenschaft, im Februar will ich nach Zürich und Arosa, am 6. März spreche ich in Basel ebenfalls vor der Studentenschaft. Wie wär’s mit Ende März, Anfang April?
Wir sehen übrigens die Schulreform durchaus nicht als zusammengebrochen an. Warte nur mal auf die neuen Lehrpläne. Es kommt eben auch nach unserer Ansicht nicht so sehr darauf an als auf die neuen Lehrer. Ich kämpfe zur Zeit einen stillen Kampf um die Volkschullehrer-bildung. Die Oberlehrerbildng folgt nach. Doch darüber muß man einmal gemütlich reden. Brieflich können wir das beide nicht.
Die guten Nachrichten von Euch freuten uns herzlich. Meiner Frau geht es nicht ganz prima, sie hat noch mit Nachwehen ihrer Ostseegrippe zu tu, ohne dadurch in ihrer Arbeit direkt gehindert zu sein, aber sie hat leider mancherlei (namentlich nachts) an Schmerzen auszuhalten. Den Kindern geht es gut. Walter ist aus England zurück und studiert jetzt hier Jura. In Bälde erwarten wir Hertha, die immer noch sehr glücklich in Salem ist, von dort zu den Weihnachtsferien zurück.
Mit guten Grüßen von Haus zu Haus und herzlichen Wünschen für ein schönes Weihnachts-fest Dein getreuer Carl.
47. Der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Berlin, 29.6.1928
(Maschinenmanuskript)
Lieber Fritz!
Seit langem bedrückt es mich, daß ich Dir auf Deinen freundlichen Brief und auf Deine Frage in Sachen Italienreise noch nicht geantwortet habe. Aber ich wollte Dir immer gern einmal behaglich schreiben und kam und komme nicht dazu. Ich möchte aber doch Dich nicht länger in Ungewißheit lassen, wie ich über die berührte Frage denke. Es tut mir von Herzen leid, daß irgendeine Äußerung von mir mißverstanden und von Dir als Vorwurf gedeutet werden konnte. Bei der Bemessung von Reisestipendien liegen natürlich gewisse allgemeine Normen zugrunde, wenn man auch ein Stipendium einmal etwas reichlicher und das andere Mal etwas weniger reichlich bemißt, je nach der finanziellen Situation des Stipendiaten. Deshalb konnte das Stipendium nicht in der Höhe bewilligt werden, wie Du es erst aber beantragt hattest; daß Du aber nachher im Rahmen des einmal Bewilligten Deine Frau mitgenommen hast, das ist Deine ganz persönliche Privatangelegenheit, die zu kritisieren mir vollkommen fern gelegen hat. Manche Menschen lernen mehr, wenn sie mit Frau reisen, manche nur dann, wenn sie ohne Frau reisen. Nur bei der Berechnung des Stipendiums selbst muß wenigstens offiziell die Frau ausscheiden. Das Stipendium war bei Dir so berechnet, daß es für eine Person eine sehr anständige und behagliche Reise ermöglichte. Wenn Du Dich dann lieber einschränkst, außerdem noch etwas Privates zusteuerst und Deine Frau mitnimmst, ist das doch das Natürlichste von der Welt und niemand wird Euch Beiden ein solches Zusammensein herzlicher gönnen als ich. Ich wundere mich eigentlich, daß Du bei Deiner doch ziemlich genauen Kenntnis von mir irgendeine Mißbilligung meinerseits auch nur für möglich gehalten hast. Ich pflege meinen Freunden gegenüber doch ziemlich offen und klar meine Meinung zu sagen. Bei Äußerungen, die durch mehrere Münder gegangen sind, empfiehlt es sich mehr an das eigene Wissen als an die Formulierung einer solchen Nachricht zu halten.
Du weißt, daß ich mich seit langem bemühe, für Dich mal einen entsprechenden Platz zu finden, aber es ist, wie ich Dir gleich sagte, nicht leicht. Ich bitte Dich nur, mir immer gleich vertrauensvoll zu schreiben, wenn Du irgendeine Möglichkeit siehst, wo ein Fürspruch von mir Dir helfen kann. Für Deine ganze geistige Entwicklung glaube ich allerdings, daß auch Dir bald einmal irgend ein Wechsel not tut. Den Bericht von Deiner Reise habe ich übrigens mit Interesse gelesen und daraus entnommen, daß Du Sizilien mit ähnlichen Augen gesehen hast wie ich.
Als ich neulich in Koblenz war zur Görres-Feier habe ich Euch einen stillen Gruß hinübergesandt, auch in Köln habe ich Euer gedacht. Ich werde in den 20iger Tagen des August zum Orientalisten-Kongreß nach Bonn kommen, aber Euch dann wohl kaum antreffen. Ich selbst beabsichtige vom 12. Juli ab für vier Wochen nach Marienbad zu gehen. Meine Frau mit Hertha und Hellmut geht schon nächste Woche an den Bodensee, während Walter allein hier in Berlin seine Examensarbeit fertig macht.
Mit guten Grüßen von Haus zu Haus
In alter herzlicher Freundschaft Dein getreuer (gez.) Carl
48. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 6.1.1929
Lieber Fritz!
Ich gedenke herzlichst Deines heutigen Geburtstages. Meine Frau hat Dir ja wohl das Familiäre geschrieben. Daß Du zum Studienrat ernannt bist, hast Du ja wohl inzwischen erfahren. Mit den Pädagogischen Akademien sind wir immer noch nicht im Reinen. Von den Driesch meint, es würde dieses Frühjahr mit Dir noch nichts werden, aber Du bleibst bestimmt in Aussicht. Etwas Fühlungnahme mit der Volksschule wäre vorher erwünscht. Wir werden wohl nach Begründung der diesjährigen Serie für die Anwärter des kommenden Jahres irgendeinen Vorbereitungsdienst einrichten, aber Näheres steht noch nicht fest. Die Arbeit ist für das Nächste schon übergroß. Jedenfalls denke ich an Dich, aber es schadet nie einmal nachzufragen.
Jedenfalls wollte ich Dir und Deiner Frau gerne persönlich alles Gute zum Neuen Jahr und insbesondere Dir noch zu Deinem Geburtstag wünschen.
Von Herzen Dein alter Carl.
49. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin W 8, 12.2.1929
(Maschinenmanuskript)
Lieber Fritz!
Du hast inzwischen durch von den Driesch Nachricht bekommen, daß wir Dich – wenn möglich noch im Frühjahr – auf einer Pädagogischen Akademie verwenden möchten. Die Sache hat allerdings zwei Nachteile für Dich, die ich Dir in aller Freundschaft darlegen möchte.
Erstens könntest Du jetzt nicht für Geschichte, sondern nur für Deutsch Verwendung finden, und zwar entweder in Hannover oder in Breslau, was wieder von dem Ausscheiden eines Ministerialrats im Ministerium abhängt, der den einen Posten übernehmen wird und natürlich die Wahl behalten muß.
Zweitens könntest Du jetzt nur als Studienrat und noch nicht in die Professorenklasse übernommen werden, weil das eine große Ungerechtigkeit für andere Leute Deines Jahrgangs bedeuten würde.
Unter diesen Umständen bin ich eigentlich der Meinung, daß Du lieber noch ein Jahr in Godesberg bleiben solltest, um dann bestimmt an irgendeiner westlichen Akademie, und zwar in Deinem eigentlichen Fach und dann auch in der Professorenklasse Verwendung zu finden. Wenn man ein Jahr Zeit hat, das vorzubereiten, wird es wohl möglich sein, ohne natürlich eine absolut sichere Bindung übernehmen zu können. Du hättest dann auch in Ruhe Zeit, Dich etwa näher mit den Volksschulfragen zu beschäftigen. Ich kann Dir das nur in aller Kürze schreiben, da ich heute nach Genf fahre, wo ich einen Vortrag halte. Ich bin erst am 19. Februar zurück. Bitte schreibe Du deshalb direkt an von den Driesch, der natürlich nun seine letzten Dispositionen treffen muß und dem ich gesagt habe, daß ich Dir in dem obigen Sinn schreiben würde.
In Eile mit innigen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer (gez.) Carl.
50. C. H. Becker an Professor Dr. Fritz Sell, Kassel. Berlin-Steglitz, 27.5.1930
Staatsminister d. D. Prof. D Dr.
(Maschinenmanuskript)
Lieber Fritz,
Ich danke Dir herzlich für Deinen Brief und den Artikel, den ich mit wirklichem Genuß ge-lesen habe. Ich habe es immer gewußt, daß Du einer von denjenigen bist, die meine Absich-ten am besten verstanden haben, und deshalb hätte ich Dich so gern auch weiterhin im Ministerium gesehen. Ich sprach gestern bei einem gemütlichen Mittagessen unter vier Augen im Ministerium ausführlich mit Grimme auch über Dich und erzählte ihm von diesem Deinen Artikel. Ich sagte ihm deutlich, daß ich Dein Ausscheiden bedauerte, und daß ich ihm nahe legte, Dich für eine spätere andersartige Verwendung im Auge zu behalten. Natürlich mußt Du jetzt erst einmal ein paar Jahre gründlich in Deine jetzige Aufgabe hineinsteigen. Er hat jedenfalls Dein Ausscheiden nicht veranlaßt. Die Urheber sind Wende und Kaestner gewesen, die Dich eben anders beurteilen, als ich es tue. Von den Driesch war nur schwach auch hierbei wie immer. Wende seufzt jetzt etwas unter dem neuen Personal, aber es geschieht ihm ganz recht. Kaestner ist leider sofort nach seiner Rückkehr wieder erneut krank geworden.
Daß man Raederscheidt zum Oberbürgermeister von Neuß gewählt hat, wird Dich auch überraschen. Wie ich höre, will er aber bleiben, wenn man ihn zum Honorarprofessor in Köln macht. Aber das bitte nur für Dich.
Es freut mich herzlich, daß Du Dich wohl fühlst. Es geht Dir darin wie mir, der ich die Freiheit vom Ministerium täglich mehr genieße. Ich habe mir übrigens einen Aufenthalt in Kassel auch immer als etwas sehr Erfreuliches gedacht. Mein Schwager Blumenstein stand dort einmal in Garnison, und da habe ich ein bißchen in die dortigen Verhältnisse hinein-geschaut. Jedesmal, wenn ich hinkomme, freue ich mich erneut über die Landschaft.
Ich habe nach wie vor schrecklich viel zu tun. Aber es ist nicht mehr so verantwortungsvoll, und das entspannt. Wir haben noch sehr viel offizielle Einladungen und machen auch viel von den Berliner Kunstwochen mit. Gestern Abend „Aida“ mit Lauri Volpi und hinterher noch ein großer Empfang bei Curtius, heute Abend Toscanini-Konzert und hinterher großer Empfang im Schloß bei Grimme. Sonnabend bin ich in Leipzig. Montag fahre ich nach Budapest. Nach Pfingsten bin ich auf dem Orientalistenkongreß in Wien. Kurz, ein geruhsames Leben kann man das gerade nicht nennen. Das Kollegmacht mir Spaß, aber zur eigentlichen schöpferischen Arbeit komme ich natürlich noch nicht. Damit wird es wohl auch nichts werden, bis ich aus Amerika zurück bin, was kaum vor Anfang Dezember der Fall sein wird.
Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus wie stets Dein getreuer (gez.) Carl
51. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 6.1.1931
(Maschinenmanuskript)
Lieber Fritz,
Nun komme ich nicht nur zum neuen Jahre sondern auch zu Deinem Geburtstag zu spät. Aber ich brauche wohl nicht zu versichern, daß wir an beiden Tagen Deiner in alter, herzlicher Freundschaft und mit innigen Wünschen gedacht haben. Jedenfalls danke ich Dir sehr für Deinen lieben Brief vom 28. Dezember. Du hast ganz recht: es liegt eine gewisse Parallelität in unser beider Schicksal. Da kann ich Dir eigentlich nur wünschen, daß Du mit der Wendung Deines Schicksals ebenso zufrieden bist wie ich mit der des meinen. Wenn ich vielleicht noch als halber Minister nach Amerika gefahren bin, so bin ich jedenfalls als ganzer Professor zurückgekommen. Die Erlebnisse dieser Reise waren ungeheuer, und ich bin bis in meine Grundfesten durchgeschüttelt worden. Ich habe jetzt das Gefühl, als ob ich eine schwere Karlsbader Kur durchgemacht hätte und fühle eine sehr segensreiche Wirkung dieser Auf-rüttelung. Außerdem nimmt mich das Leben hier ziemlich stark in Anspruch und zwar nicht nur der Lehrbetrieb, obwohl ich hier völlig von der Hand in den Mund leben muß, sondern auch die riesige Klientel, die sich aus der Fülle meiner persönlichen Beziehungen ja ohne weiteres ergibt. Gesellschaftlich halte ich mich sehr zurück, ebenso publizistisch, doch hast Du vielleicht meinen Weihnachts-Artikel im „Berliner Tageblatt“ gelesen, wo ich mich zum erstenmal auch etwas außenpolitisch geäußert habe.
Den Meinigen geht es gut. Wir hatten ein ganz stilles und behagliches Weihnachtsfest und haben das neue Jahr gut angetreten. Im weiteren Rahmen der Familie war es ein bedeutendes Ereignis, daß die alte Firma meines Schwiegervaters in Augsburg sich glücklicherweise rechtzeitig von der Bayerischen Hypothekenbank aufsaugen ließ. Der Übergang ist zum 1. Januar erfolgt. Mein Schwager ist Direktor der Hypothekenbank geworden.
Es hat mich sehr interessiert, lieber Fritz, was Du über die Pädagogischen Akademien schreibst. Es scheint ja doch so, als ob die verschiedenen Pädagogischen Akademien ein ziemlich verschiedenes Gesicht bekommen sollten. Ich habe ja fast überall einen oder den anderen Freund sitzen und bin ganz gut im Bilde. Immerhin ist es doch eine entzückende Arbeit. Ich habe mit meinen Vorträgen über die neue Lehrerbildung in Amerika einen sehr großen Eindruck gemacht. Meine Vorträge werden in Buchform erscheinen. Dann sollst Du sie auch erhalten. Ich würde am liebsten einmal eine Rundreise bei allen Pädagogischen Akademien antreten und mich ins Bild setzen. Aber dann müßte man ungefähr mindestens acht Tage an jedem Orte bleiben. Leider kann ich eine soviel Zeit kostende Unternehmung nicht einmal anregen, da ich dann in einen heillosen Konflikt mit meinen orientalistischen Pflichten kommen würde. In Amerika litt ich etwas darunter, daß ich überall als Educator frisiert wurde und in erster Linie mit den Educational Departments in Verbindung trat. Als Berliner Professor muß ich diese opera supererogata völlig in den Hintergrund treten lassen. Jedenfalls freue ich mich sehr, daß Du an einer Pädagogischen Akademie wirkst, und ich glaube, daß es Dir auf die Dauer immer besser gefallen wird. Es begleiten Dich meine innig-sten Wünsche in das neue Kalender – wie Lebensjahr, und alle Meinigen grüßen herzlich mit mir Dich, Deine Frau und Töchter.
In alter Freundschaft Dein getreuer (gez.) Carl.
52. C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 26.8.1931
(Maschinenmanuskript)
Mein lieber Fritz,
Ich hatte gerade Deinen Namen auf die Liste der Empfänger meiner chinesischen Rundbriefe gesetzt, als Dein ausführlicher und gemütlicher Brief eintraf und mich wieder einmal so schön ins Bild setzte über Dich und Deine Arbeit. Ich danke Dir herzlich dafür wie auch für den schönen Artikel. Du hättest eigentlich verdient, daß ich in einer ausführlichen Antwort auf einen Brief einginge. Aber ich stehe unmittelbar vor meiner Abfahrt nach Ostasien, und da wirst Du verstehen, daß ich zu einem langen Brief nicht mehr kommen kann. Ich sehe aus dem Deinigen, daß Du von dieser meiner Ostasienfahrt noch gar nichts weißt. So will ich Dir schnell berichten, daß ich mit einer internationalen Kommission im Auftrage des Völkerbundes schon kommenden Sonnabend über Amerika und den Stillen Ozean nach China fahre, um ein Gutachten über den Stand des chinesischen Unterrichtswesens zu machen. Wir reisen mit der „Bremen“ von Bremerhaven am 30. ab, treffen am 5. September in New York ein, und dann geht es durch ganz Canada nach Vancouver und von dort ab 12. September mit der “Empress of Canada“ über Honolulu (17. September), Yokohama (27. September), Kobe (28. September) nach Shanghai (29. September). Von dort geht es weiter nach Nanking, dann etwa 14 Tage später nach Peking. Der weitere Plan ist unbestimmt. Eventuelle Briefe erreichen mich an beiliegender Adresse, die bis Ende November (Zusatz unleserlich) maßgebend ist. Wir bleiben 2 ½ Monate in China selbst, und dann gedenke ich den Rückweg über Vorderasien zu nehmen und vielleicht Niederländisch-Indien, mit großer Wahrscheinlichkeit aber den Irak und vielleicht Persien zu besuchen. Wenn Gesundheit, Geld und Politik es erlauben, werde ich erst Ende Februar oder Anfang März zurück sein. Ich mache mir natürlich kein X für ein U vor, daß man in dieser Zeit China reformieren könne; aber vielleicht können wir doch einen oder den anderen Rat geben, und jedenfalls ist die ganze Reise ein unerhörtes Erlebnis, das mir eigentlich zur Abrundung meines doch sonst nicht gerade erlebnisarmen Lebens noch gefehlt hat.
Meine Frau bleibt natürlich nicht allein in dem großen Haus, sondern wird aller Wahrscheinlichkeit nach ähnlich wie schon im Sommer in Salem helfen. Hertha ist im Krankenhaus tätig. Hellmut studiert in Freiburg und Walter nimmt sich hier in der Stadt irgendwo ein Zimmer, und wir schließen das Haus zu, was auch aus Ersparnisgründen sehr angenehm ist. Im Augenblick ist Hellmut in England, und Hertha rüstet sich darauf, ebenfalls hinzufahren. Ich selbst schließe noch Band II meiner „Islamstudien“ ab, nachdem ich in den letzten Tagen neben all meiner Vorbereitung noch einen großen Nachruf auf Nöldecke und eine literarische Analyse des 70jährigen Georg Jacob geschrieben habe. Ich bin auch froh, wenn ich erst an Bord bin. Amüsant ist, daß ich wieder durch ganz Canada fahre und durch die Rocky Mountains. Als ich voriges Jahr durchkam, sagte ich zu Walter: „Ich muß mir alles sehr genau ansehen, denn bei meinem Alter ist doch nicht zu erwarten, daß ich hier noch einmal herkomme.“
Auf der Reise nach China 1931/1932 mit der Völkerbundskommission
Und nun fahre ich das Jahr danach dieselbe Strecke. Man kann wirklich sagen: Der Mensch denkt, Gott lenkt, und aus einem vollen amor fati habe ich auch diese Reise unternommen, die doch natürlich auch manches Risiko einschließt. Ich habe mich gegen vier verschiedene Seuchen impfen lassen, was nicht nur angenehm war, und baue im übrigen darauf, daß das Leben ja doch auch Führung besteht. Es muß schon etwas Schicksalhaftes in dieser China-Aufgabe liegen, da ich kurz vor dem Ruf des Völkerbundes den gleichen Ruf von amerikanischer Seite bekommen hatte.
Nun muß ich aber unbedingt Schluß machen. Alles Nähere wirst Du aus meinen Reisebriefen erfahren, die Du in einem Durchschlag erhalten wirst.
In Eile grüßt Dich von Herzen Dein getreuer (gez.) CarlHB.
53.C. H. Becker an Fritz Sell. Berlin-Steglitz, 9.5.1932
(Maschinenmanuskript)
Mein lieber Fritz!
Du hast mir so treu geschrieben, daß ich Dir trotz der Überfülle meiner ersten Wochen nach der Heimkehr einen herzlichen Gruß schicken möchte. Ich bin wirklich glücklich, daß es Dir gelungen ist, aus dem allgemeinen Zusammenbruch doch noch eine befriedigende Tätigkeit zu retten, aber ich kann Dir die Bitterkeit im allgemeinen und im speziellen vollkommen nachfühlen. Ich habe inzwischen Unterhaltungen mit Wende und Grimme gehabt und mich auch sonst vielseitig umgehört. In den nächsten Tagen kommt auch Weniger, mit dem ich nicht nur über den Nizzaer Kongreß sondern auch über das Schicksal der Akademien sprechen möchte. Es wird nie wieder gut zu machen sein, was an spontanem Idealismus zerbrochen ist. Auch mit Reichwein hatte ich eine Aussprache, der wirklich vieles geleistet hat. Gestern Abend traf ich im Theater – übrigens in der Bursleke von Wedekind „Der Liebestrank“ – meinen Vorgänger Boelitz, der natürlich auch sehr scharf urteilte, aber mehr über das höhere Schulwesen klagte, wo man auch die Reform zerstört hat. Grimme ist ein charmanter Mensch, aber er hat eben leider keine Kraft. Das mit den Akademien hätte so nicht passieren dürfen.
Aber auch die Zukunft sieht nicht rosig aus. Wenn die Nazis wirklich national sind, müssen sie jetzt in die Regierung mit dem Zentrum eintreten. Wenn sie das aus parteipolitischem Interesse ablehnen, sind sie meines Erachtens vor der Geschichte gerichtet und hoffentlich auch bei ihren Anhängern. Was man so an Äußerungen von Führern der Nazis hört und was man vor allem von ihrem Unverstand bereits erlebt hat, ist nicht gerade sehr ermutigend. Wie ich höre, ist aber Braun fest entschlossen, kein dauerndes Geschäftsministerium zu führen. Die Schwierigkeit liegt beim Reich, denn die Sozialdemokratie denkt nicht daran und kein Mensch kann es ihr zumuten, im Reich Brüning zu stützen, wenn in Preußen die Nazis regieren.4
Ich hatte noch schöne Tage in Paris und war auf der Hochzeit von Götsch in Northumberland. Jetzt warte ich auf den Beitrag meines Kollegen Langevin, im übrigen ist der Bericht fertig.
In der Hoffnung, daß es bei Euch allen recht gut geht und mit herzlichen Grüßen von den Meinen
Dein getreuer (gez.) Carl.
54. C.H.B. an Fritz Sell. Berlin, 9.9.1932
(Maschinenmanuskript)
Mein lieber Fritz!
