Dr. Bredow, 1924/25

HA VI. Nl. C.H.Becker. Rep 92 Becker B. Nr. 7989

566.  Dr. Bredow an C.H.B. Berlin, 6.5.1924

Der Staatssekretär im Reichspostministerium

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Staatssekretär!

Seit der Einführung des rundfunks ist das Funkwesen aus seiner früheren Abgeschlossenheit herausgetreten und Allgemeingut des deutschen Volkes geworden. Trotzdem wir erst am Beginn der neuen Entwicklung stehen, ist schon jetzt unverkennbar, daß die Massenverbreitung von Nachrichten sowie künstlerischen und belehrenden Darbietungen einen Einfluß auf das kulturelle und wirtschaftliche Leben unseres Volkes ausüben wird, dessen Auswirkungen unübersehnbar sind.

Die Verwendung der drahtlosen Telephonie als Nachrichten mittel für alle stellt der technik und der wissenschaftlichen Forschung neue Aufgaben in großer Zahl, von deren Lösung es abhängig ist, ob Deutschland sich auf diesem Gebiet die Stellung erhalten kann, die deutsche Forscher und Techniker ihm bisher gesichert haben.

Im Auslande, besonders in Amerika, England und Frankreich, ist die Industrie in der Lage, große Mittel für die Forschungszwecke aufzuwenden, die ausländischen Forschungsstätten verfügen über genügend Hilfsquellen; die deutsche Industrie muß dagegen um ihre Existenz kämpfen und sich auf das Notwendigste beschränken, während die wissenschaftlichen Institute nicht einmal in der lage sind, die früheren Aufgaben durchzuführen, geschweige denn neue zu übernehmen.

Will Deutschland in der Weiterentwicklng seines Funkwesens sich in Zukunft nicht ganz vom Auslande abhängig machen, so muß es versuchen, nter Aufwendung von wenig Mitteln möglichst viel zu erreichen. Das ist nur möglich, wenn Wissenschaft und Technik eng zusammenarbeitet und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden.

Zur Durchführung dieses Gedankens bedarf es einer Stelle, die unsere besten wissenschaftlichen und technischen Kräfte zu gemeinsamer Arbeit zusammenfaßt. Mit dem Vorschlage, zu diesem Zwecke eine Heinrich-Hertz-Gesellschaft zu gründen, wollen wir gleichzeitig die Ehrenschuld abtragen, die das Funkwesen der ganzen Welt unserem Landsmann schuldet.

Die Heinrich-Hertz-Gesellschaft soll u. a. folgende Aufgaben übernehmen:

    1. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und technik zu fördern und anregend auf die Forschung zu wirken.
    2. Durch Heranziehung von Förderern Geldmittel für Forschungsarbeiten zu sammeln.
    3. Forscher und wissenschaftliche Institute zu unterstützen.
    4. Besondere Leistungen zu belohnen.

Ich bitte Sie um Ihre Mitwirkung und würde es sehr begrüßen, wenn Sie dem Ehrenausschuß beitreten würden, der die Gründung vorbereitet.

Um baldige Antwort wird gebeten, da die Gründung bereits für Ende Mai in Aussicht genommen ist.

Mit vorzüglicher Hochachtung

(gez.) Dr. Bredow.

Anmerkung Beckers vom 8.5.: Herrn Min. Dir. Krüß zur gefälligen baldigen Äußerung.

 

567. C.H.B. an Dr. Bredow. Berlin, 27.5.1924

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Staatssekretär!

Auf das gefällige Schreiben vom 6. d.M. teile ich Ihnen ergebenst mit, daß ich gern bereit bin, dem Ehrenausschuß der neu zu gründenden Heinrich-Hertz-Gesellschaft beizutreten.

Mit vorzüglicher Hochachtung (CHB)

 

568. Dr. Bredow an C.H.B. Berlin, 7.7.1924

(Maschinenmanuskript)

Betr.: Heinrich-Hertz-Gesellschaft

Sehr geehrter Herr Staatssekretär!

Mit gleicher post überreiche ich Ihnen Werbematerial für die Heinrich-Hertz-Gesellschaft mit der Bitte, in den Kreisen Ihrer Freunde die Werbung freundlichst aufzunehmen. Weitere Exemplare der Werbedrucksachen stehen auf Anforderung gern zur Verfügung.

Mit den besten Empfehlungen Bredow (Namenstempel!)

 

569. Dr. Bredow an C.H.B. Berlin, 28.12.1925

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Zu meinem Bedauern höre ich, daß Sie aus gesundheitlichen Gründen die für den 7. Januar aus Anlaß der Eröffnung der pädagogischen Rundfunkvorträge in Aussicht genommene Einführungsansprache nicht persönlich halten können. Wie ich von Herrn Geheimrat Pallat hörte, würden Sie jedoch bereit sein, in diesen Tagen eine Schallplatte zu besprechen, mit deren Hilfe dann die Verbreitung vorgenommen werden könnte. Ich habe daher veranlaßt, daß die Telegraphie G.m.b.H., System Dr. Stille, Viktoriastraße 33 I., ihr neues Besprechungsverfahren zu diesem Zweck zur Verfügung stellt. Die Aufnahme kann im Laboratorium der Gesellschaft nach vorheriger Benachrichtigung des Leiters, Dr. Stille, Fernsprechnummer Nollendorf 7595, zu einer Ihnen genehmen Zeit erfolgen.

Mit dem aufrichtigen Wunsche, daß Ihr Erholngsurlaub Ihnen volle Genesung bringen möge, bin ich, sehr verehrter Herr Minister, Ihr sehr ergebener (gez.) Bredow.

Anmerkung: Terminnotiz: Donnerstag 10.15 h

Anmerkung des Sekretriats: Die Rede des Herrn Ministers siehe unter Akte: Reden.

Erich Wende, 1918-26

Aus dem Privatarchiv von Michael Becker, Berlin
(134 Seiten Maschinenmanuskript der Briefe in Auszügen von E. Wende1)

438. 29.8.1918

Ich sende Ihnen zwei Bücher, die mir in letzter Zeit viel gewesen sind, Erotik der männlichen Gesellschaft ging heute ab, Max Schelers Ursachen des Deutschenhasses folgen morgen. Über Blüher sprachen wir auf unserer letzten gemeinsamen Fahrt. Man kann das Buch nicht herumliegen lassen. Es gärt vor Unreife, es ist unkünstlerisch und gelegentlich in seiner Stilmischung geschmacklos, aber es steckt ein mutiger Mensch dahinter, der in Tiefen leuchtet, die sich sonst verschließen. Eine wilde, echte Ethik. Daneben der katholische Philosoph,

glänzend, originell, geistig zwingend, alte Probleme in neuer Form, auch sehr tief; je weiter man liest, um so fesselnder. Ich bin von beiden Büchern nicht losgekommen und habe von beiden mehr als einen geistigen Hauch mitgenommen. Ich gönne sie Ihnen.

 

439. 29.8.1918

Ein kleines Erlebnis war der Besuch des Führers der Marburger Studentenbewegung Schüller, den mir Smend brachte. Ein Mensch, der ganz Auge ist. Ethisch radikal. Drei Forderungen stellt diese Jugend: Mehr Behandlung von Grundfragen der Kultur, Bildung, Politik, Pädagogik usw. auf den Universitäten und zwar in Diskussionsformen ohne Lehrautorität von Seiten der Letzteren. Dafür muß Platz geschaffen werden durch

  1. Mehr Behandlung von Grundfragen der Kultur, Bildung, Politik, Pädagogik usw. auf den Universitäten und zwar in Diskussionsformen ohne Lehrautorität von Seiten der Letzteren. Dafür muß Platz geschaffen werden durch
  2. Entlastung der Studienpläne vom Historismus und sonstigem Ballast.
  3. Kampf gegen die Korporationen, ihre Ethik und ihren Geist.

 

440. 8.9.1918

Ich habe diese Woche wieder so viel zu arbeiten gehabt, daß ich wenig zum Nachdenken gekommen bin, und das ist alleweil schade. Um so mehr habe ich unter der Unvollkommenheit unserer ministeriellen Maschine gelitten. Sie knarrt. Ohne völligen Umbau ist sie für die Aufgabe der neuen Zeit nicht brauchbar. Darüber war ich mir mit Smend ganz einig. Der Chef2 hat große Ziele, wirkliche Ideen und viel Initiative. Mit der Ausführung aber hapert’s. Nun will er in der großen Frage der Reorganisation der Technischen Hochschule sei eigener Referent sein – das ist undenkbar und gefährdet die ganze Reform. Mit dem halben Ministerium kann er nicht einen doppelten Aufgabenkreis zwingen. Um was für Fragen es sich handelt, wurde mir mal wieder klar, als ich das Programm für die Hochschulkonferenz aufstellte – ein netter Speisezettel. Was mich selbst betrifft, so leide ich darunter, daß ich alle großen Aufgaben immer nur anhauen kann und dann wieder beiseite schieben muß. Eigentlich ist ja herrlich, was es alles zu tun gibt. Nur Ellenbogenfreiheit und Zeit zum Nachdenken! Abends bin ich zu müde, und es stört den Schlaf, den ich doch so brauche! Immerhin lese ich dann noch, in dieser Woche fast ausschließlich über französische Kulturpolitik. Ja, die haben’s los. Was sind wir doch für große Hampel ihnen gegenüber. Ich las ein Buch über französische Schulpolitik, also Kulturpolitik nach innen, Volksschule, Höhere Schule. Geistige Vorbereitung des Krieges. Ich lernte etwas ganz anderes daraus, als der Verfasser bezweckte. Nie wurde mir der Nachteil des Bundesstaates so klar, dazu Überfluß an Tüchtigkeit und Mangel an Ideen bei uns. Die Reichseinheit war unsere einzige gemeinsame Idee! Nach ihrer Erfüllung – vacat! Wir müssen erst einmal ideell zur Nation werden. Die Erziehung des Preußen, Bayern usw. zum Deutschen muß die Grundfrage unserer ganzen inneren Schulpolitik sein. Bisher erziehen wir den Preußen zum Menschen – bestenfalls, meistens aber zum Preußen und zwar nicht einmal zum Vollpreußen sondern zum Spezialisten. Hier muß ein großer Wille bei uns einziehen. Wir aber schlagen alle Ideen mit Akten tot.

… Das ganze System ist falsch und leider nicht nur bei uns, auch an anderen wichtigen Stellen. Das Schlimmste aber ist die ganze Struktur des Reiches. Gebe der Himmel, daß wir die unentbehrliche Synthese finden zwischen dem geistigen Reichtum der einzelnen Staaten und der Einheit des Staatsgedankens, der allein die Nation erzeugt.

 

441. 15.9.1919

Mich beschäftigt der Fall Richter. Bitte benutze die ruhigen Tage, die Du jetzt hast, Dir folgenden Gedanken zu überlegen. Richter hat mir gestanden, daß er am Nordischen Institut seine Liebe zur Verwaltung entdeckt habe. Machen wir ihn jetzt zum Direktor des Nordischen Instituts, so wird er sich dort festbeißen und kommt auf die Dauer auf das nordische, d.h. auf das falsche Gleis. Andererseits sehe ich, daß wir hier einen Menschen brauchen, der Dich ständig vertreten kann. Was denkst Du über Richters Einberufung als Dein Hilfsarbeiter? Vor zwei bis drei Monaten bist Du in dem Gedanken erschrocken und hastgemeint, dann müsse er Personalreferent werden. Inzwischen ist Deine Selbstsicherheit doch gewiß gewachsen. Ich möchte, daß Du als Vortragender Rat auch Deine Hand über Nachfolge Helfritz 3(die Fakultät stimmt freudig zu) halten solltest, da er einen tüchtigen Assessor empfohlen hat. In der Hauptsache aber wärest Du der Personalreferent, aber er könnte Dir sehr nützlich sein, vielleicht nützlicher als irgend jemand sonst. Bei seiner Jugend kommt seine definitive Anstellung ja vor 5-6 Jahren nicht in Frage, und bis dahin hat sich viel verschoben. Er kann, wenn jetzt sein zweites Buch heraus ist, auch wieder Professor werden wie Helfritz. Du müßtest aber unbedingt sein Vorgesetzter sein, und Du kannst das. Richter kann arbeiten. Wäre es nicht eine unendliche Entlastung für Dich? Gelt, Du verstehst mich recht. Hast Du Bedenken, oder gehst Du nicht freudig darauf ein, so ist die Sache für mich erledigt, denn Du bist mein Vertrauensmann und der, der es machen muß. Nur mußt Du Dir dann selbst für einen Vertreter sorgen. Du hast ganz freie Hand. Es ließe sich ein Zusammenarbeiten zwischen Richter und Dir (mit mir als Abteilungsleiter) denken, wie ich es mir nicht besser wünschen kann. Du brauchst nicht so bescheiden von Dir denken, Du wirst Herr der Situation sein, glaube mir’s. Es versteht sich von selbst, daß ich mit und niemandem von der Sache gesprochen habe. Richter hat keine Ahnung; es kam nur bei unserem Beisammensein einmal in einer für seine Gescheitheit überraschenden Primitivität zum Ausdruck, wie ihm eine Berufung ins Ministerium als eine wahre Lebenslösung erschien.

 

442. 10.8.1919

Man muß jetzt auch zu sehr aufpassen mit der Vielgeschäftigkeit auf Seiten des Reiches. Über das Schulkompromiß bin ich mir auch nicht klar. Ich will mich jetzt gründlich darüber belernen. Das Stenogramm habe ich zweimal gelesen. Auch H(aenisch)’s4 Artikel. Ich kann dem Beschlossenen die Bedeutung nicht beimessen, da das Gesetz ja erst kommt, und da vielleicht eine ganz andere Kombination möglich ist. Ich halte (im Sinn meines zweiten Büchleins) das Zusammenarbeiten zwischen Sozialdemokratie und Zentrum für das Wichtigste5. Was die Demokraten wollten, war doch eine Vergewaltigung und ein echtes Produkt des alten Liberalismus, der – so schön er klingt – nun einmal in unsere Zeit nicht mehr paßt. Zentrum und Sozialdemokratie werden von dem Zwang zur Zusammenarbeit zu einer Milderung der Gegensätze geführt. Das ist bedeutungsvoller als alles andere. Haenisch ist in dieser Hinsicht noch zu sehr Demokrat.6

 

443. 10.8.1919

Betr. Gründung der Universität Köln

Die Bonner Stellung zu Köln ist wirklich lächerlich. Man kann die ganze Aufmachung des Festes (100jähriges Jubiläum der Universität Bonn) begreifen, daß die Rheinländer die Bonner Universität als Fremdkörper empfinden.

 

444. 19.8.1919

Ich will Dir nur sagen, daß es mir immer klarer wird, daß ich die Abteilung in Zukunft doch werde selbst übernehmen müssen. Mache Dir einmal klar, in welche Lage ein neuer Direktor mit selbständigen Ideen unter mir als Unterstaatssekretär kommen würde. Richter-Zehlendorf hält die Idee für möglich, wenn er auch einen Dirigenten unter mir für wünschenswert hält. Ich bin mehr für möglichste Selbständigmachung der Referenten, müßte natürlich persönlich von der Sichtung der Eingänge befreit werden. Helfritz7, der jetzt am objektivsten urteilen kann, hält die Lösung für einfach ideal. Er hat mir einen Regierungsassessor Voigt in Hanau, Sohn eines Provinzialschulrats, für seine Nachfolge empfohlen und meinte, Du würdest glänzend mit ihm arbeiten. Es ist ein Mann mit einer „Zwei“ in beiden Examina und soll ein reizender Kerl sein, dabei ein Arbeitstier und reich an Initiative. Auch Helfritz fand den Gedanken, ihn zunächst Dir zu unterstellen, glänzend. Natürlich mußt Du dann auch in den Personalibus eine Entlastung haben. Unsere Briefe über dieses Thema haben sich ja gekreuzt. Eben kommt Dein langes Schreiben vom Sonntag, das im Folgenden noch nicht berücksich-tigt ist.

Aber ich halte es für absolut notwendig, daß der Personalreferent auch seine Hand über das Generalienreferat hält, und es würde sich dann der schöne Zustand entwickeln, daß Du zum verantwortlichen Träger der beiden Aufgaben wirst, die mich für die nächsten Jahre am meisten interessieren werden. Wenn Heymann kommt, wird er doch nur vorübergehend hier sein und ständig mit Dir zusammenarbeiten müssen. Ich könnte mir denken, daß Du durch ein solches Arrangement wirklich frei würdest für die wesentlichen Aufgaben. Den ganzen Kleinkram nimmt Dir dann unser gemeinsamer Freund ab oder der, dem Du den Vorzug gibst. Es ließe sich über dieses Thema mancherlei sagen, was ich lieber einer mündlichen Aussprache vorbehalte.

 

445. 25./26.8.1919

H.(Haenisch) verlangt jetzt Rücktritt von Naumann8; will aber an mich nicht heran, noch nicht.. Krückmann, von Lezius und mir eingeweiht, wird H(aenisch) zunächst Coburg aus-reden; dann soll Kraus (nicht eingeweiht) Urlaub erzwingen, etwa ab 10. oder 15. September. Dann muß es weitergehen. H(aenisch) will N(aumann) à la suite des Ministeriums stellen wie Reinh(ardt). Er bleibt Direktor des Kleinkrams und empfängt Besuche. Ich glaube, das geht.

Abends 7 ½ (Uhr) – noch immer im Ministerium. Heiße Staatsministerialsitzung, wo ich wie ein Löwe gegen David und H. Schulz kämpfen mußte. Ich sprach sehr deutlich. Es endete aber doch im Interesse des Friedens damit, daß ich übermorgen nach Oberhof fahre und H(aenisch) die Vertagung der Würzburger Vorbesprechung vorschlage. Mir sehr lieb; denn es wird jetzt zu viel. Mit beiden Herren mich privatim gut verstanden. Sie sind beide vernünftiger und verwaltungsmäßig brauchbarer wie Haenisch. H(aenisch) hat damals in erstem Ärger einen schweren taktischen Fehler gemacht. Vorwand, daß am 11. September der Budget-Ausschuß bei uns beginnt.

 

446. 16.7.1920

(Aus dem Urlaub in Gelnhausen)

Das Deutschtum im Ausland ist mir augenblicklich ebenso gleichgültig wie Nicolai und Ed. Meyer. Zu Letzterem habe ich über etwaige Folgen gesagt: „Ich vermute, daß N(aumann?) aus dem Urteil des Senats die Konsequenzen ziehen wird; Derartiges hat er selbst gesagt. Es wäre vielleicht auch das Beste. Aber die Regierung muß unter allen Umständen ihn stützen und halten, wenn er weiter lesen will.“

 

447. 26.8.1920

(Postkarte aus Frankfurt)

Hier klappte es wenig, da Schellenberg9 im letzten Augenblick erkrankte und das Prov(inzialschulkollegium) nicht unterrichtet war. So besichtigte ich allein eine Studienanstalt und ein Realgymnasium. Die höheren Töchter interpretierten mit Grazie … es war bei den gasten, den Vorläufern der Rumänen. Auch sonst lernte ich mancherlei; Englisch in Oberprima: Heroes Worship von Carlyle – The prophet as hero. Auf Bitten des Direktors hielt ich eine englische Ansprache. Ich mußte einfach. Denn er sagte gleich beim Eintritt: This gentleman has seen almost the whole world. He will tell you something. Immerhin mußte ich das tadellose Englisch der Buben und ihre sichere Handhabung in der Konversation bewundern. Die Eindrücke waren doch etwas besser als in Gelnhausen.

 

448. 6.2.1921

Der Minister10 schreibt jetzt in jedem Brief, man möge sich an seinen Nachfolger wenden. Dabei soll aber unter allen Umständen David noch in Frankfurt in Lebensstellung unter-gebracht werden. Ich schreibe darüber an Gerlach (früherer Ministerialdirektor der Geistlichen Abteilung im Kultusministerium, jetzt Vorsitzender des Kuratoriums der Universität Frankfurt). Bitte sprich Du mündlich das Nähere durch. Man könnte ihn finanzieren ½ Uni-v(ersität) ½ Arb(eiter) Akad(emie), natürlich nicht gleich pensionsberechtigt. Der Form nach Hon(orar) Prof(essor) mit Lehrauftrag. Aber es muß davon leben können. Ich finde es ja scheußlich, daß unsere Reichsminister jetzt alle betteln gehen müssen, aber vor dem Schlimmsten muß man sie bewahren, und David scheint vor dem Schlimmsten zu stehen. Dabei ist er zweifellos einer der Gebildetsten der ganzen Gesellschaft.

 

449. 11.2.1921

Dieser Tage war ein USPD-Mann, Dr. Norbert Einstein aus Frankfurt, Adresse Franfurter Hof, bei mir, um sich in Sachen Arbeiterakademie über Rosenkranz (richtiger Rosenstock)

Zu orientieren. Er scheint an den Verhandlungen in Frankfurt teilgenommen zu haben und macht einen sehr intelligenten Eindruck. Ein Buch über „Massen – und Führertum“ wird von ihm demnächst erscheinen. Er scheint Vertrauensmann des Metallarbeiterverbandes zu sein und war sehr interessiert Rosenkranz kennen zu lernen. Von Kestenberg hörte ich, daß er ein geschätzter Gewerkschaftsmann ist, doch wußte Kestenberg über die Grenzen seines Einflusses nicht genau Bescheid. In Frankfurter Kreisen hätte eine gewisse Reserve gegen ihn be-standen. So viel zu Deiner Orientierung. Ich habe ihm in Aussicht gestellt, daß Du Dich mit ihm in Frankfurt in Verbindung setzen würdest, um eine Bekanntschaft zwischen ihm und Rosenkranz herbei zu führen. Ich halte für richtig, um die Zustimmung des Metallarbeiterverbandes zur Ernennung von Rosenkranz zu erhalten.

Ich wäre Dir dankbar, wenn Du Dich in Sachen Berufung des Oberbürgermeisters Luther nach Marburg schnell entschließen könntest. Die Fakultät ist nämlich zu Ersatzvorschlägen für Schücking aufgefordert, und ich müßte jetzt in den allernächsten Tagen Bredt einen Wink geben, daß er Luther von sich aus vorschlägt.. Wenn Du das von Dir aus tun willst, ist’s mir natürlich auch recht.; aber es genügt, wenn Du mir Deine Zustimmung mitteilst, ohne die ich nicht gern vorgehen möchte. In Halle steht also Fleischmann an erster, Apelt an zweiter Stelle. Fleischmann hat sich in Königsberg in letzter Zeit so viel Mühe gegeben, daß wir ihn wirklich nicht sitzen lassen dürfen. Hauptkandidat für Englers Nachfolge ist Diehls; Pax nur hon(oris) causa genannt. Dresden Wetzstein – Schäfers Nachfolger: Hampe, Brandi und noch Einige.

 

450. 31.7.1921

(aus Gelnhausen

Nach Tisch war ich dann etwas fleißiger und las Max Webers Religionssoziologie bis zum Tee, allerdings wieder in der Allee im Liegestuhl. Es ist ein wundervolles Buch, Teile habe ich Hedwig vorgelesen. Auch hat es mich wieder etwas angekurbelt, und ich habe stundenlang wieder ganz unbürokratische Gedankengänge gehabt – nicht etwa Gefühle, die habe ich auch sonst, aber ganz richtige wissenschaftliche Gedankengänge. So habe ich gestern das Einteilungsschema für einen Ende September fälligen Vortrag auf dem Leipziger Orientalistenkongreß über „Islam im Rahmen einer allgemeinen Kulturgeschichte“ konzipiert. Ich will von Troeltschs System einer europäischen Kulturgeschichte ausgehen – solltest Du das Separat noch besitzen wie ich annehme, so wäre ich dankbar für Zusendung – und in einem ersten Teil dagegen Stellung nehmen. Er scheidet die orientalische Welt aus. Ich will nach-weisen, daß man die europäische Kulturentwicklung ohne Einbeziehung zum mindesten der islamisch-hellenistischen Beziehungen und ohne Berücksichtigung der Wechselwirkungen und der Aufgabenkomplexe (Mittelalter bis Orientkrise) gar nicht verstehen kann11. Dann aber – und das war mir das erlösende Neue – will ich in einem zweiten Teil die Gegensätzlichkeiten entwickeln, die Verschiedenartigkeiten der Reaktion in Ost und West auf die gleichen historischen Gegebenheiten, die Andersartigkeit in der Auswahl der assimilierten Teile des antiken Erbes und damit eine rassenpsychologische Typologie darstellen., die meines Erachtens die Basis für jede künftige Kulturgeschichte bilden muß.12 Nicht als ob ich diese Typologie aufstellen wollte oder könnte. Ich meine nur, daß bei der Unmasse des Stoffes doch nicht mehr, oder nicht mehr allein Stoffsammlung und Aneinanderreihung materieller und ideeller Kulturgüter sein darf, sondern daß man versuchen sollte, die verschiedenen Prozesse der Gestaltungskraft, d.h. der produktiven Kraft der einzelnen Völker oder Kulturen gegenüber dem historischen Erbe an einzelnen Beispielen darzustellen, und das werden am lehrreichsten nicht die verschiedenartigsten Kulturkreise, etwa China und Europa, sondern die sich historisch Nahestehenden sein. Wie Max Weber z. B. Calvinismus und Luthertum in seinen ethischen Auswirkungen gegeneinanderstellt! Da kommt was bei heraus. Ich möchte das Gleiche einmal zwischen islam(ischem) und abendländischem Mittelalter tun (also genau das Gegenteil von dem, was ich vor zwanzig Jahren in „Christentum und Islam“ getan habe.) Und das soll dann neben den Ähnlichkeiten und Entlehnungen der zweite Gesichtspunkt sein, von dem aus ich die Einbeziehung zum mindesten des Vorderen – von der Antike abhängigen – Orients in dem Aufbau einer – auch nur europäischen – Kulturgeschichte fordere.13

Du siehst, parerga, Ferienallotria – aber es macht doch Freude und läßt einem die Möglichkeit, eines Morgens wieder als Professor aufzuwachen, gar nicht als so unbegehrenswert erscheinen. Du siehst, ich lege bereits jetzt die Fundamente zur Rationalisierung eines eventuellen späteren Ressentiments. Lieber bliebe ich allerdings, – so ehrlich will ich doch sein, – noch einige Jahre Minister oder doch im Amt; auch das rationalisiere ich mir mit dem Bewußtsein einer gewissen Unentbehrlichkeit. Nicht als ob ich mich realiter unentbehrlich fühlte, aber ideell, d.h. durch die unwägbare Wirkung meines Daseins gerade an dieser Stelle.

 

451. 19.9.1921

(Vor dem Ende seiner ersten Ministerschaft vom 21.4.-7.11.1921)

Das Problem der vollkommenen Umstellung meines äußeren Lebens wird mir wieder einmal aufgedrängt. Ich habe mich so in meine kulturpolitische Arbeit und meine sachliche Mission hineingelebt, daß mich das Scheiden doch bis in die Grundfesten meines Wesens erschüttert. Die mechanische Neuregelung der Dinge wird mich vermutlich ausschalten, und Ihr werdet unter Herrn von Campe einen neuen Kurs steuern. Ich ringe um einen Standpunkt und leide unter dem zermürbenden Zwang der ungewissen Übergangszeit. Manchmal möchte ich mich belächeln, aber manchmal ist mir auch gar nicht zum Lachen … Es ist das erste Mal, daß mein berufliches und vielleicht mein menschliches Schicksal nicht in meiner Hand liegt. Das führt zu einer gewaltigen Konzentration auf mich selbst. Ich kann Dich jetzt fast ganz verstehen in Deinem Drang nach Einsamkeit und doch —

 

452. 1.10.1921

(Vom Orientalistentag in Leipzig)

Am Empfangsabend stellte sich heraus, daß 25 Orientalisten erschienen waren –doch wahr-haft imponierend, wenn alle Philologen und Schulmänner in Jena trotz 50 000 Mark Reisestipendien nur 1200 Teilnehmer gebracht haben. Ich mußte gleich eine Rede halten und traf unendliche Bekannte … Weiter waren anwesend Babinger, Bergsträßer, Schaeder. Sie und Ritter lud ich mir gestern zu Tisch ein, weil sie doch meinen engsten Kreis bilden, und Babinger und Schaeder verkracht waren. Die persönliche Bekanntschaft hat aber sie gegenseitig Feuer fangen lassen, wie überhaupt der ganze Kreis meiner Schüler und Freunde sich sehr zusammenschlossen. Es waren über ½ Dutzend Schüler von mir da. Aber auch an Bonzen fehlte es nicht, Eduard Meyer, Hillebrand-Breslau, Ermann, Steindorff usw. Es herrschte aber eine großartige Stimmung, der Vorstand hatte gut gearbeitet, es gab gar keinen Widerstand, ein paar Frondeure hatten gar nicht zu erscheinen gewagt, sodaß das große Werk der Zusammenfassung der deutschen Orientalistik, das ich vor zwei Jahren angeregt,14 nunmehr zu allseitiger Zufriedenheit funktionierte. Gestern Nachmittag stieg dann mein Vortrag nach fünf Begrüßungsreden und ¾ stündiger Festrede von Brockelmann. Ich bin sehr glücklich über die Aufnahme; denn es war ganz geschlossen, selbst Lüders, dies Fischblut, sprach mich nachher dreimal darauf an und war sichtlich beeindruckt. Die engeren Fachgenossen waren lebendiger, aber auch die alten Historiker wie Weber und Kornemann stimmten mit Wärme zu. Am meisten hat sich wohl Sarre gefreut, obwohl er nichts sagte; denn mein Vortrag bedeutet den Tod des Asiatischen Museum, das den Islam von christlicher und antiker Kunst getrennt und mit China und Japan verknüpft hätte.

 

453. 11.11.1921

(Aus einer Tagung des Hochschulverbandes)

Nach Deiner Abreise holte ich also Krüß15 ab und fuhr mit ihm zur Hochschule. Es waren etwa 100 Professoren und Gäste im Senatsaal, man saß an mehreren Tischen, es gab sehr elegante Brötchen, Bier und Zigarren. Von Spitzen erschien der Landwirtschaftsminister und der Reichstagspräsident, Dulheuer, Schwörer, Wrochem, Pellengahr für das RMI (Reichsministerium des Innern). Schenk hielt (nach kurzer Begrüßung durch Rothe) eine wohlvorbereitete Rede mit allerlei allgemeinen Gedanken, wie eben ein Naturwissenschaftler redet, wenn er etwas von Bedeutung zu einem großen Kreis sagen soll. Immerhin es war aller Achtung wert. Dann antwortete ich – unvorbereitet – in einer längeren Ansprache namens der Hochschulkonferenz (incl. Reich). Ich ging kurz auf die Vorgeschichte des Verbandes, seine Schwierigkeiten, Gegensätze zur Regierung usw. ein, sagte, sie läsen es immer nur in der Zeitung, aber wir bekämen die Prügel, legte dann einige Gedanken über Bildung, Staat und Parteipolitik dar und feierte am Schluß den Verband nicht als Gehaltsausschuß, sondern als akademisches Gewissen des deutschen Volkes.

Nach mir sprachen dann noch Wendorf und Loebe, ersterer Stil Boelitz in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, letzterer sympathisch wie immer. Ich saß neben ihm, und er sprach mich auf meine Redetechnik an. Schon in Kiel habe er’s sich gemerkt, ich redete nicht so allgemein wie die Parlamentarier, sondern ich griffe immer ein Problem heraus und vertiefte das. Das gefiele ihm sehr gut und sei nur nicht ganz leicht, und in diesem Kreis könne er so etwas nicht riskieren. Ist es nicht erfreulich, so fein beobachtenden und anständig denkenden Männern in dieser so unsympathischen Partei zu begegnen?

Gestern Morgen wurde dann endlich der Beschluß über die Zweisprachigkeit der deutschen Oberschule gefaßt.

… Wir kamen dann nach Schluß der Berichterstatter gerade zur Rede von Frau Wegscheider. Boelitz ließ erst vier Redner sprechen und präparierte inzwischen seine Rede, in der auch einige freundliche Worte über mich vorkamen. Bei der zweimaligen Nennung meines Namens gab es ein mir begreiflicherweise wohltuendes „Bravo“ in der Mitte und rechts. –

Wenn Du wiederkommst, bin ich vielleicht fort und zwar in Rom. Eine Idee Bruggers, telefonisch aus Köln übermittelt, Niermann sollte sofort nach Rom fahren. Niermann aber allein ist unmöglich, zumal er weder Französisch noch Italienisch kann. Mir paßt es schlecht, jetzt unmittelbar vor Weihnachten. Aber Eile tut not. So wäre es vielleicht denkbar. Ich ambitioniere diese heikle Mission nicht. In Trier sind aber sehr entscheidende Informationen erteilt worden. Kaas16 informiert sich rückwärts. Es ist jetzt die große Frage, ob das Bayerische oder das Reichskonkordat kaputt gehen wird. Eine Politik können wir nur machen. Ich will jetzt gleich ein kleines Exposé darüber machen. Eine preußische Sondermission zum Papst würde natürlich das Reich sehr verstimmen.

 

454. 15.12.1921

Bode17 beim Minister, um sein Gift gegen Gall zu verspritzen und dem durch die Schenkung seiner drei Bibliotheksmillionen für Museumsbauten entsprechenden Nachdruck verleihen. Ich traf ihn im Vorzimmer, wir sprachen über die Kälte, er meinte, die „innere“ wäre viel schlimmer, die ganzen Museen gingen kaputt, und daran wäre nur Gall schuld. Der Minister, von mir orientiert, empfing ihn allein, hatte den denkbar schlechtesten Eindruck von diesem „galligen“ Greis und war dem Geschenk gegenüber von einer nicht zu übertreffenden Kühle, von der er selbst meinte, daß sie nahe an Unhöflichkeit grenzte. Bode hatte übrigens niemanden eingeweiht und nur tags zuvor bei Mittagessen vor Gästen die fast vom Schlag gerührte Gattin und Kinder von seinen Plänen in Kenntnis gesetzt. Krüß wußte heute Näheres von Bruns. Wir werden die Schenkung m.E. kaum annehmen:

      1. timeo Danaos,
      2. .Familienrücksichten.

Morgen wird sich im Staatsministerium auch der Direktor von U I 18entscheiden. Ich war am Montag mit Boelitz eine Stunde bei von Richter. Er wurde leider durch Dulheuer stark beeinflußt, entschloß sich dann aber nach Rücksprache mit Saemisch, der sehr nett für uns eintrat, die Sache morgen vor das Staatsministerium zu bringen. Die sabotierenden Referenten haben natürlich dafür gesorgt, daß der Etat schon gedruckt ist. Ich sprach nun mit Braun, ließ Siering durch Rammelsberg bearbeiten, habe mich heute mittag bei Deinem Freund am Zehnhof zum Kaffee angesagt. Ich hoffe zu erreichen, daß das Staatsministerium zustimmt, wenn der Antrag aus dem Haus gestellt wird. Sonst erbitte ich feste Zusicherung für den nächsten Etat. Erythopel scheint es verhindert zu haben mit Rücksicht auf abgelehnte Forderungen anderer Ministerien. Als ob hier nicht ein Sonderfall vorläge!

 

455. 2.5.1922

Der Minister hat Deinen Erlaß über die juristische Ausbildung angehalten, will erst noch Vortrag und mit Fraktion reden. Ich habe ihn deshalb mit Krüß etwas umredigiert, d.h. dem Minister seine endgültige Stellung vorbehalten und dem Finanzminister nur auseinandersetzen lassen, von welchen Erwägungen sein Ressort ausgegangen sei. Auch war taktisch unrichtig, daß er anläßlich des Gesetzes über die Abhandlung der Vorbereitungszeit Stellung genommen habe. Das war Haenisch. Nun hoffe ich wird er zeichnen.

 

456. 4.5.1922

Du wirst aus meinem Telegramm an Krüß erfahren haben, daß ich mich nun doch entschlossen habe nach Padua zu fahren, und zwar werde ich aller Voraussicht nach Donnerstag Abend abreisen. Sieh also, daß Du rechtzeitig zurückkommst, damit wir noch ein paar Tage zusammen sein können. Senat und Akademie haben natürlich nicht Schneid außer der Reihe zu tanzen. Es ist aber die deutschnationale Philologenclique, die alles beherrscht. Nernst sagte mir, die Naturwissenschaftler hätte er sehr wohl bestimmen können, aber mit den Philologen wäre nichts zu machen gewesen. (Als Anmerkung geschrieben: Übrigens sagte er mir nach Rücksprache „mit seinen Freunden“, daß er es für das Beste hielte, wenn ich führe. Er wußte nicht, daß die Absicht bestand.) Man ist natürlich lebhaft entrüstet darüber, daß Heidelberg keine Disziplin hält. Mir ist es dagegen sehr angenehm, da ich mir eine bessere Gesellschaft als Bezold – Boll gar nicht denken könnte. Ein ähnliches Telegramm wie an Krüß habe ich auch an Bezold gesandt, um die Herren damit festzulegen. Wen ich als Reisegenossen mitbekomme, ist noch zweifelhaft. Bier hat abgelehnt. So denken wir an Planck, eventuell an Hergesell. Das wird sich erst morgen entscheiden. Ich habe natürlich verlangt, daß ich offiziell von Haniel aufgefordert werden müßte. Das soll geschehen. Ob mich meine Frau begleitet, steht noch dahin. Der Herr Minister hat mir kolossal zugeredet, aber den Ausschlag hat doch der Brief von Bezold gegeben, der wenige Stunden vor dem Krüß`schen Telegramm eintraf.

 

457. 6.5.1922

Heute früh begann ich mit 20-30 Leuten – ein kleines Auditorium übervoll, mehr Leute als Sitzplätze – mein Kolleg. Im Sprechzimmer sprach ich Smend, Harnack19 und Troeltsch.20 Der Vorlesung wohnte Meißner bei und ein Hamburger Kollege mit Frau auf Hochzeitsreise. Auch Heinrich Breuer, der mir tags zuvor einen rührend begeisterten Brief über meinen Leipziger Vortrag geschrieben hatte. Nachmittags stieg dann der Zentralinstitutstee. Achtzehn Personen – die Zimmer machen sich famos, und es kam eine glänzende Unterhaltung zustande. Auch Heinrich Schulz und Spranger erschienen, sowie als Vertreter attachierter Anstalten Dunkmann und Professor Herrmann!


Erstes Wiedersehen mit Italien nach dem Großen Kriege


458. 12./13.5.1922

Ich liege im Bett in Verona:1/2 1 Uhr nachts, noch kann ich nicht schlafen. Da wandern meine Gedanken wieder zu Dir. Nun bin ich wieder in Italien. Der erste Eindruck war stark. Schon die Weinplantagen auf dem südlichen Brenner, der erste in Bozen gekaufte fiaschetto Chiantiwein, die italienischen Leute, die grazilen Menschen, die bizarren Bergformen und dann die Ankunft in Verona. Das ganze Nachtleben des Südens in seinem männlichen Charakter. Café an Café, alles sitzt auf den Straßen, alles verschwenderisch beleuchtet. Rot und weiß blühende Kastanien, Zedern auf dem Platz um einen Springbrunnen, daneben die alte Arena und die öffentlichen Gebäude mit ihren Kolonnaden, die engen finsteren Gassen mit ihrer Architektur, die gerade so in Kairo, in Süditalien oder Spanien stehen könnten. Vor allem aber das Leben auf den Straßen, so ganz anders als bei uns, so viel wärmer, leichter, anmutiger, so viel sinnlicher, aber so viel naiver und anständiger. Was haben wir doch ein so kaltes und nordisches Land. Es packt mich wieder so, dies Italien und mit Wehmut erfüllt mich der Gedanke, daß man nicht jedes Jahr ein paar Wochen hinfahren kann. Die alte Italiensehnsucht des Deutschen, so oft erlebt und seit einigen Jahren verdrängt, sie wacht lebendig auf. Der Weg von Mensch zu Mensch ist hier so viel kürzer, so viel unmittelbarer; man fühlt es, ohne mit jemandem zu sprechen.

Bis zu Beginn des Gebirges hatte ich Berlin nicht loswerden können. Die Brennerfahrt ist doch sehr schön, viel schöner als ich mich entsann. Oder ist man so viel aufnahmefähiger für südliche Schönheit geworden. Macht es die lange Entwöhnung? So entschwand allmählich Berlin in das Nebelmeer des Vergessens. Ich bin ein Italienfahrer und sonst nichts und spüre die Wohltat des weiten Abstandes. Ich hatte das nicht so erwartet und würde Dir sonst energischer zugesetzt haben. Die Eindrücke sind so stark, daß man wirklich aus seinen bisherigen Bindungen gelöst wird. Man lebt ein anderes Leben. Taunus und Schwarzwald sind gewiß schöner als der Grunewald, aber es ist doch schließlich der Ausdruck eines Landes in ver-schiedener Prägung. Italien ist etwas ganz anderes. Vielleicht habe ich es noch nie so stark erlebt. Besonders belebt mich die eigentümliche Sinnlichkeit der Luft und der Menschen. Man ist einmal draußen, wirklich draußen. Gewiß wird man sich selbst nicht los, aber man wird abgelenkt, daß man sich selber vergißt und ganz verwundert sich plötzlich erinnert, daß man noch vor 48 Stunden Berufungen gemacht oder sich über die Extraordinarienfrage aufgeregt hat.

Die Reisegesellschaft war angenehm. Zum Schluß war selbst Partsch müde, dessen unentwegte Robustheit namentlich an den Grenzsperren sich nützlich erwies. Er hat mehr gute Literatur über Padua trotz eiliger Abreise errafft und mitgebracht als Bruns’ bedachte Sorgfalt mir vorgelegt hatte. Er ist unbedingt der denkbar beste Delegierte, trotz Richters Professorengesellschaftspräjudizien. (Bitte nicht weitersagen!)

 

459. Lido (de Venezia), 18.5.1922

Ich habe eine Stunde allein am Strand in den Dünen gelegen; sonnig, wunderbar frische Luft, nur sehr wenig Menschen kamen des Weges, die See war leicht bewegt, blau wie der Himmel darüber, Tausende kleiner Seekrebse spielten in den Wellen oder verzehrten zu Dutzenden eine an den Strand geworfene Riesenqualle. Fern am Horizont zog die italienische Kriegsflotte ab. Ich war völlig losgelöst und ruhte mich aus … Jetzt habe ich den Strand verlassen und sitze bei einer Tasse Tee. Bezold ist um 2 Uhr abgereist, und da bin ich gleich von der Bahn durch den Canale Grande und die Lagune in einer Stunde hier hinaus gefahren. Gottlob hat hier die Saison noch nicht begonnen, dann muß es unerträglich sein …

Ich hätte so viel zu erzählen, Leichtes, Schönes; denn diese Reise ist wunderbar. Venedig ist doch so ganz einzigartig und erfüllt Auge und Sinn so stark, daß selbst ich es auch allein genießen kann. Bisher hatte ich zwar Gesellschaft. Gestern eine große Reihe von Kollegen, meistens aber Bezold und heute er allein. Ich habe mich ihm wieder einmal pflichtschuldig gewidmet, und er war so glücklich darüber. Stundenlang habe ich ihm geduldig zugehört und bin nun wieder ganz im Bilde über seine Arbeiten, obwohl sie mich sehr wenig interessieren. Vor großen Eindrücken schweigt er; das ist wohltuend. Wir hatten eine wunderbare Einfahrt nach Venedig; bei strahlender Sonne fuhren wir am Marcusplatz vor. Natürlich ist man nicht mehr mit dem Schauder des ersten Erlebnisses erfüllt wie einst; aber man empfindet vielleicht tiefer und solider, wenn die Neugier fortfällt und nur das Echte noch besteht. Über so etwas kann man mit Bezold sprechen, aber ich merkte doch deutlich, daß ich die Menschen in zwei Kategorien teile – unbewußt natürlich: die, die ich mit dem Eros erfasse, und die anderen. Bezold gehört bei aller Pietät und Anhänglichkeit meinerseits zu den anderen. Aber er hält doch treu zu mir und ist im Grunde sogar etwas stolz auf diesen Schüler, daß ich immer gern mit ihm zusammen bin …

Und Padua überhaupt! Es ist alles in harmonischer Weise zu Ende gegangen. Boll bekam sogar einen Ehrendoktor wie alle Führer von Universitätsdeputationen. Die Führer der politischen Delegationen schieden natürlich aus. Demnach hätte im strengen Sinne des Wortes kein Deutscher promoviert werden können; denn wir waren ja alle politisch. Das war aber auch wieder unmöglich, so verabredeten wir, daß die infolge irrtümlicher Voranmeldung bereits vorbereitete Promotion Bolls auch vollzogen werden sollte. Er selbst fürchtete etwas die Kritik der Kollegen, aber ich war sehr froh, daß sich alles so gut arrangierte. Nach meiner Rede, die in einem unvergleichlichen Rahmen sich vollzog, wurde ich von vielen Seiten angesprochen, nicht nur Neutrale, auch Engländer und Franzosen stellten sich mir vor; dazu viele Komplimente von italienischer Seite. Man war allgemein sehr erfreut über unser Erscheinen, und das Fest verlief ohne den leisesten Mißton, obwohl der berühmte Belgier Frederic, einer der von uns aus Belgien verwiesenen Professoren, bei der Verteilung der offiziellen Reden als Agent provocateur für Frankreich auftrat. Glücklicherweise hatte ich vorher alles mit den Italienern verabredet und mit deren Takt und mit meiner Ruhe – ich sagte nur einmal bei einem Vorschlag. C’est impossible! – lief dann alles glatt. Daß natürlich in den Festzügen der Studenten die Wagen von Triest, Trentino und Fiume21 besonders bejubelt wurden, ist selbstverständlich, aber darüber braucht man sich nicht aufzuregen. Ich hatte meine Rede italienisch geschlossen, worauf der König nachher bei der Vorstellung zu mir sagte: Sie sprechen ja italienisch! Dieser italienische Schluß einer deutschen Rede war ein guter Gedanke. Man muß eben mit der Mentalität der Romanen rechnen. Die Sache schloß mit einem Lunch auf einem königlichen Schloß, ½ Stunde vor der Stadt. 430 Personen saßen an einem riesenlangen Tisch unter herrliche alten Kastanien in einem prachtvollen Park. Abends war dann das Schlußbankett, wobei ich an der Ehrentafel plaziert war, und danach ein Empfang in einem Privatpalazzo, das Märchenhafteste an gesellschaftlicher Veranstaltung, das ich erlebt habe – einfach ein Märchen aus 1001 Nacht.

 

460. 1.6.1922

(Fahrt nach Templin)

Wir wohnten bei Direktor Gräber, Landé22 im Internat. Templin ist eine ganz einzigartige Schöpfung in köstlicher Landschaft, ein wahres Dorado, ein Land der Seeligen. Zunächst gab es Kaffee, dann Besteigen des Aussichtsturms, Besichtigung der großartigen Sammlungen und Bibliotheken und der ganzen Anlage. Die Jungens haben’s gut! Um 6 (Uhr) erstes Zusammentreffen mit dem lebenden Inventar, freiwilliges Turnen, Schwimmen, Rudern. Die Badeanstalt ist besonders schön, dann Essen gestern wie heute im Internat, 6 Häuser; wir drei wurden so verteilt, daß jede Tischgemeinschaft einmal einen von uns hatte. Es war wirklich sehr nett. Nach dem Abendbrot zusammensein mit dem Lehrkörper bei gut ins Einzelne gehender Unterhaltung. Heute früh Punkt 7 (Uhr) Andacht, dann Unterricht in sämtlichen Klassen besucht incl. Singen und Zeichnen. Metzner glänzte, Landé strahlte. Wir hatten eine Prämie mitgebracht, die nicht der Primus, sondern ein gesundheitlich zarter, aber charakterlich besonders günstig wirkender Primaner von mir erhielt. Die Anstalt ist natürlich kein Landerziehungsheim, aber unendlich viel moderner als Pforta. Ein Lietzianer ist dort, mit dem Landé und ich – getrennt – eingehend über die Unterschiede zwischen diesem neuzeitlichen Erziehungssystem und der am besten aufgeklärten und patriarchalisch zu bezeichnenden, aber durchaus autoritär ausgestalteten Methode Templin unterhielten. Gegenüber Pforta ist Templin das reinste Haubinda …

 

461. 8.6.1922

Krüß trug heute Deine Postkarte über den A.O23. alten und neuen Stils zur Charakteristik der inneren Einstellung der Abteilung zur Hochschulreform bei Beginn eines Vortrages bei mir vor. Richter hat für mich in diesem Punkt überhaupt nur noch ein mitleidiges Lächeln, seitdem er sein Exposé über die A.O.s und Hon24. fertig hat., das er übrigens beim Nachlesen der Vorgänge auf eine Seite hätte zusammendrängen können. Schade, daß mir jede Kampfstimmung und jede Initiative zur Zeit fehlt. Ich war selten so arbeitsunlustig wie in diesen Wochen. Das Durcheinander in der A.O.-Frage ist dadurch gekommen, daß wir die ganze Frage erst nur organisatorisch faßten, daß dann aber die wirtschaftliche besonders infolge der Pseudo-Etatisierung der nichtplanmäßigen A.O.s uns das ganze Schema umwarf. Den Rest gab der Sache die Verfassung mit ihrem Titelverbot. Jetzt ist wirklich guter Rat teuer. Du wirst verstehen, daß ich mit einiger Bitterkeit daran denke, wie mir diese an sich gut und klar durchdachte Sache durch die Umstände versaut worden ist.

 

462. 11.6.1922

Ein zweistündiger Reformvortrag, wo ich zum Entsetzen von Bruns nochmals umschmiß und nun die Extraordinarien neuen Stils mit den Honorarprofessoren gleichstellen will. Alles andere in die Übergangsbestimmungen. Im Grunde gibt er mich recht, und es kommt nun doch wieder auf meine alten Grundanschauungen heraus. Die Sache wird sehr vereinfacht. Die Fusionierung beider Kategorien zu einer einheitlichen im Sinn des Erlasses vom 17. Mai 1919 geben wir in der Form auf, aus taktischen Gründen. Sie kommt aber tatsächlich durch die Gleichheit der Rechtstellung. Ob Extraordinarien oder Honorarprofessoren wird in Zukunft vom Status habilitationis abhängen. Ich halte jetzt mit Bruns und Benecke eine private Konferenz und dann noch eine gemeinsame Schlußkonferenz ab. Vor meiner Abreise muß die Sache in Ordnung sein.

 

463. 14.6.1922

Das Chaos in der Hochschulreform namentlich in bezug auf die A.O.s war mir ganz unbegreiflich. Erst jetzt merke ich, daß offenbar keiner von Euch sich die Mühe genommen hat, meine große Denkschrift vom 2. Juli 1920 zu lesen oder zu behalten. Da steht alles mit größter Klarheit drin. Und Du hast wahrlich kein Recht auf Krüß zu schelten, der Deinen Erlaß Gottlob angehalten hat, in dem Du die Honorarprofessoren für gehobene Extraordinarien erklärst, als ob überhaupt über dies Thema nie geredet worden wäre. Ich mache Dir keinen Vorwurf daraus …

In besagter Denkschrift steht auch schon, wie wir Schritt für Schritt uns durch finanzielle Rücksichten das schöne Konzept verderben lassen mußten. Immerhin ist in zweistündiger Sitzung mit Bruns und Benecke nun doch etwas Brauchbares herausgekommen. Das entscheidende ist ein von mir formierter Satz, daß die Stellung der Extraordinarien neuen Stils dem Staat gegenüber die der Privatdozenten ist, daß aber die Ernennung eine Rechtsmehrung im Rahmen der akademischen Korporation bedeutet. Dadurch verhindern wir die Beamtung und machen doch die Verleihung der Dienstbezeichnung zu mehr als einer Titelverleihung. Die Honorarprofessoren haben wir doch in einer etwas loseren Stellung belassen. Das Gesamt-resultat sieht jetzt den B.(ecker?)’schen Grundplänen doch viel ähnlicher als die inzwischen eingetretene Verwässerung. Ich bin froh, wenn die Sache erst heraus ist. Ich habe in ihr viel Wasser in meinen Wein gießen müssen.

  • Opposition der Universitäten,
  • Erschwerung durch die Kursänderung mit Bezug auf die außerplanmäßigen A.O.s, die zu Anwärtern erklärt wurden, und mit Bezug auf die Lehraufträge
  • und endlich mangelndes Interesse für die ganze Frage in der Abteilung, von dem Augenblick an, als ich durch andere Aufgaben von der persönlichen Leitung abgezogen wurde.

Die damals von mir als eine Art Testament aufgestellte Denkschrift, die auf Bitte Haenischs für Cuno verfaßt war, wanderte ungelesen oder vergessen z.d.A., daß ich sie jetzt erst aus meinen Privatakten heraussuchen mußte. Doch darf ich wohl niemand einen Vorwurf machen. Ehrlich gesagt, war ich selbst müde dran hier geworden und setzte nicht mehr im Einzelnen meine Denkenergie ein.

So ist manches verpatzt worden. Aber wenn ich als Vater der Idee das tat, kann ich da von meinen Nachfolgern erwarten, daß sie meine eigenen Ideen treuer pflegen?

 

464. 14.6.1922

Morgen Dîner bei Nernst zu Ehren von Sir Thomas Barcley, mit dem ich auf Veranlassung Haniels dieser Tage eine 1 ½ stündige sehr interessante Aussprache hatte mit dem Zweck, die deutsch-französischen Beziehungen zu bessern. Painlevé soll jetzt den Besuch Einsteins in Paris hier erwidern. Du kannst Dir denken, daß Nernst einige Mühe haben wird, dafür die Universitäten und Akademien zu erwärmen

 

465. 18.6.1922

Der Abend bei Nernst war köstlich. Eduard Meyer spielte die ihm zugedachte Rolle des Polte-rers köstlich. (Er ist doch ein Kindskopf.) Aber Sir Thomas Barcley war ihm gewachsen und hat ihn so herzerquickend und doch liebenswürdig abgeführt, daß es ein Hochgenuß war. Das kann man nur mündlich erzählen. Es gibt also einen Relativitätskongreß im Herbst, wobei ein Franzose der Hauptredner sein soll. So waren schließlich auch Eduard Meyer und Lüders einverstanden.

Die Akademie hat für Erdmann, Mayer!! gewählt um Troeltsch zu vermeiden. So wird das Akademieproblem erneut akut. Harnack, den ich bei Nernst darüber sprach, war außer sich.

 

466. 22.6.1922

12 Uhr nachts

Ich sitze im Frack in meinem Studierzimmer. Dîner bei Pacelli25. Ich saß neben dem Reichskanzler und Kaas, sonst noch Rathenau, Hermes, Boelitz und einige Staatssekretäre. Es war recht interessant. Ich sprach lange mit Pacelli, erst deutsch über unsere Verhandlungen, dann eine Viertelstunde italienisch über allerlei Wissenschaftliches. Es machte mir Spaß, daß es einigermaßen ging. Die Sache war improvisiert, da Pacelli mich erst nachmittags einlud. Er hatte nur gehört, daß ich abwesend sei. Ich bin ja diese Nacht erst heimgekehrt.

In Godesberg freute ich mich sehr Deines lieben Briefes, vor allem des echt-Wende’schen Echos auf meinen Reformerguß. Ich habe in Köln die Zweigstelle des Zentralinstituts und die Musikpädagogische Woche eröffnet, war dann im Nonnenkloster Nonnenwerth, wo wir entzückend aufgenommen wurden – namentlich die Nonne mit dem Taktstock, die den Chor dirigierte, war köstlich. Eindrücke famos. Diese Kinder werden im Frohsinn erzogen, jedenfalls viel fröhlicher wie in den meisten weltlichen Schulen. Wir wurden famos bewirtet. Generalvikar Tillmann von Trier war da und hatte das große Bedürfnis, seine Saarpolitik zu rechtfertigen. Wir gingen endlos zusammen spazieren. Heuschen und der Oberschulrat warteten ungeduldig und wir kamen dann auch eine halbe Stunde zu spät in Godesberg an, wo wir das Evangelische Pädagogium und das Jesuitenkolleg besichtigten. Auch hier gute Eindrücke. Abends bei Sells in deren idyllischen Heim – eine Insel der Seligen, ein Gartenhaus im großen Park mit freier Aussicht auf das Siebengebirge, ein kleiner Fürstensitz,- alles für 3000 Mark Miete. Auch der letzte Tag war arbeits- und genußreich. Ich besuchte von 8-12 (Uhr) das Deutsche Kolleg und konferierte bei Tisch bis gegen 7 (Uhr) mit Sell und seinem Direktor, einem glänzenden Philologen und Menschen. Der Unterricht stand auf höchster Höhe.

 

467. 24(?).6.1922

Auch mit dem neuen Vorsitzer der Studentenschaft Heyl hatte ich sehr feine und vertrauensvolle Aussprache. Krüß gilt als Vertrauensmann der Nationalisten, was ich ihm heute erzählte. Nur gut, wenn jede Partei im Ministerium einen Vertrauensmann hat; dann erfahren wir alles.

 

468. 25.6.1922

Die Ermordung Rathenaus26 hat wie ein Donnerschlag gewirkt. Die Stimmung in Berlin war furchtbar. Ich hatte am Vor-Vorabend noch mit ihm bei Pacelli diniert. An dem Abend bei Nernst hatte er mir bei Tisch gesagt: „Ich bin der nächste auf der Liste.“ Und doch war etwas Koketterie und etwas Fatalismus dabei. Ich machte gestern die Reichskabinettsitzung in Vertretung von Boelitz mit, die Stimmung war unvergeßlich drückend und gedrückt. Wirth stand seinen Mann und bog geschickt eine sozialdemokratische Dummheit ab. Braun sekundierte ihm sehr geschickt. Natürlich ist alles wieder in Frage gestellt. Die Volkspartei steht in der ernsten Frage, ob sie die Koketterie mit den Deutschnationalen und der Monarchie auf-geben will. Die Arbeiterschaft drängt natürlich nach links. Und doch wäre jetzt der Zeitpunkt für die große Koalition auch im Reich.27. Die Volkspartei spielt aber bereits wieder den Ge-kränkten wegen der Rede Wirths. Nun soll’s mit einem Mal ein Russenattentat sein. Ich zweifle ebenso wenig wie Wirth und alle Nichtdeutschnationalen oder Rechtsvolksparteiler, daß die infame deutschnationale Hetze auch an diesem Morde schuld28 ist wie an dem von Erzberger. Die Notverordnung des Reichspräsidenten ist m.E. gut. Sie ist eine scharfe Waffe gegen den Mißbrauch der neuen Freiheiten, die von der Opposition schamlos ausgebeutet worden sind29. Natürlich schüttet die Linke bereits wieder das Kind mit dem Bade aus. Lloyd George hat ganz recht, es fehlt uns die loyale Opposition.

