Carl Duisberg, 1924-1932

VI.HA. Nl. C. H. Becker Nr. 288

40. C. H. B. an Generaldirektor Geheimen Regierungsrat Prof. Dr. Carl Duisberg1

Berlin, 30.12.1924

(Maschinenkopie) Privatsekretariat
Vertraulich

Sehr geehrter Herr Duisberg!

Auf Veranlassung von Geheimrat Bücher habe ich mich um eine Ehrenpromotion des scheidenden Geheimrats Sorge bemüht. In Berlin scheiterte die Sache an der Größe der Fakultät, doch hoffe ich in Bonn, wo sich auch Spiethoff dafür interessiert, zum Ziel zu kommen. Spiethoff schreibt mir, daß es von großer Bedeutung sein würde, wenn ein Brief von Ihnen die Ehrenpromotion bei Spiethoff anregte, worin vielleicht besonders auf den Anlaß, warum die Ehrenpromotion gerade jetzt stattfinden sollte, hingewiesen wäre. Spiethoff bittet um streng vertrauliche Behandlung, besonders daß auf der am 7.Januar (1925) stattfindenden Präsidialsitzung möglichst nicht davon gesprochen wird.

Ich bedauere aufrichtig, Sie so lange nicht gesehen zu haben. Vor allem vermißte ich Sie lebhaft auf der letzten Tagung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Hoffentlich gestattet es Ihnen Ihre Gesundheit, bald wieder einmal nach Berlin zu kommen. Sie wissen, daß ich mich stets freue, Sie begrüßen zu können.

In bekannter hoher Verehrung und mit den besten Wünschen zum Jahreswechsel

Ihr aufrichtig ergebener (CHB)

 

41. Prof. Dr. C. Duisberg an C. H. B. Leverkusen, 5.1.1925

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Wie Sie wohl schon vernommen haben, bleibt mir nach mehrmaliger Ablehnung nun doch nichts anderes übrig, als das große persönliche und geschäftliche Opfer zu bringen und die Nachfolgerschaft des Herrn Dr. Sorge im Vorsitz des Reichsverbandes der Deutschen Industrie zu übernehmen. Nach schweren Kämpfen habe ich mich endlich zu dem Entschluß durchgerungen, eine in der am 14. des Monats einberufenen Präsidialsitzung etwa auf mich fallende Wahl anzunehmen unter einer Reihe von Bedingungen, die mir und der zukünftigen Geschäftsführung die Arbeit erleichtern und dabei die Stoßkraft des Reichsverbandes vermehren werden. Wenn Herr Geheimrat Bücher als geschäftsführendes Präsidialmitglied bleiben würde, wäre die Sache viel leichter und einfacher. Da er aber in das Stickstoffsyndikat unter der Führung der Badischen Anilin- und Sodafabrik zu Ludwigshafen eintritt, so muß gleichzeitig mit dem Rücktritt des bisherigen Vorsitzenden ein Nachfolger für Geheimrat Bücher gesucht und gefunden werden, der sich dann aber erst noch einarbeiten muß. Das ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe, die dem neuen Vorsitzenden erwächst. Daneben kommt dann die Pflicht der Dankbarkeit für den scheidenden Vorsitzenden Dr. Sorge. Wir sind Ihnen von Herzen dafür dankbar, daß Sie auf Veranlassung von Geheimrat Bücher sich um eine Ehrenpromotion für Herrn Sorge bemüht haben. Mit großem Interesse nahm ich Kenntnis davon, daß Professor Spiethoff in Bonn nunmehr bereit ist, einen diesbezüglichen Antrag zu stellen. Die rechte Hand des Herrn Dr. Bücher, Herr Dr. Respondeck, war gestern bei mir und hat mir über seine Besprechung mit Herrn Prof. Spiethoff eingehend Bericht erstattet. Danach soll ich vorläufig nichts tun, sondern abwarten, ob sich irgendwo in der philosophischen oder juristischen Fakultät Widerstände bemerkbar machen sollten. Wenn dies – was auch in Bonn nicht unmöglich – der Fall sein sollte, will Herr Prof. Spiethoff mich benachrichtigen und ich werde dann als „Freund und Förderer“ der Universität mein bestes tun, um die Widerstände zu beseitigen.

Hoffentlich haben wir diesmal Erfolg, obgleich es nicht so leicht sein wird, wie die meisten glauben. Eine große Anzahl von Professoren steht jetzt auf dem Standpunkt, daß die Würde eines Ehrendoktors nur für wissenschaftliche Leistungen verliehen werden soll. Sicherlich wird dies erneut auch auf der in kommender Woche stattfindenden Tagung des Hochschul-verbandes zum Ausdruck gelangen. Es ist mit Recht zu wünschen, daß man bei Ehrenpromo-tionen mit mehr Vorsicht und mit größerer Auslese, als bisher vorgeht. Wenn nun auch bei Dr. Sorge von eigentlichen wissenschaftlichen Leistungen nicht die Rede ist, so sind die Verdienste, die er sich um unsere nationale Wirtschaft direkt und indirekt erworben hat, so groß, daß man eine Ausnahme von der an sich berechtigten Regel machen muß. Auf jeden Fall ist Bonn die Universität, bei der es uns sicherlich auch durch meine Vermittlung am leichtesten gelingen wird, Widerstände, die sich zeigen, zu beseitigen. Selbstverständlich werde ich für streng vertrauliche Behandlung der Angelegenheit Sorge tragen.

Auch ich bedauere aufrichtig, daß ich Sie solange nicht gesehen und gesprochen habe. Durch die vorgenommene Verschiebung der letzten Tagung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war es mir leider nicht möglich, in Berlin zu sein, da gleichzeitig wichtige Interessengemeinschafts-sitzungen in Ludwigshafen stattfanden. Auch mein Gesundheitszustand – chronischer Hals- und Rachenkatarrh – zwingt mich zurzeit, das Reisen möglichst einzuschränken. Wie Profes-sor Preysing in Köln meint, werde ich meine Katarrhe erst los werden, wenn ich einen mehr-wöchentlichen Aufenthalt im Süden nehme. Ich habe deshalb nach Cap Martin geschrieben, wo ich vor dem Kriege im Februar oft weilte, und will sehen, ob man jetzt als Deutscher dort wieder unterkommt. Auf jeden Fall werde ich, wenn ich zwischenzeitlich noch nach Berlin komme, die Gelegenheit benutzen, Sie einmal aufzusuchen.

Mit den besten Wünschen zum Jahreswechsel und freundlichen Grüßen bin ich

Ihr sehr ergebener (gez.) Carl Duisberg.

 

42. Carl Duisberg an C. H. B. Leverkusen, 6.10.1926

(Maschinenmanuskript9

Sehr verehrter Herr Minister!

Als ich soeben von einem mehrtägigen Aufenthalt in Frankfurt am Main zurückkehrte, fand ich zwischen der mir zugesandten Post auch Ihre Arbeit: „Die Pädagogische Akademie im Aufbau unsers nationalen Bildungswesens“ vor. Wenn es mir meine Zeit erlaubt, werde ich die mich natürlich sehr interessierende Schrift auf meiner Englandreise, die ich morgen antrete, lesen. Ich möchte aber nicht verfehlen, Ihnen schon heute für Ihre freundliche Auf-merksamkeit meinen besten Dank zu sagen.

Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich Ihr sehr ergebener (gez.) Carl Duisberg.

 

43. C. H. B. an Carl Duisberg Berlin, 14.7.1927

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Geheimrat!

Für die freundliche Übersendung Ihrer Abhandlung „Der deutsche Binnenmarkt“ sage ich Ihnen meinen besten Dank.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (CHB)

 

44. Carl Duisberg an C. H. B. Leverkusen, 19.8.1927

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Da ich die Absicht habe, über das Dr. Carl Duisberg-Haus, sobald es fix und fertig ist, ein mit Bildern ausgestattetes Büchlein fertigen zu lassen, in dem Zweck und Einrichtung des Hauses sowie die Einweihungsfeier selbst genau beschrieben werden soll, so wäre ich Ihnen zu großem Dank verbunden, wenn Sie das beiliegende Stenogramm der Rede, die Sie die Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit hatten, bei der Einweihungsfeier zu halten, genau durchsehen, korrigieren und mir wieder zugehen lassen wollten. Das Büchlein soll dann demnächst allen Freunden und Bewohnern des Hauses zugesandt werden.

Mit bestem Dank im Voraus und freundlichen Grüßen

Ihr sehr ergebener (gez.) Carl Duisberg.

Anmerkung 1: Abschrift zurückhalten. Weitersenden. B.29.(8.27)

Anmerkung 2: Abschrift siehe Mappe Reden und Ansprachen Nr. 18.III unter Nr. 55.

Anmerkung 3 Duwes vom 22.8.: Im Privatsekretariat sind Vorlagen des Herrn Ministers für die Rede nicht vorhanden

 

45. ORR Duwe an Carl Duisberg. Berlin, 30.8.1927

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Geheimrat

Im Auftrag des zurzeit auf einer Erholungsreise befindlichen Herrn Staatsministers Prof. D. Dr. Becker beehre ich mich, das von ihm durchgesehene Stenogramm seiner bei der Einweihung des Dr. Carl-Duisberg-Hauses gehaltenen Rede Ihnen mit besten Empfehlungen des Herrn Ministers ergebenst zu übersenden.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (Duwe)

Oberregierungsrat.

Anmerkung: Abschrift der Rede siehe Reden und Ansprachen Nr. 18 III unter Nr. 55

 

46. Carl Duisberg an C. H. B. Leverkusen, 2.10.1928

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Es war meine feste Absicht – und das hatte ich auch schon Herrn Dr. Schairer mitgeteilt – an der Sitzung der Lincoln-Stiftung teilzunehmen. Als ich jedoch heute meinen Notizkalender durchblätterte und übersah, welche Aufgaben meiner in der nächsten Zeiten harren, da konnte ich nicht anders, als den Entschluß zu fassen, meine Zusage zu der Teilnahme an der Sitzung der Lincoln-Stiftung am 16. Oktober wieder zurückzuziehen. Sie werden das verstehen, wenn ich Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, kurz mein unmittelbar bevorstehendes Reise- bzw. Sitzungsprogramm mitteile. Ich fahre am Montag abend nach Berlin, von dort am Dienstag nach Leipzig, wo am 9.-14. Oktober I.G. (Farben)-Sitzungen stattfinden, dann zurück nach Leverkusen und nehme dann am 18.-21. ds.Mts. an den Sitzungen der Deutschen Akademie in München teil. Kaum nach Leverkusen zurückgekehrt, muß ich wieder nach Berlin fahren, wo vom 23.-26. Oktober Sitzungen der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft bzw. des Reichsverbandes der Deutschen Industrie stattfinden, am 27. Oktober habe ich in Bonn die diesjährige Hauptversammlung der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität Bonn zu leiten. Am 13. November gedenke ich von Genua aus eine neue Weltreise anzutreten, die mich zunächst nach Colombo und von dort nach Britisch-Indien, Niederländisch-Indien, China, Japan führt und über Nordamerika nach Deutschland zurückbringt, wo ich etwa Mitte Mai nächsten Jahres wieder einzutreffen hoffe.

Ich darf annehmen, daß Sie unter diesen Umständen mich bei der Sitzung der Lincoln-Stiftung entschuldigen werden und bin mit besten Empfehlungen und freundlichen Grüßen

Ihr (gez.) Carl Duisberg.

Handschriftlicher Nachsatz Duisbergs.

Allzugern hätte ich Sie einmal wiedergesehen, um mit Ihnen über die Deutsche Studentenschaft zu sprechen und zu sehen, ob sich nicht jetzt, wo die leitenden Herren klein und zu Verhandlungen geneigt sind, ein Weg der Verständigung finden läßt. Wir müssen doch sehen, daß unsere Jugend einig bleibt oder wieder wird, wo immer es möglich ist. Nichts ist schlimmer als eine Zerrissenheit des deutschen Volkes gerade in dieser Zeit.2

Ich hoffe aber, daß ich noch am 23. oder 24 Oktober Gelegenheit hierzu finden läßt. Wiederholt Ihr C.D.

 

47. C. H. B. an Carl Duisberg Berlin, 6.1.1931

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Geheimrat,

für die freundliche Übersendung Ihres bedeutungsvollen Vortrages

„Die Zukunft der deutschen Handelspolitik“

spreche ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank aus. Auch für Laien sind Ihre Ausführungen von allergrößtem Interesse.

In ausgezeichneter Hochschätzung Ihr Ihnen verehrungsvoll ergebener (CHB)

 

48. C. H. B. an Carl Duisberg Berlin, 11.3.1931

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Duisberg,

Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, mir Ihren interessanten Beitrag zum akademischen Deutschland zugehen zu lassen. Der Abschnitt Hochschule und Wirtschaft hätte gewiß keinen kompetenteren Bearbeiter finden können. Ich beglückwünsche Sie und uns zu dieser Leistung und danke Ihnen herzlich für die Übersendung.

Mit dem Ausdruck meiner besonderen Hochschätzung

Ihr Ihnen verehrungsvoll ergebener (CHB)

 

49. C. H. B. an Carl Duisberg Berlin, 1.11.1932

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Für die freundliche Übersendung Ihrer Ansprachen und Reden anläßlich der Erneuerung des Doktordiploms sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank. Man wundert sich immer wieder, daß Ihr Diplom schon erneuert werden mußte, nachdem der Mensch selber so wenig erneuerungsbedürftig erscheint.

Mit den besten Wünsche und mit verehrungsvollen Grüßen Ihr sehr ergebener (CHB)

 

50. C. H. B. an Carl Duisberg Berlin, 12.12.1932

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Von der Chinese Educational Mission to Europe erhalte ich einen Brief, von dem ich Ihnen einen Auszug gern übermitteln möchte, da er im wesentlichen an Ihre Adresse gerichtet ist, und man sich meiner nur als Mittelsperson und zur Empfehlung an Sie bedient. Der Sie betreffende Briefauszug lautet folgendermaßen:

  • I hope you will pardon me for bringing up again the question I spoke to you on the evening when I left for Paris – the question of the possibility for the IG Fabriken works to take in some Chinese students educated in chemical engineering at enginee-ring colleges in our country to be trained in advanced work in their practical technical departments. The Siemens and A.E.G. works at Berlin during the last few years through personal friendship have been making it almost as a practice to take in a few students each year trained in electrical engineering in our schools at home. During the course of training the students are paid with an amount of money just enough to defray their living expenses. It is indeed a high sacrifice on the part of these two concerns and a great favor to us, that even during such business crisis they are still keeping the students. The Siemens works also have promised through my personal acquaintance with Mr. Esterer of their oversea department to take on one more of my students from Hangchow from the beginning of the next year.
  • Being a chemical factory, which, I am fully aware, lives always to keep certain amount of secrecy I do not want to take for granted that the I.G. Fabriken will also take in foreign students as do the electrical manufacturers. But I am just venturing the idea if the I.G Fabriken will consider to take in foreign students and train them as chemical technicians so that later on these students can be placed on the services of the I.G Fabriken works or sales-offices in foreign countries. For example the Siemens companies in Shanghai and other places in China are making use of the services of the Chinese students engineers trained in Germany very intensively. The matter, therefore, must looked upon as beneficial to both sides.

I had the pleasure of meeting Dr. Duisberg at Köln when he received us at tea at the immense establishment of his works. Then, however, there was no opportunity for me to convey him my intention. But perhaps the matter can be taken up more appropriately through your good office than by direct communication between Dr. Duisberg and myself. At the same, however, I must assure, Dr. Becker, that I shall not be disappointed a bit if Dr. Duisberg’s answer is negative.”