Was Du tun willst, tue bald. Soeben erhielt ich Deinen lieben Brief. Ich danke Dir herzlich für das ausführliche Stimmungsbild, das er mir vermittelt. Ich sprach kürzlich den Präsidenten Sonntag in Frankfurt und war sehr nett mit ihm, dankte ihm auch für sein Eintreten für Dich, da mir das auch für die Zukunft wichtig erscheint. Deine Klagen über den Apparat sind gewiß berechtigt, aber Du kennst ja auch einigermaßen die Schwierigkeiten und Hemmungen. Auch Wende ist jetzt sehr bedrückt, daß er die nachfolge von Richter bei U I annehmen soll, aber er wehrt sich bisher energisch, besonders da er die Verantwortung für die Akademien spürt. Der Bau der preußischen Verwaltung muß ungeheuer stark sein, wenn er erst die sozialistische Umgestaltung und jetzt das neue Revirement ohne Schaden überstehen soll. Immerhin habe ich noch die Hoffnung, daß doch wirklich etwas geschieht. Die jetzt begonnene Verwaltungsreform war doch von uns seit einem Jahrzehnt vorbereitet, konnte nur nie durchgeführt werden, weil die lokalen Interessen zu stark im Parlament waren. Gewiß gibt es jetzt Härten und Schönheitsfehler, aber daß eine Verwaltungseinteilung aus der Zeit der Postkutsche in einem Zeitalter des Verkehrs antiquiert ist, versteht sich doch von selbst, und auf die Dauer tritt unbedingt eine Ersparung ein, wenn auch natürlich nicht im Augenblick. Wie in England die grundsätzliche Umgestaltung der Außenpolitik, die auch den Konservativen unvermeidbar schien, mit deren Einverständnis durch den Büttel der Labour Party durchgeführt wurde, so sollten auch wir die derzeitige Diktatur die Neugestaltung unserer innerpolitischen Verhältnisse durchführen lassen, zu der eine Regierung, die auf dem sog. Volksvertrauen, d.h. auf der Abhängigkeit von lokalen Wünschen besteht, niemals fähig sein würde. Ich bin kein Freund des Herrn von Papen und finde vor allem das Säbelgerassel des Herrn von Schleicher höchst unzweckmäßig. Trotzdem mußte dies Experiment gemacht werden, um dem Parteiklüngel einmal zu zeigen, daß es schließlich auch ohne ihn geht. Ob Nazi, ob Sozi, ob Zentrum oder Deutschnational, überall stand das Parteiinteresse über dem Gemeinschaftsinteresse, und es mußte darüber stehen, sonst wären auch diese Parteien zerrieben worden, wie die anderen. Im Grunde ist unsere Verfassung ganz gut. Ich glaube nicht, daß wir auf dem Wege zur amerikanischen Präsidialherrschaft sind, aber daß einmal die Allmacht der Parteien etwas erschüttert wurde, begrüße ich unbedingt.
Was im Kultusministerium wird, wissen die Götter. Ich habe stark geraten, in irgendeiner Form die Dualität zwischen Reich und Preußen aus der Welt zu schaffen. Nun wird, wenn ein Ministerium bestehen bleibt, gewiß das Kultusministerium erhalten werden, da die Länder nur auf Grund ihrer historisch-kulturellen Eigenart eine Existenzberechtigung besitzen. Auf der anderen Seite ist eine entschiedene Kulturpolitik des Reiches nur möglich, wenn es irgendwo die Sachkunde der Einzelarbeit besitzt, und vor allem müßte die Wissenschaftsverwaltung mit dem Reichsinnenministerium und dem Auswärtigen Amt zu einer organischen Zusammenarbeit gebracht werden. Jedenfalls ist noch alles im Fluß, und auch die Neubesetzung von U I ist ungeheuer schwierig. Hülsen wird für den Ministerposten genannt, ist aber doch wenig wahrscheinlich.
Von mir selbst kann ich nur berichten, daß es mir, auch abgesehen von der höchst erfreulichen Verlobung, sehr gut geht. Als ich Irmgard Schroeder gleichzeitig mit Walter vor nunmehr zwei Jahren zum ersten Mal sah, wünschte ich sie mir vom ersten Tage an als Schwiegertochter. Sie wird den ganzen Winter bei uns bleiben und dann während Walters Assessorexamen noch einmal nach Amerika zurückkehren. Dann aber hoffen sie zu heiraten. Der Aufschub ist nicht so schlimm, da sie erst 19 Jahre alt ist. Sie hat sich sehr schnell auch das Herz meiner Frau und der übrigen Familie erobert. Der Vater ist Direktor beim Norddeutschen Lloyd in New York, deutscher Herkunft, die Mutter ist Engländerin, Irmgard spricht beide Sprachen nebeneinander und ist eine erfreuliche Mischung aus deutscher Innerlichkeit und amerikanischer Smartness.
Ich selbst habe seit meiner Rückkehr von China meinen Reisebericht fertiggestellt, den ich Ende Juli in Genf überreichen konnte. Dann war ich auf dem Kongreß der New Education Fellowship, über den ich vorgestern im Radio im Pädagogischen Rundfunk berichtet habe. Ich werde diesen Bericht jetzt drucken lassen. Nach Nizza, das ich als einen vollen Erfolg empfand, war ich 8 Tage am Bodensee und habe dann die Goethe-Tage in Frankfurt mitgemacht, wo mir nicht weniger als drei Goethe-Medaillen verliehen wurden, die von Hindenburg, von der Stadt Frankfurt und vom Hochstift. Jetzt sitze ich in Ruhe in Berlin und bereite mein Winter-Semester und einige Vorträge in London und Cardiff vor, die ich im Oktober zu halten beabsichtige. Ich habe mich jetzt nach den Erfahrungen der Reise ganz auf das Thema konzentriert: Berührung Asiens mit Europa und Amerika, das ich einmal systematisch untersuche, da ich hierzu glaube nicht nur durch meine zwei Berufe, sondern auch durch meinen äußeren Lebensgang gut qualifiziert zu sein, und außerdem handelt es sich dabei um eine der entscheidenden weltgeschichtlichen Gegenwartsprobleme.5
Es tut mir leid, lieber Fritz, daß Du noch in einem so unerfreulichen Übergangszustand bis, aber ich kann mir nicht helfen, ich sehe trotz allem den Gang der Dinge optimistisch an und bin überzeugt, daß auch Du noch eine Dich voll befriedigende Tätigkeit finden wirst. Jedenfalls gehen meine Wünsche in dieser Richtung. Es wäre nett, wenn wir uns bald einmal wiedersehen würden.
Da ich glaube, daß Du ein inneres Interesse daran nimmst, sende ich Dir mit gleicher Post meinen soeben erschienenen Chinabericht; vielleicht reizt er Dich, irgendwo etwas darüber zu schreiben, das würde mich natürlich freuen. Ganz von mir allein geschrieben ist das entscheidende Kapitel über National Education and Foreign Influences. Ferner wirst Du natürlich meine Klaue erkennen bei der Secondary Education und vor allem bei dem Teacher Training. Die Universitäten sind ganz von Tawney geschrieben, aber alles ist so stark gemeinsame Arbeit, daß es sich schwer sagen läßt, welcher Gedanke von welchem stammt. Nur die Idee über die Fremdeinflüsse sind ausschließlich von mir, aber das darf natürlich niemand wissen.
Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus und nochmaligem Dank für Eure freundlichen Glückwünsche Dein getreuer (gez.) CarlHB.
55.C.H.B. an Fritz Sell. Berlin, 5.1.1933
(Maschinenmanuskript)
Lieber Fritz!
Zu Deinem morgigen Geburtstag möchte ich Dir vom ganzen Hause die herzlichsten Glückwünsche schicken. Ich benutze diesen Anlaß, Dir für Deinen lieben ruß zu danken. Auch sende ich Dir einen kleinen Aufsatz aus der Voss(ischen Zeitung), der Dich vielleicht interessiert. Wir haben ein sehr schönes und stilles Weihnachtsfest mit der Schwiegertochter verbracht. Das Brautpaar war jetzt in Augsburg, und langsam rüsten sich Hertha und Hellmut wieder zur Abreise. Ich bin von der Flut der Briefe, die dieses Jahr zu Weihnachten vor der ganzen Welt her herbeigeströmt ist, einfach ertränkt worden. Ich muß deshalb sehr an die Nachsicht meiner Freunde appellieren, wenn ich nur kurz und selten schreibe, aber ich hoffe, daß das unsere Freundschaft nicht beeinträchtigt, denn im allgemeinen kann man meiner Gesinnung sicher sein.
Es hat mich auch in Deinem Interesse gefreut, daß Sondag in Kassel geblieben ist, und ich höre von den verschiedensten Seiten, daß man in der Wirtschaft dem beginnenden Wiederaufstieg sehr optimistisch entgegen sieht. Das dürfte ja dann auch auf den Staat sich auswirken, und damit auch auf unser Schulwesen und die Möglichkeiten erhöhen, auch Dir einen neuen definitiven Wirkungskreis zu verschaffen. Jedenfalls gehen meine besten Wünsche nach dieser Richtung, und Du weiß, daß ich jederzeit von Herzen gern helfe, wenn Du irgendwo glaubst, mich als Hilfskraft benutzen zu können. Vor allem aber alles Gute in Deinem engsten Familienkreis! All die Meinigen grüßen mit mir herzlich. Wir wünschen vor allem Dir im doppelten Sinn ein gutes neues Jahr.
Von Herzen Dein getreuer (gez.) Carl.
Ende des Dossiers Fritz Sell aus dem Privatarchiv von Michael Becker, Berlin.
4 Deutsche Innenpolitik 1930-32. Die letzte parlamentarische Regierung Müller trat 1930 zurück und wurde von Hindenburg durch die Präsidialkabinette Brüning-Papen-Schleicher ersetzt. RK Brüning *1885 +1970 regierte mit Hilfe des §48 WV gegen linke und rechte Radikale. Versuch, die Wirtschaftskrise seit 1929 durch deflationistische Politik, Senkung von Löhnen und Gehältern sowie der Arbeitslosenentschädigung, – aber auch der Preise. Die RT-Wahlen September 1930 stärken die Radikalen. 1931 Bildung der Harzburger Front zwischen NSDAP, DNVP und Stahlhelm; aber auch der Eisernen Front zwischen SPD, Gewerkschaften und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (einer Schutzformation gegen die gewalt der SA). 1932 erfolgte die Wiederwahl Hindenburgs (Gegenkandidat Thälmann, KPD). 30.5.32: Sturz der Regierung Brüning. Der Radikalisierung der NSDAP wird durch Verbot von SA und SS begegnet durch RK von Papen *1897 +1969. Doch nach Auf-lösung des RT am 4.5.32 wird deren Verbot zurückgenommen. Hitler toleriert die Regierung Papen. Die bürger-kriegsähnlichen Zustände liefern Reg.Papen den Vorwand für den Staatsstreich gegen Preußen im Juli 1932 und Absetzung der Regierung Braun! Bei den RT-Wahlen im Juli erhält die NSDAP die meisten Stimmen; Papenplan zum Aufschwung der Wirtschaft wird niedergestimmt … November 1932 erleidet die NSDAP große Stimmenverluste,Gewinne der KPD. 28.1. RK General von Schleicher versucht NSDAP zu spalten (Strasser); Verhandlungen mit SPD, Gewerkschaften und Mittelparteien zur Tolerierung seiner Politik scheitern. Nach dem Wahlsieg der nazis in Lippe tritt v. Schleicher zurück. Hitler hatte inzwischen Hindenburg durch Vermittlung Papens von sich überzeugt: am 30.1.1933 wird Hitler RK …
VI. Nl. C.H. Becker Nr.6295 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
34. Frankfurter Intelligenz-Blatt vom 24.1.1910
Paris, 23.1.(1910)
In einem unter dem Vorsitze des Deputierten Chailly veranstalteten Versammlung der französischen Kolonialgesellschaft hielt der Professor des Hamburger Kolonialinstituts Becker einen Vortrag über den Islam und die Kolonisierung Afrikas. Der Redner führte u.a. aus, man möge sich vor Augen halten, daß der Islam eine große Anziehungskraft auf die Neger ausübe und sich deshalb vor einer rücksichtslosen Christianisierung in Acht nehmen, um nicht den muselmanischen Fanatismus zu wecken. Man möge alle guten zivilisatorischen Elemente des Islam verständnisvoll benützen. Hauptsächlich würde es sich empfehlen, eine Verständigung zwischen den europäischen Staaten zur Abgrenzung der religiösen Einflußsphäre zu erzielen und starke „christliche Inseln“ in dem Meere des Islam zu schaffen. Es handle sich um eine Frage von internationaler Bedeutung, die jedoch keinerlei politischen Zündstoff enthalte und deren Lösung vom Gesichtspunkte der menschlichen Solidarität versucht werden müsse. Der Vortrag wurde sehr beifällig aufgenommen.