 

469. 25.6.1922

Wir waren heute im Stadion beim Reichsausschuß (für Leibesübungen?). Eine glänzende Darbietung. Lewald sprach ausgezeichnet. Er hatte dafür gesorgt, daß eine riesige schwarz-rot-goldene Fahne den Eingang schmückte und nirgends eine schwarz-weiß-rote Fahne zu sehen war. Es war auch das erste Mal so, wie ich ihm boshaft bemerkte. Übrigens habe ich jetzt das Ende Hinzes 30beschlossen. Alle Loyalität in Ehren, aber es geht nicht mehr. Er ist ein Hemmschuh sondergleichen. Selbst Ottendorf und Spandau laufen jetzt Sturm und das Wehrministerium schimpft auch, von allen anderen Feinden ganz zu schweigen. Dominicus ist endgültig abgebogen, aber die Organisation kommt doch. Ich hatte mehrstündige Konferenz mit Krüss und Ottendorf und lasse eine Denkschrift vorbereiten. Ich will Hinzes Rückkehr aus dem Urlaub abwarten, aber dann schlage ich los. Vielleicht schreibe ich’s ihm auch noch in den Urlaub, weil er sonst noch in meiner Abwesenheit allerlei Unheil anrichtet.

 

470. 25.6.1922

Aus Schloß Bieberstein

Im übrigen mache ich hier das ganze Internatsleben von früh 6 Uhr pünktlich mit. Hier in der Rhön ist es einfach herrlich. Schloß Bieberstein liegt auf einem Berg in einem Wald ca. 500 m hoch – ein Ideal für Jungens, die allerdings ordentlich herangenommen werden. Gestern Abend wurde mir zu Ehren im Naturtheater der „Sommernachtstraum“ wiederholt, mit Orchester und Kostümen, mit Scheinwerfern und Fackeln und mit freiwilligem Mitspiel echter Glühwürmchen – einfach ein entzückendes Bild. Es war zwar recht kühl, aber doch genußreich und ging ohne Pause durch. Heute früh 5 Stunden Unterrichtsbesuch mit mancherlei Erfreulichem. Der Oberleiter ist zwar noch von Lietz bestimmt, aber leider nicht die hier benötigte Persönlichkeit. Sein Stellvertreter hat mehr vom Lietz’schen Geiste.

 

471. 16.7.1922

Ich schreibe Briefe und lese Spengler31. Der zweite Band beschäftigt mich noch mehr als der erste. Es ist etwas Ungeheuerliches um dieses Buch und diesen Mann. Ich bin überzeugt, daß von ihm eine Wirkung ausgehen wird, die man mit der Nietzsches vergleichen kann. Mögen alle seine Konstruktionen, vor allem sein manchmal gewaltsamer Periodenschematismus falsch sein, das Buch an sich stellt eine der größten Denkleistungen des Jahrhunderts dar. Eine Max Weber’sche Profundität des Wissens und der Konstruktion. Wie viele kleine Geister wieder daran herumverbessern werden! Ich kann nur ganz bescheiden bekennen, daß ich dieses Buch mit einem wachsenden Katzenjammer lese. Gewiß habe auch ich immer wieder über die Grenzen meines Gebietes hinausgesehen, ja, ich war darin ein weißer Rabe unter meinen Kollegen, aber wie zwerghaft kommt man sich vor, wenn ein Homo novus plötzlich die Formel findet und die Perspektive gibt für Dinge, die man selbst stammelnd geahnt. Ich bin mit viel Hochmut an die Lektüre gegangen, bildet doch das Arabische das Kernstück des zweiten Bandes. Aber ich vergesse jetzt bereits den Katzenjammer und genieße dankbar die wahrhaft grandiose Synthese, die dieser Mann entwickelt. Wie Vieles habe ich selbst schon gesagt, das er nun viel tiefer und ganz anders sieht und faßt.

Bei Manchem greife ich mir an den Kopf. Seine Worte haben oft unmittelbare Evidenz. Und es ist alles keine Detailarbeit, wie die meine immer war – trotz aller Synthese – , sondern es ist eine imponierende Gesamtübersicht, die aus einer geschlossenen Weltanschauung, einem großen eigenartigen System erwächst.

 

472. 22.7.1922

Ich überzeuge mich immer mehr, daß Glück eine Sache ist, die man unabhängig von allem Äußeren in sich hat oder erzeugen muß. Auch das Glück mit oder in einem anderen Menschen wächst doch nur in dem Träger selbst. Glück ist in der kleinsten Hütte, in der schwierigsten Ehe, in den unangenehmsten Arbeitsverhältnissen für einen glücklichen Menschen. Und worin liegt das Glück? In dem Erleben des Satzes: make the best of it. Ist das sehr seicht? Ist das sehr hart? Sehr egoistisch? Es gibt für mich kein absolutes Glück, wie es keine absolute Wahrheit gibt. Aber es gibt eine innere Wirklichkeit, der man sich fügen muß, ob man will oder nicht. Man sollte sie wollen und das Beste daraus machen. Meine Frau schrieb mir wieder, daß ich ein unverbesserlicher Optimist sei, sie erschrecke immer wieder von neuem darüber. Ich sage halt von Natur aus lieber Ja als Nein, ich glaube an das Wahre, Schöne und Gute, bis ich mich vom Gegenteil überzeugen muß und bin dann nie enttäuscht …32

 

473. 22.7.1922

Ich muß nächstens mal einen ausführlichen Vortrag über Deine Reformpläne erhalten; denn ich bin doch schrecklich wenig im Bilde. Es ärgert mich eigentlich; aber Du hast nie von Dir aus mich zu interessieren versucht, sondern diese immerhin doch dringliche Sache mehr nach Art Deiner Privatangelegenheiten behandelt, d.h. mir die Initiative des Ausfragens überlassen. Wenn ich mir das unter dem Gesichtspunkt meines früheren Interesses gerade an diesen Problemen vorstelle, kann ich nur sagen – o quae mutatio rerum. Allzu wohl fühle ich mich auf dem Altenteil allerdings nicht.

 

474. 24.7.1922

Momm ist ein so qualifizierter Beamter, daß seine Verwendung als Kurator schon Raubbau wäre. An Simons schrieb ich heute, den sind wir ja jetzt los. Eine Ernennung zum Reichsgerichtspräsidenten war mir ein wahrer Lichtblick in dieser Zeit der Personalverschiebungen. Auch die Ernennung von Fuchs statt Brugger zeigt doch, daß es noch vernünftige Leute unter den Parteischiebern gibt. Fuchs war mein persönlicher Kandidat. Das neu vergrößerte Zentrum freut mich sehr. Das wäre ein Rahmen, in dem ich auch kandidieren möchte. Da kämen wir doch noch einmal in die selbe Partei. Ich schrieb darüber lang an Richter …, daß ich mich einer aus Demokraten, Volkspartei und Zentrum zusammengeschweißten Partei freudig anschließen würde, auch auf die Gefahr hin, seiner Frau dort zu begegnen. Voraussetzung ist natürlich, daß der rechte Flügel der Volkspartei zu den Deutschnationalen abschwenkt; denn eine bürgerliche Arbeitsgemeinschaft ist nur tragbar gegenüber einer starken Rechten; denn sonst glaubt diesen Bürgerlichen niemand ihre republikanische Geste.

 

475. Anfang Juli 1923 (unsichere Datierung von Wende!)

Um ½ 9 (Uhr abends) begann dann die Konferenz über das Studentenrecht bei mir: Benecke, Irmer, Bruns, Richter und dauerte bei angestrengter Arbeit bis 1 Uhr. Richter blieb bis 2 Uhr. Die drei Anderen mußten zu Fuß nach Berlin zurück. Benecke machte sich dabei ganz famos … Dienstlich ist Einiges von Interesse zu melden:

  • Senat lehnt neue Stellungnahme im Fall Nicolai ab.
  • Hassenpflug zum Rücktritt bereit, bittet ab 1. Juli um Urlaub.
  • Die Chemikervoten sind alle bisher gegen Haber.
  • Smend kommt heute Abend zu mir. Richter hat mit ihm 45 000 Mark verabredet (Leipzig 50 000) und politisches Seminar. Er wird wohl bleiben, obwohl ihn Apelt offenbar sehr eingeseift hat.
  • Haenisch hat rührenden Brief an Dich hinterlassen (mindestens dreimal „mein Lieber …“) damit er alle seine Juden unterbringen kann, besonders in Frankfurt. Er will eben Konzessionen machen, wenn er’s mit Anstand kann, um größeres Unheil zu verhüten.
  • Kluckhohen hat hier R.(ichter?) berichtet, es wäre nicht gelungen, die Bonzen in Münster zu bekehren.
  • Fall Dreuw beschäftigt wieder die Rechtspresse.
  • Infamer Artikel gegen Benecke als Verräter der Studentenschaft in der Deutschen Zeitung.
  • Mein Artikel gestern Abend (in der) Vossischen (Zeitung) erschienen, gleichzeitig in Göttingen.
  • Richter erkrankt, so daß ich morgen mit Hülsen und Küssner allein regiere.

 

476. 23.7.1923

Von Richter habe ich inzwischen einliegenden33 Brief erhalten. Nachdem Du den Deinigen vorgelesen, habe ich keine Bedenken ihn Dir zu schicken; ich hab’s ihm geschrieben und ihn gebeten, Dir auch meine Antwort an ihn (trotz einiger Bitterkeiten) Ich glaube, daß er letzten zuzusenden. Dann brauche ich Vieles nicht zweimal zu schreiben. Auch was ich über den Dir ebenfalls auf diesem Wege zugehenden Ministerbrief geschrieben habe. In dieser Hinsicht hast Du geradezu eine Mission. Wenn Ihr konsequent sein wollt in Eurem Kampf um das Niveau, dann bitte macht es wie ich in meinem Brief an den Minister. So aber schlagt Ihr den Sack, und der Minister merkt nicht einmal, daß Ihr den Esel meint. Kannst Du Krüß nicht einmal die Augen öffnen? Ich glaube, daß er34 letzten Endes doch lieber mit mir geht als mit Krüß. Übrigens glaube ich auch bei Krüß, daß er die Dinge (mit den Studenten) nicht so scharf sieht wie Richter oder Du. Er will sicher nicht illoyal gegen mich sein, aber er wehrt sich eben, ehe er erdrückt wird. Die Parteiangst des Ministers aber ist das A und O allen Unheils. Natürlich rationalisiert er sich alles ganz anders. Mir hängt die Sache wieder mal gründlich zum Halse hinaus …

Soll ich den Kampf aufnehmen oder mich auf meine Privatbasis in der Wissenschaft zurückziehen? Dein Ausscheiden bedeutet eine ungeheure Belastung meines sozialen Triebes.35 Über die zwei Seelen in meiner Brust habe ich an Richter geschrieben. Du wirst es dort lesen.

 

477. 3.8.1923

Die Heidelberger Tage waren in ihrer Fülle doch recht anstrengend. Ich mußte schließlich die Hauptfestrede halten, was bei meiner inneren Einstellung mehr als eine technische Aufgabe war. Mir liegt ja die Jugendbewegung so unendlich viel näher als dies antiquierte Korporationswesen, das nicht den Mut hat, sich von veralteten Erziehungsmethoden und spießerhafter Bürgerlichkeit zu befreien. Ich ließ dann sehr viel „Neuen“ Geist einfließen und hatte damit einen Sensationserfolg, wohl hauptsächlich, weil niemand merkte, wieviel Kritik in meiner Begeisterung steckte und jeder gern das Idealbild als das seinige requirierte …

Gewiß, rednerische Erfolge quittiere ich immer gern. Du kennst mich darin und weißt, daß diese Bestätigungen meines Ichgefühls nun mal eine der Formen sind, in denen ich Anerkennungsbedürfnis empfinde. Du hast diese Schwäche ja oft und liebevoll nachempfunden … Aber zur Sache! Die Kneipe36 war mir physisch unerträglich. Welch’ barbarische Form gesellschaftlicher Sitte, selbst in der durch die Finanznot gemäßigten Einschränkung, die heute allein noch möglich ist. Ich machte fünfmal den vergeblichen Versuch, mit einem alten Freund eine vernünftige Unterhaltung zu beginnen. Schließlich gab ich es auf.. Diese Form jugendlichen Zusammenlebens ist zum Untergang reif, und trotzdem wird sie aus Konservatismus, aus feudaler Gesinnung, weil’s mal dazu gehört und, ich weiß nicht, aus was für Gründen noch, aufrecht erhalten. Mein Verbindungsleben war von Anfang ein Protest gegen diesen Geist und mein Kreis in ihr ein Vorspiel zur Jugendbewegung. Das Entscheidende ist die Beziehung von Mensch zu Mensch. Sie darf nicht durch die Herrschaft von Formen erzwungen werden, die vergangenen Jahrhunderten angepaßt sind.37

Das Bedrückende hier ist die selbständige Weiterexistenz erstarrter Institutionen, die den Geist unserer heutigen Jugend wie in ein Prokrustesbett zwingen. Wie anders ist die Göthische Welt.

Von Heidelberg zurückgekehrt fand ich Fritz Sell mit Frau vor … Dann erwartete ich nämlich den Besuch von Dr. Baum, dem jungen Priester aus Fulda, mit dem ich mich letzthin recht angefreundet hatte. Es waren zwei Tage voll vertiefter menschlich-religiöser Unterhaltung. Ein feiner, freier Mensch, der nach mancherlei Erlebnissen mit einer geradezu strahlenden Resignation zur Erfüllung seiner Nächstenliebe Priester wird. Der Mensch wird noch vielen helfen und wird selbst immer glücklich sein. Wenn alle Priester so wären, so stünde es anders um die Kirche.

 

478. 30.9.1923

Das dienstliche Hauptereignis der Woche war der sehr scharfe Zusammenstoß mit Heinrich Schulz in einer geradezu dramatischen Plenarsitzung des Reichsrats. Vormittags hatte ich im Staatsministerium den preußischen Provinzvertretern einen großen Vortrag über §61 gehalten. Das gab mir Anlaß, den Herren (Trott, von Günther) einmal die Grundlinien meiner Kulturpolitik dem Reich gegenüber darzulegen:

  • Aufrechterhaltung der kulturpolitischen Selbständigkeit der Länder,
  • Arbeitsgemeinschaft mit dem Reich,
  • ein Zusammen-, kein Neben- oder Gegeneinander.
  • Daher Förderung der Reichsverbände als Klammer um das vom Verfall bedrohte Reich,
  • Aber kein Ausbau der Verbände zu neuen Bürokratien (Politik von Schulz); denn dadurch würden die Länder in den Partikularismus getrieben, sie würden sich gegen das Reich zusammenschließen und dessen Bestand erst recht bedrohen.

Meine Darlegungen fanden starken Beifall und ich war mir sicher, daß sie nachmittags mit uns gehen würden. Im Plenum führte ich zum ersten Mal die preußische Stimme, hielt dann mein Referat und verlangte eine Erklärung, welche Verbände nun schließlich das Reich sich vorbehalte. Schulz, der im Ausschuß immer eine klare Formulierung vermieden hatte, gab nun zu, daß er nicht nur die vier großen Volksbildungsverbände, die wir ihm konzediert hatten, sondern noch den Dürerbund und eine Fülle anderer Organisationen, die wir gerade hatten ausschließen wollen, beanspruchte. Nun wurde Bayern wütend, erklärte, das sei gegen die Verabredung (vor Tisch las man’s anders) und brachte einen mit uns verabredeten Antrag ein, wonach Schulz die gleichen Formulare ausfüllen müßte wie die Länder und daß der Überschuß der 5%, die ihm zustanden, an die Länder zurückfließen müßte. Schulz erklärte das für völlig unannehmbar. Ich sprang den Bayern bei und sagte, wir könnten ja die Schulz’ sche Interpretation nicht verhindern, aber wir würden dann bei nächster Gelegenheit die Beteiligung des RMI38 völlig streichen müssen. Ich hatte in meiner ersten Rede Schulz gestützt, nach seiner Erklärung aber mußte ich scharf werden. Dann erfolgte die Abstimmung, auf Antrag namentlich. Ich gab die preußische Stimme für den bayerischen Antrag, und dann folgten lückenlos die preußischen Provinzen, ferner Baden, Württemberg und andere, nur Sachsen, Thüringen, Braunschweig und ein paar kleine gingen mit Schulz, so daß der bayerische Antrag mit erdrückender Mehrheit angenommen wurde.39 Schulz war wütend, die Freundschaft wird ja nun wohl dauernd aus sein. Das Nachspiel im Reichstagsausschuß wird natürlich noch kommen, aber ich werde dann auch dort einmal Fraktur reden.

Dann hatte ich eine lange nicht uninteressante Unterhaltung mit Direktor Lange von der Volksoper. Meinen großen Plan lehnt er ab, er will sein Theater behalten und nur in einem Konzern mit uns eintreten. Das wird sehr schwierig. Da aber auch der Landtag bei Kroll möglichst ein gemischtwirtschaftliches System wünscht, habe ich ihn und Seelig ersucht, getrennte Vorschläge zu machen, um eine Diskussionsbasis zu schaffen. Wenn wir dann noch, wie die Intendanz will, zu reinem Staatsbetrieb kommen, müssen wir wenigstens taktisch die andere Form auf Grund eingehender Verhandlungen als untunlich erweisen können.

Tags zuvor sah ich in der Volksoper „Schneeflöckchen“. Mit einem Mal weiß ich, woher Strauß das entzückende Märchenmotiv im Rosenkavalier hat: russische Musik. Schneeflöckchen ist sehr russisch, ist stellenweise sehr banal, aber volkstümlich mit überstarken Rhythmen. Die Aufführung war gut, aber es ist doch natürlich ein ganz anderes Niveau als bei der Staatsoper, die in der letzten Zeit einfach glänzend ist. Leider wenig erfreulicher Spielplan in der kommenden (Ferien) Woche.

 

479. 6.10.1923

In Politicis hat sich der Minister dagegen gut gemacht. Er war einer der Führer der preußischen Fraktion, die der Vorstoß der Stinnesgruppe noch im letzten Augenblicke contercarierte. Um ein Haar war die Koalition zum Teufel. Es war ein kombinierter Vorstoß: Schwerindustrie + Landbund + Deutschnationale + schwerindustrielle Gruppe im Zentrum und in der Volkspartei. Stresemann hatte vor lauter auswärtiger Politik einen Augenblick die Führung seiner Partei beiseite lassen müssen. Scholz, – der meines Erachtens geradezu beschränkt ist; selbst Haenisch setzte ihn aus dem Sattel – hatte sich zum Werkzeug machen lassen und trat außerdem großspurig auf. Die Zukunft der Volkspartei wird davon abhängen, ob sie die Kraft hat, diese Elemente abzustoßen, wie der Minister hofft. Noch einmal hat der Parlamentarismus gesiegt. Ein Kabinett der Köpfe wird immer ein Rechtskabinett sein. Komisch, aber wahr. Ein solches können wir jetzt nicht gebrauchen; es kommt nicht so sehr auf Führer als auf Gefolgschaft an, und die wird zur Zeit nur durch die Parteien gewährleistet. –

Wegen Roeseler telegraphierte ich, weil er sich erst kurz vor Toresschluß meldete. Ich habe ihn genau orientiert. Er wäre die denkbar beste Lösung, anständig, mild – rechts gerichtet, aber loyal, in Studentensachen und kaufmännisch geschult – seit mehreren Jahren im Verlag für Politik.- Die einzige Frage ist, ob man ihm zuraten soll. Die Sache ist doch sehr unsicher.

 

480. 8.10.1923

Heute früh holte mich Gragger um ½ 11 Uhr ab und wir fuhren im Auto zur Hochschule für Politik, wo im Beisein des Reichspräsidenten das übliche Jahresfest stattfand. Temperamentvolle Rede von Drews, ein etwas breiter, geistreich sein sollender Jahresbericht von Jaeckh, eine schwere, für diese Gelegenheit zu schwere Vorlesung von Meinecke über Hegels Staatsphilosophie (ein Auszug aus seinem Buch über die Geschichte der Staatsraison) und ein flottes, aber sehr kurzes Schlußwort des Staatssekretärs Becker – zur allgemeinen Befriedigung nur drei Minuten dauernd. Das Wetter war unbeschreiblich herrlich und alle Welt schimpfte auf diesen Mißbrauch. Es war ein kleines, aber sehr erlesenes Auditorium. Auf der Rückfahrt brachte ich Krüßens pünktlich zum Darmstädter’schen Essen, veranlaßte dann Gragger, seine Verabredung mit Aloys Brandl zu vergessen, und traf mich mit ihm um 3 Uhr wieder am Arndtgymnasium, diesmal zu einer großen Fahrt an die Havel.

… Dazu kam die leidige Geldnot. Ich mußte höhere Valuta wechseln, um den Hausstand flott zu halten, da die gestern fällige Billion ausblieb. Es sind groteske Zeiten. Selbst die Ministerin konnte ihre Kartoffeln nicht bezahlen und meine Frau und Frau Krüß teilten ein Brot für die beiden Haushalte. Da habt Ihr’s doch besser mit Euren Würsten und Schinken, den Kartoffeln bis zum Frühjahr und den Kohlen bis Dezember.

Im Dienst hauptsächlich Abbau. Helbing will fünf Universitäten schließen, der Minister die Emeritierung abschaffen, weil sie Oberlehrer nicht haben, doch ich gebe keinen Posten preis. Im Reichsrat habe ich die Frage angeschnitten und wenigstens die Erklärung erreicht, daß das Reich den Satz des Abbaugesetzes über die Pensionierung nicht so versteht, daß damit die Emeritierung durch die Pensionierung ersetzt ist, wie man im preußischen Finanzministerium wohl zu interpretieren geneigt gewesen wäre. Das Kämpfen gegen drei Fronten ist manchmal schwierig.

… Im übrigen mache ich mit Boes und Am Zehnhoff Ministerpensionsgesetz. Meine schöne Pension werde ich bei dieser Gelegenheit wohl verlieren. Ist mir auch recht. Allerdings werde ich den Staatssekretär-B-Fond dann nicht mehr so restlos aufrecht erhalten können. Zur Zeit kämpfe ich für Medicus, weil die Landé’sche Stelle unter den Abbau fiele. Ich hoffe, sie für ihn zu retten. Daß die Minister in Zukunft à discrétion ihre Beamten entlassen können, ist eigentlich unerhört. Außer Tüchtigkeit ist nur Kinderzahl eine gewisse Garantie. Ob ich Varrentrapp dabei loswerde? Versetzung auf niedere Stelle unter Beibehaltung des Gehalts ist nun zulässig. An Woldt und Fräulein Ermler wird man aber wohl kaum herangehen können und Rammelsberg und andere Partei- und Revolutionsgrößen. Sei froh, daß Du nur noch Objekt dieser Maßnahmen bist. Die Kuratoren können jetzt keinesfalls entbehrt werden.

 

481. 10.10.1923

Sehr interessant waren die Salemer Erfahrungen mit der Koedukation – im Gegensatz zu den Wandervogelidealen. Hertha hat eine glänzende Position – nur eine Stimme über sie. Selbst die Prinzens lieben sie besonders. Man hat ihr jetzt die beiden Farben verliehen; d.h. die Selbstverwaltung der Schüler hat sie in den sogenannten „Kern“ aufgenommen. Die ganze Erziehung ist auf Erziehung zur Sittlichkeit, Selbstzucht und Staatsgesinnung40 eingestellt. Jeder Flirt und jede Klebrigkeit wird von der Gemeinschaft sofort ausgetrieben. Es herrscht ein merkwürdig freier, recht kameradschaftlicher Geist. Allerdings sind die äußeren Bedingungen – materiell wie personell – auch ganz eigenartig. Hertha hat drei jüngere Mädels in ihrem Zimmer, über die sie liebevoll aber streng herrscht.

Im Zug hatte ich eben eine kleine arabische Unterhaltung mit einigen Ägyptern. Es geht nur noch verteufelt schlecht. Ich komme immer wieder ins Altarabische, was den Modernen aber sehr imponiert, weil das auch für sie „Bildung“ ist. So kommt man leicht in ein falsches günstiges Licht, ein Zustand, in dem ich mich – es ist nun mal mein Verhängnis – in meinem Leben nur zu oft befunden habe und befinde. Nur vor Dir habe ich nie anders scheinen wollen als ich bin.

 

482. 14.10.1923

… wohl aber ist mir Dein Bericht über die Zugehörigkeit des Universitätsrates zum Senat vorgelegt worden. Ich war überrascht über die Stärke des persönlichen Appells. Du scheinst der Sache ein größeres Gewicht beizumessen. Trotzdem hielten Benecke und Richter ein Zurückweichen für unmöglich; das sind eben die Objektiven. Ich habe entschieden, daß folgende Lösung den Universitäten vorgeschlagen werden soll: der Grundsatz der Nichtteilnahme bleibt, aber die Senate sollen das Recht erhalten, durch einstimmigen Antrag die Verleihung des Stimmrechtes ad personam für die Dauer der Amtstätigkeit zu erwirken. Ich nehme an, daß auch Dir diese Lösung sympathischer ist als eine in ihren Auswirkungen zweifelhafte Übergangsbestimmung. Richter war damit einverstanden, auch Krüß; B(enecke?) war nicht dabei.

Heinrich Schulz hat im Reichstag in meiner Abwesenheit obgesiegt, aber es kam schließlich ein leidlicher Kompromiß zustande. Ich sprach mich mit ihm aus und wir schieden friedlich. Er wird jetzt ein Notgesetz über die weltliche Schule vorlegen; Lehrerbildungsgesetz und Reichsschulgesetz sollen zurückgezogen werden.

 

483. 20.10.192341

Dienstlich stand das Beamtenabbaugesetz im Mittelpunkt. Wir hatten eine schwierige Staatsministerialsitzung darüber. Wir waren das einzige Ressort, das den ganzen Unsinn durchdacht hatte und trotz der nur 24 Stunden, die wir Zeit hatten, das viele Folioseiten lange Gesetz, das uns nur in einem Exemplar zugegangen war, zu studieren, entscheidende Amendements vorlegte. Der Hauptunsinn ist, daß die Länder in dem gleichen Tempo, in dem gleichen Umfang und zwar schematisch, nicht systematisch abbauen sollen wie das aufgeblähte Reich. Der preußische Finanzminister steht dabei ganz auf Seiten des Reichs, weil er fürchtet, sonst überhaupt nichts zu erreichen. Nun denke Dir die Rückwirkungen auf Universitäten und Leh-rerschaft! Und dabei nicht wie in Österreich eine einmalige Guillotine bei einer bestimmten Altersgrenze, sondern nach der Tüchtigkeit, d.h. der einzelne Ressortminister bekommt unbeschränkte Gewalt, nach Gutdünken Leute jeden Alters herauszusetzen. Natürlich werden die untüchtigen Revolutionsgrößen mit einem Mal unentbehrlich sein. Schade, daß Du nicht mehr da bist. Der Minister hätte Dich sicher zum Köpfungskommissar bestimmt. Jetzt habe ich Trendelenburg damit betrauen lassen, für U I als Abteilungsreferent Herrn Lammers. 5% sollen schon bis zum 1. Februar verschwinden. Dabei wird die Arbeit vorerst nicht abgebaut. Ich will nun alles so aufziehen, daß eine enorme Dezentralisation eintritt; Abgeordnetenbriefe, Deputationen und Besuche müssen systematisch abgebaut, zahlreiche Gesetze aufgehoben werden. Es wird eine Mordsschweinerei.

Und nun heute die bayerische Überraschung! Ich bin der Meinung, daß die Reichsver-fassung so schnell wie möglich abgebaut und das reine Föderativsystem eingeführt werden muß. Wenn’s nur nicht schon zu spät ist. Hoffentlich sind die zentrifugalen Kräfte nicht so groß, daß Preußen völlig zerfällt. Wenn die Süddeutschen ganz ausscheiden, muß Norddeutschland mit Sachsen einen großen Block bilden. Rheinland und Westfalen werden ja wohl vorerst der Entente überlassen bleiben müssen. Kommen wir aber doch noch einmal auch durch diesen Schlamassel, so wird man nun wohl energisch ans Vereinfachen gehen. Als Endziel wird erwogen, den preußischen Reichstagsabgeordneten auch die Funktionen eines preußischen Parlamentes zu geben und die Provinzialvertreter im Reichsrat als Staatsrat funktionieren zu lassen. Als Vorstufe soll die Zahl der preußischen Abgeordneten auf 2/3 herabgesetzt werden. Dem Sparkommissar Saemisch machte ich klar, daß die Abteilung Heinrich Schulz völlig verschwinden müsse. Ich muß in diesen Tagen immer wieder daran denken, wie wir Zwei die Revolution zusammen erlebt haben.

Am Mittwoch hatte ich übrigens mit Kaestner42 die Paulsen’schen Gemeinschaftsschulen besichtigt – einen ganzen Vormittag lang – zur großen Eifersucht des Ministers, der es am liebsten verhindert hätte. Ich hatte eine lange vertrauliche Aussprache über Kaestner. Er kann ihn nun einmal nicht riechen. Traut ihm nicht, hält alles bei ihm für Popularitätshascherei und befürchtet immer, daß die Kaestner’sche Popularität auf seine, des Ministers, Kosten gehe.

Richter ist mit dem Fall Vietsch (Anmerkung Wendes: Herr Vietsch, später Kurator der Universität Breslau, war als Nachfolger Wendes in Aussicht genommen; Becker war von seiner Bildung und seiner Fähigkeit sehr angetan, hatte aber von Anfang Bedenken wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen von Vietsch mit Richter); er hält sein Verbleiben für unerträglich. Krüß meint, es wäre nicht so schlimm, aber es würde schwierig erst auf dem Hintergrund der Becker’schen Freundesclique. Das sagte er mir auch, aber in der Form, daß ich mir das wohl leisten könne, aber wenn meinen Freunden dann auch gesagt würde, sie machten es ebenso usw. usw. Dabei will Krüß wohl Vietsch halten. Allerdings bekommt jetzt alles durch das Abbaugesetz ein neues Gesicht.

Übrigens hat hier kein Mensch Geld43, und die gegenseitige Pumperei ist grotesk. Wenn nicht Wolf Kühn (Anmerkung Wendes: ein Schulfreund des ältesten Sohnes von Becker) heute früh plötzlich eine Schuld zurückgezahlt hätte, wären wir nach Bezahlung des Voss absolut blank. Morgen wird gottlob wieder gezahlt.

 

484. 11.11.1923

Wir fahren zur Abbaukonferenz der Kultusminister (Chefbesprechung) nach Frankfurt. Un-ser Chef ist im letzten Augenblick erkrankt, so daß ich alles allein tragen darf. Da die preußische Verordnung im Entwurf erst heute fertig wird, bleibt Gürich noch bis heute Abend in Berlin und kommt dann mit endgültigen Instruktionen über Nacht nach. Montag beraten wir in Frankfurt, und in Berlin finden unter Trendelenburg die kommissarischen Beratungen statt; Dienstag telegraphisch einberufene Hochschulkonferenz. Mittwoch endgültige Beschlußfassung des Staatsministeriums. Ich habe heiße Tage voll ernster Beratungen hinter mir. Im Staatsministerium rettete ich am Dienstag durch eine große Rede zum zweiten Mal die Emeri-tierung, die ernstlich bedroht war. Nachträglich wird aber nochmals vorgestoßen vom Finanzminister, und deshalb haben wir die Hochschulkonferenz mobil gemacht.

Am Mittwoch wurde im Staatsministerium beschlossen

  1. Erhaltung der Emeritierung
  2. Abbau nur organisch
  3. Altersgrenze 65, aber still schweigende Verlängerung auf 68 durch Delegation an den Kultusminister.

Der Erfolg war so, daß alles mir gratulierte, selbst der Minister. Der Nachtusch geht jetzt von Remag und Genossen aus, die ihren windelweichen Chef wieder umzustimmen versuchen. Wir haben Kahl mobil gemacht, und ich hoffe auch am Mittwoch wieder Sieger zu bleiben, aber es ist nicht ganz leicht.. Unser Abbauplan sieht im übrigen vor

  • Einsparen von ca. 20 freien Stellen als erste Morgengabe.
  • Einsparen zahlreicher dritter eventuell zweiter Professuren bei Freiwerden.
  • Abbau einiger Extraordinariate.

Im Notfall Abbau von

  1. Braunsberg
  2. evangelisch-theologische Fakultät Münster
  3. Juristische Fakultät Halle
  4. Philosophische Fakultät Frankfurt.

Dies sind alles aber noch Pläne und natürlich streng geheim.

  • Bei den Schulen wird automatische gespart durch Erhöhung der Pflichtstunden,
  • Herabsetzung der Wochenstunden,
  • planwirtschaftliche Zusammenlegungen,
  • Erhöhung der Schülerzahl in den Klassen.44

Auch plane ich Abbau des Orientalischen Seminars und Erreichung unserer zwar reduzierten Pläne auf anderem Weg.

… Am Dienstag mein großer öffentlicher Vortrag45 über den Islam seit dem Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Staatsministerium. Ich konnte mich nur ½ Stunde vorbereiten und sprach dann ohne jede Notiz über eine Stunde vor einem ganz vollen Saal mit lauter Celebritäten wie Marcks, Franke usw. Auch meine Frau und Walter waren da. Es ging sehr gut, und das Experiment hatte etwas Verführerisches. Auch die übrigen 6 Vortragsstunden dieser Woche gingen glatt vorüber, sogar mit dem Erfolg, daß die Attachés mich baten, meine Vorlesungen doch noch einige Wochen fortzusetzen. Ich will das auch tun, aber nur einmal die Woche. Die kommende Woche sind es im Ganzen nur 5 Stunden, die übernächste dann nur 4. Ich bin nicht schlecht stolz auf diese Leistung. Ich freue mich doch, das noch zu können. Dabei hat der Dienst nicht im Mindesten gelitten und auch das persönliche Leben nicht, nur der Schlaf, aber eine Zeitlang geht es ja.

Die politische Lage ist noch recht ungeklärt. Die Hitlersache ist wohl erledigt, aber die Sozialdemokratie auch, so daß wieder das bürgerliche Kabinett spukt. Die Volkspartei ist ganz gespalten, ebenso das Zentrum. Die Rechte glaubt nach Abschüttlung von Hitler und Ludendorff ihre Zeit gekommen. Der Sozialdemokratie fehlt infolge der Geldentwertung die Kraft zu energischem Widerstand resp(ektive) freier Mitarbeit. Eine Verfassungsänderung im Sinn der Verselbständigung der Länder muß kommen. Auch Preußen braucht sie.46

 

485. 17.11.1923

Den ganzen Tag über hatte ich Abbaukonferenzen, noch spät abends fuhr ich zum Finanzminister mit Boelitz’ Demission in der Tasche, falls drei Punkte nicht konzidiert würden:

  • Andere Termine bei den höheren Schulen,
  • Streichung der von Bahrfeld formulierten Volksschulparagraphen,
  • Wiederherstellung der im Gesetzentwurf trotz des Staatsministerialbeschlusses gefallenen Emeritierung.

Exzellenz von Richter war sehr nett, wünschte mir, daß er überstimmt werden möchte. Zum Trost ging ich darauf in Tiefland. Am nächsten Morgen früh nochmals Abbaukonferenz, da der Minister natürlich wieder umgefallen war, dann um 10 Uhr große Staatsministerialsitzung. Ich noch vorher bei Braun47, nicht als Staatssekretär, sondern „aus persönlichem Vertrauen“ (natürlich meinerseits). Nun, wir siegen auf der ganzen Linie und zwar in allen Punkten, auch nebensächlichen. Die Hauptkosten der Unterhaltung trug ich. Wir haben bei allen Ressorts einen kolossalen Eindruck geschunden, und es war zwischen den Referenten geradezu ein Gesprächsthema, wie wir alles vorbereitet und taktisch durchgeführt hatten. Bahrfeld fiel vollkommen unter den Tisch, sein eigener Chef ließ ihn fallen. Ich hörte sehr witzige Echos und hatte an dieser wirklich großen Schlacht, der größten dieser Art, die ich mitmachte, einen erheblichen Gefallen. Ich kann Dein Urteil in dieser Sache einfach nicht begreifen. Glaubst Du wirklich im Ernst, daß es erträglich gewesen wäre, den Professoren, die wegen des Kolleggeldes doch schon mehr Verluste erlitten haben als alle anderen Beamten, nun auch noch – und zwar rückwirkend – 25% ihrer Ruhegehaltsbezüge zu streichen? Die Sache mit den Fakultäten ist auch nur ein Plan für den Notfall und ging aus von Braunsberg, dessen wirtschaftliche und sachliche Unsinnigkeit auf der Hand liegt. Auch die theologische Fakultät in Kiel ist Unfug, zwei Hörer auf einen Dozenten, aber trotzdem hoffe ich alle Fakultäten zu halten. Eine ganze Universität abzubauen verbietet sich aus nahe liegenden Gründen. Ich habe zwar das bereits viel zitierte Wort von der geistigen Urproduktion geprägt, die unter allen Umständen erhalten werden müssen, aber irgendwo müssen wir auch hier sparen. Da das keinesfalls bei den Fonds sein darf, werden eben erledigte Stellen bei Doppelbesetzungen und Nebenfächer daran glauben müssen. Tatsächlich können wir Hypertrophes abbauen, wenn z. B. auch mein Plan für den Abbau des Ministeriums mit Streichung von fünf Ministerialratsstellen uns nur schlagkräftiger machen wird. Entscheidend war, daß wir im Staatsministerium durchsetzten, daß nicht Beamte, sondern freie Stellen abgebaut werden, der Entwurf wollte alle unsere freien und eventuell einsparbaren Stellen nicht mitrechnen. Kurz, es ist eine große Sache. Gestern kam das Gesetz in den ständigen Ausschuß, wo Montag die Schlacht fortgesetzt wird. Dort haben wir eine viel bessere Position und ich glaube fast, daß das ganze Gesetz noch scheitert, jedenfalls die Kulturfragen besonders gut abschneiden. Übrigens hat Bayern bereits Protest erhoben; es denkt nicht daran abzubauen. So ist die Frage, die jetzt bereits die Öffentlichkeit mit Protesten erfüllt, noch völlig ungeklärt.

Mittwoch war ein feines Konzert des Domchors in der Hochschule (Palästrinas Messe und andere alte Sachen bis Bach), Donnerstag hatte ich wieder meinen Attachékurs von 5-7 (Uhr) und ging danach mit Goetsch in den Schatzgräber, Freitag Abend hielt ich wieder vor vollem Saal meinen Vortrag „Ägypten nach dem Weltkrieg“. Er war vollkommen neu ausgearbeitet vom ersten bis zum letzten Wort. Zum Schluß bedankten sich die anwesenden Ägypter bei mir. Ich habe nun das ganze Material durchgearbeitet und bin in meiner geschichtlichen Kenntnis Ägyptens wirklich up to date. Heute früh hielt ich dann mein Kolleg, war um 11 Uhr auf der Beerdigung meines alten Lehrers Eberhard Gotheim, an dessen Sarg Alfred Weber sehr schlecht und lang, E(rich) Marcks vortrefflich, Caro feinsinnig und Herkner schlicht sprachen.

Übrigens war mir Dein Brief in Sachen Landwirtschaft besonders instruktiv. Dein amtliches Schreiben hatte den Eindruck gemacht, als ob Du sehr schnell in der Provinz die zentralen Widerstände vergessen hättest, die Dir doch nur zu gut bekannt sind. Die zwei gnädig vom Senat konzedierten Stellen waren sowieso zum Abbau bestimmt. Kiel kam dabei schon sehr gut weg., von der überflüssigen theologischen Fakultät ganz zu schweigen. Werden sie nun landwirtschaftlich besetzt, so würde Kiel zunächst beim Abbau ausscheiden. Du siehst also, hier liegt eine neue Schwierigkeit. Trotzdem werden wir wohl den Versuch nochmals machen, namentlich nach Deinem Brief, der mir einleuchtet. Ob auch Helbing? Ich habe wenig Hoffnung, doch will ich versuchen, via Rantzau den Ministerpräsidenten zu einer Chefbesprechung zu bewegen. Der Augenblick ist natürlich äußerst ungünstig. Der Finanzminister fürchtet, daß alle Ressorts den Abbau sabotieren. Deshalb wird er allem Neuen gegenüber doppelt zurückhaltend sein.

Der Minister ist unerträglich eifersüchtig und nervös. Krüß spielt mal wieder Staatssekretär i.V. Meine neueste Sünde ist, daß ich Smend in der höchsten Not einberufen und Picht ihm beigesellt habe, ohne den Chef vorher zu fragen. Richter war rasend erbost über den Chef. Die Stimmung ist wenig erfreulich, zumal der Minister mal wieder einen gegen den anderen ausspielt. Krüß meinte heute gegen Richter, „er schätze ja die reichen Gaben des Staatssekretärs, aber eigentlich brauche ein parlamentarischer Minister einen anderen Staatssekretär. Jetzt müsse Duwe alle diese Aufgaben erfüllen; natürlich ungenügend.“ Ich glaube allerdings auch, daß Krüß der kongenialere Staatssekretär für den Minister wäre.

 

486. 25.11.1923

Der Anfang der Woche stand ganz unter dem Abbau. Am Bußtag saß ich den ganzen Tag im Ausschuß. Mittags um 5 Uhr war’s klar, daß der Ausschuß Garantien verlangt, die das ganze Gesetz illusorisch gemacht hätten. Außerdem wurde bekannt, daß im Reichstag Sozialdemokraten und Deutschnationale (zusammen die Mehrheit) Anträge auf Aufhebung der Reichsverordnung eingebracht hätten. So ist denn das Staatsministerium am Donnerstag zusammengetreten und hat das Gesetz zurückgezogen. Ich fürchte, nun wird’s noch schlimmer und Dulheuer alle Etatbewilligungen rückwärts revidieren wollen. Hol’s der Teufel.

 

487. 28.11.1923

Heute haben wir das neue Buch des Ministers „Der Aufbau des preußischen Bildungswesens nach der Staatsumwälzung“ lesen müssen und darüber ist es wieder spät geworden. Dabei hatte der Abend miteiner Panne48 am Kaiserplatz begonnen, und ich hatte im eisigen Schneesturm zu Fuß heim laufen müssen. Das Buch ist ein echter Boelitz, unpersönlich und höchstens 10% von ihm. Diese 10% in seinem bekannten Jargon mit etwas dilettantischen, wohl von Richert inspirierten allgemein-philosophischen Ansätzen. Festgelegt hat er sich eigentlich nur gegen die Entschiedenen Schulreformer und für die 9jährige höhere Schule. Es fehlt dem Buch die Würze und die Spannung. In Wirklichkeit leistet er mehr, als man nach diesem Buch von ihm vermuten sollte. Er nennt außer mir (sehr anständig) Richert, Wätzold, Kestenberg und Kühne; Jahnke kommt wenigstens einmal als Leiter einer Sitzung vor. Der Rest versinkt in Anonymität (abgesehen von historischen Größen wie Reinhardt oder Norrenberg). Alle größeren Fragen wie

  • Verhältnis zum Reich,
  • zur Lehrerschaft,
  • zu Haenisch usw.

sind sorgfältig umgangen. Ich bin sehr neugierig auf die Kritik.

Abbauvorschläge des Finanzministers. Die wichtigsten sind

  1. Abbau einer Universität.
  2. Abbau von Fakultäten incl. medizinischer Fakultät Münster.
  3. Abbau des Weltwirtschaftsinstituts
  4. Ersparnisse bei den Kliniken

Die Fonds sind geschont außer den ziemlich belanglosen … Im Allgemeinen sehr gnädig. Die Universität (gemeint ist Frankfurt. Anmerkung Wendes) wird natürlich nicht abgebaut.

Mein Personalabbau des Ministeriums ist fertig. Wird sehr diskret behandelt. Spart 5 Ministerialratstellen, 4 Regierungsratstellen und zahllose Hilfsarbeiter. Es existieren nur zwei handschriftliche Exemplare, eines beim Minister. Aber ohne Abbau- und Pensionierungsgesetz können wir nichts machen.

Dein Kuratorenversammlungsplan ist so gut, daß ich nicht begreife, warum Du ihn verteidigst. Du verstehst doch sonst Scherze. Deine gesellschaftliche Wirksamkeit finde ich fabelhaft. Wo hast Du den verborgenen Schatz gefunden? Wenn ich zu etwas nicht tauge, so ist es zum Botschafter in USA …

Bei der Beerdigung von Gotheim sprach ich neulich Meinecke und auf seine ängstliche Frage nach dem Abbau sagte ich scherzend: Natürlich werden doppelte Professoren abgebaut, überall wo es eine Hypertrophie gibt, wie bei der Geschichte in Berlin. Zwei Tage später kommt Marcks, sich ängstlich erkundigend, ob es wahr sei, daß er und Meinecke abgebaut würden? Ist das nicht köstlich?

 

488. 2.12.1923

Im Ministerium gab’s große Beratungen über die Übergangsbestimmungen für April zum Grundschulgesetz. Kaestner bockte schrecklich und fiel, wie ich Dir vielleicht schon schrieb, bei einer Konferenz im RMI49 bei Jarres dem Minister geradezu peinlich in den Rücken.

Er ist in seiner Gegensätzlichkeit zum Minister und in seiner Seelen-Vater Jahn-Attitüde wirklich manchmal schwer erträglich. Der Minister benimmt sich korrekter als Kaestner verdient, aber K(aestner) hat trotzdem nur die vornehme und ach so billige Geste der Ablehnung aller politischen und parlamentarischen Rücksichten. Es war für ihn recht blamabel, daß die Vorstände der Lehrerverbände sehr viel einsichtiger und entgegenkommender waren. Es sollen also zum 1. April noch einmal alle Kinder aus Vor- und Grundschulen in die Sexta aufgenommen werden, die vor dem 1. Januar 1915 geboren sind und die Aufnahmeprüfung bestehen. Rücksicht auf die sonst leerlaufende Sexta aller höheren Schulen – ein neun Jahre andauernder unmöglicher Zustand – und auf die Privatschulen, die unseren Erlaß auf Umstel-lung zu einem vierjährigen Lehrplan erst nach Beginn des neuen Schuljahres empfingen. (Dank einer sträflichen Bummelei von Leist50.)

Daneben neue Abbauwelle. Vom Plan des Finanzministers schrieb ich schon. Wir sollen eine große Gegendenkschrift innerhalb 8 Tagen ausarbeiten. Ich werde wohl selbst daran glauben müssen, die Mantelnote selbst zu entwerfen. Selbst Exzellenz von Richter wird sich nun wohl endlich zur Niederschrift seines Gegenprogramms entschließen müssen. Die Kuratoren brauchen wir erst nach der Programmschrift für die Details und die Ausführung. Sei froh drum. Sonst hättest Du sie machen müssen.

Über die große Politik ist es leicht Holstein’sche Sprache zu klopfen. Die Lösung Marx51 ist ein Riesenopfer dieses anständigen, versöhnlichen, aber alles andere als bedeutenden Mannes. Man beabsichtigt nach Erteilung des Ermächtigungsgesetzes den Reichstag52 möglichst bis zu den Wahlen heimzuschicken. Hoffentlich lassen sich die Sozialdemokraten darauf ein. Die Demokraten haben sich diesmal – zum ersten Mal – bewährt, indem sie die Ausdehnung auf Preußen verhinderten. Die Deutschnationalen sind haushoch hereingefallen. Sie hatten schon eine preußische Ministerliste aufgestellt Boelitz sollte belassen werden wegen seines Postens (?). Sachlich würde ich es ja doch machen und mich wollte man gnädig „vorerst“ noch im Amt belassen. Ist das nicht köstlich? (Indiskretion von Smend an Richter, die aber streng ver-traulich bleiben muß) …

Mit Wüssing bahnt sich auch ein feines, sehr geistiges Verhältnis an. Vielleicht kommt er doch noch ins Ministerium mit Hilfe von Haenisch, selbst gegen die Megäre der Partei.

 

489. 22.12.1923

Du wirst mein Buch53 und den Prometheus erhalten haben. Lies auch mal ein oder das andere Kapitel in den Islamstudien, vieles ist für gebildete Laien ohne weiteres verständlich, freilich nicht alles, einiges ist sogar unerträglich. Das weiß ich wohl, und doch würde ich mich freuen, wenn Du einmal ein Stündchen auch in die Werkstätte meines früheren Lebens blicken wür-dest, der Du mir den Übergang in die neue Welt so sehr erleichtert und verschönt hast. Der Prometheus – heißt das Eulen nach Athen tragen? – ist diese Weihnachten das große literarische Ereignis für die Jugendbewegung. Hier sind die aktuellsten Probleme formuliert, die auch Goetsch bewegen. Ich will übrigens morgen den ganzen Tag mit ihm verleben …

Dann ist die „Festwoche“ vorbei, wenn auch die Abbaukonferenzen erst nach Neujahr beginnen. Die Kontingentierung beginnt übrigens erst ab 1. Januar. Auch ist das erste Schreiben des Finanzministers nahezu zurückgezogen, so stark hat er es abändern müssen, aber knapp wird’s doch werden bis zum 1. April and after.

Doch ich bin wie Richter54 und rutsche vom Persönlichen ins Dienstliche. Richter prüft zur Zeit und ist glücklich. Er gab heute selbst zu, daß er eigentlich ein noch größerer Schulmeister sei als ich.

 

490. 28.12.1923

Gestern habe ich die Presse durch das endlich fertige Krollhaus geführt. Walter durfte mit und war natürlich seelig, mit Versenkung auf und ab zu fahren und alle sonst verschlossenen Geheimnisse hinter der Bühne vorgeführt zu bekommen. Kroll ist in Technik, Platzverteilung und allgemeiner Linienführung sehr geglückt, doch verderben leider einige sehr kitschige Dekorationen den Gesamteindruck. Über 2400 Plätze. Die Mitglieder der Volksbühne zahlen 1,20 (RM) für den Platz. Das ist doch wirklich Volksoper. Die Doppelbespielung ist natürlich ein Experiment. Meisteraufführungen wie bei der Eröffnung – im andern Haus gibt es dann Butterfly – mit Braun als Hans Sachs dürfen über das äußerst Schwierige des ganzen Unter-nehmens nicht hinwegtäuschen.

Abends war ich dann in Robert und Bertram im Schloßparktheater, um mal zu lachen. Es war auch äußerst harmlos. Gut gespielt, in glänzendem Rahmen muß es sehr wirkungsvoll sein.

 

491. 16.1.1924

Mit heißem Bemühen brachte ich es fertig, das morgen Braun ein Diner zu Ehren von Pacelli gibt. Sämtliche preußischen Minister, Reichspräsident, Kanzler Weißmann und ich sind geladen. Daran schließt sich dann ein Empfang von etwa dreißig Notablen, darunter Harnack, Seeberg, Smend, Kahl, Guardini von Professoren. Das Ganze im Smoking weil – sage und schreibe – der preußische Ministerpräsident (Braun) keinen Frack besitzt. Und dann wollen diese Leute internationale Politik machen. Braun wollte erst gar nicht, nun muß er aber, da alle Minister auf Repräsentationsgelder verzichtet haben und gegebenenfalls der Ministerpräsident einen unbeschränkten Kredit bekommt. Er war sehr ängstlich darin, ich mußte auch den Finanzminister aufbieten. Die Sache kostet 800-1000 Mark. Es ist wirklich begreiflich, daß wir bei solcher Ängstlichkeit international keine Rolle spielen können. Auch andere Hemmungen gab’s. Braun meinte, der Vatikan nütze uns nichts, mache sich nur wichtig und spiele doch nur Frankreich gegen uns aus und umgekehrt, um vatikanische Geschäfte zu machen. Gewiß richtig, aber wir müssen dann doch wenigstens mitspielen, um nicht nur Objekt zu sein. Dabei hat m.E. der Vatikan (genau wie England) alles Interesse an unserer Wiedererstarkung, schon um nicht Frankreich ausgeliefert zu sein. Außerdem ist der Vatikan eine politische Börse ohnegleichen.55 Man kann doch keine Geschäfte machen, wenn man sagt, auf der Börse falle ich doch herein. Schließlich siegte mein Argument, daß wir uns auf unsere Staatspersönlichkeit besinnen müssen und daß wir in Konkordatsfragen und überhaupt kirchenpolitisch dem Reich gegenüber ins Hintertreffen kämen. Bayern gelte schließ-lich international mehr als wir. Weißmann sekundierte gut, Boelitz wollte die Sache gern von sich abschieben, gab mir aber sachlich recht. Wir wollen doch eine Akkreditierung des Nuntius auch bei Preußen. Da muß man ihn doch auch mal einladen. Boelitz glaubte sich der Verpflichtung enthoben, da der Nuntius einmal bei ihm abgesagt hatte, als er ihn – nota bene – am Tag vor seiner Abreise einlud. Am großzügigsten war Schlüter, der insofern mir den letzten Anstoß gegeben hatte, als er mich sondierte, ob er nicht mal den Nuntius einladen sollte. Ich sagte, erst müsse es der Minister rep. der Ministerpräsident tun. Mich aber hatte die Sache schon lange bedrückt. Pacelli ist natürlich selig, und so wird die Sache morgen steigen. Ich habe diese Episode so genau beschrieben, weil sie zeigt, wie schrecklich zur Zeit jede Politik bei uns durch die Kleinbürgerlichkeit unserer „führenden“ Männer gehandicapt ist.

(Über Schaeder im gleichen Brief:)

Ich habe mich diesmal sehr gut mit ihm verstanden, er hat mir sein Leben völlig enthüllt – wirklich ein ungeheures Vertrauen beweisend – und ich habe ihm auch offen gesagt, wie ich ihn sehe. Ein überzüchteter Verstand (degeneriert, hypertrophiert, fast homunculus) sieht alle Schwächen an Menschen und Dingen und ist immer in Gefahr, durch Kritik alles zu verderben. Damit verbunden aber eine tiefe Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, Naturgebundenheit und Ehrfurcht. Er sucht immer nach dem Menschen, sieht aber immer nur ein anatomisches Präparat. Hat man das erkannt, so glaubt man seinem Enthusiasmus ebenso wenig wie seiner menschlichen Hingabe, glaubt, alles sei bewußt und gewollt und wirklich das Corrigens seiner Haltung darin, daß er so gescheit ist, daß er immer auch noch mit Fehlerquellen seines eigenen Urteils rechnet und dadurch doch noch zu einer Gesamtwürdigung von Menschen, Wer-ken und Dingen kommen kann. Sein Wille zur Ehrfurcht ist unbestreitbar und dadurch wird er sympathisch. Ich habe viel Verständnis für die tiefe Seelennot eines solchen Menschen. Er gab mir in allem recht.

Das neue Abbaugesetz passierte einmal glatt das Staatsministerium. Wir haben wieder alles durchgesetzt. In dieser Woche kommt es in den Ausschuß. Wahrscheinlich wird es scheitern, weil Volkspartei und Zentrum niemals dem Paar Severing-Freund Blancovollmacht geben werden.

Die mir peinlichste Sparmaßnahme ist mein persönlicher Verzicht auf Autobenutzung, wenigstens als tägliche Praxis. Ich glaube, daß es moralisch notwendig war und meine persönliche Autorität erhöhen wird. Trotzdem fiel’s mir schwer, sehr schwer. Ich bin halt vier Jahre daran gewöhnt. Theoretisch ist es ein Unsinn, aber praktisch war es unvermeidlich.

 

492. 20.1.1924

Vorgestern erschien plötzlich Morsbach bei mir; ich hatte ihm gerade schriftlich die Nach-folge seines Vetters Niermann angeboten. Er sagte zunächst nein; als er dann aber bei mir zu Mittag aß, hatte er plötzlich Lust bekommen, so daß er noch abends vom Minister empfangen wurde. Dem Minister hat er sehr gefallen; er war beinahe enthusiastisch, ein bei ihm gewiß seltener Zustand. Morsbach bat noch um acht Tage Bedenkzeit. Er wird wohl schließlich doch ablehnen, wenn er sich die Sache mit Wildungen nochmals überlegt … Wir haben uns wieder ungewöhnlich gut verstanden und wie alte Freunde miteinander verkehrt. Er ist doch ein ungewöhnlich gescheiter Mensch neben all seiner inneren Anständigkeit und äußerlichen Formen. Der Kerl hat Potenz und weiß es auch. Überdies möchte er gern zu mir. Einmal wird auch was draus werden, wenn auch jetzt vielleicht noch nicht. Das Urteil über ihn im Ministerium des Innern ist übrigens glänzend. Der sehr kritische Kommunalreferent von Leyden, der ihm gar nicht nahe steht, nannte ihn mir gegenüber eine ganz erstklassige Kraft. Auch Meister, Mooshake und andere waren des Lobes voll. Nur Wildermann hatte Bedenken, weil er mal einen Stuß mit Porsch und Heß hatte. Severing scheint ihn besonders zu schätzen, obwohl er doch politisch sein Antipode ist. Er ist eben so offen und gerade hinaus und ohne jeden Falsch. Die Stunden mit ihm waren mir ein reiner Gewinn., nur habe ich Angst vor der Verantwortung, ihn aus seiner derzeitigen schönen Stellung in die Schwierigkeiten unseres Ministeriums zu versetzen. Ich habe ihm dann auch alle diese Nachteile mit brutaler Offenheit auseinandergesetzt. Er dürfte nicht mir zuliebe kommen. Wenn er nicht der Sache wegen käme solle er ja wegbleiben. Jedenfalls hat sich unser stiller Bund bei diesem Anlaß wieder sehr gefestigt.

Morgen beginnt meine Arbeitswoche. Ich habe mir ganz frei genommen und will ins Breite lesen, ob mir nicht etwas für den Kantvortrag einfällt. Ich will auf eine Parallele zwischen der geistigen Lage damals und heute hinaus; d.h. ich will die Gegensätze herausarbeiten, ich will versuchen die Anfänge einer (solchen? Weggelocht!) Seelenlage herauszuarbeiten, die sich zum Beispiel bei Freyer und in der Jugendbewegung, beim Georgekreis, in der pädagogischen Literatur, in den nationalen Strömungen und in anderen geistigen Äußerungen unserer Tage dokumentiert. Der Unterschied zwischen einst und heute zeigt sich typisch in einer Variation des berühmten Kantwortes, das mir Goetsch einst auf die Rückseite eines Aquarells schrieb:

Der gestirnte Himmel über mir und das Du-sagen-dürfen in mir.“ Natürlich wage ich das nur, wenn es mir glückt, das Thema wissenschaftlich zu fassen.