Darf ich hinzufügen, daß ich mich besonders freuen würde, wenn auch die I.G. Farben, ähnlich wie die anderen großen Konzerne, den Wünschen der Chinesen entgegenkommen könnte. Der Briefschreiber ist Ingenieur-Mitglied der Mission, S. M.. Lee,

In der Hoffnung auf eine freundliche Antwort grüße ich Sie bestens, zugleich auch mit den herzlichsten Wünschen zu dem bevorstehenden Fest.

Ihr Ihnen verehrungsvoll ergebener (CHB)


1 Carl Duisberg *1861 Barmen +Leverkusen 1935, Chemiker und Industrieller, seit 1912 Generaldirektor der Farbwerke Bayer (Elberfeld) und nach der Fusion der deutschen Teerfarbenfabriken, an der er führend beteiligt war, Vorsitzender des Aufsichtsrates und des Verwaltungsrates der I.G. Farbenindustrie. Schuf enge Verbindungen zwischen Wissenschaft und Industrie. Brockhaus 1953

2 Hervorhebung des Herausgebers.

Vossische Zeitung, 1920-33

VI.HA. Rep.92 Becker V Nr. 2663

11. C. H. Becker an die Vossische Zeitung1, Berlin Berlin, 7.5.1920

(Maschinenkopie)

Anliegend erlaube ich mir, Ihnen einen Artikel über das neue preußische Studentenrecht zu schicken. Ich wäre dankbar, wenn er möglichst bald erscheinen könnte, da die Beratung des Deutschen Studententages bevorsteht und er, wie ich hoffe, zur Beruhigung der aufgeregten Gemüter beitragen wird. Ich habe ihn deshalb auch der deutschen Studentenschaft Göttingen zur Verfügung gestellt, die ihn als Flugschrift drucken lassen will, doch wird das noch einige Zeit dauern, bis dies Flugblatt herauskommt.

Hochachtungsvoll ergebenst (CHB)

 

12. Vossische Zeitung, Dr. Edwards, an C. H. B. Berlin, Kochstr. 23/4, 21.6.1921

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Minister,

da sich der Landtag jetzt vertagt hat, gestatte ich mir im Auftrage von Herrn Bernhard Sie an Ihre freundliche Zusage zu erinnern, uns nach Annahme des Ultimatums für die Vossische Zeitung einen Aufsatz über „Die Erhaltung der geistigen Produktivität“ zu schreiben, in dem Sie die Bedeutung des geistigen Arbeiters für Deutschlands Wiederaufbau würdigen wollten.

Die Redaktion der Vossischen Zeitung wäre Ihnen zu großem Dank verpflichtet, wenn Sie uns mitteilen könnten, ob wir zur nächsten Sonntagsnummer auf diesen Aufsatz von Ihnen rechnen können.

Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (gez.) Dr.W. H. Edwards

Randbemerkung Duwes vom 22.6.: telefonisch mitgeteilt, daß der Herr Minister verreist ist.

 

13. Vossische Zeitung an C. H. B. Berlin, 7.12.1922

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär,

in der Weihnachtsausgabe unserer Zeitung möchten wir einem sehr kleinen Kreise ausge-wählter Mitarbeiter zu einem gemeinsamen Thema das Wort geben, nämlich zum Führerproblem. Es bedarf Ihnen gegenüber keine Auseinandersetzung, wie schwer Deutschland im Augenblick auf jedem Gebiet den Mangel an Persönlichkeiten empfindet, die sich dem Blick aufdrängen, wenn nach einem Führer gesucht wird. Bei jeder Berufung stellt sich die gleiche Verlegenheit heraus, mag nun ein Platz an der Spitze der Regierung oder irgendeiner anderen Körperschaft von entscheidender Bedeutung frei werden.

Es erscheint uns von großem Interesse, wenn gerade Sie Ihre Ansicht darüber äußern, wie dieser Not zu steuern sei, ob Erziehung oder Auslese irgendwie versagen und wie nach Ihrer Meinung die Gewalten, die den Glücksfall einer Führernatur am rechten Platz bedingen, zu beeinflussen wären.

Seien Sie im voraus verbindlichsten Dankes versichert, wenn Sie so freundlich sein wollen, uns baldigst mitzuteilen, ob Sie einen Beitrag über dieses Thema im Umfange eines kurzen Tageszeitungsartikels für uns schreiben könnten. Bis zum 18. Dezember müßten wir im Besitze des Manuskriptes sein.

In vorzüglicher Hochachtung ganz ergeben (gez.) Dr. Monty-Jacobs

 

14. C. H. Becker an Vossische Zeitung Berlin, 22.12.1922

Glossen zum Führerproblem

Von C. H. Becker

I

Das Führerproblem ist ein Geführtenproblem. Selbst der genialste Führer ist ein Raffael ohne Arme, wenn die Massen nicht bereit sind, sich führen zu lassen. Dabei kommt es weniger auf die Masse selbst als auf die Unterführerschicht an. Denn die Massen sind überall und besonders bei uns leicht führbar. Auch an zur Führung berufenen Männern fehlt es nicht. Was versagt, ist die unentbehrliche Mittelschicht. Das hängt zum Teil mit unserem Volkscharakter zusammen. Wir denken von Haus aus nicht staatlich oder völkisch, sondern genossenschaftlich. Selbst völkische Bewegungen führen bei uns leicht zur Klüngelei. Der Deutsche kennt zwischen Individuum und Menschheit nur die Genossenschaft, die sich in den Formen der Landsmannschaft, der Partei, des Verbandes oder anderer soziologischen Gruppen kleidet und von jeher jede große Aktion im Partikularismus, Vereinsmeierei oder konfessionellen Hader hat untergehen lassen.

Noch sind wir keine Nation; wir sind erst auf dem Wege dazu. Deshalb fehlt uns die politi-sche Disziplin alter Staatsnationen. Der Egoismus der Unterführer, ihr Besserwissen, ihre Herrschsucht, ihr Stammtischehrgeiz machen jede große Wirkung auf die Massen unmöglich. Dazu kommt Überschätzung der Privatansicht und des Privatinteresses. Der Erfolg ist der Tod des Gemeinschaftsgefühls und der nationalen Solidarität. Erhebungen wie 1813, 1870, 1914 zeigen, daß in großen Zeiten der Wille zur Nation über alle Egoismen der Unterführer hinweg sich Bahn bricht. Die Nation liegt noch vor uns. Die Erziehung zu ihr schafft gleichzeitig Führer.

II

Natürlich gehört ein Kerl dazu, aber kein Halbgott. Kerle haben wir genug; Halbgötter haben auch die anderen nicht. Die schlechthin entscheidende Ursache eines Führererfolgs liegt nicht in intellektueller Überlegenheit, sondern in einem physisch-seelischen, rein irrationalen Kraftzentrum. Die Führerwirkung ist immer bedingt durch einen Kontakt. Je nach der zu beeinflus-senden Schicht kann es die Ballonmütze oder ein eleganter Anzug sein, der zum Symbol des charismatischen Wirkung wird. Mussolini erscheint immer im Gehrock. Das Gutaussehen spielt eine entscheidende Rolle. Die körperliche Haltung, die Suggestion der Kraft, das Selbstvertrauen – es sind entsetzlich primitive Momente, die dem Führer den Weg bereiten. Die Masse will den Helden, gleichviel in welcher Gestalt. Seit Carlyle haben sich die Typen der Heldenverehrung unendlich differenziert – aber die Sehnsucht lebt. Es geht mit den Helden wie mit den lyrischen Themen. Die mythenbildende Phantasie des Volkes muß Spielraum haben. Uns aber fehlt der Glaube und – die Distanz. Wir sind zu gebildet und glauben ehrlich an die Allmacht der Wissenschaft. Zum Geführtwerden gehört die Fähigkeit zum Hingerissenwerden, wir aber machen in Aufklärungsskepsis; der Prophet im Vaterlande und der Fürst vor seinem Kammerdiener, der Dramatiker vor der Presse und der Politiker vor dem Forum der provinziellen Parteigröße. Wo soll da noch Symbol und Führer herkommen?

III

Es gibt zwei Typen von Führern, einen aristokratischen und einen demokratischen. Der aristokratische oder patriarchalische Typ ist der Führer von Gottes Gnaden. Er kommt nicht von unten, sondern von oben. Ein Armeeführer, den bisher nur Eingeweihte schätzten, wird durch einen unerwarteten Sieg populär; ein in der Bürokratie hochgedienter Minister leitet eine große Reform ein oder hat diplomatisch Erfolg. In beiden Fällen autoritatives Selektionsprinzip. Für die Masse tritt er als Führer erst in Aktion, nachdem er schon Erfolg gehabt hat. Ein Fürst, ein Gott hat ihn an leitende Stelle gesetzt, und dann hat er geführt. Dieser Führertyp schwebt unserer ganzen Bildungsschicht noch heute als der Idealtyp vor. Der Führertyp des demokratischen Zeitalters kommt von unten. Er riecht nach Schweiß, er ist nicht von einem Gott an leitende Stelle gesetzt. Er hat sich mit den Ellenbogen hochgekämpft. Er kommt durch seine Führerqualitäten hoch. Er erscheint symbolisch im Arbeiterkittel, der andere Typ dagegen in strahlender Uniform. Ein Hauptgrund für das Versagen der Geführten ist, daß wir uns in einem Übergangszustand befinden. Die Dynamik der Demokratie kennt personelle Machtquellen nur auf Grund der demokratischen Führerauslese, während die Romantik unserer Bildungsschicht immer noch dem aristokratischen Führertyp vergangener Zeiten nachtrauert und nur ihn als echten Führer anerkennt. Wir brauchen ein einheitliches Führerideal.

IV

Führerschaft ist die Frucht einer wechselseitigen Hingabe. Ein mystischer Glaube schweißt Führer und Geführte zusammen. Die Identifizierung mit dem Chef war das Wahrzeichen der deutschen Beamtenschaft. Der Chef war aus ihr hervorgegangen und führte sie, wohin der wollte, oder wurde von ihr geführt, wohin die wollten, ohne daß man sich darüber klar war, wer eigentlich entschied. Treue um Treue. Man kann diesen patriarchalischen Zustand mit Recht kritisieren. Er war aber für die Führung ein schlechthin ideales Instrument, technisch vollkommen durchrationalisiert, im Grunde aber doch eine irrationale Kraftquelle. Heute in der Zeit des Übergangs kann Mißtrauen in die nachgeordnete Stelle zur Pflicht werden. Man kann sich als Führer nur halten, wenn man durch sorgfältige Beobachtung der parteipolitischen Meteorologie die Wetterprognose beherrscht. Und doch tötet nichts die Mystik des Führertums schneller als Lavieren und als Mißtrauen in nachgeordnete Stellen.

V

Die alte Zeit erzog zur Autorität. Militär und Bürokratie stellten ein wohldiszipliniertes Unterführertum. Die Zeit der Autorität ist vorüber, aber die Sehnsucht nach einer neuen Bindung bereitet dem kommenden Führer den Weg. Dieser Naturtrieb muß bewußt einge-fangen werden für die Erziehung zur Selbstverantwortung.

  • Nicht intellektuelle, sondern voluntaristische Erziehung.
  • Nicht nur um zu herrschen, sondern um sich willig unterzuordnen.
  • Glaube, Vertrauen!

Die Autorität macht nicht gläubig, sondern desinteressiert. Geht’s schief, kann man um so besser schimpfen. Daher die vielen Objektiven, die weder warm noch kalt sind, die weder Ja noch Nein sagen können. Die Erziehung zum Führer muß unten anfangen.

  • Verantwortlichkeit als Erziehungsprinzip;
  • Freude zur Übername von Verantwortung;
  • Abgabe von Verantwortung;
  • Interesse am Ganzen bis zur Leidenschaft.
  • Aber Glaube an den, der in voller Selbstverantwortung die Verantwortung für das Ganze übernimmt, oder, wie Kerschensteiner sagt: Demokratische Staatsverfassungen haben aristokratische Seelenverfassungen zur Voraussetzung.

VI

Wir suchen nach dem Führer. Im Mittelalter suchte man nach dem Stein der Weisen. Im Grunde ist es das gleiche Problem.2

(Hier endet das Manuskript)

 

15. C. H. B. an Vossische Zeitung, Herrn Monty Jacobs Berlin, 31 1.1924

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Doktor!

Es ist mir sehr schwer gefallen, Ihnen im Drang meiner Dienstgeschäfte heute noch einen Auszug aus meinem Vortrage herzustellen. Natürlich gibt es nur den ersten Teil wieder, aber ich glaube, er bietet doch ein Ganzes. Ich wäre aber dankbar, wenn Sie in einer Vorbemer-kung oder Anmerkung sagen wollten, daß dieses kleine Feuilleton eine Wiedergabe des ersten Teiles meines bei Cassirer im Interesse des Zentralinstituts gehaltenen Vortrags darstellt.

In ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebenster B/31.

Westöstliche Kulturkritik

Von C. H. Becker

Die Zeit dünkelhaften Europäertums in der Beurteilung des Orients ist vorüber. Westöstliche Kulturkritik bedeutet deshalb nichts anderes als eine kritische Beurteilung der orientalischen Kultur, so wie Troeltsch, Max Weber, Scheler, Spengler oder Kayserling die abendländische betrachtet haben. Nun hat in einer seiner letzten Arbeiten der unvergeßliche Ernst Troeltsch ausgeführt, daß die Menschheit als einheitlicher historischer Gegenstand für die moderne Wissenschaft nicht mehr besteht, daß wir mit der kulturphilosophischen Betrachtung uns an einen der vorhandenen geschlossenen Kulturkreise halten müssen; und zwar unterscheidet Troeltsch den vorderasiatisch-islamischen, den ägyptischen, den hinduistischen, den chinesischen und den mittelmeerisch-europäisch-amerikanischen, welch letzterem er seine eigentliche Arbeit widmet. Er läßt diesen Kulturkreis von vier Urgewalten bestimmt sein, dem hebräischen Prophetismus, dem klassischen Griechentum, dem antiken, später kirchlichen Imperialismus und dem germanisch-nordischen Mittelalter. Die Troeltsch’schen, wie übrigens auch die anders gearteten Spengler’schen Kulturkreise, sind demnach nicht an ein bestimmtes Ethnos gebunden. Es wäre deshalb richtiger, von Zivilisationskritik3 statt von Kulturkritik zu reden. Aber der Sprachgebrauch ist in der Verwendung des Wortes „Kultur“ nun einmal inkonsequent. Das in einem Kulturkreis zusammengefaßte Zivilisationsganze ist natürlich auch von Rasse und Blut mitbestimmt. Aber ebenso bestimmend ist die geographische Lage, politische Entwicklung, historisches Erbe, und was sonst zusammenfließt, um einem solchen Kulturkreis einen eigenen Stil und besonderes Lebensgefühl zu geben; nur ist dieses Lebens-gefühl nach der kausalen Geschichtsauffassung nicht Voraussetzung wie bei Spengler, sondern Resultat der Entwicklung. Wenn nun hier von „westöstlicher“ Kulturkritik die Rede sein soll, so ist die Formulierung mit Absicht an den Vorgang Goethes angelehnt, nicht nur was den Standpunkt des Westländers gegenüber dem Osten betrifft, sondern auch auf den Umfang des Begriffes Osten, der auch im Westöstlichen Diwan sich auf die islamische Welt beschränkt. Es soll hier der Versuch gemacht werden, die islamische Kulturwelt vom Stand-punkte moderner europäischer Kulturkritik aus zu betrachten.