VI HA. Nachl. C.H.Becker. Rep.92 Becker C. Nr. 124
30. C.H.B. an Dr. Cornicelius, Berlin. (Bonn?), 3.12.1914
(Maschinenkopie)
Sehr geehrter Herr Doktor!
Freundlichen Dank für Ihren Brief in Sachen der Internationalen Monatsschrift. Si können sich denken, daß ich jetzt ungefähr jeden Tag auf eine ähnliche Anfrage zu reagieren habe. Wenn ich Ihnen neulich die versprochene kurze Äußerung nicht sandte, so geschah das einfach aus Zeitmangel und weil eine intimere Erörterung z.B. des Heiligen Krieges und des berühmten Fetwas zur Zeit politisch nicht opportun ist, da man als Gelehrter doch darauf hinweisen müßte, wieviel Theater bei der Sache ist. Hingegen würde mich ein allgemeiner Islam-Artikel über die kulturelle und nicht über die religiöse Seite schon interessieren. Ich will ihn auch gern im Auge behalten, aber ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich mich nicht binden kann, da ich ein kleines Islam-Buch unter der Feder habe, das jetzt ein dringendes Bedürfnis darstellt und unbedingt vorgeht. Daneben sind meine dienstlichen Pflichten zur Zeit nicht gering. Aber immerhin wechselt man gern einmal, und ich hätte schon einige Gedanken, die ich gerade in Ihrer Zeitschrift gern zum Ausdruck brächte.
Mit verbindlicher Empfehlung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)
31. C.H.B. an Prof. Dr. M. Cornicelius, Berlin. (Bonn?), 25.1.1915
Hochgeehrter Herr Professor!
Ich habe Ihnen noch zu danken für Ihre erneute Anfrage über einen von mir zu liefernden Islamartikel für die Internationale Monatsschrift. Inzwischen ist ein heftiger Angriff des berühmten holländischen Islamforschers Snouk Hurgronje gegen die deutsche Islampolitik erfolgt und zwar in De Gids unter dem Titel ‚Heiliger Oorlog made in Germany’. Soeben habe ich eine ausführliche Entgegnung (ca. 1 Bogen)1 vollendet und würde diesen sehr gern möglichst bei ihnen abgedruckt sehen. Können Sie ihn noch in die Februar-Nummer aufnehmen?- Mit der Bitte um baldige Antwort bin ich mit hochachtungsvollem Gruß
Ihr sehr ergebener (C.H.B.)
32. Prof. Dr. M. Cornicelius, Berlin an C.H.B. Berlin, 26.1.1915
Hochgeehrter Herr Professor,
Das nächste Heft soll pünktlich am 15. Febr(uar) erscheinen, also am 8., spätestens am 9. umbrochen werden. So ist es, wenn Sie das Manuskript freundlich umgehend schicken, noch rechtzeitig. Der Umfang ist ja etwas stark für den beschränkten Raum, doch wenn möglich, werde ich mir zu helfen suchen. Mit den besten Empfehlungen in Ergebenheit
Ihr :M.Cornicelius.
33. C.H.B. an Prof. Dr. M. Cornicelius, Berlin. Bonn, 30.1.1915
(Maschinenkopie)
Hochverehrter Herr College!
Anbei übersende ich Ihnen das druckfertige Manuskript. Ich freue mich sehr, daß Sie es noch so bald haben placieren können. Es wird sich wohl ziemlich zusammendrucken. Ich bitte um 150 Separatabzüge, da ich es nach vielen Seiten zu verschicken beabsichtige.
Mit verbindlicher Empfehlung und nochmaligem besten Dank Ihr ergebenster (C.H.B.)
Einschreiben!
1 1 Bogen in der Druckersprache 32 Seiten. Der Herausgeber
HA.VI. Nachl. C.H.Becker. Rep.92 Becker C. Nr. 2776
29. Prof. S.M.Zmemer an Professor Chatelier, Wiesbaden, 28.8.1912
My dear Professor Chatelier,
Although I have spent two months this summer in Germany my engagements have been so many that I have not been able to go to Paris much as I should have liked to see you and talk with you on the present Moslem situation.
I have, however, a proposal to make for which I ask your kind consideration.
The changes in the Moslem World and the awakened interest both in secular and religious circles are so great that many of us feel that a small confidential conference of leaders would prove mutually helpful. I propose, therefore, that you, if you are agreed, should issue an invitation to not less than twenty-four and not more than thirty of the leading orientalists and students of Islam to meet some time next summer at the beginning of July or August in Leyden or Paris for a two days’ conference: one half of the number of delegates to consist of men like yourself, Goldziker, Grimme, Becker, Caetani, Hartmann, and others who study Islam but not especially from the missionary standpoint; the other half of the conference members to be composed of men like Prof. Meinhof, Simon, Axenfeld, Gairdner etc., who study Islam from the missionary standpoint.
My thought was that during the first day of the conference we might consider the general topic. How can the Missionaries help the Orientalistsin studying the Moslem Problem as regards its literature and politics; and on the second day, we might reverse the subject and consider the same topic, asking How can Orientalists help the Missionaries?
It is my firm conviction that we would gain very much mutually by meeting in this way. The conference would not be public and the discussions and conclusions would not be published unless we agreed unanimously.
What do you think of the plan, of the time proposed, and of its possibility? If you favor the proposal I shall be glad to write to Dr Becker also, as it would perhaps be the best that he should join us in this matter.
HA.VI. Nachl. C.H.Becker. Becker Rep. 92 B. Nr. 6423
23. Prof. A.A. Bevan, Esqu. an C.H.B., Hamburg. Trinitiy College, Cambridge, 18.8.1909
Verehrter und lieber Herr Kollege!
In meinem Kapitel für die Cambridge Mediaeval History habe ich die Erzählung nur bis zum Tode des Propheten geführt. Von der Ridda habe ich also Nichts gesagt; auch Musailima wird nicht erwähnt, obgleich er schon bei Lebzeiten Muhammeds bekannt war. Die Hauptgenossen des Propheten werden selbstverständlich genannt, aber auf eine nähere Charakterisierung derselben habe ich verzichtet. Sie sehen also, daß Sie in der Behandlung dieser Gegenstände unumschränkte Freiheit haben. Auf die Weiterentwicklung des Islam wird in meiner Skizze hie und da Bezug genommen, z. B. wo es sich um die rechtliche Stellung der Nicht-Muslime handelt; das ist aber mit aller Kürze geschehen.
Von unserem Zusammensein in Kopenhagen habe ich die angenehmste Erinnerung bewahrt. Mit herzlichem Gruß verbleibe ich Ihr ergebenster A.A. Bevan.
24. Postkarte von Prof. A.A. Bevan an C.H.B. Cambridge, 4.8.1910
Hochverehrter Herr Kollege!
Bitte empfangen Sie meinen herzlichen Dank für die Zusendung Ihres Aufsatzes ‚Zur Geschichte des östlichen Sudans’, den ich mit großem Interesse gelesen habe.
Mit bestem Gruß Ihr ergebenster A.A. Bevan.
25. Prof. A.A. Bevan an C.H.B. Cambridge, 30.1.1912
Hochverehrter Herr Kollege!
Vielleicht gestatten Sie mir in einer gewissen Verlegenheit um Auskunft zu bitten. Ich bin nämlich von den Herausgebern der Cambridge Medieval History beauftragt worden die Orthographie der arabischen Namen nach einem einheitlichen System zu regeln. Nun findet sich in dem von Ihnen herrührenden Kap.XI ein Name, den ich in den Quellen nicht nachweisen kann. Da heißt es in der englischen Übersetzung, auf welche ich allein angewiesen bin (Seite 13):
„This effected, the combined forces of the Muslims once more advanced against Theodorus, who had occupied a strong position at Adjnadain or better el-Djanabatain, between Jerusalem and Gaza.”
Wollen Sie mir gefälligst sagen aus welchen Quellen der Name el-Djanabatain stammt? Oder liegt hier ein Schreib- oder Druckfehler vor?
Mit bestem Gruß empfiehlt sich Ihr ergebenster A.A.Bevan
26. C.H.B. an Prof. A.A.Bevan, Cambridge. (Hamburg), 1.2.1912
(Maschinenkopie)
Lieber Mr. Bevan!
Ich freue mich aufrichtig, daß die Cambridge Medieval History daran schuld ist, daß ich wieder einmal ein Lebenszeichen von ihnen erhalte. Der Ort El-Djannabatain – mit zwei nn – ist ganz richtig. Es ist eine Konjektur des russischen Gelehrten Mietnikoff, die Caetani rezipiert hat. Auch ich habe mich dieser Identifizierung von El-Djannabatain mit dem üblichen Adjnadain angeschlossen. Wenn Sie sich für die Frage und die geographische Lage näher interessieren, verweise ich auf die Annali dell’Islam Vol.III a.H. 13, § 22 S. 32. Dort ist auch eine Karte des fraglichen Geländes gegeben.
Es ist mir sehr angenehm, daß die arabischen Namen konsequent durchkorrigiert werden. Hoffentlich liegt Ihnen meine letzte Korrektur vor, in der ich ein konsequentes System angewandt habe, nachdem der erste Satz zahllose Inkonsequenzen meines Manuskriptes erhalten hat. Da Sie nahe Fühlung mit der Leitung der C.M.H. haben, darf ich wohl auch darum bitten, ein Auge darauf zu haben, daß noch ein Kapitel über Abassiden und Fatimiden hinzugefügt wird, das im Grundplan nicht vorgesehen war, das ich aber gleich bei der ersten Korrespondenz gefordert habe. Professor Gwatkin hatte mir seinerzeit versprochen, daß dieses Kapitel noch hinzugefügt würde, und darauf habe ich meine ganzen Pläne in Kapitel 11 und 12 aufgebaut. Auch wäre es im Interesse des Verständnisses der Kreuzzüge unbedingt not-wendig, daß die Geschichte des östlichen Mittelmeeres nicht 750 abbricht, resp. nur skizzen-weise bis auf Saladin durchgeführt wird., wie in meinem Kapitel 12. Da inzwischen die Leitung der Herausgabe gewechselt hat, weiß ich nicht, ob meine Wünsche berücksichtigt sind, mag aber auch natürlich nicht direkt anfragen, da mich ja die Leitung des Unternehmens nichts angeht. Ich hoffe meine beiden Kapitel haben Sie interessiert. Sie haben mir recht viel Mühe gemacht.
Hoffentlich sehen wir uns dieses Frühjahr in Athen wieder und verbringen dann wieder so angenehme Stunden zusammen wie in Kopenhagen.
In dankbarer Erinnerung und mit verbindlichen Grüßen
Ihr Sie verehrender (Gez. C.H.Becker)
27. Postkarte von A.A.Bevan an C.H.B. Cambridge, 3.2.1912
Hochverehrter Herr Kollege!
Recht herzlichen Dank für die Antwort auf meine Frage! Ich weiß nicht durch wessen Schuld eines der „n“ ausgefallen ist, aber der Fehler läßt sich leicht berichtigen. Über das Abassidenkapitel werde ich mich bei Gwatkin erkundigen.
Mit herzlichen Grüßen Ihr ergebenster A.A. Bevan.
28. Postkarte von A.A. Bevan an C.H.B. Cambridge, 28.9.1912
Hochverehrter Herr Kollege!
Ihren Artikel „Islam“, aus dem Archiv für Religionswissenschaften, den Sie mir in liebenswürdigster Weise geschenkt haben, ist mir soeben bei meiner Rückkehr nach Cambridge zu Gesicht gekommen. Bitte empfangen Sie dafür meinen wärmsten Dank!