 

493. 27.11924

Ich habe in dieser Woche meine eigene Bildung nicht unerheblich erweitert. Ich habe noch nie so rein nach den Grundlagen unserer geistigen Gegenwart geforscht. Meine Aufgabe ist nicht leichter dadurch geworden; denn die geistigen Grundkräfte der Gegenwart sind teils ohne, teils gegen Kant entstanden. Alles was jetzt ringt und kämpft, hängt irgendwie mit Nietzsche oder mit Marx zusammen. Nun kommt Nietzsche, der Vater der Jugendbewegung und der völkischen Ideologie aus der Romantik, aus der auch der ganze Historismus stammt und, wie Troeltsch fein ausgeführt hat, die geistige Sonderstellung Deutschlands gegenüber Westeuropa zu erklären ist. Hier ist also nur eine seiner indirekten Beziehungen zu Kant. Und Marx hat wohl einen Einschlag Hegel, aber sicher nicht das Erbe Kants, kommt im übrigen glatt aus der Aufklärung, folgt also Herder contra Kant, ja umgeht in seiner geistigen Genealogie geradezu Kant, weshalb es durchaus richtig ist, daß Cuno – der letzte Epigone der sozialistischen Theorie – leidenschaftlich gegen Kant polemisiert. Wie soll man aus all dem einen Kantvortrag bestreiten? Nun möchte ich vom Wandel des Gemeinschaftsgedankens sprechen. „Vom Ich und vom Wir“. Da hat mir Freyers Prometheus sehr gute Dienste getan. Ein ganz feines Buch, nur das letzte Kapitel fällt aus dem Rhythmus. Du mußt es unbedingt lesen. Der Mensch interessiert mich wirklich, wohl mehr Dichter als Gelehrter.

Inzwischen habe ich noch weitere Vortragssorgen. Donnerstag spreche ich für das Zentralinstitut bei Cassierer: „West-östliche Kulturkritik“. Ist das nicht ganz Salon Cassierer?-

Hast Du eigentlich meinen Spenglervortrag gehört?

 

494. 3.2.1924

Am Donnerstag hielt ich um 8 Uhr einen Vortrag „West-östliche Kulturkritik im Salon Cassierer für das Zentralinstitut. Es war ein großer Teil des geistigen Berlin versammelt und lief gut ab, obwohl ich seit 9 Uhr im Dienst und von 4-7 Uhr im Staatsministerium gewesen und deshalb etwas müde war. Danach gab’s noch Tee und Kuchen für einen kleineren Kreis (50-60 Personen).

Den nächsten Abend war Landtag: Orientalisches Seminar von 7-10 (Uhr), Kampffmeyer hatte gut vorbereitet, es war unerträglich. Ich hatte einen so unbeschreiblichen Ekel vor diesem unsachverständigen breiten Geschwätz, daß ich beinahe krank nach Hause kam.

Übrigens vergaß ich zu sagen, daß in Sachen Orientalisches Seminar kein Beschluß gefaßt wurde, da nach dreistündigem Reden noch vier Redner auf der Liste und Repliquen zu erwarten. Ich bin jetzt fest entschlossen abzubauen und meinerseits energisch vorzugehen. Mittwoch soll durch Franke ersetzt werden. Babinger schreibt einen energischen Artikel (Redak-tionsartikel) in der D(eutschen) A(llgemeinen) Z(eitung), ich selbst will die Mühe auf mich nehmen, mit den Abgeordneten zu sprechen. Allerdings habe ich schrecklich viel zu tun, Kampffmeyer hat mehr Zeit. Er stand auch am Abend vor dem Sitzungssaal. Die lächerliche Empfehlung des Hochschulverbandes hat uns mehr geschadet als genützt. Das Reich ist völlig geschäftsunfähig Hötzsch hat starke Opposition in seiner eigenen Partei, Demokraten lau. Volkspartei glatt dagegen, Sozialdemokraten ebenfalls, aber vielleicht zu gewinnen, Zentrum hielt diesmal zurück: alles nur Mißtrauen gegen die Universitäten. Theorie und Praxis seien nicht zu vereinen; ich sei eine Ausnahe und Franke ebenfalls. Man könnte die Wände hochgehen! Das sind die gleichen Leute, die immer nach Reformen schreien und nun beim ersten Schritt mir in den Rücken fallen.

Ich habe außerdienstlich auch viel vor. Der zweite Band56 wird im Eiltempo gedruckt. Er muß nicht nur gedruckt, sondern auch geschrieben werden; denn er bekommt einige neue Kapitel und dann die Nachträge! Dazu der Kantvortrag. Auch haben sich die Attachés durch das Auswärtige Amt erneut gemeldet. Sie wollen immer noch mehr von mir hören, diesmal Marokko und Nordafrika, was mich viel Arbeit kostet, da ich die Sachlage nur bis 1914 durchgearbeitet habe. Zahllose andere Angebote und Bitten habe ich abgewiesen. Jeden Tag liegen welche auf meinem Pult. Aus Zürich wird für diesen Winter nichts, aber im nächsten sicher.

Wegen Niermanns Nachfolge57 verhandelte ich mit Morsbach. Er hat mir einen wundervollen freundschaftlichen Brief geschrieben. Er kommt, wenn ich will. Eine sehr schwere Verantwortung. Ich werde Dir seinen Brief mal schicken. Richter war davon sehr angetan, ebenso der Minister. Bei dieser Gelegenheit hörte ich, daß Du Richter sehr energisch von Morsbach für Deinen Nachfolger abgeraten hättest, mir gegenüber warst Du nicht so entschieden.

 

495. 10.2.1924

Um 4 Uhr wollte Krautinger mit meiner Frau auf einen Wohltätigkeitstee der Ministerdamen in den Landtag und danach in „Viel Lärm um nichts“. Ich wollte in Ruhe arbeiten. Da telefo-nierte morgens die Ministerin an, er sei immer noch krank, und ich soll doch ja kommen. So ging ich denn schließlich mit … Frau Boelitz ist in solchen Sachen von nicht zu beschreibender Ungeschicklichkeit. Es passierte auch sonst Einiges. Die Reichspräsidentin58 wurde am Eingang offiziell erwartet, sie kam aber nicht im Auto, sondern schob sich zu Fuß im Gästestrom ins Haus, niemand half ihr bei der Garderobe usw. Da hilft natürlich kein Arrangement. Es war ungeheuer voll, Bindernagel und der unvermeidliche Clewing …

Ein anderes Erlebnis war Morsbach. Statt langen Kommentars lege ich Dir einen Brief von ihm ein. Er kam dann nochmals her, und in diesen Tagen wird er sich entscheiden. Wildermann hat sein Agrément erteilt. Alles war begeistert von ihm, selbst Schlüter. Richter meinte, man solle keine köstliche Blume aus dem Waldboden lösen und dann sagen, im Herbarium sei sie auch sehr nützlich. Ich habe Morsbach schließlich mehr ab- als zugeredet. Er muß nun als reifer Mensch seinem eigenen Dämon folgen. Ich habe ihm auch die Schattenseiten seiner Stellung so überscharf sehen lassen, daß ich ein gutes Gewissen habe.

Auch mit Götsch hatte ich eine kleine Krise. Er war plötzlich reiner Veganer59 geworden und hat sich das mit einer populären Wissenschaftlichkeit rationalisiert. Im Grunde ist es die asketische Auswirkung einer verdrängten Erlebnis- respektive Enttäuschungsreaktion. Das konnte ich nicht ertragen. Ich sagte ihm, daß ich seiner Höhen mich freute, seine Niederungen ertrüge, aber Subalternitäten wären mir unerträglich. Bisher war er so frei, jetzt macht er sich eine Scholastik zurecht und verrät sich damit selber, glaubt aber nur seine konsequente und berechtigte Lebensform zu entwickeln. Wir haben uns ausgesprochen und ich hoffe, verständigt.

 

496. 17.2.1924

Das Problem der neuen Gestaltung unseres höheren Schulwesens ist im Prinzip gelöst:

vier Typen:

  1. Humanistisches Gymnasium,
  2. Neusprachliches Gymnasium in zwei Typen, mit Latein beginnend, das dann später in Nebenstellung tritt, oder mit Französisch beginnend, wobei von Sekunda ab in Randstellung.
  3. Oberrealschule, d.h. mathematisch- und naturwissenschaftliches Gymnasium und
  4. Deutsche Oberschule, die beiden letzten mit Französisch und Englisch

Bei jedem der vier Typen soll der ganze Unterricht auf das Bildungsideal eingestellt werden. Verzicht auf die sogenannte Allgemeinbildung, die von allem etwas und von nichts was Rechtes weiß. Richert war famos, Richter, Sondag und ich sekundierten, Jahnke60 knurrte und biß an Nebensächlichkeiten herum.

Dann habe ich mit dem Minister den Abbau durchgesprochen. Westphal ist bereits aus-geschieden, Krautinger auf der Bank, Vietsch ab 1. April in Breslau, Irmer in Halle, Varrentrapp kommt als RR ins PSK61 Breslau, Schweckendiek als ORR in Reg(ierungsbezirk) Potsdam, Henke, Borchard, Engwer werden abgebaut, Rammelsberg und Runge gehen in ihre Stellen und werden als Hilfsarbeiter abgebaut. Peters sollabgebaut werden, hoffentlich freiwillig, um Kurator zu werden, Schellberg würde dann das PSK bekommen. Karstädt geht freiwillig, um irgendwo Honorarprofessor zu werden. Wegener kommt vielleicht als Alumnatsleiter nach Plön. Israel hat vier Kinder; deshalb ist der Abbau schwer; deshalb wird vielleicht Lezius gehen müssen. Im Ganzen müssen zehn verschwinden. Der Minister will alle Alten halten, namentlich Klotzsch, Leist, sehr zu meinem Leidwesen. Der Minister hat mir ziemlich nackt gesagt, daß er bereits sei, Benecke (meinen Mann) zu halten, wenn ich ihm helfe, seinen Mann, nämlich seinen Verbindungsoffizier zur Fraktion, den Schulrat Hollmann bei dieser Gelegenheit im Haus zum ORR zu machen. Er wäre bereit, Gall zum Ministerialrat zu machen, um den Stelle für Hollmann frei zu bekommen.. Laß mich darüber schweigen. Natürlich wird es geschehen. Picht bekommt U I K62. Krüß hat übrigens Landé offen abgelehnt, er fände das „ungemütlich“, so sehr er ihn sachlich anerkenne.

Auch über die Universitätsprofessoren haben wir beraten, bisher erst drei Stunden. Es werden viele fallen, aber Kiel kommt sehr gut weg. Übrigens hat der Minister ganz offen mit mir über Jahnke geredet, er beurteilt ihn ebenso wie ich. Er sagte wörtlich: Wenn ich tun könnte, was ich wollte, würde ich Jahnke und Kaestner abbauen, einen Juristen als Direktor über beide Abteilungen setzen mit je einem Dirigenten (Philologe, Schulmann) für die zwei Abteilungen. Dieser Direktor müßte dann Herr Wende sein. Der wird das können. Meinen Sie nicht?

Ich sagte: Können würde er es wohl, aber tun würde er es wohl nicht.

Am Mittwoch ist Ausschuß Orientalisches Seminar. Ich bereite mit Zentrum und Sozialdemokraten ein Kompromiß vor. Organisation soll bestehen, aber de facto soll nach unserem Plan gehandelt werden. Die europäischen Sprachen werden abgebaut.

 

497. 4.2.1924

Als vorigen Freitag im Hauptausschuß von Exzellenzen Kriege und den Trabanten respektive Exponenten Kamffmeyers der Unsinn siegte, Erhaltung des orientalischen Seminars als Kern einer künftigen Auslandshochschule und Einführung der kollegialen Verfassung beschlossen wurde – die Sozialdemokratie ließ mich gänzlich im Stich, da die Partei des Ministers unter Krieges Führung geschlossen gegen mich stimmte, nur Lauscher war glänzend und tadellos -, da erfaßte mich ein derartiger Ekel vor Parlament und Politik, daß ich einem Nervenzusammenbruch nicht fern war. Richter benahm sich vortrefflich, berichtete den nächsten Morgen allein dem Chef, dem es nun etwas zu dämmern begann und der dann nachher mit mir sehr nett und gegen Kriege ziemlich deutlich war. Er wird die Sache nunmehr vor die Fraktion bringen, da er in der Sache ja auf meinem Boden steht. Bei Kriege ist es ein urtümlicher Haß gegen alles was Professoren heißt, bei der Linken ist es die grundsätzliche Unterstützung der Lektoren gegen die Professoren, aber was mich so verletzte, war die Tatsache, daß alle Beteiligten genau wußten, wie ernst ich die Sache nahm, daß es sich hier um den ersten Schritt in der pädagogischen Reform handelt, an der mein Herz hängt, und trotzdem, ja gerade deshalb hat man anders gestimmt, weil man mir mißtraut und weil Kampffmeyer und Genossen von Anfang an gar nicht mit Argumenten, sondern mit Verdächtigungen gearbeitet haben. Das nach einer Kampf- und Arbeitsgemeinschaft von fünf Jahren die Linke, der ich doch wirklich manchen Dienst getan habe, mit einem Knirps wie Kampffmeyer geht und den Staatssekretär und schließlich doch besten Kenner der Materie einfach fallen läßt – das ist Felonie, das verekelt einem die ganze Arbeit. Gewiß wurde es ihr leicht gemacht durch die Haltung der Partei des Ministers. Ohne Kriege hätten sie mit mir gestimmt oder sie hätten sich wie so häufig gern überstimmen lassen. Und da liegt nun der andere Stein des Anstoßes. Man kann sich, selbst wenn man ihm tausend Dienste getan hat, niemals auf den Minister verlassen. Er hat natürlich keinen Anlaß bei seiner Partei mein Lob zu singen. Das ist natürlich. Aber so darf er mich nicht hereinfallen lassen. Ich hatte ihn vorher gebeten, aber er entschuldigte sich selbst mit zu großer Belastung mit anderen Fragen. In der Fraktion wäre die Sache nie besprochen worden, Kriege aber war von Mann zu Mann gegangen. Das alte Waschweib Schuster hatte ich vergebens eine Stunde lang instruiert. Ich habe ja schon in der Studentensache diesen mangelnden Rückhalt beim Minister erlebt, ihn ertragen und mich zurückgezogen. Dauernd kann ich diese Politik nicht ertragen. Diesmal war es eine aus mancherlei Motiven gespeiste höchstpersönliche Niederlage vor dem Hauptausschuß, die ausschließlich mir galt, wobei der Minister gewiß nicht der Anstifter war, aber er hatte es fahrlässig geduldet. Ich frage mich, ob mein Verbleiben im Ernst einen Sinn hat, nachdem man mir so deutlich in einer mir dreifach wichtigen Sache den Verlust meiner persönlichen Autorität dokumentiert hat. Bin ich mir schließlich nicht zu gut dazu? Die Sachau’sche Stelle ist noch frei. Dafür, d.h. für solche Untreue und solche Gleichgültigkeit opfere ich nicht meine letzte Nervenkraft.

Natürlich kann man die Sache noch anders ansehen. Im parlamentarischen Leben wechseln Siege und Niederlagen. Was war es? Eine Resolution. Ich hatte ein klares und deutliches „Unannehmbar“ ausgesprochen und im Rahmen der Exekutive und der Abbauverordnung alles andere vorbehalten. Der Minister hat das gestern Kriege gegenüber bestätigt, was ihn sehr betroffen zu haben scheint. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Die Sache wird ja eines Tages doch sicher durchgeführt.

Also weshalb die Aufregung? Erich, ich bin nun mal nicht der verstandeskühle Politiker, den Manche in mir sehen, sondern ein Mensch, der die Dinge, die er vertritt, beseelt. Der Minister sagte mir, meine Reden seien zu schön und zu suggestiv – infolgedessen würden immer Nebenabsichten dahinter gesucht. Und doch sind es diese Reden, die manche Situation gerettet und durch die ich z. B. am gleichen Tag noch den Minister aus einer sehr peinlichen Situation im Staatsministerium herausgehauen hatte. Gewiß weiß ich, daß ich im Rahmen des Staatsministeriums eine sehr starke Position habe, auch von Ressort zu Ressort namentlich seit den Abbauverhandlungen, aber ich sehe natürlich auch Mißgunst und Neid der kleineren Geister, all das, was man als das System Krüß bezeichnen könnte, womit ich gegen Krüß persönliche Loyalität nichts sagen will. Trete ich jetzt zurück, verliere ich nichts an Liebe, aber viel Haß und Neid. Auch könnte ich keine persönlich vorteilhaftere Plattform für einen Rücktritt haben als eine solche Sache, in der der Hochschulverband und die Berliner philosophische Fakultät geschlossen hinter mir steht. Das gibt auch Richter alles zu und er meint, wenn ich annähme, in Kürze doch weggeweht zu werden, natürlich unter der Voraussetzung, daß ich wirklich wieder Professor werden könnte und wollte. Ein Sprung ins kalte Wasser ist es natürlich, aber nach einem halben Jahr hat man’s überwunden. Nun will ich mich vor jeder übereilten Entschließung hüten. Nichts ab irato, nichts aus meinem gegenwärtigen Übermüdungszustand heraus entscheiden. Dafür ist die Sache zu wichtig. Ich muß Distanz haben. Deshalb werde ich morgen den Minister um 14 Tage Urlaub bitten, vom 1.-15. März, und zu Gragger nach Arosa oder ins Engadin fahren. Bis dahin kann ich die Abbaudirektion fertig haben …

Die Zeit bis dahin muß noch fabelhaft genutzt werden. Druckbogen, einen Aufsatz schreiben, Marokkovortrag vor Attachés, Abbaukonferenz der Staatssekretäre, Einladung von drei Englandkennern für Walter, Konferenz der Provinzialschulkollegien mit Abend in der Deutschen Gesellschaft und was die Woche noch alles bringen wird …

Weißt Du, Erich, ich habe mich in diesen Tagen von einer neuen Seite kennengelernt. Es war die schwerste dienstliche Erschütterung, die ich erlebte, wohl nicht nur, weil die Niederlage in der 16. Arbeitsstunde des Tages erfolgte, sondern weil es eine ganz persönliche Niederlage war in einer Sache, die unbedingt gut und richtig ist. Ich habe nun mal nicht die Richter’sche Verachtung des Parlamentes, irgendwo ist bei mir der demokratische Gedanke ein Ideal, eine Glaubenssache. Ich bin in meinem Glauben an den neuen Staatsgedanken irgendwie erschüttert, und diese Erschütterung verbindet sich mit der Erschütterung des Glaubens an meine persönliche Wirksamkeit im Rahmen dieses Systems. Deshalb ist es die ernsteste Krisis, die ich im Ministerium bisher durchgemacht habe.63

 

498. 2.2.1924 (aus Arosa)

Ich neige auch zu Deinen Gedankengängen. Der Trotz des quand même ist in mir wieder erwacht. Meine Frau war etwas entrüstet über Deine „Beeinflussung“. Ihr wäre wohl das Liebste, wenn ich aufpackte und an eine kleine Universität übersiedelte …

Dafür bin ich noch zu jung. Ich habe ihr mal im Scherz Kiel proponiert. Das ist ihr wieder zu nordisch. Es wird wohl Berlin bleiben. Über kurz oder lang die Universität. Es ist richtig, da-mit nicht zu lange zu warten. Wenn ich an die Freiheit denke, die ich dann hätte! Auf der anderen Seite zwingt mich das Pflichtgefühl an meine jetzige Stelle. Ich prüfe mich noch, ob es wirklich Pflichtgefühl oder Eitelkeit oder Machtverlangen oder sonst was ist. Hier bin ich völlig entspannt und denke gar nicht an den Dienst … Jedenfalls war ich noch nie so erschüttert in meinem dienstlichen Selbstbewußtsein wie diesmal. Ohne Glauben an mich selbst und an meine Wirkungsmöglichkeit kann ich nicht bleiben. Gragger malt mir entzückend die Arbeitsgemeinschaft im Orientalischen Seminar aus, doch ist er vorerst noch für mein Verbleiben. Jedenfalls habe ich hier die nötige Distanz zu ruhiger Überlegung. Auch ist es wohl praktischer – das war Mittwochs Version – den aktuellen Anlaß vorübergehen zu lassen. Die Fakultät würde mich jetzt nicht vorschlagen, weil das wie Byzantinismus aussähe, aber es wäre kein Zweifel, daß sie mich mit Freuden aufnehmen würde.

 

499. 23.3.1924

Diese Woche habe ich viel gearbeitet. Abends meist mit Kant. Der Minister war fort und ich hatte mancherlei Verantwortung. Gestern ist er plötzlich zurückgekommen. Erkrankung und Schiffsstreik, so hat er seine Seereise aufgegeben, und wir hoffen alle zu Gott, daß er schleunigst wieder abreist; er war bis zur Unerträglichkeit nervös. Hoffentlich langen dazu seine Moneten. Auch ich brauche jetzt Ruhe; mit einem nervösen, halb abwesenden Minister kann ich jetzt meine sonstige Arbeit nicht erledigen. Genau wie beim orientalischen Seminar ging es mit Wätzolds Reformplan über die Zusammenlegung der Kunstschulen. Erst allgemeines Hosianna, beim ersten Widerstand allgemeines Kreuzige ihn! Der Landtag fiel der Exekutive in den Rücken. Trotz unserem Unannehmbar beschloß der Ausschuß einstimmig gegen uns und brachte den Antrag ohne unser Wissen gleich den nächsten Morgen ins Plenum, wo er Annahme fand, obwohl ich inzwischen beim Ministerpräsidenten war, der sich querlegen wollte. Nun soll am Dienstag im Staatsministerium beschlossen werden, daß wir uns um diese Resolution nicht kümmern. Natürlich gibt das in der Öffentlichkeit einen Mordsspektakel. Auch mit unserem Abbau im Ministerium hatte ich Schwierigkeiten wegen der Eifersucht der Ressorts, die immer meinen, ich legte sie hinein. Besonders dringend ist die Prolongierung der 65jährigen Professoren. Es sind zwischen 70 und 80. Das gibt natürlich auch neuen Krach.

 

500. 30.3.1924

Ich muß jetzt jede meiner wenigen freien Stunden nutzen, um meinen Kantvortrag zu vollenden. Natürlich steht das kurze Ergebnis in gar keinem Verhältnis zu der Breite meiner Vorstudien, aber ich habe wenigstens selbst einen erheblichen Gewinn davon. Wie herrlich wäre es, 14 Tage ganz für diesen Zweck zu haben, wie wohl jeder der professoralen Redner in Königsberg sie gehabt haben. Am Sonntagabend bin ich immer voll und da wäre es am nächsten Morgen ein Schöpfen aus dem Vollen, aber dann kommt der Tag mit seinen Forderungen und seinem eben besonders zermürbenden Dienst und abends fehlt dann der Zusammenhang und die Spannkraft. Heute habe ich wenigstens die Einleitung niedergeschrieben und den Plan entworfen, „Kant und die Bildungskrise der Gegenwart“.

  • Ich analysiere erst die Bildungskrisis in ihren Quellen und Formen, um dann demgegenüber
  • 1. Kant’s Begründung und Begrenzung der Wissenschaft
  • 2. seine tiefe Ethik als Gegenpole zu entwickeln, nicht um aufzuzeigen, inwieweit er selbst resp(ektive) seine Wirkung an der Krise schuld ist.

Dies alles auf 10 bis 15 Seiten.- Sehr viel gab mir wieder Freyer, dessen Anthaeus (mehr als Prometheus) ich zweimal genau las und eben analysierte. Viel verdanke ich auch Korff’s Geist der Goethezeit und Wust, Auferstehung der Metaphysik, und Dilthey. Dazu natürlich überall Troeltsch -.

Der Minister gottlob wieder abgereist, ich sah ihn nur einmal, er kümmerte sich um nichts. Abbau geht glatt weiter, es war aber eine entsetzliche Hetzerei zum 1. April fertig zu werden. Die sämtlichen Professoren über 65 sind vorerst für ein halbes Jahr verlängert. Inzwischen suchen wir eine definitive Lösung mit dem Finanzminister. Dieser macht uns übrigens mit der Kieler Landwirtschaft erneut Schwierigkeiten. Ich habe aber gute Hoffnung. Ich bin schon neulich mal entsetzlich deutlich geworden. Diese Behörde ist sehr schlecht, namentlich das Generalreferat ist der Aufgabe nicht gewachsen, so daß wir jetzt Helbing und Dulheuer gegen das Generalreferat stützen müssen.

 

501. 23.4.1924

(Bericht über das Kantjubiläum in Königsberg; im Zuge zwischen Berlin und Breslau.)

Von der Hinreise habe ich berichtet, dort großer Empfang mit Zylindern und Autos. Richter und ich bei Hoffmann, dem wir vorher noch schnell 500 Mark bewilligt hatten. Er hätte es sonst einfach nicht geschafft. So sind wir, d.h. diesmal ich, seiner unausgesprochenen Bitte zuvor gekommen, wofür sich rührender Weise die Frau bei mir bedankte. Wir aßen schnell zu Abend und gingen dann noch zu einem kleinen gesellschaftlichen Empfang in einem reichen Privathaus, wo Harnack wohnte. Der erste Tag begann mit langem Ausschlafen, behaglichem Frühstück, das so solenn war, daß ich sogar eine Zigarre danach rauchte. Es regnete, am zweiten Tag schneite es sogar. Der kirchliche Akt mit unmöglicher Rede des Stadtschulrats Stettiner und feiner Ansprache Harnacks, die aber beide nur der Hälfte der Teilnehmer akustisch verständlich waren, wirkte besonders durch die Kostüme und Farben wie durch das historische Milieu. Dann sprach draußen unter leise rieselndem Regen der Oberbürgermeister. Das Grabdenkmal ist würdig und schön geworden, modern, aber im Geist der hochstehenden Pfeiler, nicht in der schematischen Form gut zur gotischen Architektur des Domes passend. Danach Diner beim Kurator: beide Minister, Bludau mit Dompropst, Strunck/Danzig mit Frau, der Rektor von Danzig mit Frau und wir. Sehr anständig, aber nur ein wirklicher Gang mit Schwanz, was mir besonders gefiel. Mit dem Bischof sprach ich lange von unserm Besuch und er erkundigte sich genau nach Dir.

Dann kurze Teevisite bei Eisenlohrs und großer Empfang in den herrlichen Räumen der Stadthalle. Die Egmontouvertüre, dann Rede des Oberbürgermeisters, des RMI (Reichsinnenministers) Jarres und des Ministerpräsidenten. OBM typische OBM-Rede. Jarres desgleichen, aber mit dem ihm eigenen sehr suggestiven seelischen Pathos. Braun hatte seine Rede selbst gemacht, kunstlos und schlicht, aber die Ankündigung der ersten Baurate von 150 000 Mark – ein Erfolg von Hoffmann. – sicherte ihm einen großen Erfolg. Er meinte, die Wiedergeburt solle aus dem Geist Königsbergs erfolgen, aber nicht in schematischer Wiederholung der Freiheitskriege, sondern aus der Kant’schen Vernunft heraus, die zu dem von Kant geforderten ewigen Frieden führen könne. Es lief gut ab. Dann folgte die 5. Symphonie und dann ein köstliches Buffet, wobei nur Richter falsch plaziert war und ich mich im Raum irrte, so daß wir nur Bier statt Burgunder bekamen und wir zum Schluß den Kurator nicht finden konnten, was bei Richter einige Verstimmung gab. Ich hatte mir Jakob und Hartmann gemütlich zusammen gesessen und den Burgunder nicht entbehrt.

Den Höhepunkt bildete aber gestern der akademische Akt im Theater. Der Rektor schlicht und kurz, aber tönend, dann Boelitz, ebenfalls tönend, aber auch gut, sogar sehr gut mit großer Wirkung. Goedeke-Meyers Rede gewann sehr durch das strahlende Ethos und die schlichte Reinheit dieses natürlich etwas dünnen Mannes. Dann gründliche Frühstückspause. Nach zwei Versen Integer vitae kam ich. Wir saßen alle auf der Bühne, ein glänzendes Bild, rechts vom Katheder, auf zwei Thronsesseln der Rektor und Boelitz, links auf bequemen aber etwas weniger vornehmen Stühlen: ich, der OBM, Harnack, dahinter Seeberg Vater, Schenk und einige andere Redner. Es zog über alle Beschreibung und ich danke meinem Schöpfer, daß ich – vorerst – mit einem leichten Schnupfen davon zu kommen scheine. Meine Rede wurde aber freundlich aufgenommen und von einigen sogar als Höhepunkt bezeichnet. Du weißt, wie ich darüber denke. Ich selbst weiß, daß sie gut war, aber ich hatte auch äußerlich alle Satisfaktion. Die Begrüßungsansprache war kurz und abwechslungsreich. Oxford war offiziell vertreten, eine bewußte Geste. Im allgemeinen waren die Ausländer nicht zahlreich, 20 – 25, es fehlten die Romanen, die Schweiz und Holland. Den Schluß bildeten die Ehrenpromotionen, von denen Du gelesen haben wirst. Mein Eulogium ist sehr nett. 1. dem Redner, 2. dem Orientalisten, 3. dem Staatssekretär, dessen von humanistischen Geist diktierte Kulturpolitik die theologischen Fakultäten in schwerer Zeit erhalten habe. Mehr kann ich nicht verlangen. Ich hatte den Eindruck, als ob man mir die Ehrung wirklich gönnte. Das freut mich am meisten. Es ist immerhin ein Zeichen von sich langsam wandelnder Einstellung mir gegenüber.

Abends Bohnenessen mit Bickel als neuen Bohnenkönig und Fidelio.

 

502. 27.4.1924

Inzwischen hast Du meinen Königsberger Bericht erhalten. In Breslau wurde ich sehr angenehm überrascht, da Gragger schon auf dem Bahnhof stand …

Am nächsten Morgen stieg schon um 9 Uhr mein Vortrag, der offenbar gut aufgenommen wurde, obwohl es mehr eine Sammlung von Apercus war als ein Vortrag, aber es ging an einigen Stellen etwas in die Tiefe. Etwas amüsiert hat mich die Wirkung auf die vollständig anwesenden Mitglieder von Regierung und PSK64; ich sprach über Staat und Erziehung, begann mit einer Charakteristik des gegenwärtigen Staates und führte dann aus der Fülle der Probleme der geistigen Lage der Jetztzeit zwei Spannungsverhältnisse etwas ausführlicher aus:

  • Nationalismus und Internationalismus und
  • Nationalismus und Irrationalismus.

Neu war nur der innere Zusammenhang zwischen diesen drei Punkten. Jedenfalls war Kestenberg sehr befriedigt und seine Musikgenossen, denen meine Ausführungen offenbar gut in den Kram paßten. Dann hörte ich selbst noch den nächsten Vortrag über Kunsterziehung von Müller/Freienfels, der schrecklich kitschig anfing, aber dann doch ganz ordentlich war.

 

503. 4.5.1924

Ich beschäftige mich viel mit Abbaureklamationen und Verwaltungsreformen. Landé baut ein Gesetz über die Zusammenlegung der PSK mit den Regierungen. Er will provinzielle Oberschulämter schaffen mit von diesen detachierten Vertretungen an den Sitzen der Regierungspräsidenten. Ich bin umgekehrt für Stärkung der Regierungen, da die Betonung der Provinzen nur der Auflösung Preußens den Weg bereitet65. Da man aber die PSK wegen der Fachaufsicht nicht aufteilen kann, müssen sie m.E. dem Regierungspräsidenten der Provinzialhauptstadt, der ja in Zukunft zugleich Oberpräsident wird, unterstellt und mit den Regierungsabteilungen II verbunden werden. Ein schwieriges Problem. Landé war recht traurig und verwundert, daß ich so wenig ressortmäßig und so allgemein staatspolitisch dächte. Die jetzt projektierte Verbindung der Oberpräsidien mit den Regierungen am Orte haben den Nachteil, die bisher rein fachtechnisch aufgezogenen Regierungen zu politisieren. Natürlich will das die Sozialdemokratie, die wohl politische Oberpräsidenten, aber keine fachmäßig ausgebildeten Regierungspräsidenten zu stellen vermag.. Dabei übersieht sie vollkommen, daß sie damit die Geschlossenheit Preußens, die doch zu ihrem Programm gehört, untergräbt.

 

504. 25.5.1924

Heißer Kampf um die Schulreform mit den Universitätsprofessoren. Richert war nicht glücklich. Nach dem unglaublichen Votum der philosophischen Fakultät glaubte er nichts voraussetzen zu dürfen und langweilte so die Herren, während er sie am zweiten Tag angrobste, bis Richert und ich ihn zurückpfiffen. Spranger verdarb durch eine verärgerte Rede die Stimmung noch mehr. Gottlob mußte der Minister bald gehen, und nun nahm ich die Sache in die Hand und brachte sie, wie ich glaube, zu einem guten Ausgang. Ich und andere merkten bei dieser Gelegenheit, wie stark das Vertrauen ich mich gewachsen ist. Es war aber inclusive dem gemeinsamen Essen in der Deutschen Gesellschaft und Tee beim Minister wahnsinnig anstrengend für den Leiter …

Tags darauf von 9-12 Uhr Fortsetzung der Verhandlungen unter meinem Vorsitz, während um 11 Uhr im anderen Sitzungssaal der Minister den Kampf nach der anderen Seite (Turner- und Leibesübungsleute, Beirat unter Dominicus’ Führung) aufnahm. Um 12 Uhr machte ich im kleinen Sitzungssaal Schluß und wechselte in den großen hinüber, ließ aber Krüß präsidieren.

Das Orientalische Seminar kam nicht zur Verhandlung. Wir werden nur eine Erklärung durch Hollmann verlesen lassen, wenn die Sache nach Pfingsten drankommt.

Dann ist plötzlich die Lehrerbildungsfrage akut geworden, sie soll nächstens im Staatsministerium entschieden werden. Unerwartet kam dann noch die Neuregelung der Gehälter, aus heiterem Himmel mit all den Folgeerscheinungen, die diese Verhandlungen jedesmal für uns haben (wegen der Volksschullehrer und der Professoren). Ich selbst ging in den Reichsrat und mußte deshalb sogar mein Kolleg verkürzen. Es ist eine großartige Leistung von Luther. Notverordnung. Sonst wäre diese notwendige, aber große Bevorzugung der höheren Beamten nie durchzusetzen gewesen. Preußen stimmte im Reichsrat nur zu, wenn das Reich für Dek-kung sorge. Preußen hat keine Mittel. Gottlob ist das Reichskabinett ja nicht an die Zustimmung gebunden. Der Reichstag, der ja von Postschaffnern und Eisenbahnsekretären regiert wird, hätte dieser Regelung nie zugestimmt. Es war die letzte Möglichkeit vor dem Zusam-mentritt des Reichstages. Nun müssen die Länder nach. Ein Aufatmen geht durch die ganze höhere Beamtenschaft.

Gestern war noch eine Deputation der philosophischen Fakultät bei mir, um gegen die Zerteilung der Fakultät zu protestieren (Pompetzki, Spranger, Planck). Ich blieb fest, während Richter Kompromißpläne erörterte, während er mir vorher erklärt hatte, er bliebe nicht im Amte, wenn ich nicht festbliebe. Die Fakultät ist natürlich dagegen, doch es gibt eine Minderheit, der „Novissimi“, wie Spranger sagte: Marcks, Franke, Abert, Gragger und einige andere. Hauptgrund: man sieht sich sonst nie und kann so schön schwätzen, ideologischer Unterbau mit der These von der Einheit der hier verkörperten reinen Wissenschaft. Na, in Ideologien weiß ich Bescheid. Sie hatten jedenfalls den Eindruck, daß auch bei uns gute Gründe vor-liegen. Ich formulierte etwa so:

  1. ideologisch: nicht die philosophische Fakultät, sondern die Gesamtuniversität vertritt die reine Wissenschaft; durch Selbstbefriedigung der philosophischen Fakultät leiden die anderen Fakultäten, verlieren die Fühlung und werden von der Anwendung überwuchert.
  2. praktisch: wird die Fakultät so groß wie hier, arbeitet sie wie ein Parlament mit der ganzen bekannten Oberflächlichkeit solcher Institutionen. Ihr Votum hat deshalb für die Regierung nur noch den Wert eines einzelnen Votums, eben des Referenten. Kleine Fakultäten sind wertvoller, weil hier alle verantwortlich mitarbeiten. Die Bedeutung der Fakultäts-Voten steht im umgekehrten Verhältnis zu ihren Größen.

 

505. 29.5.1924

Gestern und vorgestern schwierige kommissarische Beratungen über die Deckung der Gehaltserhöhungen, an denen ich persönlich teilnahm, da wir die Leidtragenden sein sollen. Bekanntlich tragen wir jetzt ¾ der personellen Schullasten, ein Riesenfortschritt des VDEG gegenüber dem alten VUG. Jetzt soll rückwärts revidiert werden, so daß wir nur noch 3/5 zahlen, da die Gemeinden bei dem Finanzausgleich besser gefahren sind als die Staaten. Ich habe in schwierigen Verhandlungen wenigstens das Prinzip gerettet und eine gewisse Verteilung durchgesetzt. Das Finanzministerium wollte halb und halb teilen, was uns im Kampf um die staatliche Volksschule um ein halbes Jahrhundert zurückgeworfen hätte.

 

506. 1.6.1924

Seit Donnerstag ist natürlich nicht viel passiert, nur daß ich gehört habe, daß – namentlich bei einem Regierungswechsel meine Stellung bedroht sein soll. Ich bin für das Zentrum ein Hindernis zur Macht im Kultus. Die Direktoren sind schwer zu beseitigen, die Leitung wird wohl bei keiner Kombination dem Zentrum zufallen. Also will man den Staatssekretärsposten, namentlich seitdem der derzeitige Inhaber66 wegen Nichtbefriedigung der Wünsche Schlüters und Schellbergs und wegen Einberufung des nicht dem Zentrum versklavten, aber dem Zentrum zugehörigen Sondag persona minus grata geworden ist. Richter hat mir – was niemand wissen darf – eine sub sigillo von Krüß kolportierte Äußerung des Ministers wiedergegeben, wonach der Minister sich weigerte, die Amtsdauer Milkaus zu prolongieren, da meine Positi-on bedroht sei und er mir die Stelle anbieten wolle. Da auch mir von anderer Seite unzufriedene Äußerungen des Zentrums mit meiner Personalpolitik zugingen und keine andere Partei an meiner Objektivität ein Interesse hat, wird meine Herrschaft wohl bald ein Ende nehmen. Da alles heutzutage nach Partei-Arithmetik geht, bin ich ja zweifellos ein Anachronismus. Natürlich denke ich nicht daran, die Nachfolge Milkas anzunehmen. Für mich kommt nur die Professur in Frage. Ich würde wohl ohne Ressentiment ausscheiden, auch gäbe es ja noch andere Wege wieder zur Macht zu kommen, wenn mir soviel daran gelegen wäre. Aber mich reizt die Unabhängigkeit eines Berliner Ordinarius doch auch und würdig wäre diese Position gewiß. Vielleicht geht diesmal noch der Kelch vorüber, nachdem die Deutschnationalen aus der Kombination ausgeschieden und vorerst in Preußen kein Wechsel zu erwarten ist. Der Minister meint allerdings, die Sozialdemokratie wolle sich zwecks innerer Konzentration für die neuen Preußenwahlen aus dem Regiment zurückziehen. Heute ist Braun für sechs Wochen in Urlaub gefahren. Das sieht nicht gerade nach Krise aus, aber man kann nie wissen. Daß der Minister mich aber auch so kühlen Herzens jeden Augenblick opfern würde, wenn er sich auch nur die kleinste Besserung seiner Position davon erwarten darf, steht außer Zweifel.

 

507. 15.6.1924

Martha mit Gigli.67 Ich weiß nicht, ob Du weißt, wer das ist. Es ist der neue große Tenor. Anders als Caruso68; Caruso war Künstler, jeder Ton studiert und bewußt; Gigli ist ein Naturphänomen. Er singt naiv, aber mit einer Süßigkeit und Schönheit der Stimme, wie ich jedenfalls es noch nie gehört. Dabei Geschmack und Temperament, eine gewaltige Fülle noch in der höchsten Höhe, dabei mühelos und liebenswürdig, kein Schauspieler, klein, noch ohne Mätzchen, Anfang der Dreißiger. Es war ein beispielloser Erfolg. Wahre Stürme des Applauses bei offener Szene. Der schlimme Schlager „Martha, Martha du entschwandest“ wirkte wahrhaft tief und groß, mußte da capo gesungen werden, kurz, es war ein Ereignis.

Richter hatte von seinem Beisammensein mit dem Minister allerlei durch Alkohol ausgelöste Vertraulichkeiten über meine erschütterte Stellung mitgebracht und war namentlich auf Krüß geladen. Mit Sprüchen wie: „Wir haben zwei Minister, aber keinen Staatssekretär“ kann man viel Gift säen. Es stünde niemand hinter mir, auch die Sozialdemokraten nicht usw. Richter riet auch meinerseits etwas zu tun. Ich habe mich seit über einem Jahr politisch so völlig zurückgehalten (mit Rücksicht auf den Minister), daß ich allerdings nur noch sehr wenig parlamentarische Beziehungen unterhielt. Ich beschloß eine Aussprache mit Braun und mit Lauscher herbeizuführen, mich vor allem etwas häufiger im Landtag sehen zu lassen. Inzwischen ist ohne mein direktes Zutun Folgendes passiert: Die Sozialdemokratie hat Wind bekommen davon, daß das Zentrum meinen Posten ambitioniert. Drauf hat sie (d.h. König) die Sache vor die Fraktion gebracht und König wurde offiziell beauftragt, Braun, Severing und Boelitz zu sagen, daß sie dem keinesfalls zustimmen würde, daß sie vielmehr das Verbleiben des derzeitigen Staatssekretärs wünschten. Das hat mich doch recht gefreut, wenn ich auch einsehe, daß sie von allen guten Geistern verlassen sein müßten, wenn sie anders handeln würden. Nun habe ich auch eine etwas andere Position, wenn ich mit Lauscher rede. Zu dieser Unterhaltung animierte mich sehr der Abgeordnete Lönartz vom Zentrum, ein rechts-stehender Landrat, jung, frisch, Typ Morsbach, nur nicht ganz so fein, aber sehr kultiviert, galt lange als künftiger Minister des Innern, hat jetzt aber einige Schwierigkeiten im Zentrum, da er Führer des rechten Flügels ist gegen Heß und Hirtsiefer (links), während Forsch die Mitte hält. Wir haben uns seit etwa einem Jahr etwas angefreundet, d.h. wir reden gelegentlich in einer Fensternische des Hauptausschuß-Saales endlos lange zusammen und finden offenbar beiderseits Gefallen aneinander, was sich in einer merkwürdigen Offenheit äußert. Er hatte von dem Mißtrauen gegen mich noch nichts gehört, maß ihm auch wenig Bedeutung zu. Das wären so parlamentarische Wellen, die kämen und gingen. Man kann sich nun all diesem Getriebe und Geschwätz gegenüber gleichgültig verhalten, aber ich glaube, daß reale Politik verlangt, daß man sich von Sentimentalitäten frei hält und sich ganz klar macht, daß mit solchen Mitteln der Kampf um die Macht gekämpft wird. Ich dachte z. B. daran, unter Umständen jetzt den Anschluß an die Demokraten zu vollziehen. Deklariert löst man mehr Vertrauen aus, aber auf der anderen Seite gäbe ich meinen schönen unabhängigen Standpunkt auf. Auf die Dauer ist es völlig unmöglich, so neutral zu bleiben, wie ich es in diesen Jahren war. Und die Rechte wird mir doch nie trauen. Übrigens hatten Krüß und der Minister einen Abgang in allen Ehren geplant: Professur und Direktion der Staatsbibliothek = Nachfolge Harnack. Was könnte ich mehr verlangen? Die Sache ist aber noch nicht ganz akut; denn inzwischen hat Boelitz die Prolongation von Milkau um ein Jahr verlängert.

 

508. 22.6.1924

Wie reich war wieder diese Woche an persönlichem Erleben. Vor acht Tagen der kleine Baum, ein entzückender Mensch, die Illustration zu dem Bibelwort: „Wenn Ihr nicht werdet wie Kinder, werdet Ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Er hat etwas vom Heiligen an sich, in seiner strahlenden Güte und Liebenswürdigkeit, seiner Reinheit und Unberührbarkeit, und doch ist er ein ganz moderner Mensch, der auch für den Katholizismus Freiheit will und die Ängstlichkeiten der Kirchenfürsten und der alten Herren in Bezug auf Schulreform und katholische Sondererziehung milde belächelt. Seine religiöse Selbstgewißheit ist einfach wundervoll und geradezu ansteckend. Wir haben uns von 1-10 Uhr ununterbrochen unterhalten und zwar war das kein Geplauder, sondern eine ganz vertiefte Unterhaltung. Ein katholischer Geistlicher, der sich einem Protestanten, wie ich es bin, so restlos offen über alle Fragen des Seelenlebens ausspricht, das ist schon etwas Besonderes. Wir haben uns pracht-voll verstanden, und er war ganz ergriffen.

Wir (d.h. Becker und Gragger. Anmerkung Wendes) sprachen einmal die deutsch-ungarische Politik durch; da bestehen gewisse Differenzen zwischen ihm und dem Auswärtigen Amt. Ich kann Dir nur sagen, daß ich Gragger einfach bewundert habe über die vollkommene Objektivität und Reife seines Urteils. Ich war von der anderen Seite vorgespannt worden und war dadurch in der Lage mitzureden. Es war eine so wundervolle Ebene der Unterhaltung und eine so vollkommene Harmonie des Denkens zwischen uns, wie man sie wohl nie zwischen Vertretern zweier Nationen findet; eine Erhebung ins Menschliche, auf die schließlich doch alles ankommt. Ich bin sehr glücklich, daß sich mein Verhältnis zu Gragger so gestaltet hat. Wir verstehen uns eben nicht nur im Menschlichen vollkommen, sondern wir berühren uns auch im Urteil und im kalten Denken so stark wie nur möglich.

Diese Woche ist nun die amtliche Vorstellung der Sozialdemokraten beim Minister erfolgt. Woldt schickte mir, als er davon erfuhr, einliegenden köstlichen Zettel.69 Der Minister sprach nachher mit mir … Ich glaube, daß ihm mein Ausscheiden in diesem Moment sehr ungelegen käme (mache ich doch jetzt die Propagandaschrift über die Lehrerbildung, wo er völlig meinen von Schwartz etwas abweichenden Standpunkt deckt, und auch in der ihn sehr beschäftigenden Schulreform sind ihm meine Beziehungen und mein Eintreten für ihn ziemlich unentbehrlich). Jedenfalls hat er mir gesagt, er habe nie an einen Wechsel gedacht und er wisse überhaupt nicht, wie das Gerücht entstanden sei; denn an ihn sei man von Seiten des Zentrums nicht herangetreten. Ähnliches hat er auch König gesagt, der mir alles genau berichtete. Ich habe ihm gesagt, ich sei parlamentarisch, wie sich beim Orientalischen Seminar gezeigt habe, deshalb so isoliert, weil ich mich seit meinem Amtsantritt völlig zurückgehalten habe; ich hätte mea sponte mit keinem Abgeordneten Fühlung genommen, hätte allerdings auf Wunsch jeden empfangen, ihm aber loyal berichtet. Den Plan mit den Demokraten habe ich aufgegeben. Ich bleibe was ich bin, werde aber etwas mehr Flankenfühlung halten. Theegarten hat mir auch alles genau berichtet; ihn hatte sich nämlich das Triumvirat Hess, Lauscher, Wildermann kommen lassen, und von ihm weiß ich auch, daß die Methoden von Hess (Vertrauensmännersystem) von den besseren Zentrumspolitikern aufs Schärfste bekämpft werden. Ich mache mir keine Illusionen, glaube aber doch, daß diesmal Hess der Vater der ganzen Sache war, vielleicht weil er hoffte, mich dadurch gefügiger zu machen. Ich schloß dem Minister gegenüber die übrigens sympathische Unterhaltung mit den Worten:

Meines Erachtens beruhe die Stärke meiner Position darin, daß ich für alle Parteien immer noch das kleinste Übel sei, da keine Partei diesen Posten einer anderen gönne70.

 

509. 29.6.1924

Da denke ich zunächst an den Mittwoch Abend; wo ich den sehr geglückten Versuch machte, Guardini und Goetsch mit Gragger und mir zu einer geistigen Einheit zusammenzuschließen. Es war ein ganz feiner Abend, leider war’s für die Veranda zu kalt, wir saßen unter der roten Lampe, nachdem uns die Gattin mit köstlichem Abendessen erquickt hatte. Guardini im großen Sessel, unmittelbar neben der Lampe; seine klaren vergeistigten Züge rembrandtisch beleuchtet, dann folgte Goetsch, nicht so gespannt wie Guardini, aber entspannt, an diesem Abend eigentümliche „Stille des Herrn“. Gragger und ich, die Alkoholiker und Nikotiniker, die wahren Weltkinder gegenüber den zwei Heiligen, bescheiden zurückgelehnt in den zwei Ecken des großen Sofas schon im Dunkeln. Vor uns auf dem Tisch Spiräen und Rittersporn aus dem Garten. Ich kurbelte langsam und vorsichtig an. Wir sprachen vom Nutzen des Aufenthaltes im Ausland, kamen zum Amerikanismus, zur Ethik und Seele der Technik und waren unvermerkt mitten in der Problemstellung der Jugendbewegung. Keiner trat stark hervor, einer warf dem anderen den Ball zu, aber es war eine starke geistige Gemeinschaft, und Guardini sprach mir beim Abschied – wir brachten ihn gemeinsam zur Bahn – seine große Freude darüber aus, daß eine solche geistige Gemeinschaft bei vier von so verschiedenen Welten kommenden Menschen eben doch möglich wäre. Gragger und ich brachten dann noch Goetsch zur Untergrundbahn, wobei die Zwei sich noch gehörig herumstritten über die Frage, ob die Verfeinerung unserer Kultur eine Wertintensivierung oder nur eine Wertverlagerung bedeute, welch letzteres Goetsch mit seiner ganzen Eigensinnigkeit (und wohl einer Spur von proletarischem Ressentiment, natürlich unbewußt) verfocht. Gragger und ich waren uns dafür ganz einig. Die Parallele mit der körperlichen Ausbildung liegt auf der Hand.

Ich will dann mal gründlich arbeiten, besonders meinen Vortrag für Elmau machen. Das Thema wurde geändert, was mich sehr freut und mir die Sache sehr erleichtert. Ich spreche jetzt über das Wesen der deutschen Universität, gemeint ist der Gegensatz zur Fachhochschule, ein Punkt, den die Amerikaner an unserer Bildung immer nicht begreifen.

Da fällt mir noch ein, daß ich Dir doch erzählen muß, wie das Berliner Tageblatt über meine und Röthes Ansprache bei der Eröffnung des Inst(itus) Jud(aicum) berichtete:

Zu dem durch seine vollendete Abgeklärtheit sich auszeichnenden Staatssekretär Becker stand der durch seine Lebhaftigkeit in Wort und Gebärde wirkende Rektor Röthe in einem pikanten Gegensatz.“

Gestern war übrigens Universitätsausflug nach Tegel, ich war zu müde, gab aber als Vorwand an, daß ich am Tage von Versailles nicht auf einen Tanz ginge, worauf Röthe mir erwiderte, diese Gründe müsse er ehren.

 

510. 6.7.1924

… gestrigen Abend … nach einem köstlichen Souper, das ich den Herren Eduard Meyer, Willhelm Schulze, Lüders, Franke, Wilken, Richter und Gragger, d.h. eigentlich zu Ehren Spenglers bereitet hatte, welch letzterer dann aber sein Herkommen verschob und nun am Mittwoch mit den gleiche Herren bei Eduard Meyer zusammensein wird. Wir sprachen über die Frage des Ethnographischen Museums inclusive Professur durch und waren nach einer feinen ganz einheitlichen, bei gutem Wein und roter Lampe geführten Unterhaltung merkwürdig einer Meinung. Ich glaube, daß an diesem Abend ein wertvolles Stück Universitätspolitik geleistet wurde.

 

511. 13.7.1924

Mittwoch war ich mit der gleichen Gesellschaft wie neulich bei mir bei Eduard Meyer zu Ehren von Spengler eingeladen. Spengler hat mir sehr gut gefallen, ein persönlich bedeutend wirkender Mensch von guten Formen und entschiedenem Format. Dazu eine erstaunliche Präsenz gelehrten Wissens aus allen Gebieten. Bester Typ Universitätsprofessor. Spricht ohne Pose meist nur von besseren Dingen oder schweigt. Ausgesprochenes Gefühl für Form, be-sonders der Hamburgischen („Nur ein Hamburger weiß einen Zylinder zu tragen; beim Berliner meint man, er kommt von einer Beerdigung, bei anderen Deutschen denkt man an Krieger- oder Kegelvereinsfeier; bei Hamburger gehört der Zylinder zum guten Anzug.“)

Wir haben mit Spengler verabredet, daß er mit unserer Hilfe ein Buch „Altasien“ schreibt, in dem die ganze Problematik der Hochkulturen Zentralasiens aufgerollt werden soll. Dieser Band ist als Einleitung zu einer Serie gedacht, in der dann Turfan- und Sanderafunde, Persien, China usw. popularisiert werden sollen, wie Tut anch Amon und die ostasiatische Kunst, die nur durch solche geschickte Veröffentlichung das allgemeine Interesse gefunden haben. All das im Zusammenhang mit der neuen Aufstellung des Kunstgewerbemuseums.

Recht nett war diese Woche auch eine Unterhaltung mit Jaeger, der als Nachfolger Bolls nach Heidelberg kommen soll, aber mit viel Geld (er hat jetzt Ministerbezüge. Anmerkung C.H.B.) sich halten ließ. Er leidet sehr unter den Bonzen und fühlt sich isoliert. Ihm fehlt neben seiner unzweifelhaften wissenschaftlichen Potenz die menschliche Kraft für den Kampf, ohne den es nun mal weder mit den Menschen noch mit den Dingen geht. Ich sagte ihm gründlich die Meinung über seine Kieler Rede, bei der einige hübsche Formulierungen nicht über das Versagen gegenüber der Hauptaufgabe entschädigen. Auch Richter erklärte sie direkt für schlecht. Es war Jaeger sehr gesund, daß er einmal auch nicht verhimmelt wurde.

Erfreut wurde ich durch einen sehr netten Brief des Ministers, den das Porsch’sche Schreiben ziemlich erregt hatte. Er ließ es mich nicht entgelten, sondern schrieb mir sehr nett und anständig. Ich nahm inzwischen auch Fühlung mit den Demokraten, indem ich Otto, der mich besuchte, in die ganzen Zentrumsintrigen einweihte. Als er mich fragte, ob die Demokraten nun auch wie die Sozialdemokraten für mich intervenieren sollten, sagte ich, diese Gefahr sei jetzt wohl vorüber, aber sie sollten gefälligst aufpassen und sich in Zukunft energischer für einen ihnen so nahe stehenden Staatssekretär einsetzen. Das versprach er mir dann auch, wie er sich übrigens daran erinnerte, daß er selbst mir seinerzeit davon abgeraten habe, sich äußer-lich zur Demokratie zu bekennen. So sei ich ihnen wertvoller. Ich hatte das vergessen, griff es aber nun sofort auf und bat ihn, in Zukunft mich energischer zu unterstützen …

(Bei einer) Nachtreise von Berlin kommt einem das alles wie eine üble Zeitungslektüre vor, und doch ist das ja mein halbes Leben. Gottlob nur mein halbes, vielleicht nur ein Viertel. Hier geht es mir sehr gut.

 

512. 26.7.1924 (aus Schloß Elmau)

Die Konferenz (Tagung der Europäischen Studentenhilfe des christlichen Studentenweltbundes) selber ist sehr nett. Lauter feine Kerle aus allen Ländern der Welt. Die Romanen fehlen, Frankreich und Belgien mit Absicht. Man hat den Eindruck, als ob die Sache im Wesentlichen eine englisch-amerikanische Veranstaltung wäre. Deutsch und englisch sind die zwei Hauptsprachen, in die alles gedolmetscht wird. Großer Kampf er Franzosenfreunde (Polen, Rumänen, Tschechen), das Französische als dritte Sprache durchzusetzen. Kompromiß schließlich: alle drei Sprachen sind offiziell anerkannt; aus technischen Gründen wird aber alles nur in deutsch oder englisch verdolmetscht, doch kann jeder französisch sprechen. Es gab nach der Statistik nur zwei Teilnehmer, die nur Französisch konnten und sie verstan-den schließlich auch Englisch oder Deutsch. Der Geist ist ganz besonders fein. Vollkommen deutsch-englisch-amerikanische Verbindung. Diese christliche Organisation steht zur Conféderation Internationale des Etudiants wie die Wirtschaftshilfe zur deutschen Studentenschaft; d.h. sie leistet enorme Arbeit, hilft und verbindet die Völker, während die CIE sich wie die deutsche Gesamtstudentenschaft in Prestige- und Verfassungsfragen erschöpft. Es kann kein Zweifel sein, wem die Zukunft gehört. Es wurde hier von den deutschen Mitgliedern mit einer gewissen Befriedigung aufgenommen, daß der deutsche Studententag in Innsbruck in letzter Stunde abgesagt wurde (wurde dann aber auf Einwirkung gerade von hier wieder angesagt). Die geldgebenden Drahtzieher haben offenbar in letzter Minute gestreikt, was ein großer Segen wäre. Was wir mit unserem Studentenrecht wollten, war etwas wie die Wirtschaftshilfe und die Fachschaften. Die politischen Rechtsparteien haben die Organisation mißbraucht und das jetzige Zerrbild der deutschen Studentenschaft daraus gemacht. Es ist köstlich zu sehen, wie das alle wirklichen Arbeiter hier deutlich empfinden. Mir war auch interessant zu hören, daß die eigentlich studentische Arbeit fast durchweg von Leuten geleistet wird, die der Jugendbewegung nahe stehen; nur an der Spitze für die offizielle Repräsentation steht ein Korporationsstudent. Studentische Massenrepräsentation ist natürlich nur mit den Korporationen zu machen, soziale Arbeit nur mit den Nichtkorporierten. Ich hielt gestern Abend meinen Vortrag, der vortrefflich ins Englische übersetzt wurde. Zu diesem Zweck hatte ich ihn in fünf Abschnitte zerlegt. Das ganze dauerte über 1 ½ Stunden und war für alle Teile anstrengend. Trotzdem war es ein sehr großer Erfolg. Zum Schluß wurde ich geradezu umjubelt. Ich habe im Anschluß an Sprangers auch Dir sehr zu empfehlende Schrift „Wandlungen im Wesen der Universität seit 100 Jahren“ sehr viel Eigenes entwickelt, was natürlich viel umstritten werden wird. Der anwesenden deutschen Jugend hatte ich aber aus dem Herzen gesprochen, aber auch die Ausländer waren sehr beeindruckt. Der Vortrag soll nun sofort auch englisch gedruckt werden.