Als Graf Kayserling seine philosophische Asienfahrt antrat, entdeckte er, was dem kultur-philosophisch denkenden Orientalisten lange bekannt war, daß der Islam nicht zu Asien sondern zu Europa gehört. Schon Harnack hatte bei seiner Promotion die These verfochten, daß der Islam eine christlich-jüdische Sekte sei. Die Forschung des letzten Jahrzehnts hat diesen Gedanken nicht nur auf dem Gebiet der Religion, sondern auf allen Teilgebieten der islamischen Kultur geschichtlich erwiesen.

Warum und inwieweit gehört nun der Islam zum europäischen Kulturkreis?

Gibt es vielleicht bestimmte Kriterien, die unser Urteil bestimmen können? Denn kulturelle Einflüsse und historische Beziehungen begründen nicht ohne weiteres die Zusammen-schweißung in einen historischen Ring. Japan ist stärker europäisiert als die Türkei und gehört trotzdem ebenso sicher zum asiatischen wie die Türkei zum europäischen Kulturkreis. Auch die geographische Lage ist nicht entscheidend. So wirken z. B. auf indischem Boden Männer wie Amir Ali und Rabindranath Thakur (Tagore) mit der gleichen nationalen Begeisterung an der Regeneration Indiens, und doch gehört die geistige Struktur des ersteren ebenso sicher nach Europa wie die Tagores nach Asien. Andererseits bilden trotz des Atlantischen Ozeans Amerika und Europa einen einheitlichen Kulturkreis. Eine Kulturkreis-Zusammengehörigkeit entsteht in ethnisch gemischten, geographisch gesonderten Gebieten durch gemeinsame oder verwandte kulturelle Grundlagen. Entscheidend ist meines Erachtens das historische Erbe, die Urgewalten, wie Troeltsch sie nennt. Den Kulturkreis in unserem Sinne schafft im wesent-lichen das Bildungsgut. Welches sind nun die Urgewalten des Islam?

  • Der alte Orient mit seinem semitischen Prophetismus, seiner jüdischen Gesetzes-religion, seinem iranischen Dualismus und Eschatologie, seinem babylonisch-magischen Weltbild und seiner bürokratisch-absolutistischen Staatsform.
  • Die klassische Antike in der Form des Hellenismus, besonders im täglichen Leben, in Wissenschaft und Kunst, wobei Hellenismus im Sinne einer Mischung von Antike und Iran gebraucht ist.
  • Das Christentum in seiner dogmatischen, kultischen und mystischen Ausprägung; denn das islamische Dogma ist im Kampfe gegen die christliche Polemik erwachsen und hat ihre Fragestellung übernommen. Der islamische Kult hat sich nach dem Vorbild des christlichen entwickelt, und die mystische Welt ist hier wie dort die gleiche.

Die kulturbildenden Faktoren sind also im Islam die gleichen wie in Europa. Darin unter-scheidet sich der islamische Kulturkreis grundsätzlich von allen anderen asiatischen. Gewiß hat der Hellenismus und das Nestorianertum bis nach Zentralasien hinein gewirkt, aber nicht anders, als chinesische Bronze und Porzellan die europäische Kunst beeinflußt haben. Gewiß gibt es auch indische Ideen im Islam, aber sie stehen nicht als Urgewalten sondern als beach-tenswerte Kräfte in der islamischen Gedankenwelt wie etwa Tolstoi’sche oder Dostojewski’ sche Stimmungsgehalte in der unsrigen. Ist die Gleichheit der Grundlagen zwischen der islamischen und christlichen Welt nun einmal anerkannt, so gewinnen nunmehr die histori-schen Beziehungen eine konstitutionelle Bedeutung. Sie sind bekannt:

  • Der Vorstoß des Islam bis nach Tours, Konstantinopel, Rom und Wien,
  • Der Austausch der Kreuzzüge,
  • Das Wandern der ritterlichen Formen von Ost nach West bis zur Heraldik und zum Minnedienst,
  • Die Gemeinsamkeit der Scholastik, wobei jüdische Philosophen wie Maimonides eine entscheidende Vermittlerrolle gespielt haben,
  • Die Übermittlung des echten Aristoteles und der griechischen Medizin, –
  • Von wirtschaftlichen Beziehungen, der Gemeinsamkeit des Schauplatzes und der Verwandtschaft der Mittelmeerrasse ganz zu schweigen.

Zwischen dem Islam und Europa handelt es sich also nicht nur um Übernahme fremder, lang-sam assimilierender Kulturgüter, sondern um Berührungen verschiedenartig weitergebildeter Auswirkungen des gleichen kulturellen Mutterboden, und diese Berührungen fanden, wenn auch verschieden stark, kontinuierlich durch über ein Jahrtausend statt, und sind in der Gegen-wart, wenn auch in anderer Stromrichtung, wieder besonders lebendig.

Eine wirkliche Kulturkritik der islamischen Welt ist aber nur möglich, wenn man bei aller Anerkennung der nahen Verwandtschaft der Grundlagen auch die Unterschiede der Entwick-lung betont; denn das historisch Bedeutsame ist die schöpferische Energie der verschiedenen Kulturträger. Es sei nur ein Problem herausgegriffen.

Wie verarbeiten Ost und West das antike Erbe? Da stellt sich nun heraus, daß hier allerdings ein tiefgreifender Unterschied vorliegt. Der Orient lebt die Antike einfach weiter, d.h. in seiner Bildung ist noch heute der geistige Besitz vorhanden, den das Ende der Antike ent-scheidend bewertet hat, während das Abendland mit antiken Bildungsgütern stärker gebro-chen, sie aber mit dem Humanismus ganz neu und zwar den Idealen der klassischen Antike entsprechend einverleibt hat. Das unterscheidende Erlebnis zwischen Abendland und Morgen-land in Bezug auf das historische Erbe ist also der Humanismus. Daß das möglich war, ergibt sich wohl im Grunde aus einer anderen Einstellung zu Mensch und Leben, die sich auf allen Kulturgebieten nachweisen läßt. Den freien Bürger der griechischen Polis hat der Orient nie besessen. Zwar ist auch der Orient urdemokratisch, aber etwas der antiken Demokratie Ver-gleichbares kennt er nicht. Das abendländisch-demokratische Denken hat den Humanismus und Individualismus zu seiner Voraussetzung. Die orientalische Demokratie war bis zur Schwelle der Neuzeit Kollektivismus, was um so überraschender ist, als der Orient Vertiefungen des rein Menschlichen kennt, die uns fremd sind, Vielleicht liegt die Lösung des Rätsels darin, daß Europa das Verhältnis von Mensch zu Mensch vom Ich aus, der Orientale vom Wir oder vom Du aus betrachtet.

(Vossische Zeitung vom 1.2.1924, Nr. 55. Artikel liegt bei)

 

16. C. H. B. an Dr. W. Mahrholz, Berlin Berlin, 12.3.1925

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Doktor.

Sie hatten die Freundlichkeit, mir unter dem 6. März d. Js. den offenen Brief zu übersenden, den Sie in der Vossischen Zeitung veröffentlicht haben. Ich danke Ihnen verbindlichst für die mir damit erwiesene Aufmerksamkeit, möchte aber nicht verfehlen, hinzuzufügen, daß ich in den von Ihnen berührten Fragen eine eigene Auffassung habe, über die ich mich gern einmal mit Ihnen unterhalten würde. Vielleicht sind Sie so freundlich, im Laufe der nächsten Woche dieserhalb einmal bei mir (handschriftlich) telefonisch anzurufen.

Mit verbindlichen Grüßen Ihr ergebenster (gez.) B.

Anlage:

Offener Brief an den preußischen Kultusminister,

Hochverehrter Herr Minister!

Es ist nicht Lust an der Kritik noch übersteigerte Sorge, es ist das einfach menschliche Gefühl für Haltung und Würde bei einem wichtigen Begebnis des Staatsganzen, das mich zwingt, Ihnen in einem offenen Brief einige Fragen vorzulegen, deren einfache Antwort – Taten sind.

Sie haben in Ihrer Gedenkrede auf den verstorbenen Reichspräsidenten vor den Schülern Groß-Berlins bemerkenswerte Worte über den Mut zur Unpopularität und die Notwendigkeit staatsbürgerlicher Gesinnung gesprochen. Man darf also, nach diesem Bekenntnis, des guten Glaubens sein, daß Ihr Ohr den Fragen die hier zu stellen sind, offen sein wird, mehr noch, daß Ihre Energie schon am Werk ist, um den mancherlei Peinlichkeiten, Taktlosigkeiten, Würdelosigkeiten, die in den letzten Tagen in der Reichshauptstadt – und wohl nicht nur in ihr – an Schulen aller Art sich ereignet haben, das Nachspiel zu bereiten, das sie verdienen.

Zunächst einige Tatsachen: Der Bericht über die unerhörte „Trauerfeier“, welche ein so altes und repräsentatives Institut, wie die Charlottenburger Technische Hochschule, veranstaltet hat, darf bei Ihnen, hochverehrter Herr Minister, als bekannt vorausgesetzt werden. Vielleicht ist es aber Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß die Feier der Universität Berlin sich nur wenig davon unterschied. Nach sehr glaubwürdigen Berichten ist schon die Einladung zu dieser Feier in einer provozierend geringschätzigen Form4 ergangen: auf einem kleinen Blatt Papier, das im Vestibül angebracht war, wurde zu einer „erweiterten Senatssitzung“ eingeladen. Der Besuch entsprach der Ankündigung. Von dem etwa sechshundert Personen umfassenden Lehrkörper der Universität erschienen etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Professoren und Dozenten. Der Prorektor der Universität, der in diesem Fall ein öffentliches Amt zu repräsentieren, keine private Meinung zu vertreten hat, Herr Professor Gustav Noethe, erschien nicht. Der Rektor, Herr Professor Holl, wußte von den Verdiensten des verstorbenen Reichspräsidenten, von denen Sie selbst in Ihrer Gedenkrede eine hohe Meinung bekundeten, nichts zu sagen, als daß er dem deutschen Volke das Deutschlandlied als Nationalhymne gegeben habe und daß er von ausländischen Diplomaten geschätzt worden sei.

Nicht viel anders, als an diesen höchsten Bildungsanstalten, scheint das Ideal von staats-bürgerlicher Verantwortlichkeit und das Gefühl für die der Nation und ihrer staatlichen Form unter allen Umständen geschuldeten Würde an vielen höheren Bildungsanstalten zu sein. Zwei Fälle seien, zur Illustration, erwähnt.

  • Auf einem Gymnasium der inneren Stadt zogen Schüler der beiden obersten Klassen, junge Menschen von 16 bis 18 Jahren, die unmittelbar vor der sogenannten Reife-prüfung stehen, als die Kunde vom Tode des Reichspräsidenten bekannt wurde – ich bitte nach dem Ergebnis der bisherigen Untersuchung dies als temporal, nicht kausal zu verstehen – ein schmutziges Taschentuch auf Halbmast.
  • In einem anderen Gymnasium der westlichen Vororte erschienen Schüler der obersten Klassen zu der vom Ministerium – Ihrem Ministerium – angeordneten Trauerfeier in heller Kleidung mit schwarz-weiß-rotem Abzeichen.

Pädagogen und vernünftige Laien werden hier entgegnen: Dumme-Jungen-Streiche. Ich teile diese Meinung. Aber viel geringerer Dumme-Jungen-Streiche wegen hat der monarchistische Staat barbarische, zukunfts- und existenzvernichtende Strafen verhängt. Und vor allem – ich bitte Sie, sich in Ihrer Erinnerung zwanzig Jahre zurückversetzen zu wollen – was wäre dem verantwortlichen Leiter und dem Lehrkörper einer Schule, auf der sich solche DummeJungenStreiche bei solchem Anlaß zugetragen hätten, widerfahren?

Ich bin überzeugt, daß Sie, sehr geehrter Herr Minister, diese Vorkommnisse nicht nur mißbilligen, sondern den „Geist“, der aus ihnen spricht, verachten und bekämpfen. Nicht allein aus staatsmännischen Erwägungen, sondern aus pädagogischen Grundverpflichtungen heraus, muß hier Abhilfe geschaffen werden. Der nationale Gedanke, der Staatsgedanke, droht in dem heranwachsenden Geschlecht in wilde und dabei platte Anarchie zu entarten. Die Affekte des Hasses, der Verachtung, des Hochmuts werden planmäßig in jungen Menschen hochgezüchtet, die berufen sind, an der werdenden Volksgemeinschaft in leitender Stellung mitzubauen.

Sie werden ja, Herr Minister, ja schon selber die nötigen Schritte unternommen, eine Unter-suchung der bekanntgewordenen Fälle eingeleitet, eine generelle objektive Berichterstattung über den Ablauf der Feier in Ihrem Verwaltungsbereich durch die Provinzialschulkollegien eingefordert haben. Sie werden auch sicher in sich die verantwortliche Notwendigkeit zur nachhaltigen und rücksichtslosen Bestrafung der Schuldigen fühlen. Davon also kein Wort mehr. Eine Bitte aber am Schluß: die republikanische Öffentlichkeit und darüber hinaus die Öffentlichkeit der anständig Gesinnten aus allen politischen Lagern dürfen erwarten, daß sehr bald das Ergebnis dieser drakonischen Untersuchung und die daraus gezogenen Konsequenzen bekannt werden. Es ist an der Zeit, ernsthaft diesen pädagogisch wie staatlich bedenklichen Dingen entgegenzutreten, darüber herrscht Einmütigkeit aller Vernünftigen, aller Verantwortlichen an Geist, Seele und Staat der Nation.

Genehmigen Sie, hochverehrter Herr Minister, den Ausdruck der größten Hochachtung!

Dr. Werner Mahrholz5

 

17. Vossische Zeitung an C. H. B. Berlin, 29.7.1925

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister,

haben Sie verbindlichen Dank für die Übersendung des ausgezeichneten Aufsatzes, der zum 31. nun erscheinen wird. Besonders dankbar bin ich Ihnen natürlich für die so freundliche Erwähnung meiner bescheidenen Verdienste. Ich glaube, daß auch der Aufsatz ein schwieriges Problem klärt und Resonanz bei dem besten Teil der Studentenschaft finden wird.

Die Tagung der studentischen Internationale hat ja nun auch begonnen. Sollten Sie, wie Sie mir seinerzeit andeuteten, hinfahren, so wäre ich Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, dankbar, wenn Sie nach Ihrer Rückkehr mit Gelegenheit geben wollten, hierüber von Ihnen Näheres zu erfahren.

Mit den besten Wünschen für eine weitere gute Erholung bin ich Ihr aufrichtig ergebener (gez.) Dr. Werner Mahrholz.

 

18. Vossische Zeitung an C. H. B. Berlin, 4.1.1926

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Minister,

indem ich Ihnen zum neuen Jahre meine besten Wünsche ausspreche, möchte ich gleichzeitig eine Angelegenheit richtigstellen, die mir durch Zufall dieser Tage zu Ohren kam: Sie seien, so erfuhr ich, von einem Artikel über die Schließung des Chemischen Instituts der Universität Berlin nicht eben angenehm berührt. Ich möchte darauf hinweisen, daß der besagte Artikel im Berliner Tageblatt gestanden hat und daß es meiner Initiative und meinen Recher-chen zu verdanken ist, wenn die Vossische Zeitung hierüber nichts brachte.

Ich ließ Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, durch Ihr Büro schon vor längerer Zeit meinen Wunsch aussprechen, wieder einmal von Ihnen empfangen zu werden, da ich mich über eine ganze Reihe von Dingen, zu denen insbesondere die kulturelle Behandlung der Minderheiten in Deutschland gehört, gern mit Ihnen verständigt hätte; so wäre ich Ihnen verbunden, wollten Sie mir eine Zeit angeben, zu der Ihnen mein Besuch gelegen ist.6

Mit den besten Empfehlungen bin ich Ihr sehr ergebener (gez.) Dr. Werner Mahrholz.