19. C.H.Becker an Professeur Paul Casanova, Collège de France, Paris. Hamburg, 28.12.1911
(Maschinenkopie)
Monsieur et vénérable Collègue,
Permettez-moi de vous exprimer ma plus vive reconnaissance de votre importante publication. Mohammed et la fin du monde. J’ai mis tous mes autres travaux de côté pour l’étudier avec empressement. Vous avez émis une thèse originale qui escritera une discussion prolongée. Malheureusement je ne pourrai pas suivre vos pas, si séduisantes que soient vos idées. Je pourrais me taire, mais je tiens le silence pour un mauvais service à rendre à un homme de votre compétence et érudition. Vous voulez que vos idées gagnent le monde. Eh bien, y-a-t-il un moyen plus efficace que de les discuter ? C´est pourquoi je suis sûr que vous ne m’en voudrez pas mon opposition dictée par le respect pour votre personne.
Veuillez agréer, Monsieur le professeur, l’assurance de ma reconnaissance sincère et l’expression de mes sentiments les plus distingués et respectueux. (C.H.B.)
20. Paul Casanova an C.H.B. Paris, 1er janvier 1912
Monsieur et très honoré Collègue,
J’ai reçu avec grand plaisir votre lettre du 28 décembre. Ne craignez pas que je m’offense de la discussion. Du moment qu’elle porte uniquement sur les idées que j’expose et n’ai d’autre but que d’apporter une contribution à la vérité, je suis le premier à me réjouir. En effet, ou bien elle procurera d’autant plus que j’ai raison, et j’en serai très fier. Ou bien, elle établira que j’ai tort, et mon erreur aura servi à bien remettre en évidence la vérité de la thèse opposée, et alors, j’aurai indirectement contribué à ce résultat utile à la science.
Puisque vous ne paraissez pas favorable à ma thèse, permettez-moi de vous faire remarquer que ce n’est pas moi qui l’ai inventé, et que les expressions, en parlant de Mohammed (ici suit une ligne en arabe) sont très fréquentes, ainsi que d’autres expressions similaires, que je rappellerai dans la seconde partie. Si ces expressions sont fausses, elles n’ont pu être inventées à l’époque où on était convaincu que la fin du monde et la mission de M(ohammed) compromettants (Nota:encore moins après). Elles sont donc antérieures à la doctrine contraire. Elles reflètent donc les premières idées des Musulmans, celles qui guidèrent la recherche des (en arabe: fehlt). Est-il alors croyable que les premiers Musulmans aient été si ignorants de la doctrine du Prophète? S’ils ont été si ignorants, ceux qui les ont suivis ont dûs altérer encore bien plus la vraie doctrine. Alors que reste-t-il? Il reste le Coran, direz-vous. Mais si les premiers Musulmans et les autres ont altéré la vraie doctrine, pourquoi le Coran serait-il moins altéré ? Et comment croire que le Coran ait été altéré, si on n’avait pas des raisons sérieuses de le faire. Enfin, nous savons qu’Omar (d’après Ibn Hi Châm) soutenait ma thèse. Abu Bekr la combattit évidemment pour des raisons politiques. Etait-il sincère ? Il est difficile d’admettre qu’Omar fût de si mauvaise foi ou si ignorant ! Il est facile d’admettre qu’Aou Bakr fût dissimulé et habile. Je me sui rangé du côté d’Omar ; vous, à ce que je vois, êtes pour Abou Bakr. La grande querelle va recommencer. Omar se défendra, cette fois.
Veuillez agréer, Monsieur et très honoré Collègue, l’hommage de mes sentiments les plus respectueux et dévoues.
Paul Casanova.
21. Paul Casanova an C.H.B, Hamburg. Paris, 17.1.1912
Mes remerciements pour l’intéressante Christliche Polemik, etc. Paul Casanova
22. Paul Casanova an C.H.B. Arcachon, 2.9.1912
Cher Monsieur,
Je vous remercie de m’avoir envoyé votre comte-rendu si intéressant sur la littérature relative à l’islam. J’y ai vu votre appréciation sur mon livre. Vous m’aviez prévenu, aussi n’ai-je pas été surpris du ton peu indulgent de votre critique. Vous êtes vraiment sérieux ( ?) pour le gelehrter qui se permet d’avoir sur l’islam d’autres idées et d’autres méthodes que Goldziker et Sowsuck Hungrosny. Ce qui me console, c’est que vous admettez vraiment que Mohammed a annoncé dans les premiers sourats la proximité de la fin du monde. C’est dit par S.Hungrosny. Alors qui pourrait la nier? Pas moi, toujours. Car si M(ohammed) y a cru d’abord, qu’on m’explique pourquoi il n’y aurait plus cru ensuite, et non (?illisible, weggelocht) seulement il n’y aurait plus cru, mais il aurait été sûr qu’il mourrait avant! Or Dieu lui avait révélé qu’il ne savait pas ce qui en serait de l’heure. Donc, il aurait changé d’idée sur ce point. Moi je dis : il n’en a jamais changé, et les Musulmans n’en ont changé qu’après sa mort. Vous dites que j’ai fait des hypothèses. Non certes; je vous l’ai écrit. Je n’ai fait que développer la théorie d’Omar qui, lui, a changé d’idée après la mort de Mohammed. Je dis que Omar avait raison d’abord, car si Mohammed avait, pendant sa vie, changé d’idée, Omar aurait changé avec lui – ou aurait abandonné l’islam. J’ai dit (conformément à Ibn Babouweich) que la thèse d’ Omar contenait le mahdisme en germe et qu’elle en était le vrai islam. Il n’y a pas l’ombre d’une hypothèse dans tout cela. Tout ce que j’avance est fondé exclusivement sur des textes, les uns déjà connus de Sprenger (?) de S. Hungrosny, etc., les autres réunis, pour la première fois, par moi pour établir que ma thèse a été celle des premiers Musulmans : (arab. Ausdruck), et qu’elle a été abandonnée par des nécessités politiques. Vous n’avez peut-être pas été tout à fait impartial en négligeant d’indiquer que si je n’avais pas pour moi Goldziker et S. Hongrosny, j’avais Omar etc., sauf Abu Bakr, tous les Musulmans de Médina, au moins pendant quelques temps. Ce sont des autorités sur lesquelles un gelehrter a quelque droit de s’appuyer. Vous me direz qu’ils ont reconnu leur erreur. Je vous répondrai que les circonstances dans lesquelles ils ont si radicalement changé de doctrine sont suspectes, et que l’enquête que j’ai faite, depuis plusieurs années sur cette question m’a conduit à mon livre. Tout le débat est là. Les (illisible, puis en arabe). Dire le contraire est possible. Reste à le prouver.
Veuillez agréer, cher monsieur, l’assurance de mon profond dévouement Paul Casanova
Vous n’êtes pas inconnu pour moi et j’ai entrevu à la Bibliothèque de l’Ecole des Langues orientales votre Ibn Al-Djanzî (évidemment Ousâma et Becker) que je regrette bien de ne pas posséder.
Quant au m(anuscrit) de l’Escurial 1698 (Casiri 1693), j’ai certainement sur lui une notice que je rechercherai un de ces jours à votre intention. Je ne connais pas le nouveau bibliothécaire de l’Escurial, c’est assurément un frère Augustin nouvellement installé, son prédécesseur, le Père Lazcano étant mort il y a quelques mois. Vous pouvez travailler là bas et je vous ferai au besoin donner tous les renseignements nécessaires. Votre bien dévoué Hartwig Derenbourg.
2. Derenbourg an C.H.B. Paris, 23.5.1900
Monsieur le Docteur,
Merci pour votre Ibn Al-Djanzî ! Quant à Ibn Al-Kalbî, voici tout ce que je trouve dans mes notes prises en 1880 à l’Escurial.
Ecriture asiatique, 265 feuillets, 17 lignes à la page (es folgen arabische Hinweise) ; manuscrit daté de 616 de l’hégrie ; commencent sans introduction. (Weitere arabische Hinweise).
Le Père Augustin, actuellement bibliothécaire à l’Escurial, était à Paris la semaine dernière, mais je ne l’ai pas vu. Si vous allez là-bas, veuillez me prévenir, je vous procurerai toutes les facilités ayant beaucoup d’amis excellents là-bas et étant membre honoraire de l’Académiede l’histoire de Madrid.
Recevez avec mes vœux pour le succès de votre travail mes meilleurs compliments.
Hartwig Derenbourg
3. Derenbourg an C.H.B. Paris, 15.8.1900
z.Z. Macolin/CH, Kurhaus
Mon cher Confrère,
Le Bibliothécaire de l’Escurial était à Paris à la fin de juillet et je ne sais s’il est rentré au bercail. C’est un Père Augustin, cet ordre étant installé dans le Palais de San Lorenzo. Son prédécesseur était un peu orientaliste ; il ne l’est pas du tout. C’est au Palais Royal à Madrid qu’il faut vous adresser pour être autorisé à travailler. Mais si la permission n’est pas arrivée au couvent on vous communiquera des manuscrits pour vous permettre de l’attendre sans vous faire perdre votre temps.
D’ailleurs, je rentre à Paris le 2 septembre au soir pour assister le lundi 3 septembre à l’ouverture du Congrès de l’histoire des religions. C’est à ce Congrès que je passerai tout mon temps du 3 au 8 et que vous serez sûr de me trouver. Le 3, ce sera au Palais des Congrès ; du 4 au 8 à la Sorbonne (section de l’islamisme et des réligions sémitiques). Je serai très heureux de vous y voir et de causer avec vous. Votre tout dévoué Hartwig Derembourg.
4. Derenbourg an C.H.B., Granada Paris, 30.10.1900
Cher Confrère,
Merci de votre envoi ! Je vois avec plaisir que votre ‘Omar II est le commencement d’une série, où vous chercherez à éclaircir l’histoire si obscure des Omeyyades. Il me semble que vous n’avez pas assez tenu compte d’un passage de Mas’oûdî, Prairies d’or, v.418, d’après.
lequel ‘Omar aurait été désigné par Soulaimân comme son successeur ; voyez aussi le passage du Fahtîr relatif à (arab. Text)
Publierez-vous votre M(anuscrit) 2027 ou désirez-vous que je vous recommande la publica-tion comme thèse à un de mes élèves. Si vous êtes de retour d’Espagne, vous m’obligerez en me donnant des nouvelles de vos études là-bas.
Votre bien dévoué Hartwig Derenbourg.
5. Derenbourg an C.H.B. Paris, 10.5.1902
Mon cher Confrère,
573-700
Merci pour votre très intéressante plaquette ! Il (weggelocht !) a pour moi une opportunité toute particulière, j’imprime en ce moment un second vol(ume) de ‘Oumâra qui paraîtra à la fin de l’année, qui contiendra des épîtres en partie historiques de ‘Oumâra et une biographie française plus courte, mais dans le même genre que Ma vie d’Ousâma.- Si ces épîtres pouvaient vous être utiles, je pourrais dès à présent vous en adresser un exemplaire des bonnes feuilles. Moi aussi, j’inspire Al-Moushassin dans monCat(alogue) de l’ Escorial II, p.4
(encore inédit), à propos de Esc(urial) 714. Votre note sur Ibn Al-Bâkîlânî, me pousse à vous recommander ce que j’ai dit p.16 dans mes Manuscrits de la Collection Schafer que je vous adresse par ce même courrier. Je vous indique aussi p.22 le vol(ume) d’Ibn Al-Baisânî qui a droit de cité parmi les historiens, comme vous le constatez p.24 de Makrizî ? Il cite quelquefois ‘Omâra, quoique vous en ayez dit, mais assez rarement. Pour Ibn Mîsar ou (unleserlich, Stempel) , je vous rappelle (unleserlich) H. Derenbourg
6. Derenbourg an C.H.B. Paris, 11.6.1902
Cher Confrère,
par ce même courrier je vous envoi les pages 1-8, en bonnes feuilles, de mon ‘Omâra. Si vous y découvrez quelque grosse faute, quelque incorrection graves, faites moi part de votre rectification, enfin que je puisse encore l’utiliser.
En m’informant de l’arrivée de mon paquet contenant aussi les pages 49-64 de mon (arab. Text) par Ibn Khâlanaihi, dites-moi si vous n’en possédez rien encore et si vous aimeriez recevoir le reste. Dans ce cas, je vous l’adresserai.
