Willy Bornemann

HA.VI. Rep.92. Becker B. Nr.7920 (Willy Bornemann 1910-1930)

104. C.H.B. an Dr. Willy Bornemann, Frankfurt, Zeil 72 Hamburg (?), 22.10.1910

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Lieber Willy!

Du bist zwar ein hartnäckiger Schweiger, aber wenn man etwas von Dir will, muß man Dir trotzdem wieder schreiben. Bitte sei so freundlich und bestelle mir denselben schönen Turnapparat, den Du unserem Walter geschenkt hast, für mein Patenkind Joachim Becker, Arndt-str.25. Veranlasse bitte, daß er in meinem Auftrage dorthin geschickt wird und daß mir gleichzeitig hierher die Rechnung zugeht. Ein kleines Briefchen lege ich bei.

Hoffentlich geht es Allen so gut wie bei uns; die Photographien wirst Du wohl erhalten haben.

Herzlichst Dein alter (C.H.B.)

 

105. C.H.B. an Willy Bornemann. Hamburg, 29.12.1910

Maschinenkopie

Lieber Willy!

Zu Weihnachten haben wir gegenseitig ohne viel Worte unserer beiden Söhne gedacht, und ich hoffe, daß der Trambahnwagen Carl soviel Freude gemacht hat, wie Walter das Pilzbuch, mit dem Du gerade eine Liebhaberei von ihm getroffen hast. Stinkpilz ist seitdem ein Lieb-lingswort bei uns geworden. Nimm jedenfalls vielen Dank für die beiden Geschenke.

Punkt 2 meines Briefes betrifft den Jahreswechsel, zu dem Hedwig und ich Duttan und Dir alles Gute wünschen. Möge Euch Euer Kleiner auch im folgenden Jahre so viel Freude bereiten und Ihr selbst so glücklich und befriedigt Euer Leben genießen, wie bisher.

Ich freue mich, Dich in wenigen Wochen wiederzusehen. Am 25. Januar halte ich in Frankfurt und zwar im Verein für Geographie und Statistik einen Vortrag über die Araber in Spanien. Es wäre nett, wenn Du hinkommen könntest. Ich glaube, Du hast mich noch nie sprechen hören. Es wird allerdings diesmal eine milde Plauderei, da das gebildete Frankfurt nicht ohne Lichtbilder auskommen konnte. Ich fahre dann von Frankfurt weiter nach Metz, Saarbrücken und Neunkirchen, wo ich über sympathischere Dinge Vorträge halten werde. Dann gehe ich für 14 Tage nach Hamburg zurück, um hier am 20. Februar über Marseille nach Ägypten zu fahren, wo ich ohne Frau zwei Monate verbringen will.

Alles Nähere mündlich und damit Prosit Neujahr!

Von Herzen Dein alter (C.H.B.)

 

106. Willy Bornemann an C.H.B. o.O. (Frankfurt/M?), 31.12.1910

Lieber Carl!

Herzlichsten Dank für Deine lieben Zeilen und auch in Carlchens Namen für den prächtigen Trompetenwagen (? Schlecht leserlich) , mit dem Du ihm eine riesige Freude gemacht hast. Für alles was fährt, ist er begeistert, und so konntest Du ihm gar nichts Erwählteres schenken, als jetzt einen Wagen.

Wir hatten recht unruhige Weihnachten und zwar infolge der Verlobung meiner Schwester. Es kam sehr plötzlich 10 Tage vor Weihnachten, wird erst in den nächsten Tagen öffentlich. Der Bräutigam Carl Barthet ist ein sehr netter Mensch, Inhaber der Ferien-Lampen, aber eigentlich ein besserer Schneider, was man ihm aber durchaus nicht anmerkt. Vielleicht er-innerst Du Dich seiner von der alten Schule her, obwohl er 5 Jahre jünger war als wir. In

pekuniärer Beziehung ist die Partie eine sehr gute, und da Emmy durch ihre reichen Freundin-nen recht verwöhnt war, wird sie den vielen Mammon schon anzuwenden wissen. Vielleicht noch besser als der Bräutigam gefällt mir dessen noch ledige Schwester, so gut, daß ich Tutten schon eifersüchtig gemacht habe. Auch der Vater (die Mutter ist tot) macht einen gemütlichen guten Eindruck.

Meine Mutter ist natürlich froh darüber, daß sie Emmy glücklich versorgt weiß. Ich hoffe, sie wird sich nun selbst etwas mehr (Ruhe? Weggelocht) gönnen, nachdem sie eingesehen, daß sie mit all ihrer Plackerei es doch nicht zu Ergebnissen hat bringen können, die im Vergleich zu den Lampen respektive Barthet’schen Mammon irgend in Betracht käme.

Uns in der Fürstenhofstraße geht es gut.- Wir freuen uns sehr auf Dein Herkommen am 25.1. Ich wünschte, ich könnte auch mal aus meiner Tretmühle heraus. Alle Tage immer mehr Krankheit mit ansehen müssen, ist ein bißchen reichlich viel. Man gewöhnt sich aber auch daran.

Mit den herzlichsten Neujahrswünschen von Haus zu Haus Dein aller Willy.

 

107. C.H.B. an Willy Bornemann. O.O. (Hamburg?), 11.1.1911

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Lieber Willy!

Ich habe Dir schon geschrieben, daß ich am 25. Januar in Frankfurt einen Vortrag halte. Da ich annehme, daß Du nicht Mitglied des Vereins für Geographie und Statistik bist und da Einzel-karten nicht ausgegeben werden, schicke ich Dir anbei zwei Karten, die Du im Verhinderungsfalle weitergeben kannst.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

108. C.H.B. an Frau Bornemann, Frankfurt. Bonn, 8.12.1914

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Liebe Frau Bornemann!

Diesmal habe ich wirklich den 4.Dezember vergessen, obwohl er doch in meinem Kalender wie jedes Jahr rot angestrichen war. Was werden Sie von mir gedacht haben? Ich hoffe, Sie haben es auf Konto des Krieges gesetzt, der uns ja allerdings etwas aus dem normalen Leben herausreißt. Ich hatte den Kopf so voll und reiste außerdem gerade in diesen Tagen zum Besuch meiner Schwester Riedel nach Magdeburg, daß ich es wirklich vergaß, Ihnen zu gratulieren. Lassen Sie es mich es heute nachholen und Ihnen in dankbarer Treue meine herzlichsten Glück- und Segenswünsche aussprechen. Meine Frau schließt sich mir natürlich aufs Herzlichste an.

Von uns kann ich im allgemeinen nur Gutes berichten. Zwar ist unsere Hertha zur Zeit an Mumms erkrankt; aber dafür geht es den Anderen gut. Sorge hatten wir eigentlich nur wegen meiner Mutter, die plötzlich fiebrige Verdauungsstörung bekam und stark abfiel, was in ihrem Alter doch immerhin bedenklich ist. Jetzt scheint sie es wieder überwunden zu haben.

Von unseren Verwandten im Felde haben wir bisher gute Nachricht. Mein Bruder Alex steht sogar noch in Hannover. Der Bruder meiner Frau ist durch einen Zufall bayerischer Nachrichten-Offizier bei meinem Schwager Riedel geworden, der in der Gegend von Arras die preußische Nachbar-Division führt. Zwei Söhne meines Schwester stehen in Rußland, einer ist auf einem Kriegsschiff. Bisher ist alles gut gegangen.

Aber sonst hat sich der Kreis der Freunde doch sehr gelichtet, und auch habe manchen verloren, der mir nahe stand. Leider bin ich selbst verdammt, still zu Hause zu sitzen, doch habe ich mich bemüht, wenigstens mit der Feder mein Teil beizusteuern. Auch hoffe ich, da noch einiges leisten zu können. Es ist eben auch ein geistiger Kampf, der jetzt tobt. Gottlob dürfen wir ja guten Mutes in die Zukunft sehen. Die neuesten Ereignisse in Rußland scheinen ja sehr günstig zu sein.

Mit herzlichen Grüßen an Ihre Kinder – ich denke auch oft daran, wie es Hans ergehen mag – bin ich in alter Freundschaft Ihr getreuer (C.H.B.)

 

109. C.H.B. an Willy Bornemann. Bonn, 24.12.1914

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Mein lieber Willy!

Zu Weihnachten und dem neuen Jahre möchte ich Deiner Frau und Dir sowie meinem lieben Patenjungen einen herzlichen Gruß senden. Ich habe in diesen ernsten Zeiten von dem üblichen Weihnachtsgeschenk Abstand genommen, da ich nicht etwas kaufen will, was Ihr vielleicht Eurem Jungen von Euch aus schenken wollt. Auch bekommt er vielleicht zu Weihnach-ten schon soviel sonst, daß es richtiger ist, das Geschenk zu kapitalisieren. Ich lege Dir deshalb M(ark) 20,- ein mit der Bitte, sie nach Belieben für Euren Carl zu verwenden. Ich habe gar nichts dagegen, wenn Ihr sie in seine Sparkasse legt.

Von uns kann ich im allgemeinen nur Gutes melden. Wir sind zwar mit allerlei Krankheiten und Dienstbotenärger reichlich bedacht gewesen, aber was bedeutet das in diesem Jahr, wo rings um einen herum die fallen, die einem nahe stehen. Unseren engeren Familien ist es zwar bisher gut ergangen. So sind sämtliche Riedels seit dem ersten Mobilmachungstag draußen, ebenso mein Schwager Fritz, ohne daß bisher was passiert wäre. Dafür hat sich der Freundes-kreis um so mehr gelichtet, und gestern bekam ich die Nachricht von dem Tode meines treuen Schülers und Assistenten Graefe. Jahrelang habe ich in Hamburg mit ihm zusammen gearbeitet, und nun ist er bereits zwei Monate lang tot, ohne daß Eltern und Braut es wußten. Gleichzeitig starb hier Professor Sell, der uns ein väterlicher Freund geworden war und schon mei-nen Bruder Ferdinand wie dann unseren Jüngsten1 getauft hatte. Gottlob lauten die Nachrichten aus Gelnhausen wieder günstig. Eine Zeit lang hatten wir große Sorge um die Mutter, da sie ganz schwere Verdauungsstörungen mit starkem Kräfteverfall bekam. Nun scheint sie wieder hoch zu sein. Aber immerhin lastet doch all das viele Traurige auf dem diesmaligen Weihnachtsfest, und man muß sich etwas zusammenreißen, um für seine Kinder die nötige Freude zusammen zu bringen. Unser Jüngster wird diesmal den Christbaum zum ersten mal mit einem gewissen Bewußtsein erleben. Er läuft jetzt sehr nett an einer Hand, und man kann schon die Anfänge einer Unterhaltung mit ihm bewerkstelligen.

Von Deiner lieben Mutter hatte ich neulich einen rührenden Brief. Danke ihr bitte vielmals für

ihre freundlichen Berichte. Hoffentlich seid Ihr über Hans beruhigt. Ich wünsche Euch allen ein gutes Fest und ein gutes neues Jahr, das uns hoffentlich einen Frieden in Ehren bringt.

Es wird Dich noch interessieren zu hören, daß Fischler als Zivilarzt den Bonner Universitäts-Lazarettzug führt und vor einigen Wochen mit nach Frankreich abgefahren ist. Die Schwierig-keit seiner Situation wurde durch den Ausbruch des Krieges ungeheuer gesteigert. Die Lösung ist eine vortreffliche. Er ist sehr erholt und war mit wiederbeginnender Arbeit ganz der Alte. Walter Groß sitzt in Antwerpen und hat nichts zu tun, worüber er kräftig schimpft. Sehr ulkig ist auch, daß mein Schwager Fritz als bayerischer Nachrichten-Offizier zum Stabe meines Schwagers Riedel, der die Nachbar-Division führt, kommandiert ist.

Ich will am 1.Januar nach Gelnhausen, dann über Berlin nach Hamburg. Ob ich Dich auf der Durchreise sehe, weiß ich noch nicht. Dann aber wird sich wohl um den 28. Gelegenheit zu einem Wiedersehn bieten.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus, ein gesegnetes Fest und ein gutes neues Jahr! (C.H.B.)

 

110. C.H.B. an seinen Patenjungen Karl Bornemann. Bonn, 22.12.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Karl!

Zu Weihnachten sende ich Dir und Deinen Eltern unsere herzlichsten Grüße. Ich habe mir lange überlegt, was ich Dir Schönes zu Weihnachten schenken könnte; aber ich habe Dir schließlich nichts geschickt, weil ich befürchtete, Du fändest vielleicht das Gleiche unter dem Weihnachtsbaum. So sende ich Dir erliegend 20 M; davon kannst Du Dir irgendeine Freude machen, oder Du kannst sie in Deine Sparkasse tun, wie es Dir Deine Eltern raten. Als Dein Vater und ich noch klein waren, da war es immer eine große Sache, wenn Dein Vater zu Weihnachten von seinem Patenonkel 20 M geschickt bekam, und ich habe mich oft mit ihm gefreut, wie glücklich er über dieses Geld war. Nun bin ich Dein Patenonkel, und da möchte

(Schlußblatt fehlt)

 

111. C.H.B. an Frau Bornemann. Bonn, 29.5.1916

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Liebe Frau Bornemann!

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundlichen Zeilen und weiß, daß Sie mit mütterlicher Teilnahme an der neuen Wendung meines Schicksals2 innerlich beteiligt sind. Es war mir eine große Wohltat, den bedeutungsvollen Schritt, noch ehe er öffentlich wurde, mit Willy besprechen zu können. Mittlerweile wird er ja in der Öffentlichkeit bereits sehr diskutiert, und es freut mich eine gute Presse zu finden. Hoffentlich erfülle ich alle die Wünsche, die man in mich setzt, und hoffentlich hält auch meine Gesundheit durch. Ich hätte mir diese Entwick-lung nie träumen lassen; man soll aber zugreifen, wenn einen das Schicksal vor eine große Aufgabe stellt. Und so wage ich es. Allen denen aber, die wie Sie so herzlichen Anteil nehmen, bin ich aufrichtig dankbar.

In alter Freundschaft Ihr Sie dankbar verehrender (C.H.B.)

 

112. C.H.B. an Willy Bornemann, Frankfurt, Leerbachstraße 18. Berlin, 19.2.1920

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Mein lieber Willy,

Zu Deinem Geburtstag sende ich Dir meine innigsten Glückwünsche. Als kleines äußeres Zeichen füge ich ein Exemplar meiner letzten Schrift bei, die ja vielleicht nicht in allen Punkten Deine Zustimmung finden wird, mit der Du aber im großen Ganzen doch einverstanden sein wirst.

Dankbar gedenke ich des herzerquickenden Abends, den ich mit meinem Freunde Wende bei Euch verbringen durfte. Ich bin Dir und Deiner lieben Frau wirklich von ganzem Herzen dafür verpflichtet, daß Ihr mich bei meinen zahlreichen Besuchen immer wieder mit der gleichen Herzlichkeit aufnehmt, obwohl unsere Gastfreundschaft in den letzten Jahren so eine ausschließlich einseitige geworden ist und ich immer nur der empfangende Teil bin. Niemals verlasse ich Eure Wohnung ohne das lebhafte Bedauern, daß uns das Leben örtlich so weit auseinandergebracht hat. Unsere gemeinsam verbrachte Jugend und unsere innere Entwick-lung aneinander bilden für uns beide einen unveräußerlichen Besitz, und wenn ich an Deinem Tische sitze, versinken die 20 Jahre, die zwischen unserm gemeinsamen Leben und der Gegenwart liegen, in einem Meer des Vergessens. Besonders dankbar bin ich auch Deiner lieben Frau, die mit unvergleichlichem Verständnis unser altes Verhältnis vertieft und bereichert hat. Diesmal hatte ich mir vorgenommen, noch einmal besonders zu Euch zu kommen, um etwas mehr Fühlung mit Carl zu bekommen; aber leider mußte ich meinen Plan ändern. Nach sehr anstrengenden Tagen in Marburg und Frankfurt – beide Veranstaltungen aber von Erfolg begleitet – war ich so müde, daß ich mich 8 Tage in Gelnhausen ganz ruhig verhielt und bei der Rückreise nur wenige Stunden in Frankfurt zur Regelung einiger dienstlicher Angelegenheiten mich aufhielt. Besonders lieb war mir, daß Du bei dieser Gelegenheit auch meinen Freund Wende kennen gelernt hast. Je weniger wir imstande sind, eine tägliche körperliche und geistige Gemeinschaft aufrecht zu erhalten, um so wichtiger ist es mir, daß Du die Menschen kennst, die jeweils mit mir in dieser Gemeinschaft stehen. Wende ist nicht nur mein Nachfolger und – wenn ich so sagen darf – mein Schüler, sondern er steht mir aus dieser gemeinsamen Arbeit heraus ganz außerordentlich nahe. So haben wir denn die ruhigen 8 Tage in Geln-hausen bei guter Verpflegung, auf wenige heizbare Zimmer beschränkt, sehr genossen. Inzwischen hat die Alltagsarbeit uns wieder überflutet, und Marburg, Frankfurt und Gelnhausen liegen wie ein schöner Traum hinter uns.

Hier schlagen wir uns mit Parlament und Staatsministerium herum und kämpfen mit anderen Ministerien um die neue Besoldungsordnung. Jeder Tag bringt sein Neues. Aber manchmal bäumt es sich in mir auf gegen das Zuviel an Arbeit, das auf mir lastet. Als ich gestern abend nach 3 ½ stündiger ununterbrochener Arbeit den letzten Aktendeckel zuklappte, war ich wirklich etwas ärgerlich. Und doch, wohin soll es führen, wenn wir nicht bis zur letzten Kraft unsere Pflicht tun? Darin allein findet man ja auch einen Trost gegenüber den immer schwie-riger werdenden Verhältnissen. Es ist interessant zu beobachten, daß die Gebildeten zunächst die geistige Spannkraft zur Arbeit wiedererlangt haben. Hoffentlich folgen auch die handar-beitenden Volksgenossen uns nach. In diesem Sinne habe ich mich heute morgen einem sehr interessierten Ausländer gegenüber äußern können. Willy Hepner, dessen Du Dich entsinnen wirst, brachte mir den früheren englischen Minister Trevelyan, der, wie du Dich vielleicht erinnerst, als Mitglied der Labour Party bei Kriegsbeginn mit Jone Burns und Morley aus dem Kabinett austrat. Es ist ein famoser Mann, der nach besten Kräften Deutschland helfen möchte.

Über Willy Hepner, der sich sehr deutschfreundlich benommen hat, fällt mir Wilhelm Trendelenburg ein, für den Du Dich ja früher gelegentlich interessiert hast. Er hat vor nicht ganz einem Jahre plötzlich seine Frau verloren und hat sich jetzt wieder mit einer Schülerin verlobt, da er eine Mutter für seine 7 Kinder braucht. Er hat mindestens 10 Rufe gehabt und ist zur Zeit Ordinarius in Tübingen.

So, nun muß ich aber zu meiner Arbeit zurück. Nimm diese Zeilen als Zeichen treuen freundschaftlichen Gedenkens.

Mit allen guten Wünschen für Dich und die Deinen (C.H.B.)

 

113. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 23.8.1920

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Lieber Willy,

Ich bin zum Schuljubiläum in Frankfurt, wohne im Hotel Baseler Hof von Donnerstag früh an, besichtige an diesem Vormittag u.a. die Musterschule, wo es mir Spaß machen würde, zufällig in Karls Klasse zu kommen. Ich muß mich darin allerdings der Führung des Direktors überlassen. Zu Mittag esse ich bei Alex, nachmittags halte ich mir frei. Vielleicht könnte ich Euch einmal kurz begrüßen; ich werde Alexens telegraphieren, im Näheres zu verabreden. Abends möchte ich an dem Begrüßungsabend im Zoologischen Garten teilnehmen. Eventuell könnte ich am Freitag bei Euch zu Tisch sein, nach Schluß des Aktes in der Paulskirche. Nachmittags will ich an dem Kaffee am Forsthaus einnehmen und um 6 Uhr dann wieder nach Gelnhausen fahren.

Wir haben nichts voneinander gehört, und ich würde mich riesig freuen, Euch wiederzusehen. Karls Geburtstag habe ich natürlich schmählich vergessen. Er soll mir das nicht übelnehmen. Ich freue mich dafür um so mehr, ihm meinen Glückwunsch jetzt persönlich bringen zu können.

In alter Freundschaft Dein (C.H.B.)

 

114. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 15.12.1920

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Lieber Willy,

Ich fand immer keine Zeit zum Schreiben; deshalb telegraphierte ich Dir heute, daß wir am Sonntag sehr auf Euch rechnen. Da nun von Frankfurt neuerdings am Sonntag mehrere Züge

fahren, muß ich wissen, wann und wo Ihr ankommt. Je nach der Menge Eures Gepäcks könnten wir das erst nach dem Hotel besorgen. Jedenfalls fahren wir dann 20 Minuten zu uns heraus und könnten dort noch 1 bis 1 ½ Stunden gemütlich zusammen sein. Ich lasse dann das Auto warten, so daß ihr dann bequem ins Hotel zurückfahren könnt. (C.H.B.)

 

115. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 22.2.1921

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Lieber Willy,

Hoffentlich ist Walters Brief zu Deinem Geburtstag rechtzeitig angekommen. Ich hatte mich auf die Erinnerung beschränkt und auf ein treues Gedenken und komme mit meinem schriftlichen Glückwunsch nun wohl etwas spät. Aber ich möchte Dir doch auch ein direktes Zeichen herzlichen Miterlebens zukommen lassen. Zugleich bitte ich Dich, meinen Freund Carl um Entschuldigung dafür zu bitten, daß ich den versprochenen Historiker von Weihnachten immer noch nicht geschickt habe. Aber die Situation ist buchstäblich die, daß ich niemals um eine Zeit, da die Läden noch oder schon offen sind, in Steglitz anwesend bin, wo ich bei unserm dortigen Buchhändler seiner Zeit das Universum gekauft und dann gleich zum Austausch zurückgegeben habe. Ich möchte aber gern selbst für Carl etwas aussuchen und hatte an Bismarcks ‚Gedanken und Erinnerungen’ oder so etwas Ähnliches gedacht. Leider weiß ich ja aber gar nicht, was er alles schon besitzt. Sollte er also einen diesbezüglichen Wunsch haben, wäre es mir natürlich sehr angenehm, ihn zu erfahren.

Wir stehen hier stark in Spannung, ob uns die Wahlen3 einen neuen Kurs im Ministerium bringen werden. Merkwürdigerweise ist die Entwicklung der extremen Parteien nicht ganz so schlimm wie erwartet. Es würde aber eine ganz andere und zwar viel gesündere Situation geschaffen, wenn die Deutsche Volkspartei doppelt so stark wie die Deutschnationalen wäre. Letztere werden durch ihre radikalen Schreier auch in ihren vernünftigen Mitgliedern aus-geschaltet, während Deutsche Volkspartei, Zentrum und Sozialdemokratie eine sehr trag-fähige Regierung bedeuten würden. Wir müssen uns doch im Augenblick ganz unter den

Primat der auswärtigen Politik beugen, aber leider gibt es wenige Leute in Deutschland, die wirklich politisch denken können. Da Minister Haenisch durch Liebäugeln mit dem Bürgertum sich bei seinen eigenen Genossen sehr stark kompromittiert hat, ist nicht sicher, daß er wieder zum Minister gemacht wird. Das kann dazu führen, daß wir einen noch links stehen-deren Sozialisten als Minister bekommen oder aber, daß das Ministerium überhaupt an einen Bürgerlichen fällt. Beides halte ich im Augenblick noch für einen Fehler. (C.H.B.)

 

116. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 10.3.1921

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Lieber Willy,

Ich habe Walter versprochen, Dir auf Deine Anfrage wegen des Patengeschenkes zur Konfirmation zu antworten, da ich alle derartigen Anfragen beantwortet habe und mir Mühe gebe, für Walther eine schöne Bibliothek bei dieser Gelegenheit zusammenzubringen. Bücher sind etwas so Teures, daß man seinen Kindern nicht mehr so viel schenken kann wie früher und man deshalb solche Anlässe wie die Konfirmation ausnutzen muß. Trotz aller Vorbe-sprechungen haben natürlich zwei Paten bereits Schillers Werke geschenkt, doch hoffe ich, das noch zu entwirren. Jedenfalls bitte ich von Schiller, Goethe, Keller, Bismarck, Treitschke absehen zu wollen.

Wie schwierig die Auswahl ist, habe ich neulich gesehen, als ich selbst zu dem gleichen Zwecke einen Buchladen aufsuchte. Ich bitte Dich freundlichst ein Werk zu wählen, das wertvoll für’s ganze Leben ist. Viel wird davon abhängen, was Du in Frankfurt bekommst. Hier ist es sehr mangelhaft bestellt. Walther hat z.Zt. stark literarische Neigung, jedenfalls vorwiegend geisteswissenschaftliche, doch liegt es Dir vielleicht mehr etwas Naturwissenschaftliches zu schenken. Ich fände jedenfalls Klassiker hübsch bis zu Storm, Hauptmann und Ibsen; es wird eben einfach davon abhängen, was Du bekommst. Ich würde auch kein Bedenken haben, zu einem gut erhaltenen antiquarischen Werk zu greifen; das wird immer noch länger halten als die modernen, auf schlechtem Papier gedruckten Ausgaben. Sehr willkommene Gaben sind natürlich auch die neueren Memoirenwerke: Nur eines möchte ich Dich bitten: schicke mir möglichst bald eine Postkarte mit der Mitteilung, was Du gewählt hast, da ich auf vielerlei Fragen antworten muß und sich sonst bei der derzeitigen Lage des Büchermarktes Doppelgeschenke nicht vermeiden lassen. Das schönste Geschenk wäre natürlich, wenn Du selber kämst; aber ich fürchte, daß wir damit kaum werden rechnen dürfen.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

117. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 23.1.1923

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Lieber Willy!