Randbemerkung Duwes vom 6.1.: Herrn Dr. Mahrholz ist telephonisch mitgeteilt worden, daß der Herr Minister bis gegen 20.1. verreist sei

 

19. Vossische Zeitung an C. H. B. Berlin, 15.2.1926

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Minister,

anliegend erlaube ich mir Ihnen einen Aufsatz zu senden, der Sie wahrscheinlich interessieren wird.

Gleichzeitig möchte ich mir die Frage erlauben, wenn Sie mich in der nächsten Zeit wieder einmal empfangen können: es hat sich, wie ich glaube, mancherlei Stoff angehäuft.

Indem ich Ihrer freundlichen Antwort entgegensehe, bin ich mit bester Empfehlung Ihr sehr ergebener (gez.) Dr. Werner Mahrholz7

Anlage

Vossische Zeitung, Quelle: Preußisches Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz
Vossische Zeitung, Quelle: Preußisches Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz
Vossische Zeitung, Quelle: Preußisches Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz
Vossische Zeitung, Quelle: Preußisches Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz

 

20. C. H. B. an Vossische Zeitung Berlin, 10.5.1926

(Maschinenkopie und handschriftlich)

Artikel für die Pfingstbeilage der Vossischen Zeitung:

Wie ich mein Wochenende verbringe?

Ich bin ein begeisterter Freund des Wochenendgedankens, weil ich eine „Pause“ in der zermürbenden Kleinarbeit der Woche wirklich für „schöpferisch“ halte.

  • Wer an überwiegend mechanische Arbeit gebunden ist, braucht innere Sammlung, um den äußeren Mechanismus ertragen zu können;
  • wessen Lebensaufgabe aber in der geistigen Sphäre liegt, braucht wie der frucht-bringende Acker eine Brachzeit oder künstlichen Kräfteersatz, der nicht aus Eigenem kommen kann.
  • Ich glaube, daß es nicht einen Verlust, sondern eine Intensivierung unserer nationalen Arbeitskraft bedeuten würde, wenn wir wirklich Sonnabends um 1 oder 2 (Uhr) alle Büros und Läden schlössen, aber bis wir einmal wirklich dazu übergehen können, wird noch ein gut Stück Erziehungsarbeit zur richtigen Ausnutzung der „schöpferi-schen Pause“ geleistet werden müssen.
  • Das Wochenende dürfte jedenfalls nicht in Alkohol untergehen, es darf auch nicht zur körperlichen Überanstrengung führen, aber zur Erhaltung eines gesunden Körpers und zur Aufnahme geistiger Bildungswerte ist es geradezu unentbehrlich.

Minister werden allerdings bei der herrschenden Überlastung nicht als erste, sondern als letzte an ein Wochenende denken dürfen. Ich für meine Person halte allerdings darauf, daß wenig-stens der Sonntag von allen Dienstgeschäften frei bleibt. Die ganze Woche stehe ich für Dienst und Repräsentation bis in die Nachtstunden zur Verfügung, aber am Sonntag gehöre ich meiner Familie und mir selber.

D.Dr. C. H. Becker

Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung

 

21. C. H. B. an Vossische Zeitung Berlin, 7.1.1926

(Maschinenkopie)
Privatsekretariat

Sehr geehrte Herren!

Für die mir durch die Übersendung der Bücher:

  • Oblomow von Gontscharow
  • Max Liebermann von Max J. Friedländer

erwiesene Aufmerksamkeit sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank

Mit vorzüglicher Hochachtung (CHB)

 

22. Werner Mahrholz an C. H. B. Berlin, 20.5.1927

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister,

haben Sie sehr herzlichen Dank für das Widmungsexemplar des „Unruh-Buchs“. Ich habe es erst lesen wollen, ehe ich Ihnen schrieb, und muß sagen, daß mir die Gestalt dieses Dichters entschieden klarer geworden ist. Also noch einmal meinen verbindlichsten Dank.

Gleichzeitig möchte ich eine Bitte aussprechen: Würden Sie mir durch Ihr Büro mitteilen lassen, wann ich bei Ihnen vorsprechen dürfte? Ich nehme an, daß auch bei Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, sich einiger Stoff für eine Rücksprache aufgesammelt haben wird. Ich habe jedenfalls einige Fragen auf dem Herzen.

Mit den besten Empfehlungen bin ich Ihr aufrichtig ergebener (gez.) Dr. Werner Mahrholz.

 

23. Kultusminister Dr. Carl Heinrich Becker

Ansprache
zur Eröffnung der Pädagogischen Akademie Breslau am 15. Mai 1929

Hochansehnliche Versammlung, meine hochverehrten lieben Professoren und lieben Studierenden der Pädagogischen Akademie Breslau!

An geweihter Stätte haben wir unseren Geist für die feierliche Handlung bereitet, die wir nun hier an historischer Stätte, als Gäste der altehrwürdigen Universität vornehmen wollen. Ich begrüße es als ein glücksverheißendes Symbol, daß unsere Einweihungsfeier in der Univer-sität stattfindet, daß etwas von dem Geiste der Wissenschaft auch durch die neue Akademie wehe, und ich begrüße es weiter als ein gutes Zeichen, daß es der Gesangsverein der Lehrer-schaft Breslau ist, der uns hier den künstlerischen Willkommensgruß entbietet. Auch von dem Geiste, von dem guten Geiste der jetzigen aktiven Lehrerschaft möge etwas in den Hallen der neuen Pädagogischen Akademie wehen, auf daß er sich mit dem Geiste verbinde, der von der Universität herkommt. Und dann begrüße ich unser liebes Breslau. Mit großen Opfern ist die Stadt bereit gewesen, gemeinsam mit dem Staate hier eine neue, eine vierte Hochschule in ihren Mauern zu errichten. Breslau ist ja, so lange seine Geschichte dauert, immer das geistige Bollwerk des Deutschtums im Südosten gewesen. So war es wohl selbstverständlich, daß hier auch eine Pädagogische Akademie errichtet wurde.. Wenn die Pädagogische Akademie als ein ganz neuer Typus von Hochschule zu den alten bewährten Formen unserer Hochschulen ins Leben tritt, so beweist sich damit, wie mannigfach die Formen und die Formgebungen des deutschen Geistes sind.

  • Die Universität ist in erster Linie der Forschung und der Ausbildung der akademischen Stände gewidmet.
  • Die Technische Hochschule, auch sie einst ein vielumstrittenes junges akademisches Lebewesen, hat erst langsam, im Laufe der Entwicklung dann immer stärker ihre Ebenbürtigkeit neben und mit der Universität erringen können. Wenn auch in ihrer geistigen Struktur der Universität verwandt, hat sie doch mit ihrer Einstellung auf eine praktische Aufgabe, auf die Technik, in manchem einen eigenen Geist gegenüber der Universität entwickelt.
  • Und dann als dritte im Bunde der alten Hochschule die Kunsthochschule, die Akade-mie. Die Kunsthochschule stellt ein ganz anderes Feld unseres geistig-seelischen Lebens in den Mittelpunkt auch des Unterrichts und der Bildung. Doch auch sie beschreitet dabei, wohl mit anderen Methoden in ihrer ästhetischen, theoretischen und praktischen Anwendung ein künstlerisches Können verbindend, dabei neue selbstän-dige Wege.
  • Und nun eröffnen wir heute die Pädagogische Akademie. Sie hat nicht minder theoretische wie praktische Ziele. Das entscheidende praktische Ziel: die Ausbildung der Volksschullehrer, das große theoretische Ziel: die allgemeine Menschenbildung, Menschenbildung als ein neues Prinzip und doch ein uraltes.

Man wird sagen, bilden denn die älteren Formen der Hochschulen keine Menschen? Gewiß, aber während Menschenbildung dort nur Nebenzweck, Hauptzweck hingegen die Wissen-schaft oder die Technik oder die Kunst ist, ist Menschenbildung hier auf unseren Pädago-gischen Akademien der wesentliche Zweck. Daß man mit den Mitteln ästhetischen Fühlens und Denkens, mit der Ausbildung im Dienst am Werkgedanken, daß man mit diesen Zweigen der Wissenschaft auch Menschen bilden kann, ist selbstverständlich. Aber es ist eine Verschiebung des Akzents und zwar eine entscheidende Verschiebung, wenn wir der neuen Hochschule, der Pädagogischen Akademie, die Aufgabe zuweisen, in erster Linie Menschen zu bilden, nicht Fachmenschen, die doch mehr oder weniger die anderen Hochschulen bilden müssen, sondern eben Menschen.

Meine hochverehrten Damen und Herren, Spranger hat einmal gesagt, wir Deutsche seien das Volk, dessen eine Hälfte immer damit beschäftigt sei, die andere Hälfte zu unterrichten. Das ist ein ernstes Wort, so scherzhaft es vielleicht klingt. Es ist eine Gefahr für uns Deutsche, vor lauter Schulmeistern und Gelehrten den eigentlichen Menschen zu vergessen, und doch ist es gerade unsere deutsche Klassik gewesen, die das stolze Wort von dem Deutschein heißt Mensch sein geprägt hat. Aber wenn wir uns fragen, wie wir in der Welt wirken mit unserer rationalen Kultur, mit unserer intellektuellen Bildung, wenn wir uns etwa mit den Augen von Amerikanern sehen, so werden wir merken, daß unsere Wirkung eine ganz andere ist, als jene klassische Formulierung nahelegte. Wir stehen in unserem Wesen dem Amerikaner vielleicht von allen europäischen Völkern am nächsten, wir laufen aber Gefahr, auf das Ausland wie Amerikaner zu wirken, denen die ethische Seite, die besonders humane Seite des Amerikanertums fehlt. Wir bemühen uns, und der gewaltige Strom unserer wirtschaftlichen und technischen Entwicklung treibt uns immer mehr dazu, uns dem Amerikanertum anzupassen. Vergessen wir dabei nicht, daß Schlagfertigkeit, Bereitsein, wirtschaftliche Tüchtigkeit, das, was der Amerikaner „efficiency“ nennt, das all dies ein seelisches und ethisches Gegengewicht haben muß, das die amerikanische Kultur – auf die historischen Zusammenhänge kann ich hier nicht eingehen – durch die eigentümliche geschichtliche Entwicklung bei sich erzeugt hat. Bei uns trägt nicht zuletzt gerade unser Idealismus, auf den wir mit Recht so stolze sind, schuld daran, daß im Laufe der Entwicklung das Theoretische, das Rationale stärker herausgebildet und herausgestellt worden ist wie das eigentlich Humane. Aber nirgends ist dieses Humane notwendiger als im praktischen Leben8. Darum sollen die Männer, die berufen sind, die deutsche Jugend aller Stände zu betreuen, für viele sogar Wegweiser im Leben zu sein, nicht nur von intellektualistischer Schulung durchdrungen sein, sondern auch von diesem Geist der Humanität, von diesem Geiste , ja, lassen Sie es mich christlich ausdrücken, der Nächstenliebe: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst! Wie Dich selbst, nicht mehr, aber wie Dich selbst, d.h. man soll niemandem etwas zufügen, das man nicht selber zu tragen bereit ist, und man soll jeden anderen so behandeln, wie man selbst behandelt zu sein wünscht. Hierin liegt ein Geheimnis der eigentlichen Ethik des Amerikanertums. Ich habe in der letzten Zeit eine Fülle von Briefen gelesen, die uns junge Studierende aus Amerika geschrieben haben, die dort das Leben auf sich wirken ließen, und aus allen spricht jene Erfahrung, daß man den Nächsten drüben zunächst einmal freundlich, human behandeln soll, daß man zwar Ellbogen gebraucht – das tut der Amerikaner auch – aber daß sich mit diesem Ellbogengebrauch ein freundliches Lächeln verbindet, das nicht das Lächeln einer Lebensform sei, sondern Zeichen eines Herzensbedürfnisses, das den Menschen als Mensch wertet, ihn als gleich zu Gleichgestellten behandelt. Dieses „Keep smiling“, die lächelnde Freundlichkeit in jeder Lebenslage, gehört geradezu zum Typus des Amerikaners.

Ich gebe dies nur als Beispiel dafür, daß wir neben der Schulung des Geistes, neben der Ausbildung des ästhetischen Gefühls, neben der Übung unseres Körpers eine soziale, das ist hier eine humane Einstellung brauchen. Ich möchte sagen, daß in diesem Sinne die Pädagogik vielleicht die modernste aller Wissenschaften ist, die doch nichts anderes darstellt, als die große Wissenschaft vom Menschen, vom individuellen und sozialen Menschen, insbesondere angewandt auf das Verhältnis von Erwachsenen zum Jugendlichen. Und mit tiefer Verantwortung müssen wir gerade in einer Zeit, die auf Amerikanismus im äußeren Sinne, auf Technisierung und Mechanisierung eingestellt ist, dafür sorgen, daß diese seelischen und geistigen Kräfte in unserem Volke lebendig bleiben, daß sie zu einer Synthese zusammengefaßt werden und daraus eine neue Humanität entsteht. Das ist zugleich die große theore-tische Aufgabe der Pädagogischen Akademie, wie der gesamten Volkserziehung, denn die Pädagogische Akademie soll nicht nur Volksschullehrer bilden, sie soll auch im Rahmen und im Wettkampfe der verschiedenen Hochschulen das spezifisch Humane, das besonders Menschliche, das spezifisch Pädagogische in die werdende neue Kultur hineinverwirklichen. Dahinter steht das große Ideal der Volksbildung …

 

24. Preußisches Kultusministerium an die VZ. Berlin, Unter den Linden 4, 17.5.1929

(Maschinenkopie) Dr. Reichwein an Herrn Redakteur Philipp

Sehr verehrter Herr Redakteur!

Ich nehme an, daß Sie inzwischen von dem Telefonat, das ich mit Ihrer politischen Redaktion geführt habe, unterrichtet sind und das meine Bitte betraf, in Ihrer Zeitung eine Auseinander-setzung mit gewissen entstellenden Veröffentlichungen über die Breslauer Rede des Herrn Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, die in der Deutschen Zeitung vom 17.d.Mts (Nr. 114a) und in der Berliner Börsenzeitung vom 16. d. Mts. (Nr. 123) erschienen sind, vorzunehmen. Ich hätte gern Herrn Dr. Mahrholz gebeten, wenn er nicht nach Kiel gereist wäre. Als geeignete Schlagzeile könnte ich mir denken: Deutschnationale Berichterstattung. Als Unterlagen stünden Ihnen zur Verfügung die beiden angegebenen Artikel und die Abschrift des Stenogramms des in Frage kommenden Teils der Breslauer Rede des Herrn Ministers, die ich in der Anlage beizufügen mir erlaube9. Es wäre in dem Artikel besonders darauf einzugehen, daß die Bemerkung zu der fraglichen Rede, neben dem bloß Rationalen das Humane 10stärker zu betonen zu der etwas grotesken Entstellung geführt hat: Mehr humanweniger national! Man hört eben das heraus, was man zum Zwecke seiner Propaganda heraushören möchte. Obwohl wir von hier aus auf solche Entstellungen nicht einzugehen pflegen, scheint es in diesem Falle doch am Platze, daß an einer geeigneten Stelle darauf eine gehörige Antwort gegeben wird. Falls Herr Dr. Mahrholz längere Zeit von Berlin abwesend sein sollte, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie selbst eine geeignete Replik schreiben oder veranlassen würden. In vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener (gez.) Reichwein

 

25. Vossische Zeitung, Prof. Dr. Hildebrandt, an C. H. B. Berlin, 11.9.1929

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Minister!