 

513. 31.8.1924

Ich bin sehr neugierig, wie sich die politische Lage im Reich in Preußen auswirken wird. Der Minister sagte mir dieser Tage, es würde beim dem Rücktritt der Volkspartei aus der Koali-tion wohl wieder ein Geschäftskabinett geben. Da könnte ich ja dann wieder mal Minister werden. Ich lachte ihn aus und sagte, daß man dann doch lieber gleich aufhören sollte, was auch das Natürlichste ist und wohl kommen wird, wenn Ende September der Landtag wieder zusammentritt. Da der Reichstag nicht aufgelöst wurde, werden also am 8. programmmäßig die Etatverhandlungen beginnen. Vorher noch schwere Konferenzen mit Episkopat und EOK71 über die Schulreformen, die ich natürlich wieder leiten darf. Die neuen Stundentafeln sind sehr vernünftig. Hätte man sie gleich vorgesehen, wäre der ganze Krach vermieden worden. Um dieses Odium kommen wir nicht herum.

 

514. 7.9.1924

Diese Woche verflog schnell und viel Bemerkenswertes geschah nicht in ihr … am meisten Schwung entwickelte ich an zwei Nachmittagen, einmal als ich Heinrich Schulz zum Mittagessen mit Madeira eingeladen und in einer dienstlichen Unterhaltung mit Karsen. In beiden Fällen gelang es mir mein Gegenüber zu gewinnen. Ich sprach über den inneren Zusammenhänge zwischen Schulreform, Lehrerbildung und neuem Universitätsideal. Beide Herren erklärten das alles für völlig neu und waren sehr beeindruckt, Schulz hätte es am liebsten gleich in ein Reichsgesetz umgegossen. Bei Schulz war es beinahe rührend. Ein anständiger Kerl, der das Gute will, aber so schrecklich dünn und unbedeutend. Karsen ist schon ein anderer Kerl, mit dieser mir so angenehmen jüdischen Gescheitheit. Seine Bücher über die neue Schule sind sehr lesenswert, aber dafür eitel, etwas jüdisches Berlin-W in Mischung mit sozialistischem Idealismus und entschiedenem Schulreformertum. Im Grunde glaube ich, auch er anständig, mit mancherlei Verdrängungen und sozialem Ehrgeiz, aber auch mit einer guten Portion echten und guten Ehrgeizes.

Die Schulverhandlungen mit den Vertretern des Episkopats waren unergiebig, um so besser ging’s bei den Philologen, die sich zur Stoßtruppe für den Minister entwickelten. Mit dem EOK ging’s ganz behaglich bei einer Zigarre in meinem Zimmer. „Wir auch“ — damit ist alles gesagt. Wären sie allein, hätten wir sie völlig in der Hand. Die Evangelischen ahnen nicht, wie sehr sie die Zeit und Gelegenheit mißverstehen, wenn sie nichts Besseres zu tun wissen, als die Katholiken zu kopieren.72

 

515. 11.9.1924

Am Dienstag hielt ich eine große Rede im Ausschuß, 45 Minuten über Lehrerbildung. Es war einmal wieder wie in alten Zeiten eine Rede mit Schwung und in einem großen Rahmen. Den Auszug für die Presse (halb Benecke-Becker, halb nur Becker) lege ich Dir ein73. Natürlich gibt das nur ein vollkommenes Bild. Aufnahme bei der Rechten sehr gut, bei der Linken Enttäuschung wegen der politisch unvermeidbaren Konfessionalisierung. Mein Ziel ist doch Mischung des Rationalen und Irrationalen zu einem neuen Bildungsideal74, die aufklärerische Linke wertet nur den Intellektualismus, Zentrum und Deutschnationale haben aus ihrer Ideologie heraus Verständnis für meine Forderungen, ohne damit zu ahnen, daß sie damit den neuen Geist in ihre feste Burg herein lassen. Am erfreulichsten war nur, daß das ganze anwesende Haus (Generaldebatte) mal wieder merkte, daß der Becker noch nicht verkalkt und vertrottelt ist.

Das Zweite war ein erneuter Besuch von Barlachs Armen Vetter im Schauspielhaus … doch ein ganz fabelhaftes Stück, das bedeutendste seit der Revolution. Du mußt es sehen, wenn Du’s noch nicht kennst. Das geht im Menschlichen bis auf die Knochen. Kein Mensch wagte zu klatschen, den ganzen Abend nicht. Harro meinte, es wäre wie King Lear, das Menschliche wirke so stark, daß man gar nicht auf das Künstlerische achten könne.

 

516. 21.9.1924

Die TagungJugend und Bühne“ verlief ausgezeichnet. Der Hauptredner des ersten Tages war Goetsch, sprach eine Stunde und hatte großen Erfolg. Seine Rede war eine seltsame Mischung von Historizität und Radikalismus, aber durchaus echt. Er ist eben in einer Periode des Übergangs, voll Skeptizismus gegen die Pädagogik. Es ist unehrfürchtig, einen Menschen erziehen zu wollen, d.h. ihm vielleicht wesensfremde Kategorien, Ideen usw. aufzwingen zu wollen. Ich selbst sprach nur einleitend, daß wir bei der Bühne nicht an das Publikum, sondern an die Spieler dächten und daß das Problem der Tagung sei, der Jugend zu helfen, im Schauspiel Ausdrucksformen ihrer Selbst zu finden. Die theatralischen Darbietungen waren zum Teil glänzend, zum Teil sehr konventionell, stellenweise platzten die Gemüter aufeinander, aber das war schließlich der Zweck der Übung. Nohl sprach gut über das Jugendspiel im Rahmen der kulturellen Gesamtsituation. Er wies nach, daß es die gleiche Bewegung wie Sturm und Drang ist. Briefe des jungen Herder könnten von Goetsch geschrieben sein. Immerhin ist Nohl leider auch schon ein Bonze, nicht ganz so schlimm wie Spranger. Er kam zu seinem Vortrag und reiste unmittelbar wieder ab, ohne sich um die Tagung zu kümmern. Das ist das Verhältnis unserer Professoren zum Leben.

 

517. 27.10.1924

Du wirst Dich über die plötzliche Fahrt nach Frankfurt (Main)gewundert haben. Aber der Minister sagte ab und ich mochte die doch immerhin erhebliche Jahrhundertfeier des Physikalischen Vereins nicht gern Krüß überlassen, zumal die Frankfurter mich persönlich dringend gebeten hatten. Es war das übliche Essen und Trinken. Bei Kotzenberg einfach schlemmerhaft mit amüsantem Geplänkel Haenisch – Krüß bei Tisch. Ich neben der Hausfrau und dem ganz köstlichen Begründer des Deutschen Museums sitzend. Morgens die übliche Feier, 12 Ansprachen und eine Festrede abends. Großes Festessen von 300 Personen mit Damen im Frankfurter Hof. War meine Morgenansprache feld-, wald- und wiesenmäßig, so gab ich mir abends zu einer großen Rede auf das Vaterland sehr viel Mühe, ich hatte einen guten Tag und die Rede kam mit großem Schwung heraus. Ich glaube, Du würdest Dich auch gefreut haben. Jedenfalls war der Eindruck stark. Solche allgemeinen Reden liegen mir doch am besten. Ich schloß mit einem Vergleich: Das Vaterland ist wie eine eherne Glocke: vivos voco. Nur wenn die Lebenden sich rufen lassen, wird das fulgure frango möglich

Für ähnliche Anlässe ist dem Herrn Kurator75 dies Rezept zu empfehlen – gottlob bin ich auch ein Exminister, sonst würdest Du wohl kaum mit mir verkehren.

Jarres scheint aber doch auszufallen, wie ich von Richter höre. Wer außer Kanitz und Boelitz kommt, ist mir auch unbekannt. Ich bedauere nur, daß ich diesen großen Tag im Hause Wende nicht miterlebe. Nach Frankfurt ließ mich der Minister sofort fahren, zu Dir aber will er natürlich selber. Ich hatte schon leise zu hoffen gewagt, daß er mich auch in Kiel um seine Vertretung bitten würde …

Ich habe vorigen Montag mit dem Attachékurs begonnen unter Assistenz der zuständigen Referenten. Ich beginne mit Faschoda und arbeite durch reine Fragen die ganze Politik Englands und Frankreichs bis zur Entente heraus. Es war sehr anstrengend, ging aber gut und ergab trotz dem Frage- und Antwortspiel ein Bild. Morgen werde ich’s ebenso mit der russischen und deutschen Politik machen.

 

518. 2.11.1924

… machte dann in einigen ruhigen Stunden meinen Elmauer Vortrag druckfertig, der zum Schluß noch erhebliche Lichter aufgesetzt erhielt, wenn ich auch andere Gedanken für später zurückstellen mußte. So habe ich die in Religion, Volk und Arbeit liegenden Gemeinschaftsideale nicht weiter herausgearbeitet, auch darauf verzichtet, auf Schelers neues Buch „Soziologie des Wissens“ einzugehen. Dies Buch hat mich namentlich in seinen (übrigens nicht von Scheler geschriebenen) Schlußkapiteln außerordentlich beschäftigt. Du wirst gar nicht umhin können, die Schlußkapitel für Dein Kolleg zu lesen. Ich will Dir das Buch zu Weihnachten schenken. Wenn Du es schon vorher brauchst, so laß es mich wissen. Ich bin anderer Meinung wie der Autor, aber fand es doch fabelhaft interessant, geradezu aufregend. Diese Lektüre war der stärkste sachliche Eindruck der Woche.

Übrigens verlebte ich eine fabelhaft ruhige Woche, ich war alle Abende zu Haus, kam aber vor Akten nur wenig zum Elmauer Vortrag und gar nicht zum Islambuch. Das muß, wenn der Vortrag fertig ist, in der nächsten Woche werden. Auch heute Abend muß ich noch für die Attachés ochsen. Morgen soll das Meerengenproblem und die deutsche Orientpolitik behandelt werden. Dabei gibt es nächste Woche mancherlei Störungen; Montag mittags und abends Grenzlanddeutschtum mit zwei Essen in der Deutschen Gesellschaft, Mittwoch ein Vortrag über Islam als Weltanschauung in der Lessinghochschule (reiner Gelderwerb), außerdem am gleichen Tag Graggers Geburtstag. Ferner kommt meine Frau zurück, dazu die ganze Woche Ministervertretung. Es ist schrecklich. Ich bliebe jetzt so gern mal eine Woche daheim, alle meine wissenschaftliche Pläne ausreifen zu lassen. Am 15.-17. November kommt dann Vortrag in Düsseldorf und dito Godesberg. Wo soll man da Band II vollenden?

 

519. 9.11.1924

Ich habe inzwischen in Minoritätenschutz gemacht. Die Auslandsdeutschen Europas haben vor zwei Jahren eine Organisation geschaffen, die zum ersten Mal ihre Tagung in Berlin hatte. Es war sehr interessant mit den deutschen Abgeordneten in Polen, Ungarn, Rumänien Dänemark usw. – vertreten waren 11-12 Länder – zusammen zu sein. Das Auslandsdeutschtum ist erwacht. Mir ist es sicher, daß diese 10-20 Millionen Deutsche in Europa außerhalb unserer Grenzen dazu bestimmt sind, der deutschen Außenpolitik eventuell auch im Völkerbund den Weg zu weisen. Die Lösung des Osteuropaproblems ist m.E. nur unter deutscher und ungarischer Führung möglich. Hier liegt eine unserer größten Aufgaben. Montag saß ich von 1 Uhr mittags bis 2 Uhr nachts in der Deutschen Gesellschaft mit diesen Herren zusammen, nur unterbrochen von meinem Attachékurs.

 

520. 21.12.1924

In Karlruhe (Thoma-Feier) war es sehr nett. Ich wurde am Bahnhof von Schwörer abgeholt, in das alte schöne Repräsentationshaus gebracht und bewirtet. Dort fand nach der Feier auch das Essen statt; von auswärts noch Jarres, Bazille. Ich saß bei Tisch neben Hellpach, der als Staatspräsident gut repräsentierte. Wir sprachen davon, daß wir es in unserer Jugend- und Dozentenzeit niemals hätten träumen lassen, noch einmal gemeinsam in dieser Form Baden und Preußen zu vertreten.

Montag früh war ich in Berlin zurück, abends „Die Rose vom Liebesgarten“ (von Pfitzner), altmodisch, fast unerträglich kitschig, lauter Wagnermotive, sehr anstrengend. Dienstag großer Opern- und Theatertee beim Minister. Ich sprach lange mit Arndt-Ober, Ebert, der Straub, der Schön usw. Es war besonders nett durch die Menschen, bei etwas mangelhaftem Arrangement. Danach ein völlig verfehlter Abend in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Der Vortrag dauerte (sehr langweilig, Prandl!) bis ½ 11 Uhr, so daß der Minister, der auf eine Rede präpariert war, ausriß und ich dann eine Antwort an Harnack improvisieren durfte. Ich fuhr mit Schmidt-Ott und Schumacher mehr tot als lebendig heim, hatte dabei aber gewisse Pharisäergefühle …

Ich will die vier Feiertage, die es diesmal gibt, gründlich ausnützen. Am 2. Januar abends fahre ich dienstlich nach Holland, um den holländischen Orientalistenkongreß mitzumachen und mit Massignon und Sir Thomas Arnold die Wiederaufnahme der internationalen Orientalistenkongresse vorzubereiten.

Am 7. (Januar) bin ich zurück. Am 8. spricht hier Gragger, am 15. ich in Leipzig vor der Studentenschaft über das Themas „Vom Sinn des akademischen Studiums“, ein Parallelthema zu meiner kleinen Schrift; diesmal nicht vom Standpunkt der Professoren sondern der Studenten. Am 12. Februar soll ich dann in Zürich, am 6. März in Basel sprechen. Vorher muß unbedingt Band II fertig sein.


Regierungsumbildung in Preußen. Rücktritt Boelitz’


521. 11.1.1925

Über mir schlägt mal wieder die Arbeit zusammen. Du wirst gelesen haben, daß ich mal wieder das Ministerium verwese. In dieser Krisenzeit legte ich aber Wert darauf, nicht als halber Minister zu gelten, sondern Braun hat auf Webers und meinen Wunsch die offizielle Leitung beider Ministerien übernommen, so daß wir nur ihm, nicht dem Landtag staatsrechtlich verantwortlich sind., was namentlich für Weber, der sowieso gehen will, eine unmögliche Zumutung war.

Die politische Lage ist schwer erträglich. Die deutschnationale-volksparteiliche Haltung bei der vaterländischen Kundgebung im Landtag wegen der Kölner Zone, die ich auf der Minis-terbank miterlebte, war das Schlimmste und Beschämendste, was ich je im Parlament erlebt habe. Die Haltung der Volkspartei, die an allem schuld ist, erledigt diese Partei in meinen Augen für alle Zeiten.. Du wirst ja nun wohl am meisten an meinem persönlichen Schicksal interessiert sein.. In der Zentrumspresse geht ein Kesseltreiben gegen das Kultusministerium los, das offenbar – es wird nicht offen gesagt – Herrn Hess auf meinen Posten führen soll. Es ist allerdings unerträglich, daß von acht leitenden Stellen keine und von 29 Ministerialrats-stellen nur sieben durch Katholiken besetzt sind. Außerdem liegt ein Urantrag Porsch vor, die Schulreform zu sistieren bis Vereinbarungen mit allen Ländern getroffen seien –also volle Sabotage. Da muß ich zuvorzukommen versuchen. Ich sprach mit Richter und Landé und war dann gestern Abend bei Braun, der mir volle freie Hand zu Verhandlungen mit dem Zentrum erteilte. Ich werde dem Zentrum anbieten:

  • 1. die Stelle von Jahnke (U II Höhere Schulen). (Jahnke soll sich am Tage meiner Betreuung seine Pensionsbezüge haben ausrechnen lassen).
  • 2. Die Stelle von Klotzsch (beide können ohne Schaden leicht durch bessere Kräfte ersetzt werden).
  • 3. eventuell die durch Schwarz’ Rücktritt frei gewordene Ministerialratstelle.
  • 4. Konzession des Canisius-Kollegs, d.h. Zulassung neuer privater höherer Lehranstalten konfessionellen Charakters (überdies nach der Verfassung gar nicht zu verhindern, nur bisher von Landé sabotiert, der aber jetzt selbst dafür ist; ich halte diesen Auspuff zur Verhinderung der Konfessionalisierung des gesamten höheren Schulwesens für unerläßlich).
  • (5.) Als Gegenkonzession kommt die Erhaltung des evangelischen Staatssekretärs und die Schulreform in Frage.
  • (6.) An Klotzsch’s Stelle ein katholischer Schulmann, vielleicht Abgeordneter Gottwaldt gegen Niederlegung seines Mandats, ein verständiger, wirklich sachverständiger Mann

Schwieriger ist der Ersatz Jahnke. Man wird einen Zeloten präsentieren (Göcking). Wir wollen versuchen gegen das Zugeständnis eines strammen Zentrummannes bei U III76 und in Anbetracht von Schellenberg und Metzner etwa Sieburg oder Wende durchzusetzen, die aber nicht als voll gelten und von denen Wende als Jurist gewisse Schwierigkeiten mit der Philologenschaft bedeuten würde, sonst eventuell Metzner. Es kämen auch Lönartz oder Lammers als Juristen in Frage. Vielleicht aber geht das Zentrum auf’s Ganze und beseitigt mich. Ich habe Braun – ganz abgesehen von meiner Person – darauf hingewiesen, daß das für alle freiheitlich Gesinnten und den Protestantismus unerträglich wäre, da ein Zentrumsmann ständig bleiben und nie wieder zu beseitigen wäre. Er sah das ein. Ich will nun noch mit Boelitz und den Demokraten sprechen. Boelitz hat mir beim Abschied sehr anständig gedankt und gesagt, er würde auch öffentlich sagen, daß er mit mir nie Differenzen gehabt hätte. Dienstag wird er sich offiziell verabschieden. Die Sozialdemokraten sind offiziell bei mir gewesen, daß ich im Fall meiner dauernden Beauftragung unter keinen Umständen Krüß mit meiner Vertretung beauftragen möchte. Die Position hat er sich sowieso bei mir lange verscherzt gehabt.

Am Mittwoch kommt dann die große politische Aussprache. Braun hat mir vertraulich gesagt, daß er natürlich zurücktreten würde, daß er es aber für einen Unfug erachtet habe, das gleiche Schlamassel wie im Reich auch in Preußen eintreten zu lassen. Es sei leichter eine Regierung zu zerschlagen als eine neue wieder aufzubauen. Richter und Boelitz sind sehr contre coeur ausgetreten. Die Politik der Partei unter dem Diktat der Industrie und der Provinz ist heller Wahnsinn77. Eine Rechtsregierung geht natürlich ebenso wenig wie eine Linksregierung und das preußische Zentrum, noch mehr als das des Reichs, ist stramm links. Ich glaube auch nicht an ein Lutherkabinett; es wäre die verschleierte Reaktion, alias Bürgerblock. Das Reich kann nur existieren mit einem Kabinett ohne Deutschnationale und ohne Sozialdemokraten, die aber beide je nach den Vorlagen für das Kabinett stimmen müßten. Sonst kommt bestimmt ein Kabinett Wirth, was überhaupt nach außen das Beste wäre. In Preußen ähnliche oder große Koalition. Hoffentlich sind wir am Sonntag klüger.

In Leyden war’s ganz reizend. Snouk hatte mich, Sir Thomas Arnold und Massignon bei sich logiert. Massignon mußte im letzten Augenblick aus Gesundheitsgründen abtelegraphieren. Trotzdem war’s ganz famos. Hier ging gleich der Schlamassel los.

Ich halte Donnerstag in Leipzig einen Vortrag über das Wesen und Sinn des akademischen Studiums.

 

522. 18.1.1925

Es ist nämlich in diesen Tagen so viel passiert, daß ich es kaum alles erzählen kann. Deshalb nur die große Linie der Verhandlungen über die Nachfolge Boelitz!

Zunächst sprach ich mit dem Vorstand der Demokraten Schreiber und Otto. Sie wollte ich ebenso wie die Sozialdemokraten mobil machen, daß sie den Staatssekretärsposten gegen das Zentrum unter allen Umständen verteidigen müßten. Bei dieser Aussprache sagte mir Schreiber, sie freuten sich sehr über meine Anregung; denn sie hätten schon selbst mit mir sprechen wollen. Das Ministerium würde voraussichtlich ihnen zufallen und da wäre natürlich auch mein Name genannt worden. Sie verlangten nur eine energische republikanische Politik gegenüber Schule und Universität und eine weitgehende Veränderung in den leitenden Stellen des Ministeriums. Der Skalp von Krüß und Nentwig78 wurde gefordert. Ich redete ihnen gut zu, sie sahen ein, daß dem Zentrum Konzessionen gemacht werden müßten; ich sagte, daß ich nicht noch einmal für Wochen oder Monate Minister werden wollte; ich müsse im Ministerium als Staatssekretär erhalten werden. Selbst wenn es für das Zentrum schwer erträglich sei: ich unter einem demokratischen Minister und unter mir Kaestner und Menzel, der von den Sozialdemokraten als Nachfolger designiert ist. Die Aussprache war sehr vertrauensvoll. Ich hörte nachher von Otto unter vier Augen, daß er eine Ministerkandidatur abgelehnt habe (die Aufgabe sei ihm zu heikel und zu schwer), daß man nun an Schreiber denke, der aber dem ganzen Aufgabenkreis völlig fernstehe. Deshalb der Gedanke an mich, da kein anderer Kandidat vorhanden sei. Im ähnlichen Sinn sprach ich mit König und Woldt, und König berichtete mir, der Anschlag auf meinen Posten wäre abgeschlagen. Die Sozialdemokratie habe bei den Verhandlungen erklärt, meine und Kaestners Stellung wäre außer Diskussion. Das Zentrum schiene sich mit Jahnkes Nachfolge abzufinden, eventuell noch U IV (Pflege der Kunst, auch Staatstheater). Die Sozialdemokratie wolle Krüß durch Wende ersetzen. Ich erklärte das für sehr schwierig, da ich fürchtete, daß das Ausscheiden von Richter zur Folge haben würde. Dann kam die große Überraschung – eine lange Unterhaltung mit Lauscher und Wildermann. Das Zentrum d.h. der Fraktionsvorstand bietet mir in aller Form das Ministerium an. Man sähe allerdings ein, daß es mir nicht zugemutet werden könne, für ein paar Monate Ministerschaft ein baldiges völliges Ausscheiden einzutauschen. Das Kabinett Braun würde voraussichtlich später durch ein Rechtskabinett ersetzt werden. Dies könne nur mit Hilfe des Zentrums zustande kommen. Sie wollten mich verpflichten, mich auch in dieses neue Kabinett mit zu übernehmen. Boelitz werde nie wieder kommen; er habe bei allen Parteien ausgespielt. Dem Zentrum, das selbst nie das Ministerium beanspruchen könne, sei ein sozialdemokratischer Minister ebenso unerträglich wie ein liberaler im Stil von Boelitz. Das Zentrum wolle das Ministerium am liebsten unter mir neutralisieren. Natürlich müßte dann ein Katholik Staatssekretär werden. Es entspräche der Gerechtigkeit, daß der erste Mann im Haus immer evangelisch, der zweite dann aber auch immer Katholik sei. Sie würden keinesfalls einen Parlamentarier präsentieren, (Kandidatur Hess wäre nie in Frage gekommen), sondern einen geschulten Verwaltungsjuristen. Ich machte sofort darauf aufmerksam, daß ich als Parteiloser nicht die Puppe in der Hand eines allmächtigen Zentrum-Staatssekretärs werden wolle, aber ich hatte doch das Gefühl, als führte mich Satan auf einen hohen Berg und zeige mir alle Herrlichkeit der Welt; denn die Ver-Geßlerisierung des Kultusministeriums war ja immer mein Ziel. Die Herren boten mir Bedenkzeit an und Lauscher schloß mit Bezug auf den Anfang der Unterhaltung (über Porsch’s Brief an Boelitz mit dem Mißtrauensvotum gegen mich), ich möchte aus diesem Angebot ersehen, mit welchem Grad von Mißtrauen mir das Zentrum gegenüberstehe.

Den nächsten Tag( am Sonnabend) sprach ich ganz offen über dieses Angebot mit den Demokraten. Sie waren sehr überrascht, erfaßten aber sofort ihren parteipolitischen Vorteil, da ihnen auf diese Weise ein zweiter inoffizieller Kabinettsminister zufalle; denn sie hatten durch unsere offene Aussprache großes Vertrauen zu mir gefaßt. Sie rieten mir, nun ganz sicher der Partei nicht beizutreten. Nur der stramme Zentrums-Staatssekretär erschien ihnen unerträglich. Vielleicht wäre das Zentrum zu haben für einen Katholiken als Staatssekretär, der nicht Zentrumsmann sei, wenn ihm außerdem ein strammer Zentrumsmann als Nachfolger Jahnkes zugebilligt wäre. Wieder tauchte die Kandidatur Wende auf. Das wäre ihnen und den Sozialdemokraten recht und doch vielleicht für das Zentrum erträglich. Sie sehen nämlich mit mir ganz klar, daß eine Ablehnung des Angebots dazu führen könnte, daß nach einer kurzen demokratischen Herrschaft beim Eintritt eines Rechtskurses mit dem Minister auch ich verschwinden könnte und daß dann das Zentrum als Kaufpreis für die ohne es unmögliche Rechtsblockbildung von den Deutschnationalen ohne jede Hilfe den Staatssekretärsposten eingeräumt bekommen würde. Ob es unter diesen Umständen nicht richtiger wäre, mich als dauernden Minister zu etablieren. Ein Staatssekretär des Zentrums würde, solange ich Minister bin, ja auch schwer aufkommen. Natürlich arbeitet das Zentrum auf weite Sicht.

Die gleichen Gedanken besprach ich dann mit König, der durch Hess bereits orientiert war und den Gedanken mit Bezug auf unsere frühere Verabredung zunächst ablehnte. Als ich ihm obige Gedanken entwickelte, wurde er doch stutzig und meine, mit Wende ja, sonst sei es aber doch sehr riskiert, zumal er einen Rechtsblock für unmöglich halte. Es werde, wenn Braun jetzt mit der kleinen Koalition bleibe, sicher bald im Reich und Preußen die große Koalition folgen. Jedenfalls wird aber bei den Verhandlungen zwischen den Parteien diese Frage eine Rolle spielen und für Dich kann es, wie die Dinge auch laufen, eine große Genugtuung sein, daß Du für die maßgebenden Linksparteien als einzig möglicher katholischer Staatssekretär nach mir in Frage kommst. Es scheint, daß Woldt Dein Impressario gewesen ist, allerdings als Nachfolger von Krüß, gegen den Woldt eine starke Hetze bei allen Linksparteien inszeniert hat. Sein Kredit ist so minimal, weil man ihm Charakterlosigkeit vorwirft. Ich habe zunächst zum Guten geredet, aber Dein Brief hat mich doch sehr entscheidend beeinflußt, so daß ich ihn wohl werde fallen lassen. Ich warne nur allseitig, jetzt nicht zu radikal vorzugehen, weil dann bei einem Rechtsblock der unvermeidliche Rückschlag erfolgen müsse. Übrigens wird Richter als Leiter von U I (Universitäten) unschwer durchzusetzen sein.

Als ich all diese Neuigkeiten Richter bei Tisch unvorbereitet versetzte, war er sichtlich erschüttert. Heute gestand er mir, daß er in diesem Augenblick, was ihm sehr selten passiere, das erdrückende Gefühlgehabt habe, der Lage geistig nicht gewachsen zu sein. Heute behauptet er ganz klar zu sehen, er will mir aber erst morgen seine Ansicht verraten. Ich vermute, daß er unter Kautelen für Annahme des Zentrumplanes ist.

Ich bin noch nicht so weit; denn ich glaube, daß es ein Vabanquespiel ist. Allerdings ist das Risiko, ob ich ja oder nein sage, ziemlich gleich. Wird jetzt Schreiber Minister, so wird er eine hemmungslose Kampfpolitik betreiben und mich dadurch restlos mitkompromittieren. Kommt der Rechtsblock, bin ich bestimmt erledigt. Auf der anderen Seite mache ich mir kein X für ein U vor, daß das Zentrum nur den Staatssekretärsposten erstrebt, der ihm – da es bei jeder politischen Kombination ausschlaggebend ist – nie wird entwunden werden können. Da nun das Zentrum den Posten aber will, ja wollen muß, wäre es verkehrt, ihm die Notwendigkeit aufzuerlegen, den Posten im Kampf zu erzwingen. Bekommt es ihn unter der Auflage einer ständigen demokratischen Ministerschaft und unter Mitwirkung bei der Auswahl der Person durch die Linke, sind m.E. alle Garantien gegeben, die bei der allmächtigen Stellung des Zentrums überhaupt denkbar sind.

Was nun mich persönlich betrifft, so kann ich nicht ewig Staatssekretär bleiben.79 Für den Staatssekretär ist es viel peinlicher sich alle halbe Jahre an einen neuen Minister zu gewöhnen als für einen Ministerialdirektor. Nun bin ich doch schließlich keine geborene Adjudantennatur. An Boelitz habe ich mich schwer gewöhnt, aber am Schluß war doch ein leidlicher modus vivendi gefunden und unsere beiderseitigen Reden beim Abschied am Dienstag waren von einer allseitig auffallenden persönlichen Wärme. Auch von seiner Seite. Er hatte auf die Dauer doch schließlich erkannt, daß ich eben doch sein bester und loyalster Berater gewesen war. Das hat er privat und öffentlich in sehr anständiger Weise zum Ausdruck gebracht. Der Schluß war also sehr harmonisch. Aber doch schon unter ihm gab es Reibungen, ich bin ja nicht überempfindlich, aber mir lag die zweite Stelle doch manchmal nicht. Wenn ich nun an den mir menschlich nicht unangenehmen, aber völlig unsachverständigen und persönlich als taktlos verrufenen Schreiber denke, wird mir etwas bang, namentlich wenn ihm in wenigen Monaten eine nee unbekannte Größe folgen sollte, und der alte Tanz von neuem begonnen werden muß mit all den Begleitumständen eines Wettlaufs um die Gunst des neuen Herrn und immer wechselnden Einflüssen von außen. Kann man dann ein Ausharren von mir eigentlich erwarten? Natürlich weiß ich, was ich der Sache und den von mir zusammengebrachten Menschen schuldig bin und oberste Parole soll mir sein, dasjenige zu tun, was mich noch mit der größeren Wahrscheinlichkeit für einige Jahre von maßgebenden Einfluß bleiben läßt. Hätte ich die Gewißheit drei bis Jahre Minister zu leiben, würde ich ja sagen. Ewig kann ich auch nicht Staatssekretär bleiben. In drei bis fünf Jahren wäre ich wohl auch als solcher aufgebraucht. Dann wären auch die wichtigsten Aufgaben gelöst, die ich begonnen. Dann wäre auch das historische Bild meiner Tätigkeit abgeschlossen und ich doch noch jung genug, im Rahmen der Universität etwas zu leisten. Den endgültigen Abgang nähme ich lieber als Minister denn als Staatssekretär. Eine zweite Rückkehr auf den Staatssekretärsposten ist politisch und menschlich ausgeschlossen. Deshalb glaube ich, daß ich richtig tun würde anzunehmen unter der Voraussetzung daß nicht nur das Zentrum sondern auch die Sozialdemokraten und Demokraten meine Ernennung wünschen und damit einverstanden sind, daß ich auch in einem Rechtskabinett bleibe, ohne dadurch kompromittiert zu werden. Ob man schon überall einsichtig genug ist, den großen Vorteil für die Demokratie zu erkennen, der in der Neutralisierung des Kultusministeriums unter meiner Leitung läge, scheint mir zweifelhaft, aber vielleicht gelingt oder richtiger schenkt mir ein Gott die Lösung dieses riesigen Problems. Sie ist nur möglich, wenn mir die drei Parteien ihr Vertrauen bewahren; deshalb verkaufe ich mich keiner und beabsichtige nur ja zu sagen, wenn sie alle einverstanden sind; denn dem Zentrum kann ich nur ein Gegengewicht gegenüberstellen, wenn ich mich jederzeit auch auf die Linksparteien stützen kann. Im Augenblick wird von allen Seiten mit mir gerechnet und ich habe für den Moment fast mehr Vertrauen wie in alten Zeiten. Ich wage nicht zu glauben, daß sich meine Sachlichkeit durchgesetzt hat. Es sind die Umstände und der gegenseitige Neid, die mich wieder Mal in den Vordergrund treten lassen. Vielleicht bin ich doch in drei Monaten Mitglied der philosophischen Fakultät. Ich habe den Glauben, daß mein fatum mich doch den Weg führen wird, der mir bestimmt ist.. Du siehst aus all den Verhandlungen, daß ich die Hände nicht in den Schoß lege und meinen Verstand und Willen nicht ausschalte, aber schließlich geht es doch, wie’s gehen muß. Vor meinem nächsten Sonntagsbrief wird sich’s wohl entschieden haben. Ich bin sehr ruhig und die heutige Abreise von Gragger beschäftigt mich – ehrlich gesagt – innerlich mehr als die ganze Ministerkrise. Beim zweiten Mal ist es keine Erschütterung mehr, und es gehe wie es mag, die Wissenschaft habe ich immer im Hintergrund.

… Gestern sprach ich bei der Festsitzung der Lessinghochschule vor einem Vortrag von Scheler, der ihn für mich für Berlin unmöglich gemacht hat. Am Donnerstag sprach ich in Leipzig. Es war riesig nett. Ich fand ein rein studentisches großes Publikum und freute mich über das Interesse und den Beifall. Abends lange mit Litt und den führenden Leuten der Studentenarbeit zusammen

 

523. 24.1.1925

Deine Zustimmung war mir sehr wertvoll. Sie vollendete die Einheitsfront meiner Freunde: Richter, der sich genug darüber wundern konnte, daß Du die gleiche Meinung hattest, auf die er bei sich nicht schlecht stolz war, Benecke, Landé, Gragger, Leist, lauter selbständig urteilende Leute. Auch König und Woldt ließen sich bekehren und die Demokraten Schreiber und Otto, mit denen ich verhandelt hatte. Aber die Fraktionen sind anderer Meinung.

  • Einmal trauen sie dem Zentrum nicht über den Weg. Es sei nur ein Mittel zu meiner Beseitigung. Gewiß, Wende wäre allen recht, aber er würde doch bei erster Gelegenheit durch einen strammen Zentrumsmann ersetzt.
  • 2. sind sie der Meinung, daß das Odium, die Staatssekretärsstellung dem Zentrum auszuliefern, der Rechten überlassen bleiben müsse.

Welch wunderbarer Agitationsstoff für die Linke, während man offenbar jetzt die Kritik der Rechten fürchtet, da es als Verschacherung ausgelegt würde. Daß diese gleiche Kritik einsetzen wird, wenn jetzt zwei Ministerialdirektorstellen dem Zentrum zufallen, hält man offenbar für unerheblich. Man will mich also unbedingt auf meinem Posten erhalten, so daß das Zentrum kaum seinen Willen durchsetzen wird und die schöne Idee der Geßlerisierung des Kultusministeriums wieder einmal begraben ist. Im Augenblick ist also keine Gefahr, daß ich Kultusminister werden könnte.

Ob durch den Rücktritt Brauns, den ich auch für unvermeidbar hielt, wie Dir Benecke geschrieben haben wird, die Situation sich verschieben wird, ist natürlich noch nicht zu übersehen. Ich glaube im Bezug auf mich kaum; denn leider gibt es auch keinen protestantischen Ersatz für mich, der unmittelbar einleuchtet – oder weißt Du einen? Ich wäre jedenfalls in Verlegenheit, einen zu benennen. Jedenfalls bin ich neugierig, wie man die Preußenkrise lösen will. Das Zentrum ist zu verärgert (und kann auch mit Rücksicht auf den linken Flügel der Reichstagsfraktion nicht anders), als daß ein Rechtsblock in Preußen möglich wäre. Ohne Zentrum ist aber die Rechte zu schwach. Es bleibt also nur ein Übergangskabinett mit zwei Sozialdemokraten, 1-2 demokratischen Ministern und einem Rest von Fachministern. Vielleicht würde die Volkspartei ein solches Kabinett tragen. Jedenfalls hat das Zentrum jetzt alle Trümpfe in der Hand. Schade, daß die Linksparteien keinen Staatsmann haben, der stärker ist als der Parteiargwohn und der Parteidogmatismus. Ich habe übrigens bei den Verhandlungen Lauscher offen gesagt, daß man auf der anderen Seite sein Angebot an mich nur als Finte ansähe mich dauernd kaltzustellen. Ich glaube, daß er es ehrlich meint, und auch Lönartz (jetzt bête noire), mit dem ich persönlich näher stehe, sagte mir, daß es wirklich ehrlich gemeint sei. Ich glaube auch, daß das wirklich kluge Zentrum in seinem eigenen Interesse ein Dauerministerium Becker lieber sehen muß als irgendeine andere Kombination, wenn meine loyale Zusammenarbeit mit einem ihrer Vertrauensleute gewährleistet wäre. Aber die Taktik und die Angst vor der rücksichtslos infamen Kritik der Gegenseite hindert jedes Abkommen auf sachlicher Basis. Vermutlich würde dann auch wieder sofort das Mißtrauen der Linken gegen mich einsetzen, wenn ich zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Zentrum gelangte. Auch darf man nie vergessen, daß es zu viele Parlamentarier gibt, die glauben, den Marschallstab im Tornister zu tragen, als daß man neidlos einer Kombination zustimmen könnte, die meine Freunde und ich, wie ich glaube, aus echt staatsmännischem Denken heraus im Interesse der Sache fordern. Deine Ausführungen sind mir ganz aus der Seele herausgeschrieben. Ich sehe die Sachlage genauso an wie Du und hätte danach gehandelt.

Heute früh war ein großer Empfang bei Eduard Meyer aus Anlaß seines 70. Geburtstages. Ich eröffnete die endlose Reihe von Gratulanten mit einigen warmen Worten im Namen des Ministeriums, mit dem er oft so unzufrieden und das mit ihm so oft unzufrieden gewesen sei, aber man müsse es verstehen, die politischen Belange von den gelehrten und menschlichen zu trennen usw. Er war sehr erfreut und seine Antwort war fast eine Festrede auf mich. Er dankte mir besonders, daß ich die sachlichen Differenzen nie auf’s Persönliche übertragen hätte. Seine Freunde hatten für ihn eine Spende gesammelt für eine Reise nach Ägypten, wohin er, der Geschichtsschreiber des alten Ägypten, nie gekommen ist. Das Ministerium hat 2000 Mark beigesteuert und wird im Notfall auch noch mehr tun.

Vorgestern machte ich den Opernball mit. Es war eine sehr geglückte Veranstaltung. Ein Parkettboden war zwischen der untersten und der Balkonetage gelegt. Die Ministerloge lag unter dem Fußboden. Aus der alten Kaiserloge ging man über eine Freitreppe in den prachtvollen Saal. Die Bühne war ein Garten, ganz vorn ein Beet von 4000 echten Tulpen, hinten echte und falsche Taxushecken vor dem Rundhorizont, also ganz als ob man aus dem Saal ins Freie träte. Der Garten im gleichen Barockstil wie das Haus. Alle Türen herausgenommen, die Logen vermietet, überall ein glänzendes Publikum in bunten Farben. Vorträge des Orchesters, Kleiber dirigierte die Blaue Donau und den Brüderleinchor aus der Fledermaus mit vier Dutzend Solisten, Kemp, Tauber, Braun Schlusnus und tutti quanti. Es war einfach fabelhaft. Wir blieben bis 1 Uhr; ich freundete mich besonders mit Frau Kemp an, die mich neulich in der Carmen mit Gragger (wir waren allein) genau beobachtet hatte. Sie muß sehr gute Augen haben.

Mein Kolleg am nächsten Morgen um 9 Uhr fiel mir dann nicht ganz leicht. Mit den Attachés bin ich jetzt auch fertig. Es wird Zeit, daß ich etwas zur Ruhe komme.

Morgen tagt hier die deutsche Studentenschaft. Sie hat mich eingeladen, an ihrer Aussprache im Hauptausschuß teilzunehmen. Ist das nicht eine fabelhafte Wendung? Ich werde auch hingehen und zuhören. Sie wollten gern, daß ich spreche. Das habe ich mir aber freigehalten.

 

524. 1.2.1925

Gestern war nämlich unter meinem Vorsitz die große grundsätzliche Aussprache zwischen der Jugendbewegung und den Schulmeistern über die Lehrerbildung. Die Referate waren schrecklich dilettantisch, die Debatte danach von bemerkenswerter Höhe. Es wurde ihnen gründlich die Meinung gesagt, aber selbst Spranger sagte doch schließlich: die Lehrer-bildungsreform wird im Geist der Jugendbewegung gemacht oder sie wird überhaupt nichts. Es waren sehr feine Menschen zusammen. Dabei alle Kandidaten für die Nachfolge Schwartz, die sich produzieren durften, Grau, Türkenschmid usw. Ich denke übrigens daran, die Lehrerbildungsreform von einem Juristen machen zu lassen: eine köstliche Lebensaufgabe. Schade, daß Du nicht mehr als Ministerialrat kommen würdest. Ich denke jetzt an Lohmeyer. Bei der Tagung witzige kleine Spezialduelle, so Sprenger – Breysig. Glänzend war Guardini,80 Lothar Schreyer, Götze/Hamburg usw.

 

525. 8.2.1925

Am Montag ging die Lehrerbildung weiter, ja erreichte erst ihren Höhepunkt in einer fabelhaft fein geschliffenen Diskussion Guardini – Nohl. Guardinis Einfluß auf die Studentenmassen des alten bürgerlichen Typs mag gering sein, seine Wirkung auf die bewegte Jugend aller Schattierungen ist enorm. Jedenfalls war er einer der führenden Köpfe dieser im Ganzen doch sehr geglückten Tagung. Großonkel Spranger hielt sich Montag fern, er gehört auch nicht zu den Schaffenden, sondern zu den Kritisierenden. Es entstand auch ein innerkatholischer Dissens zwischen Schneider /Köln und Guardini. Ersterer wollte vom Standpunkt seiner starken Glaubensposition so etwas wie Kulturkrise gar nicht gelten lassen, während Guardini wohl im Glauben die feste Position gegeben sah, aber gerade deshalb die ganze Not der neuen Krise besonders scharf empfand.81 Auf dem Höhepunkt der Debatte ergriff ein Student das Wort und schilderte bescheiden, aber meisterhaft die Lage vom Standpunkt der Studenten aus. Er wies den die Wissenschaft stets im Munde führenden Professoren nach, daß auch sie höchstens in 1-5% der Fälle auf die alten Quellen zurückgingen, daß sie aber in 95-99% der Fälle auf Tradition bauten und mit Intuition arbeiteten. Es war ein junger Historiker namens Schuchardt, wohl ein Sohn des Professors. Ich habe ihn mir Mal für nächste Woche bestellt.

Was war sonst noch? Ein wütender Artikel von Bode gegen mich wegen des Asiatischen Museums. Ein Angriff des Reichsboten, daß auch ich den berühmten Autographendieb Dr. Hauck empfohlen hätte, ich, den auch das Jesuitenkolleg genehmigt hätte. Dieser Dr. Hauck ist leider Ruperte. Ich habe ihm 1919 gleich nach der Revolution mal eine Visitenkarte als Einführung ausgestellt, weil mich der Direktor des Badischen Landesarchiv Obser, ein hochangesehener Mann, darum ersucht hatte. Natürlich ist auch Obser Ruperte. Gottlob weiß das einstweilen noch niemand. Über Hauck, der mir stets sehr unsympathisch war, und von dem ich mich immer sehr ferngehalten habe, wurde immer wegen §175 gemunkelt, aber niemand wußte etwas Gewisses, sonst wäre er ja nicht Ruperte geblieben. Nun ist er auch dabei ertappt worden. Die Sache ist mir nicht angenehm, da ich wohl Zeuge werde sein müssen, aber ich bin mit der Empfehlung ja nicht leichtsinnig gewesen. Es gehört doch zu meinen Aufgaben, auswärtigen Gelehrten die Arbeit zu erleichtern, wenn sie, wie Hauck, glänzend empfohlen waren. Bei den Gerichtsakten sollen sich Empfehlungen vieler angesehener Leute befinden, was mir natürlich sehr angenehm ist. Natürlich muß der Mann verrückt sein oder jedenfalls den Sammlerfimmel haben, dem nichts heilig ist.

In der Ministerkrise nichts Neues. Ich hoffe auf ein Kabinett Marx. Man spricht von zwei Möglichkeiten:

  • Weimarer Koalition + zwei Fachminister, um der Volkspartei zwei Sitze aufzuheben oder
  • Zentrum + Demokraten + Fachministern.

In beiden Kombinationen ist von mir die Rede. Dabei wird mit Lammers als Staatssekretär gerechnet, wenigstens in der zweiten Kombination, während in der ersten die Stelle für mich frei bleiben würde.


Und immer noch Parteienpoker …


526. 15.2.1925

… Die Sache liegt so. Nachdem die Sozialdemokratie ohne mit der Wimper zu zucken, um Severing zu halten, den Staatssekretärsposten im Kultusministerium an das Zentrum verschachert hatte, blieb mir die Wahl zwischen dem Ministerposten und der Professur. In dem Augenblick, wo einem ein Dauerposten als Minister geboten wird, wegen eines Zentrumsstaatssekretärs mit großer Geste auszuscheiden, wo doch die ganzen Vorbesprechungen über eine Geßlerisierung immer mit einem dem Zentrum nahestehenden Staatssekretär gerechnet hatten, wäre m. E. ein Theatercoup gewesen, der mich vielleicht bei einigen Professoren beliebt gemacht und mir vielleicht eine schöne Plattform zur Rückkehr an die Universität geboten hätte, aber vor meinem Gewissen hätte ich diese Preisgabe meiner bisherigen Arbeit und dies Aufgeben und Verlassen all meiner Mitarbeiter, die sich nicht als Primadonnas sondern als sachlich anonyme Arbeiter an einer Verbesserung der Verhältnisse fühlen, nicht verantworten können. Natürlich bin ich nicht blind, ich sehe ganz genau und vielleicht noch klarer als Du oder Richter die Schwierigkeiten, aber ich halte mich für verpflichtet, wenigstens einmal den Versuch zu machen, mein gewiß nicht geringes Programm zu verwirklichen, ehe ich die Flinte ins Korn werfe und mit großer Geste ausscheide. Jetzt mich sperren, hätte mich nur mit dem Zentrum dauernd verkracht, da ich ja damit die These meines bösen Willens akzep-tiert hätte, ohne mir rechts und links auch nur einen Freund zu erwerben. In diesen Regionen und diesen Kämpfen steht man als Sachlicher und Parteiloser ganz allein, man kann sich nur durchsetzen, wenn man ohne große Posen der Sache zu dienen versucht und schließlich den Glauben an sich nicht verliert, daß es einem schließlich doch gelingen wird sich durchzu-setzen. Scheide ich jetzt aus, verärgere ich alle und meine Rolle ist ausgespielt. Zeige ich jetzt guten Willen, scheitere aber an den Verhältnissen, habe ich vor mir selber, vor meinen Freunden und vor den beteiligten Parteien einen rühmlichen Abgang. Dabei sehe ich die Verhältnissse auch ganz nüchtern gar nicht so hoffnungslos an, da Demokratie82 und Zentrum ein egoistisches Interesse daran haben, mich zu halten. Das Zentrum kann keinen Evangelischen bekommen, der so viel Verständnis für den Katholizismus hat und über einen katholischen Staatssekretär schwinden alle Bedenken, die sie gegen mich als Vertreter der katholischen Interessen in der Leitung haben mußten. Auch wissen sie ganz genau, daß mit dem Moment meines Ausscheidens ihr katholischer Staatssekretär bedroht ist, der für den evangelischen Volksteil nur unter einem ständigen evangelischen Minister tragbar ist. Das weiß man im Zentrum ganz genau. Die Demokraten haben in einer großen Koalition nur das Anrecht auf einen Minister; halten sie mich als Neutralen (daher die mit mir verabredete Ablehnung!) haben sie de facto zwei Minister.

Bleiben schließlich die Personalfragen. Ich war über Lammers stets anderer Meinung als Ihr, bin es z.T. auch in Bezug auf Krüß. Ich sehe beide Männer sehr genau, genauer sehe ich aber auch Richter und Dich sehr genau, vielleicht genauer, als Ihr selber Euch seht und ich kann keinesfalls meine Entscheidung von kleinen Ressentiments und Reibungen innerhalb einer Abteilung abhängig machen.

… Ich hatte dabei allerdings auch mit Dir gerechnet und schon mit Lammers und Marx darüber gesprochen, daß ich Dich gern als Direktor von U II83 haben möchte. Ferner will ich mir Morsbach als Nachfolger von Lammers holen. Jedenfalls werde ich mich sichern. Ob ich Dich durchsetzen kann, weiß ich nicht. Nach Deinem Brief weiß ich nicht, ob ich’s überhaupt versuchen soll. Schreibe mir bitte bald ein Wort darüber. (…)

Natürlich wird Lammers erst genannt, wenn das Kabinett für länger gesichert ist. Stürzt es gleich wieder, bleibe ich Staatssekretär; denn Marx hat mir gesagt, daß er zu viel Verantwortungsgefühl habe, mich jetzt dem Kultusministerium zu entziehen, wo ich unentbehrlich sei.

 

527. 18.2.1925

Die Vorstellung verlief in den üblichen Formen, die Rechte schwieg, nur die Kommunisten machten die übliche Begleitmusik. Nach der ganzen Stimmung sieht es so aus, als ob man rechts den Start nicht unnötig erschweren wollte, aber von langer Dauer kann dies Kabinett nicht sein. Ich bin recht freudlos an die Ministerschaft hin und brauche meinen ganzen Optimismus, um gegen meine eigene Skepsis anzukommen. In der Hinsicht kannst Du beruhigt sein. Ich weiß, daß ich einen schweren Gang gehe. Als ein gutes Omen betrachte ich es, daß der Deutschnationale Bäcker von der Deutschen Tageszeitung mich mit den Worten ansprach: „Sie werden wohl wie Marius sieben mal Konsul werden.“

Bei allem amor fati drückt es einen Menschen wie mich, der sein Schicksal gern selbst in die Hand nimmt, so ganz in das Geschiebe der Parteimaschinen hineingeraten zu sein und so gar nichts aktiv tun zu können, mein Schicksal als Minister beeinflussen zu können. In dieser Zwangsläufigkeit arbeitsfreudig zu bleiben, ist schon schwer genug; aber gar führen zuwollen, selbst zu glauben und andere zum Glauben zu zwingen – und ohne den gibt’s keinen Erfolg – ist eine Aufgabe, die den letzten Rest seelischen Elans fordert, zu dem ich überhaupt fähig bin. Immer wieder beschleicht mich das Gefühl, ob ich nicht wünschen soll, daß ich bald aus all dem heraus und in die Stille der Universität zurückkomme. Aber einstweilen halte ich den Kopf hoch und lasse mich nicht entmutigen. Hat es das Schicksal anders bestimmt, nach den Erfahrungen der letzten Wochen wird mir das Ausscheiden leichter als zuvor. Aber ich fühle einstweilen noch die Verpflichtung an die Aufgabe und an die Mitarbeiter …

… In einem Prospekt von Salem84 stand neulich so schön: Die meisten Deutschen denken, wie rette ich mich am besten aus dem allgemeinen Zusammenbruch. Salem will lehren: Wie helfe ich am besten und wo stehe ich in dem allgemeinen Zusammenbruch. Und wenn ich jetzt zerrieben werde, so bin ich eben im Kampf gefallen und habe das Bewußtsein, mich einer Sintflut entgegengestemmt zu haben. Wer den Sumpf zu kanalisieren sich bemüht, bekommt schmutzige Hände und Füße und erstickt vielleicht dabei, aber er tut doch besser daran als sich abseits zu stellen und mit Selbstgefälligkeit zu sagen: Was für ein abscheulicher Sumpf!85

 

528. 7.3.1925

Die Trauerfeier (für Reichspräsident Friedrich Ebert86. Anmerkung Wendes) war für mich das Ereignis. Weißt Du, es war schon ein Unterfangen, und ich bin eigentlich stolz darauf, daß ich nach durchreister Nacht doch noch zwischen 4 und 11 Uhr nachmittags und abends etwas so Anständiges zusammengebracht habe. Die veränderte Situation magst Du daran erkennen, daß ich mir abends um 10 Uhr als Kritiker und Kontrolleur nicht Richter sondern Landé kommen ließ, dessen Hauptkritik war, die Sache sei gewiß zu hoch und vielleicht etwas zu besinnlich …

Zu erzählen, daß ich mit reizenden Briefen und Anerkennungen z. T. mir ganz unbekannter Personen geradezu überschüttet wurde, darunter ein ganz reizender Brief von Wolfgang Heine, daß Quelle & Meyer sofort die Drucklegung erbat, was ich aber ablehnte, ein anderer Brief die sofortige Drucklegung und Verteilung in den Schulen forderte, daß dann mehrere Sozialdemokraten mir allerlei abbaten, im demokratischen Club, wie ich zufällig hörte, meine Rede für den besten aller Ebertnachrufe erklärt wurde, Marx und Hirtsiefer geradezu begeistert waren usw. usw. Auch im Haus war die Aufnahme ungeteilt freundlich. Leist meinte, vor Arosa wäre ich zu einer so mutigen Rede gar nicht imstande gewesen. Jedenfalls habe ich mir bei der gesamten Linken ein Vertrauenskapital erworben; aber auch die Zeit war sehr freundlich und Boelitz hat sich zu Duwe87 anerkennend ausgesprochen. Auch sonst hörte ich nur freundliche Echos, selbst die Rechte hat kaum etwas einzuwenden gehabt. Was mich am meisten freute, ich hörte zufällig auch einige Echos von der Wirkung auf die zuhörende Jugend, die stark beeindruckt schien, was allerdings nicht allein auf mein Konto, sondern auf die höchst würdig verlaufene Gesamtfeier zurückzuführen ist. Du kennst mich genug um zu wissen, daß ich nicht aus Eitelkeit nach Lobsprüchen dürste, daß ich aber nicht frei von dem Wunsch nach Anerkennung bin. Im allgemeinen habe ich auch, wie ich glaube eine ziemlich richtige Einschätzung meiner Leistungen …

Die Situation ist noch ganz ungeklärt. Ich vermute, das definitive Verhältnisse erst nach der Reichspräsidentenwahl eintreten, ob das Kabinett jetzt weitervegetiert oder ob ein Provisorium geschaffen wird.

Übrigens habe ich alle Trauerfeierlichkeiten mitgemacht. Ich ging hinter dem Sarg bis zum Potsdamer Bahnhof. Seitdem nichts Neues. Heute im Landtagsausschuß die Schulreform vor dem Zentrum gerettet.


Über die Republik und die Selbstverantwortung


529. 15.3.1925

Hoffentlich löst sich diese Woche die Krise. Dann geht der Landtag in die Osterferien und ich kann als Minister mir etwas Ruhe gönnen. Werde ich nicht wieder Minister, habe ich um so mehr Ruhe; bis ich wieder Staatssekretär werde, vergeht immerhin einige Zeit; werde ich gar Professor, hätte ich unbeschränkte Zeit. Weißt Du, ich würde ganz gern mal wieder für ein Jahr Professor; ob ich’s länger aushalte, nur Professor zu sein, weiß ich nicht. Einstweilen steckt noch zu viel praktischer Tatendrang in mir.

Das ewige Gerede der demokratischen Presse von der Sabotage durch Universität und Schule hat nur den Erfolg, daß die Rechtspresse sich freut, die Opposition sich bestärkt sieht und die Republikaner entmutigt werden. In Wirklichkeit sind die Republikaner felsenfest. Natürlich nicht die freisinnige Auffassung der Republik, wohl aber die Staatsform. Ich würde viel mehr mit der Suggestionskraft der Republik arbeiten. Was für ein Erfolg, daß das deutschnationale Kabinett Luther88 in meiner Programmrede die Republik 4-5 mal nennt. Wenn von dem ständig wachsenden republikanischen Gedanken geredet wird, glauben schließlich auch die Gegner dran oder werden zum mindesten unsicher und verlieren jedenfalls die schöne Herzensstärkung, daß die republikanische Presse alle Tage Klagelieder darüber singt, daß die Reaktion im Wachsen sei. Gewiß, die Jugend berauscht sich, aber kaum hat sie die Universität verlassen, zwingt sie das Leben zu ganz anderen Erkenntnissen.. Ich habe merkwürdige Bekenntnisse leidenschaftlicher Deutschnationaler in dieser Hinsicht erlebt. Die Vernunft marschiert. Auch ich bin kein Republikaner aus Leidenschaft sondern aus Vernunft. Die Republik war doch eine Notlösung. Make the best of it – ist unsere Aufgabe. Man kann sich am Gedanken der Selbstverantwortung und der Gemeinschaftsverantwortung begeistern und damit die Republik bejahen, aber man kann doch von uns, die wir alle früher überzeugte Monarchisten waren, weil die Monarchie uns groß gemacht hat, nicht erwarten, daß wir uns für die Notlösung nach dem Zusammenbruch begeistern. Deshalb muß nicht immer die Weimarer Verfassung verherrlicht werden – das ist ein pädagogischer Unsinn – sondern die Erziehung zur Selbstverantwortung. Der republikanische Gedanke darf nicht von außen, von dem Zwang der Verfassung her, sondern er muß von innen heraus, vom neuen Zeitgeist, vom neuen Menschen her der Jugend nahe gebracht werden. Ich habe viel mehr Glauben an die Zukunft der Republik als die ganze freisinnige Presse, die in Nachäffung Bismarck’scher Methoden nun per ordre du Mufti republikanische Gesinnungsmacherei mit drakonischen Methoden betrieben haben will, ohne zu bedenken, daß sie damit eine wirklich echte auf der Selbstverantwortung aufgebaute Demokratie einfach totschlägt und sich der gleichen Methoden bedient, gegen die sie im alten Staat nicht genug hat eifern können. (…) Eine neue Wendung im Zeitgeist ist von den Dogmatikern noch stets und überall als Abfall von unserm Geist der Philosophie, der Religion usw. erklärt worden. Das Absolute ist stets etwas Zeitgebundenes oder gar Subjektives89.