Ich bin die Nacht vom 29. auf den 30. Januar in Frankfurt und würde gern den Abend des 29. Januar (Montag) bei Euch verbringen. Darf ich kommen? Antwort erbeten bis zum 28. d. M. nach Gelnhausen. Nachdem wir uns in diesem Sommer nur einmal kurz telephonisch gesprochen und ich mich um die Jahreswende durch brutales Schweigen in jeder Richtung hin ausgezeichnet habe, fühle ich das dringende Bedürfnis, einmal wieder ein paar Stunden gemüt-lich mit Dir, Deiner Frau und Karl zu verplaudern. Ich wäre sehr dankbar, wenn Ihr es ein-

richten könntet, mich zu empfangen. Alles nähere mündlich.

Herzlichste Grüße von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

118. Telegramm von C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 21.2.1929

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Gedenke des heutigen Tages mit innigen Wünschen in alter Freundschaft. Carl

***

Carl Heinrich Becker.

 

119. Nachruf auf Willy Bornemann. Februar 1930

Er war 13 Jahre alt, als ich ihn kennen lernte. Wir waren Klassenkameraden, dann Verbin-dungsbrüder, vor allem Freunde, vom ersten Tage an. Seine Jugend war auch meine Jugend.

Überschlank, fast zart gebaut, blond, blauäugig, mit frischen Farben, zurückhaltend u(nd) doch zutraulich, klug, aber nie sich vordrängend, besaß er von Natur das Charisma, daß jedermann ihn gerne hatte.

In Kreuznach, wo sein Vater Schulaufsichtsbeamter war, am 21.2.1877 geboren, kam er 1890 durch die Berufung des Vaters zum Stadtschulrat nach Frankfurt/Main, die Stadt, in der sich später auch sein Mannesleben abspielen sollte. Schon auf dem alten städt(ischen) Gymnasium in der Junghopstraße (?Unleserlich) zeigte sich sein Wesen von der gleich sympathischen Seite, wie es nachher im Rupertenkreise und später in der Praxis des Berufes allgemein in Erscheinung trat. Vom Vater, der Westfale war, hatte er die Charakterfestigkeit und die Schweigsamkeit; er war nie der Mann der Worte oder der Formulierungen, aber er besaß eine kritische, ja ironische Art gegenüber jedem Übertriebenem, jedem Gefühlsüberschwang, jedem blinden Optimismus. Er war kritisch und hart gegenüber sich selbst. Nicht als ob ihm Weichheit fremd gewesen wäre. Von seiner temperamentvollen, feinfühligen Mutter, die einer alten rheinischen Familie entstammte, hatte er eine seltene Gefühlslebendigkeit ererbt, die aber bei ihm durch das kritische Erbteil von Vatersseite gebändigt war. So kam es, daß er sich selbst sehr bescheiden, ja zu bescheiden einschätzte, was in Zeiten nervöser Belastung, z.B. vor dem Examen sich bis zu Minderwertigkeitsgefühlen steigern konnte. Dabei war er gewiß kein Hypochonder; niemand konnte, namentlich in jungen Jahren, so ausgelassen, so rheinisch fröhlich sein wie er. Als er im Sommersemester 1895 Ruperte wurde, war er ein geradezu idealer Fuchs und keine leichte Aufgabe für seinen Leitburschen, dem leider allzufrüh heimgegangenen A.H.Weichsel, der ihn auch zur Verbindung gebracht hatte, oder für einen Fuchsmajor bei der damals noch streng geübten Commentpraxis. Obwohl er der Verbindung nur als CK (?)beigetreten war, genoß er eine so große Beliebtheit, schon nach 2 Semestern in den RC (?) berufen wurde und hier jahrelang eine aus Vernunft und früh geborene Vermittlerrolle gespielt hat. Seine Güte ließ ihn alles verstehen, seine Vernunft lehrte ihn Eingreifen oder Laufenlassen, wie es die Umstände erforderten. So konnte er der Freund vieler, allen ein guter Kamerad sein.

Aus dieser Hülfsbereitschaft erklärt sich auch seine Berufswahl. Er studierte Medizin und zwar 5 Semester in Heidelberg, dann 2 Semester in Berlin und dann bis zum Staatsexamen (24.3.1901) wieder in Heidelberg. Es war nicht das Naturwissenschaftlich-Technische, das ihn zur Medizin zog, es war das Menschliche. Nicht durch Worte oder Lehre, sondern durch Handeln helfen, das entsprach seiner Natur. Da er zeitlebens an einem nervösen Herzen litt, konnte er nicht daran denken, praktischer Arzt zu werden, aber auch Neigung trieb ihn zur Spezialisierung; daß er gerade Dermatologe wurde, war mehr eine zufällige Entwicklung, da ihm als Assistenz- und später Oberarzt am Städtischen Krankenhaus (1901-1905) bei Geheimrat Herzheimer eine ungewöhnliche Gelegenheit zu erstklassiger Spezialisierung gerade auf diesem Gebiete geboten wurde. Am 14.1.1905 promovierte er in Leipzig und am 1.4.des gleichen Jahres eröffnete er in Frankfurt seine Fachpraxis.

Es ist unmöglich, im Rahmen eines kurzen Nachrufs ein Leben zuwürdigen, das nicht in wenigen großen Geschehnissen sich auswirkte, sondern in unermüdlicher Kleinarbeit des Alltags bestand. Die Patienten suchten ihn; keiner verließ ihn dem er einmal geholfen. Die Collegen schätzten ihn wegen seines Könnens und seiner versöhnlichen Persönlichkeit, dem äußerer Ehrgeiz, ein Gelten wollen in Vereinen und auf Kongressen fernlag. Er lebte seiner Arbeit, sein Leben war ein Dienst. Die öffentlichen Dinge sah er nur von fern, manchmal mit leidenschaftlicher Kritik, aber ohne Bedürfnis zum aktiven Eingreifen. Er war eben Arzt, der über oder neben dem politischen Leben stand. Im Krieg war es ihm selbstverständlich, daß er sein Können in den Dienst der gr(oßen) vaterländ(ischen) Sache stellte. Erst in Frankfurter Lazaretten tätig, wurde er von 1916-1918 in der Etappe und schließlich auf seinen Wunsch trotz seiner zarten Gesundheit auch an der Westfront verwandt. Kurze Zeit wirkte er dabei an einem von unseren a(Aktiven?) H. Wager geleiteten Lazarett. Das Leben brachte ihn überhaupt immer wieder mit Ruperten zusammen. Eine Schicksalsfügung ließ ihn am gleichen Tage sterben, an dem auch sein Freund a.H. Robert Walde von uns schied. (12.2.1930)

Schwer lasteten auf seiner im Grunde weichen Natur die Nöte des Lebens. Sein Beruf, gerade als Dermatologe, war dazu angetan, keine allzu idealistische Auffassung des Lebens aufkom-men zu lassen. Er zog als Empiriker die Konsequenzen aus seinen Beobachtungen, war aber in seinem eigenen Leben der lebendige Gegenbeweis gegen manchmal von ihm vertretener pessimistischer Grundsätze. In seinem persönlichen Leben herrschte Reinheit, Sonne und Glück. Er durfte die erste große Liebe seines Lebens als Gattin heimführen und das Schicksal hat diese Ehe in seltener Weise gesegnet. Hier lagen die Quellen seiner Kraft im Kampf mit den dunklen Mächten eines wachsenden Pessimismus.

Und auch zwei Welten gab es, die ihm seine Freude schufen und ohne die man ihn nicht richtig versteht, die Kunst und die Natur.

Schon auf der Schule ist er gern gewandert, später hat er Italien und Sizilien, hat er Dänemark und Schweden, von wo seine Gattin stammte, kennen gelernt, aber über die Größe der ausländ(ischen) Natur hat er nie die Liebe zu Taunus und Spessart verloren. In jungen Jahren war er auch ein leidenschaftlicher Jäger, aber die Natur war ihm bei der Jagd immer das Wesentliche. Und als Spiegel der Natur empfand er die Kunst. Auf einer großen Italienreise 1898 hatte er künstlerisch sehen gelernt, seine Mittel erlaubten ihm keine großen Anschaffungen, aber im kleinen ist er ein Mäzen gewesen, an den mancher junge Künstler, dem er durch Auskünfte geholfen, heute dankbar zurückdenkt.

Als ich ihn das letzte mal sprach, war er schon sehr krank. Ich ahnte, daß es ein Abschied für immer sei. Seine Gedankenwelt war erfüllt von der Liebe zu Frau und Sohn, zu Geschwistern und Freunden und von dem ganzen Ernst strengster Berufsauffassung und tiefer, letzter Bescheidenheit. Den Frohsinn der Jugend hatte die Härte des Lebens gebrochen, aber die Vornehmheit, Güte und Selbstlosigkeit seines Charakters leuchteten durch die schweren Schatten seines nahenden Todes.

Wir wollen ihn in uns lebendig halten, er aber ruhe in Frieden. (C.H.B.)


1 Hellmut

2 Es handelt sich um die Berufung ans Preußische Kultusministerium als Hochschulreferent Frühjahr 1916.

3 Es handelt sich um Wahlen zum Preußischen Landtag.

Walter Becker

HA VI Nr. 6293 (CHB - Walter Becker 1924-1932)

88. C.H.B. an den Reichsminister der Finanzen, Berlin. Berlin, 5.4.1924

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Mein unmündiger Sohn Walter, der keinerlei eigenes vermögen oder Einkommen besitzt und zu meinem steuerlichen Haushalt gehört, soll in England ein Semester studieren. Die Formalitäten seiner Aufnahme in Birmingham sind erledigt. Der Ankauf englischer Noten und die Überweisung der Pensionskosten sind mit Genehmigung des Finanzamtes in die Wege geleitet. Das englische Einreisevisum ist erteilt. Es fehlt nur noch der Sichtvermerk des zuständigen Finanzamtes.

Es bedarf wohl keiner weiteren Begründung, welche Bedeutung es auch im vaterländischen Sinn hat, wenn der akademischen Jugend insbesondere den künftigen Staatsbeamten, in ihrer entwicklungsfähigsten Zeit ein Einblick in ausländische, insbesondere angelsächsische Verhältnisse ermöglicht wird. Selbst als höchstbezahlter Staatsbeamter ist man heute nicht mehr in der Lage, die mit schweren persönlichen Opfern erkaufte Bereitstellung von Mitteln zur möglichst besten Ausbildung des Sohnes noch um eine Summe von 500 Mark zu vermehren, deren Erhebung zudem von Erwägungen ausgeht, die auf den vorliegenden Fall ganz gewiß nicht zutreffen. Unter diesen Umständen bitte ich ergebenst, den Härteparagraphen anwenden und die ‚Unbedenklichkeitserklärung’ unter Erlaß der Gebühr von 500 Goldmark1 für den anliegenden Paß meines Sohnes geben zu wollen. Da im Zusammenhang mit dem Beginn des englischen Studiensemesters als Abreisetermin der 15. oder 16. April d.Js. in Aussicht genommen ist, wäre ich für die Herbeiführung einer baldigen Entscheidung besonders dankbar. (C.H.B.)

 

89. C.H.B. an Sohn Walter, Birmingham. (Berlin), 7.7.1924

(Maschinenkopie)

Lieber Walter!

Im Anschluß an meinen Brief von gestern will ich Dir nur mitteilen, daß mir die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft, gez. Schairer, u.a. Folgendes geschrieben hat:

Gleichzeitig teilen wir Ihnen mit, daß Dr. Schairer an die Leitung der Swanwik-Konferenz in London geschrieben und sie gebeten hat, als deutschen Gast Ihren Sohn Walter einzuladen. Die anderen deutschen Studenten, die Dr. Schairer für die Konferenz ausgewählt hat, sind:

  • Dr. Hans Harmsen, z. Zt. Stud.rer.pol. Universität Berlin, Berlin-Zehlendorf, Schwerinstraße 10, der einer der bekanntesten Führer der Jugendbewegung in Berlin ist. Ferner
  • Stud.jur. Hans D. von Gemmingen, Heidelberg, Gaisbergstraße 22, der Dr. Schairer von Dr. Bergsträsser sehr warm empfohlen worden ist.

(C.H.B.)

 

90. Hertha Becker an ihren Bruder Walter. Salem, 13.3.1925

Lieber Walter!

Vielen Dank für den ‚unverdienten’ Brief und die Karte von Stöckchen (anbei zurück). Ich fühle mich außerordentlich schuldbewußt, aber in Anbetracht dessen, daß ja bald Ferien sind und ich schrecklich viel zu tun habe, werde ich mich an den glühenden Kohlen verbrennen, die Du auf mein Haupt geladen hast. Erst will ich mal Deine Fragen beantworten. Vera, die seit einigen Tagen krank ist (hohes Fieber) und infolgedessen und aus noch verschiedenen anderen Gründen jetzt kein Examen macht, wird am 29.März eingesegnet , in Konstanz. Habe ich wegen Hellmut irgend etwas vergessen? Ich hoffe nicht. Daß Mutter noch im Bett liegt, ist ja einfach entsetzlich. Hat sie irgend einen Arzt?

Mir geht es wieder ausgezeichnet. Es ist plötzlich eisig hier geworden, es liegt ziemlich Schnee, man kann etwas Schilaufen.

Das schriftliche Abitur ist vorbei und unter allgemeiner Aufregung ganz gut verlaufen. Montag kommt das mündliche. Der Geheimrat regt sich furchtbar auf und traktiert uns, als die Zukünftigen ganz wahnsinnig. Ich arbeite kaum etwas anderes als Realistenmathematik für mich und mit drei anderen, die alle ziemlich am Sitzenbleiben sind, mehr oder weniger. Und dazu muß ich am Mittwoch einen Vortrag halten über ‚Das Wesen des deutschen Volkslieds und Goethes Stellung dazu’, also für Arbeit ist gesorgt. Außerdem bin ich in Abwesenheit der Abiturienten das größte Mädchen usw.. Wir haben jetzt jede Woche einen sehr interessanten Musikgeschichte-Vortrag.

Jetzt muß ich aber Schluß machen, obgleich dieser Brief Dich sicher nicht befriedigt, aber ich habe noch keine Ferien und auch noch kein Abitur gemacht und weiß außerdem, daß mein Bruder auch mal vorlieb nimmt.

Gruß und Kuß, Deine Hertha

 

91. C.H.B. an Sohn Walter, stud.jur., Gelnhausen (Berlin), 8.4.1925

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Walter,

Einliegend schicke ich Dir den Brief des Amerikaners, den ich eröffnet habe, weil ich es für richtig hielt, erst einmal mit Remme darüber zu sprechen. Remme rät nach wie vor sehr zu, obwohl der Brief Mutter und mir nicht übermäßig gefallen hat. Immerhin ist es ein Zeichen besonderer Liebenswürdigkeit, daß er in Deutsch geschrieben ist. Ich habe mir nun überlegt, daß Du ihm schreiben solltest und zwar in gutem englisch, daß du Dich sehr freuen würdest, ihm zur Verfügung zu stehen, daß es Dir aber wegen Deiner Universitätsstudien unmöglich wäre, vor Sonntag, dem 19., zu ihm zu stoßen. Nach seinem Plan würdest Du dann direkt nach Baden-Baden fahren und ihn dort treffen. Du kannst ihm ja ein paar Worte über Deinen Aufenthalt in England sagen, und daß Du Dich seiner Jungens schon nett annehmen würdest. Remme meint, Du solltest die 15 Dollar die Woche beanspruchen. Schreibe ihm bitte sofort, denn der Brief hat einige Zeit bei mir gelegen, und er möchte natürlich bald etwas Entscheidendes wissen. Remme wird gleichzeitig noch einmal an den Generalkonsul schreiben und darüber aufklären, daß Du mein Sohn bist, was natürlich bei einem Besuche von Berlin für einen Amerikaner auch einen gewissen Reiz haben wird.

Von Herthas Operation wirst Du gehört haben. Ich bin sehr beruhigt, daß sich nachträglich herausgestellt hat, daß die Operation unbedingt notwendig war. Auch heute kam wieder ein erfreuliches Telegramm: ‚Gute Nacht ohne Schlafmittel, Stimmung und Befinden gut.’

Für Deine Karte mit Carl Bornemann danke ich bestens. Auch hat mir Mutter Deinen Brief und Deine Karte aus Heidelberg geschickt. In Sachen Hertha waren wir etwas ungeduldig geworden, da die Nachrichten, die Ihr uns schicktet, außerordentlich unpräzis waren und Mutter sich doch mit allem auf die Reise einstellen mußte. Na, diese Dinge sind nun erledigt, und ich hoffe, daß Mutter mit Hertha eine schöne Erholungszeit erlebt. Zufällig erfuhr ich, daß Götsch gerade ebenfalls in Friedrichshafen bei seinem Bruder weilt; er wird vielleicht Hellmut mitnehmen können und dadurch Mutter entlasten.

Du wirst gelesen haben, daß ich inzwischen wieder zum Minister ernannt bin, und wir hoffen, daß es nun für längere Zeit Ruhe gibt. Aber gewiß ist im politischen Leben ja nichts! Gerade die heutige Nachricht von dem Frevel der Aufstellung Hindenburgs hat mich doch sehr erschüttert. Hoffentlich ist das deutsche Volk politisch reif genug, um auf diesen parteipolitischen Schwindel der Rechten nicht hereinzufallen. Nachdem Ludendorff sich selbst zerstört hat, nun auch noch den alten Nationalheros Hindenburg in den Parteikampf zu ziehen, ist ein so unerhörtes Unternehmen, daß ich gar keine Worte dafür habe, zumal doch bekannt ist, daß Hindenburg schon am Ende des Krieges ein überalterter Mann war und für eine siebenjährige Leitung der gesamten Reichspolitik doch einfach nicht mehr in Frage kommen kann. Und so etwas geschieht unter der Ägide derjenigen Parteien, die mit Inbrunst und Überzeugung immer wieder von dem Primat der auswärtigen Politik sprechen. Für das Ausland konnte die Rechte wahrlich keine dümmere Wahl treffen. Mir tut der arme Hindenburg bis in die Seele leid; denn selbst wenn er mit wenigen Stimmen Majorität gewählt werden sollte, so ist er doch nur ein Schatten und ein Spielball in den Händen einiger Drahtzieher.2 Ich saß gerade neben Simons auf einem Frühstück beim Reichskanzler, als die Nachricht kam. Sie erweckte geradezu eine gewisse Depression. Es war übrigens ein sehr nettes Frühstück, das ich nur leider früh abbrechen mußte, da ich hinterher zur Beisetzung von Partsch, die sehr würdig verlief, fahren mußte.

Ich hatte viel amtliche Repräsentationen in letzter Zeit, und Du wirst meinen Namen öfters in den Zeitungen gelesen haben. Ich war zweimal beim Reichspräsidenten zum Frühstück und gebe heute abend selbst einen Empfang für die klassischen Philologen anläßlich der Tagung über das Gymnasium im Zentralinstitut. Es werden ungefähr 80 Personen kommen, dazu der Reichspräsident und der Reichskanzler.

Die nächsten Tage bleibe ich ruhig zu Hause und will an meinem zweiten Band arbeiten. Ostern werde ich in Ruhe mit Gragger verleben.

Allen Lieben in Gelnhausen herzliche Grüße. (C.H.B.

 

92. C.H.B. an seinen Sohn Walter, Freiburg. (Berlin), 13.3.1926

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Walter!

Einliegend sende ich Dir 100 Mark für Deine Reise. Du mußt sehen, wie Du damit zurecht kommst. Bitte schreibe recht bald einmal, wie Deine Pläne eigentlich sind, d.h. besonders, wann Du zurückzukommen gedenkst.

Wir haben nach langem hin und her nun alle Reisepläne für Ostern endgültig aufgegeben, da es bei Muckels Gesundheitszustand nicht gut geht und auch Mutter kaum frisch genug dazu ist. Sollte schließlich das Wetter wundervoll werden. so können wir ja von hier doch noch irgendwohin fahren; das aber müssen die Umstände ergeben. Wahrscheinlich wird Eberhard zu Ostern da sein, und dann wird es schon ganz vergnügt werden. Auch mit Deiner Rückkehr bitte ich es so einzurichten, daß Hertha, die am 25. oder 26. kommt, noch ein paar Tage allein hier sein kann, ehe der allgemeine Ostertrubel beginnt. Hellmut ist gestern zum ersten Mal eine halbe Stunde aufgewesen, und wir sind nun sehr neugierig auf den Befund. Die Pflege ist schrecklich langweilig und anstrengend für Mutter, und es wird höchste Zeit, daß sie durch Hertha eine gewisse Entlastung erfährt. Auch wird es recht lange dauern, bis Muckel wieder seine alte Frische hat und vor allem ohne spezielle Rücksichten leben kann.

In Osterholz las ich Deinen Brief an Onkel Ferdi. Ich war als einziger Vertreter der Familie hingefahren und verlebte dort zwei sehr nette Tage, traf auch Ully, besichtigte Schulen im Kreise und fuhr dann zwei Stunden mit Else im Auto nach Stade, wo wir einen Abend lang beim Regierungspräsidenten tanzten; dann in der Nacht durch Sturm und Braus mit Tante Else nach Osterholz zurückgefahren, und von dort aus heim nach Berlin, wo ich sofort einen Bierabend bei Hindenburg mitmachte. Gestern hatte ich selbst ein Frühstück mit einigen Hauptwirtschaftsführern zur Finanzierung des Gragger’schen Instituts, die auch bestens gelang. Abends war ich mit Mutter auf der Sowjetbotschaft zu einem sehr festlichen Dîner mit der ganzen Preußischen Regierung und danach noch allein zur Jahresfeier der Hochschule für Politik. So geht es jetzt tagaus tagein, und ich wundere mich immer, daß Magen und nerven noch Stand halten. Wir hatten neulich ein sehr elegantes Frühstück auch auf er Französischen Botschaft, und am Tage meiner Rückkehr aus Osterholz war Mutter allein wieder dort zu einem großen Empfang. Auch aus diesen Gründen freue ich mich auf die Ruhe der Ostertage.

Zu Herthas Empfang ist schon alles vorbereitet. Muckel ist ins Spielzimmer disloziert und Herthas Zimmer mit aus Augsburg eingetroffenen Korbmöbeln sehr nett dekoriert. Es verdient immerhin Erwähnung, daß uns das unglaubliche Mädchen bis heute außer einem Telegramm noch ohne jede Nachricht über ihr Abitur gelassen hat, obwohl es schon 8 Tage her ist,, und sie erst auf ein Telegramm von uns hin entschloß, uns

(Schluß fehlt) (C.H.B.)

 

93. Kultusministerium (wahrscheinlich RR Duwe) an Walter Becker. Berlin, 7.5.1926

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Becker!

Ihr Herr Vater, der augenblicklich durch die Beratung des Etats unseres Ministeriums im Plenum des Landtages besonders stark in Anspruch genommen ist, hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß er am Freitag, dem 14. des Monats in St. Blasien die Eröffnung eines vom Preußischen Lehrerverein dort eingerichteten Kurhauses vornehmen wird. Bei seinen Reisedispositionen hat der Herr Minister auch einen Tag des Zusammenseins mit Ihnen in Aussicht genommen, für den Sie nach Belieben ein Programm vorsehen möchten.

Der Herr Minister wird hier am Mittwoch, dem 12. Mai, abends 9.12 Uhr abfahren und am Himmelfahrtstage mittags 12.34 Uhr in Freiburg eintreffen. Am Freitag, dem 14. Mai, kommt mit dem gleichen Zuge Herr Ministerialdirektor Kaestner nach und werden dann beide Herren vom Bahnhof die Weiterfahrt mit dem Auto, das ihnen von dem Kurhause geschickt wird, fortsetzen. For Sie steht also die Zeit vom 13. Mai 12.34 h bis 14.Mai 12.34 h zur Verfügung. Am Sonnabend, dem 15. Mai, kommen die Herren wieder mit dem Auto nach Freiburg, um von hier mit dem Zuge um 9.30 h vormittags die Fahrt nach Coblenz/Bonn fortzusetzen.

Von Ihrem Herrn Vater Ihnen recht herzliche Grüße übermittelnd, denen ich solche von mir mit verbindlichsten Empfehlungen anschließe, bin ich Ihr sehr ergebener (?Duwe)

 

94. Walter Becker an seinen Vater C.H.B. Genf-Champel, 2.8.1926

Lieber Vater,

nach herrlicher Fahrt über Romanshorn – Zürich – Bern – Fribourg – Lausanne bin ich gestern abend hier wohlbehalten angekommen. Es war der erste August du auf den Bergen zu beiden Seite des Sees loderten die Feuer. Die Stadt selbst war gebadet in einem Meer von licht, als ich ankam.

Hier draußen wurde ich von Mme Gentat (?) reizend aufgenommen und in demselben Zimmer untergebracht, in dem ich voriges Jahr mit Oskar gewohnt habe. Es liegt im ersten Stock und hat einen herrlichen Blick über die alten Bäume des Gartens auf den Lalève. Ich bin wirklich sehr froh, daß ich hier wohne, und habe mich aufs neue überzeugt, daß der Preis im Verhältnis zu dem, was ich dafür bekomme, nicht zu hoch ist.