Namens und im Auftrage der Vossischen Zeitung darf ich Ihnen eine Bitte vortragen:

Der Erlaß des Provinzialschulkollegiums Berlin über die pflichtmäßige Teilname der Schüler und Schülerinnen an den Republikfeiern hat bei uns den Wunsch ausgelöst, Vorschläge für eine Gestaltung der Feier zu veröffentlichen, die bei den Kindern wirklich Interesse und Freude auslöst. Wir gehen dabei von der Überzeugung aus, daß der Widerstand gewisser Elternkreise sich nur dann überwinden läßt, wenn die Kinder wirklich mit Lust und Liebe zur Feier kommen.

Wir wären Ihnen deshalb außerordentlich dankbar, hochgeehrter Herr Minister, wenn Sie uns Ihre Wünsche und Ideen über eine solche Feiern entwickeln würden. Wir wenden uns ebenfalls an eine Reihe fortschrittlicher Schulmänner und interessierter Frauen, um auch von ihnen Vorschläge zu erhalten. Deshalb und auch Ihrer Überbürdung mit Geschäften wegen, auf die mich heute bei telefonischem Anruf Herr Ministerialrat Duve noch besonders aufmerksam machte, würde uns bei dem allseitigen Interesse, das die Angelegenheit sicher im Publikum erregen wird, eine kurze Darlegung – wir dachten an 40-50 Druckzeilen – schon mit großer Freude erfüllen. Nur dürfen wir vielleicht bitten, daß wir möglichst bis zum 21.September Ihren Ausführungen entgegensehen können.

Darf ich noch persönlich hinzufügen, daß ich es auch für mich ein besonders freundliches Entgegenkommen auffassen würde, wenn Sie unserem Wunsche willfahrten?

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst (gez.) Prof.Dr. Hildebrandt

Anmerkung Duves: Herrn MR Landé (allein)

 

26. MR Duve(?) an VZ, Prof. Hildebrandt Berlin, 2.10.1929

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Hildebrandt,

Sie werden sich gewundert haben, daß Sie auf Ihr Schreiben vom 11.September an Herrn Minister Dr. Becker (Vorschläge und Ideen über die Gestaltung der Verfassungsfeiern) noch keine Antwort erhalten haben. Ich sagte Ihnen wohl schon, daß der Herr Minister den Wunsch hatte, die Sache zunächst mit mir zu besprechen (dieses für Sie vertraulich). Nun ist der Herr Minister ungefähr eine Woche lang krank gewesen, war dann nur einen Tag im Dienst, ohne daß ich ihn hätte sprechen können, und eben wird mir gesagt, daß er wieder erkrankt ist und einige Zeit zu Hause bleiben muß, so daß ich meine Absicht, mit ihm morgen über die Behandlung der Sache zu sprechen, nicht ausführen kann. Es lag mir daran, Sie über den Grund der Verzögerung zu unterrichten: sobald ich den Herrn Minister sprechen kann, erhalten Sie Antwort.

Die besten Grüße von Ihrem ergebenen (Duve?)

 

27. C. H. B. an VZ, Prof. Hildebrandt Berlin,14.10.1929

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Professor!

Es tut mir leid, daß ich Ihre freundliche Aufforderung vom 11. September, zu Ihrer Umfrage über die Gestaltung der Schulverfassungsfeiern einen Beitrag zu liefern, erst heute beant-worten kann. So gern ich an sich von Ihrem freundlichen Anerbieten Gebrauch machen würde, glaube ich doch auf die politisch-parlamentarische Lage insofern Rücksicht nehmen zu müssen, als die Frage der Gestaltung der Schulverfassungsfeiern voraussichtlich in kurzem den Landtag beschäftigen wird und ich mit einem Beitrag der gewünschten Art, soll er nicht ganz inhaltlos sein, diesen Verhandlungen notwendig vorgreifen würde.

Ich hoffe, bei Ihnen für diese Erwägung Verständnis zu finde und bin mit freundlichen Empfehlungen Ihr sehr ergebener (CHB).

 

28. VZ, Dr. Monty Jacobs an C. H. B. Berlin, 11.5.1930

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister,

ich weiß, daß Sie kein Theologe von Fach sind, aber ich weiß auch, daß niemand einen schöneren Gedenkartikel nach Harnacks Tode schreiben kann als Sie. Erlauben Sie mir deshalb die Bitte, uns einen solchen Aufsatz möglichst bald zu senden. Je persönlicher gefaßt, desto angenehmer. Einen Nekrolog haben wir, wie aus der Beilage ersichtlich, bereits heute früh gebracht. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie uns freundlichst auf der beiliegenden Postkarte, oder noch lieber telefonisch Bescheid geben könnten, ob wir auf die Erfüllung eines Wunsches rechnen können, der mir sehr am Herzen liegt und mit dessen Erfüllung Sie eine besondere Freude bereiten würden

Ihrem stets verehrungsvoll ergebenen (gez.) Dr. Monty Jacobs

Feuilleton-Redaktion der Vossischen Zeitung.

Anlage 1: Telefonisch durch Frau Minister Becker beantwortet.

Anlage 2: Vossische Zeitung vom 11.6.1930

Anlage: Vossische Zeitung vom 11.6.1930

Vossische Zeitung
Vossische Zeitung
Vossische Zeitung
Vossische Zeitung

29. VZ, Dr. Monty Jacobs an C. H. B. Berlin, 29.1.1931

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Minister,

der beiliegende Aufsatz von Alfred Döblin wird Ihnen nicht entgangen sein. Der Autor fordert im letzten Satz zu einer Debatte über das Problem auf, die auch schon in Gang kommt. Erlauben Sie mir nun die ergebene Bitte, daß Sie sich als Begründer der Dichter-Sektion an dieser Aussprache gütigst beteiligen. Selbstverständlich braucht der Aufsatz keineswegs an Länge mit Döblins Ausführungen zu wetteifern. Aber ich hoffe, daß es Ihnen erwünscht sein wird, wenn auch Ihre Meinung über das Thema Dichter-Akademie bei dieser Gelegenheit zur Geltung kommt.

Daß unsere Leser außerordentlich erfreut sein werden, Sie zu vernehmen, dafür verbürgt sich mit verbindlichster Empfehlung

Ihr verehrungsvoll ergebener (gez.) Dr. Monty Jacobs,

Feuilleton-Redaktion der Vossischen Zeitung.

 

30. C. H. B. an VZ, Dr. Monty Jacobs Berlin, 6.2. 1931

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Doktor,

ich bitte um Entschuldigung, daß ich auf Ihre Anfrage in Sachen Dichterakademie noch nicht geantwortet habe. Aber ich kann mich nicht so recht zu einer öffentlichen Stellungnahme entschließen. Jedenfalls möchte ich in dieser Angelegenheit nichts tun, ohne mich mit Herrn Minister Grimme und seinen Herren darüber verständigt zu haben. Nun schweben derzeit Verhandlungen und in der kommenden Woche finden Beratungen im Landtag statt. Unter diesen Umständen möchte ich, wenn überhaupt – doch noch etwas mit einer Meinungsäußerung zurückhalten, und ich bitte Sie, dafür freundlichst Verständnis haben zu wollen.

In ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener (CHB).

 

31. VZ Dr. Monty Jacobs an C. H. B. Berlin, 10.2.1931

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Professor,

nehmen Sie meinen verbindlichsten Dank für Ihre freundliche Auskunft. Leider hat auch Herr Minister Grimme mich wissen lassen, daß er augenblicklich nicht zu dem Thema Dichter-Akademie Stellung nehmen möchte. Unter diesen Umständen werde ich mich damit begnügen, die Meinung Heinrich Manns zu veröffentlichen.

Mit verbindlichster Empfehlung und in der Hoffnung, daß ich bald einmal auf anderem Gebiet Glück habe bin ich Ihr verehrungsvoll ergebener (gez.) Dr. Monty Jacobs.

 

32. Telegramm Vossische Zeitung, Elbau, an C. H. B., Davos Berlin26.3.1931

Erbitten Leitartikel für Osternummer. Schlagen als Thema vor: Humanität gegen Gewaltgeist. Vosszeitung Elbau.

 

33. C. H. B. an VZ, Chefredakteur Elbau. Berlin 7.7.1931

(Maschinenkopie)

Persönlich!

Hochverehrter Herr Elbau,

Die Stellungnahme Ihres geschätzten Blattes zu der Verfassungsfeier der Berliner Hochschulen im gestrigen Abendblatt und in der heutigen Morgennummer gibt mir Veranlassung, mich einmal ganz persönlich und privat an Sie zu wenden, da ich die Haltung der Vossischen Zeitung in dieser Frage im Interesse der Sache wie auch der Republik für verhängnisvoll11 halte. Seit Jahren bemühe ich mich, in der demokratischen Presse dafür Verständnis zu gewinnen, daß man mit Tadeln und Mäkeln in dieser Feierfrage nichts anderes erreicht, als daß man die wenigen republikanisch Gesinnten auch noch verprellt und verärgert. Gute Ratschläge sind ungeheuer billig. Die Freude am heutigen Staat wird doch nicht durch Verfassungsfeiern herbeigeführt, sondern Verfassungsfeiern sind der Ausdruck der Freude am Staat. Es ist dasselbe Problem wie das Verhältnis von Schule und Gesellschaft. Nicht die Schule schafft die Gesellschaft, sondern jede Gesellschaft hat die ihr eigentümliche Schule.12 Nun hat die Institution der akademischen Verfassungsfeiern ja ihre Geschichte, an der ich, wie Sie wissen, nicht gerade unbeteiligt bin. Der Verfassungstag fällt nun einmal in die akademischen Ferien, und Vorfeiern haben immer etwas Gekünsteltes. Daß man nicht gerade einen Sonntag dafür nehmen sollte, darin stimme ich Ihnen vollkommen zu. Man tut das aber auch für andere akademische Feiern sehr zum Schaden ihres Besuches. Daß diesmal nach den voran gegangenen Kämpfen in der Universität, von denen man ja bei der Festsetzung des Termins nichts wissen konnte, mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen vorgegangen werden mußte, und auch viele die Lust verloren hatten, ist schließlich keine Schuld der Veranstalter. Daß die paar demokratischen Korporationen nicht mit 5 Fahnen aufzogen, während die vereinigten Studentenschaften etwa 500 haben, fand ich durchaus richtig. Ich bin kein Freund dieses studentischen Firlefanzes, der nicht mehr in unsere Zeit paßt. Aber wenn man ihn schon einsetzt, dann soll er die Geschlossenheit der Studentenschaft repräsentieren und nicht den an sich falschen Eindruck erwecken, als ob nur ein halbes Dutzend Korporationen sich zum heutigen Staate bekennen.13

Ich habe die Verfassungsfeiern im vorigen Jahr und diesmal mitgemacht. Die Rede Schumachers wahrte die Vorkriegs-Tradition an Kaisers Geburtstagsfeiern. Ich habe selbst einmal eine solche Rede gehalten über das türkische Bildungsproblem. Wenn man die Stellung Schumachers kennt, war sein Bekenntnis zur Verfassung ein großer Schritt vorwärts und ein Zeichen des besten Willens. Gewiß hätte ich mir persönlich in der heutigen Zeit manches anders gewünscht. Aber man kann solche alten Herren nicht mehr umstellen, und immerhin war die Tatsache, daß Schumacher diese Aufgabe übernahm, von sehr viel größerer politischer Wirkung als die Kritik der demokratischen Presse an dem Inhalt seiner Rede. Damit werden dem neuen Staat keine Freunde gewonnen. Hier liegt ein psychologischer Fehler, der einen so leidenschaftlichen Freund der Republik wie mich manchmal geradezu zur Verzweiflung bringt. Und nun gar die Rede Deismanns. Ich habe nach der Feier zu ihm gesagt:

Endlich einmal eine Rede, wie sie vom Rektor der größten deutschen Universität bei der Verfassungsfeier gehalten werden mußte. Man sollte diese Rede drucken und allen Universitäten zur Nachachtung schicken.“

Das war mein Eindruck. Auch Ihr Berichterstatter hat ihr die Anerkennung nicht ganz versagen können, aber schließlich die Kritik an den Nebenumständen so überwiegen lassen, daß – ich verhehle es nicht – selbst ich mich darüber geärgert habe. Mit solchen Kritiken wird m. E. nichts erreicht; ganz bestimmt keine Änderung sondern eine Versteifung wird die Folge sein. Gerade wenn Sie für den neuen Staat werben sollen, so muß das den akademischen Kreisen gegenüber mit psychologischeren Mitteln geschehen. Die Verhältnisse haben sich im letzten Jahrzehnt sehr zum Besseren gewandt, und eine freudige Bestätigung und Anerken-nung dieser Besserung führt dem neuen Staat mehr Freunde zu als eine unfreundliche Kritik,14 weil die Universität ihre Feier nicht nach dem Ihrem Berichterstatter als wünschenswert erscheinenden Schema gestaltet hat. Wo soll denn in dieser Zeit der Not der Schwung zu solchen Feiern herkommen? Sie deshalb ganz zu unterlassen, geht auch nicht. Also pflege man wenigstens die Institution solcher Feiern, bis mit mehr Freude am Staat sich auch ganz automatisch mehr Schwung bei diesen Feiern einstellen wird. Inzwischen verärgere man aber nicht die, die hier wirklich dem neuen Staat selbstlos dienen wollen, sondern helfe ihnen. Und darum wollte ich Sie mit diesen Zeilen bitten. Es ist der oberste Grundsatz der Pädagogik, daß man mit Glauben und Loben weiter kommt als mit Mißtrauen und Tadel.15

Indem ich hoffe, daß Sie diese Zeilen, die auch meinem persönlichen Interesse an Ihrem Blatte entstammen, richtig aufnehmen, bin ich

in bekannter hoher Verehrung Ihr ergebenster (CHB)

 

34. VZ, Chefredakteur Elbau an C. H. B. Berlin, 21.7.1931

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Nach meiner Rückkehr von einer Auslandsreise erhalte ich verspätet Ihr liebenswürdiges Schreiben vom 7. d. Mts., für das ich Ihnen außerordentlich dankbar bin. Ihr Zeugnis ist mir überaus wertvoll, um im Sinne Ihrer Ausführungen auf meine Kollegen einzuwirken. Auch ich bin der Meinung, daß man lieber etwas freigebig mit Anerkennung sein soll als mit Kritik.

Ganz besonders würde ich mich freuen, wenn Sie zum kommenden Verfassungstag in der Vossischen Zeitung das Verhältnis zwischen Hochschulen und Staat in positivem Sinn beleuchten würden. Ich verspreche mir davon eine sehr gute Wirkung auch auf die studentischen Kreise, die zögernd und ablehnend beiseite stehen, aber doch die innere Bereitschaft zeigen, sich mit anderem Denken und Wollen auseinanderzusetzen. Wir wissen, daß die Vossische Zeitung auch von politischen Gegnern aufmerksam und nicht ohne nachhaltige Wirkung gelesen wird. Durch einen zusagenden Bescheid würden Sie mich ganz besonders verpflichten.

In aufrichtiger Verehrung und mit nochmaligem herzlichen Dank

Ihr sehr ergebener (gez.) Elbau.