Gestern wurde mir eine Professur in Utrecht angeboten. Schrieb ich Dir schon, daß Eduard Meyer und ich gleichzeitig als Mitglieder der Budapester Akademie in Aussicht genommen sind? Ich las es bisher bloß im – Steglitzer Anzeiger und hörte es von Gragger. Farkas erzählte mir, es stünde alles in ungarischen Zeitungen. Offiziell weiß ich von nichts.

 

530. 22.3.1925

Aus einer gestrigen Unterhaltung mit Boelitz entnahm ich, daß man beim Wiederzusammentritt des Landtags ein Beamtenkabinett zu bilden beabsichtigt, in dem aber nicht ich, sondern ein offenbar ein national zuverlässigerer Beamter (sprich Volksparteiler Personalschieber unter neutraler Beamtenmaske) das Kultusministerium bekommen soll, während man so gnädig sein wird, mich wieder die Arbeit des Staatssekretärs tun zu lassen. Das natürlich nur, wenn es nach dem Kopf der Volkspartei geht. Ich verstand Boelitz bei der Unterhaltung nicht recht und sagte ihm, ich würde wohl wieder Staatssekretär werden, wenn der Mann mir zusagte. Beim Nachdenken über diese Unterhaltung wurde mir aber ganz klar, daß das ein Fühler hatte sein sollen, und daß ein sogenannter neutraler Beamtenminister als Chef für mich doch völlig indiskutabel sei. So schrieb ich noch gestern in diesem Sinn an Boelitz, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Schon ein neutraler politischer Minister sei für mich schwer tragbar. Ich würde aber bleiben, wenn der Mann mir gefiele. Ein neutraler Beamtenminister aber müsse mir sachlich unterlegen sein und bedeute ein solches Mißtrauensvotum der Parteien, daß ich dann nicht bleiben könne. Boelitz hatte gesagt, ich wäre jetzt eingesprungen und würde, wenn im Herbst dann wieder ein politisches Kabinett käme, als Übergang wohl auch einen Beamtenminister ertragen können. Da hat die Volkspartei aber die Rech-nung ohne den Wirt gemacht. Man will den Parteien nahestehende Minister nehmen, nicht Parlamentarier, aber offenbar solche, die gehorchen. Zwei Sozialdemokraten, zwei Zentrum, zwei Deutschnationale, ein Volkspartei(ler), ein Demokrat. Da für die Volkspartei Präsidium und MdI90 nicht in Frage kommen, will man offenbar das nächstwichtige Beamtenministerium in die Hand bekommen. Ich bin der Meinung, da soll man offen sagen, daß es sich um ein politisches Kabinett handelt. Ich mache jedenfalls diese Heuchelei, in der die Lösung auf Kosten meines persönlichen Ansehens geht, nicht mit. Natürlich werde ich Zentrum und Demokraten vorher warnen.-

Natürlich beschäftigt mich das sehr und ich fange an, diese ständige Unsicherheit meiner persönlichen Position für so unerträglich zu halten, daß meine Arbeitsfreudigkeit in Frage kommt und ich dann lieber wieder zur reinen Wissenschaft zurückkehre.

 

531. 28.3.192591

Eine Lösung der Krise ist nicht abzusehen. Die Boelitz’sche Idee, von der ich Dir schrieb und die er dann nach meinem Brief mündlich als eine auftauchende Möglichkeit bezeichnete, ist offenbar der Wunsch der Rechtsparteien. Ich sprach sie mit Schreiber durch, der sie für völlig indiskutabel erklärte. Ein Beamtenkabinett müsse mich als Ministerübernehmen, unter einem Beamten könne ich nicht wieder Staatssekretär werden, wohl unter einem Politiker. Die Demokratie 92wolle aber überhaupt kein Beamtenkabinett. Ich weiß nicht, wie sie’s lösen wollen. Ein zweiter Wahlgang und die Wahl von Marx würde das Zentrum so der Sozialdemokratie verpflichten, daß das Zentrum in Preußen sich auf kein Rechtskabinett einlassen kann. Ich nehme an, daß die Bedingung sein wird, unter der die Sozialdemokratie für eine Wahl von Marx zu gewinnen sein wird. Gegen Marx spricht in vielen Kreisen eine wachsende kulturkämpferische Einstellung, die ihrerseits eine Reaktion auf die Ansprüche des Zentrums darstellt. Viele Verständige erhoffen in letzter Stunde eine Einheitskandidatur Simons.

Es wird Dich freuen zu hören, daß mich die Akademie von Rußland in Leningrad mit sehr schmeichelhaften Worten zum korrespondierenden Mitglied ernannt hat. Das war mir eine völlige Überraschung und dabei hat kein Gragger mitgewirkt. Offenbar die Wirkung der Islamstudien.


Wieder Kultusminister in Preußen


532. 5.4.1925

Heute empfing ich meine dritte Ernennung zum Minister, diesmal gezeichnet Braun. Braun wird im Falle eines Mißtrauensvotums den Landtag auflösen. Da nach dem Ausfall der Wahlen93 – sie ergaben für Preußen eine starke absolute Majorität für die Weimarer Koalition – die Rechte keinerlei Interesse an einer Auflösung hat, wird sie es wohl nicht darauf ankommen lassen. Die Volkspartei hat sich zu sehr festgelegt, um jetzt gleich einzutreten, so rechnet Braun mit einer Dauer des Kabinetts mindestens bis zum Herbst und dann mit dem Eintritt der Volkspartei. Braun hat sehr nett zu Weißmann gesagt, er lege keinen Wert auf einen dritten Sozialisten. Er hätte dafür lieber mich als Kultusminister. Da Zentrum und die Demokraten auch ein Interesse an meinem Verbleiben haben, wäre damit eine Chance gegeben, daß ich auch bei der Wiederherstellung der großen Koalition bleiben könnte.

  • Zwei Sozialdemokraten,
  • zwei Volksparteiler,
  • ein Demokrat und
  • ich.

Vermutlich würde die Volkspartei dann Handel und Justiz bekommen. Ursprünglich war ihr die Finanz zugedacht, Höpker-Aschoff hat sich aber überall – im Staatsministerium, Reichstag, Landtag – so über alles Erwarten glänzend eingeführt, daß nur eine Stimme der Begeisterung herrschte, selbst in seinem Ressort, das ihn kaum wieder gehen lassen wird. Natürlich wird dann auch wieder die Kultusfrage auftauchen, aber wenn Lammers dann Staatssekretär ist, wird man kaum riskieren, den Ministerposten einem Neuling auszuliefern und gegen Boelitz sind alle Parteien, vielleicht sogar seine eigene.

Die Vorgeschichte war nicht uninteressant. Vor der Wahl des Ministerpräsidenten hatten sich Sozialdemokraten und Demokraten auf Braun geeinigt und die Zustimmung des Zentrums schien sicher. Im letzten Augenblick brach das Zentrum unter dem Druck seines rechten Flügels aus und erklärte die Wahl eines Sozialdemokraten für untragbar. Das Zentrum schlug Höpker-Aschoff (Demokrat) vor. Um 5 Uhr schloß die Staatsministerialsitzung, in der Höpker noch nichts wußte. Fünf Minuten danach begann die Wahl. Höpker war außer sich und verließ wütend das Haus. Er wurde im zweiten Wahlgang gewählt. Er weigerte sich anzunehmen und das Zentrum sah gleichzeitig seine Dummheit ein, zumal die Sozialdemokraten sehr ver-schnupft waren. Die Wahl Brauns schien gesichert. In diesem Augenblick bekamen die Demokraten Größenwahn. Sie meinten, nicht nur den preußischen Ministerpräsidenten, sondern auch den Reichspräsidenten aus ihren Reihen stellen zu können. Namentlich Schreiber hielt Höpker-Aschoff auf die Dauer für unsicherer als Braun, da das Zentrum, wenn Marx einmal gewählt sei, sicher bald die Koalition sprengen werde, um den sozialistischen Ministerpräsidenten loszuwerden. Gottseidank siegten aber die Sozialdemokraten und Zentrum, zumal Höpker keinesfalls wollte. So legte Höpker nieder und am nächsten Tag wurde Braun im ersten Wahlgang mit 220 Stimmen gewählt. Braun übernahm sofort die Geschäfte. Gestern früh verabschiedete sich Marx von uns; als der zufällig älteste der Minister (Severing, Hirtsiefer und Am Zehnhoff fehlten) sprach ich ihm den Dank der Kollegen aus. Eine halbe Stunde später eröffnete Braun die fällige Staatsministerialsitzung. Er als neuer Ministerpräsident, wir als alte geschäftsführende Minister. Er wollte uns erst nach Anhörung des interfraktionellen Ausschusses ernennen. Die wichtigsten Punkte dieser Sitzung werden mir denkwürdig bleiben:

1. Bestätigung des Todesurteils über Haarmann.
2. Beratung der Aufwertung und
3. Verabschiedung der großen Schulreform, die nun mit dem neuen Schuljahr in Kraft tritt.

Dabei begab sich etwas Merkwürdiges. Schon einige Tage vorher hatte die Sache angestanden, war aber auf Drängen des Zentrums (Wildermann steckte dahinter) abgesetzt worden. Das Zentrum wollte uns noch zwingen, die dritte Religionsstunde in Sexta zuzugestehen. Ich sprach mit Wildermann und vereinbarte diesen Kompromiß. Inzwischen war durch Marx’ Rücktritt eine Zentrumsstimme verloren gegangen und das Zentrum hatte mit mir nicht mehr die Majorität. So wurde mein Antrag, die dritte Religionsstunde zu genehmigen, gegen meine und Steigers94 Stimme abgelehnt, wäre aber auch abgelehnt worden, wenn zwei fehlende Zentrumsminister anwesend gewesen wären. Dann wurde die Reform ohne diese Konzession einstimmig angenommen. So hat sich die Betriebsamkeit des Herrn Wildermann bitter ge-rächt. Hätte er die Reform annehmen lassen und danach mich zur Einführung der dritten Religionsstunde veranlaßt, wäre alles glatt gegangen. Jetzt liegt ein

Staatsministerialbeschluß vor, der von diesem Kabinett nie wieder aufgehoben werden wird.. Wildermann hatte ge-meint, Marx könne ohne die dritte Religionsstunde nicht in den Präsidentenkampf gehen. Hätte er geschickter operiert, wäre der Kompromiß unter Marx glatt zu erreichen gewesen. Jetzt ist er unmöglich geworden, Marx allerdings auch nicht mehr kompromittiert. Furchtbar lächerlich machte sich im letzten Augenblick in der Sitzung noch Hinze vom Wohlfahrtsministerium durch eine verspätete sachliche Polemik. Er hatte gar nicht gemerkt, daß es seinem Chef nur auf die dritte Religionsstunde ankam. Ich mußte ihn ziemlich grob darauf aufmerk-sam machen, daß sein Chef mir bereits zugesagt hatte, auf meinen Kompromiß einzugehen. Jedenfalls bin ich froh, daß die große Sache nun endlich flott ist.

C. H. Becker (rechts neben Reichspräsident Paul von Hindenburg) bei der Einweihung der Neuen Wache in Berlin (nach 1925)
C. H. Becker (re. n. Reichspräsident Paul von Hindenburg) bei der Einweihung der Neuen Wache in Berlin, nach 1925

Marx95 hat sich in all den Wochen nicht gerade geschickt benommen. Er ist kein Führer und ganz gewiß nicht bedeutend. Er ist aber kolossal anständig. So hat er noch am letzten Tag den preußischen Protest gegen das polnische Konkordat gezeichnet, was ich ihm um so höher anrechne, als es 1. sein letzter Tag war und 2. das Reich vor lauter Leisetreterei (Bergen ist mehr muntius in partibus als deutscher Botschafter) nicht mitmachen wollte. Schließlich siegte mein Argument, daß der Vatikan nur froh sein könne, wenn wir protestierten, da ihm dadurch Polen gegenüber der Rücken gestärkt würde. Dabei wußte Marx ganz genau, daß es uns gerade auf seine Unterschrift ankam, die in Rom natürlich ganz anders wirkt als die von Braun.

Weiter hatte ich diese Woche den Besuch des österreichischen Kultusministers Schneider, mit dem ich danach zum Frühstück beim österreichischen Gesandten und zum Tee bei der österreichischen Kolonie geladen war. Abends waren wir in der Aida. Am Sonnabend sehr nettes Frühstück beim Reichspräsidenten Simons zu Ehren der Hochschule für Politik. Ich saß neben der sehr netten und klugen Hausfrau. Morgen bin ich schon wieder bei ihm eingeladen zu Ehren der klassischen Philologen, die unter der Ägide des Zentralinstituts eine Tagung „Das Gymnasium“ veranstalten. Ich selbst werde Mittwoch einen Empfang von 70-80 Personen aus diesem Anlaß veranstalten. Kostet das 1 ½ fache meiner Repräsentationsgelder für einen Monat.

 

533. 21.4.1925

Gott schütze uns vor Hindenburg! Seine Rede, die ich heute las, zeigt doch eine Naivität, die alles Erwartete übertrifft. Hier stimmen die Orden für Hindenburg, offenbar hat der Vatikan gegen das Zusammengehen mit der Sozialdemokratie bei Marx protestiert, die Weltgeistlichkeit stimmt für Marx.96

 

534. 26.4.1925

Wird Hindenburg gewählt, so fürchte ich nicht die außenpolitischen Wirkungen; es kann sogar nützlich sein, wenn er den Eintritt in den Völkerbund und den Garantiepakt zeichnen muß. Aber verhängnisvoll wird die Wirkung innenpolitisch sein, indem die Reaktion Mut schöpft und sich versteift. Wird Marx gewählt, so wird die Verärgerung recht groß sein, zugleich aber die Erkenntnis dämmern, daß selbst der populärste Mann Deutschlands die Linksentwicklung nicht hat hemmen können. Der Wahl Hindenburgs dürfte die Auflösung des preußischen Landtags ziemlich bald folgen, bei einer Wahl von Marx dürfte die Rechte einlenken und im Herbst die große Koalition wiederkehren. Wird Hindenburg gewählt, wird niemand mehr von der Rationalität des deutschen Volkes reden dürfen. Dann ist es ein reiner Erfolg des Sentiments.97

Hast Du im Samstagblatt der Voss(ischen Zeitung) die entzückende Notiz von Sling gelesen? Die Menschen sind wirklich so. Wie viele verständige Menschen mir gesagt haben, eigentlich wäre es ein Unsinn, aber sie könnten einfach nicht anders …

Gestern früh fuhr ich mit Gragger nach Salzwedel, von dort im Auto nach Lüchen, wo in der im Werden begriffenen Volkshochschule auf Schloß Colbern eine Tagung der studentischen Gruppenführer des Wandervogels98 stattfand. Mich hatte Goetsch zu einem Vortrag erschlagen. Noch nie hatte ich ihn in seinem engeren Kreis gesehen. Es war ganz famos. Was sind das doch für famose Kerle. Ca. 50-60 Studenten, von denen man jedem anmerkte, daß er es gewohnt ist selbst den Mittelpunkt seines Kreises zu bilden. Viel Zucht und Disziplin.

  • Vormittags 6 Stunden Landarbeit,
  • dafür freie Kost und Logis.
  • Nach 2 Stunden Siesta
  • geistige Gemeinschaftsarbeit, Vorträge, musikalische Kurse (Goetsch; ich hörte ihn 1 ½ Stunden über den Unterschied von Rhythmus und Metrik sprechen. Es war fein.)
  • Ich sprach über Staat und Kultur, ebenfalls 1 ½ Stunden.
  • Nach dem Abendessen saßen wir alle in gemütlicher Diele um ein loderndes Kaminfeuer. Einige erzählten von der Bulgarienfahrt des schlesischen Gaues.

Diese Stunden werden mir inhaltlich und malerisch unvergeßbar sein. Das nette Zusammensein mit Gragger, mit dem ich heute früh nach eigentümlich stiller Sonntagsfeier (unter Goetsch’ Leitung Duette, Terzette, Quartette, Chor, meist klassische Musik, dann etwas Morgenstern als Bibelersatz) zurückfuhr …

Die Denkschrift über die Lehrerbildung von Von den Driesch ist fertig und ging an den Finanzminister. Außer mir finden sie auch andere kritische Stimmen (Kaestner, Landé) ganz ausgezeichnet. Ich eröffnete Von den Driesch, daß er umziehen könne. Der Mann war eine vorzügliche Wahl.

Im Mai habe ich ein schreckliches Programm:

  • 6.-7. Mai Deutsches Museum in München
  • 11. Mai Buchhändlerverein, Leipzig
  • 15.-17. Mai Münster, Medizinische Fakultät
  • 21.-23. Mai Auslandsinstitut Stuttgart
  • 17.-19. Juni Bonn
  • 27. Juni Altona

 

535. 3.5 1925

Also Hindenburg. Ich denke jetzt: make the best of it. Vielleicht führt seine Wahl doch zu einer gewissen Entspannung, namentlich wenn die Rechte jetzt sieht, daß in Preußen, das übrigens Marx gewählt hat, nichts zu machen ist. Im Landtag war man erst über die m. E. nicht sehr glückliche Rede Brauns erbost und Campe sprach noch sehr feindlich. Allmählich schlug der Wind um, und am Donnerstag war eine ganz behagliche Stimmung mit Liebeswerben von allen Seiten. Außer der Sozialdemokratie will niemand eine Auflösung. Die Rechte propagiert das Beamtenkabinett, die Linke die große Koalition. Braun hat sich bereit erklärt, zwei Volksparteiler aufzunehmen, verlangt aber vorher das Billigungsvotum für das jetzige Kabinett. Zu welcher Umgestaltung man dann kommt, weiß noch niemand. Eigentlich war HöpkerAschoff nur Platzhalter für Excellenz von Richter. Nun hat er aber so eingeschlagen, daß sein Ausscheiden ein Wahnsinn wäre, was allgemein eingesehen wird. So wird wohl Schreiber oder ich oder wir beide daran glauben müssen. Schreiber wird von der Industrie nicht allzu gern gesehen, wie ich diese Woche auf dem Festessen des Industrie- und Handelstages zu bemerken glaubte., aber er ist der Vorsitzende der Fraktion. Mich kann man ja als Staatssekretär halten. Immerhin wird man kaum zwei politische Demokraten in einem Kabi-nett der großen Koalition belassen. Eher wird man mich als Zweiten schlucken. Das Justiz-ministerium ist sozusagen frei, da Am Zehnhoff schwer krank ist. Wirtschaft und Justiz wären ja auch für die Volkspartei bei der augenblicklichen Lage mehr als ausreichend. Aber Du weißt, im politischen Leben kann man nie etwas vorher sagen, und ich werde mich erst als Minister fühlen und nach oben ziehen, wenn dieses Kabinett wirklich steht. D.h. Ernennungen mache ich bereits ohne Rücksicht, so sind König und Gottwald Regierungsschulräte in Berlin geworden, aber eine wirklich klare Kulturpolitik kann ich erst machen, wenn ich festen Boden unter den Füßen habe.


Tod des ehemaligen preußischen Kultusministers Haenisch


Zwischen zwei Schlafwagennächten habe ich Freitag in Wiesbaden Haenisch zu Grabe geleitet. Fabelhafte Teilnahme der Bevölkerung. Am Grabe war’s die reine Maifeier. In der Regierung war nur geladenes Publikum. Würdiges und schönes Arrangement. Nach dem Vizepräsidenten sprach ich. Mein Vorredner hatte die Person gut und richtig geschildert. Ich würdigte deshalb in ganz freier Rede mehr den Kultusminister. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Haenisch starb an Embolie nach einer Venenentzündung, er erkannte die Lebensgefahr, in der er schwebte, wollte nicht sterben, aber dann hat ihn doch ganz plötzlich der Tod überrascht. Er sagte: Mir wird so eigentümlich, aber ehe man irgend etwas tun konnte, war er tot. Vier bis fünf unversorgte Kinder, keine Pension und diese Frau (mit Bubikopf!). Natürlich wird gesorgt werden. Du wirst Dir denken, daß dieser Tod auch mir nahe ging. Ich habe ihn gern gehabt, nicht lieb; ich sah in klar in seinen Vorzügen und Schwächen. Immerhin verkörperte er auch für mich ein bedeutendes Stück meines Lebens; er hat mich schließlich zum Staatssekretär gemacht und meine Wirkung ins Breite erst ermöglicht. Er hat objektiv eine große historische Rolle gespielt und wenn ich in meiner Rede sagte, daß sein Name in Ehren genannt werden würde, solange es eine deutsche Bildungsgeschichte gäbe, so war das mehr als Trauerrhetorik. Du hast ja alle Phasen meiner inneren und äußeren Stellung zu ihm vor, während und nach seiner Ministerschaft miterlebt, so daß es zwischen uns der nicht der Worte bedarf. Ich will später einmal versuchen, ihn literarisch zu würdigen. Im Augenblick fehlt mir der Trieb, die Kraft und die Zeit.

Gestern hatte ich eine lange, höchst peinliche Unterhaltung mit Schillings. Ich fürchte, wir stehen wieder mal vor einer Krise. Ich habe ihm diesmal alle Bedenken gegen ihn enthüllt bis auf seinen Vertrag mit Frau Kemp. Morgen kommt er zu Wort. Ich erzähle nach Abschluß der ganzen Sache. Sie beschäftigt mich sehr.

 

536. 11.5.1925

Von den köstlichen Münchener Tagen hat Dir meine Karte gemeldet. Politisch bemerkenswert war das Fehlen der Reichsfarben im Stadtbild. Bayern ist eben bayerisch und gehört zum Reich nur insoweit es zahlt. In Bezug auf das Deutsche Museum wurde die Reichsregierung sehr gefeiert, das große Preußen, das doch aus seiner Steuerkraft 2/3 der Reichszahlung aufbringt, wurde überhaupt nicht erwähnt, wozu die Redefaulheit von Braun, der von dem vergnügungssüchtigen Weismann dirigiert wurde, nicht wenig beitrug. Bayern, Reichsregierung und Reichstag hieß das Trio. Daß es daneben noch einen Reichsrat gibt, davon spricht man nur, wenn bayerische Belange bedroht sind. Dann ist Preußen gut genug zu helfen, aber daß Preußen zum guten Teil das Deutsche Museum bezahlt hat, davon dürfen die Bayern nichts hören. Im übrigen war es sehr nett, ein schwaches, sehr schwaches Festspiel von Hauptmann wurde durch gute Regie gerettet. Immerhin waren es unvergeßliche Tage; denn es ist auch eine Kunst, Feste richtig zu feiern.

Am Tag nach der Rückkehr war die Abstimmung. Wie erwartet, wurde das Mißtrauensvotum mit einer kleinen Majorität von acht Stimmen abgelehnt. Die Festigkeit von Braun hatte gesiegt. Auch Adenauer verschloß sich der Notwendigkeit, so sehr auch das Zentrum die Auflösung vermeiden wollte. Das von der Volkspartei gewünschte Beamtenkabinett scheiterte an der Festigkeit der Linken. Braun will die Koalition gern vergrößern, ich glaube aber kaum, daß die Volkspartei vor dem Herbst beitritt. So wird vermutlich alles beim Alten bleiben. Braun meinte in München zu mir, ich würde ja wohl unter allen Umständen bleiben, aber ehe die Verbreiterung da ist traue ich dem Frieden nicht recht.

Im Ministerkreis brachte ich die Nichtbeteiligung des Reichsbanners am Hindenburgeinzug zur Sprache, die ich für eine kapitale Dummheit halte. Leider sah ich aber, daß Severing und Braun die Zurückhaltung billigten, vielleicht sogar veranlaßt haben, weil sie Mord und Totschlag bei einem gemeinsamen Aufmarsch fürchteten.

Gestern Abend hörte ich den Rigoletto mit Schlusnus und Gigli, welch letzterer 2000 $ pro Abend bekommt. Es war fabelhaft. Heute früh fuhr ich mit Richter und Schmidt-Ott selbander nach Leipzig. Wir hatten eine rückhaltlose Aussprache über die Notgemeinschaft, hörten dann hier in vier Stunden 45 Reden, leben aber noch, nachdem wir zwei uns allein zwei Stunden im Café gestärkt haben. Jetzt gehen wir gleich zum Festessen (Jahrhundertfeier des Buchhändlerbörsenvereins. Anmerkung Wendes) und fahren spät abends zurück. Natürlich habe ich eine (wohl die kürzeste) der 45 Reden gehalten.

 

537. 17.5.1925

… es war das übliche akademische Fest (Eröffnung der medizinischen Fakultät Münster. Anmerkung Wendes), sehr provinziell. Man stand immerfort auf der roten Erde und der Landeshauptmann spielte die Rolle des ungekrönten Königs mit dem Applaus und der Popularität des gekrönten. Herr Dieckmann ist aber auch offenbar eine Nummer. Ich verstand mich gut mit ihm. Die Professoren wirken durchaus zweitklassig. Der gute Grützmacher an der Spitze gab sich ehrliche Mühe, aber das Niveau war durchweg unter dem Strich. Ich mußte drei mal reden, bei der Übergabe, beim Festakt, wo ich einiges Grundsätzliches über Leben und Wissenschaft insbesondere mit Bezug auf die Medizin sagte, und beim Festessen auf das Vaterland. Das Arrangement war mit viel Würde und recht schlecht. Beim Festakt war der halbe Saal leer, weil die Studenten wegen des lächerlichen Frackzwangs (morgens um ½ 10 Uhr!) fortgeblieben waren. Der Kommers war am 3 (!) Tag abends, wozu ich natürlich nicht bleiben konnte. Ehrenpromotionen Schindowski (mit recht), Helbing und Lammers. Richter war offenbar mit Absicht übergangen und doch ist er schließlich der Vater der Fakultät. Der Vorgang hat mein objektives Gerechtigkeitsgefühl verletzt. Denn es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die gute materielle Lage der Professoren Richters Werk ist, im Kampf gegen Helbing errungen, aber die Professoren ehren Helbing und übergehen Richter. Auch ist es charakteristisch, daß sie Lammers bevorzugen, während sie gegen Richters Selbstbewußtsein empfindlich sind. Die Glätte von Lammers hätte niemals erreicht, was Richters Ellenbogen geschaffen haben … In diesem Fall hat man Richter Unrecht getan. Der Personalreferent kann’s nie allen recht machen und niemand weiß, wo eigentlich die Hauptleistung des Personalreferenten liegt. Du wirst verstehen, daß mir diese Desavouierung von Richter bei dem Spannungsverhältnis zu Lammers und andererseits Helbing schon rein ressortpolitisch höchst unbequem ist.

Meine Wahl in die Ungarische Akademie ist im letzten Augenblick gescheitert. Die Sektion hatte mich einstimmig vorgeschlagen, die Zeitungen mein Bild gebracht. Dann hat die geheime Wahl des gesamten Senats meine Kandidatur scheitern lassen. Ein persönlicher Feind von Gragger hat mit Briefen aus München, wonach meine Wahl – im Zeitalter Hindenburgs – die deutsche Gelehrtenwelt verletzen würde, da ich ein roter Revolutionär sei, die stockkonservativen, fachlich unzuständigen Mitglieder zur Ablehnung gebracht. Die Sache ist für den ungarischen Kultusminister, der den Antrag gestellt hatte, unangenehmer als für mich; denn natürlich ist es auch eine Opposition gegen ihn. Aber charakteristisch bleibt auch dieses Ereignis für die Professorenschaft. Sie sind sich überall gleich. Gragger ist sofort aus der Akademie ausgetreten. Es ist im Interesse der deutsch-ungarischen Beziehungen zu wünschen, daß nichts davon in die Zeitungen kommt.

 

538. 4.6.1925

Ich warte jetzt auf die Fühlung mit dem Zentrum. Mit Lammers sprach ich gestern zwei Stunden lang, vollkommen offen, er war sehr einverstanden mit meinen geplanten Maßnahmen und stellte sich vor allem ganz nett zu einem Direktorat Richter. Mir ist ganz lieb, daß Krüß gewisse Ahnungen hat, um so vorbereiteter ist er. Ich spreche erst mit ihm, wenn alles fest steht. Ich glaube nicht an eine völlige Umgestaltung des Kabinetts, wie volksparteiliche Organe flöten. Es wäre auch ein Wahnsinn. Immerhin suche ich mir Sicherungen zu schaffen, ehe ich Lammers ernenne. Mit Kaestner, Richter, Hüttebräuker bei der übrigen Zusammensetzung kann aber selbst ich zur Not über Bord gehen; vor der Umgestaltung aber wäre es eine Katastrophe. Daß Boelitz mitmacht, sagte ich Dir wohl. Braun drängt jetzt …

 

539. 7.6.1925

C. H. Becker ( in Budapest, 1920er Jahre mit Robert Gragger, dem Direktor des Collegium Hungaricum in Berlin?)
C. H. Becker ( in Budapest, 1920er Jahre mit Robert Gragger, dem Direktor des Collegium Hungaricum in Berlin?)

Mit Lammers sprach ich, wie ich vielleicht schon schrieb, diese Woche noch einmal gründlich, aus Loyalität; ich glaube es war gut, jedenfalls stimmt er allen meine Plänen zu. Gäbe der Himmel, daß nicht eine neue Kabinettskrise alles wieder fraglich macht. Ich glaube, daß nach der Neuordnung das Ministerium steht und in meinem Sinn weiterarbeitet, selbst wenn ich in absehbarer Zeit über Bord gehe. Die Verbesserung ist so augenfällig, daß ich das Urteil der Geschichte ruhig abwarten kann. Wenn ich vorher ausschiede, bliebe allerdings nur ein Trümmerhaufen, jedenfalls würden dann die Folgen meines Ausscheidens katastrophal sein. Das Zentrum tagt morgen, ich kann mir kaum denken, daß man so töricht sein wird, die chronische Krisenmacherei im Augenblick fortzusetzen. Nur Am Zehnhoff ist abgängig. Das Zentrum könnte ruhig den Sitz abgeben und einen der Volkspartei genehmen Mann hinzu lassen. Gott weiß es am besten, – sagt Mohammed.

 

540. 14.6.1925

Unser langes Telefongespräch heute früh hat mir bis in die tiefste Seele hinein wohl getan und mir nach dem langen Ringen dieser Tage und der plötzliche stürmischen Wendung wieder Ruhe und Sicherheit gegeben. Die erste Aussprache mit Lauscher und Wildermann war schon Anfang der Woche, richtig, am Dienstag Nachmittag im Landtag. Es war gerade Staatsministerialsitzung, ich hatte mich für die ersten Stunden bei Braun mit Rücksicht auf diese Aussprache beurlaubt, so saß ich dann 2 ½ Stunden mit den zwei Priestern im Ministerzimmer, ich bot ihnen eine Zigarre an und hielt ihnen dann einen Vortrag, der etwa eine Stunde dauerte. Der Rest war Diskussion. Ich merkte gleich, daß Lauscher an Richter sein Mütchen kühlen wollte. Richter hatte ungeschickte Bemerkungen losgelassen wie die: Herr Lauscher hat es befohlen. Lauscher kündigte mir für den Fall von Richters Ernennung einen frisch-fröhlichen Kampf an. Zwar deutete er an, daß er sich nach einer gründlichen Aussprache mit Richter vielleicht werde besänftigen lassen, nachdem ich in allen Tonarten Richters Lob gesungen und einige der schlimmsten Mißverständnisse aus der Welt geräumt hatte. Dann kam – wie komisch für mich – Deine Präsentation. Du gehörst zwar nicht zu ihnen, aber sie vertrauen Dir und die Hochschulen ebenfalls … man trauere überall Dir nach usw. Ich sagte zunächst, daß Du mir ganz gewiß recht seiest, auch hätte ich diesen Plan wohl erwogen. Am besten wäre natürlich euer Zusammenwirken, aber Richter könne die zweite Stelle nicht vertragen. Sollte er als Direktor, was ich nicht glaubte, wirklich versagen, so wäre es ja ein wundervolles Bewußtsein, Dich immer in Reserve zu haben. Bis dahin wäre dann auch der neue Personalreferent eingearbeitet. Aber all das half nichts. Wir beschlossen die Sache ein paar Tage zu beschlafen und am Sonnabend weiter zu besprechen. Ich habe in der Zwischenzeit weder mit Richter, der dann gleich verreiste, noch mit Dir gesprochen; dafür aber mit Gragger, Landé und Leist. Diese drei waren nun so geschlossen für Dich, daß mir in meiner Festigkeit bange wurde … Landé war so baff über diese glänzende Forderung des Zentrums, daß er ihm innerlich allerlei abbat. Er meinte, Richter müsse eben Dirigent werden. Dieser letzte Rat erfolgte aber erst gestern, als am Vormittag die zweite Aussprache mit Lauscher stattfand, in der mit noch größerer Festigkeit Richter erneut abgelehnt wurde. Eine Er-nennung wurde als höchst unerwünscht bezeichnet. Nach Tisch fuhr ich sofort zu HoepkerAschoff99, trug ihm die ganze Sache unter vier Augen vor und erhielt seine Zusage, daß Richters Stelle mit dem Etat 1926 in eine Dirigentenstelle umgewandelt werden solle. Hoepker hatte gewisse Bedenken wegen der Katholisierung von U I neben dem Staats-sekretariat. Die gleich Bedenken hatte Braun gehabt, obwohl beide Deiner Person trauen, aber die fürchteten den Eindruck im Lande. Ich glaube, daß Lauscher aber gerade diesen Erfolg erstrebt, wobei sich alle darüber klar sind, daß Du kein Zentrumsmann bist, wenn ich auch für richtig gefunden hatte, Lauscher unter der Hand zu versetzen, daß Du zwar nicht kirchlich wärest, aber in Kiel doch Zentrum gewählt hättest, welch Letzteres saß und für die Zukunft vielleicht nützlich ist.

Auf unser Gespräch von heute früh hin bin ich nun entschlossen, Richter zu forcieren. Ich glaube wie Du, daß mit dem Ministerialdirektorposten endlich innerer Anspruch und äußere Stellung ins Gleichgewicht geraten …

Meine Position Krüß und der Öffentlichkeit gegenüber wird dadurch auch erleichtert. Mit Krüß hatte ich vor einigen Tagen eine erste Aussprache. Ich sagte ihm, daß im Zusammenhang mit der neuen Besetzung des Staatssekretariats ein größeres Revirement und daß dabei auch eine neue Besetzung der Direktorstelle von U I100 zur Diskussion stehe. Ohne ihm einst-weilen Gründe anzugeben, wollte ich ihn loyalitätshalber davon in Kenntnis setzen, damit er gegebenenfalls nicht zu sehr davon überrascht sei. Da ich seine Verdienste um das Ministerium zur Genüge kenne und der Verlust eines so sachverständigen Mannes schwer tragbar wäre, quälte ich mich sehr mit diesem Problem und ich würde jedenfalls alles dafür tun, sein eventuelles Ausscheiden in den denkbar vornehmsten Formen zu vollziehen und hätte ihn in diesem Fall als Generaldirektor der Staatsbibliothek in Aussicht genommen. Trotz seiner Bemerkung gegen Dich fiel er aus allen Wolken. Er sei doch ganz unpolitisch und immer loyal gewesen; er möchte doch wissen, wie man ihn aus politischen Gründen beseitigen könne. Ich mochte mich in diesem Augenblick noch nicht auf die Gründe einlassen, da mir, (trotz Deiner Stellung und der aller meiner Freunde) die Beseitigung von Krüß sehr schwer fällt. Er ist 18 Jahre im Haus und ich kann ihn keiner Illoyalität überführen …; er führt die formalen Geschäf-te von U I besser als wie Richter es je tun wird; er hat mich meist besser orientiert und mehr zugezogen als Richter in seinem Machtbereich; bestünde nicht mein persönliches Vertrauen in Richter, hätte ich bei ihm mehr über Ausschaltung meines Person zu klagen als bei Krüß; endlich hat Krüß Interessen und Beziehungen gehabt und initiativreich gepflegt, die für das Ministerium sehr wichtig und nützlich waren, wo Richter noch erst die Anfänge zu begründen haben wird … Ich komme nicht darüber hinweg, daß ich … einen Menschen, der nichts verbrochen hat, als daß er etwas zu subaltern ist, der aber 16 Jahre dem Ministerium treu gedient hat und mehr Verdienste hat, als ihr beide je habt anerkennen wollen, auch menschlich wehe tun muß und ihn verbittere und kränke …

Mich hat noch nie eine Verantwortung so gedrückt wie diese (federleicht wiegt dagegen die Entscheidung im Falle Jahnke und Klotzsch), mein ethisches Gefühl steht hier in einem unüberwindlichen Konflikt mit meinem realen Denken. Ich bin eben nicht der, der ohne Skrupel um einer Sache willen über Leichen geht. Dazu kommt die äußere Schwierigkeit, daß die Enthüllung der letzten Gründe vor der Öffentlichkeit ganz unmöglich ist. In unserer Unterhaltung sagte mir Krüß, es habe ihn gekränkt, daß ich beim Auftreten der Kandidatur Lammers kein Wort des Bedauerns gefunden hätte, daß er nun nicht Staatsekretär werden könne. Das hätte sein Verhältnis zu mir getrübt. Darauf habe ich ihm ganz ehrlich geantwortet: Ein solches Wort des Bedauerns wäre eine Lüge gewesen, da mein Verhältnis zu ihm nach der Ära Boelitz ein anderes gewesen wäre wie vorher und daß ich ihn, auch wenn ich ganz frei gewesen wäre, jetzt nicht mehr zum Staatssekretär gemacht hätte, ganz abgesehen davon, daß die Linke meiner Ministerschaft widersprochen hätte, weil man befürchtete, ich könnte ihn zum Staatssekretär machen. Darüber dürfe er sich nicht täuschen, daß die ganze Linke ihn unbedingt und entschieden ablehne; schon beim letzten Etat wäre nur mit Mühe ein starker Vorstoß gegen ihn abzulenken gewesen. Seine Stellung zwischen Boelitz und mir sei schwierig gewesen, vielleicht ohne seine Schuld, aber jedenfalls de facto sei dadurch eine Entfremdung zwischen mir und ihm eingetreten. Er fand diese Bemerkung sehr aufschlußreich. Ich sagte ihm auch wahrheitsgemäß, seine eventuelle Entfernung sei keine unmittelbar politische, sondern nur die sachliche Folge politischer Notwendigkeiten. Unter mir als Staatssekretär hätte er ruhig bleiben können. Die letzten Gründe: Richter oder er, Geist oder Bürokratie infolge der Ernennung von Lammers werde ich ihm erst nach gefallener Entscheidung mitteilen …

Ich freue mich, daß Du dazu ja sagst, daß Du mich stärkst und es verlangst, obwohl es gegen Deinen eigenen Vorteil geht, (obwohl ich Deine Haltung voll verstehe und würdige; auch ich habe bald genug und würde eine Ausschiffung im Herbst ohne Bitterkeit hinnehmen; das Ministerium wäre jedenfalls dann in allen wichtigen Punkten gut besetzt.) …

Auch sonst leide ich oft unter der Verantwortlichkeit der Ministerschaft. Sie zermürbt. Das kann nur beurteilen, der sie selbst getragen – vielleicht gewöhne ich mich daran, aber in der Tiefe wächst die Sehnsucht nach der Ruhe und geistigen Arbeit. Es war mir ungeheuer sympathisch, wie ein Griff in mein Inneres, als Du heute früh sagtest, Du hättest nicht mehr nur Ehrgeiz, Du sehntest Dich auch nach wissenschaftlich-literarischer Arbeit. Ich betrachte es jetzt als meine Mission, das Ministerium personell in Ordnung zu bringen. Dann kann ich gehen und in der Stille meiner Vertiefung leben. Vorerst aber stehe ich noch im Reich des Handelns…

Das Hauptereignis dieser Woche war im übrigen die Einigung über die Lehrerbildungsfrage in einer Chefbesprechung mit dem Finanzminister. Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt. Die Kommissare des Finanzministeriums knurrten etwas über die aufgeführte Komödie, da ich vorher mit Hoepker gesprochen hatte. Ich komme sehr gut mit ihm aus; er ist tüchtig und menschlich sehr sympathisch.

Mein Besuch in Neustrelitz101 war eine Konzession an das Strelitzer Ministerium. Dieser Staat von 100 000 Einwohnern hat in seiner Hauptstadt von 12-15 000 Einwohnern eine Doppelanstalt gebaut im Stil des Arndtgymnasiums. Darüber war das ganze Land so stolz, daß man diese Tat drei Tage feierte. Ich war nur einen Tag mit Zierold da, Festzug, Aulaakt (mit Ansprache von mir), Festessen von 300 Personen im Schloß, wobei ich in der Mitte zwischen Ministern (ein Demokrat, ein Deutschnationaler) saß, Autofahrt in die entzückende Umgebung und Heimreise. Ich hatte zum Unziehen (natürlich Frack) die Zimmer, die zuletzt der Kaiser bewohnt hatte; es war eine köstliche Verbindung norddeutschen Herrentums mit demokratischer Staatsverfassung. Strammstehen der Diener und der Schüler, damit aber wieder viel freie Meinung. Als Ganzes recht lehrreich und schön, namentlich Natur und Kunst im Schloß. Der alte Fürstensitz war doch eine Kulturquelle, wie die im Gemeinwesen an ihrer Stelle nie wird werden können. Die neuen demokratischen Kommunen können an den alten Höfen zur Not aufrechterhalten, was die Fürsten geschaffen. Kulturelle Höhepunkte waren nur selten aus sozialem Bedürfnis geschaffen. Nur Großstaat und -stadt können einen Ersatz bieten; in der Provinz verhindert das soziale Bedürfnis oder die soziale Not kulturelle Leistungen, wie sie zum notwendigen Glanz der Duodezfürsten gehörten.

 

541. 21.6.1925 (Bonn)

Ein französisches Reiterregiment102 zieht mit viel Klimbim an meinem Fenster vorbei. Ich habe eine unerwartete stille Stunde im Königshof, da der Schlußnachmittag der Rheinfeier so verregnete, daß das Festspiel (im Freien) abgesagt werden mußte…

Vorigen Sonntag gründliche Aussprache mit Richter, am nächsten Tag mit Krüß, mit Lammers, mit Lascher usw. usw. Ich kann nur das Resultat geben: ich werde jetzt wohl nur Lammers – Jahnke – Hüttebräuker – Boelitz erledigen (letzterer auch zweifelhaft, da ihm Campe 103abrät, er selbst will aber). Das Zentrum blieb gegen Richter fest; neue Version: das Odium, Krüß zu beseitigen und meine Freunde an seine Stelle zu setzen, sei untragbar; natürlich fürchtet man das Odium für Lammers und unterschätzt das Odium im Fall von Richters Ausscheiden. Vielleicht später, wenn Krüß mal freiwillig ginge. Neue Situation: Krüß will freiwillig; er hat plötzlich gemerkt, welche Bedeutung diese wichtige Stellung für ihn hat. Sehr offene, sehr harmonische Aussprache. Nun ist mein Plan, Krüß im Herbst ohne Dispositionsstellung zu versetzen; dann bekommt Richter ohne Odium die auf natürlichem Wege frei werdende Stellung. Damit müßte dann auch das Zentrum zufrieden sein. Richter will keinesfalls gegen das Zentrum. Wegen Klotzsch laß ich mich noch etwas drücken, um das Odium gegen mich zu mildern. So ist die Situation zur Zeit.

Inzwischen Rheinlandfahrt. Es war eine großartige Sache, politisch sehr wichtig. Preußen hat dabei enorm an Sympathien gewonnen. Der Eindruck ist allgemein. Auch ich habe mein Teil dazu beigetragen. Ich hatte Glück mit einer großen Tischrede beim Festbankett im Gürzenich. So beglückwünscht bin ich noch nie worden. Ich will die ganze Episode mal in die Maschine diktieren. Sie ist etwas umständlich zu beschreiben. Adenauer war am Vormittag beim festlichen Frühstück im Rathaus maßlos entgleist, in dem er einmal alle Beschwerden gegen Preußen vom Kölner Standpunkt zusammenfaßte. Es entstand dadurch eine ziemliche Mißstimmung und ich hatte abends vor 700 Menschen die heikle Aufgabe, die Sache in Ordnung zu bringen. Nun, es glückte. In liebenswürdiger Form drehte ich alle Adenauer’schen Argumente in ihr Gegenteil um, ohne es zu sagen, worüber sich der Teilnehmer des Frühstücks eine ungeheure Heiterkeit bemächtigte, so daß die Situation schon gewonnen war, als ich das Wort von dem preußischen, dem Adenauer’schen Köln104 prägte. Die Rede ist mit Absicht nicht im Wortlaut in die Zeitungen gekommen, wird aber nun doch vielleicht gedruckt werden, jedenfalls sprach mich heute der Landeshauptmann darauf an. Weißt Du, es war eine verdammt heikle Aufgabe, vor einem so großen Kreis im Gürzenich über das Verhältnis der Rheinlande zu Preußen zu sprechen, aber ich hatte einen guten Tag und sprach mit aller Offenheit z. B. vom katholischen und protestantischen Kaisertum, die beide der Geschichte angehörten, vom Verhältnis zur katholischen Kirche usw. Ich habe noch nie so viel Satisfaktion von einer Rede gehabt. Die fremdesten Menschen sprachen mich darauf an. Heute hielt mich schon einer für einen Rheinländer. Ich hatte auch noch das Glück, daß vor mir der Reichsminister Frenken eine einfach senile Rede hielt.

Ich habe außerdem noch vier mal gesprochen, drei mal in Bonn, bei Tisch, bei der Eröffnung des Hygienischen Instituts und auf dem großen Studentenkommers in der Beethovenhalle; und einmal heute unter freiem Himmel auf Grafenwerth in der sogenannten Weihestunde. Ich machte sämtliche Düsseldorfer und Kölner Veranstaltungen mit, ohne eine Stunde Pause.

 

542. 22.8.1925

Bei mir ist nämlich der unerhörte Zustand eingetreten, daß ich augenblicklich ohne verfügbare Freunde bin. Robert sitzt noch in Tähany105, woher ich gestern einen sehr behaglichen Brief von ihm hatte, Richter ist auf der Rückreise von Italien, Harro106 nach längerer Faltbootfahrt auf dem Rhein in Kassel, Goetsch mit seiner Spielgemeinde auf einer Konzertreise in Norwegen, Ulrich Noack auf dem Weg nach Italien, wo er nach glänzend bestandenem Doktorexamen den Winter verbringt, Landé ist gestern Abend von der Hochzeitsreise beseligt heimgekehrt, ich sprach ihn heute früh telefonisch, er beginnt auch morgen wieder seinen Dienst, Leist und Niessen habe ich telefonisch gesprochen, sie haben sich sehr befreundet und mir das beide glücklich berichtet; Benecke ist noch auf urlaub, Farkas war gestern den ganzen Abend bei mir, er mußte natürlich ganz genau alles über Ungarn hören und war riesig nett, leider ist er nach Budapest berufen. Das ist ja wohl mein näherer Freundeskreis in Berlin. Es ist mir eigentlich ganz recht, mal etwas Zeit für mich zu haben.

 

543. 30.8.1925


Betrachtungen über die Zukunft


Hab Dank für Deinen guten Brief mit dem sehr richtigen Schlußappell. Ich bin jetzt gelöst von jedem Ehrgeiz, so frei vom „Kleben“, so stoisch eingestellt, daß ich nur noch das tue, was ich für richtig halte im Sinn meiner klar gesehenen Vermittlungsaufgabe. Falle ich dabei, nun dann habe ich niemanden, am wenigsten mir selbst vorzuwerden. Ich denke jetzt oft daran, daß mein Vater, der noch viel Geld hätte verdienen können, in meinem Alter in den Ruhestand trat. Er stand dem Leben wohl ähnlich gegenüber wie ich. Gewiß würde ich mich freuen, die großen Gefahren, die der Lehrerbildung drohen, noch zu bekämpfen und im Kampf um das Gürich’sche Reichsschulgesetz, das die Politik des kommenden Winters beherrschen wird, noch meinen Mann zu stehen, aber wenn es nicht geht, habe ich noch so unendlich viele Ressourcen und verlebe gern mal wieder einen Winter in Rom oder in Kairo und kehre dann zu dem zurück, dem immer mein Interesse gegolten, nunmehr gereift und abgeklärt. Auch kann ich dann vieles Allgemeinkulturelles besprechen und würdigen und wissenschaftlich vertiefen, wozu man in der Kleinarbeit des Tages ja doch nicht kommt. Ach, weißt Du, und etwas mehr akademische Freiheit! Ich war diese Sklaverei, deren Segen ich nicht verkenne, doch nie gewöhnt und mit zunehmendem Alter kommt man zurück à ses premières amours. Das Leben hat mir alles gegeben , was ich billigerweise erwarten konnte, ich lasse mich ja gern noch weiterhin von ihm beschenken, aber ich fordere nichts mehr und ich habe nur das Gefühl, ihm noch etwas schuldig zu sein. Und aus diesem Gefühl heraus bleibe ich auch gern noch im Amt, solange es die Verhältnisse gestatten. Halte das nicht für eine billige Sattheit, ich glaube, Du würdest mir Unrecht tun, auch nicht für Müdigkeit, – ich bin nicht müde, sondern stecke noch voller Arbeitslust und Initiative, Aufgaben wie Menschen gegenüber. Wie soll ich’s nennen? „Lieben ohne Begehren“.

 

544. 6.9.1925

Das Urteil, das Du über meine Reden hörst, ist wohl richtig, ebenso wie der Grund, den Du selbst dafür angibst. Boelitz sagte mir einmal, meine Reden wären zu „schön“, um zu wirken, man glaube mir die Begeisterung nicht und halte alles für Diplomatie. Ich gebe mir allerdings Mühe Niveau zu halten und rede aus Selbstachtung lieber über die Köpfe weg, als daß ich Banalitäten sage und Schlagworte gebrauche. Woldt meinte einmal, ich wäre zu differenziert für die an klare Formulierungen gewohnten Zuhörer – immer das gleiche Echo in verschiedener Form. In den letzten Jahren war ich zudem unter Boelitz zu ständigem Lavieren gezwungen. Diesmal hatte ich im Geiste Deines Rates, meiner Überzeugung und meiner Freiheit von irgendwelcher Kleberei beschlossen, ohne Rücksicht auf die Parteien eine ganz eindeutige Stellung einzunehmen.107 Der Erfolg war denn auch bei meinen zwei politischen Reden ganz unverkennbar. Meine Freunde waren sehr zufrieden, Landé sagte, es wäre vorzüglich gewesen, ich hätte einen selten guten Tag gehabt. Ich glaube wirklich frei von Eitelkeit zu sein, glaube aber selbst, daß ich ganz gut abgeschnitten habe. Durch sehr törichte und leicht zu widerlegendende Angriffe der Deutschnationalen gegen mich und Kaestner hatte ich die günstige Gelegenheit, die Lacher auf meine Seite zu bekommen. Ölze saß reichlich blamiert da und das zweimal, ebenso Kickhöfel, das Haus lachte. Mein sehr energisches Eintreten für Kaestner verschaffte mir das im Parlament immer geschätzte (weil einfache) Prestige der Ritterlichkeit. Der Fall Lessing war weiter eine Plattform, hier ist wirklich nichts dran zu verdienen, namentlich da ich Lessing als Mensch und Literat glatt fallen ließ, die Ablehnung durch die Studentenschaft für begreiflich erklärte, aber mich zu meinem Schutz fest auf den Boden des Rechts und der Autorität stellte. Das Echo ist denn auch recht günstig. Der Vorwärts sagte zum Beispiel: „Eins sei vorweggenommen, das Ministerium Becker wird gehalten.“ Folgte Lob meiner Ritterlichkeit und meiner Energie. Auch über meine Personalpolitik habe ich sehr deutlich gesprochen; es müsse die Linke im Geiste der Parität stärker in den Behörden vertreten sein und schließlich war dann auch die Rechte eigentlich sehr zahm. Geärgert habe ich mich nur über Boelitz, der fragte, warum der Staatssekretärsposten so lange unbesetzt geblieben sei. Ich antwortete sofort: aus den gleichen Gründen, aus denen auch unter ihm politisch umstrittene Posten oft Wochen und Monate lang unbesetzt geblieben seien. Im Ganzen konnte ich nur sagen, daß die Stimmung sehr gut war und zwar durchweg und daß die Rechte sich loyal benahm, selbst Herr Winkler, als ob sie bereit wäre, mich zu schlucken, jedenfalls gegebenenfalls gute Miene dazu zu machen bereit sei. Frau Wronka (Zentrum) lobte und dankte für meine zwei Allensteiner Reden, die in Ostpreu0en großen Widerhall gefunden hätten, ein Deutschnationaler sprach mich privat begeistert über meine Gürzenichrede an, also ein gewisses Echo finden meine Reden doch auch in breiteren Schichten. Allerdings sind das alles politische Reden, wie ich sie eben als Staatssekretär nicht gehalten habe.108 Durch dies Hervortreten bin ich plötzlich in der Presse viel beachtet, die Rechte spricht gelegentlich vom Kabinett Braun – Severing – Becker, kurz, wenn das mein Schwanengesang gewesen sein sollte, so habe ich einen anständigen Abgang; vielleicht aber ist es ein neuer Anfang. Ich werde zu Beidem Ja sagen. Jedenfalls wird mir niemand Halbheit, Schwäche und Unentschiedenheit vorwerfen. Ich habe die gewollte klare Linie gezeigt, und diese Linie ist meine persönliche, die überparteiliche-treuhänderische. Wer nicht den Mut hat, sich einmal zwischen alle Stühle zu setzen und sich doch zu behaupten, der soll lieber überhaupt nicht Minister werden.

Auf Angriffe Leinerts sprach ich dann sehr frei und offen über die Studentenschaft, beson-ders den Studententag und bat, etwaige Differenzen doch nicht allzu tragisch zu nehmen. Es sei eine allgemeine Beruhigung erfolgt. Pinkerneil quittierte mit einem Dank für die „wahrhaft vornehme Art“, mit der ich über die Studentenschaft gesprochen hätte. In academicis habe ich ein energisches Eingreifen im Einzelfall mit verständnisvollem Abwarten im großen Ganzen zu verbinden versucht. Der bisherige Direktor von Hannover hat mir heute früh geschrieben und sich energisch gegen die Äußerungen des Abgeordneten Schuster gewandt und mir seine volle Zustimmung zu meiner persönlichen Haltung im Falle Lessing ausge-sprochen.

… Montag sah ich die Jungfrau im Schillertheater, einzelne schöne Bilder, als Ganzes zu sehr ver-strindbergt und ver-shawt. Ganz anders am Dienstag „As you like it“ mit der Bergner bei Barnowski –ganz ausgezeichnet, erholend, ganz modernisierter Shakespeare. Donnerstag Pawlowa bei Kroll, erstklassig, aber vieux jeu. Heute Abend gehen wir nach der Abreise der Kinder noch in den Rosenkavalier

Von Gragger immer gute Nachrichten. Er hat wieder ganz große Pläne. Graf Klebelsberg will die gesamte Ausbildung des Gelehrtennachwuchses nicht nach der neuen Cité Universitaire in Paris, sondern nach Berlin legen, 80 Stipendiaten, ihnen ein Haus in Dahlem bauen usw. Du kannst Dir denken, wie sehr das Gragger und mich bewegt. Auch ist das eine ganz große außenpolitische Sache.

 

545. 12.9.1925

Das große Evenement dieser Tage ist der Besuch des französischen Kultusministers De Monzie in Berlin, der erste französische Ministerbesuch seit dem Kriege. Er kommt zu mir, da die Sache nicht politisch sondern kulturpolitisch aufgezogen werden soll. Ich hole für das Auswärtige Amt sozusagen die Kastanien aus dem Feuer. Dienstag um ½ 2 Uhr feierliches Frühstück bei mir im großen Saal, 24 Gedecke mit französischem Botschafter, Vertreter des Auswärtigen Amtes, Harnack, Einstein, Frank, Scheel, Bruns, Wiegand, Falcke, Schillings, Schmitt-Ott usw. Vom Hause: Lammers, Richter, Trendelenburg, Leist. De Monzie ist ein großer Redner und möchte gern ein Tribunal haben. Wir ziehen die Sache als Besprechung auf mit möglichstem Ausschluß der Öffentlichkeit. Ich werde ihn nach Tisch im Teesalon begrüßen und alles an Reserve vorbringen, was möglich ist. Ich habe schon ein schönes Wort: Le cauchemar de l’occupation. Natürlich halte ich die Rede deutsch, spreche aber sonst französisch. Am Montag halte ich Vorbesprechung mit den Professoren. Du kannst Dir denken, daß es allerlei Vorverhandlungen gab und tausend Bedenken von A III109! Die Botschaft hatte einen sehr geschickten Unterhändler, der ganz an meinem Strick zieht. Schwierigkeiten, ob Ministerpräsident einzuladen usw. Hoffentlich glückt es, die Presse zu bändigen. Du siehst, daß ich mir professorale Rückendeckung verschafft habe. Ich freue mich sehr, daß Scheel kommt. De Monzie weiß, daß er keine Frankophilen vorfindet, dafür aber Leute, hinter denen jemand steht. Das Auswärtige Amt hat die Sache entriert, d.h. die Initiative lag bei De Monzie. Machen darf ich’s.