Der Hauptzweck dieser Zeilen ist begreiflicherweise der, Dich über meine finanzielle Lage zu orientierten. Ich habe zur Zeit noch 350 Franken, also nicht ganz 300 Mark. (Die anderen 100 Mark – 800 hattest Du mir geschickt – sind für Reisekosten etc. draufgegangen. Als Hauptposten wären zu nennen: Mark 16,35 =20 frs, die ich hier als Anzahlung einschicken mußte; Mark 8,80 Franz(ösisches) Lexikon und Grammatik; Mark 33,10 Billet Freiburg Genf; Mark 12,40 Gepäck; sowie Reiseausgaben und Schlußausgaben in Freiburg.) Das Zimmer hier kostet mit voller Pension 9 Franken pro Tag + 5% Bedienung. Das wären für den ganzen August Franken 293, wozu noch 5 Franken für Licht kommen. Der Kurs an der Universität kostet 90 Franken. 20 Franken habe ich schon im Voraus bezahlt, es bleiben also noch 70 Franken zu bezahlen.

  • Pension Frs. 298.-
  • Kurs Frs. 70.-

Frs. 368.-

Ich glaube nicht, daß hierzu noch sehr wesentliche Ausgaben hinzukommen. Ich bitte Dich aber, mir (möglichst sofort noch etwas zu schicken, und vielleicht ein bißchen mehr, als ich unbedingt brauche, damit ich für alle Fälle etwas in der Tasche habe. Ich brauche Dir nicht zu versichern, daß ich alle Extraausgaben möglichst einschränken werde. Ich besitze wie gesagt z.Zt. noch 354 Frs.—

Heute früh war ich auf der Universität. Alles scheint glänzend organisiert zu sein. Die Kurse beginnen heute Nachmittag. Die Stadt ist bezaubernd, das Wetter strahlend. Es kann eine herrliche Zeit werden.

Hier im Haus habe ich viel Gelegenheit zu sprechen, und kein Mensch kann ein Wort Deutsch. Ich bin überzeugt, daß ich sehr schnell hereinkommen werde.

Nun Schluß für heute. Ich wünsche Dir weiter gute Erholung und grüße Dich vielmals,

von Herzen Dein Walter.

 

95. C.H.B. an Sohn Walter in Genf (Berlin?), 18.9.1926

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Walter!

Gestern war Oskar bei mir, wir hatten eine gemütliche Teestunde im Rauchzimmer des Ministeriums. Ich will überlegen, ob ich Dir für Paris nicht noch ein paar Einführungen verschaffen kann. Jedenfalls suche meinen Freund Professor Louis Masssignon auf (Paris VII, Rue Monsieur 21). Am besten schreibst Du ihm vorher. Ich betrachte ihn als einen, der zu meinem engeren Freundeskreise gehört. Du wirst in ihm einen ganz hervorragenden Typ feinster französisch-katholischer Geistigkeit kennenlernen. Glänzender Orientalist, aus sehr gutem Hause, vermutlich aber jetzt in bescheideneren Verhältnissen lebend. Er ist etwa 40 Jahre. Ich bin mit ihm in Griechenland und Holland sehr nahe zusammen gewesen. Er ist ein Mystiker, hat ein Erlebnis wie Paulus vor Damaskus gehabt und sein ganzes Leben danach gestaltet. Davon brauchst Du ihm gegenüber natürlich nichts zu wissen. Grüße ihn sehr, sehr herzlich von mir und sage ihm, wie freundschaftlich ich an ihn denke. Hoffentlich ist er in Paris. Ich werde Dich durch ein paar Worte avisieren.

Hellmut geht es wieder gut. Er kommt dieser Tage auf den Ottenberg zurück. – Hier stand alles im Zeichen des neu ernannten Generalintendanten. Die Sache ist ausgezeichnet abgelaufen, und selbst einige Mäkler habe ich durch lange persönliche Besprechungen zu freudig zustimmenden Artikeln gebracht. Damit sind wir eingroßes Stück auf dem Wege der Gesundung der Berliner Opernverhältnisse vorangekommen. – Meine Rede auf Tagore im Kaiserhof lege ich Dir im Auszuge bei.

Heute ist ein herrlicher Tag. Mutter und Hertha sind ans Wasser gegangen. Ich beginne morgen eine längere Reiseperiode, zunächst Naturforschertag in Düsseldorf mit Gesolei, wo ich Lexis’ ens und vielleicht Ernst Blumenstein treffen werde. Dann Breslau. Der Betrieb beginnt wider gründlich. Ich freute mich sehr, von Oskar zu hören, daß Du im Winter viel zu Hause sein und arbeiten willst. Die Botschaft hör’ ich wohl.—Weidmannsheil! Geld werde ich dann wohl nach Paris schicken, sobald Du schreibst, wohin. Wenn’s nicht zu viel kostet, bleibe natürlich möglichst lange dort, damit Du recht viel davon hast.

Mit herzlichen Grüßen Dein getreuer (Vater).

 

96. C.H.B. an Sohn Walter, Lausanne-Ouchy. (Berlin), 25.9.19263

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Walter.

Ich schicke Dir einliegend 100 Schweizer Franken und 25 Dollar. Es ist für Paris am besten, langsam zu wechseln. Eine weitere Sendung schicke ich Dir dann unmittelbar nach Paris, wenn es nötig ist. Ich bin der Meinung, daß Du möglichst lange in Paris bleiben solltest. Einliegender Brief meines Freundes Massignon (Paris VII, Rue Monsieur 21) wird Dir zeigen, was für ein entzückender Mensch das ist. Schreibe ihm also, bitte, sofort. Ich will ihm Deine Adresse in paris mitteilen, aber ist schon richtig, daß Du ihm auch persönlich schreibst.

Uns allen geht es sehr gut. Heute nur so viel; ich bin in großer Eile und schreibe Dir nach Paris in Ruhe. (C.H.B.)

 

97. C.H.B. an Sohn Walter, Referendar, Chicago, bei Dr. Baum (Berlin), 26.1.1929

(Maschinenkopie)

Lieber Walter!

Heute erhielten wir mit der Morgenpost Deinen ersten Brief aus Amerika, der von Deiner Seefahrt berichtet. Schon seit Tagen hatten wir bei jeder Post darauf gelauert, da natürlich unsere Gedanken sehr viel bei Dir sind und es uns so merkwürdig vorkommt, daß immer fast 14 Tage zwischen Deinem Erleben und unserem Nacherleben liegen. Da Du gar nichts von Deiner Gesundheit schreibst, hast Du offenbar die Grippe der ersten Tage schnell überwunden und doch ganz viel Genuß von der Überfahrt gehabt. Mit größter Spannung erwarten wir die ersten Nachrichten aus Chicago. Jeder, mit dem ich spreche, stellt mir Empfehlungen für Dich zur Verfügung, aber ich habe sie bisher alle abzudrängen verstanden, da ich glaube, daß Du zunächst genügende besitzest. Nur Dr. Paul Lempner erklärte sofort, daß er Dir schreiben wolle und daß er so ganz besonders gute Freunde hätte, die Dir gerade auf juristischem Gebiet von Nutzen sein könnten. Deshalb konnte ich sein Angebot nicht ablehnen, und Du wirst ja wohl inzwischen seinen Brief erhalten haben. Bei der ganzen Art Kempners handelt es sich da gewiß um innerlich wertvolle Menschen. Ferner hatte ich neulich ein langes Gespräch mit unserem deutschen Konsul Dr. Ahrens in St.Louis, der zurzeit hier ist und den ich von früher her kenne. Er würde Dir natürlich jeden Gefallen tun, wenn Du hinkämst. Er ist ein frischer, noch jüngerer Mann, der mir auch allerlei Tips über die Chicagoer Gesellschaft gegeben hat. Er meint, Du würdest ja wohl von selbst durch Generalkonsul Simon mit Louis Günzel in Beziehung kommen. Das wäre ein sehrempfehlenswertes Haus. Dagegen sprach er mit sehr viel Reserve von dem Vertreter des Norddeutschen Lloyd, Ludwig Plathe, der sehr reaktionär und zudem sehr indiskret sei. Du möchtest Dich also bei ihm durch etwaige Liebenswürdigkeit nicht täuschen lassen. Endlich erhielt ich einen reizenden Brief von meinem ältesten Schüler Professor Julian Morgenstern (Cincinatti, Ohio, The Hebrew College), von dem ich Dir ja schon gesprochen habe. Ich sende Dir auf besonderem Zettel den Dich betreffenden Auszug seines Briefes.

Von uns ist nur Gutes zu berichten. Ich verbringe meinen Sonnabend nachmittag im Ministerium, nachdem ich vorhin um ½ 3 Uhr mit Mutter und Hellmut, Wende und Kunert zusammen zu Mittag gegessen und mit ihnen beim Kaminfeuer die Korrekturen für unser großes Tischordnungsprogramm nächsten Montag gelesen habe. Wir werden Dir einen Reindruck zugehen lassen, damit Du siehst, wie viel erlauchte Leute an diesem Feste teilgenommen haben. Die ganze vorige Woche waren wir keinen einzigen Abend zu Hause. Ich hatte Hellmut zwischen vorigem Sonntag und heute, Sonnabend, überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Montags beim Reichskanzler, Dienstag beim Reichspräsidenten mit Hertha und hinterher sehr vergnügter Universitätsball, auf dem ich sogar noch getanzt habe, und zwar mit der Frau von Eberhard, während Hertha mit ihm tanzte. Am Mittwoch war ein Dîner bei Guérards, am Donnerstag ein fabelhaft elegantes Essen auf der Niederländischen Gesandtschaft, gestern war das Universitätskonzert unter dem Protektorat der Mutter in der alten Aula mit daran (an)schließendem Tee und guter mittelalterlicher Musik, wobei Sooth und Frau Richter mitwirkten, und heute Abend gehe ich mit der Tante Sophie auf den Presseball. Morgen kommt Professor Fischler aus München, unser alter Freund, zu Tisch und abends Harro und Unruh. Am Montag ist dann die Gesellschaft.

Von den unzähligen Lessing-Feiern habe ich nur am vorigen Sonntag die Rede von Gundolf gehört, die ganz vorzüglich war und die mich so begeisterte, daß ich ihn am nächsten Tag zum Frühstück einlud., wo wir uns famos unterhielten. Ferner hörte ich in der Akademie einen sehr guten Vortrag von Thomas Mann, echt mannisch, eine Parallele zwischen Lessing und ihm selbst mit dem entzückenden Satz:

Lessing wäre dem Schicksal so mancher Dichter verfallen, daß man erst alles Dichterische ihm abstritte und dann zu dem Urteil käme, daß er eben doch nur ein Schriftsteller gewesen sei, und zwar nicht einmal ein patriotischer.

Es gab natürlich ein allgemeines Geschmunzel. Dann habe ich noch die Lessing-Ausstellung in der Staatsbibliothek mit eröffnet, wobei Molo famos sprach. Du siehst also, an Betrieb fehlt es mir nicht. Aber Gottlob habe ich auch dienstlich zur zeit viel Interessantes. Wir machen jetzt einen Endspurt mit dem Konkordat, da ein klarer Text vorliegen muß, auf den die Volkspartei verpflichtet werden kann, wenn sie überhaupt den Wunsch hat, in die Koalition in Preußen einzutreten. Auf unklare Versprechungen wie bei dem Schulgesetz läßt sich das Zentrum zum zweiten Mal nicht ein. Die starke Spannung mit dem Nuntius hat sich etwas behoben, namentlich da wir uns fast allabendlich auf Gesellschaften begegnen, so daß ich jetzt wieder mit einigem Optimismus der Entwicklung entgegensehe. Aber auch auf schulischem Gebiet gehe ich zur Zeit einigen großen Gedanken nach, die aber noch nicht reif sind, in einem Brief skizziert zu werden.

Damit will ich für heute schließen. Hoffentlich bleibst Du gesund und bist durch Deine kleine Grippe geimpft. Das Ministerium bricht nahezu vor Grippeerkrankungen zusammen. Zur Zeit fehlen unter meinen nächsten Mitarbeitern Lammers, Duwe, Richter, Nentwig, Zierold. Letzterer hat sich sogar fluchtartig nach Stettin zurückgezogen.

Viele innige Grüße vom ganzen Hause (C.H.B.)

 

98. Walter Becker an seinen Vater C.H.B. Berlin-Steglitz, Schillerstr.2, 15.2.1930

Lieber Vater,

in Liebenwalde war diese Woche so viel los, daß ich erst in dem stillen Berlin dazu komme, Dir für Deinen lieben Brief, den ich sofort an die Geschwister weitersandte, zu danken. Zur Ergänzung meiner Zeilen vom vorigen Sonntag möchte ich noch sagen, daß ich den Präsidenten Hutchins persönlich nicht kennengelernt habe, da er erst nach meiner Abreise von Chicago zum Präsidenten gewählt worden ist. Damals war der Posten gerade verwaist.

Ich nehme an, daß sie Dich dort als Pädagogen und Universitätsfachmann wollen, die dauernde Stellung wäre sicher eine solche mit der Aufgabe, die Organisation der jungen Universität, von der ich neulich schon schrieb, nach deutschem Vorbild leitend zu beeinflussen.

Hier fand ich heute alles bestens vor. Das Verhältnis zu Mlle. Jacobi scheint äußerst harmo-nisch und für alle Teile befriedigend. Heute Nachmittag werden wir mit Gene Staley und ihr eine Bridge-Party geben, ob auf englisch, französisch oder deutsch, wissen wir noch nicht.

Abends gehen Hertha und Hellmut zu einer Galsworthy-Aufführung ins AGD, ich werde mit Marianne Partsch ins Esplanade Tanzen gehen.

Amtgerichtsrat Hassert ist heute nacht plötzlich an das Sterbebett seines Vaters abberufen worden. Wir haben als Vertreter für 10 Tage einen Assessor Last aus Berlin zum Chef.

Die Arbeit in Liebenwalde ist weiterhin äußerst befriedigend, gestern erhielt ich zum ersten Mal ein Lob für ein Civilurteil, während bisher alle von uns beiden gefertigten Urteile als nicht genügend bezeichnet worden waren.

Eure (bzw. Mutters) Briefe habe ich mit viel Interesse soeben gelesen, leider schreibt die Zeitung heute wieder von einem erneuten Wettersturz an der Riviera. Hoffentlich ist auch dieser nur vorübergehend, so daß Ihr recht auf Eure Kosten kommt. Mutters Kniesache ist ja sehr ärgerlich, aber vielleicht hat sie sich gelegentlich des Wettersturzes etwas ausheilen können.

Alles Liebe Euch beiden, und viele Grüße.

In treuem Gedenken Dein Walter.

 

99. Walter Becker a The Windermere Hotel, Chicago Ingleside, Magnetawan,

Ontario, Canada. 4.9.1930

(Maschinenkopie)

Dear Sirs,

My father, Dr. C.H.Becker of Berlin, Germany, and I intend to spend a week or two in Chicago the coming October. We want to stay at the south-side of the City and should like to stay at your hotel if we can get a really nice double room at a good weekly rate. I called up your office the other night and got the information that you had rooms for a double rate from 35 to 45 Dollars a week at the East Windermere Hotel. Will you please confirm me this information, and if it is correct, will you reserve a double room for us for a week starting the evening of October 6th. Our address from now on up to September 22nd will be c/o Dr.W.O. von Hentig,70 Seacliff Avenue, San Francisco, California, and I should be much obliged if you would let me have your reply as early as possible. We should want to have a room with bath overlooking the lake at a rate of between 40 and 45 Dollars for the two of us.

Will you please also tell me in your letter, if there is a difference in the management of the two Windermere Hotels, so that in order to avoid confusion we had better give a more definite address for our mail than just Windermere Hotel Chicago.

I am enclosing a check for a suit-case checked at La Salle Street Station Chicago and would oblige me very much by having it brought up to the hotel and checked there at our expense.

Hoping to hear from you soon, yours truly (Walter Becker)

100. Hotels Windermere, Chicago an Walter Becker, San Francisco bei Dr.W.O. von Henting. Chicago, 8.9.1930

Dear Mr. Becker,

We are pleased to receive your letter of September 4th advising that you expect to reach Chicago the evening of October 6th to remain one week, ore possibly more.

We have made a definite reservation for a large comfortable room with twin beds and a private bath which will be in readiness for you on your arrival here at that time at a weekly rate of $45 which we trust will meet your approval.

This room is located in Windermere East Hotel which is the larger and newer of the two units. The two hotels are operated under the same management, which will assure you that there will be no delay in mail reaching you promptly. It would be well, possibly, to have your mail addressed to hotel Windermere East however.

The baggage check which was enclosed in your letter we have turned over to our head porter and your bag will be brought from the La Salle Street Station immediately and taken care of here at the hotel without any charge for the care of same at the hotel until you claim it.

Assuring you this matter will have our personal attention and anticipating your arrival with Dr. C.H. Becker, we are cordially yours (signed) Robert Riley Asssistant Manager.

101. Referendar Walter Becker an C.H.B. Berlin, 26.5.1931

(Maschinenkopie)

Lieber Vater,

Für den Fall, daß ein Dir von mir mit Flugpost nach Eastbourne nachgeschickter Brief des 2.Generalsekretärs des Völkerbundes, Dr. Dufour-Féronce, Dich infolge des Feiertagsbetriebs in England nicht erreicht hat, will ich Dir schnell den Inhalt dieses Briefes wiederholen:

Dr. Dufour fragt bei Dir im Auftrag des Völkerbundsrats vertraulich an, ob Du bereit wärst, die Leitung einer aus 4 Vertretern verschiedener Länder bestehende VölkerbundsKommission zum Studium der Erziehungsverhältnisse in China zu übernehmen und mit dieser Kommission noch in diesem Sommer für3 Monate auf Kosten des Völkerbundes nach China zu fahren. Herr Dr.Bonnet, der Direktor des Instituts für internationale geistige Zusammen-arbeit in Paris, wird in diesen Tagen gelegentlich Deines Vortrages gleichfalls versuchen, Dich zur Übernahme dieses Amtes zu überreden. Die Tätigkeit der Kommission bzw. des Völkerbundes überhaupt in dieser Sache ist auf ein Ersuchen der Nanking-Regierung zurück-zuführen. Bisher sind in ähnlicher Weise vom Völkerbund vor allem Enquêten auf sanitärem Gebiet in China vorgenommen worden, die bereits zu erheblichen praktischen Ergebnissen geführt haben sollen. Einzelheiten wirst Du ja, falls Du den Brief noch nicht hast, später aus ihm entnehmen können, wenn er Dich erreicht. Ich wollte Dir nur die Hauptpunkte mitteilen, damit Du evtl. im Bilde bist, wenn Dr. Bonnet Dich auf die Sache hin anspricht. Dr. Dufour scheint sehr viel daran gelegen zu sein, daß gerade ein Deutscher die Führung dieser

Kommission übernimmt.

Ich hatte herrliche Pfingsttage in Liebenwalde. Gene und einbefreundetes Ehepaar kamen gestern noch heraus. Bei strahlendem Wetter lagen wir die ganzen Tage abwechselnd im Wasser und in der Sonne.

Im Hause ist alles in bester Ordnung. Die leider recht zahlreiche persönliche Post schicke ich Dir in diesem Brief.

Hoffentlich bist Du befriedigt mit der Zeit in Eastbourne. Von Hertha kam heute eine vergnügte Karte vom Zusammensein mit Mutter und Hellmut in Salem.

Viele Grüße und alles Gute für die Pariser Tage. (W.B.)

 

102. C.H.B. an Walter Becker, Berlin. Paris, 22.3.1932

(Maschinenkopie)

Lieber Walter,

bisher habe ich Dir nur mit einem kurzen Telegramm für alle Deine Mühewaltung danken können. Wenn wir mit Mark 60 Zoll abgekommen sind, so ist das fabelhaft günstig, und ich kann mir nur vorstellen, daß selbst den Argusaugen der Zollbehörde noch einiges entgangen ist. Wenn es Dich auch sehr viel zeit gekostet hat, was ich bedauere, so scheinst Du doch die Sache sehr geschickt gemacht zu haben. Ich finde es einen Unfug, daß man harmlose Reisende so schikaniert. Ich bin doch kein Händler, sondern bringe nur Sachen zu meinem eigenen Gebrauche mit, die ich mir in Deutschland doch nicht gekauft hätte.

Hauptsache dieser Zeilen ist aber nicht nur, Dir zu danken, sondern auch, die Frage der Sekretärin zu beantworten. Ich kann mich zu nichts entschließen, bevor ich weiß, wie weit meine Gehaltskürzung vom 1. April ab geht und ob ich überhaupt noch Mittel für eine Sekretärin vom Ministerium gestellt bekomme. Wenn die Streichungen wirklich so rigoros.

Vorgenommen werden wie verlautet, wird eine ganz neue Regelung greifen müssen und Mutter selbst, mit der ich dies besprach, würde vielleicht die neue Arbeit übernehmen oder aber, wir würden eine Dame für den Haushalt zur Unterstützung der Mutter engagieren, die gleichzeitig einige Stunden für mich arbeitet. Ich kann mich deshalb zur Zeit noch auf niemanden festlegen und vor allem auch auf kein Gehalt. Ich hatte ursprünglich daran gedacht, Hellige ins Haus zu nehmen und ihm noch ein klein wenig draufzuzahlen, um ihm dadurch das Studium zu ermöglichen und als Entgelt jeden tag ein paar Stunden zur Verfügung zu haben. Hellige ist aber Mutter so wenig angenehm, daß sie das sehr ungern tun würde, und ich habe deshalb diesen Gedanken aufgegeben.

Verzeihe die Kürze dieses Briefes. Ich bin stark in der Arbeit und in Paris natürlich auch sonst viel in Anspruch genommen. Es ist herrliches Wetter, und ich genieße diese wunderbare Stadt wie noch nie.

Grüße vor allem auch Hertha. In treuer Liebe (C.H.B.)

 

103. Dr. Walter Becker an Carola (von Blumenstein?). Berlin, 6.3.1933

(Maschinenkopie)

Liebe Carola!

Auf Deinen Brief vom 2.3.33 hin habe ich soeben mit Herrn Ministerialrat von Rottenburg im Preußischen Kultusministerium telefoniert, dem die Technischen Hochschulen in Preußen unterstehen. Er hat mir folgende Auskunft gegeben:

Die Entscheidung über die frage der Anrechnung des Freiwilligen Arbeitsdienstes auf das praktische Jahr der Studenten steht im freien Ermessen der zuständigen Fakultät. Die Fakultäten pflegen im allgemeinen Bau-Ingenieuren die im freiwilligen Arbeitsdienst verbrachte Zeit ganz oder teilweise anzurechnen, da die von diesen Leuten im freiwilligen Arbeitsdienst geleistete Arbeit auf demselben Gebiet liegt, wie diejenige Tätigkeit, die sie während des praktischen Jahres auszuführen haben. Bei Architekten dagegen besteht eine derartige Übung bisher nicht, da nur in den seltensten Fällen eine Beschäftigung auf einem Bau während des Arbeitsdienstes stattfindet.

Da diese Fragen eine grundsätzliche Regelung aber noch nicht gefunden haben, hält Herr v. Rottenburg ein diesbezügliches Gesuch nicht unbedingt für aussichtslos. Er empfiehlt daher Deinem Sohn, sich zunächst bei dem Arbeitslager einen möglichst genauen Bescheid über die von ihm während der Arbeitsdienstzeit auszuführenden Arbeiten zu holen und dann unter Beifügung dieses Bescheides ein Gesuch an die Fakultät für Architektur an der technischen Hochschule Hannover zu richten bzw. zunächst einmal anzufragen, ob ein solches Gesuch bei dieser Fakultät Aussicht auf Erfolg haben würde.

Mehr kann ich Dir leider auch nicht sagen. Das Kultusministerium ist auf jeden Fall nicht zuständig, da es sich um eine selbständige Entscheidung der Fakultät handelt.

Für Deine warmen Worte der Teilnahme danke ich Dir sehr. Ich hatte schon anläßlich des lieben Briefes, den Du mir nach meiner Verlobung geschrieben hast, die Absicht, Dir einmal ausführlicher zu schreiben, kam nur bisher nicht dazu, und jetzt wirst Du verstehen, daß ich noch weniger die Ruhe dazu finden kann. Es wäre schön, wenn man sich nach der langen Zeit einmal wiedersehen könnte. Mit vielen Grüßen auch von den Meinen an Dich, Deinen Mann und Deinen Sohn bin ich Dein Vetter (W.B.)


 

1 Das ist wahrlich eine gewaltige Summe für einen Paß! Hervorhebung vom Herausgeber

2 Hervorhebung vom Herausgeber.

3 Auf der Kopie steht 1925, gewiß ein Tippfehler und von mir in 1926 geändert. Der Herausgeber

Ully Becker

HA VI. Nr. 6319 (Ully Becker)

C.H.B. an Ully Becker, Werneuchen (Mark), Johannaheim Berlin, 11.9.1920

(durch den Provinzialschul-Obersekretär)

(Maschinenkopie)

Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!

Vor einigen Tagen sind die Offerten bezüglich eines möblierten Zimmers Ihnen durch ein Mißverständnis in einem gewöhnlichen Briefe zugesandt worden. Der Herr Staatssekretär Prof. Dr. Becker ist nun in Sorge, der Brief könnte verloren gegangen sein, und hat mich vor Antritt einer erneuten mehrtägigen Dienstreise gebeten, dieserhalb mich an Sie zu wenden. Würden Sie die Güte haben, dem Herrn Staatssekretär eine diesbezügliche Mitteilung zukommen zu lassen?

In vorzüglicher Hochachtung sehr ergebenst (XY) Provinzialschul-Obersekretär.