 

35. C. H. B. an VZ, Chefredakteur Elbau Berlin, 23.7.1931

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Elbau,

Ich stehe im Augenblick mitten in den Vorbereitungen für meine große Chinareise, kann Ihnen leider im Augenblick Ihre Bitte nicht erfüllen, für die Nr. des 11. August einen Artikel über das Verhältnis zwischen Hochschule und Staat zu liefern. In der Hoffnung, daß Sie meine Gründe würdigen werden und mit freundlichen Grüßen

Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)

 

36. VZ, Dr. Monty Jacobs an C. H. B. Berlin, 22.11.1932

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Minister,

erlauben Sie , Ihnen einen verbindlichsten Dank für die Freundlichkeit und Schnelligkeit auszudrücken, mit der Sie meinen Wunsch erfüllt haben. Indem ich die Ankunft Ihres Manuskripts16 bestätige, gestatte ich mir gleichzeitig die Bitte um ein wenig Geduld. Wir haben augenblicklich Hochsaison, und deshalb können wir nicht so schnell, wie wir es wünschen, alle andrängenden Geschäfte erledigen.

In vorzüglicher Hochschätzung Ihr stets ergebener (gez.) Dr. Monty Jacobs17

 

37. C. H. B. an Chefredakteur Meyer-My, VZ, Zeitspiegel Berlin, 26.1.1933

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Chefredakteur!

Durch Herrn Ballin erhielt ich die Nachricht, daß Sie bis Ende dieser Woche einen kleinen Begleittext für meine Persepolis-Fotos zu erhalten wünschen. Ich glaube in der beiliegenden Notiz alles Wesentliche zusammengefaßt zu haben. Ich wäre sehr dankbar, wenn mir etwa 20 Belegexemplare zugehen könnten. Ihre eigenen Notizen füge ich wieder bei; ich bemerke nur, daß Herr Krefter kein Amerikaner, sondern ein Berliner Architekt ist.

Mit verbindlicher Empfehlung Ihr sehr ergebener (CHB)

 

38. VZ, Krämer an C. H. B. Berlin, 31.1.1933

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Minister!

Im Verlag Ullstein erscheint in den nächsten Tagen ein Buch des früheren demokratischen Parteiführers Georg Koch-Weser, mit dem Titel „Und dennoch aufwärts“.

Wir möchten Sie bitten, das Referat über dieses Buch für die Vossische Zeitung zu übernehmen, und gestatten uns, Ihnen bereits jetzt die Druckbogen des Werkes einzusenden, denen wir so bald es möglich ist ein gebundenes Exemplar folgen lassen werden. Wir hoffen sehr, daß Sie unserer Bitte entsprechen werden.

Mit vorzüglicher Hochachtung (gez.) Krämer, Redaktion, Vossische Zeitung

 

39. C. H. B. an VZ (Krämer) Berlin, 2. 2.1933

(Maschinenkopie)

Ich bin gern bereit, die Besprechung des Koch-Weser’schen Buches „Und dennoch aufwärts“ zu übernehmen und werde das Manuskript in den allernächsten Tagen einsenden.

Hochachtungsvoll ergebenst (CHB)


1 Vossische Zeitung, Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Begründet 1704. Im Verlag Ullstein, Berlin, Kochstraße 23/24, erschienen. 1934 erlosch die Zeitung.

2 Alle Hervorhebungen vom Herausgeber.

3 Vom Verfasser unterstrichen. Der Herausgeber.

4 Hervorhebung des Verfassers.

5 Aus dem Dossier geht hervor, daß der Verfasser Redakteur der Vossischen Zeitung ist. Der Herausgeber.

6 Vom Empfänger rot unterstrichen. Der Herausgeber.

7 Ich möchte die Aufmerksamkeit des geneigten Lesers besonders auf den Leitartikel von Mahrholz lenken. Die Vossische Zeitung gehörte in der Weimarer Republik zu deren Unterstützer. BB

8 Hervorhebungen vom Herausgeber.

9 Vgl. vorangehenden Text Nr.23. Der Herausgeber

10 Unterstreichung Reichweins.

11 Hervorhebungen des Herausgebers.

12 Hervorhebung des Herausgebers.

13 Hervorhebung des Herausgebers.

14 Hervorhebung des Herausgebers.

15 Hervorhebung des Herausgebers.

16 Wohl ein Bericht über die Chinareise Beckers im Auftrag des Völkerbundes. Der Herausgeber.

17 Jacobs fragt in einem weiteren Brief nach Fotos, die er dann am 26.11. erhält. Das Gros der Bilder befindet sich in der Hand von Herrn Ballin von der Illustrirten Zeitung. Der Aufsatz erschien dann in der Weihnachtsnummer 1932 Becker erhält 100 kostenlose Separata. Der Herausgeber.

Einführung zu 8.2

Erneut bestätigt sich hier meine zu Beginn des Teils III geäußerte These, daß sich bei Becker immer der Orientalist und Wissenschaftler mit dem Kulturpolitiker die Waage hält.

Interessant und anrührend ist der Briefwechsel mit seinem Heidelberger Professor für Assyriologie C. Bezold zwischen 1897 und 1921 (Nr. 111-224). Die geradezu liebevolle Begleitung des jungen Studenten während der Studienzeit in Heidelberg und Berlin, aber auch während der Vorbereitung der Habilitation in Kairo 1900-1902, die freundlichen Empfehlungen an Kollegen in London, Paris, Berlin und Budapest: die Internationale der modernen Islamforscher war seinerzeit durchaus überschaubar, man kannte sich eben. So eine intensive Betreuung eines jungen Akademikers war wohl nur möglich bei überschaubaren Studentenzahlen.

In London bereitete Becker 1897 seine assyriologische Dissertation vor. 1899, frisch promoviert, schreibt Bezold an den „lieben Herrn Doctor) (Nr. 113) von einer freundlichen Erwähnung der Doktorarbeit durch Goldziher-Budapest, einem der Begründer der modernen Islamwissenschaft. Inzwischen bereitete Becker seine Habilitation in Berlin vor, wo er ein Jahr verbrachte. Zusammen reisten sie nach Rom und später – sozusagen als Unterbrechung bei der Rückkehr aus Kairo 1901, auch durch den griechischen Archipel. In einem Brief nach Kairo befürwortet er Beckers „Conversationsstunden in der arabischen Umgangssprache“. Im gleichen Brief wird auch Snouck-Amsterdam zitiert, der holländischen Islamwissenschafts-Koryphäe, der Beckers Arbeit lobend erwähnt. Für den Herbst 1901 erwartet Bezold bereits die private Zusendung von Beckers Habilitationsschrift (Nr. 122).

Kleiner Hinweis auf die Postverbindung Kairo – Heidelberg: ein Brief brauchte nur 9 Tage! (Nr. 125)

„Selbstverständlich“ – so Bezold Februar 1902 – bin ich zu allen Correcturen und Revisionen, die Sie mir senden lassen, stets bereit.“(Nr. 126) Auch privatim entwickelten sich die Beziehungen auf das freundschaftlichste – sowohl anläßlich von Beckers Hochzeit als auch zur Geburt der Kinder oder der Krankheit der Mutter Beckers. (Nr. 138).

Nach der Privatdozentenzeit in Heidelberg geht Becker 1908 nach Hamburg ans Kolonialinstitut, wo Bezold seinem Schüler immer wieder gute Ratschläge gibt (Nr.139). Im gleichen Brief warnt er Becker vor einer „vorauseilenden“ Idee einer Universitätsgründung, die dann auch trotz jahrelanger Bemühungen des ungestümen Beckers scheiterte. Deshalb ging er 1913 an eine „richtige Universität“ nach Bonn, wie Bezold betont, wo er bis 1916 lehrte. Im Frühjahr 1916 wird er ins Preußische Kultusministerium berufen.

Das Jahr 1909 ist für Becker auf einem wichtigen Gebiet von Bedeutung: er gründet die Zeitschrift Der Islam“, wobei sein väterlicher Freund mit Rat und Tat hilft. (Nr. 140)

Angesteckt von Beckers Ägyptenliebe, reist Bezold im Jahre 1909 dorthin und stöhnt über den „langen Eselsritt“ in Theben (Nr. 141). In Assuan, so heißt es im Frühjahr 1909, „regnete es – wie seit 30 Jahren nicht geschehen war.“

Auf Beckers schriftliche Glückwünsche zum 50. Geburtstag entgegnet Bezold:

„Daß ich diesmal 50 Jahre alt geworden bin, ist mir vorderhand noch nicht so peinlich, als mir vor 10 Jahren die 40 wurden. Man gewöhnt sich eben allmählich an die absteigende Bewegung: kostet weniger Schweiß und geht schneller.“ (Nr. 142) Im gleichen Brief lobt er: „Die sachliche Ruhe, mit der Sie sehr heikle Fragen behandelt haben, ist dabei besonders zu rühmen, und daß Sie andererseits sehr energisch für die wissenschaftliche Bildung der (Kolonial-) Beamten eintreten, … finde ich in Ordnung.“

Auch Bezold sieht die christlichen Missionen, wie Becker, eher kritisch:

„Das Zugeständnis, daß die Missionen ein Kulturfactor sind, das wir einfach nicht entbehren können, hätte ich nicht über mich vermocht! Ich weiß nicht, wie weit die Holländer dem beistimmen würden; und die halten doch wohl auch Sie für die besten Kolonisatoren? Aber Sie wissen, ich spreche als fernstehender outsider. Und dann eine nur wenig überzuckerte Pille, daß die Mission dem Islám – in die Hände arbeitet, bleibt für alle Gläubigen zu schlucken!“ (Nr. 142)

Becker entgegnet auf seine beanstandete Stellung zur Mission, sie sei

„ein Produkt der Hamburger Luft, d.h. ein Kompromiß zwischen den Tatsachen und der Praxis. Wer beobachtet, wie die kolossalen amerikanischen Missionsunternehmungen in Ostasien der politischen Propaganda Amerikas den Boden bereiten, der erkennt, was für ein wichtiger Faktor die Mission bildet.“ (Nr. 143)

1909 gratuliert Becker seinem verehrten Lehrer zur Gründung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Interessant die Bemerkung Beckers über den neuen Kollegen Meinhof, der den Kiautchou-Vertrag verfaßt hat sowie den „Staatsvertrag über die neugegründete chinesisch-deutsche Hochschule.“(Nr. 145)

Die Aversion des Hamburger Senats gegen eine

Universität alten Styles (sei) nicht zu leugnen. Man fürchtet zunächst die Studenten, besonders die mit den bunten Mützen, dann aber namentlich in Kaufmannskreisen die Schaffung eines selbständigen, neuen Körpers, der unausbleiblich die führende Rolle in dem geistigen Leben Hamburgs übernehmen wird …“

1910 lobt Becker seinen Schüler Dr. jur. F.F. Schmidt (gerade Assessor geworden), der im Sommer bei Bezold promovieren will; er sei ein ungewöhnliches Sprachtalent („Arabisch mit vollendetem Accent“), Dolmetscher für Marokkanisch. Er legt eine Arbeit vor über islamisches Recht. Wir werden ihn im Ersten Weltkrieg als Beckers Informant über die Türkei noch genauer kennenlernen! (Nr. 152)

Begeistert berichtet Bezold über einen öffentlichen Vortrag von Leopold von Ranke über ägyptische Kultur – ein Autor, der auch heute noch durchaus lesenswert ist, im Gegensatz etwa zu seinem Zeitgenossen Treitschke. (Nr. 155)

1911 reist Becker erneut nach Kairo (Nr. 158), wo er von Bezold gemahnt wird, seinen Beitrag für die Goldziher-Festschrift doch bitte zuzusenden (Die Postkarte brauchte nur fünf (5) Tage von Heidelberg nach Kairo!) Leider mußte Becker seine Reise fluchtartig abbrechen wegen der schweren Krankheit seines Sohnes Walter. In dem Dankesbrief Beckers (Nr. 160) ist Sohn Walter bereits auf dem Wege der Besserung, brauche aber mildes Klima, so daß die Familie auf die Isle of Wight fahren werde. Der Artikel für Goldziher wird nunmehr eine Studie der ersten christlichen Polemik gegen den Islam in ihrer Wirkung auf die Hadith und die islamische Glaubenslehre“ und wird kurze Zeit darauf versandt.

Im Mai 1911 wird ein neues Vorlesungsgebäude des Kolonialinstituts eingeweiht mit einer Rede von Professor Marcks, Senatsdiener (und gewiß auch einer Rede Beckers). Was den Ausbau des Instituts zur Universität angeht: „Jeder hat seine Meinung in der Sache, wirkliche Sachkenntnis aber selten.“ (Nr. 164)

Wie umfangreich die Spannbreite von Beckers Tätigkeit zu dieser Zeit war, wird im gleichen Brief deutlich: druckfertig machen der Papyrie, Islam in Afrika-Kolleg; dagegen geringe Beteiligung an den philologischen Kollegs, für Syrisch und den Koran …

Über Marokko schreibt Becker (Nr. 166, 3.7.1911, – 2. Marokkokrise mit der Besetzung von Fes durch die Franzosen):

„Ich wußte schon seit langem, daß etwas bevorstand und bin wirklich froh, daß es endlich soweit ist. Das Vorgehen der Franzosen bedeutete doch eine derartige Verachtung des deutschen Standpunktes, daß es sich nur mit der allgemeinen deutschen Uninteressiertheit in der auswärtigen Politik erklärt, daß sich die öffentliche Meinung das so lange gefallen ließ. Mit brennender Spannung sehe ich die Weiterentwicklung der Dinge entgegen; denn die Interessen, die speziell auch hamburgische Firmen in jener Gegend haben, sind außerordentlich groß.“

Das Problem bestand u. a. darin, daß bei einer Ausdehnung der französisch-britischen usw. Kolonialreiche die Häfen zumeist für die deutschen Kaufleute gesperrt waren!

Im November 1911 heißt es (Nr. 170), daß man momentan die Universitätsfrage diskutiere, „aber der Name Universität wirkt hier über alle Maßen abschreckend.“ Der Senat wolle zwar, aber die Bürgerschaf …

Eine Fahrt mit Bezold und anderen Orientalisten nach Budapest zu Ehren Goldzihers mußte Becker, nach anfänglicher Zusage, dann doch absagen wegen der Krankheit seiner Frau. (Nr. 173) Die Festreden erfolgten auf Ungarisch, Deutsch, Lateinisch, Arabisch und Assyrisch …

Für 1912 plante Becker mit Kollegen die Herausgabe eines Grundrisses der semitischen Philologie bei Trübner, worin Bezold für die assyrische Literatur gewonnen werden soll. (Nr. 175)

Im gleichen Jahr trafen sich Bezold und Becker zum Orientalistenkongreß in Athen (Nr. 179) – bei der Rückreise erfuhren die Reisenden in Italien den Untergang der Titanic (vgl. die Privatbriefe)

Im Juli 1913 beglückwünscht Bezold seinen Schüler „zur Rückkehr an die Hochschule!“ Becker hatte in Hamburg das Handtuch geworfen wegen der ablehnenden Haltung der Bürgerschaft zur Universitätsgründung und nahm einen Ruf nach Bonn an.

Bezold plante für 1916 einen Kongreß für Religionswissenschaft (Nr. 193 und 196) – wie man sich denken kann, ging diese Planung in „Stahlgewittern“ unter. Im gleichen Brief berichtet Bezold von gemeinsamen Ausgrabungen in Ägypten mit der Universität Freiburg. Von seiner Reise dorthin im Jahre 1914 brachte Bezold 49 Kisten mit erworbenen Schätzen, was noch manchen Schweißtropfen kosten wird.“ (Nr. 198)

Der Kriegsausbruch im August 1914 sieht Becker bei der Verwundeten-Verpflegung („es hat sich Gewaltiges ereignet“). (Nr. 202) Bezold arbeitet in Heidelberg an einem Zentralnachweis aller hier befindlichen Verwundeten“ (Nr. 203) – die anfängliche Euphorie sollte jedoch bald bei beiden abkühlen. Bezold fragt sich:

„Was mag von Ägypten kommen? … Ich halte Englands Erniedrigung auf die Kulturstufe, die es jetzt vor aller Welt eingenommen hat, für eine Schmach für ganz Europa gegenüber dem Orient…“1

Und Becker hofft in seinem Neujahrsbrief (Nr. 204),

„daß wir uns 1915 wieder einmal gemütlich sehen werden und daß es auch nach den schweren, bangen Kriegszeiten uns einen ehrenvollen Frieden bringe.“

Sein Schüler Dr. Graefe sei gefallen und um Hellmuth Ritter in der Türkei mache er sich Sorgen.