 

546. 15.9.1925

Es wird Dich gewiß interessieren, wie alles abgelaufen ist (Besuch von De Monzie), wenn Du wohl auch von Scheel Bericht erhältst, will ich Dir doch sagen, daß ich sehr befriedigt war. Ich glaube auch alle anderen, jedenfalls beglückwünschten mich die Herren vom Auswärtigen Amt und auch Schmidt-Ott lebhaft. Die heutige redigierte Pressenotiz ist durch die Wünsche der Franzosen so umfangreich geworden, daß die Presse sicher nur Bruchstücke davon bringen wird …

Heute Abend rief mich auch noch Stresemann an, um sich zu erkundigen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert der erste französische Ministerbesuch in Berlin. Die ganze Kopenhagener Reise De Monzies war nur arrangiert, um unauffällig nach Berlin zu kommen. Er war von zwei Presseleuten, die ich aber nicht einlud, und dem Doyen der Faculté des Lettres der Sorbonne begleitet, Professor Brunot110, der nach dem Minister sehr eindrucksvoll sprach. Schon um 10 ¼ Uhr machte mir De Monzie seinen Besuch. Er blieb eine Stunde; er hatte Hesnard mitgebracht, ich hatte Leist als U IK Referenten zugezogen. Wir sprachen sehr offen, die in meiner Rede angedeuteten Punkte vertiefte ich dabei. Ein reiner Politiker, dem es aber mit der kulturellen Annäherung ernst ist. Er hat sich selbst so exponiert, daß ihm Stresemann einige journalistische Hilfen gab. Er bestritt auf’s Lebhafteste, daß die französische Regierung den Julibeschluß des Conseil de Recherches inspiriert habe, alles sei nur die Tat von ihm nicht zu beeinflussender wild gewordener Professoren (tout comme chez nous). Er wiederholte das auch in seiner Rede und bemerkte humorvoll, es sei eine Koketterie der Professoren, gegen die Regierung Opposition zu machen, was allseitiges breites Schmunzeln auslöste. Um ½ 2 Uhr war dann das Frühstück, 29 Gedecke im großen Saal, wirklich sehr anständig und elegant, gut und schnell serviert, dann Übersiedlung zur Zigarre in den Teesalon. Nachdem der Kaffee gereicht war, bat ich Platz zu nehmen und hielt dann im Sitzen einliegende111 Ansprache auf Deutsch, während ich sonst französisch mit ihm gesprochen hatte, was wirklich trotz dem langen Mangel an Praxis noch sehr gut ging. Ein Legationsrat aus dem AA gab abschnittsweise eine vorher mit meiner Mitwirkung festgestellte Übersetzung. Dann sprach De Monzie ohne Übersetzer. Der übrigens sehr feine Botschafter De Margerie saß dabei wie ich bei Reden von Haenisch. Es lief aber sehr gut ab, er sprach vielleicht eine halbe Stunde, sehr geschickt, sehr offen und machte sichtlichen Eindruck. Dann dankte ich mit wenigen Worten auf deutsch, er habe den Grundstein zum Tempel des Vertrauens gelegt und wir wollten alle helfen, weitere Bausteine zusammenzutragen. Brunot übersetzte das gut ins Französische und sprach dann selbst ganz besonders wirkungsvoll mit hoher Anerkennung von der deutschen Wissenschaft. Dann war Schluß (4 Uhr) und man ging allseitig sehr befriedigt auseinander. Der Einzige, der sich im privaten Gespräch an De Monzie gewagt hatte, war Krüß. Ich glaube, ich kann mit Ruhe die Kritik der Presse abwarten; denn deutlicher als ich hätte kein Deutschnationaler sprechen können.

(Randvermerk:) Hedwig saß zwischen De Monzie und Braun, die von Schubert und Lammers umrahmt wurden, ich zwischen De Margerie und Schmitt-Ott, neben denen wieder Harnack, Einstein und Zweigert saßen.


Besuch des ungarischen Kultusministers (?) von Klebelsberg


547. 28.10.1925 (im Zuge zwischen Bebra und Frankfurt)

Die vorige Woche stand ganz im Zeichen von Klebelsberg. Der Mann ist gut, ein Kulturpolitiker von Rang, Jesuit der Erziehung nach, aber auch mit der ganzen geistigen Beweglichkeit und Weltnähe jesuitischer Schulung. Es begann mit einem Diner im Haus von Schmidt-Ott. Den folgenden Morgen Besuch der Museen, wir haben tatsächlich besichtigt: Staats-bibliothek, Altes Museum, Neues, Neubau, Kaiser-Friedrich-Museum, Schloßmuseum und Völkerkundemuseum. Es war viel, aber imponierend, namentlich das, was museumstechnisch nach dem Krieg geleistet worden ist. Dann sehr glänzendes Frühstück bei mir, 36 Personen mit Braun, Hoepker, Schreiber; Schiele hatte wegen der beginnenden Krise abgesagt, dann Botanisches Museum und -Garten, Bauplatz, Tee bei Wiegand, ½ 8 Uhr Empfang in der alten Aula mit glänzender Rede des Gastes. Mittags hatten wir uns gegenseitig gefeiert. Am nächsten Morgen Fahrt nach Potsdam. Besichtigung beider Sternwarten, Frühstück bei Schiele mit Luther, Stresemann, Geßler, Schlieben; Besprechung bei der Notgemeinschaft, Tee bei Harnack in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, schließlich Festoper mit ca. 100 gelade-nen Gästen, mit Luther, Schiele, Schubert, Braun, Severing und danach Souper im Bristol; Auswärtiges Amt unter Vorsitz von Schubert. Am letzten Tag drückte ich mich vormittags und Schmitt-Ott zeigte die Kaiser-Wilhelm-Institute, Frühstück im Bristol durch Ungarische Gesellschaft, Rede des Geschäftsträgers; da nur Heilbron anwesend war, antwortete ich ganz improvisiert. Nachmittags ungarische Schule, Institut, Collegium (Hungaricum. BB) ohne mich. Abends großer Empfang im Kaiserhof durch Gragger und mich (Gesellschaft der Freunde des Ungarischen Instituts). Rede von mir zum Lobe Graggers, er hatte Fieber, aber gottlob ein sehr feines Medikament (?), so daß alles gut ging, Musik und gutes Essen, ca. 150-180 Personen. Klebelsberg bedankte sich bei mir, daß ich Gragger so anerkannt hätte: „Gragger ist für uns mehr wert, als unsere ganze Gesandtschaft.“ Dies Lob freute nun wieder mich riesig. Gragger vermied es taktvoller Weise, mich zu loben. Sein ganzes Auftreten an diesem Abend war so voll Charme, daß alles von ihm begeistert war.

 

548. 11.11.1925

Die Landtagswoche ist sehr gut verlaufen. Meine Rede trug mir sogar einen Leitartikel in der Frankfurter Zeitung ein. Das Echo war enorm. Professor Warburg/Hamburg sandte mir einen köstlichen Nachdruck von „Ritter, Tod und Teufel“ mit der Widmung „Einer für Viele“. In Aachen sprach auch alles davon. Kurz und gut, ich glaube zufrieden sein zu können. Ich hielt acht Reden.

 

549. 16.11.1925

Neue Schillingskrise. Zu seiner geschäftliche Unfähigkeit ist er jetzt auch noch frech geworden. Die Abteilung wünscht seine sofortige Entlassung (§626 BGB). Man legte mir einen Erlaß vor (durchgezeichnet bis zum Staatssekretär), der mich in der Öffentlichkeit unmöglich gemacht hätte. So habe ich selbst einen Gegenentwurf gemacht, der politisch möglich ist und ein Plädoyer gegenüber der Öffentlichkeit enthält, in die er ja doch sicher dringen wird. Ich bin nach einer langen Aussprache mit Kleiber, der mir auch menschlich einen vortrefflichen Eindruck macht, diesmal zum Durchgreifen entschlossen. Aber ich fürchte, es gibt einen Mordskrach.

… Eine Freude war heute ein guter Vortrag eines meiner Attachés. Auch meine beiden Doktoranden hatte ich vorige Woche mal bei mir. Das war professoral und nett. Es gibt noch eine bessere Welt neben der amtlichen mit ihrem Ärger und ihren Enttäuschungen.

 

550. 29.11.1925

Die Schillingskrise hat mich zu stark mitgenommen. Ich bin durch U IV 112, obwohl ich alle nur denkbaren Hemmungen einschaltete, maßlos hineingeritten worden. Gewiß hatte ich einen Sturm erwartet, aber einen solchen doch nicht. Immerhin schont man mich, hinter allem steht Zweierlei:

  1. §626 ist der Todfeind aller Journalisten, die seit Jahr und Tag für Nichtanwendbarkeit dieses Paragraphen auf Geistesarbeiter kämpfen.
  2. der einfach überwältigende Haß gegen Seelig und Kestenberg.

Schillings ist jetzt Panier, im Grunde interessieren sich noch nicht 5% der Schreier für ihn, man will aber den Sturm aus den beiden genannten Gründen. Zur Zeit wird über einen Vergleich verhandelt. Ich will die fristlose Entlassung aufgeben und eine freiwillige Verabschiedung genehmigen, dazu Meisterklasse (wie Pfitzner). An die Oper darf er keinesfalls zurück, sonst gehe ich. Zur Form war ich gezwungen, weil Schillings jede Weiterarbeit und auch eine Besprechung bei mir ablehnte, wenn er nicht recht bekäme. Der Betrieb stockte und er ging in die Presse, da mußte ich eingreifen. Immerhin hätte ich vielleicht noch eine andere Form

wählen können. Die Unfähigkeit von U IV war furchtbar. Jetzt hoffe ich, wenn ich die Sache überlebe, mit eiserner Person Ordnung schaffen zu können. Weißt Du, es ist ein verdammtes Gefühl, die gesamte öffentliche Meinung geschlossen gegen sich zu haben. Man fragt sich, ob man wirklich so unrecht hat. Dabei habe ich in der Sache recht, die Form war vielleicht falsch. Erfreulich war die Haltung naher und ferner Freunde, z. B. Woldt, der glänzend arbeitete, Carl Ebert, auch Richter verdient alle Anerkennung.

 

551. 6.12.1925

Der Fall Schillings ist zu kompliziert, um ihn darstellen zu können; das gibt mal ein schönes Kapitel in meinem Buch über Dynamik der Kulturpolitik. Jedenfalls habe ich viel aus der Sache gelernt. Der Staatssekretär ist noch heute der Meinung, daß er, bei aller Voraussicht aller Konsequenzen noch einmal entscheiden müßte, genau ebenso handeln würde. So denkt ein alter Staatsanwalt. Ich würde in der Sache das Gleiche tun, aber die Öffentlichkeit besser vorbereiten und das Parlament zum Karnickel machen. Das Parlament hat sich übrigens gut benommen, die Koalitionsparteien haben mir sagen lassen, daß sie das Vorgehen des Ministers billigen, eine Krise könne für mich nur entstehen, wenn ich zuviel von Versöhnung und Einlenkung reden würde. Schillings hat vor dem Landtag sehr schlecht abgeschnitten, und auch die öffentliche Meinung schwenkt langsam um. Hinter dem Sturm stehen drei große Mächte:

  • alle, die unter dem §626 stehen, d.h. alle Journalisten hatten ein brennendes Interesse daran, bei dieser Gelegenheit den verhaßten Paragraphen zu diskreditieren. Hintergrund: Neider der Angestelltenschaft gegenüber dem Beamtentum.
  • Bühnengenossenschaft contra Bühnenverein. Auch für sie ist Schillings nur Etikette. Der Sturm geht gegen Seelig, 113der im Grunde mit Jessner, Arthur Wolf und Winter eine unumschränkte Herrschaft ausübt, da in sämtlichen Theaterorganisationen immer wieder die gleichen vier Männer sitzen: Bühnenverein, Verband gemeinnütziger Theater, Verein Berliner Theaterdirektoren, Landesbühnenorganisation, Ministerium, Volksbühne, Bühnenvolksbund, Schiedsgericht, Tarifausschuß usw. Hauptschwierigkeit: der Staat als Kunstbehörde und gleichzeitig als Arbeitgeber; Gegensatz zwischen Arbeitgeber und –nehmer. Diktatur des Bühnenvolksbundes (Gerst, hinter dem das Zentrum und Deutschnationale stehen) im Bunde mit Seelig als Staatsaufsichtsbehörde; eine 2 ½ stündige Unterredung mit Rickelt und Wallauer haben Richter und mir gründlich die Augen geöffnet, aber Abhilfe ist sehr schwer, da das ganze Parlament Seelig hält, die Linke wegen seiner Parteizugehörigkeit, die Rechte wegen dem Gegenspieler Gerst, der seine Macht von Seelig bekommt wie der Mond sein Licht von der Sonne. Deshalb auch die ganz andere Haltung des Parlaments gegen-über der Öffentlichkeit.
  • Gegensatz zwischen der artistischen (l’art pour l’art) Auffassung der Feuilletonisten und der mehr pädagogischen des Ministeriums. Sozialisierung der Kunst, Kunst im Dienst der Volkserziehung, Kroll, Rolle von Kestenberg.

Dazu Imponderabilien wie Mitleid mit Schillings, Abneigung gegen Macht der Bürokratie, Antisemitismus, gesellschaftliche Verklitterung von Schillings (Stresemanns Sohn komponiert, Schillings führt das Machwerk auf. Geheimrat Deutsch von der AEG hat den Dirigenten Brecher zum Schwiegersohn usw. usw.. Kleiber sagte mir gestern: „Hat Ihr Sohn nicht vielleicht auch ein Adagio komponiert; ich bin gern bereit es zu dirigieren.“

Sachlage: Thema wird bei der dritten Lesung des Etats angeschlagen werden. Koalitions-parteien sprechen nur dazu, wenn es von anderer Seite angerührt wird. Ich soll:

  1. festbleiben.
  2. Beamte decken.
  3. feststellen, daß das Ministerium nie Schillings künstlerische Tätigkeit beschränkt hat.

Schillings sitzt offiziell auf dem hohen Roß, sucht hinten herum zum Vergleich zu kommen. Boelitz sucht den großen Mann als Vermittler zuspielen. Heute Mittag ruft mich Weismann an, Schillings hat ihn angerufen: Vergleich für ihn und die Kemp: 200 000 Mark. Ich lache ihn aus. Nach ¼ Stunde: Entscheid, Schillings Rechtsanwalt habe eingegriffen, der Vergleich dürfe nicht von Schillings ausgehen, ziehe alles zurück. Ich werde die kalte Schulter zeigen. Er wird schon kommen. Die Presse hat einfach unser Material nicht abgedruckt. Nur die Frankfurter Zeitung, die auch für uns Stellung nahm. Das Feuilleton ist natürlich schwer an die Leine zu legen, namentlich in Berlin. Ich bin bereit, Schillings eine Meisterklasse zu geben, was er törichterweise abgelehnt hat.

Fall Jessner ist beigelegt. Ich ließ ihn warten, bis er windelweich war. Plan: Direktorium Winter, Kleiber, Hörth, bis neuer Intendant (nicht ausübender Künstler) gefunden. Sofortiges Engagement von Leo Blech. Jedenfalls christlicher Intendant. Etwaige Veränderungen in der Abteilung nur sehr allmählich möglich. (Wegen des Parlaments, das im laufenden Etat Ministerialratsstellen für Seelig und Kestenberg beantragt hat.) Nentwig ist einfach katastrophal, aber die Deutschnationalen halten ihn, wie überhaupt mein Rezept von der parteipolitischen Mischung sich diesmal glänzend bewährt hat.

 

552. 26.12.1925

(Mit Bezug auf die Becker von mir zu Weihnachten geschenkten Wanderjahre in Italien von Gregovorius. Anmerkung Wendes.)

Es war das einzige Buch auf meinem Weihnachtstisch, aber nicht deshalb allein bildete es meine eigentliche Festtagslektüre. Ich las das ganze Caprikapitel, freute mich der schönen, schlichten Darstellung, ich kannte jeden Punkt, den er beschreibt, wenn auch jetzt manches schrecklich modernisiert ist. Wie schön muß es damals gewesen sein, Italien zu bereisen! Auch meine Eltern sind noch im Wagen114 in Rom angekommen. Die Verschandelung von Capri liegt zwischen meinem ersten (1898) und vierten (1905) Besuch Capris. Gewiß, die große Fahrstraße nach Anacapri bestand schon 1898, damals war ich mit Willy Bornemann dort, das Jahr darauf mit Bezolds vom römischen Orientalistenkongreß, 1900 mit Reger (?) und Scheuerlein (?) auf der Durchreise nach115 Spanien und Ägypten. Als ich dann auf der Hochzeitsreise 1905 14 Tage lang dort war, hatte Krupp schon seine Schauerstraße nach der Piccola Marina gebaut und überhaupt, wie würde Gregovorius sich anders haben ausdrücken müssen! Immerhin blieb doch noch Vieles unberührt, die Insel ist in ihrer Schönheit unzerstörbar, weder konnten ihr die20 Villen des Tiberius den Zauber nehmen, noch die neuen Kunststraßen und die Fremdenflut. Man hat dort noch heute eine südlich Meer- und Felseneinsamkeit wie nirgendwo wieder so bequem, wenn man den Mut hat, von den großen Straßen abzubiegen. Du siehst, es ist hier wie überall im Leben.

 

553. 15.1.1926

Die einzige Störung bildeten einige dienstliche Echos in der Berliner Presse. Schillings – Bode – Kunstpolitik. Der Artikel in der Deutschen Allgemeine Zeitung hat doch eine Fülle technischer Mängel. Selbst mit Deiner Verbesserung halte ich diese Lösung nicht für möglich, obwohl ich sie selbst in Weimar, aber aus ganz anderen Gründen verfochten.

Hauptgründe für die Krisen sind:

  1. Die durch die Staatsumwälzung herbeigeführte Schwächung der Autorität der Regierung. Es wird heute besser regiert, aber jeder Skribent und Interessent hat dank einer sensationslüsternen Presse heute ein größeres Echo als die Männer an der Macht. Ein Staatssekretär, welcher Art auch immer, würde genau die gleichen Schwierigkeiten haben wie ein Ministerialdirektor. Allerdings ein lebendiger Ministerialdirektor und ein guter Pressereferent könnten ein anderes öffentliches Echo erzielen.
  2. Der Mangel an Arbeitskräften. Wir haben die gewaltige Aufgabe der staatlichen Theater- und Musikpflege übernommen mit zwei Hilfsarbeitern. Und wie soll ich dann großzügige Personalwandlungen eintreten lassen, wenn man mit den alten Leuten nicht weiß, wohin und für neue keine Stellen hat? Daß endlich sture Greise von Weltruf wie Bode und Liebermann seit dem Wegfall der Krone nicht mehr zu regieren sind, ist selbstverständlich. Aber das sind Übergangserscheinungen. Ich will jetzt in Berlin die ganzen Dinge selbst in die Hand nehmen und vielleicht schon in der ersten Lesung des neuen Etats in einer großen Rede oder in einer Denkschrift) behandeln.

 

554. 24.1.1926

Ich will jetzt die Fühlungnahme mit der Öffentlichkeit selbst in die Hand nehmen und alle führenden Journalisten nach und nach empfangen oder eventuell zum Frühstück einladen. Mehr Repräsentation! Trotz meiner Schulden, der Finanzminister muß helfen. Braun war ganz meiner Meinung. Inzwischen liegt ja der Erfolg mit Blech vor, auch sonst fängt die Presse an mich wieder besser zu behandeln. Donnerstag gab ich ein kleines Frühstück mit zehn Personen zu Ehren Telecki mit zwei Gesandten und Professoren, es glückte gut und gestern einen Tee von 90 Personen aus Anlaß der Konferenz über die Neugestaltung des medizinischen Studiums. Die Befriedigung über den Ausgang dieser offenbar recht hochstehenden Aussprache war allgemein. Jedenfalls war das Ergebnis dieser ersten Woche nicht schlecht. Ich fragte Braun vor allem, ob das Kesseltreiben gegen mich tiefere Gründe habe, dann würde ich mir jetzt keine Mühe mehr machen. Er versicherte mir, davon sei nicht die Rede, es seien mehr Zufälligkeiten und mangelnde Disziplin der demokratischen Presse. Auch König versicherte mich des Gleichen. Ich will nun die Besprechungen mit Th(eodor) Wolff und Bernhard (natürlich separat) beginnen. Morgen empfange ich Frau Luise Wolf, die theatergewaltige Agentin, übermorgen Frau Kemp! Wenn nur nicht so viel politischer Kleinkram wäre! Gestern zwei Stunden Staatsratsplenum von einem Niveau, das gottserbärmlich war. Die Pädagogischen Akademien kommen in Fluß. Etwas bedrückend sind die bevorstehenden Entscheidungen in der Minoritätenfrage, weil ein paar verbohrte und offenbar eitle Schleswig-Holsteiner die ganze Regierungspolitik beherrschen respektive sabotieren wollen. Von den Schleswig-Holsteinern habe ich übrigens die Nase voll. Bei der kleinsten Meinungsverschiedenheit fallen sie gleich ab. Mögen sie doch! Man läßt sich in Berlin davon zu viel imponieren. Die Minoritätenfrage wird gegen den Zehnerausschuß entschieden werden. Es geht einfach nicht anders wegen Polen.116 Die von fünf bis sechs Leuten beherrschte Presse ist nicht Schleswig-Holstein. Ganz Europa wartet darauf und wird dementsprechend unsere Staatskraft beurteilen, ob Berlin den Mut hat, sich gegen fünf bis sechs Schleswig-Holsteinische Krakeler durchzusetzen. Dort oben meint man stets, Kiel, Schleswig oder Flensburg wäre der Nabel der Welt. Das alles natürlich diskret. Ich werde die Sache schon so drehen, daß das Staatsministerium als Ganzes und nicht der Minister für Wissenschaft die Sache entscheidet.

C. H. Becker bei der Grundsteinlegung (einer Pädagogischen Akademie?) Foto aus dem Archiv von Michael Becker
C. H. Becker bei der Grundsteinlegung (einer Pädagogischen Akademie?)
Foto aus dem Archiv von Michael Becker

 

555. 7.2.1926

Das war eine volle Woche mit ungeheuer angeschwollenen Aktenmassen als Weekend-Sonderausgabe. Ich war nur den Sonnabend zu Hause, sonst Presseball (durchgetanzt!), Diplomatendiner bei Weismann mit viersprachiger Unterhaltung, Werfel-Inszenierung bei Reinhardt, parlamentarischer Abend Garnich, hochpolitischer „Liberaler“ Abend in der Deutschen Gesellschaft zur Vorbereitung der Zusammenarbeit von Demokratie und Volkspartei, die unter dem neuen Wahlrecht unvermeidlich wird usw …

Dazu wechselnde Frühstücke, … einmal mit Bernhard (von 2-5 ½ Uhr). Theodor Wolff ist doch sehr viel mehr als Bernhard. Erneute Sitzung mit Frau Kemp, hoffe sie jetzt versöhnt zu haben. Daneben neue Regelung des Abiturs, Sitzung mit den Schleswig-Holsteinischen Abgeordneten über die Minoritätenfrage. Der große Taktiker Scheel will sich mit den Hauptdrahtziehern nicht überwerfen. Dies ganz reiner Provinzstandpunkt. Die Bayern sind unitarisch gegenüber dem Partikularismus Deiner derzeitigen Landsleute. Man kann im Schützengraben keinen Feldzugsplan machen; das wollen aber die Schleswig-Holsteiner und vergessen dabei ganz, daß sie im Grenzkampf nicht über den Rand ihres Grabens schauen; einer sagte direkt: „Wir wollen den Kampf!“ Damit hatten wir gesiegt; denn wir wollen eben keinen Kampf, sondern Verständigung.

 

556. 14.2.1926

Am Dienstag große Aussprache mit Stresemann über Minoritätenpolitik. Er stand da, wo ich vor drei Monaten stand, ehe ich die Sache studiert habe. Interessantes hochstehendes Redegefecht vor ca. 50 Ministerialbeamten aller Ämter. Wir schnitten gut ab und wenn er jetzt mit unserem Erlaß nach Genf geht, hat er eine ganz andere Position, als wenn er auf die Auslandsdeutschen und die Schleswig-Holsteiner mit ihrer camouflage117 unter der Parole Kulturauto-nomie hereingefallen wäre. Danach Notgemeinschaft mit guten Reden, ich saß zwischen Luther und Loebe und hatte so ganz netten Abend. Mittwoch Frühstück bei mir über Organi-sation des internationalen Studentenwerkes mit Schairer, Tillmanns, Cons. Hoffmann, dem amerikanischen Leiter des Europ(ean) Stud(ents) Relief, Excellenz Michaelis, Picht und unseren Herren. Wir fanden einen guten Weg. Danach Konferenz mit Tietjen – Bös über Theaterfragen, bleibt noch alles in Schwebe. Diner beim Nuntius mit Hindenburg und allen Botschaftern. Ich saß zwischen dem französischen Botschafter und dem belgischen Gesandten, mußte den ganzen Abend französisch sprechen und fuhr dann um 11 Uhr mit Braun noch auf den Bierabend des Finanzministers118. Am Donnerstag aß ich mit den Orientalisten in der Deutschen Gesellschaft, am Freitag gab ich zu Ehren Schnitzlers119 einen Literaturtee, auf dem das ganze literarische Berlin anwesend war (Sudermann, Kerr, Schaffner, Caborn, Monty Jacobs usw., dazu die Bergner). Es verlief glänzend und war die offizielle Einleitung der neuen Politik.

… Berlin lebt schnell und ich glaube, meine Position in der letzten Zeit sehr verbessert zu haben. Auch nehme ich die Sache nicht so tragisch, weil ich in keiner Weise klebe, sondern manchmal mich zur Wissenschaft zurücksehne. Mich hält jetzt nur noch der Glaube an meine Mission, mehr ein Pflichtgefühl als eine besondere Freude. Übrigens vergaß ich vorige Woche zu schreiben, daß mich auch Pompecki als Rektor einlud und bei Tisch eine große Rede auf mich hielt. Für Berliner Rektoren immerhin ein Novum. Immerhin bin ich froh, all dem ohne Eitelkeit und ohne Selbsttäuschung gegenüberzustehen. Ich mache mir kein X für ein U vor, weder über meine Position noch über meine Autorität noch über meine Beliebtheit, sondern tue ruhig meine Pflicht, gebe allerdings mein Letztes an Kraft, aber bin jederzeit „zu sterben bereit“, ohne Bitternis, vielleicht sogar ohne Bedauern. Dabei glaube ich doch, der Geeignetste für diese Aufgabe zu sein. Und das läßt mich trotz allem den Kopf hoch halten.

 

557. 7.3.1926

Vor der Abreise (nach Hamburg und Bremen) hatte ich noch 1 ½ stündige Aussprache mit Max Reinhardt. Ganz aussichtslos ist die Sache nicht, jedenfalls eine große Versuchung für ihn. Aber er müßte erst seinen eigenen großen Conzern auflösen, respektive vergesellschaften, was nicht einfach ist. Wir haben uns persönlich sehr gut verstanden und er meinte, wenn ich dauernd Minister bliebe, möchte er’s schon riskieren. Er bat um einige Wochen Bedenkzeit, ehe wir die Details diskutieren. Natürlich absolute Geheimhaltung. Inzwischen geht der Kampf mit Wiegand los. U IV ist wirklich eine dornenreiche Aufgabe …

Inzwischen wird mein Interview in der Schleswig-Holsteinischen Presse erschienen sein. Am Wortlaut habe ich keinen Anteil gehabt, nur am Willen. Auch mit den Deutschnationalen habe ich mich verständigt, wenigstens mit den ostpreußischen Interessenten, denen meine Argumente doch starken Eindruck machten.

Am Freitag war große Tanzsoiree bei Stresemann, ich saß mit der Kemp eine Stunde lang auf einem Sofa zur allgemeinen Gaudi. Schillings war auf der Durchreise hier und sah meine Einladungskarte zum Straußtee liegen. „Du hast doch natürlich abgesagt?“ Barbara:

Natürlich.“ Zu mir: „Später sag ich’s ihm mal, aber den einen Tag auf der Durchreise konnte ich ihn doch unmöglich damit aufregen.“

Hess und Lauscher waren offiziell bei mir und erhoben Protest gegen Menzel120 als Klotzsch’s Nachfolger. Ich besprach die schwierige Lage offen mit ihnen, auch über Dich, den sie wohl schätzen, aber sich in keiner Weise anrechnen lassen wollen. „Er gehört nicht zu uns.“ Sie waren auch sehr beruhigt, daß Du nicht nach Bonn willst, da sie dorthin einen der Ihrigen haben wollen.

 

558. 13.3.1926

Sehr unangenehm war ein Beschluß des Staatsministeriums, durch den Röthe allein von der Prolongierung (er hat nur noch 1 ½ Jahre) ausgeschlossen wurde. Ich blieb mit Schreiber allein. Kapitale Dummheit!. Ich war heute mit Richter bei Braun und er hat dann schließlich zugestimmt, daß die Sache noch mal ans Staatsministerium soll. Hoffentlich geht’s durch. Es wäre sehr peinlich.

 

559. 21.3.1926

Über Dich reden wir in letzter Zeit viel, je näher Gürichs 121Rückkehr kommt. Kaestner möchte Dich so bald als möglich haben … Das Haus sähe Dich am liebsten als Nachfolger von Klotzsch, nachdem das Zentrum offiziell gegen Menzel protestiert hat. Schon ist die Sozialdemokratie angemeldet, die natürlich auf Menzel bestehen wird. Es ist eine verteufelte Situation.

Diese Woche stand im Zeichen des Besuches zweier holländischer Akademiemitglieder zwecks Verhandlungen über den eventuellen Eintritt in den Conseil. Die Sache kommt in Ordnung, obwohl der Hochschulverband mal wieder auf’s falsche Pferd gesetzt hat. Ich gab einen Tee, Külz, der übrigens sein Reichsschulgesetz inclusive Motivenbericht ganz persönlich als Referent ausarbeitet (er ist wirklich sachverständig), gab ein Frühstück, Haber ein Abendessen.

… Vorher hatte ich in der Staatsministerialsitzung den unsinnigen Beschluß wegen Röthe wieder rückgängig gemacht. Er ist also prolongiert, aber es war ein Kampf.

 

560. 19.4.1926

Die Unterhaltung mit Lauscher, die Deiner Abreise folgte, war positiver als ich erwartet hatte. Nach ihm hätten Zentrum und Sozialdemokratie keine Bedenken gegen Deine Nachfolge im Dirigentenposten. Ich traue aber dem Frieden noch nicht ganz, zumal ich höre, daß die Demokraten an Deinem Katholizismus Anstoß nehmen. Das muß noch geklärt werden. Jedenfalls war von „Bewährungsfrist“ bei Lauscher keine Rede. Es war ein glattes Ja, wie ich mir zweimal bestätigen ließ. Aber Du kennst ja diese Politiker, ich bin viel zu skeptisch, um diese ideale Lösung schon für sicher zu halten …

Viel Ruhe bringt die Freiwoche nicht. Ich will zu Hause die Schrift über die Pädagogische Akademie schreiben und meine Danksagungen erledigen. Dienstag Diner auf der amerikanischen Gesandtschaft, Mittwoch auf der Schwedischen Gesellschaft, Donnerstag in der schwedischen Ausstellung, nachmittags und abends Landtag Kunstetat

 

561. 25./26.4.1926 aus Rheinsberg

Montag früh, ich sitze ganz einsam im Wald auf dem Boden, mit dem Rücken an eine Kiefer gelehnt, die Schreibunterlage auf den Knien. Über mir ein klarer blauer Himmel, vor mir, vom zarten Frühjahrsgrün kaum verborgen, ein entzückender kleiner Waldsee, der Böberechensee. Er ist schöner als sein Name, ganz unbesiedelt und hat im Wanderbuch einen Stern. Was sagst Du zu diesem absonderlichen Gebaren, daß ich, ausgesucht ich, die Einsamkeit suche? Nun, ganz freiwillig ist sie nicht. Freitag nach Eröffnung der schwedischen Kunstausstellung und Absolvierung des Etats bin ich mit Robert im Auto hinausgefahren, 2 ½ Stunden, Benzin 3.20 (Liter)! Wir machten einen großen Gang durch das entzückende Rheinsberg mit seinem herrlichen Park, aßen gut zu Abend, bummelten noch bei Mondschein und schliefen (ich wenigstens) herrlich. Sonnabend besichtigten wir das Schloß, aßen leicht und fuhren dann mit dem Auto nach Neuglobsow, wo wir am Stechlinersee herumwanderten, dann brachte ich Robert nach Fürstenberg in Mecklenburg an die Bahn, er mußte leider wegen anderer Verpflichtungen heim, während ich in einer halben Stunde durch dunklen Wald nach Rheinsberg zurück fuhr. Ich wollte gern meine Schrift über die Pädagogischen Akademien fertig schreiben. So blieb ich denn zum erstenmal seit langer Zeit allein an einem solchen Ort. Es gefällt mir offen gesagt ganz gut. Ich bin offenbar nur aus Bescheidenheit bisher der irrigen Meinung gewesen, daß ich’s mit mir allein nicht aushielte. Ich machte gestern früh einen 2 ½ stündigen Gang, den Rest des Tages bis in die späten Abendstunden saß ich auf meiner Veranda und schrieb und schrieb. Heute früh ist’s nun einfach göttlich schön … Wenn ich mit meiner Schrift fertig bin, fahre ich gleich heim.

 

562. 9.5.1926

Am Freitagabend war ich in einer Abschiedsveranstaltung für die 50 nach Amerika zu verschickenden jungen Diplomingenieure in der Deutschen Gesellschaft, wo Stresemann wieder eine ganz gute Rede hielt, die ich allerdings zum Teil schon einmal von ihm gehört hatte. Gestern eröffnete ich die Kunstausstellung …

 

122

 

563. 24.5.1926

Ich habe in diesen Tagen schwer gearbeitet. In zwei nächtlichen Sitzungen von 9-1/2 2 Uhr habe ich meinen Vortrag nieder geschrieben. Ich bin zufrieden mit ihm. Thema:

Die preußisch-deutsche Kulturpolitik seit dem Krieg“, also ein Gegenstück zu Klebelsbergs Rede. Grundideen der neuen Zeit, Kirchen, Wissenschaft, Kunst, Schule. Vorn und hinten Liebenswürdigkeiten, na, Du wirst ihn ja lesen. Das Programm ist enorm. Diners bei Klebelsberg, dem Minister des Äußeren, dem Ministerpräsidenten und dem Reichsverweser. Viertägige Autofahrt durch Ungarn …

 

564. 6.6.1926 (Ungarnreise)

… Ich habe Deiner in mancher stillen Stunde gedacht, aber das war nur nachts möglich; denn tagsüber waren wir immerfort unterwegs. Es war fabelhaft schön, aber auch fabelhaft anstrengend. Am meisten habe ich durchgehalten, ich habe nie schlapp gemacht, trotz meiner 16 Reden (jede verschieden über das gleiche Thema. Richter war manchmal etwas eifersüchtig, aber ich habe trotzdem ein par stille Stunden (richtiger halbe Stunden) mit Robert gehabt. Verwöhnt, beschenkt, gefeiert bin ich heimgekehrt. Ganz Ungarn feierte meinen Besuch, alle Zeitungen, selbst die kleinsten Provinzblätter waren voll davon, überall eine fast unglaubliche Deutschenfreundschaft, bei Bauern wie Bürger, bei Staatschef und Ministern, bei Männern und Frauen, bei Katholiken wie Calvinern, in Budapest wie in Tokay, in Deheran wie in Peco, in der Matra wie am Plattensee und über allem Wein und Wein und Stimmung und Sonne und Gastfreundschaft und Liebe – kurz, es war unerhört und kaum vorstellbar …

***


Eintritt Wendes als MinDirig. von Abteilung U III


Nachtrag nach dem Rücktritt Beckers vom Amt


565. 15.2.1930

Ich werde innerlich bisher ganz gut mit mir fertig. Gearbeitet habe ich noch nichts und will auch nichts verdrängen, weil ich diese gewaltige Amputation sich ausleben lassen will. Ich bekomme zahllose Zeitungsausschnitte und wenn man alles besser weiß, bekommt man ein ganz interessantes Bild von Wert und Unwert der Presse. Heute habe ich mich sehr über den eingesandten Brief eines volksparteilichen Studenten in der Kölnischen Zeitung gefreut. Auch Grimme schrieb mir einen guten Brief über seine Rede. Es hätte dieser Entschuldigung nicht bedurft, ich hatte ihm schon vorher auf die Ausführungen in der Frankfurter Zeitung, der einzigen deutschen Zeitung hier, geschrieben, daß ich richtig verstünde. Wie wirkte denn die Rede auf Dich? Offenbar war sie psychologisch nicht sehr geschickt, aber er hätte mit Engelszungen reden können, es wäre ihm doch alles verdreht worden; und schließlich mußte er doch etwas sagen, das seine Position in seiner Partei stärkte. Das ist doch seine erste Aufgabe, die auch in unserem Interesse liegt.


1 Erich Wende *1884 in Schlesien, in einer katholischen Pädagogenfamilie groß geworden, Jurist, zuerst über 3 Jahre im Provinzialschulkollegium Münster; Mai 1917 ans Preußische Kultusministerium berufen, dort Nachfolger Beckers in der Hochschulabteilung unter Minister Haenisch, 1919 Vertreter von Staatssekretär Becker, der in Weimar bei der Verfassungsgebenden Versammlung mitwirkte. Besuchte mit Becker sämtliche preußischen Universitäten. 1923 erster hauptamtlicher Kurator der Universität Kiel; 1926 zurück ins MK unter Leitung Beckers als Ministerialdirigent der großen Volksschulabteilung mit 20 Referenten! 1927/8 schwere Besoldungskämpfe. 1930 Rücktritt Beckers. Der Finanzminister streicht in einem Coup die Mittel von 7 der 14 Pädagogischen Akademien! Juni 1932 Ministerialdirektor. Nach Machtraub durch die Nazis im April 1933 in den einstweiligen Ruhestand versetzt, Wende noch keine 50! Wollte Amtsrichter werden, wurde Landgerichts-direktor in Berlin (Scheidungsrichter, zuletzt Patentrichter); bereits Mai 1945 wieder Amtsrichter in Berlin-Ost, wechselt er 1947 zu seinem letzten Chef KM Grimme nach Hannover als Staatssekretär: Wiederaufbau der Akademien mit dem alten Personal, so vorhanden. Sein Hochschulrecht (1926) war ebenso aktuell wie Beckers und seine Schriften über die Pädagogischen Akademien (1926). Kurz vor der Pensionierung wurde er 1950 nach Bonn berufen als Leiter der Kulturabteilung des Bundes. 1954 Pensionierung. (Quelle: Einleitung zu den Briefauszügen C.H. Beckers von 1954, Manuskript aus dem Archiv Michael Beckers)

2 Kultusminister war nach der Revolution Adolf Hoffmann (gemeinsam mit Haenisch) und zwar vom 14.11.1918 bis 4.1.1919

3 Dr. jur. et phil. Helfritz war im Ministerium Schmidt-Ott bereits 1918 Hilfsarbeiter, wie Wende und Trendelenburg

4 Konrad Haenisch war Kultusminister vom 4.11.1918 bis 21.4.1921, mit Becker als Staatssekretär. 1923 RP in Wiesbaden

5 Hervorhebung des Herausgebers.

6 Hervorhebung des Herausgebers.

7 Dr. jur. et phil Helfritz wurde unter Schmidt-Ott Hilfarbeiter im MK wie Wende und Trendelenburg

8 Naumann war im Ministerium Schmidt-Ott einer der 4 Abteilungsdirektoren.

9 Schellenberg war 1921 MR in der Abteilung Höheres Schulwesen.

10 Otto Boelitz war Kultusminister vom 7.11.1921 bis 6.1.1925, Staatssekretär Becker

11 Hervorhebung vom Herausgeber.

12 Dto.

13 Hervorhebung des Herausgebers

14 dto.

15 Dr. Krüß war bereits unter Schmidt-Ott Vortragender Rat (wie Becker), wurde dann unter Boelitz-Becker Leiter der Abteilung U I (Hochschulen) als MinDirig., und MR Wende.

16 Ludwig Kaas, *1881 Trier + 1952 Rom, Theologe und Politiker, MdR des Zentrums, das er 1928-33 leitete. Stimmte 1933 dem Ermächtigungsgesetz zu, ging 1933 nach Rom.

17 Dr. von Bode, Generaldirektor der Kgl., später Preußischen Museen, nebenamtlich im MK tätig.

18 Es wurde dann Krüß.

19 Adolf von Harnack *1851 Dorpat +1930 Heidelberg, evangelischer Theologe, Kirchenhistoriker. Professor in Gießen, Marburg, ab 1888 in Berlin. 1905 Direktor der Königlichen Bibliothek (>Preußische Staatsbibliothek). 1911-30 Präsident der von ihm mitinitiierten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft >Max-Planck-Gesellschaft. Kanzler des Ordens Pour le mérite.

20 Ernst Troeltsch *1865 bei Augsburg + 1921 Berlin, evangelischer Theologe, Kirchenhistoriker, Professor in Bonn und Heidelberg (>Max Weber), 1914 nach Berlin

21 1919 neu gewonnene Territorien Italiens.

22 Abteilung U II

23 Es handelt sich um die außerordentlichen Professoren und – später – um die Honorarprofessoren.

24 Außerordentliche und Honorarprofessoren

25 Eugenio Pacelli *1876 + Castel Gandolfo 1958, 1917 Nuntius in Bayern, 1920-29 fürs Reich; Kardinal, 1930 Staatssekretär Papst Pius XI, dessen Nachfolger er 1939 wurde.

26 Walther Rathenau, Reichsaußenminister, wurde im Juni 1922 ermordet. Sohn von Emil R., der die Patente Edinsons erwarb und 1883 die Deutsche Edinson-Gesellschaft gründete, aus der die AEG entstand.

27 Hervorhebung vom Herausgeber.

28 S.o.

29 s.o.

30 Hinze war schon unter Schmidt-Ott Vortragender Rat im MK

31 Es handelt sich um den „Untergang des Abendlandes“ (1918-22). Oswald Spengler *1880 in Blanken-burg/Harz + München 1936. 1908-11 Gymnasiallehrer in Hamburg, dann freier Schriftsteller in München.

32 Hervorhebung vom Herausgeber.

33 Liegt nicht beiden Akten. Der Herausgeber.

34 I.e. MP Braun

35 Hervorhebung vom Herausgeber. Wende wurde Kurator an der Universität Kiel.

36 Becker war seit seiner Heidelberger Studienzeit Mitglied der Rupertia.

37 Hervorhebung vom Herausgeber. Die Verbindungen überlebten auch den 2. Weltkrieg. Während meiner Studienzeit in Freiburg 1956/57 hatte ich äußerst unangenehme Auseinandersetzungen mit einem Korporierten, die von völliger Unkenntnis und Intoleranz geprägt waren.

38 Reichsministerium des Innern

39 Hervorhebung vom Herausgeber.

40 Hervorhebung des Herausgebers.

41 Krisenjahr der Weimarer Republik:

 

  • RK Josef Wirth 1921-22) scheitert an Reparationsfrage. Währungsverfall.
  • RK Wilhelm Cuno (1922/23): Inflation erreicht Höhepunkt. Alliierte drängen auf Reparationserfüllung.
  • Einmarsch französischer und belgischer Truppen ins Ruhrgebiet, der Litauer im Memelland. Cuno fordert passiven Widerstand an der Ruhr.
  • Das Kabinett der Großen Koalition unter RK Gustav Stresemann bricht den passiven Widerstand ab.
  • Kommunistische Unruhen in Hamburg (Oktober) und Beseitigung der KPD-SPD-Regierungen in Sachsen und Thüringen durch „Reichsexekution“.
  • Liquidierung des Hitlerputsches in München: Höhepunkt der Spannungen zwischen dem Reich und Bayern. Der bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr (1934 ermordet) unterstützt die nationalen Kräfte in München : Ausnahmezustand im Reich September 1923. Kahr weigert sich den Völkischen Beobachter (NSDAP) zu verbieten. Erst nach der Niederschlagung des Hitlerputsches und dem Rücktritt Kahrs wird der Konflikt mit Bayern beendet.
  • Die Konstituierung einer separatistischen „Rheinischen Republik“ scheitert, ebenso wie jene eines „Autonomen Pfalzstaates“ (Dtv-Weltgeschichte Band 2)

42 Leiter der Abteilung U III (Volksschulwesen)

43 Die Inflation in Deutschland:

  • 1914 1 Dollar = 4,20 RM;
  • 1919: 8,90 RM;
  • Februar 1920: 99,00 RM,
  • Juli 1922: 420 RM;
  • Januar 1923: 50.000 RM;
  • Juni 1923: 100 000 RM;
  • August 1923: 4.600.000 RM;
  • Oktober 1923 : 25.000.000.000 RM; (25 Milliarden!)
  • November 1923: 4.200.000.000.000 RM (4,2 Billionen!!)

44 Diese Sparmethoden sind bis heute – 2007 – noch im Schwange: Kinder haben eben keine Lobby!

45 Gewiß in der Hochschule für Politik, wo Becker im Auftrag des Auswärtigen Amtes an der Hochschule für Politik die Attachés unterrichtete.

46 Hervorhebung des Herausgebers.

47 Braun, preußischer Ministerpräsident

48 des Dienstwagens

49 Reichsministerium des Innern

50 MR Leist in U III (Volkschulwesen)

51 Wilhelm Marx, Reichskanzler 1923/4 (Zentrum), mit Außenminister Stresemann

52 Der 1. Reichstag tagte von 1920-1924: 88 Sitze KPD, 102 SPD, 21 Bayerische Volkspartei, 64 Zentrum, 30 Deutsche Demokratische Partei DDP, 65 Deutsche Volkspartei DVP, 71 Deutschnationale Volkspartei DNVP,

9 Sonstige

53 C.H.Becker, Islamstudien. Band 1:Vom Werden und Wesen der islamischen Welt. Quelle & Meyer, Leipzig 1924

54 MR Richter (Abteilung U I Hochschulen) war Honorarprofessor

55 Hervorhebungen vom Herausgeber.

56 Band 2 der „Islamstudien“, erschien erst 1932 bei Quelle & Meyer, Leipzig (Konsequenz der Inflation 1923)

57 U II Höheres Schulwesen

58 d.h. die Frau des Reichspräsidenten Ebert

59 Veganer (englisch), Vegetarier, der auch auf Eier und Milch verzichtet.

60 MD Jahnke leitete die Abteilung U II Höhere Schulen

61 Provinzialschulkollegium. RR Regierungsrat, ORR Oberregierungsrat

62 Unterabteilung K? jedenfalls wird Picht 1924 MR in U I

63 Hervorhebung vom Herausgeber.

64 Provinzialschulkollegium

65 Hervorhebung vom Herausgeber.

66 D.h. Becker

67 Beniamino Gigli, italienischer Sänger *1890 Recanati +1957 Rom ; lyrischer Bühnentenor, Konzertsänger; gestaltete auch Filmrollen. (Brockhaus multimedial 2004)

68 Enrico Caruso, italienischer Sänger *1873 Neapel + 1921 Neapel; galt als bester Tenor seiner Zeit; er vereinte technisch vollendet beherrschte Stimme mit großer schauspielerischer Begabung. (Brockhaus multimedial 2004)

69 Liegt nicht bei. Der Herausgeber.

70 Hervorhebung des Herausgebers.

71 Katholisches Episkopat und Evangelische Kirche.

72 Hervorhebung vom Herausgeber.

73 Liegt nicht bei. Der Herausgeber.

74 Hervorhebung vom Herausgeber.

75 I.e. Wende in Kiel

76 Volksschulwesen

77 Hervorhebung vom Herausgeber.

78 MD Nentwig leitete die Abteilung F (Stiftungsfonds, Klosterkammer)

79 Hervorhebung vom Herausgeber.

80 Romano Guardini *1885 Verona +1968 München. Katholischer Religionsphilosoph und Theologe, Professor in Berlin (1939 zwangsemeritiert), Tübingen und München. Dort hatte er noch Ende der 50er Jahre immer ein volles Haus: seine Vorlesungen waren ein Genuß.

81 Hervorhebung vom Herausgeber.

82 Gemeint ist die DDP

83 U II: Höheres Schulwesen

84 In Salem befindet sich bis heute eine renommierte Privatschule, gegründet von Otto Hahn. Nach 1933 mußte er emigrieren und ging nach Schottland, wo er Gordonstown aufbaute.

85 Hervorhebung des Herausgebers.

86 Friedrich Ebert *1871 +28.2.1925 in Berlin. Erster Reichspräsident des Deutschen Reiches 1919-25, SPD. Große Machtfülle lt. Verfassung: Direktwahl; Ernennung des Reichskanzler; Notstand lt. §48 WV

87 Referent Duwe war schon unter Boelitz-Becker (1922) in der Zentralabteilung, ebenso 1926.

88 Hans Luther *1879 +1962 bildete 1925 sein 1. Kabinett mit dem Zentrum, BVP, DNVP (Stresemann)

89 Hervorhebung vom Herausgeber.

90 Ministerium des Innern

91 Am 29.3.1925 fand die Präsidentenwahl statt. Kandidaten waren Ludendorff, Dr. Jarres, Dr. Marx, Dr. Held, Dr. Helpach, MP Braun, Thälmann u.a.. Im zweiten Wahlgang am 26.4. erhielt von Hindenburg 14,65 Millio-nen Stimmen, Dr. Marx 13,75, Thälmann 1,93, Sonstige 0,13

92 i.e. die DDP

93 Die Preußischen Landtagswahlen vom 7.12.1924 ergaben für die SPD 114, Zentrum 81, DDP 27 Abgeordnete (=222 Abgeordnete).

94 Steiger war Zentrumspolitiker, Landwirtschaftsminister, wohnte in Steglitz. Sohn Alfred war ein Freund meiner Eltern und wurde nach 1945 Landesbankdirektor in Münster, Enkel Heinhard ging mit dem Herausgeber zur Schule, wurde Juraprofessor in Gießen.

95 Wilhelm Marx *1863 +1946 (Zentrum) bildete im November 1923 das neue Reichskabinett. Nach den Reichstagswahlen im Mai 1924 bildete er sein 2. Kabinett. Im Oktober 1924 erneute Auflösung des Reichstages nach Abstimmung über den Dawes-Plan, der angenommen wird. Im Dezember 1924 erneute RT-Wahlen, Marx tritt zurück; sein Nachfolger wird der parteilose Hans Luther *1879 +1962 mit einem Kabinett aus Zentrum, BVP, DVP, DNVP (Außenminister Stresemann)

96 Hervorhebung vom Herausgeber.

97 Dto.

98 Der Wandervogel, gegründet 1896, wurde zum Ausgangspunkt der Jugendbewegung. Ziele: Überwindung der Großstadtzivilisation und jugendspezifischer Lebensstil. Die Jugendbewegung entsteht 1900 als eine pädagogische, geistige, kulturelle Erneuerungsbewegung mit dem Ziel aus eigener Kraft eine selbstverantwortliche Lebensgestaltung zu finden.

99 Preußischer Finanzminister 1925 (DDP, MdL)

100 In der Tat ist Richter als MinDirig. und Leiter der Abteilung U I (Hochschulen) aufgeführt im Handbuch 1926.

101 Neustrelitz ist heute Kreisstadt im Landkreis Mecklenburg-Vorpommern in waldreicher Umgebung am Zierker See; 23 700 Einwohner; Landestheater, Stadtmuseum; elektrotechnische, Nahrungsmittel und Metallindustrie.

102 1923 marschierten französische und belgische Truppen ins Rheinland und das Ruhrgebiet ein. Durch die Annahme des Dawes-Plans kommt es zu einer Entspannung in den deutsch-französischen Beziehungen dank Stresemann. 1925 wird der Locarnopakt unterzeichnet, dessen Sinn Stresemann u.a. darin sieht, die Rheinlande dem Reich zu erhalten; 1925 Räumung des Ruhrgebiets, 1926 der Kölner Zone. Erst 1929/30 wird die zweite Rheinlandzone (Koblenz) von den Franzosen geräumt.

103 D Dr. von Campe, DVP-Fraktionsvorsitzender im Preußischen Landtag 1924.

104 Hervorhebung des Herausgebers. Konrad Adenauer war von 1917-33 Oberbürgermeister von Köln und Vorsitzender des Reichsrats. Ein Separatismus Adenauers gehört in den Bereich der Legende!

105 meint er wohl Tihany am Plattensee?

106 Harro Siegel

107 Hervorhebung des Herausgebers.

108 Hervorhebung des Herausgebers.

109 I.e. vom Abteilungsleiter MD Kaestner (Volksschulwesen)

110 Ferdinand Brunot, *1860 +1938, Sprachwissenschaftler an der Pariser Sorbonne, Hauptwerk: Histoire de la Langue francaise dès origines à 1900.

111 Liegt leider nicht bei. Der Herausgeber.

112 Abteilung U IV dient der Pflege der Kunst, auch Staatstheater. Leiter MD Nentwig.

113 Hervorhebung vom Herausgeber.

114 Wohl eher in der Kutsche! BB.

115 Wohl eher von Spanien nach Kairo vgl. seine Reiseberichte im Ersten Teil seiner Privatkorrespondenz.

116 Hervorhebung vom Herausgeber.

117 Le camouflage, französisch: Tarnung

118 Höpker Aschoff, Preußischer Finanzminister (DDP)

119 Arthur Schnitzler *1862 Wien + 1931 Wien, zunächst Arzt (Interesse an Hypnose und Traum), dann Schriftsteller.

120 1926 ist Menzel MR in Abteilung U III (Volkschulen)

121 Gürich wird ebenfalls 1926 MR in Abteilung U III (Volksschulen)

122 Leider setzen die Briefe Beckers hier aus; durch die räumliche Nähe erübrigten sich leider die instruktiven Bemerkungen Beckers, die einen tiefen Einblick in seine Tätigkeit bieten. Der Herausgeber

Ralph Coward, 1930-33

HA.VI. Nachl. C.H.Becker Rep.92 Becker C. Nr. 129

414. Ralph Coward an C.H.B. Ashmore, 14.12.1930

Dear Dr. Becker,

Thank you very much for your kind letter and birthday-wishes.

I was very pleased to meet you and feel, if I may say so, that we have established a mutual regard for each other, and I hope that we shall be able, from time to time, to come in contact with each other.

I am glad you were able to have a talk with Mr. Balfour Gardiner, because hitherto you have had but one side of the story, and as you remarked to me on the Sunday morning, Rolf is difficult, I feel that he does not treat his uncle as he should.

I think we can do something here, it may not be all that that everybody hopes for, I know Rolf cannot fulfil his ideas by himself and whoever helps him he must be prepared to ‘pay’ for that held, not payment in money or things, but by cooperation in spirit and in truth.

May I take this opportunity of wishing you a very joyful Christmas and Gods (help? Unleserlich) in the new Year.

I am Sir yours sincerely Ralph.

415. C.H.B. an Ralph Coward, Gore Farm, Ashmore, England. Berlin, 4.7.1931

(Maschinenkopie)

Dear Ralph,

You will have heard by Rolf that I should be awfully pleased if you could allow my youngest son Hellmut joining your Arbeitslager in August-September. He is a very nice chap, perhaps a little bit intellectually overfed, but a decent tennis player and a good hearted and good -looking boy. He is just passing his first term as a student in Freiburg University. The aim of his journey to England is in the first time to learn English, his knowledge of English being very modest, up to date. Besides that I think it a splendid idea to bring this boy for a certain time under your personal influence. You know how much I appreciate your work and your personality. He will be free in the first days of August, and perhaps could it be possible that he would come a few days earlier to Gore to become acquainted with you and your life, before the members of the Arbeitslager will arrive. You are just the type of man under whose leadership I should be glad to know my son for a couple of weeks. He will learn very much from you, not only in agricultural questions, but especially in the human sphere.

Did you hear that I shall not come to England this summer, but that I am sailing to China in the beginning of September? But after my return, I hope to see you again. Meanwhile be god to my son as my substitute!

With kind regards and many thanks for your kind letter, Yours very sincerely (C.H.B.)

416. Ralph Coward an C.H.B. Ashmore, 14.7.1931

My dear Dr. Becker.

Thank you for your kind letter. I am very sorry that we shall not be seeing you this autumn. So we will try to be good to your son instead. The camp starts in the beginning of September but we shall be pleased to have Hellmut at the end of August if he likes to come.

There may be several other Germans here so he will not be too lonely.

We have started learning German but I’m afraid it will be a long time before I shall be able to write to you in German.

We charge 20/- (shillings?) per week for feeding and looking (unleserlich) after campers here, and as Hellmut is coming such a long way he need only bring his own personal equipment, we can fit him up with plates and things like that.

With our best wishes for a ‘bon voyage’ yours sincerely Ralph and Daphne Coward.

417. C.H.B. an Ralph Coward. Ashmore near Salisbury. Berlin, 29.4.1932

(Maschinenkopie)

My dear Ralph!

Today is your birthday. I think of that date in sincere friendship and I hope you and your wife are in best health. My son Hellmut shares me in wishing you a very happy year. I was so glad that he has met you and I thank you sincerely for all that you have done for him. He returned quite charmed by the life on Gore Farm and he was especially fond of the kindness of Mrs. Coward. Unfortunately I could not see you during the last year. My stay at Georg Goetsch’s wedding in Wallington was too short to come and see you in Gore Farm. But at Rolf’s wedding we shall certainly meet and I am looking forward to shaking hands with you because I never forgot the strong bond that arose between us from the first moment of our intercourse.

You know that I made a trip around the world. I stayed 3 months in China and visited afterwards Dutch- and British India, Persia, Iraq and Syria. I enjoyed this time immensely. It was interesting but also a strenuous trip and I was over 7 month away from home. I was so glad to meet Rolf after all in Wallington and heard by him, how well you re established now and matters between Rolf and you are settled now in an adequate way. I should be very pleased to hear something from you and how you judge your and Rolf’s common future, which of course up to date I only see through Rolf’s eyes.

With the best wishes and kindest regards to Mrs. Coward and yourself

Affectionately yours (C.H.B.)

418. Ralph Coward an Hellmut Becker. Ashmore, 15.2.1933

My dear Hellmut,

I am writing to say what a great shock it was to hear of the death of your father.

Although I met him only once, I felt that in a few hours we had established a genuine friendship which was to me a great pleasure and a great honour, I was very much looking forward of meeting him again sometime.

I do indeed join with his many, many friends in mourning his loss and in expressing to you and your family my deepest sympathy.

Yours very sincerely Ralph Coward.

Helene Bergner, 1933

HA.VI. Nachl.C.H.Becker. Rep 92 B. Nr. 6378

412. Helene Bergner an C.H.B. Berlin, 11.1.1933

Sehr verehrter Herr Professor!

Gestatten mir Euer Exzellenz, noch ganz unter dem Eindruck Ihres fesselnden Vortrags gestern Abend im Bürgervereinshaus, Ihnen hierfür meinen besonders herzlichen Dank auszusprechen.

Als Grund meiner ganz persönlichen Einstellung zu dem Thema werden Sie gewiß meine nachfolgenden Ausführungen gelten lassen:

Seit 4 Monaten genießt einer meiner Söhne als blutjunger Architekt den ehrenvollen Vorzug, bei den Wiederaufbauarbeiten in Tacht—i-Djamshid (Persepolis) bautechnisch mitarbeiten zu dürfen.

Als besonderes Glück erkennt er es in seinen allwöchentlichen Berichten, daß er im persönlichen Verkehr mit dem von ihm hochverehrten Herrn Prof. Herzfeld Gelegenheit hat, höchst andächtig fesselnde Einblicke in altpersische Geschichte zu gewinnen.

Im Besitze der vielen Fotos, die mein Sohn uns von der Trümmerstätte und dem Wiederaufbau der Säulenhallen etc. gesandt hat, waren natürlich Ihre gestrigen Ausführungen und wunderwollen Aufnahmen mir und meinem ältesten Sohne eine Herzensangelegenheit, deren Erfüllung uns mit besonderer Freude überraschte.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung bin ich Euer Exzellenz ergebene

Helene Berger.