Frida Michaelis-Becker und Hellmut Becker

HA.VI. Nr. 8654 (Frida Michaelis-Becker, auch Hellmut Becker)

85. Frida Michaelis an Hedwig Becker, Weimar, 7.12.1930

Liebe Hedwig,

da ich nicht wußte, daß Du Interesse für unsere Hochzeits-Litteratur hättest, habe ich sie noch nicht geschickt, nun schicke ich sie natürlich gern. Lies nur, was Dir Spaß macht. Und dann , – meine Verse zur Hochzeitsreise (?) laßt bitte unter uns Älteren bleiben.- Gelegentlich bekommen wir dann wohl alles zurück.

Es freute mich so daß Otto und Walther einmal bei Euch sein konnten, habt Dank! Mit großer Freude hörte ich Carl am Radio, – die Fühlungnahme tat mir ordentlich wohl! Es hat doch sein Gutes, daß er nun wieder so in seine Wissenschaft hineinsteigt, ich fühlte doch noch seine erste Liebe! Und freue ich mich auf die beiden nächsten Freitage. Danke ihm schön für die Benachrichtigung. Sophie schickte nun auch ‚mit herzl. Gruß’ endlich den letzten zusammenfassenden Brief! Fein! Das Urteil über die Amerikaner will ich mir abschreiben, lasse den Brief dann aber baldmöglichst an Ferdis gehen.- Laß Dir noch herzlich für Deinen lieben Brief danken, Hedwig, und nimm für heute vorlieb,- ich schufte mich mal wieder durch eine schlechte Periode durch. Euch allen viel Liebes

Deine Frida.

 

86. Hellmut Becker an seine Mutter Hedwig Becker. O.O, o.D. (wohl Ende Juli 1930)

Liebe Mutter!

Vielen Dank für Deinen Brief und für den Sonntagsgruß (?) und für die Illustrierten. Ich freue mich immer sehr, wenn Du mir so etwas zum Lesen schickst.

Hertha kam gestern hier an. Sie sieht sehr gut aus. Wir hoffen sehr, daß es Vater bald besser geht. Denn diese plötzliche Sache war ja scheußlich.

Hertha kann bis zum 4. August hier auf dem Ortenberg (?) bleiben. Uns beiden geht es ausgezeichnet. Ich schreibe Dir heute nur kurz, weil ich Dich ja bald sehen werde.

Mit vielen herzlichen Grüßen Dein treuer Sohn Hellmut.

Alexander Becker

HA VI. Nr. 8705 (Alexander Becker)

80. Alexander Becker an Schwägerin Hedwig Becker. Frankfurt/M., 22.6.1935

(Maschinenmanuskript)

Würdigste aller Amateur-Wehmütter in Kreßbronn und Umgebung!

Ich muß mal wieder meinem bedrängten Herzen Luft machen und ich wüßte nicht, bei wem ich das besser tun sollte als bei Dir.

Ferdi ist im Land und wir verhandeln wegen Gelnhausen und Otfried. Verkrachen werden wir uns nicht, davon sind wir beide fest überzeugt; aber die Differenzen in den Anschauungen gehen ziemlich weit, und wie Du Ferdi kennst, behandelt seinen bösschnäuzigen Bruder immer etwas vorsichtig, um nicht zu sagen ängstlich. Ich habe innerlich mit Gelnhausen abgeschlossen und daneben hängt mir die Verantwortung zum Hals heraus. Ich habe keinerlei Sonderinteressen, aber ich fühle sehr stark meine allgemeine Verantwortung. Ich vertrete nun mal den Standpunkt, daß bei der augenblicklichen Zeit, wo alles in den Grundbesitz drängt, es restlos töricht ist, unnötig (d.h. über den zur Deckung der nötigsten Schulden erforderlichen Betrag hinaus) Grundbesitz zu verkaufen. Ferdi will natürlich Geld haben, um im nächsten Jahr Horsts Studium zu finanzieren, und argumentiert u.a. außer der Verkaufslust der ganzen Familie und mit der Kritik Deiner gescheiten Söhne über Otfried. Mein Standpunkt ist der, daß ich die Berechtigung von Ferdis Wünschen wohl anerkenne und nur immer bedauere, daß ich selbst für Frida und für Jochen Schulden aufgenommen habe, die ich aber hoffentlich im nächsten Jahr stark reduzieren kann.

Wenn aber irgend eine Ausschüttung stattfindet, so ist es mir klar, daß neben der Gefährdung durch Valutasorgen sie ziemlich nutzlos verpuffen wird als ein Tropfen auf verschiedene arg heiße Steine. Nun sehe ich gerade bei Ferdi die Sorge darin, daß er sehr kleine Jungens hat, die also noch für lange Zeit Zuschuß erfordern werden.1 Bei anderen ist es ähnlich. Kurz gesagt: ich sehe eben in Gelnhausen doch noch eine realisierbare Reserve, und die möchte ich erhalten.

Es ist mir ganz klar, daß Otfried in vielen Fällen versagt hat. Ferdi hat dort nicht gut gewirkt, denn Otfried ist ein furchtbar weicher und durch den Tod seiner Mutter2 und die Wieder-verheiratung seines Vaters etwas des inneren Halts beraubter Mensch. Was man mit ihm anfangen kann, weiß ich nicht; aber man wird ihn mal herauswerfen müssen. Nur weiß ich das eine, daß er letzten Endes auch mir wieder zur Lastfallen wird.

Ich halte es für einen Unfug, daß ertragreiche Stücke wie z.B. der Obstgarten, der jetzt die hauptsächlichste Einnahmequelle ist, verkauft werden, und ich suche nach allen möglichen Lösungen, habe aber da mit ganz ulkigen Vorurteilen zu kämpfen: Man, d.h. die Familie, sieht das Verhältnis von Otfried zu Marie mit trüben Augen an. Ich weiß, daß man es mit einem wirklichen Parzival zu tun hat, bei dem also solche trüben Gedanken vollkommen abwegig sind. Leider hat sich Marie zur Faulheit und leichten Schlamperei entwickelt, aber das kommt eben durch die unklaren und schwierigen Verhältnisse, die nicht nur einen sauberen, sondern auch einen starken Charakter erfordern.- Wunderbar ist, daß Ferdi zwar herrlich, und Otfried gegenüber wohl auch grob, kritisiert, aber auf meinen Vorschlag, er soll in den nächsten Wochen, wenn er in Gelnhausen ist, mal Otfried zum richtigen Disponieren zu erziehen versuchen, die Antwort gibt: Dafür verstehe ich nicht genug von der Landwirtschaft.

In meinem Groll bin ich schon auf die verrücktesten Gedanken gekommen, so z.B., ob Du, würdigste Wehmutter, nicht gelegentlich auch mal ein bißchen helfen könntest. Laß es eine Nebenwirkung dieses Briefes sein, daß Du mal darüber nachdenkst. Die Hauptsache ist schon erfüllt dadurch, daß ich mir mal Luft gemacht habe.

Womit ich die Ehe habe, in alter Treue zu bleiben Dein Schwager (gez.) Alex

 

81. Alexander Becker an seine Schwägerin Hedwig Becker. Frankfurt, 5.7.1935

(Maschinenmanuskript)

Liebe Hedwig!

Ich habe Dir noch für Deinen lieben Brief zu danken und schicke Dir Walters diplomatischen Brief zurück.

Die Verhandlungen mit dem guten Ferdi waren eigentlich immer sehr nett, da wir von vornherein alle beide auf dem Standpunkt standen, daß wir uns unter keinen Umständen verkrachen. Wie Du mich kennst, vertrete ich die Ansicht, daß ich nichts zu verbergen habe, daß mein persönliches Interesse an Gelnhausen überhaupt keinen Einfluß hat, sondern daß ich einfach den beamtenmäßigen Standpunkt vertrete, daß ich das tue, was ich für richtig halte. Daß ich darin mit Ferdi, namentlich über die Person Otfrieds, Meinungsdifferenzen habe, kann zunächst an meinem Entschluß nichts ändern. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß in Grundbesitz angelegtes Geld mir noch lieber ist als ein Bankkonto, auf das Ferdi Wert legt, weil er Studiumsgelder für Horst sicherstellen will. Wenn man selbst durch Verkauf von grund Ferdi RM 10.000 zur Verfügung stellen könnte, so bin ich überzeugt, daß die vor Beginn der mehrjährigen Studienzeit von Horst schon angeknabbert werden, weiter aber, daß die Möglichkeit einer Entwertung sehr groß ist. Und gerade in Ferdis Interesse bin ich für langsame Liquidierung. Der Anfang ist gemacht: wir haben den westlichen teil des oberen Gemüsegartens ganz gut verkauft. Ich nehme an, daß weitere Interessenten sich zeigen werden. Aber die Liquidierung des Grundbesitzes wird bei Gelnhäuser Verhältnissen eben längere Zeit dauern, und solange nicht eine absolute Einschränkung auf Haus und Garten erreicht wird, halte ich die Anwesenheit von Otfried für unbedingt nötig. Außerdem sage ich ganz offen, daß bei den nun mal vorhandenen Gelnhäuser Gewohnheiten, die niemand besser kennt als ich, ich Otfried bei den langwierigen Geländeverkäufen besser geeignet zum Schmusen halte als den exakten Ferdi.

Aber wie Du mich weiter kennen wirst, habe ich nicht das mindeste dagegen, daß Du oder Deine Söhne Euch mit Ferdi aussprecht, selbst auf mich schimpft, soviel Ihr Lust habt, und ich würde es sehr bedauern, wenn Du Deine Anwesenheit in Orb nicht dazu benütztest, mal Fühlung u nehmen und Deine eigenen Augen walten zu lassen. Dich zu beeinflussen, habe ich nicht die geringste Absicht.- Also von Verstimmung zwischen Ferdi und mir ist nicht die Rede; im Gegenteil, wir stehen besser als je.

Jetzt noch eine andere Sache: Wir wollen wieder an den Tegernsee zu meinem Vetter Andreae fahren. Plötzlich kommt mein Freund Kaselowsky aus Bielefeld3 am Telephon auf folgenden Vorschlag: Er will sich – und zwar ursprünglich mal auf meinen Rat – eine, wie er sagt, ‚Butze’ am Bodensee kaufen, in der Gegend von Schachen. Bis jetzt stelle ich mir so ein besseres kleines Schloß darunter vor. Und nun sagte er, er wolle mit seiner Frau Samstag/ Sonntag unten sein und wir sollten Sonntag hinkommen. Dies hat folgenden Plan ausgelöst, der aber erst auf telephonischem Wege heute abend spät bestimmt wird:

  • Abfahrt der Familie Becker morgen, Samstag, nach Baden-Baden; Übernachten bei Rehbocks.
  • Sonntag: Durchfahrt nach Schachen, mit eventuellem Besuch von Frau Hedwig Becker, ohne daß diese im mindesten derangiert wird.
  • Montag: Fahrt nach Tegernsee.

Vielleicht lasse ich auch Günther per Motorrad nach Schachen kommen, denn es wird ganz gut sein, wenn er die Gelegenheit zur Fühlungnahme mit seinem späteren Chef benützt. Ob wir unterkommen können, ist fraglich. Wenn, was ich bei Kaselowskys Einfluß in Schachen nicht erwarte, alle Stricke reißen, dann wende ich mich hilfeflehend an Dich. Du wirst schon irgendwo in Kreßbronn oder bei Deinen sonstigen Entbindlingen eine Stätte finden, wo man eben mal für eine Nacht unterkriechen kann. Aber bitte keinerlei Vorbereitungen, ehe ein telephonischer Notschrei zu Dir kommt.

Im übrigen werden ja wohl noch auf den Äckern des Bodensees die nötigen Felchen wachsen, damit das liebe Alexchen nicht verhungert.

Halleluja! Es wäre witzig, wenn wir eine kurze Stippvisite bei Dir machen könnten.

Herzlich Dein (gez.) Alex.

PS. Soeben höre ich, daß Herr Dr. Kaselowsky nicht nach dem Bodensee fährt. Wir ändern daher unsern Plan und kommen vielleicht mal vom Tegernsee nach dem Bodensee.

 

82. Alexander Becker an Hedwig Becker. Frankfurt, 10.9.1935

(Maschinenmanuskript)

Liebe Hedwig!

Da ich durch Deinen Telephonanruf schon tief gerührt war, wurde ich durch Deinen Geburtstagsbrief noch mehr erweicht, was sich darin ausdrückt, daß ich Dir jetzt einen Schrieb hinschreibe.

Also hab schönen Dank, vor allen Dingen aber nimm Du meine besten Wünsche zu Deiner neuen Lebensphase als Hausbesitzerin, in die Du glücklich eingetreten bist.

Offen gestanden, habe ich manches liebe mal an Dich gedacht, und eigentlich stelle ich mir vor, daß, wenn Du glücklich mal allein bist, es sehr hübsch sein muß, bei schönem Wetter im Herbst am Bodensee aufzuwachen und dann über die eigenen Felder, Auen etc. den Blick schweifen zu lassen. Ich stelle mir Deinen park demnächst so vor wie hier einen Lehrgarten im Palmengarten, wo unendlich viel schöne, gute, nette und nützliche Sachen auf kleinem Raum in bester Qualität gezogen werden und wo von fernher die Mütter Deiner Heblinge und die Frauenschaften der weiteren Umgegend antanzen, um sich von Dir belehren zu lassen. Versäume doch nicht, mir gelegentlich mal zu sagen, was Du alles änderst und wann Du glaubst fertig zu sein.

Ich war am Samstag mit Sophie und Günther in Gelnhausen, wo Ferdi minuziös eine Verteilung von mehr oder weniger wertlosen Sachen vornimmt. Ich bin diesmal ziemlich deutlichgeworden und ich glaube, es wird allmählich Ruhe geben. Ich habe Ferdi gesagt, daß er die Geländeverkäufe mal lieber mir überlassen sollte, weil ich verschiedene Interessenten habe, es aber für unrichtig finde, wenn er sich mit lauter kleinen Schmutzfinken abgibt, die nichts hinter sich haben, während ich eigentlich ganz gute Leute auf meine Gelnhäuser Art langsam behandeln möchte.

In der Frage Otfried bin ich steif geblieben. Zum Schluß habe ich ihm gesagt, als er mir in bekannter Weise mit allen möglichen mehr oder weniger bösen Verwandten zu imponieren suchte, daß es schließlich auch andere Leute gäbe und daß mir z.B. von einer Seite gesagt worden sei, (unter uns gesagt: es war Walter), daß man die ihm suggerierte pathologische Haltung gegen Otfried nicht mitmachte. Das hat ihn anscheinend tief gewurmt. Er wollte natürlich wissen, wer es war, was ich abgelehnt habe. Ich habe ihm aber gesagt, daß ich schließlich auch mal Luft machen müsse, denn es wäre mir einfach zu dumm, hintenrum Sachen aufgetischt zu bekommen, die so den Stempel des Gequassels an sich hätten und als Stimmungsmache benutzt würden, wie daß man z.B. sagt, ich hätte Blumensteins bei der Abwicklung von Emmas Erbschaft, na sagen wir mal, nicht gerade schön behandelt. Es kommen wirklich unglaubliche Sachen vor. Und dann soll man nicht mal böse sein dürfen.

Ach Hedwig, man hat es schwer. Das einzig Nette ist, daß wir mit Günther jetzt viel musizieren. Wir haben uns Jochens früheren Lehrer als ersten Geiger engagiert. Zur Zeit verarzten wir eigentlich mit ganz nettem Erfolg ein Reger’sches Streich-Trio und wüsten in dem Garten von Beethovens opus 59. Günther klopft mit Sophie auf zwei Klavieren; das kleine Instrumentchen, von dem wir Dir erzählten, ist ein richtiger großer succès.

So, nun hast Du wieder Einiges gehört. Gehe in Dich und laß mich dasselbe tun, nämlich das Hören, und sei herzlich gegrüßt von Deinem getreuen (gez.) Alex.

Handschriftliche Anmerkung von Alex:

Die Erbteilung der Gelnhäuser Mobilien hat bei Sophie und mir nur die wehmütige Vorstellung wachgerufen, wie anders sich eine solche Sache zwischen Carl, Hedwig, Frida und Alex abgespielt hätte wie jetzt. Freu Dich, daß Du nicht dabei warst. Wir haben nur an den ganzen Habsuchtsorgien desinteressiert und sogar zugesehen, wie von uns Gelnhausen geliehene Tischwäsche in unersättliche Hausfrauenmägen verschwanden!! Ich glaube, ‚man’ hat sich dabei nicht recht wohlgefühlt!? Schwamm drüber!!

 

83. Alexander Becker an Hedwig Becker. Frankfurt, 14.10.1935

(Maschinenmanuskript)

Liebe Hedwig!

Ich bin heute vor 8 Tagen nach Paris geflogen, Donnerstag vormittags zurück, und habe mich à tempo mit einer Vergiftung ins Bett legen müssen. Daher die Verzögerung der Antwort auf Deinen Brief.

Ich muß mal über die Sache nachdenken. An und für sich halte ich bei der jetzigen Zeit einen Wechsel nicht für glücklich und rate zu sorgfältiger Überlegung. Verhetzung wird sich wohl durch Gewöhnung allmählich legen. Das machen alle Berliner mit.

Die Sache mit Hellmut ist bedauerlich; aber da kann man wohl nichts machen.

Wir hoffen sehr, daß Du uns besuchst. Wie wir es einrichten, wissen wir nicht, aber gehen wird es schon irgendwie.

In Eile, getreulich Dein (gez.) Alex

 

84. Alexander Becker an Hedwig Becker. Frankfurt, 10.3.1936

(Maschinenmanuskript)

Liebe Hedwig!

Klagst Du, so weine ich mich auch an Deinem Busen aus.

Ich habe die letzte Woche viel zu tun gehabt: Am Samstag als Vorsitzender des Schulvereins 50jähriges Jubiläum von Trudes Schule mit großer Rede vor tausend Personen, Ansehen von unendlich vielen und langweiligen Aufführungen, Dauer bis 5 Minuten vor 12, bis 12.30 Uhr Packen und dann im Schlafwagen nach Bremen, Ferdis Geburtstag mit Carl Rehbock, Ernst und Marianne von Blumenstein, 1000 Leuten, stundenlangen Deputationen, unendlich vielen Reden, von denen meine die kürzeste war, dafür aber saß! Schluß ¼ nach 12 Uhr. Montag 8 Uhr Abfahrt nach Hamburg, den ganzen Tag in Hamburg auf den Beinen, abends Abfahrt. Jetzt bin ich wieder im Büro in Frankfurt und weine.

Also zunächst die Diskretion! Anbei Carolas Briefe zurück. Auch ich begrüße es, daß sie wirklich weiblich sachlich ist und lobenswerte Motive hat. Nur in einem irrt sie: daß Alex die Sache nicht richtig sieht. Der sieht sie schon seit Jahren ganz richtig und ihn hat es mehr Kopfzerbrechen gekostet als Carola. Ich werde versuchen, die Sache halbwegs im Sinne der Familie zu ordnen. Ob es gehen wird, weiß ich nicht und habe auch meine Zweifel. Nach bestem Wissen glaube ich, daß ich mit meiner Gelnhäuser Politik bis jetzt Recht behalten habe, und vielleicht wird auch noch mal ein Beweis möglich sein. Aber davon will ich jetzt gar nicht weiter sprechen. Jedenfalls werde ich Carola gelegentlich schreiben, daß Du mir ihre Argumente schriftlich übermittelt hättest. Carolas Briefe sind so nett, daß ich wirklich keinerlei Indiskretion sehen kann, wenn Du sie mir in natura schickst.

Von Deinen Nöten habe ich wehklagend Kenntnis genommen. Ich kann nur wünschen, daß nach der Nacht auch nochmals das Licht folgt. Schließlich hörte ich aus Ritterhude, daß es Hellmut besser geht und daß die Sache mit Herta als zwar peinlich, aber nicht gefährlich angesehen wird und zweifellos sich wieder einrenkt.

Über die Finanzen kann ich augenblicklich noch nichts sagen. Ich will mal die beiden Faune begutachten lassen, und dann will ich mir malüberlegen, ob ich Dir nicht einen Vorschuß auf den eventuellen Erlös geben kann, den ich bei ungefähr RM 500 sehe. Das könnte ich vertreten. Würde Dir das mal einstweilen langen? Wohl verstanden: noch ist es keine feste Zusage, aber ich wollte Dir nur schnell zeigen, daß ich mich bemühe, Dir zu helfen.

Ich habe es eilig, also nimm im üblichen Tempo schönste Grüße und sieh aus dieser prompten Antwort, daß Dein Klagen mein Ohr und mein Herz erreicht hat.

Wundervoll ist, daß Du den größten Einfluß auf mich hast. Wenn die andern Leute nur wüßten, daß ich jeder vernünftigen Diskussion willig das Ohr öffne, wenn ich sehe, daß von der andern Seite mit Verstand und etwas Überblick eine Sache besprochen wird.

Herzliche Grüße treulich, wie immer,

Dein schlafsüchtiger Schwager (gez.) Alex.


1 Das denke ich schon lange. Anmerkung von Alex mit Bleistift

2 Frida Michaelis geb. Becker, Schwester von Alex und Ferdi. Sohn Otfried, Töchter Emma und Mia

3 In der Tat heuerte Günther Becker später als Chemiker bei Oetker in Bielefeld an und verbrachte dort sein ganzes Leben. Seine Witwe Gerda lebte noch einige Jahre dort.

Schwiegervater Schmid

HA.VI. Nr. 8681 (Schwiegervater Schmid)

79. C.H.B. an seinen Schwiegervater (Schmid). Berlin, 13.1.1922

Lieber Vater!

Eine kleine Grippe, die mich die letzten Tage aus Bett gefesselt hat, hat es verhindert, daß ich Dir nicht schon längst für Deinen köstlichen Neujahrsgruß gedankt habe, der in Gestalt zweier Zigarrenkisten richtig in meine Hände gelangt ist. Nimm vielen Dank für das freundliche Gedenken, das meiner Dir ja bekannten Schwäche sehr entgegen kam. Ich habe auch schon gekostet und kann Euer Urteil nur bestätigen. Ich bitte, auch in künftigen Fällen meiner bei solchen Anlässen freundlich gedenken zu wollen.

Um mich von der Grippe und der Ministerschaft, diesen beiden ephemeren Erlebnissen der letzten Zeit, zu erholen, will ich nächste Woche nach Gelnhausen. Hedwig geht mit, obwohl sie sich nur sehr schwer loseist. Da auch Hellmut wieder von der Grippe erfaßt war und eine kleine Erholung ebenso nötig hat wie sein Vater, darf er uns begleiten. Vor Beginn der hohen Preise wollen wir wieder in Berlin sein. Hätten wir noch frühere Zeiten, so wären wir irgendwo ins Gebirge gefahren. Heutzutage ist man froh, wenn man in einem selbst im Winter nicht ganz unbehaglichen Heim wie in Gelnhausen unterschlupfen kann. Man ist jedenfalls einmal fern von Berlin, und es ist nicht so schrecklich weit. Wir sind schon um 5 Uhr dort. Man sieht Geschwister und Verwandte einmal wieder. Vielleicht erleben wir sogar den Geburtstag der Mutter dort. Kurz, es hat allerlei Verlockendes, selbst auf die Gefahr hin, daß kein Schnee liegt. Besser wie ein verregneter Aufenthalt in einem teuren Gebirgsgasthaus ist es allemal.

Während ich dies schreibe, gedenke ich des heutigen Geburtstages der lieben Mutter. Ich habe wegen meiner Grippe nicht schreiben können und bitte sie, auf diese Weise noch nachträglich meine herzlichen Glückwünsche in Empfang zu nehmen. Mein geplanter Besuch in München ist leider unterblieben, da ich den Nuntius Pacelli1, den ich aufsuchen wollte, sehr eingehend in Berlin sprach, während die Besprechung mit dem Kardinal von Köln noch kurz vor Jahres-schluß glücklich vom Stapel lief. Wir haben sehr interessante und wichtige Besprechungen gehabt und alles hat sich zu einem, wie ich glaube, Gutes verheißendes Einvernehmen gefügt. Es waren vom Reich schwere Fehler gemacht worden, die wir von Preußen dann mit vieler Mühe ausbalancieren mußten2. Nun läuft die kirchenpolitische Entwicklung so, wie wir sie in Preußen von Anfang an hatten haben wollen. Leider ist mit Bayern auf diesem Gebiet nicht leicht zu arbeiten. Man ist immer gleich mißtrauisch und kommt aus dem alten Schema nicht heraus, als ob Preußen über die Reichsregierung Deutschland beherrschen wolle. Dabei besteht die Reichsregierung nur aus Süddeutschen, und Preußen hat einen weiß Gott schwereren Stand als Bayern; denn es kann nun einmal leider von Berlin nicht abfallen. Wie herrlich wäre die preußische Position, wenn Berlin außerhalb Preußens läge. Manchmal kann einen wirklich die Wut packen, wenn man sieht, wie wir an unserer eigenen staatsrechtlichen Kompliziertheit zu Grunde gehen. Wir brauchen diesen komplizierten Bau, um unserer partikulären Geistesart einen gewissen Auspuff zu geben, und dann schlagen wir uns wieder mit demselben Instrument gegenseitig die Köpfe ein. Und das alles trotz dem ausgesprochenen Willen, beisammen zu bleiben. Ich muß manchmal daran denken, daß spätere Jahrhunderte auf all diese Verhältnisse mit dem gleichen Mitleid zurückblicken wie wir auf die staatsrechtlichen Verhältnisse im Götz von Berlichingen. Schade, daß wir es nicht mehr erleben werden. Meine Arbeit gilt jedenfalls dem Ziel, unter Aufrechterhaltung aller landsmannschaftlichen Eigenart doch den Einheitsgedanken als nächstes Ziel über alles andere zu stellen. Nur das Tempo sollte man nicht forcieren.