1914/15 lieferten sich der Holländer Snouck und Becker ein erbittertes Wortgefecht in der Presse. Bezold schreibt dazu (Nr. 206): „Ich suchte möglichst sachlich nach Snoucks Motiven;

  • eines ist entschieden der Gedanke an die niederländisch-indischen Moslims …;
  • daß andere sehe ich darin, daß Snouck ja selber Moslem ist … und am Ende auch durch den Zwang Fes g`had verärgert wird.
  • Aber das pazifistische (utopistische) Element gehört wahrhaftig nicht in die Fluten – die blutgetränkten – der jetzigen Politik,
  • und dem Gespenst des „Glaubenshasses“ sind Sie mit Recht energisch zu Leibe gegangen.“

Im Zusammenhang mit einer Amulettstudie Bezolds (Nr. 212) verweist Becker u.a. auch auf ein Werk Canaans „Volksmedizin und Aberglaube im Lande der Bibel“, insbesondere wegen der abessinischen Parallelen … und damit auf die geistigen Beziehungen zwischen Ägypten und Abessinien neues Licht fällt.“ Im gleichen Brief berichtet Becker über die ausführlichen Nachrichten von F. F. Schmidt und Ritter. Die Armeniergreuel2 übertreffen alles bisher Dagewesene.“ Die Rückwirkung auf die deutsche Innenpolitik wird angedeutet.

Osmanisches Reich im I. Weltkrieg
Osmanisches Reich im I. Weltkrieg

Wegen der türkischen Probleme haben Beckers Vorlesungen und Vorträge gewaltigen Zulauf (Nr. 213).

Die Berufung Beckers ins Preußische Kultusministerium im Frühjahr 1916 ist eine Zäsur in seinem Schaffen, denn Forschung und Lehre rücken nunmehr in den Hintergrund gegenüber seiner Tätigkeit als Personalreferent der preußischen Universitäten. Die Korrespondenz mit Bezold bricht praktisch ab bis Sommer 1919. Zu diesem Zeitpunkt ist Bezold bereits Professor in Bonn. Verschiedentlich wendet sich der junge Staatssekretär an seinen väterlichen Freund bei Besetzungsfragen von Lehrstühlen (Nr. 222). 1922 stirbt Bezold und hinterläßt seinem Freund eine große Lücke.

***

Von großem Interesse für Becker waren die folgenden Briefe und Tagebuchberichte Hellmut Ritters (Nr. 225-349), die zuweilen die Zensurbehörde des Auswärtigen Amtes etwas beunruhigten (17.7.1915), denn mancher Brief ging wohl „verloren“ oder enthielt ein Beiblatt mit dem Hinweis auf absolute Geheimhaltung des Inhalts …

Die Briefe Ritters beginnen im Januar 1915 nach einem halben Jahr auf den Schlachtfeldern des Westens; als Dolmetscher ohne militärischen Hintergrund war er dennoch als „Leutnant“ und dank Beckers Unterstützung als „Dr.“ ein Verbindungsglied zwischen deutschen Militärs um von der Goltz und den türkischen Stäben, was ihn zu nicht immer erfreulichen Einsichten verhalf … Rumänien war zu dieser Zeit noch neutral, drückte bei der Passage deutscher Offiziere in Zivil aber ein Auge zu (19.1.1915).

Die folgenden Berichte zeigen Ritters intensive Bekanntschaft mit der anatolischen Eisenbahn, dem Weiterbau durch das Taurusgebirge, das Umladen auf Esel und Kamele oder Büffelwagen – Odysseen eines Armeekorps, das, einmal angekommen in Jerusalem, nach nicht langer Zeit zurückbeordert wurde an die Galipolifront – von Jerusalem reist er nach Damaskus, Baalbeck und Aleppo – kurzum, er lernt Land und Leute kennen, wenn auch auf eine besondere Art.

Im Tagebuch berichtet er am 24.2.1915 von der Begegnung mit zwei deutschen Offizieren, die an der Suezkanalexpedition teilgenommen hatten. Interessant seine Diskussion des sog. „Heiligen Krieges“:

„Überall, wohin ich kam, entsprach das Volksempfinden ganz dem Fetwa. Gehaßt die Nation der Engländer, die Nation der Russen, der Franzosen, geliebt die Nation der Deutschen und ihr vortreffliches Heer und ihr vielgepriesener Kaiser.“

Und weiter unten heißt es:

„Die Stimmung des muslimischen Volkes ist für die Deutschen gewonnen gegen die Engländer, nicht so sehr für die Befreiung des Islam …“

Ziemlich deutlich spricht Ritter von den Konflikten zwischen Arabern und Türken, wobei erstere recht schlecht wegkommen. Doch mag das natürlich an der osmanischen Politik liegen, die die Araber zweitrangig behandelten … (Jerusalem, 1.3.1915) Ein Djihad von Konstantinopel aus erklärt, sei

„eine Lächerlichkeit. Hier im Lande (Palästina!) ist er gänzlich ins Wasser gefallen. Wenn Deutschland das beweisen wollte, daß religiöse Aufrufe von Konstantinopel aus ohnmächtig und wirkungslos sind, so hat es einen großen Erfolg zu verzeichnen. Wo er hier gezündet hat, hat er in der alten Form gezündet. Hier hat ein Scheich tatsächlich zur Austreibung sämtlicher Giaurs aufgefordert, hat aber begreiflicherweise keinen Erfolg gehabt. In Stambul hat der Pöbel ein paar europäische Läden zerschlagen. Das ist alles. Dieser Djihad ist kein Djihad, sagen die arabischen Scheiche, die auf die Türken so wie so nicht besonders zu sprechen sind.“ (Jerusalem, 6.3.1915)

Am 31.3.1915 bestätigt Prüfer (vom Auswärtigen Amt) die Bemerkungen Ritters über die Spannungen zwischen Arabern und Türken. Sehr schlecht kommt dabei auch die deutsche Orientpolitik weg, die den Briten und Franzosen nichts entgegengesetzt hätte. „Hier lieben uns weder die Christen noch Juden. Am loyalsten sind noch die Muhammedaner.“

Im Tagebuchbericht vom 19.4.1915 aus Jerusalem geht Ritter erneut mit der türkischen Politik ins Gericht:

„Die politische Lage ist ja sehr prekär hier. Die Araber sehnen sich nach Befreiung vom Türkenjoch; die Abneigung wird nun noch künstlich vergrößert einesteils durch mancherlei Unbequemlichkeiten, die der Krieg, für den auch nicht das geringste Interesse herrscht, und die Anwesenheit so großer Truppenmengen überhaupt mit sich führt, andererseits durch die türkisierenden Bestrebungen Djemal Paschas. Ein Ukas befiehlt, daß in allen Schulen (auch den deutschen, wie Schnellers Waisenhaus) türkisch gelehrt werden solle – um das Geld und die Lehrkräfte kümmert sich natürlich niemand -, aller arabische Schriftverkehr mit den Behörden hat, sehr zum Ärger der Araber , aufgehört.“

Falls die Kapitulationen aufgehoben würden, würden viele Deutsche aus Jaffa abreisen (26.4.1915). Ein türkischer Sieg würde sich gegen alle Fremden richten! Becker entgegnet am 12.5.1915:

„Mir sind Ihre Erlebnisse und Eindrücke nicht sehr überraschend und halte ich den ganzen arabischen Besitz der Türkei überhaupt für stark gefährdet, wenn die Türkei nicht endlich damit Ernst macht, die Verwaltung zu arabisieren.“

Und weiter unten heißt es:

„Ich weiß von maßgebender Stelle, daß man bei uns tatsächlich die Absicht hat, das wirtschaftliche Staatsinteresse der Türkei auch gegen die privatwirtschaftlichen Interessen selbst des deutschen Kapitalismus zu schützen, und zwar nicht etwa aus sentimentalen Gründen heraus, sondern weil eine innerlich gestärkte und gekräftigte Türkei auch den wirtschaftlichen Zukunftsinteressen Deutschlands mehr entspricht.“

Im Juni 1915 ist ein ägyptischer Nationalist, Scheich Schawisch, Vertrauensmann Enver Paschas, in Berlin. Becker berichtet vom Frühstück mit diesem Abgesandten Folgendes (14.6.1915)

„Aus Unterhaltungen mit ihm gewann ich die Bestätigung meiner alten Ansicht von der allzu großen Fairheit unserer auswärtigen Politik vor dem Kriege. Hätten wir, seinem Rate folgend, rechtzeitig Waffen in orientalische Gebiete eingeschmuggelt, was England und Frankreich ganz gewohnheitsmäßig tun, so wäre der Aufruf zum Djihad wirkungsvoller gewesen. Erschreckend ist vor allem der Hochmut der Jungtürken, nur wenige ganz fähige Köpfe sehen die eigenen Fehler ein.“

Interessant auch im gleichen Brief die Erörterung der Kriegsziele Deutschlands.

In seinem Brief aus Anatolien (23.5.1915) berichtet Ritter von einer verheerenden Heuschreckenplage, die neben der Ernte auch den Eisenbahnverkehr sabotieren – die Räder drehen einfach durch… Etwas weiter unten wird von der Ansiedlung von Bosniern gesprochen; vor allem aber von den Armeniern:

„Der Haß gegen die Armenier ist groß. Wenn der türkische Bauernjunge gerade so alt wird, daß er was lernen und schaffen könnte, wird er Soldat, und bei dem ununterbrochenen Kriegszustand, in dem sich die Türkei befindet, können wir jetzt, wo wir Ähnliches bei uns erleben, wohl vorstellen, welche schweren wirtschaftlichen Folgen diese Dauerabwesenheit der arbeitsfähigen Mannschaft haben muß. Was Greise, Frauen und Kinder ersparen können, schicken sie dem Vater und Sohn ins Feld. Etwas besser ist es seit der Abschaffung der 8jährigen Dienstzeit Abdul Hamid’s geworden, doch der Übelstand ist immer noch groß, weil der Staat jedes Jahr Krieg führt, sei es gegen den Westen, gegen Jemen, gegen Kurden oder sonst etwas.“

Balkankriege vor 1914
Balkankriege vor 1914

„Der Armenier sitzt derweil zu Haus, kriegt viele Söhne, jeder macht einen Laden auf und wird dick und reich, während sein gleichaltriger türkischer Nachbar des Sultans Rock trägt. Eine üble Folge des alten Gesetzes. Doch beginnt man jetzt schon, Christen und Juden einzustellen, was im Offizierskorps schon länger der Fall war.“ (24.5.1915)

Aus Kara Burnu in Anatolien schreibt Ritter (5.8.1915):

„Von den Armeniern wird nicht mehr viel übrigbleiben, welch wirtschaftlich kurzsichtige Politik! … Ein deutscher Unternehmer war im Taurus, ob man an den Wasserfällen eine Spinnerei machen könnte. Er kam enttäuscht zurück: Wasserkraft genug, aber keine Menschen.“

Ende Juli 1915 schreibt Ritter aus Stambul (28.7.1915) über die Türkei:

„Je tiefer man hineinsieht in die Verhältnisse dieses Landes, desto klarer wird einem, daß man die Fähigkeiten der Türken zu eigener selbständiger Vorwärtsentwicklung nicht tief genug einschätzen kann. Hoffentlich richtet Jäckh (Deutsch-Türkische Vereinigung in Berlin. Der Herausgeber) nicht zuviel Unheil an! Ein Bündnis mit der Türkei! Die ist überhaupt nicht bündnisfähig für uns.“

Im gleichen Brief schreibt er erneut über die „Armenier massacres“:

„Natürlich werden diese Gewalttaten unseres „Verbündeten“ einst uns zur Last gelegt werden. Kompromittieren wir uns nicht mit solchen Dingen! (Quelle F.F. Schmidt und Dr. Hoffmann, Fotos!)“

Am 1.8.1915 berichtet Ritter von Lepsius, der von Berlin gesandt wurde, um sich über die

„Armeniermassacres zu instruieren und reiste entsetzt ab, da alle Befürchtungen und Missionarsberichte weit übertroffen sind. Die Deutsche Bank hat aus Dresden einen Beamten, Herrn Schneider, geschickt, der von der Millionenerwartung der Deutschen Bank, die durch die Metzeleien gefährdet sind, einiges zu retten versuchen soll. Daß unsere Diplomatie versagt, ist selbstverständlich. Prinz Hohenlohe soll eine Note überreicht haben, aber alle Vorstellungen wurden mit zynischem Lächeln beantwortet. Enver soll gesagt haben: Ich weiß, daß wir uns 10 Jahre wirtschaftlich zurückbringen, aber der innere Feind muß ausgerottet werden. Für diese rachsinnige Art und Weise der Hinmordung gibt es keine Entschuldigung.

Daß die Sache nicht religiösem Fanatismus zuzuschreiben sei, wird mir in Zukunft niemand mehr weismachen. Man braucht geradezu den Fanatismus, um diesen „Djihad“ zu entfesseln. Es ist eine Art innertürkischer Panislamismus, für die es nur in Rußland Parallelen, aber hingegen harmlose Parallelen gibt.“

Leider fehlen jegliche Briefe und Tagebuchnotizen aus den Jahren 1916 und 1917.

Erst Anfang 1918 schreibt Ritter aus Nazareth (9.1.1918); am 4.5.1918 bereits aus der Heimat, Niederzwehren bei Kassel. Anfang 1919 ist Ritter Professor am Kolonialinstitut in Hamburg (1.3.1919) und verfolgt seine akademische Karriere, in enger Verbindung mit Becker der ihn weiterhin fördert. Außerdem übernimmt er von ihm die Herausgabe der Zeitschrift „Der Islam“. Rund ein Jahrzehnt nach den Bemühungen Beckers und seiner Mitstreiter, in Hamburg eine Universität zu gründen, erfolgte diese Gründung nunmehr im Jahre 1919 in der Anfangszeit Ritters.

Die Briefe Beckers kreisen insbesondere um die kulturpolitische Rolle des Reiches. Mehrmals reiste er zu den Verfassungsverhandlungen nach Weimar (14.7.1919):

„Es ist furchtbar, daß die Sozialdemokratie in ihrem Doktrinarismus, ihrer Unkenntnis der Verwaltung und ihrem Mangel an Führern die ja in jahrtausende langem Kampf der katholischen Kirche abgerungenen Rechte des Staates mit einem Federstrich preisgibt. Aber das Zentrum ist halt Trumpf und Erzberger Diktator. Die Protestanten haben in ihrer Angst vor Adolf Hoffmann und ähnliche Möglichkeiten sich für ihre Kirche alle Vorteile vom Staate errungen, ohne dem Staat irgendwelche Rechte zu lassen. Was den Einen recht war, war für die Anderen billig. So hat die Katholische Kirche schmunzelnd alle Vorteile mit eingesteckt, die einer evangelischen Landeskirche leider zu bewilligen waren. In Zukunft wird es niemand hindern können, wenn ein spanischer Mönch Erzbischof von Köln wird oder die gemischtsprachigen Gebiete an der Ostgrenze zu einer polnischen Diözese geschlagen werden usw. usw. Alle Beamten haben gewarnt, aber der Dilettantismus der politischen Machthaber ist jetzt Trumpf auf allen Gebieten. Ich versuche aber noch einiges zu retten, aber ich sehe schwarz. Hinter allem steht in letzter Linie im Augenblick der Kampf auf Leben und Tod zwischen Preußen und dem Reich.“

Am 20.3.1920 schreibt Becker an Ritter:

„Der wahnsinnige Husarenritt Kapps hat die Situation fatal nach links verschoben und es wird uns sehr viel Mühe kosten, all das neue gegen Bildung und Bürgertum angehäufte Mißtrauen zu überwinden. Nach solchen Heldentaten darf niemand von rechts mehr den Arbeitern einen Vorwurf machen, wenn sie in ihrer primitiven Denkweise die Konsequenzen aus dem Vorgefallenen ziehen.“

Becker war übrigens kurzzeitig in „Schutzhaft“ und wurde von Oberst Bauer in der Reichskanzlei vernommen.