 

413. C.H.B an Helene Bergner. Berlin, 12.1.1933

Hochverehrte gnädige Frau!

Von der Anwesenheit Ihres Sohnes in Persepolis hatte ich schon durch Herrn Dipl.Ing. Krefter gehört, der ja der eigentliche technische Leiter der Ausgrabungen in Persepolis ist. Er freut sich sehr über die Entlastung, die er durch Ihren Sohn gefunden hat. Es war zu viel für einen. Jedenfalls beglückwünsche ich Ihren Sohn – und damit auch Sie – zu der Möglichkeit, die sehr fatalen Jahre des Wartens in dieser Unglückszeit durch eine so schöne Reise und angenehme Tätigkeit abgekürzt zu sehen. Ich kann Ihnen aus eigener Anschauung versichern, daß es sich unter Prof. Herzfelds Führung ganz vortrefflich in Persepolis lebt, und der kleine Kreis der dort versammelten Menschen ist auch sehr nett untereinander. Mit Prof. Herzfeld bin ich seit Jahrzehnten befreundet, aber auch Herrn Krefter habe ich hochschätzen gelernt.

Mit bestem Dank für Ihre freundliche Begrüßung und in aufrichtiger Hochschätzung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

J. Barth, 1899-1914

VI HA. Nl. C.H. Becker. Rep.92 B. Nr. 6235

Briefwechsel mit Geheimrat Prof. Dr. J. Barth, Orientalist, Berlin 1899-19141

385. J. Barth an C.H.B., Cairo. Berlin, 6.1.1899

Lieber Herr Dr.!

Für die Übersendung Ihrer Doctor-Dissertation, in der Sie auch meiner liebenswürdig gedacht haben, sage ich Ihnen verbindlichen Dank. Da ich gerade selbst mit der Bearbeitung und Edition eines arab(ischen) Dichters beschäftigt bin und für diesen Zweck eine größere Literatur durchzusehen habe, konnte ich für den Augenblick nicht daran denken, die ganze Publication durchzulesen. Andererseits war ich natürlich sehr gespannt zu sehen, wie Sie den Stoff bearbeitet haben. Ich las daher Ihre Einleitung, ein schönes Zeugnis Ihrer umfassenden Heranziehung des erreichbaren Stoffes, und als Probe Ihrer Textbehandlung das Gedicht mit den salbungsvollen Allgemeinheiten S. 92,5ff.

In der Einleitung freute ich mich durchweg Ihrer klaren und einleuchtenden Beweisführung, z.B. S.5 bei der Frage über die Ursprünglichkeit der Zusammengehörigkeit beider Biogr(aphien), S.7. den Nachweis der urspr(ünglichen) Identität.

(Es folgen einige Korrekturen des arabischen Textes bzw. ihre Übersetzung).

Ich hoffe, bald mehr Zeit für die Lektüre das Ganzen zu gewinnen. Inzwischen beglück-wünsche ich Sie zur glücklichen Vollendung der ersten Arbeit und wünsche ihr gute Nachfolge.

Indem ich Sie herzlich grüße bin ich Ihr J.Barth

 

386. Postkarte von J. Barth an C.H.B., Cairo Berlin, 25.1.1901

Lieber Herr Dr.!

Zunächst meinen herzlichen Dank für Ihre interessante Abhandlung, die ich mit Vergnügen gelesen und ihre Karte aus Madrid. Ich bin gespannt darauf, wieweit Sie mit den I Kelbi nun kommen werden und was Sie in Kairo treiben.

Nun möchte ich Sie noch bitten, mir einige mich interessierende Werke zu kaufen resp. Herrn Dr.Kern, der am erfahrendsten darin sein soll, darum in meinem Namen zu ersuchen. Ich reflektiere nur auf Bücher mit schönem, gutem Papier und deutlichem Druck:

  • Ibn Challikan (Nachdruck von Wüstenf.)
  • Iqd, nur dann, wenn Sie eine schön gedruckte Ausgabe, etwa die 1ste, auf gutem Papier bekommen; die von 1305 ist mir dann auch lieb. (Was kostet Zorqânî zu Muslim?)
  • Hizânat al-Adabi, (nur wenn es unter 20 Mark kostet).
  • Von 1001 Nacht, in Cairo oder Bulaq, 1302 gedruckt, fehlt mir Band 1, Titel und Seite 1-8; vielleicht können Sie es bekommen.

Es wäre mir auch werthvoll, wenn Sie mich auf Drucke wichtigen Inhalts, Geschichte, Dichtung (ältere) und Hadît, nebst Preisangabe aufmerksam machen. Die Übersendung eilt nicht, nur Benachrichtigung wäre mir lieb. Grüßen Sie bitte Dr. Sobernheim, Kern und seien Sie selbst herzlich gegrüßt von Ihrem J. Barth.

 

387. J. Barth an C.H.B, Heidelberg (?) Berlin, 13.5.1902

Sehr geehrter Herr Dr.!

Zunächst heiße ich Sie nach Ihrer Heimkehr willkommen und gratuliere zum Beginn Ihrer akademischen Wirksamkeit, die Ihnen jederzeit Befriedigung, innere und äußere Erfolge bringen möge.

Eine erste Frucht dieser Thätigkeit sandten Sie mir und danke ich Ihnen bestens für dieselbe. Ich erhielt sie, als ich den Abschluß zweier Publicationen unter der Hand und viel Correkturen zu lesen hatte, was noch immer nicht vorüber ist. Da nun die Einzelheiten dieser intriguenreichen Periode der aeg(yptischen) Geschichte mir fremd sind, so habe ich mich zunächst durch Ihre informirende Darlegung S.32ff über das Einzelne belehren lassen, um sodann den Text selbst zu lesen, worin ich etwa bis zur Hälfte bis jetzt gekommen bin. Ich möchte aber meinen herzlichen Dank nicht noch weiter bis zum vollen Abschluß verschieben.

Der Text läßt sich freilich mit unserem gew(öhnlichen) Lexicon nicht ohne Rest verstehen, wenigstens nicht ohne daß man größere Abschnitte davon durcharbeitet. Ich freue mich nun aber, daß Ihre Behandlung derselben so viel sicherer geworden ist und von Beherrschung des Stoffes zeugt. Aufgefallen ist mir in dem gelesenen Text nur wenig.

(Es folgt eine Seite Korrekturen.)

Das Leiden bei meiner Tochter ist, obgleich gebessert, noch nicht geheilt und recht hartnäckig. Es that mir leid, daß Sie von Kairo aus mir nur in Kürze über den Verlauf s(einer) Z(eit) geschrieben2. Man möchte in so langweiligem Verlauf doch gerne von bisherigen Erfahrungen lernen. War es bei Ihnen durch die Kur stark zurückgegangen? War es vorher wesentlich mehr gewesen, und auf wieviel ging es dann herunter? … Ich hoffe, Sie sehen diese Fragen, die die Behandlung in unserem Hause so nahe angehen, nicht als indiscret an und schreiben mir gelegentlich ausführlicher über den Verlauf. Nochmals besten Dank und Gruß

Ihr sehr ergebener J.Barth

 

388. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 13.6.1902

Lieber Herr Dr.!

Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihren ausführlichen Brief, der mich so außerordentlich begeisterte (?Text z.T.weggelocht!).

Bei unserer Patientin ist es auf bisher 1 ¼ .- 1 ½ p. M. geblieben und nicht weiter herunter gegangen, obgleich es schon zweimal besser war. Sie wird jetzt Sandbäder in Kostritz nehmen und soll später nach (Bad) Wildungen. Es tröstet mich sehr zu wissen, wie gut Sie sich herausgearbeitet haben.

Sehr gefreut hat mich, daß Sie die (arabischer Text) gefunden und herausgeben wollen. Das ist ein vorzüglicher Gedanke, dessen Verwirklichung ich sehr wünschte. Schieben Sie es doch ja nicht hinaus.—

In den nächsten Tagen hoffe ich Ihnen eine Schrift zum Wurzelvergleich zukommen zu lassen. Mit herzlichen Grüßen und Wünschen Ihr stets ergebener J. Barth.

 

389. Postkarte von J. Barth an C.H.B. , Heidelberg Berlin, 17.11.1903

Lieber Herr College!

Empfangen Sie meinen verbindlichsten Dank für Ihre lehrreiche Schrift (Beiträge zur Geschichte Ägyptens II). Als sie ankam, war ich auf einige Zeit mit der Niederschrift eines Artikels für (die) ZDMG3 beschäftigt. In dieser Woche aber habe ich mich nun an ihre Lektüre gemacht und um so mehr daraus gelernt, als ich mich mit der Geschichte des islamischen E(gyptens) noch wenig beschäftigt habe. Tabari, den ich lese, interessiert sich leider viel zu einseitig in der Omej-Zeit und für Chorasan4, und wenig für den Westen. Das erste Capitel über die Steuern, sowie das folgende über die Arabisierung mit Ihrer geistreichen Verwerthung der Papyrus-Forschung haben mich besonders interessiert und bin (?weggelocht) überzeugt, daß wir von Ihnen noch recht erhebliche historische Forschungen zu erwarten haben. Vielen Dank und Gruß von Ihrem sehr ergeb(enen) J. Barth.

 

390. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 16.12.1904

Sehr geehrter Herr College!

Ich glaube, daß Sie mit Ihrer Conjectur recht haben. Die Reihenfolge in 9V, Z.13 spricht außerordentlich für Sie, und in der Sache paßt gleichfalls der (arabischer Text) besser als das (dto).

In Aghânî XVI 121,28 wird dem (arabischer Text) gegenübergestellt das (arabischer Text), d.h. daß er (Du’Rumma) nicht ‚in Wahrheit’ sondern nur als ein Anhängsel zu Kelb gehöre. Daraus folgt, daß er nicht als (arabischer Text) bezeichnet werden könnte; er lebt unter ihnen als (arabischer Text), ohne in Wahrheit zu ihrem Blut zu gehören. Ihre Conjectur ist also richtig. Das (arabischer Text) in Z.2 hatte ich auch beim Lesen so wie Sie als nothwendig gefühlt.

Stets gerne zu Ihren Diensten grüßt Sie herzlich Ihr J. Barth.

 

391. J. Barth an C.H.B. Berlin, 6.2.1906

Sehr geehrter Herr College!

Empfangen Sie meinen besten Dank für Ihre neue Abhandlung über aegyp(ische) Papyri, die ich natürlich mit größtem Interesse gelesen habe. Sie haben dabei wieder die Kunst scharfsinniger Ergänzungen und Erklärung bewährt. Schade nur, daß Sie nicht auch die Stücke Koritz, Ar.Pal. alle, die Sie erklärten, reproduciert haben, da ja die Wenisten es in Händen haben. Qorra gewinnt immer eine bessere Physiognomie.

Beim Lesen Ihrer Abhandlung habe ich mir da Notizen gemacht, wo ich meinte, daß man anders lesen könne. Ich lege Sie Ihnen in natura zur Erwägung hier bei.

Mit dem besten Dank und der Bitte, beste Grüße an Coll(ege) Bezold und Herrn Hellwig zu bestellen, bin ich Ihr J. Barth

 

392. J. Barth an C.H.B. Berlin, 3.4.1906

Lieber Herr College!

Mit großem Genuß habe ich Ihre gelehrte und scharfsinnige Abhandlung über den Minbas gelesen, die mir einen durchaus überzeugenden Eindruck macht. Neben der Hauptsache erklären Sie auch sehr gut solch dunkle Ausdrücke wie (arabischer Text) usw.

Die Etymologie von (AT)5 scheint mir auch auf auswärtigen (AT) Ursprung, vielleicht aus dem Jemen und dort aus Abessinien zu führen. Es kommt zwar (AT) res.elata usw. im Arabischen vor, aber gerade (AT) sonst nicht und die Wurzel hat auch sonst kaum Spuren der betreffenden Bedeutung. Die Vocaldifferenz (AT) gegenüber manbar kommt bei einem Fremdwort nicht sehr in Betracht.

Sie wissen doch vielleicht, daß auch in der Synagoge heute noch der sog. Al-memmar existiert, eine Erhöhung in der Mitte, worauf der Tora-Abschnitt verlesen wird. Das beruht wohl auf Zutlegnung (?unleserlich), etwa in Spanien.

Zum ‚Sitzen’ des Richters und Herrschers ist auch hebräisch (hebräischer Text) zu vergleichen, welches auch ohne Zusatz dies bedeutet, z. B. Psalm 29,10; vgl. auch 9,5 usw.

Beim ‚Stab’ ließe sich vielleicht an den Hirtenstab als Ursprung denken; nennt ja auch Homer den Fürsten (griechischer Text). Vgl. die 2 Stäbe als Zeichen der Herrschaft bei Zacharia 11, 71, die dort direct mit dem Weiden von Schafen in Beziehung gebracht werden.

Sonst sind die hebräischen Ausdrücke (HA) vom Fasten (Jesaja 11) usw. zu vergleichen. Auch der Stab als Rechts(?symbol) geht wohl (auf) (HT) Stamm zurück.

Nehmen Sie diese kleinen Bemerkungen als Ausdruck des Danks für Ihre sehr gehaltvolle Abhandlung, die ich mit lebhaftem Interesse gelesen habe.

Seien Sie noch herzlich gegrüßt von Ihrem treuergebenen J. Barth.

 

393. J. Barth an C.H.B. Berlin, 8.4.1907

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ihr Büchlein Christentum und Islâm habe ich mit wirklichem Genuß gelesen und danke Ihnen sehr für seine Übersendung. Sie haben eine Reihe weitausschauender Gesichtspunkte in die Vergleichung hineingezogen, die in der That eine weitreichendere Einwirkung des Christentums annehmen lassen, als man bisher vielfach glaubte. S. Fränkel-Breslau sprach mir vor Jahren einmal aus, daß die häufigen Schilderungen der Höllenqualen der Sünder wie (AT) auf christlichen Einfluß zurückginge. Auf einer Reihe von Einzelgebieten des materiellen und geistigen Lebens haben Sie nun hier gleiche Einwirkungen wahrscheinlich gemacht.

Freilich ist zu berücksichtigen, daß bei einer Reihe derselben im altjüdischen Schriftthum dieselben Gedanken vorliegen und man dann nicht wissen kann, von wo aus die Einwirkung auf die Araber erfolgt ist.

So ist z. B. die abschätzige Behandlung der ‘Badehäuser’ (HT) auch im rabbinischen Schriftthum vorhanden; erinnere ich mich recht, so werden sie als Stätten unsauberen Treibens geschildert (vgl. in meiner gleich unten citierten Abhandlung).

Ferner, daß der Erwerb für die Familie (Frau und Kinder) so gut wie Almosen sei (AT) findet sich fast wörtlich im 6. Talm(ud?) Kethuboth 50a.

(Dieses und mehrere gleiche Fälle von Übereinstimmungen habe ich behandelt in der Festschrift für A.Berliner ‘Midraschische Elemente in der muslimimischen Tradition’, S.33-40.)

Ebenso stimmt bekanntlich das Tischgebet vor und nach dem Essen auch mit dem Jüdischen zusammen, ferner das Verbot, Speisebrocken auf dem Boden liegen zu lassen (S.35); nur wenn sie ganz klein sind (‚weniger als eine Olive groß’), gibt es im Talmud nicht.

Weiter wird es in Trakt(atum) Berákhòth als ungünstig bezeichnet, längere Zeit keine Träume zu haben (S.36). Daß Regenbitten und ihre Wirkung auch hier vorkommen, ist natürlich (vgl. in der genannten Abhandlung S.39). In allen solchen Fällen wird es schwer halten, die Quellen der Einwirkung festzustellen.

Aber für eine Reihe von Gebieten haben Sie christliche Einflüsse sehr wahrscheinlich gemacht, und die weiteren geschichtlichen Vergleichungen, die Heranziehung von Parallelen aus der christlichen Kirchengeschichte sind lehrreich.

Wie leicht auch ohne nachweisbare Einwirkung gleiche Folgeerscheinungen auf getrennten Religionsgebieten erwachsen, zeigt der jüdische Chasidäismus6 in Galizien, Rußland usw., wo sich Wundertheater, Heiligenglaube und alle möglichen Erscheinungen der Mystik in gleicher Weise wie im Islam entfaltet haben. Das zeigt, daß man nicht zurückhaltend genug in der Behauptung der Ursprünge und Übergänge sein kann.

Nehmen Sie nochmals meinen herzlichen Dank für Ihre sehr lehrreichen Darlegungen und viele Grüße von Ihrem J. Barth.

 

394. Postkarte von J. Barth an(Prof.) C.H.B. Berlin, 12.4.1907

Lieber Herr Kollege,

als ich Ihnen neulich schrieb, hatte ich vorher gesucht, ob ich noch ein Exemplar meiner kleinen Abhandlung hätte, aber vergeblich. Heute fand ich bei nochmaligem Suchen eins, in das ich mir wenige Notizen gemacht und sende es Ihnen. Es ist ja wenig, aber zufällig befaßt sich der Inhalt mehrfach mit Stücken Ihrer Schrift. Nöldeke hat recht, dass über das Badehaus in Adoda Zara steht; ich hatte mich nur der Sache selbst, aber nicht der Stelle erinnert. Vor einigen Jahren hat in Heidelberg ein Herr Jampel studiert, der ein hervorragender Talmud-Kenner war und der Ihnen hätte viel leisten können; er ist aber wohl nicht mehr dort. Ich weiß nur so für den Hausbedarf daraus, aber das nützt mir für die linguistischen Studien auch oft genug. Wenn Sie mir einmal schreiben, kann ich Ihnen mein eigenes Wissen vorsorglich ankündigen.

Ich lasse eben ein erstes Heft vergleichender Sprachstudien drucken, das ich Ihnen in ca. 6 Wochen schicken zu können glaube.

Den Kanz al ummál besitze ich noch nicht, will ihn aber jetzt in der Königlichen Bibliothek benutzen.

Herzlichst Ihr J. Barth.

 

395. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 9.6.1907

Lieber Herr College!

Für die freundliche Übersendung Ihres Qureir Amra-Artikels sage ich Ihnen besten Dank. Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen, bin aber zu dem Werke selbst leider noch nicht gekommen. Mich werden namentlich die eingestreuten Mittheilungen über Beduinenleben – Sitten – und Gebräuche, von denen Nöldeke in seiner Besprechung spricht, an dem Werk sehr interessieren. An ein (AT) glaube ich nicht; da würde auch ich (AT) weit vorziehen. Ihre kunstgeschichtlichen Anregungen waren für mich als Vorbereitung für die Lectüre des Buches sehr belehrend. Mit herzlichen Grüßen Ihr J. Barth.

 

396. J. Barth an C.H.B. Berlin, 11.12.1908

Lieber Herr College!

Ich will Ihnen mit diesen Zeilen nur meinen besten Dank für Ihren Brief und die in ihm enthaltenen Mittheilungen aussprechen. Es war vorher wie ein Alp auf mir gelegen, daß ich, natürlich ganz ohne Absicht, etwas Ihnen Unangenehmes in meinem Rundbriefe geschrieben hatte, weil ich nach dem Protokoll sicher geglaubt hatte, man habe Ihnen dort die in Betracht kommenden Tatsachen verschwiegen.

Ich freue mich, dass nun alles geklärt ist und danke Ihnen wiederholt für alles Liebe und Gute!

Wie schön ist es doch, wenn man nach solchen schlimmen Störungen wieder zur wissenschaftlichen Tätigkeit zurückkehren kann. Da Sie jetzt so nahe wohnen, hoffe ich Sie öfter einmal persönlich bei mir sehen zu können und über Ihre Hamburger Erfahrung und die (AT) –Unternehmungen Genaueres von Ihnen zu hören.

Vollers ist, wie mir seine Gattin schreibt, leider schon drei Monate nicht wohl, fieberleidend.

Mit herzlichen Grüßen Ihr treuergebener J.Barth.

 

397. J. Barth an C.H.B. Berlin, 28.5.1909

Sehr geehrter Herr College!

Für Ihre Abhandlung ‚Ist der Isl(am) eine Gefahr?’ sage ich Ihnen verbindlichen Dank. Die Darlegungen über die Geschichte und die relig(iösen) Verhältnisse in Zanzibar und den deutschen Kolonien, die Haussas, Fulbe usw. sind mir sehr lehrreich gewesen. Vor allem aber habe ich mit großer Sympathie Ihre Rathschläge hinsichtlich der Missionen und Ihre Darle-gungen über Religion und Kultus verfolgt, denen ich vollständig beipflichte. Das Betreiben von Mission beruht auf dem einseitigen Kirchenglauben, daß nur ein Weg zu Gott führe und daß jeder andere in die Hölle mündet. Wie von Ihrem Standpunkt das ablehnen, so habe ich in meiner jüdischen Erziehung als einen der wichtigsten Sätze für’s Leben gelernt:

Die Gerechten aller Völker sind Gott wohlgefällig; aus diesem Gesichtspunkt verwirft das Judentum alle Mission. Man kann kulturell niedrige Völker durch direkte Mittel für die Kultur gewinnen, wenn z. B. die Beamten der deutschen Regierung durch humanes Verhalten, durch Milde in der Form bei sachlicher Energie, durch Hebung des Wohlstands, und indem man die Regierten – wie Sie richtig betonen – nicht die Inferiorität zu drückend fühlen läßt.

Der Muhammedanismus macht trotz s(eine)s Ritualismus von jeher enorme Propaganda; meiner Ansicht nach ist dieser sogar ein starkes Mittel, das seine Energie bei seinen Bekennern hebt. Bei den einfachen Grundwahrheiten, mit denen er erfolgreich Mission macht, waren ihm diese nicht hinderlich. Natürlich gilt dies aber nicht für alle Kulturkreise.

Mit bestem Dank und Gruß Ihr treuergebener J.Barth.

 

398. C.H.B. an J. Barth. (Hamburg?), 18.3.1910

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief aus Wiesbaden. Ich möchte ihnen gleich darauf antworten, um Ihnen zusagen, wie sehr ich mich freuen würde, auch Sie zu den Mitarbeitern meiner Zeitschrift rechnen zu dürfen. Alles, was Zauber und Aberglauben angeht, oder überhaupt die Volkskunde im weitesten Sinne des Wortes, wird natürlich mit Freuden aufgenommen werden; es muß nur irgendwie mit dem Islam zusammenhängen. Ihre Sammlungen scheinen mir gut geeignet zu sein für meine Zeitschrift. Ich ersehe mit Freuden aus Ihren Angaben, daß Sie auch für die Realien größere vorarbeiten liegen haben. Also bitte denken Sie gelegentlich an mich. Besonders wertvoll sind mir Beiträge, wie Ihre schöne Arbeit über die Beziehungen zwischen dem Hadith7 und der jüdischen Literatur.

In bekannter Verehrung Ihr Ihnen wie stets dankbar ergebener (C.H.B.)

 

399. J. Barth an C.H.B. Berlin, 20.5.1910

Sehr geehrter Herr College!

Mit m(eine)m besten Dank für die Übersendung Ihrer zwei Abhandlungen verbinde ich meine Glückwünsche zur Eröffnung des Islam (AT), zu der ich ebenfalls Ihnen ein ‚quod felix faustumque sit’ zurufe. Ich habe beide Abhandlungen mit großem Interesse, bes(onders) aber die vortreffliche über ‚D(er) Islam als Problem’ wiederholt gelesen, weil sie eine Reihe von (wenigstens mir) neuen, sehr fruchtbringenden Gedanken und geschichtlich wichtigen Auffassungen enthält. Winklers Gedanke, der an Schickers Wort vom ‚Hunger und der Liebe’als Beweger des Weltgetriebes erinnert, hatte er früher vor der Veröffentlichung oft mir gegenüber ausgesprochen; er hat die Anregung dazu aus einem englischen culturhistorischen Werk, das er mir nannte. Ich habe früher nie daran glauben wollen, bin aber jetzt geneigter. Die Araber selbst führen die Auswanderung der südarab(ischen) Stämme nach dem Norden ja auf den (AT), also auf ein schweres Naturereignis zurück. Also mag schon bei ihnen ein Bewußtsein von dem Drängen ungünstiger Naturverhältnisse zur Wanderung gelebt haben.-

Ihre Darlegung der in den verschiedenen Zeiten ganz verschiedenen geschichtlichen Factoren für die Bildung e(ine)r muslim(ischen) Einheitskultur sind für mich ebenso lehrreich wie überzeugend gewesen. Zu den Beispielen der Einwirkung der fremden, dem Islam incorpo-rirten Culturkreise auf diesen gehört z.B. auch der der Iráqier und Perser auf die arab(ische) Sprachwissenschaft, die kufische und basrische Schule, die persischen Koranausleger, die Vermittlung der griechischen Grammatik zu den Arabern hin durch die Syrer u.v.A.

Die zweite Abhandlung war mir wegen der wirtschaftlichen Gesichtspunkte, die Sie erörtern, sehr interessant. Je weniger diese Fragen im Bereiche meiner Studien liegen, um so mehr freut es mich, etwas darüber orientirt zu werden.

Wensincks zwei kleine Artikel sind sehr hübsch. Beim ersten ist zwar die jüdische Parallele nicht zum ‚Gottesdienst’ gehörig; viell(eicht) aber hat schon bei den Tradionariern die Verwechslung stattgefunden.

Sobald ich mit der Ausarbeitung m(eine)r vergleichenden größeren Arbeit fertig bin, hoffe ich, etwas aus m(eine)n Sammlungen für den Islam ausarbeiten zu können. Ihr Verleger macht aber die Preise hier, wie bei ZA(?), etwas hoch, was die größere Verbreiterung leicht hemmen kann.

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen Ihr J. Barth.

 

400. J. Barth an C.H.B. Berlin, 4.12.1911

Sehr verehrter Herr Kollege!

Soeben habe ich die Lektüre Ihres sehr lehrreichen Artikels über das Aphroditowerk beendigt; an das 2te übersandte Stück werde ich jetzt herangehen. Für die schönen Darlegungen aus e(ine)m Gebiet, wohin ich selbst leider nicht gelange, sage ich Ihnen verbindlichen Dank. Die auf S.370/1 erwähnte Methode, als (AT) einen Ring auf die Hand anzubringen und der ‚tabi’ rusás sind offenbar weit verbreitet gewesen. Belege dafür bei den Arabern (längerer arabischer Hinweis).

Aber offenbar ist auch das Bild Hiob 37,37 (HAT) sowie auch Hiob 33,16 (HT) d.h. an ihr Band legt er das Siegel, auf diese Sitte zurückzuführen, er bedeutet: ‚er bezeichnet sie durch diese Siegelanlegung als seine Sklaven’.

Aus der alten Adresse für meine Wohnung auf Ihrer Zusendung sehe ich, wie lange Sie dieselbe nicht mehr gesehen haben.

Mit herzlichem Gruß und Dank Ihr sehr ergebener J.Barth.

 

401. J. Barth an C.H.B. o.D.

(unvollständiger Text, Eingangsblatt fehlt im Dossier)

Von dem Austritt Prof. Nöldekes wurde wahrheitswidrig keine Mitteilung im Protokoll gegeben. Das war doch nicht bona fide? Das war eine Fälschung wie die andern Dinge.

Ein hervorragender Fachgenosse, der den Protest mit unterzeichnet hat und F.8 sehr genau kennt, schreibt mir: „Da F. unbegrenzte Zeit hat, rechthaberisch jeden Unsinn zu verfolgen, können Sie nicht gegen ihn aufkommen. Wir haben ja Alle in der Welt noch etwas Anderes zu tun, während er nie so töricht sein, ein wissenschaftliches Buch zu schreiben.“

Gegen die DMG9 habe ich ebenso wenig wie Sie etwas tun wollen. Ich habe nur gegen die unwahrhaftige Darstellung im Protokoll, die Fischer weißwaschen will, Einspruch erhoben. Solange der Halle-Leipziger-Vorstand ihn in seinem Amte beläßt, wolle mehrere Collegen, wie sie mir mitteilen, mit der ZDMG keine Beziehung unterhalten. Das halte ich auch für richtig. Es kann jemand seinen Rock, aber nicht seinen inneren Menschenausziehen.

Ich habe Ihnen Alles so ausführlich geschrieben, weil zwischen uns die alte Freundschaft und das volle gegenseitige Verständnis besteht und weiter bestehen wird. Ich weiß sehr wohl, daß Sie sehr viel in dieser Sache auf sich genommen hatten und ausgeführt haben. Ich wollte in einem Rundbrief nur in die neuen Schliche F(ischer)s hineinleuchten, zu deren Ausführung sich einige Halle-Leipziger Herrn hergeben.

Nochmals besten Dank für Alles und die herzlichsten Grüße Ihres treuergebenen J. Barth.

 

402. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 24.6.1912

Sehr verehrter Herr Kollege!

Für die freundlich übersandte ‚Stadtgeschichte von Cairo’ sage ich Ihnen verbindlichen Dank. Aus der, wie immer, mit großer geschichtlicher Sachverständigkeit gearbeiteten Abhandlung habe ich mich mit Genuß über die einschlägigen mir leider ferner liegenden Verhältnisse informiert und die Kastenillustrationen waren mir dabei sehr erwünscht.

Ich habe endlich in diesen tagen meine schon lange in Arbeit gewesene vergleichende Arbeit abgeschlossen und an den Verleger abgehen lassen, so daß nur noch das Korrekturlesen bevorsteht. Sie hat mich gezwungen, mich mit vielen anderen, außer der arab(ischen) Literatur zu beschäftigen, und daher die Aufforderungen der ‚Enzyklopädie’ abzulehnen.

Mit bestem Gruß Ihr J. Barth.

 

403. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 9.9.1912

Sehr geehrter Herr Kollege!

Soeben aus der Schweiz heimgekehrt, (wobei ich auch uns(eren) verehrten (AT) in Herrenalb besucht habe) fand ich die von Ihnen freundlichst übersandten Artikel gleichzeitig mit mehreren Korrekturbögen eines linguist(ischen) Buches vor, das ich eben drucken lasse, vor. Ich konnte erste heute Nachmittag nach Absendung der Korrekturen an die Lektüre der sehr gehaltreichen Übersicht über die Erscheinungen zum ‚Islam’ (im Art(ikel) für Religionswissenschaften) gehen, aus der ich eine Menge Neues erfahren habe. Durch das mehrjährige Vergraben in linguist(ischer) Literatur hatte ich nicht einmal von Caétanis kürzerem Werk erfahren, das Sie aufführen, von den französ(ischen) Arbeiten zur Kodification des muslim(ischen) Rechts u.v.A. ganz zu schweigen, an die ich doch schwerlich je komme. Aber über die Bedeutung von Hortens Arbeiten und ihre Methode bin ich mit lebhaftem Interesse von Ihnen unterrichtet worden, wie über noch vieles Andere, wofür ich Ihnen, wie auch für die zwei anderen Arbeiten, herzlich danke. Ich werde sie wohl in der kommenden Woche zu Ende lesen. Mit vielen Grüßen Ihr J.Barth.

 

404. C.H.B. an Geheimrat Prof. Dr. J. Barth Hamburg, 21.5.1913

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor,

Ich möchte mich heute mit einer Bitte an Sie wenden. Wie Sie wissen, ist Prüm gestorben, und ich möchte gern einen kurzen Nachruf im Islam auf ihn bringen, so ähnlich wie ich es für Euting und David Heinrich Müller getan habe. Nun fehlt mir jede persönliche Kenntnis von ihm, auch übersehe ich seinen Freundeskreis nicht, deshalb wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie entweder selber einige Worte über ihn sagen wollten, da Sie ja doch mit ihm am Tabari10 gearbeitet haben, oder, daß Sie mir jemanden nennen, den Sie für diese Aufgabe geeignet hielten. Als Muster für diesen kurzen Nachruf könnte der von Nödeke auf Euting dienen.- Vor drei Tagen ist mir ein zweiter Sohn11 geboren worden, es geht alles nach Wunsch.

In der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen und mit herzlichen Grüßen

Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

405. Postkarte von J. Barth an C.H.B., HH. Berlin, 22.5.1913

Sehr geehrter Herr Kollege!

Daß Sie im Islam Nekrologe hervorragender Arabisten bringen, finde ich sehr schön! Prym habe ich nur einmal in meinem Leben vor 36 Jahren gesehen und kenne ihn weiter nicht. Dagegen sagte mir Sobernheim vor einiger Zeit, daß Marquardt bei Prym gewesen sei und an dessen Tabari stark mitgearbeitet habe; (dieses unter Diskretion, da ich es nur von S(obernheim) gehört). Marqu(ardt) müßte also über ihn schreiben können; seine Adresse ist Berlin-Wilmersdorf, Binger Str. 88.

Zur Geburt Ihres zweiten Sohnes gratuliere ich herzlich. Es wird Sie interessieren, daß meine Tochter, wegen deren ich Jahre lang Sorge hatte, seit 6 Wochen glückliche Mutter e(ine)s Sohnes ist, nachdem sie seit mehreren Jahren gesund und seit 2 Jahren verheiratet ist.

Jetzt, nachdem meine Pron(omen?)-Bildung fertig ist, die mich Jahre lang beschäftigte, hoffe ich Ihnen bald etwas (?unleserlich: Interessantes) für den Islam schicken zu können.

Mit herzlichen Grüßen Ich J.Barth.

 

406. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 17.9.1913

Sehr geehrter Herr Kollege!

Vorgestern Nacht von einer langen Sommerreise heimgekehrt, fand ich Ihre fr(reundlichen) Zusendungen vor, die ich heute mit lebhaftem Interesse las. Empfangen Sie aber vor allem meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Berufung nach Bonn; mögen Sie in dem Wirken daselbst reiche Befriedigung finden! Es freut mich, daß Sie dem so früh verstorbenen Winkler einige schöne Blumen auf das Grab gesetzt haben. Er ist ungewöhnlich vom Schicksal angefaßt worden. Die Idee, die er über die Ursache des Vordringens der Araber vertreten hatte, hatte er mir Jahre vor der Publizierung entwickelt und dabei betont, daß er dazu durch ein englisches Werk (Tylor?) entscheidend angeregt worden sei.

Lammers Schrift hatte ich auf die Reise mitnehmen wollen, hatte sie aber vorher nicht erlangen können. Ihre Prinzipien sind einleuchtend.

Empfangen Sie noch herzlichste Grüße Ihres J. Barth.

 

407. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 18.6.1914

Sehr geehrter Herr Kollege!

Für Ihren zugesandten S(onderdruck) sage ich Ihnen besten Dank. Ich habe ihn mit Interesse gelesen. Sie haben nur allzusehr recht mit der Bemerkung, daß es nicht genug Mitarbeiter gibt. Das ist am stärksten im Gebiet des Arabischen zu spüren, dessen Pflege leider sehr zurückgeht.

Mit herzlichen Grüßen Ihr J. Barth.

 

408. Postkarte von J. Barth an C.H.B, Bonn. Berlin, 8.7.1914

In den nächsten Tagen schließe ich eine kritische Arbeit über den Qorân (Studien zur Kritik und Exegese des Qorâns) ab, die etwa 2-2 ½ Druckbogen umfassen wird. Da ich bisher in Zeitschriften nur linguistische Artikel veröffentlichte, die sich für den Islam nicht eigneten, so habe ich für die vorliegende zunächst an den Islam gedacht, um auch hier einmal als Gast zu erscheinen. Vorausgesetzt, daß das Thema sich für die Zeitschrift eignet und daß dabei Gelegenheit gegeben ist, 100 Separata mit besonderer Pagination (also 70 über die gewöhnlichen hinaus) herstellen zu lassen, natürlich auf meine Kosten.

Wollen Sie mir nun mitteilen, ob in nächster Zeit Raum frei wäre und ob die Separata herzustellen möglich sein würde, evtl. zu welchem Preis? Indem ich noch herzliche Grüße beifüge, bin ich Ihr ergebenster J. Barth.

 

409. C.H.B. an J. Barth. Bonn, 9.7.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

Ihre heutige Karte war mir eine außerordentliche Freude. Schon lange möchte ich gern einmal etwas aus Ihrer Feder im Islam bringen, umsomehr, als ich mich in Arabicis so ganz als Ihren Schüler fühle. Ihre Wünsche können natürlich leicht erfüllt werden. Trübner läßt sich Separatabzüge allerdings relativ hoch bezahlen, nicht, weil er dabei etwas verdient, sondern aus Geschäftsprinzip, um die Nachfrage nach Separaten einzuschränken. Ich kann Ihnen die genaue Kostensumme zur Zeit nicht nennen, aber bei 2 ½ Bogen wird etwa die Hälfte des Honorars auf die 70 Exemplare draufgehen. Ich werde aber noch einmal besonders an Trübner schreiben, wenn ich Ihr M(anuskript) in Händen habe, um Ihnen bestmöglichste Bedingungen zu verschaffen.

Schwieriger ist die Frage des Zeitpunktes, denn ich habe soeben Heft 2 und 3 des Jahrgangs erscheinen lassen und Heft 4 ist bereits vollständig gesetzt und soll im August erscheinen. Immerhin denke ich im Spätherbst noch das erste Heft des 6. Bandes, von dem ab der Umfang der Zeitschrift etwas stärker werden wird, herauszubringen. Dafür sind zwar bereits einige sehr schöne und wertvolle M(anuskripte) größeren Umfangs angenommen, aber nur eines davon ist bisher im Satz, sodaß ich noch eine Verschiebung eintreten lassen müßte. Jedenfalls tue ich mein Möglichstes. Ich will (Schluß fehlt!) (C.H.B.)

 

410. Postkarte von J. Barth an C.H.B. Berlin, 10.7.1914

Lieber Herr Kollege!

Besten Dank für Ihren Brief. Ich habe zu schreiben vergessen, daß meine Arbeit auch in zwei Hälften erscheinen kann. Das wird die Sache wohl erleichtern. Das baldige Erscheinen der ersten Hälfte wäre mir allerdings lieb. Wegen der Pagination werden wir uns schon verständigen.

Der Artikel Nöldekes ist sehr schön; den zweiten (Die Reyrusion? Unleserlich) muß ich noch lesen.

Ich werde meine Arbeit noch etwa 8 Tage redigieren und Ihnen dann schicken, viell(eicht) auch die zweite Hälfte, wegen etwaiger Korrekturen noch hier behalten.

Mit herzlichen Grüßen Ihr J.Barth.

 

411. J. Barth an C.H.B. Berlin, 17.7.1914

Lieber Herr Kollege!

Inliegend sende ich ihnen das Manuskript. Ich hoffe, daß Sie, wenn Sie es in zwei Teilen bringen, für den 1. Teil Raum in der nächsten noch nicht gesetzten N(ummer) finden werden. Wenn Sie erst disponiert haben, so bitte ich, mir freundlichst Mitteilung zu geben, auch wegen der Sonderabzüge. Wenn bei diesen die besondere Pagination Mühe macht, werde ich nicht auf ihr bestehen, aber lieber wäre es mir so, wie es ja auch bei Abzügen aus Verhandlungen der Akademie zu geschehen pflegt. Daß 100 Ex(emplare) separat im Buchhandel erhältlich seien, scheint mir im Hinblick auf das Qorân-Thema doch nötig.

Die zwei Artikel von Nöldeke sind prächtig. Ich habe sie mit größtem Interesse gelesen und glaube, daß sie sehr am Platze waren. Auch der von Peddersen wird mich natürlich sehr interessieren.

Mit vielen herzlichen Grüßen Ihr treuergebener J. Barth.


1 Becker studierte bei ihm während der Berliner Semester.

2 Sollte Becker sich Malaria eingefangen haben??

3 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

4 Chorassan (auch Chorasan, Khorasan), persisch: Land des Sonnenaufgangs, im NO Persiens, ein etwa 1000 m hohes von Gebirgszügen umschlossenes Steppenhochland mit gemischter Bevölkerung (Tadschiken, Turkmenen, Belutschen und Hesorehs. Teppichknüpferei. Hauptstadt Mesched, unweit der afghanischen Grenze.

(Brockhaus 1953)

5 Die vielen fremdsprachigen Zitate kürze ich ab mit AT= arab. Text, GT=griechischer text, HT=hebräischer Text

6 Chassidismus, von hebr. Chassidim=die Frommen, jüdische religiöse Bewegung in der Ukraine und Polen um 1750 entstanden; etwa vergleichbar mit der pietistischen Bewegung im Protestantismus zur gleichen Zeit in Deutschland.

7 Hadith, arabisch: Mitteilung, Erzählung, die dem Propheten Mohammed zugeschriebenen Aussprüche, die neben dem koran als Quelle der religiösen Vorschriften betrachtet werden. Brockhaus 1954

8 Aus dem Text geht weiter unter hervor, daß es sich um Herrn Fischer handelt.

9 Zur Erinnerung: Deutsche Morgenländische Gesellschaft.

10 Abu Dscha’far Tabari, arabischer Geschichtsschreiber, islamischer Theologe und Rechtsgelehrter, *839 in Amul, Provinz Tabaristan, + 923 in Bagdad, wo er nach Studien in Iran, Irak, Syrien und Ägypten unterrichtete. Großer Korankommentar (Tafsir), Weltgeschichte (Ta’rich). Brockhaus 1957

11 Hellmut Becker *19.5.1913 +1993 in Berlin als Gründer des MPI für Bildungsforschung

Deutsche Allgemeine Zeitung, 1930

HA.VI.Nachl. C.H.Becker. Rep.92 Becker D. Nr. 182

382. Dr. Fritz Klein an C.H.B. Berlin, 3.2.1930

Chefredakteur der D.A.Z.

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Minister!

Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen anläßlich Ihres Ausscheidens aus dem Staatsdienst, in dem Sie so große Verdienste erworben haben, noch persönlich zum Ausdruck bringe, wie sehr ich die politischen Machenschaften, die Ihrer Ministertätigkeit ein Ende machten, und die jedes Gefühl der Dankbarkeit verleugnende äußere Form Ihres Abganges bedauert habe. Was ich hierüber für die Öffentlichkeit zu bemerken hatte, ist gestern, vorbehaltlich einer ausführlichen Würdigung, in der ‚Deutschen Allgemeinen Zeitung’ gesagt worden. Sie werden aus meinen Worten herausgelesen haben, daß wir trotz mancher Gegnerschaft in bestimmten Fragen Ihren Leistungen stets gerecht geworden sind, und uns zu denen rechnen können, die eine Vorstellung von der Füller innerpolitischer Schwierigkeiten hatten, die Ihren Bestrebungen durch unser unglückseliges Parteiwesen bereitet wurden.

Lassen Sie, hochverehrter Herr Minister, mich noch ein Wort besonderen Dankes für die mir oft erwiesene Unterstützung meiner politischen Arbeit hinzufügen und der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie Ihr großes Können und die hohe Achtung, die Ihnen in der internationalen Gelehrtenwelt entgegengebracht wird, an anderer wichtiger Stelle weiterhin für unser Vaterland einsetzen können.

Mit dem Ausdruck besonderer Hochachtung Ihr stets ergebener (gez.) Dr. Fritz Klein.

 

383. Dr. Fritz Klein (D.A.Z.) an C.H.B. Berlin, 17.12.1930

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Professor!

Die Nationalsozialistische Partei ist ein nicht mehr zu übersehender Faktor des öffentlichen Lebens Deutschlands geworden. Die Frage, ob es möglich sein wird, sie in absehbarer Zeit zur Regierungsverantwortung mit heranzuziehen und welche Folgen dies für Deutschland gegebenenfalls hätte, steht im Vordergrund des allgemeinen Interesses. Die ‚Deutsche Allgemeine Zeitung’ möchte die Auffassung einiger weniger Persönlichkeiten der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft hierüber ihren Lesern in der Weihnachtsnummer vor Augen führen und wendet sich daher an Sie, sehr verehrter Herr Professor, mit der Bitte, sich zu der Frage:

Ist eine Regierungsbeteiligung der Hitlerpartei wünschenswert und welches wären ihre Folgen?1

Äußern zu wollen. Für den Fall, daß Sie – wie ich aufrichtig hoffe – meiner Bitte entsprechen wollen, darf ich folgendes hinzufügen: Eine kurze (vielleicht 30 Zeilen umfassende) prägnante Wiedergabe Ihrer persönlichen Meinung erscheint mir als die geeignete Form der Antwort, was natürlich keine zwingende Vorschrift sein soll.

Darf ich um eine kurze Benachrichtigung bitten, ob das Manuskript bis zum nächsten Montag, den 22. d.Mts., in meinen Händen sein wird? Ich begrüße Sie, sehr geehrter Herr Professor, mit dem Ausdruck meines besonderen Dankes und in Vorzüglicher Hochachtung als

Ihr ganz ergebener (gez.) Dr. Fritz Klein.

 

384. C.H.B. an Dr. Fritz Klein. Berlin, 18.12.1930

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Dr. Klein,

Ich danke Ihnen herzlich für die Aufforderung, mich in Ihrer Zeitung über die Regierungsbeteiligung der Hitlerpartei zu äußern. Ich war die letzten Monate in den Vereinigten Staaten und habe noch nicht wieder genügend politische Fühlung gewonnen, um mich mit einiger Autorität über die angeschnittene Frage zu äußern. Ich bin im Zusammenhang mit meiner wissenschaftlichen Arbeit und mit meiner großen Auslandsreise augenblicklich auf ganz andere Probleme eingestellt und hoffe, daß Sie Verständnis dafür haben, daß ich mich aus der innerpolitischen Diskussion noch einige Zeit heraushalten möchte.

In der Hoffnung, Sie bald einmal wiederzusehen bin ich mit verbindlichen Grüßen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)


1 Hervorhebungen von Dr. Klein

Emmanuel de Marnay Baruch, 1922-30

HA VI. Nach. C.H. Becker. Rep. 92 B. Nr. 6247

377. C.H.B. an Professor Dr. Emmanuel de Marnay Baruch, New York. Berlin, 14.10.1922 z.Z. Hotel Adlon (Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Professor!

Im Auftrage des zurzeit verreisten Herrn Staatssekretärs Professor Dr. Becker beehre ich mich, hierneben seine beiden Druckschriften ‚Gedanken zur Hochschulreform’ und Kulturpolitische Aufgaben des Reiches’ ergebenst zu überreichen.

Mit vorzüglicher Hochachtung (Duwe?) Regierungsrat

 

378. C.H.B. an Prof. Dr. Baruch. Berlin, 19.10.1922

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Professor!

Zu Ihrer Orientierung gestatte ich mir, Sie auf folgende Schriften über dieses Gebiet ergebenst aufmerksam zu machen:

  • Normann Körber, Die deutsche Jugendbewegung,
  • Hans Stelter, Eine Geschichte deutscher Jugendbewegung,
  • Stählin, Fieber und Heil in der Jugendbewegung,
  • Theo Herrle, Die deutsche Jugendbewegung in ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen.

Mit dem Ausdruck meiner besonderen Hochachtung

Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

379. Emmanuel de Marnay Baruch an C.H.B. Berlin, Adlon, 22.10.1922

Hochverehrter Herr Staatssekretär,

Gestatten sie mir Ihnen herzlichst für Ihre liebenswürdige höchst wertvollen Zeilen zu danken, vor allem aber für die prachtvollen Abhandlungen, auf die ich mich herzlich freue.

Ich freue mich darauf, Sie heute abend begrüßen zu dürfen.

Mit herzlichen Grüßen und mit dem Ausdrucke vorzüglichster Hochachtung Ihr aufrichtig ergebener Emmanuel de Marnay Baruch

 

380. Emmanuel de Marnay Baruch an C.H.B. London, Ritz, 3.8.1923

Seiner Exzellenz Herrn Reichsminister1 Professor Dr. C.H. Becker

Euere Exzellenz!

Damit Eure Exzellenz ersehen morgen, welch hohen Genuß ich den beiden Broschüren verdanke, welche Sie die große Güte hatten, mir zu verehren, erlaube ich mir Eurer Exzellenz einen kleinen, allzuflüchtig hingeworfenen Aufsatz über meine künstlerischen und literarischen ‚Deutschlandeindrücke’ zu übersenden, der unlängst in der leitenden deutschen Zeitung Amerikas erschien.

In wenigen Tagen hoffe ich wieder deutschen Boden betreten zu dürfen und sehe neuen Eindrücken mit Spannung und nicht ohne Sorge entgegen.

Hoffentlich geht es Ihnen auf das Beste, und Sie schöpfen aus Ihrer prachtvollen neuen Tätigkeit für das Reich mit großer Verantwortung zugleich Genugtuung und manche Freude. Das Vaterland aber ist in keiner wahrhaften Gefahr, solange es solche Männer besitzt und sie zu seinen Führern erklärt.2

Mit den herzlichsten Grüßen und dem Ausdrucke aufrichtiger Verehrung

Euer Exzellenz ganz ergebener Prof. Dr. Emmanuel de Marnay Baruch

Adresse: Diskontogesellschaft Frankfurt a.M.

Anhang
Sonntagsblatt Staatszeitung und Herold

New York, Sonntag, den 13. Juli 1923

(Nach einer Tour d’horizon durch Deutschland und Österreich, die ihn begeisterte, schreibt er im letzten Absatz wie folgt:)

So blüht und gedeiht doch unentwegt das künstlerische und geistige Leben Deutschlands, und das vermag keines Feindes Tücke zu zerstören.

Dasselbe gilt vom wissenschaftlichen Leben. Will man wissen, wie sehr man in Deutschland auch am Fortschritt der Hochschulen arbeitet, trotz der Zeiten Schwere, wie klar man sieht, wie wenig man sich zufrieden damit gibt gibt, die deutsche Hochschule als etwas unerreichbar Vollendetes zu betrachten, so lese man die prachtvollen und höchst bedeutsamen Schriften des jetzigen Reichsministers und früheren Kultusministers C.H. Becker. So seine Gedanken zur Hochschulreform, eine geradezu epochemachende Reihe von Abhandlungen, welche eine fast verblüffende klar- und weitsehende Kritik des deutschen Hochschulwesens darstellen, wie sie bis jetzt wohl nie geübt worden ist, und ein bedeutsames, konstruktives weitreichendes Programm für die Zukunft entwickelten. Von nicht geringerer Bedeutung, ja wohl die Grundlage des vorgenannten Werkes bildet des Verfassers Buch ‚Kulturpolitische Aufgaben des Reiches’, eine Schrift von einem staatsmännischen Blick und einer Erkenntnis der kulturvollen Notwendigkeiten des deutschen Volkes und seiner internationalen Aufgaben, die wohl einzig dastehen dürfte.3

 

381. Telegram Baruchs an C.H.B. New York 31.12.1930

Herzlichste Segenswünsche. Gruesse de Marnay Baruch


1 Zwar war Preußen damals der größte Bundesstaat, aber deswegen war Becker kein Reichsminister – obwohl er die deutsche Kulturpolitik zweifellos prägte; heute teilen sich seine Aufgaben die Kultusminister von Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen, Hohenzollern, i.e. Baden-Württemberg …

2 Hervorhebung vom Herausgeber.

3 Übrigens wurde der gesamte Text in Fraktur gedruckt!

Sir Horace Rumbold, 1929

HA VI. Nachl.C.H.Becker. Rep 92 B. Nr.6214

376. Der Britische Botschafter Sir Horace Rumbold an C.H.B. Berlin, 12.6.1929

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Dr. Becker!

Ich erlaube mir hierdurch, Euer Exzellenz den Überbringer dieses Briefes, Sir Albion Banerji, C.S.I, C.I.E., ergebenst zu empfehlen. Sir Albion war Minister für Politische Angelegenheiten und für das Auswärtige in den indischen Staaten von Dschammu und Kaschmir, und wird von der indischen Regierung befürwortet und empfohlen; er befindet sich zurzeit auf einer Studienreise in Europa, wo er gern eine Reihe politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse kennen lernen möchte. Zu diesem Zwecke liegt es ihm sehr viel daran, die hiesige Universität zu besichtigen, und ich wäre Euer Exzellenz daher ganz besonders verbunden, wenn Sie die Güte hätten, ihm die nötige Erlaubnis zu gewähren.

Im voraus bestens dankend, verbleibe ich mit vorzüglichster Hochachtung, Euer Exzellenz sehr Ergebener, (gez.) Horace Rumbold

Schloßschule Salem, 1924

HA VI Nachl. C.H.Becker. Rep 92 B. Nr.6283

375. Staatsekretär Professor Dr. C.H. Becker an Prof. Otto Baumann, Schloßschule Salem. Berlin, 5.1.1924.

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Als einer der Väter, die ihre Kinder der Salemer Schloßschule anvertraut haben, bin ich Ihnen dankbar, daß Sie mich sofort von den Angriffen in Kenntnis gesetzt haben, die in letzter Zeit in der Salemer Presse laut geworden sind. Diese Angriffe haben mich um so mehr überrascht, als ich anläßlich der Beerdigung des unvergessenen Geheimrat Reinhardt zu beobachten die Gelegenheit hatte, daß dieser bedeutende Pädagoge, der sein letztes großes Lebenswerk in der Schloßschule errichtet hatte offenbar von dem ganzen Salemer Tal aufrichtig betrauert wurde. Die Angriffe müssen also wohl von zugewanderten und völlig unorientierten Leuten ausgehen; denn die urdeutsche und echt badische Bodenständigkeit der Schloßschule ist doch für jeden Sachkenner ebenso augenscheinlich, wie der vaterländische Tradition und Aufgeschlossenheit für die Gegenwart harmonisch verbindende Geist, in dem sämtliche Pädagogen der Anstalt sich zu einzigartiger Gemeinschaft zusammengefunden haben. Was Sie und Ihre Mitarbeiter, insbesondere auch Herr Kurt Hahn, in Salem an Erziehungsarbeit leisten, darauf ruhen die Augen des ganzen pädagogisch interessierten Deutschlands. Ich habe seit der Begründung der Schloßschule diese Arbeit verfolgt und darf Ihnen bei dieser Gelegenheit wohl aussprechen, daß ich nicht nur als sachverständiger Fachmann der in Salem geleisteten Arbeit höchste Anerkennung zoll, sondern daß ich auch als Vater die praktische Konsequenz daraus ziehe und Ihnen nun bereits das zweite Kind anvertraut habe, das ich mir körperlich, seelisch und geistig nirgendwo besser aufgehoben denken kann als in der Salemer Schloßschule. Was hier, namentlich auch unter Herrn Hahns sittlichem und patriotischem Einfluß, den Kindern an erziehlichen Werten der Gemeinschaft geboten wird, geht weit über das hinaus, was das harmonischste und gebildetste Elternhaus bieten kann.

Sollten die Angriffe gegen die Anstalt Ihnen eine Bekanntgabe dieses Briefes wünschenswert erscheinen lassen, so bitte ich Sie, jeden beliebigen Gebrauch von ihm machen zu wollen.

Mit den besten Wünschen für das bevorstehende Abitur und für die endgültige Neuregelung der Leitungsfrage

In besonderer Hochschätzung Ihr ergebenster (C.H.B.)

Franz Babinger, 1909-33

HA. VI Nl. C.H.Becker. Nr.6181

320. Franz Babinger1 an C.H.B., Hamburg Würzburg, 14.6.1909

Hochverehrter Herr Professor,

Soeben erhalte ich Ihren frdl. Brief vom 13. Juni (1909) mit beiliegendem Zeitungsausschnitt. Für Ihre überaus große Liebenswürdigkeit und Bemühungen bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Professor, meinen herzlichsten Dank entgegennehmen zu wollen. Die Mitteilungen Prof. Ridgeways’s sind für mich von außerordentlichem Wert, da sie mir eine Reihe von Gesichtspunkten eröffnen. Allerdings gestaltet sich die Sache immer verwickelter, je mehr man in dieselbe eingedrungen zu sein glaubt. Ich werde mir nun umgehend die Nummer des Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland senden lassen, um den betreffenden Artikel einsehen zu können.

Ich bin natürlich mit größtem Vergnügen bereit dem mir von Ihnen erwähnten Herrn Dr. Paul Ruben-Hamburg meine bisherigen Ergebnisse in dieser hochinteressanten Sache mitzuteilen. Im übrigen werde ich kommenden Sommer mich einige Tage in Hamburg aufhalten, wobei ich Gelegenheit nehmen werde mit ihm mündlich über die Sache zu sprechen. Es würde mich riesig freuen, wenn ich das Vergnügen haben sollte, Sie, sehr geehrter Herr Professor, persönlich begrüßen zu können und Ihnen in persona meinen Dank für ihre Freundlichkeiten auszusprechen. Jedoch werden Sie wohl bis dahin nicht mehr in Hamburg anwesend sein.

Neulich ist mir die Mitteilung Herman Vambéry’s in die Hände gekommen wonach er bei den Turkmanen ebenfalls Anzeichen für die Verehrung des Halbmondes antraf. Im übrigen glaubt Vambéry, daß bei dem Halbmond als Regierungswappen nicht sosehr Hillâl als vielmehr der vom Propheten vollbrachten Mondspaltung (?) tonangebend gewesen sein mag. Ich kann daran nicht glauben, wenngleich auch Andere wie Ernst Lindl-München dieselbe Ansicht vertreten. Th. Nöldeke hat mir gegenüber einmal die Ansicht als „einfältig und grundverkehrt“ bezeichnet, wohl mit Recht. Für die (natürlich falsche) Erklärung des arab. (Allah?, in arabisch …) aus dem Einheitsbekenntnis wurde mir ein neuer Beleg im Lisân Bd.14 von bekannter Seite mitgeteilt. Ferner wurde ich noch auf eine heraldische Arbeit von Rogus-Bey verwiesen, der auf altägyptische Beziehungen hinweist. Die betreffende Schrift ist mir bisher nicht zugänglich, da ich erst die Zeit nehmen muß, Sherman’s O.-B. durchzusehen, um den genauen Titel in Erfahrung zu bringen. Ebenso war es mir unmöglich, das Werk Yacoub Artin Pacha’s Contribution à l’Etude du Blason en Orient aufzutreiben, wo sich ebenfalls verschie-dene Literaturangaben finden sollen. Hier in Würzburg ist das Buch nicht anzutreffen. Was das Vorkommen des Halbmondes auf altorientalischen Münzen (angeht), so habe ich nicht viel darüber erfahren können. Auf Sarre’s Anraten habe ich mich mit Prof. Nützel in Verbindung gesetzt und werde ich mich selbst einige Tage nach Berlin begeben, um in der muham(medanischen) Abteilung des Münzkabinetts Studien zu machen. In gleicher Weise werde ich dort die von Abehardt in seinem Katalog der arabischen Handschriften in der Königlichen Bibliothek zu Berlin verzeichneten Manuskripte über die Mondspaltung durch den Propheten (…) einzusehen Gelegenheit haben.