A vous très cordialement Hartwig Derenbourg.
7. Derenbourg an C.H.B. Paris, 30.10.1903
Cher Confrère,
Merci pour le 2e fascicule des Beiträge. Ils ont été d’autant plus les bienvenus que je m’occupe en ce moment plus assidûment de l’Egypte musulmane en préparant la partie française de mon ‘Oumâra du Yémen, une bibliographie semblable à celle que j’ai consacrée à Ousâma. Avez-vous des notes sur le XIIe siècle en Egypte ? Seriez-vous disposé à me les communiquer ou m’en faire profiter en lisant une épreuve de mon volume dont l’impression va commencer ? En attendant, je vous envoie par ce courrier le 2e tome de ma Partie arabe.
Votre bien dévoué Hartwig Derenbourg.
8. Derenbourg an C.H.B. Paris, 7.11.1903
Cher Confrère,
En réponse à votre lettre du 2 (novembre), je vous demande d’abord si vous avez à votre disposition notre m(anuscrit) 6068 provenant des fonds Schafer des (arab. Text). En a-t-on découvert un exemplaire complet et où? Vous feriez peut-être bien de venir à Paris examiner deux m(anuscrits) non-catalogués encore et qui appartiennent peut-être à votre ouvrage, sûrement à des ouvrages a lognes (illisible?). Je pourrais vous fournir quelques renseigne-ments à ce sujet. Vous m’obligerez en me prêtant votre copie du Mougrib d’Ibn Sa’ûd au sujet des Fatimides.
Quant au Moukaffâ de Makûzî, regardez, je vous prie, dans l’index de ma partie arabe s’il y a des personnages dans la biographie me serait utile. De même pour Sibt Ibn Al Djanzâ.
Merci d’avance ! Votre bien dévoué Hartwig Derenbourg.
9. Derenbourg an C.H.B. Paris, 15.11.1903
Mon cher Confrère,
Vos manuscrits me sont parvenus et je vous prie de m’excuser si je ne vous en ai pas encore accusé réception. Ce que je regrette, c’est que j’y trouverai si peu de matériaux pour ma ‘Viede ‘Oumâra.
Je compte toujours sur votre collaboration et vous recevez une épreuve que vous parcourrez sans la limite où cela vous sera possible.
Croyez à mes meilleurs sentiments. Hartwig Derenbourg.
10. Derenbourg an C.H.B. Paris, 13.12.1903
Cher collègue,
Merci de vos observations et je vous prie de m’en faire de semblables, dans la même mesure, pour les feuilles suivantes, à mesure qu’elles vous parviendront, trop lentement à mon gré. Mais, j’ai tant d’autres occupations !
Ibn Schaîdâde n’a rien sur ‘Oumâra. Son œuvre est publié in-extenso dans Histoires orientauxdes croisades III, en tête avec traduction française par De Slanes.
W.Popper a été mon élève, c’est moi qui l’avais poussé vers Ibn Tagnîbardî, mais je croyais le projet abandonné par lui. Je le rappelle pour le lui rappeler.
Je suis très curieux de voir le livre d’Else (ai-je bien lu le prénom ?) Reitemeyer,Beschreibung Ägyptens im Mittelalter. Vous m’en donnerez votre avis à l’occasion.
Bien à vous Hartwig Derenbourg.
11. Derenbourg an C.H.B. Paris, 28.1.1904
Cher Confrère,
Il y a un petit entracte dans mes publications à cause d’autres occupations urgentes. Mais je ne tarderai pas à imprimer les feuilles 4-6 et vous en aurez la primeur ; car je compte sur vos précieuses observations préventives.
Votre bien dévoué Hartwig Derenbourg.
12.Derenbourg an C.H.B. Paris, 15.3.1904
Cher Confrère,
A tout hasard je vous envoie les placards 9-11 de mon ‘Oumâra dans l’espoir que vous aurez encore le temps de la lire avant votre départ pour l’Italie. Sinon, ils dormiront jusqu’à votre retour. Quant au placard 12 mis en pages, vous l’aurez probablement seulement après votre réintégration au domicile badois. Désirez-vous au fur et à mesure un exemplaire des feuilles tirées ? Je tiens à votre disposition 1-3.
Bon voyage et bon plaisir ! Hartwig Derenbourg.
13. Derenbourg an C.H.B. Paris, 24.5.1904
Cher Confrère,
Il y a quelques jours, je vous ai envoyé une épreuve de ma feuille 6 pour recueillir éventuellement vos observations, cette feuille n’étant pas encore tirée. Vous m’obligerez en m’envoyant vos propositions en vue de sa mise au point par retour du courrier. Les feuilles 1-5 sont tirées.
Votre bien dévoué Hartwig Derenbourg.
14. Derenbourg an C.H.B. Paris, 21.4.1906
Cher Confrère,
Merci de m’avoir envoyé votre suggestif travail sur la chaire dans le culte du vieil islâm. Pour ma part, j’ai peiné à déraciner ma vieille conception de l’endroit d’où l’on parle, archaiquement conservé en éthiopien, comme (unleserlich, arabisch ?) écrit «désignation des Corans à l’origine, et ce propos, je vous signale (hebräischer Text) dans une inscription sabéenne C.J.S.106, l.1. J’ai traduit ‘forteresse’ d’après ‘guerre, combat’ ; s’agirait-il peut-être d’un (arabischer Text) ?
En attendant que paraisse votre 3. Heft1, que j’attends avec tant d’impatience et que vos papyrus vont encore retarder, je vous prie de me faire savoir si vous avez quelque note sur les 2 personnages suivants : (Arabische Namen). Ce sont deux révoltés cités dans ‘Oumâra, un autre retardataire, dont je ne tarderai pas à renouer la chaîne longtemps interrompue.
Donnez-nous, à notre vieux ménage, des nouvelles de votre jeune couple.
A vous très cordialement Hartwig Derenbourg.
15. Derenbourg an C.H.B. Paris, 15.6.1906
Cher Confrère et Ami,
Merci pour l’envoi de votre beau livre. Je lui ai fait bon accueil et j’en ferai l’objet d’une notice dans le Journal des Savants. Je viens de le faire acheter par le Département des manuscrits de notre Bibliothèque Nationale et par notre Bibliothèque de l’Université. Un autre résultat de votre publication est que trois de mes élèves vont se mettre à un premier examen de nos papyrus arabes du Louvre. Je vous tiendrai au courant de leurs impressions.
Pour (arabischer Name), je trouve dans un m(anuscrit) à plusieurs reprises (arab. Text). Qu’en pensez-vous ?
Pour vos manuscrits donnez-moi encore un peu de délai, à moins d’urgence.
Votre bien dévoué Hartwig Derenbourg.
16. Derenbourg an C.H.B. Paris, 13.7.1906
Cher Collègue,
Vous avez mes pleins pouvoirs pour votre papyrus. Seulement veuillez nous en réserver la publication, sous votre nom bien entendu, dans les Notices et extraits : car il fait partie d’un lot acquis par l’Académie des inscriptions et belles-lettres.
Croyez à mes sentiments d’affectueuse confraternité.
Hartwig Derenbourg
17. Derenbourg an C.H.B. Paris, 4.6.1907
Cher Confrère,
Par ce même courrier, je vous retourne enfin les trois cahiers d’ Ibn Sa’îd et la note d’Ahmad Zakî, ainsi que les pages 273-275 en épreuves de mon ‘Oumâra. Il sera temps de les regarder lorsque prochainement vous aurez reçu de nouveaux placards. Mon volume a subi une inter-ruption forcée parce que j’ai dû reprendre énergiquement les travaux du C.J.S., sans compter les obligations de mes cours (plus de 40 élèves cet hiver) et les devoirs sociaux d’une grande ville.
C’est ce surmenage qui m’a empêché de vous remercier, comme je l’aurais dû de votre Christentum und Islam. Toutes les religions des peuples civilisés se valent. A côté de leur valeur historique, elles apportent à la misère humaine des consolations, dont une élite peut seule se passer. Quel appui elles sont pour les gouvernements ! Quel concours plus général elles leur apporteraient?; s’ils tenaient l’égalité entre toutes les confessions, si, par des exclusions injustifiées ou par des contraintes immorales, ils ne jetaient pas dans l’opposition les exilés de l’intérieur ! Un souffle libéral anime votre exposé, mais pas encore aussi libéral que je voudrais.
Merci encore de votre prêt et de votre patience à m’en laisser jouir ! Prévenez-moi aussitôt qu’il sera revenu au bercail.
Paraîtra-t-il bientôt un deuxième fascicule de vos Papyri? J’ai retenu au Journal des Savants de 1908, vers mars ou avril, la place pour un compte-rendu important qui étudierait l’importance et l’état de la papyrographie arabe. Il gagnerait s’il pouvait se rapporter en même temps à votre deuxième livraison. En passant, je vous rappelle mon papyrus, pour lequel nous souhaitons un vrai mémoire de vous:textes, traduction et commentaire qui seront publiés sous votre nom et responsabilité.
Croyez à mes meilleurs sentiments Hartwig Derenbourg.
P.S. Ma femme et moi, nous espérons venir à Bâle pour la réunion de la D.M.G2 et nous serions enchantés de vous y rencontrer ainsi que Frau Professor.
18. Derenbourg an C.H.B. Paris, 15.6.1907
Cher Collègue,
Selon votre désir, je vous renvoie le manuscrit arabe de Sibt Ibn Al-Djanzî que vous avez bien voulu laisser si longtemps entre mes mains. Recevez mes remercîments.
De mon ‘Oumâra du Yémen vous avez dû recevoir les 17 premières feuilles tirées. Les placards de la 18e ne tarderont pas à vous parvenir. Je fais en ce moment réimprimer la p.202, afin d’y substituer l-9 de la Date (weggelocht) du dix février 1162 à la date erronée qui s’y était glissée. Meilleurs compliments. Hartwig Derenbourg.
Den Höhepunkt der Zivilisation
Ich will dem Spiegel seinen Rang nicht streiten
Dieweil er ja der Ältere von uns Beiden
Doch halte ich mich für viel interessanter …
Der Spiegel ist ja manches mal pikanter
Doch gebt Ihr mir wohl alle darin recht
Daß oftmals, was der Spiegel zeigt, nicht echt.
Es herrscht ja anderseits auch darin Klarheit
Daß auch das Telephon nicht immer hört die reine Wahrheit
Der Spiegel zeigt Euch aber nur die äußere Gestalt
Ich kenne nur den inneren Gehalt.
Und, daß der Schein trügt, das beweist genau
Der Alex hier und seine kleine Frau! …
Ich kenne dich mein liebes Kind schon lange
Und hoffentlich wird Dir gehörig bange
Denn wenn ich reden wollte, könnt ich ihm und Dir
Verderben noch das ganze Festplaisir
Ich glaube, daß in Dein vergangenes Leben
Wohl keinem größrer Einblick ward gegeben
Wie mir, denn Du hast viel durch mich gesprochen
Und manches hast in Deinem Leben Du verbrochen
Nach jenem Ball in Deiner Vaterstadt
Des Morgens bei mir angeklingelt hat
5007 bitte schnell
Ertönte Deine Stimme glockenhell.
Da wohnt die brave Helly Schmidt,
Der teiltest Du dann Deine Sünden mit.
Das war dann ein Gehetschel und Getratsch
Und ein Geschnatter und Geklatsch.
Herrgott, was hab ich da nicht all vernommen:
Es war um graue Haare zu bekommen.
Na, fürchte nicht, daß indiskret ich werde.
Es ist ja nichts vollkommen auf der Erde.
Dein Alex ist ja auch nicht grad ein Engel,
Er ist sogar ein ganz verflixter Bengel.
Und schließlich muß ich auch gestehn
Daß seit den Engel Du gesehn
Und auch seit er in Dich sich hat verliebt,
Es für Euch Beide wieder Hoffnung gibt.