Der außenpolitischen Entwicklung stehe ich mit großer Reserve gegenüber. Ich bewundere manchmal den Optimismus, mit dem unsere leitenden Männer heute an die Arbeit gehen müssen. Die kulturpolitische Arbeit ist da doch immerhin noch erfreulicher. Man kann sie zur Not auf die Intensivität einstellen, wenn man sich in Bezug auf die Extensität Schranken auferlegen muß. Aber in der Außenpolitik ist man doch jetzt nur noch Objekt. Und dabei das entsetzliche Gefühl, daß die Torheit der Engländer die Franzosen so mächtig hat werden lassen, daß dieses wildgewordene Narrenvolk jetzt selbst den Engländern eine Gefahr wird, weshalb diese immer weiter vor ihnen zurückweichen. Immerhin ist doch zu hoffen, daß die Welt allmählich einsehen wird, woran sie mit den Franzosen ist. Aber angenehm ist die Zeit nicht, die man darauf warten muß. (CHB)


 

1 Nuntius Pacelli ist der spätere Papst Pius XII. Seine Residenz in der Münchener Kaulbachstraße wurde nach dem 2. Weltkrieg Sitz des Institut Francais.

2 Hervorhebung des Herausgebers.

Harry Becker

HA.VI. Nr. 6290 (Harry Becker, auch Vater Ferdinand)

70. C.H.B. an Harry Becker. O.O. (Bonn), 2.7.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Harry!

Dein lieber und langer Brief kam gestern Nachmittag in meine Hände. Ich hatte es eigentlich nie anders erwartet und mich immer darüber gewundert, daß Du so zuversichtlich für alle Fälle mit einer Rückkehr nach Bonn rechnetest. Jedenfalls bist Du noch gerade vor Toresschluß angenommen worden, denn inzwischen hat Deine Hausfrau mir den Stellungsbefehl für Dich zum 3. Juli zugeschickt, den ich sofort an Deinen Vater weitergehen ließ. Das Regiment, dem Du jetzt angehörst, ist ja ein mecklenburgisch-feudales, und Du wirst Dich da schon wohl fühlen. Daß Du auch Schulkameraden da hast, ist ja famos. Der kleine Klebe war sehr betrübt, daß Du nicht wiederkehrst, und auch ich bedauere es lebhaft, da die Erweiterung unseres Familienkreises, die Du darstelltest, uns doch sehr willkommen war. Zukunftspläne lassen sich ja jetzt noch nicht machen; jedenfalls kannst Du sicher sein, daß wir Dich jederzeit wieder mit der gleichen Herzlichkeit aufnehmen werden, und wenn Dein Bonner Aufenthalt nur eine Episode bleiben sollte, so freue ich mich, daß er mir Gelegenheit gegeben hat, Dich etwas näher kennen zu lernen und freundschaftliche Beziehungen mit Dir zu knüpfen, die hoffentlich fürs Lebens sein werden. Wenn Du neben Deinen Eltern einmal einen Onkel brauchst, der Verständnis für Dich hat, so wirst Du nicht lange zu suchen brauchen. Meine Frau wird ja nun wohl in Frankreich von Deinen Schicksalen erfahren; aber die anderen Freunde und Verwandten, die ich sprach, lassen Dich alle vielmals grüßen: die Meinigen, Fritz Sell, der dieser Tage während seines Umzuges bei uns wohnt, Schreuers und auch Ritschel, dessen Sohn in Bruchsal leider nicht genommen worden ist. Er scheint gänzlich militär-untauglich zu sein.

Deine hiesigen Geschäfte werde ich heute nach Wunsch abzuwickeln versuchen. Gestern konnte nichts mehr geschehen; doch werde ich jetzt gleich mit Fräulein Ida und Hertha nach Deiner Wohnung gehen, um aufgrund Deiner äußerst sorgfältigen Darstellungen zu handeln. Ich habe vielleicht noch Gelegenheit, an das Ende dieses Briefes über das Resultat meiner Verhandlungen zu berichten.

Und nun wünsche ich Dir alles Gute für die Zeit Deiner Ausbildung und vor allem für später. Es muß für Dich doch einerfreuliches Gefühl sein, für gesund erachtet zu werden. Ich verstehe ja sehr wohl dieses gewisse Gefühl der körperlichen Unsicherheit, das Du nach den Sorgen der letzten Jahre noch hast, und ich bin ja in mancher Hinsicht auch in ähnlicher Lage, wie Du, nur daß ich es mit meinen 40 Jahren wohl kaum aushalten würde. Jedenfalls werde ich, wenn ich militärisch frei bleibe, in den großen Ferien wieder einmal ein Sanatorium aufsuchen, um meinen wenig erfreulichen Zustand zu kurieren. Bei einer kürzlichen Untersuchung wurde wieder Zucker gefunden, und damit ist nicht zu spaßen.

Laß uns gelegentlich mal was von Dir hören. Wir werden Deiner oft in Treue gedenken.

Mit herzlichen Grüßen vom ganzen Hause Dein alter Onkel (CHB)

s.a. dtv-Atlas Weltgeschichte Band 2, S.402

 

71. C.H.B. (ohne Anrede, wohl an Bruder Ferdinand Becker), o.O., o.Datum (1915/16)

(Maschinenkopie, Fragment)

(Lieber Ferdi!)

…Was den „Landratsjungen“ betrifft, so habe ich die größte Vorliebe für wohlerzogene norddeutsche junge Leute. Aber wenn einer einmal in ein anderes Milieu kommt, soll er sich dem nicht verschließen; ich glaube auch jetzt, daß das Harry nie tun wird.

Ich stehe heute Morgen ganz unter dem Eindruck der Torpedierung der Lusitania1. Das ist ein Bombenerfolg, der beweist, daß die in letzter Zeit viel bespöttelte Unterseebootwaffe ein furchtbares Instrument ist. Hoffentlich ist recht viel amerikanisches Kriegsgerät mit unter-gegangen. Es war von deutscher Seite genug gewarnt worden, und zweifellos hat man den großen Personendampfer bisher geschont. Auch die englische Kriegsflotte wird sich jetzt wohl noch mehr verstecken.

Mit Italien sieht es dagegen böse aus.; man weiß allerdings nicht, wieviel daran Pressemache ist. Auch von deutscher Seite wird damit stark gearbeitet. Die Kölnische Volkszeitung brachte einen offenbar von oben gebilligten Leitartikel, der mit der Wiederherstellung des Kirchen-staates drohte. Ich sage mir immer, die Italiener sind im Grunde feige; sie haben kein Geld und keine Kohlen; die Kriegspartei hat die Sozialisten und die katholische Kirche gegen sich. Das ist etwas viel. Allerdings ist die Dynastie gefährdet, und die öffentliche Meinung bedeutet in Italien mehr als bei uns. Ich kenne kein Beispielt in der Geschichte, daß ein Volk so voll-ständig seine natürliche politische Orientierung aus dem Auge verliert, wie jetzt Italien. Es wird sich gewiß nicht den Kopf am Trentino2 einrennen, was ziemlich uneinnehmbar ist, aber es wird wohl in der Türkei eingreifen und die französische Front verstärken. Demgegenüber sollen wir beabsichtigen, mit großen deutschen Truppenmassen aus dem Trentino herauszubrechen und die Lombardei zu besetzen. Wie es allerdings mit der Neutralität der Schweiz wird ist eine schwierige Frage. Ohne ein Eingreifen Italiens dürfte der Krieg wohl bald zu Ende sein.

Was den Munitionskauf in Amerika betrifft, so stammt meine Nachricht aus dem Hauptquartier. Alex war aber auch bereits darüber orientiert. Der Gedanke ist seit Kriegsbeginn erwogen worden, und man hat z.Zt. geplant, Munition zu kaufen und dann die Fabriken zu veranlassen, einem Ausfuhrverbot sich nicht länger zu widersetzen; ihr privatwirtschaftliches Interesse war ja dann gedeckt. Das scheint nicht gegangen zu sein. So hat man jetzt nicht

direkt Munition, sondern wenn ich recht berichtet bin, einen zur Pulvererzeugung nötigen Bestandteil (Salpeter??) aufgekauft. Das große Munitionsgeschrei in England ist doch auch nicht durch einen Zufall von heute auf morgen entstanden.

Wie ich in Berlin hörte, empfindet man auf Seiten der Entente vor allem den Krieg mit der Türkei als eine ungemeine Erschwerung. Man hat der Türkei sehr glänzende Bedingungen gemacht, wenn sie einen Separatfrieden schlösse; aber davon ist keine Rede. Verhandlungen bestehen bisher tatsächlich nach keiner Seite, doch glaube ich, daß trotz der Frankfurter Zeitung, die einer Verständigung mit England das Wort redet, z.Zt. ein Hand-in-Hand-gehen

mit Rußland in Aussicht steht. Ein Vortastverfahren über eine Verständigung in der Dardanellenfrage scheint sich anzubahnen, Grundsätzlich aber steht der Kanzler auf dem Standpunkt, daß die gegenwärtige Kriegslage eine politische Zukunftsorientierung nicht zulasse.

Mit großem Interesse las ich einen Teil von Elses Brief. Grüße sie bitte herzlich, sowie auch Ully (und) Deinen Sohn Harry …

Ende des Fragments, aus dem sich aber immerhin der Schreiber erschließen ließ

 

72. C.H.B. an Harry Becker o.O. (Bonn), 17.3.1916

(Maschinenkopie)

Lieber Harry!

Ich möchte Dir wieder einmal einen herzlichen Gruß von uns allen schicken und Dir Dank sagen für Deine freundlichen Karten. An Deinen Briefen habe ich herzlichen Anteil genommen und mich Deiner lebendigen Darstellung sehr gefreut. In den letzten Wochenhabe ich allerdings nichts mehr bekommen; ich weiß nicht, aus welchem Grunde.

Es wird Dich interessieren, daß das kleine Jüdchen, mit dem wir Dich immer so aufzogen, und der wegen seiner schrecklichen Jugend immer nicht ankommen konnte, dieser Tage vor Lille gefallen ist. Er war eigentlich noch ein Kind, dieser rote Levinson; aber ich habe ihn eigentlich doch ganz gern gemocht, und jedenfalls hat mich sein Schicksal, das er nach nur vierwöchigem Aufenthalt an der Front, von einem Schrapnell getroffen und sofort getötet wurde, recht erschüttert. So findet diese kleine Episode Deiner Bonner Zeit einen tragischen Abschluß. Der Onkel des kleinen Jüdchens, Professor Levinson, ist übrigens vor mehreren Monaten in seinem Studierzimmer von einer Leiter heruntergefallen und hat sich den rechten Arm derartig verletzt, daß er jetzt immer noch nicht Arm und Hand gebrauchen kann, und es zweifelhaft ist, ob sie je wieder die alte Bewegungsfähigkeit erhalten. Sonst kann ich Dir von Deinem hiesigen Bekanntenkreis nicht viel berichten. Der älteste Ritschel wird wegen zu kleinen Herzens nirgends genommen. Der zweite ist in Freiburg als Fähnrich eingetreten.

Uns geht es nach wie vor gut. Ich bin noch immer nicht eingezogen, habe aber neulich in den Sprachen, die ich verdolmetschen soll, auf dem Bezirkskommando eine Klausur schreiben müssen. Inzwischen schreibe ich unzählige kleinere und größere Artikel und halte Vorträge, z. Zt. aber genieße ich die Ruhe der Ferien, um mal bei einer ernsten wissenschaftlichen Arbeit zu bleiben.

Meine Frau pflegt jetzt vormittags in dem neuen Stift bei uns draußen. Den Kindern geht es gut. Hellmut ist ein ganzer Jüngling geworden von ungeheurer geistiger Beweglichkeit; Du würdest Deine helle Freude an ihm haben. Das Semester über war Carola3 bei uns, die mit großer Selbständigkeit durchs Leben segelt. Leider wohnte sie sehr unglücklich und war telephonisch nicht zu erreichen, was den Verkehr etwas erschwerte. Dafür hörte sie meine Vorlesung über die islamische Religion, und kam sie auch einmal die Woche zu uns zu Tisch. Was wäre es witzig gewesen, wenn Ihr beide zusammen hier studiert hättet!

Daß ich Deine Eltern in Gelnhausen traf, wirst Du gehört haben. Es war mir eine besondere Freude, und haben wir viel zusammen geklönt. Großmutter ging und geht es glänzend. Ich war dieser Tage wieder bei ihr und zwar mit Fritz Sell, der inzwischen als Krankenwärter auf dem Venusberg eingezogen ist. Es ist das ein wenig beneidenswerter Posten, da er nicht avancieren kann. Er trägt Soldatenuniform, wird aber nicht weiter ausgebildet und geht im Lazarett den Schwestern zur Hand. Da er bei Einberufung nur noch wenige Wochen vor dem Staatsexamen stand, hat man ihm große Erleichterungen gewährt und sogar 14 Tage Voll-Urlaub, und er hat dann auch sein Staatsexamen mit gut, in Geschichte sogar mit Eins bestanden. Dann hat man ihm 10 Tage Erholungsurlaub gewährt, und jetzt tut er wieder seinen übrigens nicht allzu anstrengenden Dienst und ist eigentlich jeden zweiten Tag bei uns.

Aus der Türkei hört man in letzter Zeit weniger Erfreuliches. Die Hungersnot ist dort sehr groß; aber eine Hungersnot bedeutet im Orient nicht dasselbe wie bei uns. Man ist mehr daran gewöhnt. Der Vormarsch der Russen auf Bagdad ist nicht unbedenklich; aber es scheint nicht so schlimm zu sein, wie man es anfangs befürchtet hat. Jedenfalls warnt die Times ihre Leser vor Überschätzung dieses Ereignisses.

Der Rücktritt von Tirpitz4 dürfte tatsächlich mit der U-Bootfrage zusammenhängen, und, so sehr ich sein Scheiden bedauere, bin ich doch froh, daß die nüchterne Erwägung der politi-schen Lage über das blinde Scharfmachertum der Marinekreise gesiegt hat. Seit über einem Jahr hatte die Marine Zeit zu zeigen,, was sie mit den U-Booten kann; aber sie hat es nicht einmal erreicht, die regelmäßigen Militärtransporte von England nach Frankreich zu verhindern, und da soll man ihr Glauben schenken, sie könne bei rücksichtsloser Torpedierung England in drei Monaten aushungern, eine Hypothese, die uns auf der anderen Seite die Feindschaft sämtlicher Neutralen auf den Hals gehetzt hätte. Leider zeigt sich noch nirgends eine Möglichkeit, den Krieg zu beenden. Wir müssen uns eben gedulden. Unserer draußen stehenden Lieben aber gedenken wir mit Dankbarkeit.

Gute Grüße vom ganzen Hause Dein getreuer Onkel (CHB).

 

73. Feldpostkarte von Harry Becker an C.H.B. 1. Escadron, 4. Mecklenburgische Kavalleriedivision, Regiment 17, 26.3.1916

Lieber Onkel Carl!

Für Deinen langen Brief vielen herzlichen Dank. Für Tante Hedwigs Sendung habe ich mich neulich schon bedankt. Ihr werdet das inzwischen erhalten haben. Ich bin bei den Hand-pferden, habe sehr viel zu arbeiten, daher nicht die rechte Ruhe und Zeit zum Schreiben. Daher nur dieser kurze Dank. Sowie ich wieder kann, werde ich Euch schreiben. Mir geht es ausgezeichnet; auch habe ich genug zu essen. Hier ist starkes Tauwetter; alles ist ein Patsch.

Viele herzliche Grüße, auch an Tante Hedwig und die Kinder

von Deinem tr(euen) Neffen Harry

 

74. Feldpostkarte von Harry Becker an C.H.B. 16.5.1916

Lieber Onkel Carl!

Aus dem fernen Osten sende ich Euch einen kurzen Gruß. Oft muß ich an die schönen Stunden denken, die ich vor einem Jahre bei Euch verleben durfte. Mir geht es hier sehr gut. Die Obstbäume blühen alle wunderschön. Augenblicklich ist kaltes regnerisches Wetter.

Der Russe ist ruhig. Sonst nix Neues.

Viele Grüße an Alle.

Dein treuer Neffe Harry

 

75. Feldpostkarte von Harry Becker an C.H.B. 22.5.1916

Lieber Onkel Carl!

Ich habe eine große Bitte an Dich. Wärest Du wohl so freundlich, das Buch über die Universität zu schicken.

Es ist schlechtes regnerisches Wetter. Der Russe ist ruhig. Oft muß ich an das vorjährige Frühjahr denken. Wie viele nette Erinnerungen kann ich damit verknüpfen. Wann werden diese Zeiten wiederkehren?

Hoffentlich geht es Euch allen gut! Was macht eigentlich die kleine Herta? Ihr hattet doch damals große Sorgen. Sicher ist es jetzt bei Euch herrlich mit all den blühenden Obstbäumen.

Seid alle herzlichst gegrüßt … Dein treuer Neffe Harry.

 

76. Feldpostkarte des Kriegsfreiwilligen Harry Becker an seinen Onkel C.H.B. 27.3.1916

Feldpostkarte des Kriegsfreiwilligen Harry Becker an seinen Onkel C.H.B. 27.3.1916

77. C.H.B. an Harry Becker. O.O. (Bonn), 27.5.1916

(Maschinenkopie)

Mein lieber Harry!

Deine beiden Karten haben uns sehr erfreut, und die ganze Familie sendet Dir gute Grüße. Den Ostergruß der Universität, an dem auch ich mitgearbeitet habe, hast Du wohl nur deshalb nicht erhalten, weil Du dem Sekretariat Deine Adresse nicht eingeschickt hattest. Auf Deine Mahnung hin habe ich es veranlaßt und wird das Buch wohl ungefähr gleichzeitig in Deine Hände kommen. Du wirst auch einen hübschen Aufsatz von Schreuer darin finden.

Von Deiner Mutter wirst Du inzwischen gehört haben, daß ich als Personalreferent für sämt-liche preußischen Universitäten ins Kultusministerium berufen bin. Es war ein schwerer Kampf, bis ich mich entschloß, das Angebot des Ministers anzunehmen, und habe ich dreimal lange Konferenzen mit Trott deswegen gehabt. Dann aber hielt ich es für meine Pflicht ja zu sagen, und nachdem einmal die Würfel gefallen sind, fühle ich mich glücklich in dem Gedan-ken an meine neue Aufgabe. Ich gehe zunächst allein und, wie das so üblich ist, kommis-sarisch noch als Professor für einige Monate nach Berlin. Erst im Herbst werde ich dann zum Vortragenden Rat ernannt werden, und dann wird auch meine Familie folgen. Bis dahin bleibt mir der Rückweg offen, wenn es mir gar nicht gefallen sollte. Ich zweifle aber nicht daran, daß ich mich schnell einlebe, zumal die persönlichen Verhältnisse in meiner nächsten Arbeits-gemeinschaft günstig sind. Ich habe mit einem alten sachkundigen und wohlwollenden Ministerialdirektor und auch sehr viel mit dem Minister selber zu tun, der zwar ein Junker, aber ein entscheidungsfreudiger und ideenreicher Mann ist; auch scheint er Anregungen zugänglich.. So schließe denn auch ich das Bonner Kapitel, in dem die kurzen Monate mit Dir uns immer eine liebe Erinnerung bleiben werden.

Herthas Beingestell ist immer noch nicht wieder ganz tadellos; aber es geht ihr doch besser, und sie wirkt äußerlich wie ein Ausbund von Gesundheit. Sie wiegt 10-20 Pfund mehr als Walther; auch ist sie in der Schule ausgezeichnet. Walther hatte gestern das beste Zeugnis seiner Klasse mit einer Eins in Deutsch und Latein. Er ist ein recht frischer Bub geworden. Das Entzücken der Familie ist der Jüngste, der sich ganz goldig entwickelt hat und mit seinem kleinen regen Geist und seiner körperlichen Tadellosigkeit die ganze Familie ergötzt.

An all die Friedensgerüchte5, die namentlich Rußland betreffen, glaube ich nicht. Es ist zwar merkwürdig, daß Rußland sich so still verhält, während die Italiener und Franzosen immer mehr in die Klemme geraten. Mir scheint, daß wir den Russen in Persien Konzessionen machen; denn es muß doch unser Ziel sein, einen Keil zwischen England und Rußland zu treiben. Die Schnelligkeit, mit der Grey’s ungeheure Heuchelei durch die Veröffentlichung der bosnischen Dokumente Lügen gestraft worden ist, hat etwas Herzerquickendes.

Wir würden Dir gern manchmal etwas schicken; aber es ist jetzt hier sehr knapp geworden, und man freut sich, wenn man sich selber durchschlägt. Ich tue es auch aus Prinzip nicht, weil ich ja in Osterholz gesehen habe, wie glänzend Du durch mütterliche Liebe versorgt wirst.

Hoffentlich geht es Dir dauernd gut und läßt Du uns recht bald mal wieder was hören. Meine Adresse ist vom 16. Juni an: Kultusministerium, Berlin, Unter den Linden. (CHB)

 

78. Kriegsfreiwilliger Harry Becker an C.H.B. Im Felde (im Osten?), 3.6.1916

Lieber Onkel Carl!

Schon gestern wollte ich Dir schreiben; durch einen glücklichen Zufall kam ich nicht dazu. Das paßte glänzend, denn heute kam Dein langer netter Brief. Also zuerst mal meinen herzlichsten Glückwunsch zu Deiner Berufung. Ich kann mir sehr gut denken, daß Dir die Entscheidung recht schwer gefallen ist. Denn an dem schönen Bonn hängt Ihr doch alle sehr. Auch wirst Du wohl viel von Deiner Arbeitsfreiheit aufgeben müssen. Aber dafür winken wieder viele andere Vorteile. Allerdings bin ich gespannt, ob Ihr wieder eine so schöne Wohnung finden werdet. Denn die Eurige ist doch einfach ideal, besonders wenn ich an die dort verlebten Stunden zurückdenke. Was war das eine schöne Zeit! Man kann sich gar nicht denken, daß die noch mal wieder kommt. Aber das wollen wir doch hoffen. Na, einstweilen läßt es sich hier ja auch aushalten, trotzdem wir ein Ende herbei wünschen. Von Mama werde

ich rührend versorgt, und ich bitte Euch daher, nur nichts zu schicken, besonders da ich jetzt weiß, daß bei Euch alles knapp ist. Über eine gelegentliche Nachricht von Euch hingegen freue ich mich immer sehr.

Daß es Deinen Kindern so gut geht, ist ja ausgezeichnet. Ihr habt doch sicher viel Freude an ihnen. Jetzt ist es wohl auch ausgeschlossen, daß Du noch als Schipper eingezogen wirst. Das hätte ich Dir auch wirklich nicht gewünscht. Denn die haben doch ein recht trostloses Dasein. Wir haben auch eine Kompagnie bei uns. Immer bloß für andere Truppen zu arbeiten, ist doch keine Kleinigkeit.

Der Russe ist im allgemeinen ruhig. Seit ein paar Tagen schießt er mit Maschinengewehren. Das ist recht unangenehm. Das Schlimmste ist aber doch die Artillerie.

Die Obstblüte ist fast vorbei. Ich bin gespannt, wie die Ernte ausfallen wird. Denn Bäume und Sträucher haben wir genug, sie haben zum Teil auch gut angesetzt. Für den Ostergruß der Universität vielen Dank. Er wird wohl in den nächsten Tagen kommen. Die Feldpost funktio-niert recht gut die letzte Zeit. Hingegen ist die Verpflegung oft sehr mäßig, und Tage, an denen man überhaupt nicht satt wird, sind nicht selten geworden. Trotzdem geht es mir aber hier ganz gut. Man gewöhnt sich an alles. Viele Grüße an Tante Hedwig und die Kinder!

Dein treuer Neffe Harry.


1 Die Lusitania wurde am 7.5.1915 von einem deutschen U-Boot versenkt. Sie hatte Kriegsmaterial im Frachtraum geladen für England, obwohl sie ein Passagierdampfer war.

2 Trentino ist die Gegend um Trient, Italien. Heute eine autonome Region Trentino-Südtirol

3 Carola von Blumenstein

4 Alfred von Tirpitz *1849 +1930, Großadmiral seit 1911, entwickelte die Torpedowaffe seit 1877

5 Ein Gesandter Wilsons sondierte in Paris, London und Berlin 1914-1916. Ein deutsches Friedensangebot nach dem Sieg über Rumänien wurde im Dezember 1916 von der Entente abgelehnt. Die exzessiven Bedingungen der Entente führen zur Erklärung Wilsons vom Januar 1917 eines Friedens ohne Sieg. Nur Deutschland antwortete übrigens auf die Bemühungen Wilsons; die österreichischen Bemühungen bleiben erfolglos. Im April 1917 treten dann die USA in den Krieg ein.

Else Becker

HA VI. Nachl. C.H.Becker. Rep.92. Nr.6283

67. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Bonn), 2.5.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Nach Bonn zurückgekehrt, ist es mir ein lebhaftes Bedürfnis, Dir und Ferdi nochmals Dank zu sagen für die reizende und wirklich erquickende Aufnahme, die ich bei Euch gefunden habe. Die gemütlichen Plauderstündchen und Spaziergänge mit Dir werden mir in unvergeßlicher Erinnerung bleiben.

Mein Vortrag ist dann schließlich noch etwas anders geworden, als ich ihn Dir skizzierte; vor allem habe ich ihn ganz anders eingeleitet, da ja gerade im richtigen Moment Kut el Amara gefallen war. Ich hatte von dem Publikum den allerangenehmsten Eindruck und war nachher noch bis 1 Uhr mit den Herren in regem Gedankenaustausch zusammen.