Neben der gewiß arbeitsintensiven Tätigkeit im Ministerium hält Becker auch immer wieder Vorträge und Vorlesungen. Im Rahmen der Auslandsstudien für zukünftige Diplomaten spricht er über „England im Vorderen Orient“. (15.12.1920)

1925 wird Becker erneut Kultusminister in der Regierung Braun. Ritter schreibt ihm dazu:

„Ich glaube frei von aller Schmeichelei zu sein, wenn ich einmal ausspreche, daß ich Deine Islamstudien… immer noch für das Gescheiteste ansehe, was überhaupt in den letzten 20 Jahren auf unserem Gebiet erschienen ist. Es ist wirklich ein erheblich höheres Niveau als alles andere und auch von den vielen kollegialen Schafsköpfen auch nicht entfernt nach Gebühr gewürdigt.

Du bist der 1. Mann auf unserem Gebiet. Aber warum willst Du nun mit aller Gewalt in Rom der zweite sein? Es kann ja gar nicht gut gehen.“

In der Folge geht Ritter zurück in den Orient, zuerst nach Bagdad (1927), dann nach Istanbul (1928), wo der die Zweigstelle der DMG (Deutsche Morgenländische Gesellschaft) leitet – auf Distanz vom Dritten Reich.

***

Aus dem kulturpolitischen Briefwechsel möchte ich jenen mit dem preußischen Gesandten Denk in München (28 Briefe) und mit dem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (29 Briefe) hervorheben. Der Briefwechsel mit der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei, für die – oder genauer bei der er als Redner auftrat, zeigt, daß er Männern wie Theodor Heuß und Walter Rathenau recht nahe stand, wenn er es auch ablehnte, Mitglied einer Partei zu werden – fühlte er sich doch der Partei der Bildung zugehörig! Daß das keine „Amtsver sicherung“ darstellte, mußte er nach fünf Jahren im Amt feststellen, so daß er 1930 seinen Rücktritt einreichte, nicht ohne zuvor einen tüchtigen Nachfolger, Grimme, empfohlen zu haben.

Als Staatssekretär setzte sich Becker 1922 für eine würdige Verwendung (und Versorgung!) des Ex-Kultusministers Haenisch ein. Und obwohl Braun eigentlich gegen dessen Ernennung zum Regierungspräsidenten war, wurde er es doch letztendlich. Braun hatte eher an eine Lehrtätigkeit an einer Berliner Hochschule gedacht.

Ab 1925, nunmehr Minister eines Riesenministeriums in der Wilhelmstraße, wurde der Kontakt zu Braun enger. All die Pläne Beckers wie Neugestaltung der Lehrerbildung, Pensionsgrenze der Professoren, Reichsschulgesetz, Jugend- und Sportförderung und das Konkordat mit dem Vatikan waren gar nicht durchzusetzen ohne engen Kontakt zum Ministerpräsidenten, den übrigen Kollegen Ministern und nicht zuletzt dem Landtag.

Braun setzte sich diskret für Einzelpersonen ein, wobei parteipolitische Probleme in den preußischen Provinzen überwogen (4.11.1925/17.3.1926; 6.5.1926)). Republikanisches Denken war dort nicht immer gegeben …

Zur Jahreswende 1926 schreibt ihm Becker (30.12.1926):

„Mit Schrecken höre ich, daß Sie ein neuerlicher Unfall betroffen hat. Das drängt mich, Ihnen von Herzen gute Besserung zu wünschen. Damit möchte ich zugleich meine besten Glückwünsche zum neuen Jahre verbinden. Auch Ihrer Frau Gemahlin bitte ich mich und meine Frau freundlichst empfehlen zu wollen. Hoffentlich sind Sie bald nach dem Jahreswechsel wieder wohlauf in unserer Mitte. Ich persönlich danke Ihnen besonders für die mir auch vergangenen Jahre allzeit bewiesene Unterstützung. Auf dem Rücken des armen Kultusministers werden manche der großen geistigen Kämpfe ausgepaukt, die sich nun einmal aus den Spannungsverhältnissen in unserem Volke ergeben. Da war ich oft dankbar erfreut über das Verständnis dieser Situation, dem ich immer bei Ihnen begegnet bin.“

1927 verfaßt Becker eine Denkschrift über das Reichsschulgesetz: „Sie ist ganz auf Versöhnung gestellt, ohne etwa Konzessionen an den Konfessionalismus zu machen.“ (28.8.1927)

Auch die Neuordnung des Studentenrechts steht im gleichen Jahr auf der Agenda (21.9.1927).

Die Studentenschaft war vorsichtig ausgedrückt nur in geringem Maße republikanisch, um nicht zu sagen deutschnational bis reaktionär gesinnt. Die Kontroverse um das Grußtelegramm des Reichsinnenministers von Keudell führte zu einem Protest Brauns bei der Reichsregierung, in dem er mit dem Abbruch „jedes dienstlichen Verkehrs“ droht. (30.11.1927) Die Regierungserklärung Brauns nach den Landtagswahlen vom Juni 1928 wurde in dem kulturpolitischen Teil von Becker verfaßt (7.6.1928). Dabei wird die rechtslastige Haltung der Presse deutlich, denn Braun beschwert sich darüber,

„daß der Rechenschaftsbericht der Regierung nicht in alle Kreise der Wählerschaft gedrungen (sei), da zahlreiche, vornehmlich rechtsstehende Blätter in Verkennung ihrer journalistischen Pflicht den Abdruck der Regierungserklärung unterlassen und damit den Lesern vorenthalten haben. Die Regierung war daher gezwungen (von Becker eingeklammert: um dieser journalistischen Sabotage wenigstens einigermaßen entgegen wirken zu können) auf andere Weise und auch unter Verwendung von Staatsmitteln dem Bericht die weitmöglichste Verbreitung zu geben.“

1929 setzt sich Braun für die Berufung Hans Kelsens an die Universität Frankfurt/M ein, da dieser in Wien „durch die nationalistische und antisemitische Einstellung gewisser Studenten- und Dozentenkreise… in seiner Lehr- und Forschungstätigkeit … beeinträchtigt wird.“ (26.9.1929)

Am 30.1.1930 tritt Becker zurück:

„Die politische Entwicklung der letzten Zeit hat mich zu der Überzeugung gebracht, daß die Auffassung führender Parteien von der Bedeutung der großen kulturellen Aufgabe meines Ministeriums so stark im Geiste abweicht, den ich in langen Jahren mühevoller Arbeit im Dienste der geistigen und politischen Erstarkung der deutschen Republik zu verwirklichen bemüht war, daß für mich eine gedeihliche Wirksamkeit nicht mehr gegeben ist.“ (30.1.1930)

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Mit dem Pädagogen Wilhelm Flitner verband Becker der Aufbau der Pädagogischen Akademien; 1926 war Flitner an der Pädagogischen Akademie im preußischen Kiel als Dozent tätig und bekam einen Ruf an die Universität Leipzig; doch verstand Becker es wohl, ihn in Preußen zu halten, denn wir sehen Flitner 1932 in Altona; auch fuhr er im gleichen Jahr mit Becker zum Internationalen Pädagogenkongreß in Nizza, wo Becker über seine Chinareise 1931/32 seinen Rapport machte – Flitner aber den Hauptvortrag halten sollte. Allerdings war die Finanzierung der Reise nicht unproblematisch – schließlich befand man sich mitten in der Weltwirtschaftskrise; doch Preußen und das Reich bzw. das A.A. kratzten dann doch die Mittel zusammen. (Nr. 170, 15.6.1932) Beckers Thema lautete: „Der soziale Wandel und die Erziehung unter dem Gesichtspunkt der Verschiedenheit der Völker.“

In seinem letzten Brief an Becker fragt sich Flitner (Nr. 34, 7.2.1933),

„ob die Kirche, von der im Humanismus nicht die Rede ist, wirklich so vergangen ist, wie es hier scheint. Weder die Sowjets noch die Amerikaner noch diese neuen Mythosleute wie Helbing wissen noch um sie und um die neue, unsichtbare Kirche, die doch die Substanz dessen enthält, was Blut, Leib, Mythos nicht geben und was da sein muß, bevor ein Humanismus kommen kann, es zu verfeinern. Die Konfessionalität der Akademien … war wohl die Grundlage ihres praktischen Humanismus, und jene Konfessionalisierung, die politisch notwendig wurde, hat wirklich nicht zufällig jener Idee des neuen Humanismus das Fundament gegeben.“

Die grandiose Idee der Pädagogischen Akademien wurden 1933 für 12 Jahre NS-Diktatur auf Eis gelegt – feierte aber nach 1945 mit Männern wie Flitner, Wende und Grimme ihre Wiederauferstehung.

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Die Korrespondenz Beckers mit der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei (Nr. 75-93) zeigt zwar Beckers Nähe zu ihr, auch setzte sich Becker zuweilen für sie ein (Nr. 79-83) – doch war er nie ihr Mitglied.

Robert Jansen MdL-Aachen sandte dem Ministerium einen Brief, den Fritz Brüggemann von der Technischen Hochschule Aachen an Marie-Elisabeth Lüders geschrieben hatte (Nr. 75). Hierin geht es um die „Verwelschungsgefahr, wenn die Zollregelung zugunsten der Franzosen verändert würde:

„Wir werden wieder von französisch sprechender Zivilbevölkerung überschwemmt, die zu Handelszwecken nach Aachen kommt, das ganze Wirtschaftsleben muß sich wieder auf die französisch sprechende Kundschaft einstellen, kein junges Mädchen und kein junger Mann kann dann wieder eine Anstellung finden, der nicht der französischen Sprache mächtig ist.“

Usw. Ziel ist es, den Historiker Prof. Dr. Herrmann (früher Posen) nach Aachen zu holen, dessen Bleiben in Polen ja nicht mehr möglich war. Becker habe „meinen Vorschlag, wie er weiß, lebhaft begrüßt.“ Dies wirft nur ein kleines Schlaglicht auf die „Volkstumskämpfe“ nach Versailles im Westen wie im Osten, die schon an anderer Stelle sichtbar wurden.

1926, nunmehr seit über einem Jahr Kultusminister Preußens, hält Becker auf dem Herbstfest der DDP im Berliner Sportpalast (Nr. 84, 16.10.1926) eine Rede, worin er ein Résumé der vergangenen Jahre der jungen Republik gibt.

„Als die alte Staatsautorität zusammenbrach, gab es nur ein Mittel, eine neue Rechtsbasis zu schaffen, und dieses Mittel war der demokratische Gedanke. Danken wir unserem Schicksal, daß das deutsche Volk, viel mehr als es das selber wußte

bis in das tiefste Innere hinein demokratisch gesonnen war, daß es willig das rettende Majoritätsprinzip anerkannte,

daß die überstimmte Minorität sich zwar grollend aber tatsächlich unterordnete,

und daß ach die Opposition sich die demokratische Methode aneignete.

So wurde die deutsche Republik geboren, von den einen umjubelt, von den anderen gehaßt, von der großen Menge aber verstandesmäßig anerkannt. Die aus der Not geborene Republik, die aus der Asche des Kaiserreiches entstand, hatte es schwer, ihren Phönixcharakter zu erweisen, suggestiv die Herzen höher zu stimmen, und sich liebenswürdig zu machen. Im politischen Leben entscheidet nun einmal der Erfolg; nur er gewinnt die Herzen, und so wächst der republikanische Gedanke mit den beginnenden Erfolgen. (…) Und wenn dabei die Opposition alles Erreichte herabmindert oder überhaupt verschweigt, und dabei gern den Namen des Freiherrn vom Stein und den Aufstieg Deutschlands im Anfang des vorigen Jahrhunderts als Parallele anführt, so darf doch nie vergessen werden, daß niemand die Wiederaufbaupolitik des Freiherrn vom Stein so erschwert und bekämpft hat, als gerade die Kreise, die auch heute wieder in Opposition stehen.“

Deutlicher kann man sich wohl nicht von den Deutschnationalen abgrenzen!

„Wir haben unser Schicksal selbst in die Hand genommen, und es ist undenkbar, daß die gewonnene Freiheit jemals wieder dem Autoritätsverhältnis von ehemals weichen könnte.“

Wie sollte Becker sich täuschen: die Entmachtung Preußen 1932 durch den Papen-Coup und die Hitler-Diktatur beseitigte nur allzu gründlich alles Gewonnene.

Für 1928 kündigt Becker einen Vortrag vor der DDP-Naumburg an mit dem Thema:

„Preußisch-deutsche Kulturpolitik seit der Staatsumwälzung.“

Interessant ist ein programmatischer Brief der DDP-Pillau (Ostpreußen) an

Becker (Nr. 89, 18.6.1928), worin

  • gegen die „Sonderrechte der Oberschicht polemisiert wurde;
  • „Riesenvermögen in einer Hand seien zu verhindern;
  • die soziale Frage ist gesetzlich zu regeln;
  • die Republikanisierung im öffentlichen Dienst (Beamtenschaft, Reichswehr) ist sofort und rücksichtslos durchzuführen.“

Lieber solle man sich mit der SPD vereinigen als mit der DVP (Deutsche Volkspartei), das betrachte man als „Verrat“.

Einen Vortrag in Augsburg (wo der Schwiegervater Beckers Bankier war), lehnte er 1929 hingegen ab; er will sich nicht exponieren (Nr. 91/92).

Die DDP-Breslau schreibt zum Rücktritt Beckers (Nr. 94, 1.2.1930): „Ihr Ausscheiden aus dem Ministerium bewegt uns schmerzlich.“

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Der Briefwechsel mit der Deutschen Kolonialgesellschaft 1909-1933 (Nr. 95-103) ergab sich aus Beckers Tätigkeit am Hamburger Kolonialinstitut 1908-1913. So bittet er 1909 um eine Unterstützung der „Enzyklopädie des Islam“, einer internationalen Unternehmung (Nr. 95) – mit Erfolg (Nr. 97).

Im folgenden Jahr hält er vor der DKG einen Vortrag zu dem Thema „Die Araber als Kolonisatoren“.

Auch vor der Filiale der DKG in London hielt Becker 1911 einen Vortrag: „Der Islam und die Kolonisierung Afrikas.“

1931 tritt Becker aus der DKG aus. (Nr. 103)


1 Formal zum Osmanischen Reich gehörend, wird Ägypten am 18.12.1914 britisches Protektorat; zuvor schon im November Zypern!

2 Nach einem russischen Vorstoß Januar bis April 1916 in Armenien und Persien wird Türkisch-Armenien im August 1916 zurückerobert. Der Herausgeber (nach dtv-Weltgeschichte 2)