Drum will auch ich Euch meinen Segen geben:
Ich wünsche Euch ein frohes langes Leben.
Euch Beide brauche ich wohl nicht mehr zu verbinden,
Ihr werdet Euch viel lieber ohne mich zusammen finden.
Und vor der Schwiegermutter in der Niederauen
Da brauch’s Euch gar nicht mehr zu grauen.
Wenn die Euch gar zu oft am Telefon will sprechen,
Dann werde ich ganz ruhig die Leitung unterbrechen.
Da klingelt’s … Ich muß fort! Seid’s immer froh mitsamt
Donnerwetter, ja ich komm ja schon! …
Hier Amt! …
2.Der Spiegel
Der Wahrheit Stempel
Der Bosheit Tempel
Der Eitelkeit Siegel …
Ich bin der Spiegel.
Der Spiegel ist, wie die Sprache sagt
Ein Mann – Gott sei es geklagt,
Und Weiber, seien’s auch noch tolle,
Die passen nicht für diese Rolle.
Der Mann sieht die Dinge telquel, wie sie sind,
Die Weiber, wie Strauße, sie stellen sich blind
Und finden, daß des Spiegels Konterfei
Unvorteilhaft, zu wenig schmeichelhaft sei.
Was wollt Ihr aber, daß ich mache?
Bei mir ist Indiskretion Ehrensache
Und von dem vielen Umgang mit Frauen
Gewöhnt ich mich, nur auf das Ä u ß e r e zu schauen.
Doch keine Angst, vor der Tür da wartet schon
Was Euer Innres aufdeckt – das Telefon.
Zuerst seh ich natürlich die Toilett’,
Und gern bekenn ich: die ist wirklich ganz nett.
Überhaupt, mit Toiletten und Modesachen
Ist bei Dir mit Kritik nicht viel zu machen.
Denn außer Chic hast Du sogar Mut,
Denk nur an den berühmten „Babyhut“! Bahnbrechend hast Du die Mode kreiert,
Noch von späten Kritikern wirst Du zitiert.
Seit lange Dich der Babyhut schützt,
Aber sprich: Hat er eigentlich genützt?
Der Augenschein gibt mir bedenken,
Das Weitere will ich mir – und Dir schenken.
Und unter dem Hute, da lodert’s und brennt’s
Wie Flammen des feurigen Elements;
Rötlich schimmert es durch die Nacht
Als Dich einst der Storch gebracht.
Und noch heut, daß man Dir die Wagnerschwärmerei glaubt
Trägst Du den „Feuerzauber“ gleich auf dem Haupt.
Stolz bist Du auf Deiner Schultern Breite,
Auf die 56 cm Taillenweite …
Von Neuem kann ich es froh bekennen:
Man muß Dich gut gewachsen nennen.
Was sind die Duncan, Saharet, Madeleine,
Wenn wir die Sophie Andreae sehn? …
Wenn sich die anderen quälen und schwitzen,
Da wo die Mütter als Drachenburg sitzen,
Schwebt sie, wenn sie der Alex führt,
Ohne daß sie den Boden berührt,
Weich, biegsam und doch wieder keck,
Kurz, mit so ’nem gewissen „avec“:
Die früheren Größen gehören zur Masse
Seit Sophie tanzt; denn sie tanzt „Klasse“.
Als Du, Jüngling, zuerst in mich geschaut,
Warst Du fröhlich noch ohne Braut,
Aber dafür mit sehr viel mehr Haar,
Was entschieden zu Deinem Vorteil war.
Entweder hast Du sehr viel gedacht,
Und nächtelang über den Büchern gewacht;
Oder Du hast bei Austern, Sekt und Kaviar
Verschlemmt und verloren Dein üppig Haar.
Oder wär’s in des Sommers Hitze
Die schwere 17er Husarenmütze?
Oder kommt’s gar vom Cigarettenqualmen
Schon rauscht es in den letzten Schachtelhalmen
Und verdächtig leuchtig das Meer …
Bald gibt es keine Schachtelhalme mehr.
Und hell erglänzt an ihrem Platze
Das unbegrenzte Meer der Glatze.
Bei Herren und Damen
Mit griechischen Namen
Gehört griechisch Profil,
So will es der Styl.
Zuweilen aber zeigt sich auch,
Daß Namen sind bloß Schall und Rauch.
Denn wie Euer edles Beispiel lehrt:
Ein griechisch Profil ward Euch nicht beschert.
Noch manches voll Bosheit wollt‘ ich hier sagen,
Aber die Zensur der Frau Generalkonsul hat’s unterschlagen.
Sie erschrak über die Wahrheit in meinem Munde
Und wollt mich zerschlagen noch in letzter Stunde.
Ich kam davon mit dem bloßen Schreck,
Sie aber hat ein verstauchtes Handgelenk weg.
Und die Moral von der Geschicht‘:
Man ärgere sich über des Spiegels Wahrheit nicht.
Nein, vielmehr wünsch ich Sophie und Alexandern:
Seid ehrliche Spiegel einer dem andern.
3.
Frau Eckert:
Gott verdeppel Frau Hüter, so a Geschicht is mer wer noch gar net vorgekomme obgleich ich bald 20 Jahr in de erste Häuser von Frankfort herumkomme bin un doch schon manches gehört hab wie es sich denke kenne.
Frau Hüter: Was is denn los Frau Eckart?
Eckert: Was los is? Mischucke sein se all mitnanner, die Mädercher von ganz Frankfort … Alle wolle se heirate un all uff ein Dag … all uff de erste Juli … stelle se sich so was vor.
Hüter: Wo haw se dann des her?
Eckert: Sie wisse doch, ich komm regelmäßig in die Niedenau … zu Andreaes mer heest’s ins klaane Conservatorium, weil früher nie weniger als uff 5 Instrumente Musik gemacht worn is … da haw ich’s gestern von der Köchin gehört.
Hüter: Hi, in des Haus komm ich ja auch regelmäßig alle Woch 2 mal mit meim Geflügel … es is doch da, wo die klaa wuschlig Rot mit dem Becker verlobt is?
Eckert: Ganz recht! Also heern se zu. Partu wolle se all uff de erste Juli heirate. Die beste Worte hat mer’n gewe awer kaans läßt sich davon abbringe. Ei, wann der lang Albert … sie wisse ja, der Baron von Königstein sich net mit seiner ganze Läng derzwische gelegt hätt … so hätt es die Lina, sei Dochter, auch noch durchgedrückt, daß se uff de erste Juli ihr Pistörche geheirat hätt.
Hüter: Ei, krie die Kronk Offebach! So ebbes is ja noch gar net dagewese.
Eckert: Ich möchte nur wissen, wa se all an dem erste Juli hawe?
Hüter: Des will ich Ihne sage: Die von Deneufville über der Manbrück die hätt gesagt, der Dag deht ihr so gut gefalle, weil’s grad mitte im Jahr wär … sie meint des deht Glück bringe. Der lange Becker, der alles vom musikalischen Standpunkt aus betracht, läßt sich auch net davon abbringe, weil er behaupt, der Richard Wagner, hätt an dem Tag die Wacht am Rhein, oder sonst e Stück komponirt. Die Sophie oder – wie er sagt – des Zöfche aus dem Conservatorium, die meent widder mer sollt nix aufschiewe … je eher je lieber, denn wenn die Hundstag anfange, da wollte se schon bei de Eisbärn in Norwege sei.
Eckert: Die Geschicht kennt mer wahrhaftig in die Kreppelzeitung setze. Schad, daß der alt Stolze net mer lebt!
Hüter: Überhaupt in der Niedenau da haw ich schon was haamlich gelacht, sollte sie es vor möglich halte, daß die klaa Rot noch net emal en Krammetsvogel von ere junge Gans unnerscheide kann … ja … wenn mer uff dene Viecher Klavier spiele kennt, … so wär das schon mehr ihr Fall.
Eckert: Des is noch gar nix. Von Gemies versteht se so viel wie die Kuh vom Sonntag, se kimmt mer vor wie der Hampelmann. Vom grünen Gemies kennt se nur Rotkraut und Gelberübe, awer auch die kennt se noch net emal von enanner unnerscheide, wenn’s net von weg der Farb wär. Kürzlich hätt se sich so geschämt, daß sich der lange Becker ins Mittel gelegt hätt. Wisse se was er jetz duht? Er fährt Nachmittags in eme große Wage durch die Sachsehäuser Gemüsfelder de Hasepfad eruff un erunner un zeigt er alles aus der Kutsch eraus, damit se wenigstens eh’ se heirat die Spargel vom Spinat unnerscheide kann.
Hüter: No, begreift se’s dann jetzt?
Eckert: Beileibe net! An dere is Hoppe und Malz verlorn! … Er hat ihr ausdrücklich gesagt, daß Spargel nur in dene Häufelcher wachse, daß mer se awer oft net sehe kennt. Jetzt meent des dumme Oos, wo se e Häufele sieht, müßte Spargel drin stecke.
Hüter: Das gibt e Kundschaft, die misse mer uns warm halte, ich habb auch gehört, sie wollte von Andreaes die alt Köchin mit erüber nemme, sie wisse ja, die ich so gut kenn?
Eckert: Daß err euch nur net verguckt, des Vergnüge für uns wird net lang anhalte. Der lang Becker is ärger, wie e Dutzend Hausfrauen zusammen, der guckt durch en Doppeldiel durch und durch bis hinne widder, – ich fercht, die wern mer net lang roppe kenne. Wisse se , der is in Gelnhause groß worn. Beim nix un beim Bettche dagege läßt sich halt net ankomme. Die Späß hörn für uns von selbst bald uff.Na hoffe mer das beste!
Hüter: Awer die Affenkomödie mit dene Brautbesuche, die hätte se seh solle. Zweine Wage mit guillotinirte Bediente sin drei Dag lang in der Stadt erum gefahrn. Karte sin in der Luft erumgefloge wie e Kett Hühner. Awer e Brautpaar wa überhaupt net drinn.
Eckert: Ei wer denn? (Spricht ihr leise ins Ohr)
Hüter: Ich soll’s ja eigentlich gar net verrate … Während die Lina in Königstein und die Sophieche in Gelnhause sich hawe die Kur schneide lasse, sin die Schwestern, die Wally und Karola mit der Kutsch in Frankfort erum gesegelt (Spricht ihr wieder leise ins Ohr), einmal meint ich sogar, ich hätt die dick Frau Andreae selbst in der Kutsch gesehen, wie se sich mit aller Gewalt ins Eck gedrückt hätt (lacht furchtbar). Beschwörn will ich’s net, ich kann mich auch geirrt hawe.
Eckert: No jetzt mache se nor, daß se in ihr Kundschaft komme, denn dem viele Gebabbel kimmt doch nix eraus.
4. Was machen wir am Polterabend?
Personen:
H: Fräulein Helly Schmidt – mit natürlicher Anmut
M: Richard Merten – mit angeborener Frechheit
A: Theo Andreae – mit natürlichem Phlegma
B: C.H. Becker – etwas philisterhaft
H.M.A. sitzen zusammen. B., begrüßt alle.
H.
Guten Tag! Das ist ja nett, daß Sie extra aus Heidelberg herkommen, jetzt können wir endlich einmal definitiv über den Polterabend einigen. Nehmen Sie eine Cigarette?
B.
Danke gern. Sehen Sie, der Alex ist ein unglaublicher Frechdachs. Angst davor, daß wir ihm auf dem Polterabend recht mitnehmen hat er gar keine, wohl aber, daß wir’s nicht schön genug machen. Er kann sich’s gar nicht vorstellen, daß so etwas mal ohne seine Mitwirkung von Stapel läuft.
A.
Die Sophie ist übrigens grad so; freilich ist es ja noch nie ohne die Beiden gegangen. Wenn die zwei sich hinstellen, so ist’s von vornherein ein Tingeltangel.
M.
Und was für eins.
B.