Die mitgebrachte Butter genieße ich sehr, und wir danken Dir nochmals für dieses schöne Geschenk. Wenn es Dir möglich ist, die 30 Dutzend Eier für uns zu beziehen, so würdest Du in uns dankbare Abnehmer finden. Der Eierbezug scheint hier in nächster Zeit sehr erschwert zu werden; um so angenehmer wäre es uns, wenn sich die Sendung bald ermöglichen ließe.

Hier fand ich alles wohl vor. Sonntag erwarten wir Tante Emma Rehbock zu Besuch.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer Schwager (CHB)

 

68. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Bonn), 10.6.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Nur schnell herzlichen Dank für Deine Karte. Die Briefe von Harry haben wir alle mit großer Freude gelesen. Emma sollte sie eigentlich mitnehmen, vergaß es aber; so sandte ich sie Dir gestern, leider nicht eingeschrieben, da sie mir auch uneingeschrieben zugegangen waren. Auch ich hatte einen sehr netten Brief von Eurem Jungen, der sich in seinen Briefen wirklich von seiner besten Seite zeigt.

Wenn Du uns 10 oder 20 Dutzend Eier schicken kannst, sind wir natürlich sehr dankbar und glücklich. Hier bekommt man auf Brotbuch auch nach vielem Bemühen bestenfalls drei Eier pro Kopf und Woche. Einfuhr ist aber gestattet, ja sogar erwünscht.

Ich sende Euch einliegend ein kleines Schriftchen, das nur als Privatdruck erscheinen kann, da die Zensur den dritten Teil gestrichen hatte und ich deshalb auf Veröffentlichung verzichten mußte. Jetzt ist es ohne Streichungen gedruckt.

Herzliche Pfingstgrüße vom ganzen Hause und vielen Dank für Deine Bemühungen.

Dein getreuer Schwager (CHB)

 

69. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Berlin), 16.9.1927

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Herzlichen Dank für Deine Karte. Wir haben wirklich Pech mit Ferdis Besuchen. Hedwig ist noch in Gelnhausen mit den Kindern und kommt vielleicht gerade gleichzeitig mit Ferdi an. Da außerdem große Wäsche ist und Du den Zustand bei Rückkehr der Hausfrau kennst, wäre es uns lieber wenn Ferdi diesmal anderswo wohnte. Ich halte ihm aber für alle Fälle Dienstag Abend frei und erwarte ihn um 8 Uhr zum Abendessen. Wenn er in der Stadt ist, kann er ja vorher mal im Ministerium vorsprechen und evtl. mit mir herausfahren. Voraussetzung ist dabei, daß nicht noch für den Abend eine Staatsministersitzung anberaumt wird. Es geht wieder einmal so heiß zu wie in den schlimmsten Krisenzeiten. Eine Sitzung jagt die andere. Reichsschulgesetz – das sagt alles. Daneben verschwindet fast die Besolddungsordnung. Um so mehr freue ich mich auf die Ruhe des Wiedersehens bei Ferdis Jubiläum. Ich komme gern am 30. September mittags und bleibe bis zum 2. Oktober in der Früh, wenn es Euch paßt. Habt Ihr andere Gäste, wohne ich in Bremen.

Dein getreuer Schwager (CHB).

Ernst Eisenlohr (1920-1935)

HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-35)

52. C.H.B. an Konsul Ernst Eisenlohr, Heidelberg. Berlin, 1.4.1920

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Dieser Tage erhielt ich den anliegenden umfangreichen Brief von Meyberg. Ich habe natürlich keine Ahnung, worum es sich handelt und im Augenblick wirklich nicht die Zeit, mich darum zu kümmern. Daß die La Plata Post einen Artikel von mir gebracht hat, ist mir völlig neu. Vermutlich ist irgendein Auszug aus einem meiner Bücher oder meiner sonstigen Äußerungen dort zum Abdruck gelangt. Ich habe nicht einmal ein Belegexemplar davon gesehen. Ich möchte Dich nun, da Du im Augenblick noch freier bist als ich, darum bitten, Deinerseits die Sache einmal zu untersuchen, da Du ja vermutlich viel besser im Bilde bist als ich. Ich habe Meyberg1 ein paar freundliche Worte geschrieben, von denen ich Dir einen Durchschlag beilege.

Im übrigen alle guten Wünsche für Ostern. Es wird jetzt wirklich höchste Zeit, daß wir uns wiedersehen. (C.H.B.)

 

53. Ernst Eisenlohr, Auswärtiges Amt an C.H.B. Berlin, 2.2.1931

(Maschinenmanuskript)

Lieber Carl!

In der Anlage findest Du die politische Aufzeichnung, über die ich Dir gestern sprach. Ich darf bitten, sie mir möglichst bald zurückzugeben, da ich sie hier verwerten will. Die Darstellung enthält eine nüchterne Durchdenkung unserer gegenwärtigen außenpolitischen Situation und stammt von einem Sachkenner hohen Grades2. Ihr schwächster Punkt ist der optimis-tische Ausblick auf die Möglichkeit einer Revision des Youngplans. Dieser Gegenstand lag dem Tätigkeitsgebiet des Verfassers fern. Er konnte ihn nur allgemein psychologisch betrachten, ohne auf die einzelnen Elemente des Tatbestandes einzugehen.

Mit herzlichem Gruß gez. Ernst

*

54. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Gesandter in Athen. Berlin, 12.11.1932

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Heute ist Dein Geburtstag. Da ich nicht rechtzeitig schreiben konnte, möchte ich wenigstens die Anregung dieses Tages benutzen, Dir mit meinen besten Wünschen in der Form eines kurzen Berichts ein kleines Geburtstagsgeschenk zu übermitteln. Es tat mir sehr leid, daß ich Dich diesen Sommer nicht gesehen habe, aber ich freue mich, daß Du so intensiven Anteil an den Erlebnissen Deines Patenkindes genommen hast. Sie (Hertha) studiert zur Zeit in Göttingen und schreibt dort eigentlich recht befriedigt aus einem großen Kreis von Bekannten. Hellmut schreibt ebenso glücklich aus Freiburg, und Walter und Irmgard leben zur zeit mit uns. Ich hatte sehr inhaltsvolle Wochen in England und kam ich jeder Hinsicht befriedigt von dort zurück. Ich hatte in London und Cardiff gesprochen, viele alte Beziehungen aufgenommen und neue geknüpft.

Mehr als das individuelle Schicksal interessiert allerdings im Augenblick das unseres Volkes und Staates. In Deinem Brief an Hedwig äußerst Du den Wunsch, einmal meine Ansichten über die Dinge zu hören. Was ich über mein spezielles Gebiet denke, die Kulturpolitik, habe ich in einer Rede für Solf niedergelegt, deren Abdruck ich beifüge. Für mich stand zweifellos fest, daß der Parteienmechanismus sich endgültig festgefahren hatte, und ich begrüßte deshalb den Einbruch der Gewalt in der Form des Papen-Schleicher’schen Experiments. Mein Gedanke war dabei, daß die auf die Dauer nicht zu entbehrenden Parteien und Parlamente durch diesen Schreckschuß zu größerer Selbstdisziplin veranlaßt werden würden. Ein Präsidialkabinett war so lange zu begrüßen, als es wirklich über den Parteien stand und erste zweckmäßige Maßnahmen vollzog. Die große Enttäuschung aber war, daß ein deutsch-nationales Parteikabinett reaktionärster Observanz zur Herrschaft gekommen war. Erster großer Fehler: der Her-auswurf aller Sozialisten, die irgend entbehrt werden konnten. Im Kultusministerium z.B. hat man fünf Ministerialräte abgebaut, und zwar nur Sozialisten; einige davon mit Recht, andere zu Unrecht. Die Personalpolitik wäre immer noch zu ertragen gewesen, wenn die Neubesetzungen erstklassig gewesen wären. Daß man zur Repräsentation des deutschen Geistes auf den Stuhl des Kultusministers einen guten alten Papa, eine Greifswalder Lokalgröße, wenn auch nur interimistisch berufen hat, zeugt von einer Respektlosigkeit vor dem Geistigen oder von einem Mangel an Judizium, die beide nicht zu überbieten sind. Nun höre ich, daß zum Nachfolger eines Mannes wie Richter der abgelebteste der Kuratoren, ein zwar ganz fein gebildeter, aber absolut initiativloser Mann, der frühere Ministerialrat Vallentiner, berufen worden ist., der zwei Jahre vor der Altersgrenze steht und unmöglich der Schwierigkeit der gegenwärtigen Aufgabe gewachsen sein kann. Männer, die derartige Stellenbesetzungen vornehmen, kann man nicht ernst nehmen. Leider ist es so auf der ganzen Linie, und einsichtsreiche Rechtsleute rücken ebenso entsetzt von dem Kabinett Papen ab, wie ich. Der Mangel an Psychologie ist grenzen los3. Außerdem wirkt sich jetzt bei allen Ämtern die Herrschaft der Zunft gegen Outsiders, d.h. sehr häufig, wenigstens im K.M., gegen die Sachverständigen aus. Typisch dafür der Abbau der Kunstabteilung, den man wieder heimlich nicht Wort haben will.

In Deinem (Auswärtigen) Amt ist auch nicht alles, was geschieht, erfreulich. Ich mißbillige z.B. den Kampf gegen Terdenge, denn obwohl dieser Mann sehr zu Unrecht in das Amt gekommen ist, hat er seine Sache gut gemacht und jedenfalls mehr geleistet als die ephemeren Gesandten und Generalkonsuln, die es doch immer als eine Degradation empfunden haben, die Kulturabteilung zu leiten und immer so schnell wie möglich wieder fortgestrebt haben. Die ganze Abteilung wird ja doch so bald als möglich anders wohin überführt werden müssen, und dann wäre ein Sachverständiger wie Terdenge zur Überführung immerhin geeigneter als ein abgedienter Generalkonsul oder ein Gesandter für Frühstücke und Dîners.

Aber all das sind Kleinigkeiten gegenüber der unpsychologischen und ungeschickten Haltung Papens gegenüber dem Leipziger Urteil. Noch einmal hatte er die Chance, den verfahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen und mit einer großzügigen Geste die Regierung Braun zu versöhnen. Das Lächerliche ist nämlich, daß in der wichtigen Frage der Reichsreform das

ganze Kabinett Braun mit Papen und Genossen einer Meinung ist, daß man also mit einer Geste der Versöhnung eine sachliche Kooperation großen Stiles hätte erreichen können, die vielleicht gar zu einer Versöhnung des Zentrums geführt hätte. Die forschen, neuen Männer haben das allerdings offenbar für unvereinbar mit ihrer Kavalleristenehre gehalten. Dieser Kampf um das Prestige wird, wenn es so weiter geht, in absehbarer Zeit sogar zur Abnutzung des bisher unerschütterten Felsblocks Hindenburg führen. Ein frühzeitiger Tod dieses Mannes würde ein Chaos schaffen. Außerdem werden über der innenpolitischen Reiberei ganz die großen Fragen der Außenpolitik vergessen4, wenigstens in der breiten Öffentlichkeit. Ich kann nicht finden, daß Herr Schleicher die Politik des Auswärtigen Amtes tatkräftig unterstützt hat, aber der Mann soll krank sein an Anämie leiden und daher einen Tag poltern und den nächsten deprimiert sein. Auch der junge Marcks, auf den ich so viel gebaut hatte, soll leider auch die Forschheit für das einzig Notwendige halten. All das treibt zum Verfassungsbruch unter ungeeigneten Führern. Einen Verfassungsbruch kann sich ein Bismarck leisten, aber kein Papen.5

Die natürliche Folge dieser Unfähigkeit an der Spitze ist die Initiative politisch-bewegter Geister in der Tiefenschicht. Die zwei Millionen Stimmverlust bei Hitler sind nicht wegzudiskutieren, der Schwung der Bewegung ist erloschen, es bleibt die Radikalisierung und der Selbsterhaltungstrieb der in dieser Partei besonders zahlreichen Funktionäre. Hitler wird vom General zum Feldwebel, und es zeugt für den alten Hindenburg, daß er nach dem Empfang Hitlers das beglaubigte Wort gesprochen haben soll: Der Gefreite aus Mähren gefällt mir nicht. Unterirdisch bereitet sich eine Fühlungnahme der Sozialisten aller Parteien vor: Sozialisten aller Parteien vereinigt Euch. Mein früherer Pressechef und Freund, Professor Reichwein, ein sehr gescheiter und aufgeklärter junger Sozialist, spricht nur noch von Links- und Rechtssozialisten, und es ist unzweifelhaft eine Bewegung in Vorbereitung, die die Arbeitnehmerschicht aller Parteien politisch zusammenfassen will. Man hat sehr abenteuerliche Gedanken, will z.B. die alten Parteifunktionäre in einem Senat vereinen, während die Jugend die Führung übernehmen will. Wenn aus all dem etwas wird, kann es sich nicht in friedlicher Weise entwickeln, sondern dann würden wir wohl schweren Zeiten entgegen gehen, was ich Dir nicht weiter begründen brauche.

Einer meiner vielen Darmdoktoren hat mir einmal gesagt: „Füllen Sie den Darm, wenn er nicht arbeitet, beschäftigt er sich mit sich selber und Ihr ganzer Organismus wird krank.“ Ich brauche die Parallele nicht zu ziehen. Arbeit ist alles. Kommt wirklich wieder von Amerika eine bessere Weltkonjunktur, wird vielleicht Herr Papen mit seinen Ankurbelungsversuchen einmal als der große Mann dastehen, kommt sie nicht, wird er an allem schuld sein. Fatum und Fortuna sind zwei Gottheiten. Mit dem amor fati muß man das corriger la fortune verbinden. Manches Vernünftige geschieht ja jetzt, wo man die Parteien los ist, was die Kabinette schon zu meinen Zeiten beredet und beschlossen hatten, aber dank der Parteien-Herrschaft nie Wirklichkeit werden konnte. Ich persönlich stelle mich auf den Standpunkt, gelegentlich einmal meine Meinung sagen, wie in dem einliegenden Aufsatz6, mich aber sonst aus der Politik vollkommen herauszuhalten und lieber die internationalen Beziehungen zu pflegen und dadurch indirekt der Nation zu dienen.

Mich beschäftigt eines der wichtigsten zeitgeschichtlichen Probleme, das des Zusammenstoßes zwischen Asien und Europa/Amerika. Drei Vorträge von mir werden demnächst in Englisch erscheinen, ich habe sie in London gehalten. Zur Zeit lese ich ein Publikum über das

Thema, um später einmal ein Buch darüber herauszubringen. Inzwischen ist der zweite Band meiner Islamstudien erschienen. Ich habe ihn Dir nicht geschickt, da Du jetzt andere Dinge zu tun hast, und ich auch gar nicht einmal weiß, ob Du den ersten besitzt. Dafür schicke ich Dir mit gleicher Post die französische Ausgabe meines China-Berichts, der namentlich wegen des von mir geschriebenen Kapitels „Traditions nationales et influences étrangères“ die Öffentlichkeit in Amerika sehr beschäftigt. Ich bin gerade dabei, einen großen Artikel für die New York Times zu schreiben, die mich darum ersucht hat. Neben meiner hiesigen sehr intensiven akademischen Tätigkeit brauche ich jeden Tag mehrere Stunden, um Bitt- und Vermittlungsgesuche aller Art zu erledigen, und dann halte ich Vorträge wie kürzlich in Hamburg oder im Februar in Kopenhagen und im März vielleicht in Madrid. Ich will versuchen, mit dieser Spanien-Reise, wenn sie wirklich zustande kommt, einen Besuch in Marokko zu verbinden, um mein Bild von der Europäisierung der orientalischen Welt auch nach dem äußersten Westen hin abzurunden.

Mit allen guten Grüßen von Haus zu Haus, wie stets Dein getreuer (C.H.B.)

 

55. Gesandter Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker, Kreßbronn. Athen-Ekele, 24.6.1935

Liebe Hedwig,

es regnet ausnahmsweise mitten im Juni, und ich benütze den kühlen Tag, um Dir zu zur antworten. Sonst war’s so heiß, daß alles klebte und jede Tätigkeit aufhörte, die nicht zur amtlichen Pflicht gehört.

Wir gehen Mitte Juli in Urlaub, und zwar zunächst auf etwa eine Woche nach Berlin, um das gleich abgemacht zu haben. Dann kommen Ende Juli und Anfang August Heidelberg, Oberkirch, Baden-Baden (Zahnarzt), Badenweiler. In Badenweiler oder auf dem Feldberg bleiben wir ca. 14 Tage. Alles weitere ist ungewiß und richtet sich nach vielerlei Umständen. Wenn’s geht, will ich den Urlaub bis Ende September ausdehnen und mir irgendwo ein völliges Ausruhen schaffen. Letztes Jahr war’s nichts damit, und nun spüre ich den Verschleiß. Ich werde Dir von Badenweiler aus schreiben, um zu versuchen, mit Dir zusammenzutreffen. In Berlin möchte ich diesmal unbedingt Walter und seine Frau sehen, und Hertha, wenn sie dort ist. Von Helmuth habe ich keinen Brief über Examen 7und sonstiges; vielleicht treffe ich ihn bei Dir. Mit Muttern sollte man über ihre Söhne nicht sprechen, auch wenn sie einen fragen. Aber die Jugend braucht beides gleich dringend, freundliches Verstehenwollen und Kritik.

Der kleine Walter Groß war zu Beginn dieses Frühjahrs hier mein Gast im Archäologischen Institut. Er sieht seinem Vater bis in kleinste Einzelheiten schmerzlich ähnlich; aber auch die Mutter ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Wo er jetzt steckt, weiß ich nicht, vermutlich in Leipzig.

Meiner Frau geht’s etwas wechselnd, aber im Ganzen viel besser als im vergangenen Jahr. Wir sind wieder nach Ekele ins gleiche Häuschen gezogen; in der Stadt war’s nicht mehr auszuhalten vor Hitze und Trubel. Athen scheint ein sehr bevorzugtes Reiseziel geworden zu sein; es reißt nicht ab. Ich bin das ganze Jahr über nicht einmal auf der Akropolis gewesen, weil ich mir die stille Morgenstunde, die ich suchte, nie habe erübrigen können.

Ich hoffe sehr aufs Wiedersehen, leb wohl und sei herzlich gegrüßt, Ernst.

 

56. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker, Kreßbronn Feldberghotel, 14.8.1935

Liebe Hedwig,

die ersten Berliner Etappe ( es kommt vielleicht noch ein zweite) liegt hinter mir, ebenso der Besuch in Heidelberg, der in Oberkirch, zwei andere in Badenweiler und Freiburg und der erste Teil der Behandlung meiner Zähne in Baden-Baden. Nun sind wir bis Ende des Monats hier oben und ich merke mit der beginnenden Kräftigung eigentlich erst jetzt, wie sehr ich vorher herunter war. Der Feldberg hat allerdings vom ersten Tage ab gewirkt. Ab 1.9. muß ich nochmals wegen meiner Zähne, und meine Frau aus anderen Gründen – der Mensch wird langsam mangelhaft – nach Baden-Baden, vom 10. oder wahrscheinlich vom 14.9. habe ich uns im Walsertal angesagt, dann (einen Tag) München und etwa am 1.10. Abfahrt nach dem Süden. Das ist der Rahmen, soweit sich überhaupt Bestimmtes sagen läßt, denn vom Walsertal (Alpenkurhaus) habe ich noch keine Antwort, der Staatsekretär verlangt von mir, ich solle nochmals nach Berlin kommen und andere raten mir zum Besuch des Parteitags.

Falls Du unter den gegebenen Umständen die Möglichkeit eines Zusammentreffens siehst, gib mir bitte Nachricht. Wenn man ein Auto hat, ist alles recht einfach, aber der Mangel dieses Instruments macht die Dinge kompliziert und zeitraubend.

Alles Liebe Dir und wer von den Kindern dort ist. Dein Ernst

 

57. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker, Kreßbronn. Baden-Baden, 4.9.1935

Liebe Hedwig,

sei herzlich bedankt für den vergeblichen Anruf nach dem Feldberg, den wir nach drei wundervollen Wochen gerade verlassen hatten, und für Deinen Brief vom 30.8. Ich habe von hier nicht angerufen, weil bis gestern Abend in der Schwebe war, ob ich auf den Parteitag gehe, wohin mich das Amt vorgeschlagen und der Führer eingeladen hatte, oder nicht. Nun ist entschieden, daß ich am 9, hinfahre, und daß der Zahnarzt vorher mit mir fertig wird (er läßt nicht viel von mir übrig). Vorher kommen noch Mannesmanns hierher, mein Schwager Hans Hentig mit seiner Frau und mein Bruder. Vor dem Parteitag können wir uns also nicht treffen. Und nun schreibst Du: reise nicht plötzlich wieder für ein Jahr nach Griechenland. Ganz so plötzlich wird es nicht sein. Nach Berlin will ich nicht mehr, wenn ich nicht muß oder sonst was passiert. Ilse fährt von hier nach dem Alpenkurhaus in Mittelberg im Walsertal bei Oberstdorf und ich gehe nach Nürnberg ebenfalls dorthin. Wir könnten uns also in München treffen, oder, was für Dich näher und für uns alle so viel hübscher wäre, in Oberstdorf oder Mittelberg, wo wir bis Ende September sein werden und wo es wunderschön ist. Eine Nürnberger Adresse habe ich noch nicht. Doch könnten mich Nachrichten erreichen hier bis Sonntag einschließlich, dann am besten über Ilse (Adresse Baden-Baden, Hotel Kaiserin Elisabeth). Ich bin in einem seltsamen Zwischenstadium, irgend einen Übergang zu etwas Neuem, das ich noch nicht greifen kann, gut oder böse, ich weiß es nicht.

Sei herzlich gegrüßt und komm nach Mittelberg. Dein Ernst.

 

58. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker, Kreßbronn. Baden-Baden, 8.9.1935

Liebe Hedwig,

Dein Vorschlag lockt mich sehr. Wenn ich ihn ausführen kann, telegraphiere ich von Nürnberg aus meine Ankunft in Friedrichshafen. Vielleicht kann ich mich, um Zeit zu sparen, in Nürnberg etwas früher frei machen. Es scheint zwei gute Züge zu geben: der eine verläßt Nürnberg um 10 (Uhr) Vormittags und ist 16.36 (Uhr) in Friedrichshafen. Kann ich mit diesem fahren, so erwarte ich Euch am Bahnhof Friedrichshafen. Der andere fährt von Nürnberg um 16.20 (Uhr) ab und ist Abends um 20.56 (Uhr) in Friedrichshafen, wo ich dann im großen Hotel übernachten und Euch am nächsten Morgen erwarten würde.

Du datierst von Kreßbronn ohne nähere Angabe. Die alte Adresse genügt aber wohl für die Post.

Hoffentlich gelingt der Plan, bestellt aber auch gutes Wetter für Euren See.

Herzliche Grüße, Ernst.

 

59. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker, Kreßbronn. Nürnberg, Amt für Ehrengäste, Grand Hotel, 11.9.1935

Liebe Hedwig,

ich gedenke,, wenn nichts Unvorhersehbares dazwischen tritt, am Dienstag, dem 17. September morgens um 10 Uhr hier abzufahren und würde dann um 16.36 Uhr in Friedrichshafen eintreffen, wo ich mich abzuholen bitte. Kommt niemand, sich meiner anzunehmen, so gehe ich nach einer halben Stunde ins Hotel.

Also hoffentlich bald auf ein frohes Wiedersehen, Ernst.

P.S. Gepäck: 1 große und 1 kleine Handtasche)

 

60. Telegramm von Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker, Ottenberg/Kreßbronn. Nürnberg, 15.9.1935

Abreise wegen Erkältung. Dort eintreffe schon heute halb fünf nachmittags. Ernst

 

61. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker. Alpenkurhaus Walsertal, Mittelberg, 19.9.1935

Liebe Hedwig,

meine Frau und ein früherer Mitarbeiter, G(efreiter?) Aichmann (?), haben braungebrannt, frisch und wohl mich in Oberstdorf empfangen und hierher gebracht in dies eigenartige und reizvolle Gasthaus. Die Natur ist groß und schön und die Luft herrlich trotz des einsetzenden Herbstwetters. Die Erkältung schwindet zusehends.

Von Lindau trafen mit ungeahnter Schnelligkeit erst Dein Schlafmittel und bald darauf auch schon die Brille – tadellos repariert – ein. Habe für beide Besorgungen herzlichen Dank und gib mir bitte den betrag Deiner Auslagen an.

Vor allem aber laß Dir danken für Deine Gastfreundschaft. Ich finde nicht die richtigen Worte um das auszudrücken, wie gut und schön und wie wertvoll für mich die zwei Tage gewesen sind. Ich habe auch so viel Freude an Hertha und den Eindruck gehabt, sie habe mich ein wenig lieb behalten.

Ilse ist sehr damit einverstanden, daß ich mir ein Grundstück in Eurer Gegend kaufe. Sie neigt zum Württembergischen und zu etwas Schönem und Großen, nicht zu nahe an anderen Häusern gelegenen. Wird es zu rauh sein dort oben?

Sei herzlich gegrüßt, Dein Ernst.

 

62. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker. Heidelberg, 1.10.1935

Liebe Hedwig,

ich bin in Mittelberg nicht mehr dazu gekommen, Dir für den letzten Brief und die Mitteilung über die neue Venenbehandlung zu danken. Es geht mit meiner Mutter zu Ende; wir sind hierher gerufen worden. Als wir heut morgen zu ihr kamen, hat sie mich gleich erkannt. Nun schlummert sie unter der Wirkung eines Beruhigungsmittels und wir warten.

Frau Mannesmann, die noch 2 Tage in Mittelberg bleibt, schickt Dir die Taschentücher zurück, die Du mir geliehen hast. Zwei davon aber, die erst im Augenblick der Wäsche kamen, gerieten wieder in meinen Koffer; ich schicke sie Dir von hier, wenn ich dazu komme.

Sei herzlich gegrüßt, Ernst.

 

63. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker. Heidelberg, Neuenheimer Landstr.2, 1.10.1935

(Trauerbrief)

Liebe Hedwig,

heute ist meine Mutter gestorben. Das Ringen mit dem Tod war lang. Sie hat mich noch erkannt: „Du bist mein Sohn!“ In den schweigenden Stunden, als ich ihre Hand hielt, war mir und vielleicht auch ihr, obwohl sie dahindämmernd allmählich erlosch, die Verwandtheit und Verbundenheit mit ihr tiefer bewußt geworden als je seit den Tagen der Kindheit.

Ilse ist hier bei mir, Fritz kommt morgen. Die Schwestern waren aufopfernd und rührend gut. Am 8.10. sind wir wieder in Athen.

Sei herzlich gegrüßt und grüße die Kinder von mir. Dein Ernst.

 

64. Ernst Eisenlohr an Hedwig Becker. Heidelberg, 2.10.1935

Liebe Hedwig,

Dein heller Brief hat sich mit meinem dunklen gekreuzt. Wir haben uns herzlich gefreut über die schöne Nachricht. Wenn ich kann, schreibe ich an Walter; ich glaube seine Adresse im Hotel irgendwo in meinem Gepäck zu haben. Aber ich bitte Dich auf alle Fälle ihm und Irmgard unsere Glückwünsche zu bestellen und unsere Freude, daß es der kleinen Frau gut geht.

Alle Gute und Liebe, Dein Ernst.8

 

65. Zeitungsartikel über Ernst Eisenlohr in der BZ vom 12.12.1935

Der neue deutsche Gesandte in Prag

WJ. Wien, 12. Dez. Für den Posten des Prager deutschen Gesandten, der durch das Ausscheiden des in den Ruhestand getretenen Gesandten Dr. Walter Koch einige Monate lang verwaist war, wird der bisherige deutsche Gesandte in Athen, Ernst Eisenlohr, ernannt werden. Die tschechoslowakische Regierung hat Eisenlohr bereits das Agrément erteilt. Der neue Gesandte in Prag gehört dem deutschen Auswärtigen Dienst seit dem Jahre 1911 an. Zuerst Vizekonsul in London, dann in Sao-Paolo, geriet er 1915 zuerst in Gibraltar vorübergehend in englische, später an der Westfront in französische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst nach Kriegsende zurückkehrte. 1923 bis 1925 war er als Gesandtschaftsrat in Belgrad, dann bis 1931 im Auswärtigen Amt in Berlin tätig. Seit 1931 vertrat Gesandter Eisenlohr Deutschland in Athen.

 

66. Ernst Eisenlohr, z.Z. Partenkirchen, bei Frau von Hentig, O.D. Dezember 1935 (?)

ab 2.2.(1936) Prag II, Deutsche Gesandtschaft, Thunovska 16

Liebe Hedwig,

wir sind über eine Woche lang in Berlin gewesen, und ich habe Deine Kinder nicht gesehen, nicht nur weil ich Walters neue Adresse nicht besitze, sondern vor allem deshalb, weil dieser Aufenthalt so angefüllt war mit amtlichen Besuchen und Einrichtungssorgen, daß keine Minute des Tages frei blieb. Ich hatte die Sorgen und Wünsche von zwei Gesandtschaften, der früheren und er künftigen, zu vertreten und hoffe alles Wesentliche durchgesetzt zu haben, z.B. die völlige personelle, bauliche und geldliche Neuordnung für Prag. Dazu kam dann noch das sudetendeutsche Problem mit seinen Verästelungen. Ich war nachträglich sehr froh, daß ich nicht der ersten Weisung gefolgt war, direkt nach Prag überzusiedeln, sondern um die Erlaubnis gebeten hatte, erst besuchsweise nach Prag zu gehen, um mit eigenen Augen zu sehen, dann meinen Vorgänger, Exzellenz Koch, in Dresden zu besuchen und endlich mich in Berlin gründlich zu informieren.

Das Ergebnis ist in sofern etwas niederdrückend, als ich mich überzeugen mußte, daß für eine positive diplomatische Betätigung in Prag eigentlich gar kein Raum bleibt. Die Stadt selbst – ich weiß nicht, ob Du sie kennst – ist wunderschön, der Hradschin mit dem Veitsdom wohl die großartigste Baugruppe, die ich außerhalb Griechenlands je gesehen habe (trotz dem Kapitol), die Atmosphäre aber, die über all dem schwebt, ist düster, nicht nur bildlich gesprochen.

Die Gesandtschaft ist ein alter ziemlich bescheidener Adelspalast mit einem Innenhof und einem Gärtchen, auf der Kleinseite unterhalb des Hradschin gelegen, vollgestopft mit Woh-ungen und Büros, stets bewacht von einem halben Dutzend schnauzbärtiger Schutzleute. Unsere Wohnung ist sehr bescheiden, die Flucht der Repräsentationsräume schön, aber jetzt gerade sehr unerfreulich eingerichtet. Der heftige Kampf, den ich darüber entfacht habe, wird wohl mit einem leidlichen Kompromiß ausgehen. Die Luft in Prag riecht nach Spionage-.

In Berlin habe ich den Führer, Neurath, Göring, R(udolf) Heß und Kerrl gesprochen, dazu eine Anzahl von dii minores. Ich bin überall, besonders beim Führer, sehr freundlich auf-genommen worden und habe viel gelernt in den paar Tagen.

Im A.A. sieht’s noch immer so unfreundlich aus, wie in den letzten drei Jahren. In Prag hoffe ich einigermaßen freizügig machen zu können, um das Land kennen zu lernen und um die Nachbarpotentaten zu besuchen und unsere Probleme auch von da aus zu sehen. Da die Entfernung kurz ist, werde ich wohl nun häufiger nach Berlin kommen und bitte Dich deshalb um Herthas und Walters Anschriften.

Hier ist Ruhe, soweit dies bei dem Temperament meiner hierher übergesiedelten Schwieger-mutter, bei der wir ja zu Gast sind, überhaupt möglich ist. Die Ruhe tut gut als Wechsel nach dem Athener Abschiedstrubel – wo die Leute sehr nett mit uns waren –der Berliner Hetze und als Vorbereitung auf die kommende Ungemütlichkeit. Seit langer Zeit komme ich hier wieder zum Briefeschreiben und zum politischen Nachdenken. Denn bisher mußte ich mir das Politische immer aus dem Ärmel ziehen, weil zuviel Kleinkram dringlicher Art zu erledigen war. Das haus hier liegt an der alten Straße nach Mittenwald gerade außerhalb von Parten-kirchen am Hang gegenüber den großen Bergen und ist von Bäumen umgeben und abgeschlossen. Meine Schwiegermutter hat gut gewählt und wirtschaftlich gehandelt; ich folge ihrem Beispiel und lasse in Badenweiler Wiesenstreifen nach Wiesenstreifen kaufen, bis ich an der Vogelschutzhecke bin und einen Bauplatz von 1.2 Hektar habe.

Ich glaube, mein Vorgefühl war richtig, dies Prag bedeutet eine Lebenswende für mich, für die es Zeit war. Mögen die Götter mich zum Guten führen.

Wann ziehst Du um? Alles Liebe und Gute wünscht Dir Ernst


 

1 Beide Briefe liegen nicht in der Akte.

2 Randbemerkung Beckers: Rauscher

3 Hervorhebung vom Herausgeber.

4 Hervorhebung vom Herausgeber.

5 Hervorhebung vom Herausgeber.

6 Liegt nicht bei.

7 Am Rande rot markiert von der Empfängerin. Unten erbittet sie den Brief wohl von Hellmut zurück.

8 Anmerkung Hedwig Beckers auf der Rückseite: Der dunkle Brief bezog sich auf den Tod seiner Mutter. Bitte gelegentlich zurück.

Ernst Eisenlohr (1916-1919)

HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-35)

45. C.H.B an Oberleutnant Ernst Eisenlohr. Bonn, 9.2.1916

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Du hast ewig nichts von mir gehört; aber Du weißt ja, daß es mir nicht möglich war. Seit einigen Tagen kann ich wieder aufatmen, und da will ich Dir wieder einmal gründlich von uns berichten. Zunächst einiges Persönliches: Die Kinder liegen mal wieder mit einem kleinen Schnupfenfieber zu Bett; es ist aber so bedeutungslos, daß Hedwig nach wie vor ihre morgendliche Pflege im benachbarte Stift weiterführt. Sie ist jetzt ganz dorthin übergesiedelt und vormittags auf der Babystation tätig und wacht dafür nachts nicht mehr. Ich bin sehr erfreut über diese glückliche Lösung. Es muß jetzt jeder während des Krieges irgend etwas zu tun haben, was außerhalb seiner gewöhnlichen Arbeit liegt, und dort im Stift fehlt es an Arbeitskräften, und Hedwig füllt einen wirklichen Platz aus. Dabei bereitet sie sich jetzt auf das Examen vor, wenn sie bei ihrer etwas unregelmäßigen Vorbildung zugelassen wird: doch ist ein Gesuch dafür unterwegs. Du kennst ja die ganze wunderbare Weibergeschichte, und hat sich jetzt alles in Wohlgefallen aufgelöst. Gesundheitlich geht es Hedwig vortrefflich. Mit persönlich geht es unverändert. Ich kämpfe noch immer den alten Kampf mit meiner Verdauung, bin aber recht arbeitsfähig und habe den anstrengenden Januar gut überwunden. Es war schon eine rechte Arbeit. Von Berlin hatte ich nicht viel, da ich mich gleich den ersten Abend so erkältete, daß ich den Rest der Zeit wie eine Primadonna leben mußte, das Haus nicht verließ und meine Stimme schonte, um abends sprechen zu können. Diese unfreiwillige Muße ist dafür der Vorbereitung meiner Vorträge zugute gekommen. Ich hatte die Empfindung, daß auch das Publikum mit mir zufrieden war und habe ziemlich frei von der Leber weg gesprochen, wenn auch der türkische Generalkonsul in der ersten Reihe saß. Es war aber ein verständiger Mann, wenn er sich auch bei meinem Vorredner, Philippson, gegen den Gebrauch des Wortes Armenien an Stelle von Türkisch-Kurdistan energisch zur Wehr gesetzt hat. Als ich über Verwaltung und Steuerwesen sprach, fehlte er glücklicherweise. Auch in Dresden konnte ich mich nur im Hotel und Vortragslokal aufhalten, wurde aber sehr herzlich von den Veranstaltern aufgenommen und hatte alle Satisfaktion von dieser Extratour. Ich versuchte, telefonisch etwas über Stübel zu ermitteln, doch war bei dem einzigen Stübel, dem Gesandten a.D., kein Anschluß zu erreichen.

In Dresden sprach ich vor 1000 Männern; Damen waren nicht zugelassen, und der Bruder des Königs war anwesend. Ich sprach über den türkischen Staatsgedanken: Du erhältst den Vortrag nächstens gedruckt. Es war mir eine kleine Satisfaktion, daß die Herren des Vorstandes, darunter ein ehemaliger Unterrichtsminister, sich lebhaft darüber unterhielten, welche Ausbildung ich eigentlich besitze, ob ich Philologe oder Jurist sei. Bitte nicht grinsen! Nach meiner Rückkehr mußte ich hier Hals über Kopf die Kaiserrede fertig machen, die dann programmgemäß stieg. Auf Deine Anfrage sub a und c wird Dir Hedwig antworten: sub b kann ich es wohl selber tun und Dir als Wegweiser für die Dir demnächst bevorstehende Lektüre folgende Winke geben:

Ich halte den ersten Teil für den wichtigsten, weil in ihm eine starke gedankliche Durcharbeitung bekannter Tatsachen liegt. Das Neue erkennt aber nur, wer wirklich Freude an reiner Gedankenarbeit hat. Abgesehen von einigen kleinen Lichtern ist materiell in dem ganzen Vortrag nicht viel Neues, wohl aber in der Konstruktion. In dem zweiten, sehr praktischen Teil habe ich manche Lieblingsgedanken von mir hineingelegt, doch bin ich hier zuweilen stark von dem Junge’schen Buch Die Europäisierung orientalischer Wirtschaft beeinflußt. Es ist oft schwer festzustellen, was von junge und was von mir ist, da wir uns in der Entstehungszeit seines Buches sehr oft gesprochen und gegenseitig beeinflußt haben. Der kaiserliche Rahmen bemüht sich, die unvermeidliche Banalität zu vergeistigen und ist mit Absicht auf einen ernsten Ton gestimmt. Zu Hurra-Stimmung ist es nicht die rechte Zeit.

Das ergibt auch die ganze politische Lage. Wir scheinen doch mit Amerika in einer sehr ernsten Krisis zu stehen, wenn auch die neuesten Nachrichten wieder besser lauten. Es gibt wohl überhaupt keine schlimmere Diskreditierung des republikanischen Systems als diese Verquickung von Weltkrieg und innerer amerikanischer Politik. Ich bin unbedingt dafür, daß wir bis an die Grenze des Möglichen gehen; denn ein Eingreifen Amerikas in den Krieg würde, abgesehen von der finanziellen Stärkung Englands und dem ungeheuren moralischen Eindruck, uns nicht nur drei Viertel unserer Handelsflotte kosten, sondern auch, und das scheint mir das Wichtigste, alle diese Schiffe sofort frei machen und damit die Welttonnage so erhöhen, daß die Lebensmittelpreise in England stark fallen würden. In höheren Marinekreisen ist man bei uns allerdings der Ansicht, daß ein Bruch mit Amerika nicht das Schlimmste wäre, da wir die Unterseebootwaffe jetzt so ausgebildet hätten, daß wir England wirklich von aller Zufuhr abschneiden könnten, wenn wir, ungebunden durch Amerika, torpedieren könnten. Die Unterseeboote brauchen neuerdings nicht mehr aufzutauchen um zu torpedieren. Ich halte diesen Marineoptimismus für höchst gefährlich, da sich England natürlich längst darauf eingestellt hat und mit Lebensmitteln für längere Zeit versorgt ist. Außerdem würde diese Absperrungspolitik Dänemark und Holland in die Arme Englands treiben; kurz und gut, wir hätten dann die ganze Welt gegen uns, und unsere östlichen Bundesgenossen würden zweifellos wackelig.

Sonst war in Berlin nicht viel zu hören. Der Generalstab verbreitet geflissentlich, daß im Westen und Osten mit keiner Offensive unsererseits zu rechnen ist, auch gegen Saloniki sei keine Offensive beabsichtigt. Unser Interesse liegt darin, daß Griechenland sich weiter piesacken läßt ohne loszuschlagen; denn auf welche Seite es auch treten möge, für uns bringt es immer Schaden. Man schein in Berlin mit einem Angriff von französisch-englischer Seite zu rechnen. Truppen kommen hier nach wie vor in großen Mengen durch. Unsere Westfront muß z.Z. unüberwältigbar sein. Ich höre aus sicherer Quelle, daß man einen starken militärischen Druck auf Rumänien ausübt, und daß Rumänien vollständig von unsern Bundesgenossen Truppen umstellt ist.

Über die Türkei könnte ich Dir noch mancherlei erzählen. Die Verhältnisse sind schwierig; namentlich bildet die Verproviantierungsfrage eine große Sorge. Darüber will ich Dir später einmalausführlich schreiben. Heute schicke ich Dir nur einen Brief meines bekannten Konstantinopeler Korrespondenten, der Dir ein gutes Bild von der Lage gibt. Ich bitte natürlich um sofortige Rücksendung. (C.H.B.)

 

46. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 24.2.1916

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Es freut mich sehr, daß Brieftasche, Tabak und der türkische Roman schnell in Deine Hände gelangt sind. Ich habe sie selbst besorgt und bitte Dich wirklich herzlich, mir die Freude zu machen, in diesem Falle die Dinge als Geschenk anzunehmen. Ich habe Dir genau die gleiche Brieftasche geschickt, die ich täglich trage, und es würde ich freuen, sie Dir geschenkt zu haben. Der Tabak war leider der letzte, der zu erlangen war. Ich schicke an so viele Leute rauchbare Dinge, daß es mir doch wirklich auch einmal erlaubt sein muß, Dir etwas zu schicken. Da ich Dich nicht mit überflüssigen Paketen bombardieren mag, warte ich ab, bis Du schreibst, was Du brauchst. Das ist entschieden brüderlich gemeint. Wenn es größere Objekte sind, wie neulich die Pistole, so lassen wir sie Dich schon bezahlen. Also geniere Dich wirklich nicht zu fordern, was Du brauchst….Teure und unpoetische Gegenstände kannst Du selber bezahlen.

Bei uns ist endlich wieder die allgemeine Gesundheit eingekehrt. Hedwig, die recht von ihrer Influenza gequält war, tut wieder regelmäßig Dienst und ist eigentlich den ganzen tag außer Haus. Sie kann es sich z.Zt. auch ruhig leisten, da alles Übrige glatt läuft. Die Kinder gehen wieder zur Schule. Ich selbst erledige allerlei Semesterschlußarbeiten und halte nächstens noch einen auswärtigen Vortrag. Am 3. März ist Semesterende, und wenn ich dann nicht eingezogen werde, so habe ich zwei Monate stiller Arbeit vor mir. Während dieser Zeit bin ich sogar frei von Vorträgen und Terminarbeiten wie seit vielen Jahren nicht. Ich möchte dann die zeit wieder einmal zu intensiver Arbeit benutzen und endlich einmal das schon so lange projektierte Handbuch der Islamkunde schreiben. Es besteht ein großes Bedürfnis danach. Die politische Arbeit, so vor allem den Druck meiner Berliner Vorträge, habe ich aus mehreren Gründen herausgeschoben:

  1. kommen eben in der Türkei so viele neue Gesetze heraus, daß in wenigen Monaten doch alles anders ist, und über vieles ist jetzt einfach keine Information erhältlich.
  2. würde die Zensur einen Abdruck meiner Vorträge so wie sie gehalten wurden und so wie sie einzig nützlich werden können doch zweifellos verhindern.

Mein Dresdener Vortrag über den türkischen Staatsgedanken ist nämlich von einem Leipziger Zensor bei der Drucklegung um ein Drittel gekürzt worden, und zwar so unsagbar töricht, daß mir alle Lust vergangen ist, so lange diese Verhältnisse bestehen, noch etwas über die Türkei zu schreiben. Ich hebe diese Blüte der Zensur sorgfältig auf, ums sie später einmal als politische Bildzeitung verwenden zu können; aber im Augenblick war es mir natürlich sehr ärgerlich, diese streng wissenschaftliche staatsrechtliche Abhandlung von irgendeinem Übertürken verschandelt zu sehen. Ich habe natürlich mein Imprimatur zurückgezogen und versuche jetzt zunächst einmal hinten herum die Sache frei zu bekommen. Es geschehen schon merkwürdige Dinge in dieser Hinsicht in Deutschland. Auch die heutigen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses lassen tief blicken. Die Behandlung der öffentlichen Meinung ist offenbar ein Talent, das den Deutschen für alle Zeiten versagt ist.

Mit ungeheurer Spannung verfolgen wir natürlich alle die offenbar jetzt beginnende Ent-scheidung an der Westfront. Der gestern gemeldete Erfolg bei Verdun scheint doch eine ganz große Sache zu sein. Hat es überhaupt im Stellungskriege schon einmal so viele Gefangene an der Westfront gegeben? Auch auf die Erfolge des U-Bootkrieges ist man natürlich sehr gespannt. Ob nun doch noch ein Konflikt mit Amerika kommt? Kein Mensch kann es wissen. Vielleicht hält Wilson den Konflikt für wünschenswert, um wiedergewählt zu werden. Was man bisher hört, läßt vermuten, daß Amerika seine Hilfestellung neben England nicht aufzu-geben beabsichtigt. Aber die Pressverfälschung geht ja jetzt so weit, daß man eben überhaupt nicht mehr glauben kann.

Hoffentlich begünstigt das Wetter die Aktionen an der Westfront. Bisher war es ja denkbar ungünstig. Bei uns ist heute alles tief verschneit, während schon seit Wochen vieles grün ist und manches geblüht hat. Die Landwirtschaft scheint allerdings noch keinen Schaden gehabt zu haben; das ist schließlich die Hauptsache.

Von meinem Schüler Ritter hatte ich einen interessanten Bericht aus Bagdad. Er war mit von der Goltz, dessen Dolmetscher und Dechiffrierer er ist, in Kermanschah in Persien, offenbar nur auf Inspektion. Dann ist der ganze Stab nach Kut-el-Amara abgereist. Leider darf er natürlich nichts Näheres schreiben, und seine Briefe sind mehr allgemeine Reisebeschreibungen als gerade Kriegsbriefe.

Endlich geschieht in Berlin jetzt etwas Energisches in Sachen türkischer Ackerbestellung und unserer künftigen gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Junge reist unter der nominellen Führung von Jäckh dieser Tage in amtlichem Auftrage nach Konstantinopel, um mit Talaat das Wirtschaftsproblem durchzusprechen. Hoffentlich merken die Türken, wie sehr wir die Absicht haben, sie zu stärken.

Der Fall von Erzurum, so bedauerlich er an sich ist, wird von vielen Seiten als für uns nicht so ungünstig angesehen, da er den Größenwahn der Türken zu dämpfen geeignet ist. Mit jedem Schritt, den die Russen weiter machen, erschwert sich ihre Lage, und die der Türken wird günstiger. Ich fürchte allerdings, daß die Unordnung der Truppen den Kanalplan beeinflussen wird. Was die Irakfront betrifft, so sah Ritter mit einiger Sorge die Engländer von Gallipoli abziehen. Sonst ist vorerst nichts Neues zu melden. (C.H.B.)

 

47. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Genesungslazarett (?) Balau bei Sedan. Bonn, 28.3.1916

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Freundlichen Dank für Deine Zeilen. Ich hoffe, Du beruhigst uns nicht nur, sondern es geht Dir auch wirklich gut. Du solltest Dir doch einmal ernstlich überlegen, ob Deine Gesundheit nach all den Strapazen der Tropen einen dauernden Frontdienst gestattet, oder ob es nicht im vaterländischen Interesse läge, daß Du Dich jetzt im diplomatischen Dienst statt beim Militär betätigtest. Du bist nicht so robust wie manch anderer, der äußerlich weniger kräftig ist, und es wäre doch unverantwortlich, wenn Du nur aus Eigensinn oder aus einer Überspannung des Begriffes Kameradschaft Dir einen Knacks fürs Leben holtest und nachher, wenn man Dich sehr nötig haben wird, wenn das große Reinemachen im A.A. losgeht, nicht mehr dienstfähig wärest. Mich beschäftigen diese Gedanken sehr, und ich fürchte, daß Du sie mit einem Lächeln bei Seite schiebst; aber Du solltest sie doch wirklich einmal durchdenken. Ich appelliere nicht an Deinen Egoismus – das wäre ein verlorenes Unternehmen -, sondern an Deinen nüchternen Verstand. Der Staat muß eben mit seinen besten Kräften ökonomisch vorgehen.

Von uns ist nicht viel Neues zu berichten. Ich bin ruhig bei der Arbeit und schicke Dir heute einmal eine kleine streng wissenschaftliche Arbeit, in der aber alles übersetzt ist, die Du vielleicht trotz ihrer Gelehrsamkeit in Deiner Rekonvaleszenz einen Augenblick beschäftigt. Auch ein Artikel liegt bei, der ziemlich viel abgedruckt worden ist und weite Kreise interessiert hat.

Aus der Türkei lauten die Nachrichten günstiger. Ein Brief von Ritter aus Bagdad von Mitte Februar klang sehr erfreulich, wenn auch ohne politische Details. Die Engländer sind fest eingeschlossen und können nur nicht genommen werden, weil Munition fehlt. Enver ist inzwischen in C(onstantinopel) zurück, und die Mission Mackensens ist ja wohl auch nicht ganz zwecklos. Die wirtschaftlichen Verhandlungen gehen sehr langsam voran. Zimmermann sieht die Dinge optimistisch an, wie ich über das Kultusministerium höre. Die Berlin zurück-gehaltenen Missionen reisen ab. Ein allzu starker Pessimismus ist also nicht am Platze. Man rechnet aber in Berlin mit einem eventuellen Regimewechsel in C(onstantinopel). Jedenfalls hat die Zensur die Instruktion, auch die Alttürken zu schonen. Infolgedessen kann man poli-tisch jetzt überhaupt nichts mehr über die Türkei drucken lassen. In meiner Sache hat die Oberzensur die untere Instanz gedeckt. Da Du jetzt Zeit hast, schicke ich Dir einmal diese Blüte des Militarismus . Du schickst mir vielleicht das Exemplar gelegentlich zurück; interes-sieren wird es Dich sicher. Ich versuche, es jetzt als Manuskript drucken zu lassen, um es an Interessenten zu verschicken.