Heute morgen sagte mir z.B. der Alex: das machst Du alles ganz unpraktisch. Du bestellst Dir den Ricard und den Theo zur Helly und dann macht Ihr’s zusammen.
H.
Also dem Alex habe ich Ihren Besuch zu verdanken.
B.
Seiner Angst, daß es sonst vielleicht nicht schön genug würde.
A.
Hat er Ihnen nicht gleich ein fertiges Manuskript gegeben, worin er sich über Sophie und sich selbst lustig macht? Das wäre am Ende ein ganz moderner Gedanke. Das Brautpaar gegenein-ander zu hetzen. Da könnten wir unsere Witze sparen.
B.
Ja, die Frau Generalkonsul meinte sogar, eigentlich könnten Sophie und Alex zusammen musizieren, da machte den Gästen doch noch mehr Spaß als alles andere …
M.
Es ist halt ne eitle Frau. Die Frau Generalkonsul. Wie sagte sie noch neulich? Mein ältester Sohn, der „Herr“ Landrat, mein anderer Sohn der Privatdozent, mein dritter Sohn, der singt aber schön.
H.
Aber Richard, wie frech, das sagt man doch nicht!
B.
Bitte, hier wird nicht übel genommen.
M.
Doch, wenn man keine Cigaretten kriegt.
H.
Na, die hättest du dir doch auch selbst nehmen können!. Du bist doch sonst nicht so!
B.
Na bitte zur Sache. Sie sollen schon so etwas schönes vorbereitet haben, sagt mir der Schwiegervater.
H.
Ja, Richard. Morgen um drei sollst Du zur Klinkhammer kommen.
B.
Sie sollen doch nicht etwa die JungfrauvonOrleans aufführen? Das ist doch für ne Hochzeit keine ganz geeignete Sache.
M.
Da wäre der gläserne Pantoffel oder der Kampf mit dem Drachen schon eher am Platze.
H.
Ja, was sollen wir dann sonst? Sie ahnen gar nicht, wie wenig wir schauspielern können.
M.
Helly, ich seh Dich schon mit erhabener Geste:
Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften.
Leb wohl Du grüne Niedenau,
die Sophie geht, sie schwebt schon in den Lüften
und wird jetzt Alexanders Frau.
A.
Au wie mau!
B.
Kullussal, wird die Sophie sagen
A.
Also, die Jungfrau von Orleans und die Klinkhammer sind durch gefallen.
B.
Bitte weiter, andere Vorschläge!
H.
Aber ich bitte Sie, wir haben doch schon alles mit der Klinkhammer ausgemacht, und die Fräulein Fuchs, die spielt doch so schön.
A.
Ja, die ginge sogar am liebsten auf die Bühne.
M.
Aber wir können doch nicht der Frl. Fuchs zu Ehren die Jungfrau von Orleans aufführen.
H.
Aber die Sophie will doch durchaus ein Stück haben und die Mutter Andreae, die gewöhnlich den Nagel auf den Kopf trifft, hat gemeint, man solle den sechsten Sinn von Moser nehmen! Denn etwas passenderes könnte man für den Alex gar nicht finden.
P.
Ach Gott, wenn die Weiber nur nicht immer so verrückte Wünsche hätten. Muß es denn durchaus ein gedrucktes Stück sein.
H.
Sie wollen doch nicht etwa selbst eins machen?
M.
Na, etwas was so gut auf ne Hochzeit paßt, wie die JungfrauvonOrleans, das kriegen wir vielleicht auch noch fertig, namentlich jetzt im Schillerjahr
B.
Wir könnten z.B. einige Weisheiten der Völker über die Frau zusammenstellen. Ich hab mal Kolleg über die FrauimIslam gelesen. Schon Seneca spricht vom animalimpudenz. Schopenhauer nennt die Weiber Kühe. Von Nietzsche will ich gar nicht reden. Aber z.B. der Talmud.
H.
Talmud habe ich ja noch gar nicht gehört. Kann man das essen? Ich glaub, das ist das was man hier Glunscher nennt.
M.
Ach so.
B.
Im Talmud steht z.B. wenn die Weiber reden, reden sie nur von der Wirtschaft.
M.
Man denke sich die Sophie 5 Minuten von Wirtschaft reden. Ich glaube eher, daß der Alex den ganzen Tag von dere Wirtschaft reden wird.
A.
Das kann freilich ein netter Betrieb werden. Sie haben schon Einladungskarten drucken lassen: Herr und Frau Privatsekretär, Referendar und Leutnant der Reserve Becker beehren sich zu Handkäs mit Musik einzuladen.
B.
So kommen wir nicht weiter. Seid doch einmal nen Moment still, denken wir nach.
*** Pause ***
M.
Wissen Sie, zu geistreich darf’s auch nicht sein, sonst kapieren es die Frankfurter nicht.
H.
Viel Fremdwörter dürfen auch nicht drin vorkommen.
A.
Das wird nix ausmachen, die nachprüfende Schwiegermutter ist ja nicht da. Könnte mer die Sophie mit dem Brendelsche Schnut vergleiche?
B.
Das wär am End was för die Frankforter.
H.
Aber ich bitt Sie, bei all den Andreaes ihre vornehme Verwandtschaft: Was würde dazu die Comtess Esterhazy mit der blauen Jardinière sage!
M.
Ihr habt ja en echte Korvettenkapitän eingelade. Son großes Tier von der Botschaft in London.
B.
Ja, der kommt auch und bringt sei fashionable Tennis spielende Gattin mit.
H.
… und die Lili (Andreae) kommt auch, die prinzipiell nur mit Kronprinzen verkehrt.
A.
… und auch der Onkel Jean zieht sogar des Band von seim portugiesischen Großkreuz an.
Ja, bei einer so vornehmen Gesellschaft …
H.
Sie haben recht: es geht mit dem Brendelschen Schnut ebenso wenig, wie mit der Jungfrauvon Orleans.
B.
Wir wollen lieber mal erst uns darüber klar werden: wer kann mitspielen?
M.
Die Helly gewiß nicht, die hat keine Ahnung.
H.
Richard, was fällt Dir ein?
Kleine Zankszene zwischen den beiden
B.
Bitte Herr Merten, spielen Sie nur so wie Sie sin, das is frech genug. Bitte weiter.
A.
Die Rola …
B.
Ich meine, man läßt die Rola als Bub auftreten – das macht Effekt und zieht immer.
H.
… zum B. als Amor.
M.
Dann muß sie aber hochdeutsch reden.
A.
Da lacht sich alles schief und krumm.
H.
Auch ihre Schwägerin, die Frau Landrat.
B.
Die spielt aber nur kokette Rollen: die aber hat se los.
M.
Was sagt denn der dicke Herr Landrat dazu?
B.
Der wacht als Auge des Gesetzes über ihr.
M.
Der Erfolg scheint mir fraglich.
A.
Der Emmo Crevenna könnte auch mitspielen.
B.
Der ist viel zu würdig. So kindisches Zeug macht DER nicht mit.
A.
Dann noch eher der Bär, der ist immer dabei, wenn geknutscht wird. Denn das ist doch immer en hübscher Anblick. Un Ihr Bruder Alfred.
M.
Um Gotteswillen, der ist Familienvater, der muß sein Baby stillen.
A.
Un der Robert Sommerhoff?
M.
Der redet jetzt nur noch englisch. Un wer kein Frankfurter Mädchen nimmt, der wird von vorneherein nicht zugelasse.
B.
Mit dem Lokalpatriotismus wird man auskommen müssen (handschriftlich, z.T unleserlich). Mir graut überhaupt ein bißchen – verzeihen Sie – vor all den Andreaes.
A.
Einzeln lassen sie sich gefalle, wenn se aber wie die Heuschrecken auftreten …
B.
Wie solle mer so verwöhnte und anspruchsvolle Leut zufriddestelle?
H.
Geben se dene nur gut zu essen und zu trinke, so sin se schon zufrieden.
B.
So sind die wirklich so materiell? Dann paßt Alex ja großartig hinein.
M.
Ich muß immer noch an den Andreaesche Familientag denken – da hat die ganze Fremdenlog nach Alkohol gerochen.
H.
Ja, son bischen materiell ist die Sophie ja auch: Wermut, das liebt sie, es ist köstlich. Und erst Aniset…
A.
Das tollste ist, daß die Sophie gar keinen zugesteckt hat. (handschriftl. Zusatz, unleserlich)
B.
Ich glaube, das liegt in der Familie. Ich war in Losann, wie se in Frankfurt sage, mit dem Knopp zusammen. Das hat den Bär und mich den Tag e Kist englische Biscuit gekost. Der Knopp hat nie was übrig gelasse. Schließlich hat der Bär die gut Idee gehabt, immer nur 5 Biscuit liege zu lasse, und wenn wir den Knopp pfeifen hörten, haben wir den Rest versteckt.
M.
Und wie materiell muß erst der Schwiegervater sein, der bei allem, was auf den Tisch kommt, immer AH ruft.
B.
Der Alex paßt großartig in die Familie, der redet nie von etwas anderem, als vom Essen: Wie war noch das berühmte Menü bei dem Junggesellenessen im Falstaff? Rühreier von Kibitzei mit Nachtigallenzungen, Sauerkraut in Pommery gekocht, Seezungen auf Spinat.. Der Frau Generalkonsul haben jedes mal die Haare zu Berge gestanden.
M.
Muß das aber schön ausgesehen haben.
A.
Und das Stück? …
B.
Mein Gott, wie weit sind wir davon abgekommen. Es ist mir immer klar gewesen: An Stoff wird es uns nicht fehlen, wir ersticken ja darin; an Schauspielern auch nicht, aber an der Leitung.
H.
Die große Klinkhammer haben Sie abgelehnt.
M.
Die große Duse und die große Saharet werden auch schwer zu haben sein. Aber wen nannte Alex noch neulich?
A.
Die große Emma.
Alle
Und wie soll das Stück heißen?
B. Der Privatsekretär des Herrn Merten.
A.
Das geht nicht, denn sonst fühlt sich die ganze Stadt Frankfurt betroffen.
M.
Und am Ende schnappt der alte Merten ein.
B.
Ja, mit dem Einschnappen ist das überhaupt so ne Sache.
H.
Hört mal! Könnten mer nicht die Pfingsttour hereinbringen? Wo der Alex mit der Sophie erst nachts um 1 Uhr von Gelnhausen zurückgekommen ist? Da war se aber bös, die dicke Mama.
A.
Der Alex hat auch uff den schwiegermütterlichen Rüffel noch 3 Tag gezittert wie Espenlaub.
M.
Und dabei ist der Alex doch selbst so ein Zorngickel, der bei allem das Gegenteil behaupten muß.
B.
Hat die arm Emma Bergmann mit dem was auszustehen gehabt.
M.
Das Temperament stammt offenbar von der Frau Generalkonsul.
B.
Ich finde die Sache bedenklich.
H.
Mir lassens lieber ganz.
M.
Irgendwelche gibt’s ja immer, die ihre Verse nicht bei sich behalten können. Wenn z.B. der Papa Andreae mal aufgezogen ist, dann hört er nicht so bald auf..
B.
Ich hab gehört, gestern Nacht sei er plötzlich um zwei Uhr aufgewacht und hätte sei Frau gefragt, ob sie nicht son Dinge … ein Bleistift hat er nämlich gemeint, bei sich hätt, es wärn em grad so e paar gut Vers für en Polterabend eingefalle.
M.
Na wenn’s gar net langt, da muss halt das Brautpaar selbst herhalten.
B.
An MEINEM Polterabend in Augsburg haben die übrigens auch nichts aufgeführt.
M.
Da haben se aber zwei mal 24 Stund das Augsburger Patriziergesicht gemacht, und das ist ihnen schwerer gefallen wie alle Aufführung.
H.
Also, wir lassens bleiben.
Alles Liebe Gut, lassen wir’s bleiben.
M.
Und geben wir uns das Wort, für alles hier Gesprochene: Diskretion Ehrensache.