Innerpolitisch scheint die Stimmung ziemlich gespannt. Wie man hier glaubt, sind die Parteien hauptsächlich so nervös und erbost wegen der Handhabung der Zensur, die weit über alles Notwendige hinausgeht. Das Vertrauen in den Reichskanzler ist in weiten Kreisen erschüttert. Ich halte zwar den Rücktritt von Tirpitz für einen Disziplinbruch schlimmster Sorte; aber man kann das Mißtrauen in den Reichskanzler seinen Kritikern doch nicht so sehr verdenken, wenn man nur die Proben seines staatsmännischen Ungeschicks, die er selber in letzter Zeit zur Bekräftigung seiner Friedensliebe vorgelegt hat, einmal näher untersucht. Er hat eben auswärtige Politik getrieben, wie ein preußischer Regierungsrat sich mit seinem Nachbarn unterhält. Trotzdem mißbillige ich die jetzige Hetze aufs Äußerste, da ein Kanzler-wechsel geradezu verhängnisvoll wäre und keiner der Scharfmacher die Verhältnisse wirklich beurteilen kann. Bei Dietrich Schäfer soll man sogar Haussuchung gehalten haben. Daß von der ganzen deutschen Presse die beiden Judenblätter Frankfurter Zeitung und Berliner Tagblatt jetzt die Hoforgane des Reichskanzlers geworden sind, ist doch nicht gerade sehr erfreulich. Dabei höre ich von einer sehr gut eingeweihten Stelle, daß man auf die Dauer zwar nicht mit einem direkten Krieg mit Amerika rechnet, aber doch annimmt, daß die Tonnagenot Amerika unter dem Druck Englands doch zwingen wird, unsere Schiffe in Beschlag zu nehmen. Die Gegner des Kanzlers sagen, daß er jetzt die gleiche Schonungspolitik betreibe wie einst in der belgischen Frage, um England zu ködern, wie dann gegen Italien und nun gegen Amerika. Der Mißerfolg des Nachgebens und Versprechens ist überall der gleiche, und kostbare Zeit geht verloren. Namentlich kommt in den nächsten Wochen die argentinische Ernte zur Versendung, die England wieder lange Zeit von der Zufuhr unabhängig machen würde. Die andere Partei ist der Meinung, daß der scharfe Unterseebootskrieg auch Holland und Dänemark unter unsere Gegner treiben würde., und das hält man wohl mit Recht für bedenklicher als eine Kriegserklärung Amerikas. Beide Standpunkte lassen sich hören: aber ich merke es an mir selber, wie schwer es ist, ohne genaue Kenntnis der Sachlage ein Urteil abzugeben. Deshalb habe ich es auch abgelehnt, mich an der Agitation zu beteiligen. Man muß nun eben einmal das Vertrauen in die leitenden Männer haben; aber gerade deshalb war der Rücktritt von Tirpitz ein so großer politischer Fehler, weil damit der Mann des Vertrauens für weite Kreise die Politik des Kanzlers offen desavouierte.

Über Fischler möge Dich einliegender Brief von ihm orientieren.1

Herzliche Grüße von uns allen. Wir wollen am 7. April auf 12 Tage nach Gelnhausen gehen, Ostern aber wieder in Bonn sein. (C.H.B.)

 

48. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 5.5.1916

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ernst!

Es ist wirklich schade, daß Du brieflich so wenig ausgiebig bist. Die Mannigfaltigkeit der Briefe, die man aus dem Felde bekommt, ist wirklich erstaunlich. Um so mehr sehnt man sich nach einer mündlichen Aussprache mit Dir. Wann bekommst Du eigentlich endlich Deinen ersten Urlaub? Bisher bist Du doch nur krankheitswegen in Deutschland gewesen und hast niemals einen richtigen Urlaub gehabt. Ich habe Dir so mancherlei geschickt, über das ich gern ein Urteil von Dir gehabt hätte; aber ich habe überhaupt nichts gehört. Ich will Dich das aber nicht entgelten lassen, sondern Dir heute wieder einmal ganz allgemein von uns berichten.

Ich habe sehr anregende Tage hinter mir in Berlin, Hamburg und Bremen. In Berlin hatte man mich telegraphisch ins Kultusministerium berufen, um die Neugestaltung des Auslandsunter-richtes an den preußischen Universitäten mit dem Ministerialdirektor durchzusprechen. Zu meiner Überraschung wünschte mich dann auch der Kultusminister zu sehen, und ich konnte ihm etwa ½ Stunde meine Gedanken entwickeln, eine glatte, gewandte Persönlichkeit, die nicht unbedeutend wirkt. Ich bin ganz entschieden nicht für eine Auslandshochschule, sondern für eine Durchsäuerung des ganzen akademischen Unterrichtes mit Aufklärung über das Ausland. Es handelt sich, um mich eines Troeltsch’en Ausdruckes zu bedienen, um die sozial-ethische Struktur der fremden Völker, die wir, sehr zu unserem Schaden, bisher zu studieren unterlassen haben. In Berlin war ich dann lange mit Junge zusammen, der gerade aus Konstantinopel zurückkam und viel Interessantes zu berichten wußte. Es sind doch von deutscher Seite recht viele Fehler gemacht worden; aber man scheint langsam auf den richtigen Weg zu kommen. Junge hat nun die Sisyphosarbeit auf sich genommen, die verschiedenen Reichsämter in Berlin: inneres, äußeres, Militär und Marine zu einer einheitlichen Politik der Türkei gegenüber zu veranlassen. Bisher durchkreuzt immer ein Amt von seinem Rechtsstandpunkt aus die besten Pläne des andern. Ehe wir einen starken Willen in die Zentrale bekommen, wird es wohl damit nichts werden.

Nachdem ich von 11-5 (Uhr) im Kultusministerium gewesen war, besuchte ich dann noch Solf, der mich schriftlich um einen gelegentlichen Besuch gebeten hatte. Er wollte sich über Konstantinopel unterhalten, verriet aber eine erschreckende Unkenntnis der Dinge. Er hatte sich die türkischen Minister noch in großen Bärten, Turban und orientalischen Gewändern vorgestellt und war natürlich sehr enttäuscht, glatte Levantiner zu finden. Die Unterhaltung ergab dann schließlich nur, daß ich im Herbst in Berlin einen Vortrag halten soll, und zwar in dem geschlossenen Kreis der Deutschen Gesellschaft von 1914, ein Klub, dem alle Berliner Spitzen angehören. In der Parallelgründung in Bremen fand übrigens mein dortiger Vortrag statt, wovon ich gleich sprechen werde. Weiter wollte mich Solf gern mit Rosen zusammen-bringen, und bat er mich um zeitigere Anmeldung bei meinem nächsten Besuch in Berlin.

Ostermontag verbrachte ich dann bei Troeltsch, den ich in bester Laune und sehr glücklich über seine Berliner Stellung vorfand. Auch der kleine Troeltsch ist ein ganz netter Junge geworden. Troeltsch erzählte viel von politischen Dingen und Persönlichkeiten. Er ist durchaus nicht mehr der alte Radikale, wodurch es ja auch zum Bruch zwischen ihm und Max Weber gekommen ist, und zwar über den Fall Schneegans, den Du ja wohl kennst. Er wußte auch allerlei über die Tirpitz-Affäre, wovon ich aber lieber einmal mündlich mit Dir spreche.

Dann war ich drei Tage in Hamburg. Am 1. Tag ein improvisierte kleiner Orientalisten-kongreß, bestehend aus Littmann, Jacob, Tschudi und mir. Auch von den andern Freunden wurde ich herzlich aufgenommen, namentlich von Schubotzens. Er ist mit einer schweren

Ischias und ziemlichem Nervenknacks schon seit Monaten in Hamburg. Langsam kann er wieder etwas laufen. So reizend die Leute mit mir waren, hatte ich doch das frohe Gefühl, nicht mehr in Hamburg zu sein. Das Wetter war wonnig, an und für sich angenehmer als hier; aber es war doch einer meiner klügsten Entschlüsse meines Lebens nach Bonn zu gehen.

Nach den anstrengenden Tagen in Hamburg gönnte ich mir 24 Stunden Ruhe bei meinem Bruder Landrat und freute mich, einmal etwas in die ländlichen Verhältnisse hereinschauen zu können. Auf dem Lande ist von einem Mangel noch nirgends die Rede, wenn auch ein Landrat von vielen Unzufriedenen, die sich nicht einzurichten vermögen, überlaufen wird.

In Bremen hatte ich ein Auditorium wie noch nie. Es waren zwar nur 100-150 Leute, aber nur Männer aus der führenden Bremer Geschäftswelt, an der Spitze der regierende Bürgermeister und der Präsident des Norddeutschen Lloyd. Im Moment, da ich meinen Vortrag beginnen wollte, kam die Nachricht vom Falle von Kut el Amara. Das gab natürlich Stimmung, und die Sache verlief nach Wunsch. Ich sprach mich auch rücksichtslos aus, da der Vortrag vertraulich war, und man war doch einigermaßen überrascht, daß das von mir entwickelte Bild etwas anders aussieht als das rosa-rote von Jäckh.

Am 1. Mai nahm ich dann hier meine Vorlesungen wieder auf. Die wissenschaftliche Arbeit muß etwas ruhen, da ich jetzt erst die organisatorische Denkschrift für das Kultusministerium machen möchte.

Gesundheitlich geht es mir wechselnd, doch laviere ich mich so durch. Frau und Kindern geht es gut. Hedwig pflegt wieder regelmäßig Vormittags. Im Hause läuft alles z.Z. glatt. Von Walter Groß habe ich neulich wieder einmal gehört. Bei seinem 14tägigem Urlaub hat es ihm wenig gefallen, daß sich die Heimat so auf den Krieg eingestellt hat, daß es fast als Normal-zustand erscheint, und doch ist das eine bittere Notwendigkeit gewesen.- Von Fischler nichts Neues. Er ist immer noch in dem Schwarzwaldsanatorium. (C.H.B.)

 

49. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 13.6.1916

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Lieber Ernst!

Dein Brief hat mir eine wirklich große Freude gemacht, denn es gibt kaum etwas, das ich mir so sehnlich wünsche als ein Wiedersehen mit Dir. Ich finde es reizend, daß Du auch nach Berlin kommst. Morgen siedle ich über. Meine Adresse ist einfach: Kultusministerium, Unter den Linden 4. Ich wohne erst im Hotel und nehme dann eine Privatwohnung, doch bin ich natürlich den ganzen tag auf dem Ministerium. Laß mich ein paar Tage vorher wissen, wann Du dort bist, und reserviere mir recht viel Zeit. Ich steige zunächst im Hotel Saxonia ab, das auch für Dich sehr gelegen ist, da es in nächster nähe des Potsdamer Platzes liegt, sehr gute Gesellschaft hat und recht billig ist. Ich habe dort jetzt öfter gewohnt. Deine andern Fragen beantwortet Hedwig. Sie freut sich natürlich auch sehr auf Deinen Besuch, nicht minder die Kinder, denen es , von einigen Schnupfen abgesehen, ganz gut geht. Das Wetter ist ja auch zu infam, und man beginnt bei der andauernden Kälte und Nässe sich um die Ernte zu sorgen.

Dein Aufenthalt in einem Genesungsheim steht doch hoffentlich nur im Zusammenhang mit Deinem Kommando und ist nicht ein Zeichen körperlichen Leidens.

Also auf frohes Wiedersehen! (C.H.B.)


Aus dem Wiedersehen wurde nichts! Eisenlohr kam für zwei Jahre in französische Kriegsgefangenschaft, noch 1919 in Auch, Departement Gers.


50. C.H.B. an Oberleutnant Ernst Eisenlohr, Auch. Weimar, 25.2.1919

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Lieber Ernst!

Von Woche zu Woche rechnen wir mit Deiner Heimkehr und man verschiebt immer wieder den Brief, den man Dir schuldet. Nun habe ich durch einen Zufall in meinem übervollen Leben einen Augenblick frei und den will ich benutzen, Dir rasch einen herzlichen Gruß zu schicken, auch auf die Gefahr, d.h. die Hoffnung hin, daß dieser Brief Dich nicht mehr er-reicht. Ich bin seit acht Tagen in Weimar und das wird Dich wundern, denn mit den Univer-sitäten hat meine hiesige Mission wenig zu tun. Aber bei der Neuordnung der Verhältnisse bin ich immer mehr in die allgemein kulturpolitischen Fragen hineingekommen.

Ich arbeite hier als Vertrauensmann und Vertreter meines Chefs in allen möglichen Kommis-sionen, war schon in Berlin und auch hier Hauptkommissar für Verfassungsfragen, soweit unser Ministerium daran beteiligt ist. So habe ich hier den ganzen Entwurf im Staatenhaus mit durchberaten und auch manche Sitzung der Nationalversammlung mitgemacht. Ich sehe die Verhältnisse sehr aus nächster Nähe und auch häufig hinter den Kulissen und werde Dir nach Deiner Rückkehr viel Interessantes erzählen können. Brieflich läßt sich das leider alles nicht machen. Ich kämpfe vor allem dafür, daß neben wirtschaftlichen Sorgen und politischen Kämpfen die kulturpolitische Einstellung, wie überhaupt die Idee nicht zu kurz komme, da ich fest überzeugt bin, daß wir nur durch einen völligen Umbau unserer geistigen und speziell pädagogischen Einstellung die gegenwärtige Krise überwinden können. Ich finde auch all-mählich bei leitenden Stellen Verständnis für meine Pläne. Aber die Kulturpolitik läuft Gefahr, in dem Kampfe zwischen Föderalismus und Unitarismus erdrückt zu werden.

Langsam zieht jetzt überall in den Ämtern ein neuer Geist ein, aber allzu schnell geht es nicht mit der Ausschiffung der bisherigen Hauptbeamten, da sie meist durch ihren Sachverstand nur schwer ersetzbar sind. In Deinem Amt hat sich schon vieles gebessert. Auch bei uns wird nach der Bildung der neuen preußischen Regierung manches besser werden. Ich habe mich voll in den Dienst des Wiederaufbaus gestellt, weil ich es für ein Verbrechen halte, wenn man jetzt im Schmollwinkel steht oder sabotiert2. Mit der Mehrzahl meiner Kollegen stehe ich in bestem Verhältnis. Dieses Bewußtsein erleichtert mir die etwas schwierige Stellung, die ich manchmal einnehmen muß. Mein Chef ist eine idealistisch angelegte Natur und grundanständiger Mensch, der durch reines Wollen das Fehlen spezieller Fachkenntnisse aufwiegt. Ich kann mir nur wünschen, daß wir ihn behalten. Gottlob liegt die Periode Adolf Hoffmann hinter uns, die für alle wirklich mitarbeitenden Leute eine seelisch und materiell schwere Zeit war.

Über die allgemeine Lage werde ich wohl nichts sagen dürfen, doch habe ich den Eindruck, daß sie sich konsolidiert, wenn es auch schwer halten wird, neue Autoritäten zu schaffen und des Mobs restlos Herr zu werden. Wir brauchen nur unbedingt Frieden. Der Zwischenzustand ist eine unnötige Grausamkeit, die unsern Gegnern viel von den Imponderabilien kostet, mit denen sie sonst hätten rechnen können. Namentlich die Zurückhaltung der Gefangenen macht ungeheuer viel böses Blut. Nichts beschäftigt die öffentliche Meinung so sehr als diese Frage.

Aus meiner Familie ist im ganzen Gutes zu berichten, nur Hedwig ist etwas mürbe und wünsche ich ihr sehnlichst eine Ausspannung. Walter ist riesenhaft gewachsen, fast so groß wie ich und auch Hertha und Hellmut sind gut im Stande. In diesen Wochen ist ein Sohn der Frau Zacharias bei uns zu Gast., der sein Kriegsabitur nachmacht und neulich in Berlin mit Käthe Cohn zusammentraf, der es gut zu gehen schien. Meinen Geschwistern geht es auch nach Wunsch, auch in Augsburg. Meine Schwester Blumenstein ist leider wieder in einer Nervenanstalt, da die Revolution ihre alten Depressionen verstärkt wieder aufleben ließ. Sie wurde neulich Großmutter, hat in ihrem Zustand aber leider keine Freude daran. Hedwig und ich Großonkel und Großtante – man wird wirklich alt!

Ich kann Dir gar nicht sagen, welche Sehnsucht ich danach habe, wieder einmal lange mit Dir zu reden. Ich bin zwar auch Berlin nicht ohne Freunde, vor allem ist mir meinständiger Hilfsarbeiter, ein Regierungsrat Wende besonders nahe getreten. Aber es ist doch immer noch etwas anderes, wenn man sein halbes Leben gemeinsam gelebt hat. So, das möge genügen. (C.H.B.)

 

51. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Auch. Weimar, 17.6.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich bin wieder einmal in Weimar und finde hier wieder einmal die Muße, Dir zu schreiben. In Berlin ist es für mich fast unmöglich, und Du wirst es schon richtig verstehen, daß ich so selten von mir hören lasse. Dafür habe ich so viel aufgespeichert für Deine nun hoffentlich baldige Rückkehr, daß wir uns einmal gemeinsam Ferien nehmen müssen, um das alles auszu-tauschen.

Um zunächst von den Meinen zu berichten, so geht es ihnen unberufen gut. Die Kinder gedeihen großartig, nur Hertha verlangt eine gewisse orthopädische Behandlung und ist deshalb aus der Schule genommen. Sie sieht aber aus wie das ewige Leben und es ist ja schließlich auch nur eine Maßnahme der Vorsicht. Hellmut als ABC-Schütze ist einfach köstlich. Er ist so völlig anders wie Walter im gleichen Alter, vor allem viel kritischer und dezidierter. Walter fand seinerzeit alle seine Kameraden gleich reizend. Hellmut hat offenbar einen sichereren Geschmack und hat eine wahre Lust an der Frechheit, wovon auch seinerzeit bei Walter nichts zu merken war. Eine gewisse Sorge macht mir eigentlich nur Hedwig, deren ja immer schwache Nervenkraft der Krieg ziemlich aufgebraucht hat. Sie hat nun einmal nicht das Talent zu organisieren, d.h. andere für sich arbeiten zu lassen und reibt sich zu sehr am Menschen, namentlich am Personal. Immerhin ist sie so gesund, daß ich mir viel von einem völligen Ausspannen verspreche. Die Hauptsache wäre die Trennung von den Kindern für mehrere Wochen. Das ist aber bei der Unzuverlässigkeit der Dienstboten, die eine der großartigsten Errungenschaften der Revolution ist, schwer mit dem Begriff des Beruhigtseins über das Wohl der Kinder zu verbinden. Du deutetest ja in einer Deiner letzten Nachrichten an, daß Du Dir auch Deine Gedanken über diese Dinge machst. Du brauchst nicht schwarz zu sehen. Der Zustand ist immerhin noch erträglich. Aber es wird Zeit, daß wir alle aus der ständigen Spannung und Erregung herauskommen. Der Zustand der Mürbheit ist ziemlich allgemein, und wir sind einfach physiologisch außerstande, noch weitere Widerstandskraft aufzubringen. Dabei sind die Ernährungsverhältnisse entschieden besser geworden, wenn auch noch lange nicht normal. Bei allem Leid bringt man aber doch wieder gelegentlich die Kraft zur Freude auf. Ein Ausflug mit den Kindern in die Umgegend, wie ihn neulich Dein Bruder Fritz während meiner Abwesenheit mit den meinigen unternahm, ist solch ein Lichtblick. Auch ist ein wunderbarer Sommer und wir genießen den Garten so sehr, daß sich daraus ebenfalls eine gewisse Nervenstärkung ergibt. Ich schreibe Dir das alles so ausführlich, damit Du einmal einen ungeschminkten Tatbericht bekommst und ich glaube, daß Deine Mutter vielleicht gelegentlich zu grau malt. Die alten Leute können sich nicht mehr in diese neue Zeit gewöhnen. Wir sind gerade noch alt und elastisch genug dazu.

Heute Nacht ist die definitive Antwort der Entente hier in Weimar eingetroffen, ich kenne sie noch nicht. Wenn dieser Brief in Deinen Händen ist, wird ja entschieden sein, ob wir unter-schrieben haben. Ich würde mich gern einmal über das ganze Problem mit Dir ausgesprochen haben, hatte es sogar schon diktiert, lasse es aber nun fort, um diesen Brief nicht zu gefähr-den.

Ich bin hier zur Beratung der Verfassung, namentlich der Grundrechte. In diese hat man alle möglichen Spezialwünsche, namentlich von Volksschullehrern, hineingesetzt, um damit alle künftige Gesetzgebung festzulegen. Dadurch ist ein ziemlich unerquickliches Machwerk entstanden. Überhaupt ist der Parlamentarismus, wie er sich jetzt auslebt, einfach unerträglich. Der Stil ist selten besser wie die Komment-Debatten auf studentischen Konventen. Aber Troeltsch, von dem ich Dir ja schrieb, daß er mein Kollege im Ministerium ist, hat ganz recht, wenn er sagt, all dieser demokratische Unfug muß eben ertragen werden, weil er das einzige Mittel ist gegenüber der Regellosigkeit und dem Chaos. Solange noch der parlamentarische Komment wirklich herrscht, sind Aussprachen und Rechte der Minoritäten gewahrt, alles andere ist reine Willkür.

Vorige Woche war ich in Köln und habe namens der Regierung die neue, erst aus zwei Fakultäten bestehende Universität Köln eingeweiht. Es war politisch und auch menschlich für mich als alten Bonner eine heikle Aufgabe. Aber es ist alles gut abgelaufen. Ich habe wieder einmal ziemlich tief in die rheinischen Verhältnisse hineingeschaut, vor allem mich sehr offen mit dem Oberbürgermeister Adenauer ausgesprochen, der eine hervorragende Persönlichkeit ist. Soweit die rheinische frage eine innerpolitische ist, steht und fällt sie mit der konfessionellen Volksschule. Das Fest selber war trotz des Ernstes der Zeit von rheinischem Glanz und Wärme. Die Eröffnungsfeier im großen Gürzenich-Saal mit prachtvoller Musik, Blumen und sehr guten Reden. Darauf im Rathaus ein Dîner von 40 Personen, dann Oper, die wegen der Polizeistunde in Cöln jetzt schon um 4 oder 5 Uhr anfängt, dann nochmals Abendessen und Zusammensein im kleinsten Kreise beim zweiten Bürgermeister; in der Nacht Rückreise. Du kannst Dir vorstellen, mit welchen Gefühlen man jetzt im Rheinland weilt. Immerhin bin ich jetzt zweimal ohne Schwierigkeiten und ganz unbehelligt dort gewesen, allerdings dienstlich ausgezeichnet vorbereitet und mir standen alle Vergünstigen zu Gebote. Die Gründung der Universität hat natürlich mit wissenschaftlichem Bedürfnis nichts zu tun, aber sie ein Geschenk von Berlin, das jedenfalls seine Wirkung nicht verfehlt.

Ich arbeite jetzt viel auf allgemein kulturellem Gebiet und habe ungeheuer viel Allgemeines gelesen. Darin liegt überhaupt der Unterschied zwischen meiner jetzigen und meiner früheren geistigen Arbeit. Als Orientalist mußte ich die Beschäftigung mit allgemein bildenden Dingen immer gleichzeitig als Zeitverlust für die Facharbeit werten. Jetzt habe ich die Möglichkeit und die Pflicht, den allgemein geistigen Strömungen mein Ohr zu leihen, und ich tue das, soweit es meine dienstliche Arbeit irgendwie gestattet. Du wirst deshalb nach Deiner Rückkehr bei mir ungefähr alles finden, was an bedeutenden Literatur-Erzeugnissen allgemeiner Natur erschienen ist. Glücklicherweise auch mancherlei Erhebliches. Schade, daß man solche Dinge nicht schicken kann. Ich lese eben ein Buch des mir befreundeten Bonner Privatdozenten Curtius über die literarischen Wegbereiter des modernen Frankreich, das Dich sicher brennend interessieren würde. Er zeigt die überragende Bedeutung Bergsons für das junge Frankreich und schildert vor allem Romain Rolland, Gide, Peguy, Claudel, Suarès. Was mich am meisten überrascht, daß die geistige Einstellung des jungen Frankreich vor dem Kriege verwandte Züge trägt mit dem Jung-Deutschland, das jetzt im Entstehen ist. Vor allem der leidenschaftliche Kampf gegen den Intellektualismus, Relativismus und Skeptizismus, jene Betonung des Ethischen und Sachlichen, die bei uns noch nicht herrscht, aber von den besten Köpfen als die einzige Rettung empfunden wird.

Ich habe mich in letzter Zeit öfters über diese Dinge ausgesprochen, in der Universität, neulich in der Deutschen Gesellschaft und auch in einer großen Denkschrift für den Verfassungsausschuß, der es hauptsächlich zu danken ist, daß in Zukunft das Reich auf dem Gebiet der Schulen und Hochschulen das Recht zum Erlaß gesetzlicher Normativ-Bestimmungen erhalten hat.3 Manches aus diesem Gedankenkreis findet sich auch in meinen Gedanken zur Hochschulreform, die ich während des Winters in der Deutschen Allgemeinen Zeitung habe erscheinen lassen und die jetzt in Buchform herauskommen. Ich kann es Dir gar nicht sagen, wie ich es entbehre, über all diese Fragen mir Dir nicht in dem ständigen Austausch stehen zu können, der uns beiden doch nun einmal so gewohnt und so notwendig war. Gewiß sind eine ganze Reihe neuer Menschen mit reichen Anregungen in mein Leben getreten. Aber wenn ich denke, was sein könnte, wenn Du jetzt in Berlin wärst, so erfüllt mich doch eine mir sonst ganz fremde Bitterkeit.

Teile mir bitte gleich durch Postkarte mit, ob dieser Brief in Deine Hände gelangt ist. Es wird bei Dir das gleiche Bedürfnis sein wie bei mir, auch immer wieder einen direkten geistigen Konnex zu fühlen, wenn wir ja auch beide darin geschult genug sind, uns ungefähr vorstellen zu können, wie der andere denkt und empfindet. Noch schöner wäre freilich, dieser Brief erreichte Dich nicht mehr, sondern Du kämst selber. Aber ich wage das immer noch nicht zu hoffen. (C.H.B.)


1 Der Brief liegt nicht in der Akte.

2 Hervorhebung vom Herausgeber.

3 Hervorhebung vom Herausgeber.