In Ihrem frdl. Brief erwähnen Sie ferner (weggelocht!) die auf altheidnische Vorstellungen zurückgehenden frühchristlichen Darstellungen der kl(einen?) Maria auf dem Halbmond. Dieses Vorkommen des Halbmondes in Verbindung mit der Jungfrau hat, soviel ich zu beurteilen in der Lage bin, wohl eine symbolische Bedeutung. Ich erinnere Sie nur, sehr geehrter Herr Professor, an die sog. österreichischen Marientaler, auf denen sich ebenfalls diese Zusammenstellung findet. Sollte darin nicht der Sieg des Christentums über den Halbmond zum Ausdruck gebracht sein?2 In meiner Münzsammlung besitze ich auch einen bayer(ischen) Taler von Ludwig II. (1870), der auf dem Revers die gleiche Darstellung, Maria mit dem Kind auf dem Halbmond stehend zeigt.

Indem ich ihnen noch einmal für Ihre großen Liebenswürdigkeiten meinen verbindlichsten Dank ausspreche, verbleibe ich in vorzüglicher Hochachtung stets

Ihr ergebener (gez.) FranzHBabinger

Postscriptum

Was die babylonischen Darstellungen angeht, so werde ich Gelegenheit haben, mich darüber im Juli oder August persönlich mit dem jetzt zur Erholung von schwerer Krankheit im Süden weilenden Assyriologen Hilprecht, der, wie Ihnen wohl bekannt ist, Sommers in Hailer bei Meerhoff (Hessen-Nassau) weilt, zu besprechen. Vielleicht weiß übrigens auch Max Streck mich darüber aufzuklären. Wenn Sarre sagt, daß sich der Halbmond auch auf ägyptischen Darstellungen findet, so glaube ich daran zweifeln zu dürfen; denn bis dato ist mir nicht das Geringste davon aufgefallen und berichtet worden.

Zum Schlusse gestatte ich uns Ihnen mal die Ansicht einen Laien (meines Erachtens) beizufügen … aus der Augsburger Abendzeitung 1909 … und zwar in dem Aufsatz eines … E. Witte, betitelt „Sagen und Prophezeiungen über Konstantinopel“:

  • „… Die Schutzgöttin des heidnischen Byzanz war die Göttin Hekate. Als im Jahre 340 v. Chr. die Makedonier unter Philipp … die Mauern nächtlicherweise zu erstürmen suchten erschien plötzlich ein Nordlicht am Himmel, dessen Schein den Byzantinern den drohenden Anschlag enthüllte und sie in den Stand setzte, ihn noch rechtzeitig zu vereiteln. Zum Dank errichteten sie der Göttin am Ufer der Meerenge eine Bildsäule, vor der sie eine Tag und Nacht brennende Lampe unterhielten. Auch ließen sie ihr zu Ehren auf ihren Münzen einen Halbmond prägen: man sieht darauf den Halbmond samt einem kleinen Sterne; so erklärt sich der Ursprung des türkischen Wappens, ein Stern, der neben der Mondsichel glänzt …“

Ich glaube, hier ist Giordano Bruno’s Wort ganz am Platze: „Sèn non è vero, è molto ben trovato“:

Indem ich Sie, hochgeehrter Herr Professor, nochmals ersuche, für Ihre liebenswürdigen Aufschlüsse meinen besten Dank entgegen zu nehmen, verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster (gez. ) FranzHBabinger

PS. Um noch das Vorkommen des Halbmondes auf Münzen zu erwähnen, so bemerkt F.Sarre, daß sich der Halbmond mit Stern auf den Drachmen des Arsakiden Thrahases IV findet (hier fällt freilich auf, daß ihn nur ein Arskide auf seine Münze setzte). Weiteres wird er hie und da seit dem ersten Jahrhundert der Higra auf muhamm(edanischen) Münzen in Syrien, Mesopotamien und Persien angetroffen, auch die Sultane von Ikonium führten ihn im 12.-13. Jahrhundert auf ihren Münzen: auf türkischen erscheint er erst zweifellos unter Murad II (1421-1451). FB

 

321. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 12.1.1918

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Geheimrat,

heut Nacht völlig durchkältet und weidlich ausgehungert aus Breslau zurückgekehrt, wo ich noch dienstlich zu tun hatte, beeile mich mich Ihnen ein paar Abdrücke jener auf so eigenartige Weise entstandenen ungarischen Abhandlung über die altszékler Kerbschrift zuzusen-den; einen Sonderdruck des deutschen, in der Ungarischen Rundschau veröffentlichten Aufsatzes besitze ich leider nicht mehr, dafür lege ich eine S(onder) A(usgabe?) aus Kéleti Szemle bei, wo ich das ganze Problem der Kerbinschrift nochmals aufwarf.

Auch ein Exemplar meiner Doktorschrift füge ich bei; E. Windisch hatte die Freundlichkeit sie in seiner Geschichte der Sanskritphilologie, freilich über Gebühr, zu unterstreichen.

Meine Bemühungen um Wiederverwendung in der Türkei sind in sofern von Erfolg begleitet, als ich gestern von der Heeresgruppe F drahtlich angefordert wurde. Am kommenden Mitt-woch werde ich wieder in Berlin sein, um mich einkleiden zu lassen. Der Tag der Abreise dürfte dann nicht mehr allzufern sein, worüber niemand froher ist als ich.

Herrn Prof. E. Mittwoch durfte ich auf dem Abend der persischen Kolonie kennen lernen, wo ich auch die Bekanntschaft von J. Marquardt machte, der mich sehr interessierte. Der ganze Abend verlief sehr nett; besonderen Spaß machte mir die ernstliche Versicherung eines türkischen Herrn, daß er mich für einen Osmanen gehalten habe und erst von Imhoff-Pascha aufgekärt wurde, daß ich Deutscher sei.

In Verehrung und Dankbarkeit stets Ihr ganz ergebener

(gez.) Franz Babinger.

 

322. Franz Babinger an C.H.B. Berchtesgaden, 11.8.1919

Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär,

Ihre gütigen Zeilen aus Gelnhausen vom 6.8. haben mich auf dem Umweg über Würzburg schließlich hier erreicht und ich beeile mich Ihnen für die so liebenswürdige Bereitwilligkeit, mir ein paar Stunden der Unterhaltung zu widmen, angelegentlichsten Dank zu sagen. Ich bin auf dem Sprung nach Wien, wo ich in allerlei Isl(amica?) Einblick nehmen möchte, ein paar Tage mit meinen Angehörigen hier in Berchtesgaden beisammen, also nicht einmal in Würzburg und damit in der Nähe Gelnhausens. Es träfe sich sehr gut, wenn ich etwa Ende des Monats, wo ich ganz gut Zeit für eine Fahrt nach Berlin gewinnen kann, mich bei Ihnen melden dürfte. Der Sicherheit wegen werde ich, Ihren Rat befolgend, mich brieflich anmelden.

Ich habe hier, d.h. in Wintermoos, unlängst Frl. Berta Schmidt getroffen, der es sehr gut geht.

Mit der erneuten Versicherung stets aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit und der Bitte, mich der gnädigen Frau vielmals zu empfehlen, verbleibe ich,

hochverehrter Herr Staatssekretär, stets Ihr ganz ergebener Franz Babinger.

 

323. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 30.9.1919

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär,

nach Hause zurückgekehrt beeile ich mich Ihnen auf diesem Wege nochmals herzlichsten Dank zu sagen für die gütige Aufnahme in Halle und Berlin. Die Stunden der Unterhaltung im Deutschen Haus bleiben mir eine besonders wertvolle Erinnerung. Ich habe eine Menge Eindrücke davon mitgenommen. Nicht minder wertvoll war mir die Vollversammlung der DMG3 in Halle, bei der ich auch allerlei gelernt habe. Eines ist mir völlig klar geworden: daß es so nicht weiter gehen kann und ich freue mich, daß ein noch ein guter Teil andrer Teilnehmer mit dem nämlichen Bewußtsein aus Halle geschieden ist. Ebenso unerfreulich war der Einblick, den im Verlauf Ihres Gesprächs mit Herrn Mahrholz in das politische Getriebe habe nehmen dürfen. Unsereiner ist in diesen Dingen auf die Zeitungen angewiesen, zu denen ich schon längst das Vertrauen verloren habe,, so verloren habe, daß ich seit Wochen kein Blatt mehr anrühre. Ich bin immer noch überrascht von der Fixigkeit, mit der vor bald einem Jahr die Presse ihre alten Götzen weggeworfen hat, um neue zu begrüßen, und ich weiß nicht, ob das wunderlicher ist oder die Schnelligkeit, mit der die Öffentlichkeit sofort der erleuchteten Führung der Zeitungen folgte. Es gibt bei uns sehr viele verschiedene Meinungen und sehr wenige selbständige; wer nicht altständig, kirchlich oder genossig ist, kommt vor lauter Herausbildung politischer Theorie niemals zu ihrer praktischen Erprobung. Die Unlust zu ärgervoller Betätigung und die bequeme Gewöhnung, regiert zu werden, hat uns die Pflicht vergessen lassen, uns am öffentlichen Leben zu beteiligen. So wenig ich die Überzeugung teilen kann, daß für Deutschland das Heil in der Demokratie beruht (ich habe darüber lange mit Ihrem Herrn Schwager in Augsburg gesprochen!)4, so fest bin ich davon überzeugt, daß ein besserer Zustand niemals durch theoretische Schlagworte (wie „Selbstbestimmung“ usw.) herbeigeführt wird, sondern durch tätige Mitarbeit in den engeren und weiteren Kreisen, deren Mittelpunkt das eigene Leben ist. Und indem man sich durch Blamagen nicht verdrießen läßt.

Wenn ich, um bei diesem Gegenstand zu bleiben, von meiner persönlichen Meinung sprechen darf, die übrigens durch die Unterhaltung in Berlin erheblich verstärkt wurde, so liegt die größte Gefahr zurzeit darin, daß diejenigen, die gegenwärtig tatsächlich Politik treiben, von der Politik und vom Staat viel zu viel erwarten. Ohne saubere Gesinnung und Opferwilligkeit nützt die schönste Verfassung wenig; und diese Dinge wurzeln vielleicht am besten in der Familie und in den Staatskirchen. Alles, auch die notwendige Verständigung mit dem politischen Gegner läuft leichter, wenn anständige Naturen durch ihren sittlichen Optimismus immer mehr die Dämpfe des Neides und Mißtrauens vertreiben, die vielen für politische Lebensluft gelten und vielen passiven Naturen die Lust am öffentlichen Leben verderben. So überaus ich mit allen andern damals bedauerte, daß unserer engeren Wissenschaft Ihre Kräfte zunächst entzogen sind, so sehr freue ich mich jetzt, daß sie Ihrem derzeitigen Amt zugute kommen, dessen Bedeutung unendlich viel wichtiger als Ihre frühere Stellung ist. Es steht in unserem Bildungsleben Großes auf dem Spiel.5

Ich benutze die Gelegenheit, Ihnen einen SA6 des Artikels Josef Wolff zu übersenden, den ich für ein Sammelwerk fertiggestellt habe. Vielleicht nehmen Sie sich Zeit und Mühe, die paar Seiten einmal durchzulesen. Es war nicht leicht, das selten bewegte Leben dieses Mannes übersichtlich und zugleich leslich auf einigen Seiten zu schildern. Es war eine seltsame Größe, mit einer sehr feinen Empfindung dafür, wo man sich sozial am besten bettet, und mit einem herrlichen Maß kritikloser Leidenschaft für eine Idee. Daß diese Idee falsch war, macht den (mir nicht sympathischen) Mann nicht kleiner. Vielleicht hat mancher Spaß an der Darstellung, besonders solche, die persönliche Größe (+ etwas Humbug) über den intellektuellen Erfolg stellen.

In stets aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit bin ich

Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger

 

324. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 4.10.1919

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär,

die gütige Teilnahme, die Sie meinem Leben zuwenden, veranlaßt mich, Ihnen in der Anlage einen Brief von Jensen zu übersenden (mit der Bitte um gelegentliche Rückleitung), der Sie vielleicht schon mit Rücksicht auf unsere diesbezüglichen Besprechungen ein wenig interessiert. Ich kenne Jensen aus eigener Erfahrung und aus Schilderungen und – Warnungen andrer viel zu genau, als daß ich mir darüber Gedanken machte.7 Ich habe ihm ganz einfach erwidert, daß ich viel zu praktisch und zu real veranlagt sei, als daß ich mich mit Gegenständen befaßte, die im Gebiete transcendenter Vorstellungen liegen. Von einer Reibung zwischen ihm und mir könne in wissenschaftlicher Hinsicht gar keine Rede sein, da meine Interessen auf ganz andere Gegenstände gerichtet seien. Ich wollte ihm noch schreiben, daß ich gerne meine Einnahmen aus den Kolleggeldern zur Verfügung stellen wolle; aber das ging dann doch nicht recht gut. Das Ulkigste ist, daß er mich für eine Art Carnegie hält. Summa summarum: ich denke gar nicht daran, Marburg aufzugeben. Im übrigen gilt die Losung des Pariser Polizeibeamten bei Alex(andre) Dumas d.Ä.: cherchez la femme. Ich meine: letzten Endes. Grund zum ganzen Brief war irgendein Bericht über Hallesche Vorgänge, wo ich vielleicht im Gespräch mit einem Fachkollegen ertappt wurde, der Jensens Billigung nicht findet. Wen dürfte ich aber dann nicht meiden? Herr Eheloff ist Jensens damad8 in spe, wie Brock(hausen) neulich erzählte. Ich habe den schweren Verdacht, daß Ritter und ich manchen Leuten als zu modern erschienen sind, u.a. auch Zimmern, der mit Jensen ja noch ganz gut steht. Ich will das Reich der Mutmaßungen verlassen.

Als … (arabischer Text) zu meiner Arbeit komme ich auf sehr wichtige und interessante Gebiete; so beschäftigt mich gerade im Zusammenhang mit meiner Habilitationsschrift die Untersuchung, wieweit im Islam kommunistische Ideen wirksam gewesen sind. Ich habe einen Fall zu behandeln, der als Gegenstück zu den letzten Putschen geradezu klassisch ist. Eine Leidener arabische HS(?) gibt köstliche Dinge darüber zum besten. Der Gedanke der (arabischer Text) oder wie man das eben heißen will, muß im Islam einmal verfolgt werden.-

Dann habe ich eine Bitte: wie lautet der Titel des Buches von al-Sairafí über das ägyptische Kanzleiwesen? Ich suche dauernd nach Qalqaschandi’s Stilkunst, kann sie aber nirgends bekommen. Das sind interessante Fragestellungen, denen man auch einmal nachgehen muß.

Ich will schließen. Ich verbleibe, hochverehrter Herr Staatssekretär, in tiefster Dankbarkeit und Verehrung stets Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger.

 

325. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 6.10.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger,

mit der Bitte, sich mir gegenüber der gleichen freundschaftlichen Anrede bedienen zu wollen, verbinde ich meinen herzlichen Dank für Ihre beiden Briefe.

Die Wolff-Biographie habe ich gestern mit Interesse gelesen und mich wieder Ihrer vielseitigen Kenntnisse gefreut. Sir H. Drummond Wolff ist mir natürlich ein alter bekannter, doch habe ich nie geahnt, wie nahe dieser englische Aristokrat dem Ghetto stand. Also vielen Dank!

Der Brief von Jensen ist äußerst interessant. Der arme kranke Mensch! Natürlich steckt irgend ein Echo von Halle dahinter. Hoffentlich ist es nicht ein Schatten von mir, der hier auf den sonnigen Pfad Ihres Lebens fällt: denn daß Sie zu mir und meinem Kreis gehören, ist in Halle wohl auch den Blinden klar geworden. Jensen hat sich einst mit großem Vertrauen an mich gewandt und mir seinen ganzen Mohammed Mythus brieflich entwickelt. Ich schrieb mit einigen Worten des Dankes zurück und verschob eine Stellungnahme. Ein zweiter Brief drängte mich zur Entscheidung; ihn ließ ich schließlich unbeantwortet. Nun kann ich verstehen, daß das einen Menschen kränken muß, der seine Mission in der Lösung dieser Frage erblickt. Aber ich war damals wirklich schon Geheimrat und war auch nicht Arzt genug, um dem Problem von dieser Seite ein Interesse abgewinnen zu können. Ich will jetzt einmal diese beiden Briefe heraussuchen, da sie für Sie zweifellos Interesse haben werden; dann Sie müssen über das Thema orientiert sein, wenn es natürlich auch richtiger ist, daß Sie sich ihm gegenüber nicht auf eine Diskussion einlassen. Bezold, mit dem ich dieser Tage hier sprach, meinte, daß Sie bei aller Meinungsverschiedenheit doch gut mit Jensen auskommen würden, da er großzügig genug sei, dem Nachbarn Licht und Luft zu lassen. Jensens Brief scheint dem zu widersprechen. Suchen Sie ihn doch damit anzulocken, daß auch weitere Kreise für die Orientalistik orientiert würden, wenn mehr Lehrkräfte zur Stelle sind. Und appellieren Sie in irgend einer menschlichen Form an den vornehmen, anständigen und großzügigen Kern, der doch schließlich aller äußeren Verrücktheit Jensens zu Grunde liegt. Schmerzlich wäre mir nur an der Sache, wenn wirklich Eheloff dahinter steckte. Er ist mir so sehr gelobt worden und scheint ja auch ein feiner Mensch zu sein, aber der erste Eindruck enthielt eine leichte Beimischung aus Subalternität, die mir fatal war.

Daß es von Qalqaschani’s Stilkunst zwei Ausgaben gibt, die aber nur den ersten Teil umfassen, ist Ihnen wohl bekannt. Ich habe beide, könnte Ihnen also zur Not aushelfen. Wichtiger, aber das

(Fortsetzung fehlt!)

 

326. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 8.10.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

heute möchte ich Ihnen, weil ich gerade daran denke und solche Dinge gar nicht früh genug in die Wege geleitet werden können, sagen, daß Goldziher am 22. Juni 1920 seinen 70. Geburtstag begeht. Ich meine, wir sollten diesen Anlaß zu einem besseren sertum islamicum benutzen als es 1910 von deutscher Seite geschah, wo nur Bezold seine Freunde und Verehrer in der ZA vereinigte und so wenigstens ein Festbündel flocht. Solche Gelegenheitsbände von Zeitschrif-ten haben, für mich wenigstens, immer ein etwas flüchtiges Gepräge und ich dächte, wir sollten zum 70. Jubelfest G(oldzihers) einmal eine wirkliche Festschrift zustandebringen, wie man sie etwa Kuhn und dem ‚ewigjungen’ Sachau darreichte. Ich bin sehr auf Ihre Äußerung gespannt. Das wäre auch eine Gelegenheit, einmal die feindlichen Lager unserer deutschen Orientalistik wieder etwas zu versöhnen, vielleicht wäre noch zu überlegen, ob nicht das gegnerische Ausland heranzuziehen wäre. Browne, den übrigens Herzfeld völlig falsch beurteilt, machte sicherlich mit.

Ich benütze die Gelegenheit, Ihnen von einem Brief Richard Hartmanns Kenntnis zu geben, der Sie sicherlich interessieren wird; ich weiß zwar nicht, ob ich die Erlaubnis habe ihn weiterzureichen. Für Ihre Person nehme ich mir sie eben und bitte nur, dritten Personen gegenüber seinen Inhalt vertraulich zu behandeln. Ich frage H(artmann) demnächst, ob ich ihn nicht auch Herzfeld schicken darf. Es ist alles Mögliche darin enthalten, was Beachtung verdient. Und es ist gut, wenn derartige Meinungsverschiedenheiten beizeiten beseitigt werden.

Meine Arbeit habe ich am 24. September eingereicht und folgende vier Themen für die Probe- bzw. Antritts-Vorlesung vorgeschlagen:

    1. Sozialismus und Islam
    2. Die Schí a im osmanischen Reich
    3. Die Anfänge des Sefewidenreiches
    4. Die Staatsidee im Islam.

Ich besäße sehr gerne Jensens autographierte Abhandlung über Muhammed, um gegen anfällige Fragen gerüstet zu sein; er wird ja doch im sog. Colloquium davon anfangen. Schreiben mag ich ihm nicht, um ihm von vorneherein jeden Anknüpfungspunkt zu benehmen. Darf ich Sie an Ihr freundliches Versprechen erinnern, mir einmal jenen großen Brief J(ensens) zu zeigen, in dem er von seinen Ansichten über Muhammed handelt?

Sollten Sie einmal Ihre Kairo-Literatur wieder zur Hand nehmen, so denken Sie vielleicht an jene (arabischer Ausdruck), die ich leider selbst vergeblich suchte. Maqrízí’s Hitat sind mir leider hier nicht zugänglich; mein eigenes Exemplar ist, wie so manches andere, noch in Damaskus.

Im Islam lege ich von jetzt ab in der Bibliographie besondren Wert auf die ausländische Literatur; Browne sendet mir seine sämtlichen Bücher und Aufsätze seit Kriegsausbruch und auch aus Spanien und Italien erhalte ich von alten Bekannten wertvolle, in Deutschland kaum bekannt gewordene Neuerscheinungen unsres Faches.

In steter aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung verbleibe ich

Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger.

P.S. Ritter will meine Arbeit im übernächsten Islam-Heft bringen, was ich ganz reizend von

ihm finde. FB

 

327. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 19.10.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

Jensen geht mir allmählich doch auf die Nerven. Er hat mir folgenden Brief geschrieben,

der doch etwas stark nach Gründen zu suchen scheint, mir den Aufenthalt in Marburg wo nicht zu vereiteln so doch später unmöglich zu machen. Ich muß gestehen, daß mich das alles etwas beunruhigt, so wenig ich mich durch solche Dinge sonst aus dem seelischen Gleichgewicht bringen lasse. Meine Achillesferse liegt auf ganz anderem Gebiet, wie Sie ja wissen. Ich muß mir nun, da ich sonst niemand habe, der mir hier raten könnte, Ihren gütigen Rat erbitten und Sie zunächst fragen, ob Ihnen die Form richtig erscheint, in der ich J(ensen) geantwortet habe. Der Grund, warum er mir diesen Brief geschrieben hat, ist wohl nur der, daß ich nicht auf seine Worte schwörte. Hichaeret qua.

Länger als zwei Semester werde ich schwerlich in Marburg aushalten können; das sehe ich schon und überlege mir, ob es nicht besser gewesen wäre, nach Göttingen zu Lidzbarski zu gehen.

Ich bin in einem Zustand etwas nervöser Ratlosigkeit und überaus gespannt, Ihre Meinung zu hören.

In herzlicher Dankbarkeit und Verehrung bleibe ich stets

Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger

PS 1: Den Brief an J(ensen) bitte ich, falls Ihnen die Form zusagt, zur Post gehen zu lassen.

PS2 handschriftlich, wohl mit Bezug auf den Brief an Jensen (liegt nicht bei): Die ‚eine Ausnahme’ ist Bergsträßer, dem ich in Stambul mal den ‚Leutnant’ rauskehrte, als er den ‚Unteroffizier der Reserve’ nach meinem Empfinden zu stark betonte. Dr. Ritter kennt die Geschichte ganz genau. Mit Jacob stehe ich jetzt geradezu glänzend! Aber wer sind ‚die anderen’? FB.

 

328. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 23.10.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger,

Ihren Brief an Jensen habe ich zweimal beschlafen, ihn aber dann ruhig abgehen lassen. Sie haben offen und männlich an ihn geschrieben, und jeder vernünftige Mann wird Ihre Stellung-nahme nur billigen. Wie Ihr Brief auf Jensens krankes Gemüt wirken wird, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Jedenfalls können Sie sich darauf verlassen, daß, wenn die Dinge schließlich doch noch schief gehen, ich unbedingt so energisch für Sie eintreten werde, daß Ihre Übersiedlung nach Göttingen keinen Schwierigkeiten begegnen wird. Wenn ich ganz ehrlich sein darf, so kann ich wohl verstehen, daß Jensens überreizter und überscharf sehender Blick an einzelnen Untertönen Ihrer früheren Briefe Anstoß genommen hat. Ich könnte mir z. B. denken, daß er sich von Ihnen ‚behandelt’ fühlt, und dagegen protestiert ganz naturgemäß, was noch gesund in ihm ist. Immerhin hoffe ich, daß er doch noch so vernünftig ist, sich mit Ihnen glatt zu verständigen. Den Gedanken, von mir einmal an Jensen zu schreiben, um ihn meinerseits über Sie aufzuklären, habe ich zurückgestellt, da ich davon den gegenteiligen Effekt befürchte, und zwar auf Grund der Vorgänge, die Sie kennen. Jedenfalls ist an Ihrer vollen Loyalität in dieser Sache nicht zu zweifeln, und ich hoffe, daß alles in Ordnung kommt. Nur lassen Sie sich Ihre Nerven davon nicht ankratzen; es wäre schade darum, und das ist die Sache nicht wert. Auf einen gesunden Menschen wie mich würden derartig offene und ruhige Briefe nur ungemein sympathisch wirken. Natürlich stehe ich Ihnen auch weiterhin jederzeit gern mit meinem Rat zur Verfügung.

In freundschaftlicher Gesinnung Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

329. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 27.10.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

ich beeile mich, Ihnen für Ihre gütigen Zeilen meinen aufrichtigen Dank zu sagen. Ich kann mir sehr wohl denken, daß meine Worte ein krankhaftes Gemüt wie J9. verletzen können. Es liegt schon in der Art der manisch-depressiven Naturen, überall da Angriffe und hämische Bosheiten zu vermuten, wo gar keine sind. Ich will ganz offen sein: ich habe J(ensen). keine begeisterten Briefe geschrieben und er mag ganz richtig zwischen den Zeilen herausgelesen haben, daß ich ihm „etwas“ fremd gegenüberstehe. Eigentlich hätte er schon bei unserer flüchtigen Bekanntschaft nichts anderes erwarten dürfen, ganz abgesehen davon, daß uns beide wirklich Welten trennen. Nicht bloß wissenschaftlich, sondern auch persönlich. Das mußte ihm doch klar sein. Dann scheint ihn geärgert zu haben, daß ich auf seine wissenschaft-lichen Arbeiten einzugehen sozusagen abgelehnt habe. Das kränkte ihn vielleicht am meisten. Ich bin weit entfern, Herrn J(ensen) meinen Respekt zu versagen; den bin ich dem 60jährigen Mann schuldig. Aber ich sehe nicht ein, warum ich mich ihm um den Hals werfen soll. Das geschieht bis jetzt nicht und wird niemals der Fall sein. Dieses „innerliche Näherkommen“, von dem er dauernd spricht, ist doch wirklich nicht nötig. J. steht meinen Studieninteressen so fern gegenüber wie Herr Schücking und über eine Arbeit könnte Herr Budde oder Geldner ebenso gut referieren. Oder ebenso wenig. Ich habe doch weiß Gott mit Herrn J. nicht ge-meinsam und ich werde mich schwer hüten, bei ihm jemals diese Meinung zu stärken. Ich weiß sehr wohl, es ist eine wenig kluge Gepflogenheit von mir, mich jedem Menschen gegenüber ungefähr so zu geben, wie ich zu ihm fühle. Das ist riesig undiplomatisch, aber ich halte es da mit Lessing: was ich den Leuten zu sagen habe, sage ich Ihnen ins Gesicht und wenn sie darüber bersten sollten. Herr J. hat mir noch nicht geantwortet. Da aber die Gabe, sich wider-sprechen zu lassen, überhaupt nur eine Gabe ist, die unter Gelehrten nur die Toten haben, so steht nicht zu erwarten, daß er mir irgend eine „Freundlichkeit“ erwidert. Der Ton wird ganz von dem Gemütszustand abhängen, in dem er den Brief abfaßt.

Es ist aber ein unerhörter Fall, daß man einfach von der Gnade eines Mannes in dieser Form abhängig ist. Es muß da mal ein Wandel eintreten. Alle Achtung vor einem Ordinarius, vor einem verdienten Gelehrten. Aber es geht doch wirklich zu weit, daß die Habilitation an einem bestimmten Ort einfach von der Laune eines solchen Herrn abhängig ist. Sie werden denken, ich spreche revolutionär etwa wie mein Freund Mahrholz. Das ist aber gar nicht so, sondern ich sehe wieder einmal, wie Recht Sie mit Ihrem Fachausschuß-Vorschlag haben. Ich unterhielt mich gestern über zwei Stunden über diese Dinge mit dem Dekan der hiesigen philosophischen Fakultät, Professor Chroust. Es war ungemein interessant und ich habe riesig bedauert, daß Sie nicht dabei sein konnten.

  • Aber ich habe aus dem ganzen soviel entnommen, daß es an den bayerischen Univer-sitäten wenig Stimmung für Neuerungen ist. Zwei Dinge will man unter allen Umständen einzuführen sich weigern: die Abschaffung des Extraordinariats und die Fachausschüsse. Begründung etwa: es müsse ein Zwischenglied zwischen dem PD und dem Ordinarius geben, sonst fehle jeder Anreiz für wissenschaftliche Betätigung, der eben bei so und so vielen von Äußerlichkeiten abhängig sei. In der Versetzung von einer kleinen Universität in eine größere könne keine Beförderung erblickt werden. Abgesehen, daß sich nicht jeder für jede Universität eigne, wäre das der Verderb für die kleinen Hochschulen, die gerade mit gewissen Größen ihre Anziehungskraft und Daseinsberechtigung behaupten können. Man habe nicht umsonst Berlin die Licht-stumpenuniversität genannt, weil dort so viele ausgebrannte Leuchten seien. Diese „Zentralisierung“ müsse verhindert werden.
  • Ad II: die Fachausschüsse seien deshalb so bedenklich, weil in jeder Wissenschaft letzten Endes ein sog(enannter) Fachpapst die Entscheidung bei der Berufung gebe. Der habe einige Lieblingsschüler, die, nicht immer die besten, dann vorankämen, während die übrigen sitzen blieben. Das seien Schwächen im System, die nicht auf dem Papier beseitigt werden und neu geregelt werden könnten.

Es war, wie gesagt, sehr, sehr interessant und ich hätte mir gerne mehr notiert, um es Ihnen zu schreiben. Die Herren wollen in der nächsten Fakultätssitzung zu Ihren bzw. Starks Vorschlägen Stellung nehmen. Wäre es nun nicht gut, von den drei bayerischen Universitäten ein Gutachten einzufordern, falls das nicht geschehen ist? Bei diesem Meinungsaustausch käme doch sicher allerlei heraus. Sehr sympathisch begrüßt man die Absicht der Gehaltsregelung, wobei man die Form für die beste hält, die Kolleggeldeinnahmen, die einen gewissen Betrag überschreiten, zu kassieren und den minder gut gestellten Kollegen zuzuteilen. Dabei müßten aber physische und psychische Mehrleistungen, wie sie in größeren, vielstündigen Übungen begründet seien, besonders entlohnt werden. Es gehe aber nicht an, daß z. B. Mineralogen, die ebenso lange Übungen hielten, wesentlich schlechter gestellt sein dürften als z.B. Anatomen oder Physiker. Ich will Schluß machen, denn diese Dinge sind Ihnen ja sicher längst bekannt oder durch den Kopf gegangen. Das beste wäre wohl auch, wenn Sie einmal persönlich mit den drei bayerischen Universitäten persönlich in Fühlung träten. Das führte vielleicht zum günstigsten und klarsten Ergebnis. Haec hactenus.

Noch eine erfreuliche Mitteilung: E.G. Browne hat mir gerade rührend nett geschrieben, einen langen Brief (My dear colleague, bzw., Yours sincerely), in dem er sich entschuldigt. Aus der Art, wie er das tut (er meinte nämlich, daß ich mich über die Fortlassung meines „titles“ geärgert habe, an die Weglassung der brieflichen Höflichkeitsformeln dachte er offenbar gar nicht) ersehe ich, daß er wirklich nichts Böses wollte. Am gleichen Tag, an dem ich nämlich seine Karte erhielt, las ich in der Vossischen Zeitung und später in anderen Blättern, daß man in England übereingekommen sei, Deutschen gegenüber in Zuschriften die Formeln der Anrede und des Schlusses wegzulassen. Das hat mich so geärgert (ganz ohne Ehrgefühl sind wir in Deutschland halt doch noch nicht, wenigstens nicht alle!) und zugleich bei ihm enttäuscht, daß ich ihm jenen Brief schrieb, den ich Ihnen in einer Abschrift beilegte. Nun habe ich ihm selbstverständlich sofort geantwortet und wir sind wieder wie früher „hand and glove“. Ich freue mich riesig darüber, denn Browne ist sicher eine höchst vornehme Natur und bei ihm hätte mir diese Formlosigkeit leid getan. Wir müssen ihm eine Festschrift zum 60. Geburtstag schreiben!

Nun merke ich aber eines: ich sehe, daß sowohl diese Abschrift des Briefes an Browne (die ich nicht mehr bräuchte!) sowie der zweite Brief von Jensen nicht in Ihrem Brief enthalten bzw. erwähnt sind. Sie werden doch hoffentlich dieses Schreiben erhalten haben! Das wäre mir schon deshalb sehr peinlich, weil ich erstens den J(ensen)-Brief nicht gern in dritter Leute Hände sähe, zweitens weil ich Ihnen in dieser Zuschrift geradezu ausführlich über die gütige Aufforderung und Erlaubnis, mich Ihnen gegenüber einer so (wirklich unverdienten) vertraulichen Anrede zu bedienen schrieb und dafür dankte. Es ist mir wirklich ein Anliegen, von Ihnen gelegentlich eine Äußerung über das Schicksal dieses Briefes (mit dem Datum vom 8.10. etwa) zu hören.

Nun habe ich Ihre Zeit überreichlich in Anspruch genommen und es ist höchste Zeit, daß ich schließe. Ich möchte Ihnen nur noch sagen, daß ich bei meiner Habilitationsschrift auf höchst interessante Dinge gekommen bin, wie starke schiítische Strömungen im Kleinasien des 15. Jahrhunderts, mahdíradsch’as Versuche usw. Ich glaube, ein ganz neues Licht auf die von Jacob z.B so übermäßig stark betonten christlichen Einflüsse im türkischen Derwischwesen werfen zu können usw.usw. Es wimmelt von (arabisch) in der Arbeit, zu der ich ungedruckte osmanische Historiker und neue arabische Quellen (wie Qutb ed-dín) herangezogen habe. Ich bin bis 20.11. sicher damit fertig und könnte sie dann einreichen. Ritter will sie für den Islam haben. Ich werde sie ihm auf jeden Fall senden und mit dem Druck schon deshalb nicht allzulang zuwarten, weil sich Goldziher sehr dafür interessiert. Aber ich möchte mich im Islam unter keinen Umständen vordrängen, obwohl R(itter) schrieb, er könne die Arbeit „mit Glanz und Leichtigkeit“ drucken. Sonst schnappen noch andre Leute ein (reizbar scheinen ja die Herren Orientalisten10 großenteils zu sein) und das wäre mir unlieb, weniger meinetwegen als der Zeitschrift halber.

In steter herzlicher Dankbarkeit und Verehrung bleibe ich Ihr ganz ergebener

(gez.) Franz Babinger

PS. Kann ich wohl überflüssige S(onderdrucke) Ihrer Islam und EJ-Artikel erhalten?

 

330. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 2.11.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

daß mich mein Gedächtnis allmählich im Stich läßt und ich bedenklich alt werde, beweist die Tatsache, daß ich ganz darauf vergessen habe, Ihnen zum 20jährigen Doktorjubiläum am 30. Oktober meine Glückwünsche darzubringen! Ich muß Sie also bitten, sie post festum freundlichst entgegenzunehmen.11

Ich bin wieder einmal in der Lage, Ihnen eine Zuschrift von Herrn J(ensen) vorzulegen. Wenn ich seine Zeilen recht verstehe, so lese ich daraus, daß er in Gnaden mich aufzunehmen sich entschlossen hat. Es wäre mir sehr belangvoll, Ihre Ansicht darüber zu hören. Eigentlich bedingt ja das volle Verständnis des J(ensen)’schen Wesens die Zugehörigkeit zu einer anderen Fakultät, und ich habe von meinen Vorfahren, die fünf Geschlechter hindurch sich als Ärzte betätigt haben, leider zu wenig auf diesem Gebiet ererbt, um hier ganz klar zu sehen. Ich will nun die Arbeit etwa am 20.d.Mts. einreichen und sehen, wie die Sache weiterläuft. Allzuviel Zutrauen zu einer gedeihlichen Arbeit hebe ich für Marburg wenigstens nicht; es ist mir bei diesem ganzen Briefwechsel die Unbefangenheit etwas abhanden gekommen. Über die Arbeit soll übrigens Brockelmann referieren, was mir nur lieb sein kann. J(ensen) dachte zuerst an Jacob; ich habe ihm dann erklärt, B(rockelmann) wäre wohl besser, und er war zufrieden damit. Was übrigens Jacob angeht, so dürfen Sie ja nicht glauben, daß wir beide nicht ein Herz sind. Denken Sie nur, Jacob schrieb neulich an mich: ich wüßte nicht (wer zur Besprechung eines Buches nämlich) geeigneter wäre als Sie. Ich habe die Karte an Ritter12 gesandt, damit er sieht, wie glänzend wir uns vertragen. Ich schreibe Jacob in jedem Brief etwa ein Halbdutzend grimmiger Verstöße, die er sich hier und dort geleistet hat, und er nimmt alles dankbar an. Ich habe gerade seine Derwischarbeiten durchgesehen und dabei manches bemerkt, was mir anfechtbar schien, manches aber, was einfach grundfalsch war. Was ich bei all diesen Arbeiten so sehr vermisse, ist die Quellenkritik und das geschichtliche Verständnis. Es scheint fast, als ob sich, in der Orientalistik wenigstens, philologischer und historischer Sinn gegenseitig ausschlösse. Für das, was geschichtlich möglich ist, fehlt fast allen der Sinn. Darin war Wellhausen eben groß. Und was ich an Ihrem Ausscheiden aus der Reihe der Lehrenden am allermeisten bedauert habe und immer noch beklage, ist, daß Sie damit die verschwindend kleine Zahl derer, die hier Schule zu machen berufen waren, um eine so große Kraft vermindert haben. Das ist ein Jammer, der diesen „neidgequälten“ (ein herrliches, von Herman Bahr geprägtes Wort) Philologen nur teilweise bewußt zu sein scheint. Ich bin wirklich froh, daß ich bei Heigel und Marcks, auch bei Wölfflin eine strenge geschichtliche Schule durchgemacht habe. Das ersetzt mir manches, was ich in meiner orientalistischen Universitätsausbildung vermißte und was ich mühsam selbst aneignen mußte. Vielleicht muß auch das Verständnis für das geschichtlich Mögliche (ich weiß nicht, ob ich mich damit geschickt ausdrücke!) angeboren sein und kann nicht geweckt werden.

Ich will Schluß machen und Ihnen nur noch die Bitte vortragen, einen Brief von Littmann an mich zu lesen. Er ist bezeichnend für Jensens Stellung in unserer Wissenschaft. Wehe ihm, wenn ich mit 80 Jahren, wie ich Ihnen versprach, die Geschichte der morgenländischen Studien schreibe! Sine ira et studio, versteht sich. Aber trotzdem.In aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung bleibe ich stets Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger

 

331. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 11.11.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

wenn ich Ihnen erst heute für Ihre so überaus gütigen Zeilen vom 7.10. herzlichsten Dank sage, so geschieht das in der Hauptsache nur deswegen, weil ich Ihnen sehr gerne Jensens Entgegnungsschreiben zusenden wollte. Doch davon nachher. Was ich zunächst sprechen zu dürfen bitte, ist die wirklich völlig unverdiente Ehrung (es soll keine Phrase sein!), daß Sie mir mit der ungemein freundlichen Aufforderung erweisen, mich bei der Anrede Ihnen gegenüber einer so vertraulichen Form zu bedienen. So froh und glücklich mich der Gedanke macht, in so kurzer Zeit so große Beweise Ihres Vertrauens erlangt zu haben, so unbehaglich ist es mir, wie Sie begreiflich finden werden, das Gefühl, daß ich vielleicht nicht die kraft und die Fähigkeit besitze, mich durch entsprechende Leistungen dieses Vertrauens und dieser Hoffnung würdig zu erweisen. Ich kann Ihnen heute nur das ernste Versprechen geben, alles zu tun, um Ihnen in der Zukunft an mir eine Enttäuschung zu ersparen. Hocherfreut wäre ich, wenn Sie aus meinem bisherigen Streben den Wunsch zögen, daß ich die Kraft gewinne einst etwas Brauchbares zu leisten. „Haben ja doch, so ungefähr las ich einmal bei H(einrich)von Treitschke, „haben ja doch selbst in unsern wunderlosen Tagen die selbstlosen Wünsche guter Menschen eine zwingende Macht über das Schicksal.“

Ihre gütigen Zeilen geben mir wieder einmal ein so rührendes Zeichen Ihrer Besorgtheit um mein Wohl und Wehe in beruflicher Beziehung, daß es mir schwer fällt, Ihnen dafür in entsprechender Form den Dank abzustatten. Der J(ensen)’sche Zwischenfall ist, glaube ich, nicht sonderlich tragisch zu nehmen. Ich habe dem armen Mann wohl in der richtigen Form geantwortet, wie mir seine einlenkende Antwort zu beweisen scheint. Spricht doch auch aus seinem ersten Brief eine unverkennbare Aufrichtigkeit; denn sonst hätte er, wenn er die Habilitierung zu hintertreiben die ernstliche Absicht hätte, zu ganz andern versteckten Mitteln greifen können. So sehr ich mit Ihnen überzeugt bin, daß irgend ein Echo aus Halle ihn zu seiner Zuschrift an mich getrieben hat, so sehr bin ich von der Annahme entfernt, Herr Eheloff habe etwa in bösem Willen Jensen zu beeinflussen gesucht. Bei dessen geistiger Veranlagung genügt ja völlig eine Feststellung, daß ich z.B. mit den andern Fachgenossen nicht gerade Krach habe. Ich will mich einmal ganz vorsichtig ausdrücken. Herr E(heloff) hat ja gar nicht die Absicht sich zu habilitieren. Jensen hatte vorher ausdrücklich an ihn deswegen geschrieben, worauf E(heloff) ablehnte. Deswegen kann er ja doch J(ensen)’s Schwiegersohn werden. (Die Nachricht stammt übrigens von Brockelmann, also!! (Arabischer Text)). Nachdem ich mich in höflicher, aber ganz entschiedener Form geweigert hatte, „jurare in verba magistri“, scheint er einlenken zu wollen. So wenigstens fasse ich den beiliegenden Brief auf. Was er aber unter Rechten und Pflichten mir gegenüber versteht, bleibt mir unklar, da ich ihm die ersten gar nicht antasten will, die zweiten nicht einzusehen vermag. Ich kann mir gar nicht denken, wie mir Jensen etwa beruflich helfen könnte; selbst in bescheidensten Maße an der Marburger Universität scheint mir das unmöglich zu sein. Ich werde mich aber natürlich sehr hüten, mich mit ihm darüber in eine Erörterung einzulassen und will ihn gerne im guten Glauben belassen. Die Hauptsache ist mir, daß er nach meinen Mitteilungen keinerlei „sacrifizio dell’intelletto“ erwarten darf. Zu derartigen Zugeständnissen wären mir auch noch weit größere und bessere Aussichten zu wenig verlockend. Darüber werde ich ihn nie im unklaren lassen. Ich schrieb ihm nochmals, daß ich seinen Arbeiten gerne die Teilnahme entgegenbringe, die ich jeder auf die Erforschung des Morgenlandes gerichteten Bestrebung beweisen müsse. Bezüglich der Zukunft der morgenländischen Studien scheint er mir zu schwarz zu sehen. Ich bin gewiß kein Wolkenwanderer, aber ich kann nicht die Hoffnung aufgeben, daß wir, besonders nach den notwendigen und durch durch Ihre glücklich begonnene Anbahnung vielversprechenden Erneuerungen, besonders für den modernen Orient mählich wieder besseren Zeiten entgegen gehen. Er wird sich dem einzelnen Deutschen in einiger Zeit wieder öffnen, wir werden aufhören, wie unartige Kinder mit den Gesichte zur Wand zu stehen. Und der alte Orient wird seine Rollespielen, solange die Kirchen etwas gelten, die ihm ihre Urkunden verdanken. Jes(aja) XXVI,20 gilt auch für den einzelnen.

Zum Schluß etwas über E.G. Browne. Er sandte mir einen ganz interessanten Katalog, nachdem ich mich, übrigens persisch, bei ihm über etwas erkundigt hatte. Dazu schrieb er eine Karte, ohne jede Anrede, ohne jeglichen Schluß. Dabei hat es der Engländer mit seinem nichtssagenden ‚Sir’ (das ‚dear’ kann er sich ja doch schenken, ohne zu beleidigen) bzw. dem erstarrten ‚truly yours’ so unsäglich leichter als etwa wir. Ich habe mich maßlos darüber geärgert, um so mehr, als Browne früher die Freundlichkeit selbst war. Ich habe eigens seine alten Zuschriften daraufhin angesehen, bevor ich ihm mit einem Brief antwortete, den ich in einer Abschrift beizulegen mir erlaube. Ich hoffe, er ist nicht allzu grob. Es ist aber vielleicht ganz gut, wenn man den Herren jenseits des Kanals einmal die Zähne zeigt. Das ältere Geschlecht wie Hultzsch & Co macht das sicher nicht mit und findet das shocking. Das es gerade Browne hat sein müssen, an den ich zuerst geriet, hat auch mir leid getan. Aber schließlich kann man nicht verlangen, daß ich allen Unglimpf zaghaft und wehrlos über mich ergehen lasse wie jener Dichter bei Horaz:

An, si quis atro dente me petiverit
Inultus ut fleho puer?

Und schließlich, wie sagte doch ‚our mutual friend’ Helmut Ritter in Halle: Die Jugend ist respektlos!

In aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung bin ich mit der Bitte um Empfehlungen an die gnädige Frau stets Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger.

PS. Von Qalqasandi kenne ich leider nur die Ausgabe der Bibliothèque Khédiviale in Cairo, 1903, die aber nur einen Band umfaßt! Sairafi muß einmal übersetzt werden. Aber was müßte alles nicht? FB

 

332. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 13.11.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger!

Freundlichen Dank für Ihren Glückwunsch zu dem selbst von mir völlig unbeachteten Doktor-Jubiläum. Weiter sende ich Ihnen Ihre Briefe zurück und sende Ihnen aus qualvollem Drang der Geschäfte einen freundschaftlichen Gruß.

Herzlichst der Ihrige (C.H.B.)

 

333. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 11.12.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger.

Ich hatte Kultusetat und wußte in den letzten Wochen nicht recht, wo mir der Kopf stand. Trotzdem habe ich schon beim Empfang Ihres ersten Briefes in einem stillen Moment meinen Makrizi durchgesehen und auch den Ibn duk mak und andere ägyptische Literatur; aber die Harst el schl-tijjin war unauffindbar. Jedenfalls steht sie weder in einer Überschrift noch im Index der betreffenden Ausgaben.

Was Goldzihers 70. Geburtstag betrifft, so will ich zunächst einmal hoffen, daß er ihn erlebt. Festschriften sind Grabdenkmäler, d.h. sie ehren den Mann, aber bleiben fernab vom Verkehr auf Friedhöfen einsam liegen. Deshalb habe ich große Bedenken gegen eine Feld-, Wald- und Wiesenfestschrift im Stile der für Sachau oder Nöldeke. Es gibt aber eine Festschrift für Kuno Fischer, die mir das Ideal zu sein scheint. Man nimmt nicht jeden auf, der sich beteiligen will, sondern beauftragt eine Reihe von führenden Gelehrten, wirklich ein Gesamtwerk zu schaffen, das auch anderen Leuten Freude macht außer dem Jubilar, und das als Standardwerk der betreffenden Wissenschaft noch lange fruchtbar sein könnte. Lassen Sie Ihre Gedanken einmal nach dieser Richtung hin gehen; ich würde dabei gern mitwirken.

Und nun zur Hauptsache: dem anbei zurückfolgenden Brief von Hartmann. Ich erhielt ihn zufälligerweise gerade heute Morgen und aß heute mit Herzfeld zu Mittag, um die ganzen Pläne mit ihm durchzusprechen. Da habe ich die Indiskretion begangen, ihm die Hauptstellen des Briefes einfach vorzulesen. Es war zu lächerlich, daß der Brief, der vor mir lag, und über dessen Inhalt ja Hartmann selber an Herzfeld schreiben wollte, nun erst noch einmal an Sie zurück und dann mit Erlaubnis von Hartmann evtl. erneut nach Berlin zu Herzfeld reisen sollte. Außerdem war es wichtig, daß Herzfeld Bescheid wußte, da am Samstag bereits die Tagung des Reformausschusses der D.M.G.13 hier in Berlin stattfindet. Die Mitteilung war auch in sofern ganz unbedenklich und ganz gewiß im Sinne Hartmanns, als wir tatsächlich alle einer Meinung und gern bereit sind, auf den Boden der Ausführungen Harmanns zu treten. Ich habe seine eigene Äußerung wahr gemacht und durch mündliche Aussprache von Mensch zu Mensch im Sinne seiner Ausführungen alle etwa bestehenden Mißverständnisse beseitigt. Auf Grund unserer Besprechungen möchte ich zu dem Vorschlag kommen, den ich auf einem gesonderten Blatt beifüge14, weil ich ihn gleich in mehreren Durchschlägen herstellen will, um ihn auch noch an andere Leute zu schicken. Ich sollte mich freuen, wenn wir so zu einer allgemeinen Verständigung gelangen werden.

Ich will versuchen, Ihre Wünsche auf das Jensenmaterial zu erfüllen, weiß aber nicht, ob ich es so schnell finden werde. Ich sende Ihnen gleichzeitig meine Rede zur Hochschulreform, die nun endlich die amtliche Stellung der Regierung festlegt. Es war sehr interessant, daß sich ungefähr alle Parteien auf meine Vorschläge einigten. Auch die Universitäten dürften wohl jetzt mit mir zufrieden sein.

Mit freundschaftlichen Grüßen in bekannter Gesinnung Ihr getreuer (C.H.B.)

 

334. Franz Babinger an C.H.B. 18.12.1919

Lieber Herr Becker,

ich bin seit 5 Tagen in München und erhielt Ihre gütige Zuschrift sowie den mich natürlich überaus interessierenden Landtags-Bericht. Es freut mich, daß Sie mit Ihren Ausführungen solchen Beifall ernteten. Und ich selbst möchte Ihnen gern allerlei zu Ihren neuen Vorschlägen sagen. Vor allem über von Ihnen gebetene facultas artium liberalium. Ich habe mich oft, zumal beim Lesen von Pankseu’s (?unleserlich) einschlägigen Werken und Aufsätzen, gedacht, daß das Alte teilweise ganz gut war und durch das sog. Neue nicht glücklich ersetzt und ergänzt worden ist. Die Artistenfakultät wäre m.E. aber deshalb ein Vorteil, weil man damit einen Mittelweg herstellen könnte, auf dem sich die sonst wohl unvereinbaren Bestrebungen der alten Hochschule und der blödsinnigen Volkshochschule begegnen könnten. Ich muß Ihnen darüber einmal ausführlich schreiben.

Morgen Mittag werde ich über Ihre neuen Pläne mit Herrn Müller mich unterhalten.

Wenn ich nur einen geschichtlichen Plan von Cairo besäße! Dr. Max Hey-Pascha hat doch irgendwo einen veröffentlicht. Schade, daß Maqrizi’s (arabischer Text) so wenig über die (arabischer Text) aussagen.

Mit herzlichsten Wünschen für ein frohes Fest verbleibe ich in aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung Ihr stets ganz ergebener FBabinger

PS. Hier herrscht eine Meinung gegen den Einheitsstaat! FB

 

335. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 27.12.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

Herzfeld meinte neulich einmal, Browne sei von der engl(ischen) Regierung nur vorgeschoben, um durch diesen gewichtigen Vertreter ‚coulant’ zu erscheinen. Ich habe schon damals an der Richtigkeit der Vermutung gezweifelt auf Grund des Briefwechsels, den ich seit geraumer Zeit wieder mit E.G. Browne führe und den ich um einer baldmöglichen Verständigung in wissenschaftlichen Arbeitsfragen willen getreulich fortsetzen werde. Ein Brief, der heute morgen eintraf, hat auch den letzten Rest allfallsiger Bedenken gründlich zerstreut und ich lege besonderen Wert darauf, das, was für weitere Kreise von Belang ist, daraus bekannt zu geben. Ich habe daher das Meiste abgeschrieben und lege Ihnen diese Abschrift mit der Bitte bei, doch davon nach Belieben Gebrauch zu machen. So kann doch kein Schwindler und Hintermann schreiben und Herzfeld wird sich überzeugen lassen müssen, daß er Browne im Geiste Unrecht tat. Es ist die alte hochvornehme Gesinnung, eben die gentlemanlikeness im wahrsten Sinne, die aus diesen Zeilen spricht und ich habe mich herzlich darüber gefreut. Die Frage nach dem Wohlergehen habe ich nach Kräften beantwortet; von Andreas, Littmann konnte ich Genaues sagen, von Rosen meldete ich das Gerücht, daß er nach Wien kommen solle, Le Coq kenne ich persönlich nicht und habe mich darauf beschränkt, seine Wohnung anzugeben. Lippert ist doch meines Wissens gestorben, ich meine J. Lippert vom Or(ientalistischen) Sem(inar)? Ich teile Ihnen das alles sofort mit, weil Sie ja schon in Halle die Frage unserer wissenschaftlichen Beziehungen mit England gerade im Hinblick auf die Browne-Festschrift erörtert haben.

Jensen schrieb mir, daß am 18. d.Mts. sich die Fakultät mit meinem Gesuch befaßt habe und daß meine Arbeit (auf meinen Wunsch) an Brockelmann weitergegangen sei. Ich darf also hoffen, daß die Sache sich nicht mehr allzulange hinzieht. Wenn Sie nun die Zulassungsbedingungen so sehr steigern, würde ich am Ende gar durchfallen!

Ich habe in München, wo ich übrigens nicht der Hochzeit wegen, sondern eines Familientrauerfalls halber fahren mußte, recht angeregte Stunden am Bavaria-Ring verlebt; im Vordergrund der Erörterungen stand Ihr neuer Vorschlag zur Hochschulerneuerung. Ich glaube immerhin: in Bayern werden Sie große, große Schwierigkeiten haben. Von einer Reichseinheit kann natürlich gar keine Rede sein und ich finde es unbegreiflich, wie man in Berlin jetzt mit solchen Plänen hervortreten kann. Im besten Fall springt eine ‚Verreichlichung’ der Hochschulen heraus. Das ist aber auch alles. Die monarchistische Strömung ist in Bayern auch unter der Arbeiterschaft (ich habe sehe interessante Nachrichten gerade darüber!) derartig gewaltig, daß es hier unten mit der Demokratie bald aus sein dürfte.15 Damit zerfällt an sich der Einheitsstaat. Dazu tritt ein recht unverblümt geäußerter Preußen-haß und die von ihm eingegebene Besorgnis, die kleineren Staaten möchten bei diesem Einheitsstaat nicht so recht auf ihre Rechnung kommen. Ich kann das den Leuten so sehr nicht übel nehmen, ich meine diese Angst, ausgeschmiert zu werden. Damit will ich gar nicht sagen, daß ich eine restlose Ausschaltung der bayerischen Schulmeisterpolitik und Zentrumswirtschaft nicht freudig begrüßte! Ich habe nun einmal recht wenig hier unten zu sagen!

Zum Schluß lassen Sie mich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin zum Neuen Jahr alles erdenkliche Gute wünschen. Wir alle werden dem verweichenden keine Träne nachweinen und können vom nächsten nur Besseres, schwerlich Schlimmeres erwarten!

In steter aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung bleibe ich

Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger.

PS. Das zweite Schreiben von R. Hartmann haben Sie doch wohl rechtzeitig erhalten? Sehr gespannt bin ich auf den in Aussicht gestellten Entwurf, von dem Sie mir freundlichst einen Durchschlag senden wollten. FB

 

336. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 29.12.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

ich möchte Ihnen heute auf Ihre Vorgabe (?unleserlich) der geplanten, d.h. von mir vorgeschlagenen Goldziher-Festschrift antworten, nachdem ich mirdie von Wilh(elm) Windelband anläßlich Kuno Fischers 80. Geburtstag herausgegebene noch einmal genau ansah. Ich finde Ihren Vorschlag wirklich herrlich und ich habe mir im Geist schon ein ebensolches Werk, etwa des Titels: Die Islamwissenschaft im Beginne des 20. Jahrhunderts; Festschrift für I. Goldziher unter Mitwirkung von … herausgegeben von C.H. Becker. Berlin 1920, zurecht gemacht. Der Gedanke ist so glänzend, daß er verwirklicht werden muß und es fragt sich nur, wie man das Ganze gliedern soll. Könnten Sie nicht einmal in einer freien Stunde eine Einteilung machen und sich zugleich ausdenken, wem man die einzelnen Aufsätze überträgt? Ich denke vor allem an Littmann, Snouck Hurgronje, P. Kahle, C. Bezold usw.usw. Das gäbe einen Heidenspaß. Ritter habe ich auch schon von der Sache Mitteilung gemacht und es sollte mich riesig freuen, wenn der Plan bald greifbare Formen annähme. Der buchhändlerische Erfolg steht doch m.E. bei dieser Zusammensetzung außer Frage! Lüdtke wird sicher zugreifen und so will ich eigentlich keine rechten Schwierigkeiten mehr sehen.

Gilgamesch16 macht mit der ihm eigenen Gründlichkeit, die leider bei seiner Muhammed-Ausstellung nicht so recht in Erscheinung tritt (ich habe mir auf Umwegen durch einen Studenten den autographischen Text verschafft; das ist ja ein von keuschen Gelehrten beseufzter Skandal!), allerlei Mätzchen mit meiner Arbeit.. Er hat sie an Brockelmann geschickt, was ich ebenso selbstverständlich wie in Ordnung fand. Nun will er sie aber, wie mir Br(ockelmann) schreibt, außerdem noch an Jacob nach Kiel und an … Sie senden! Ich beschwöre zunächst, daß ich daran vollständig unschuldig bin, ja ich finde diese ganze bürokratische Komödie einfach lächerlich. Und peinlich obendrein. Denn Sie wissen ja, wie Br(ockelmann) mit J(ensen steht. Daraus folgt, weil J(ensen) nun einmal nicht der Mann ist, der Sachliches vom Persönlichen sauber zu scheiden weiß, daß J(ensen) in seinem Gutachten das gerade Gegenteil von dem behaupten wird, was Br(ockelmann) erklärt hat. Das wäre mir an sich gleichgültig, weil die Arbeit m.E. auch der J(ensen)’schen Kritik und Tiftelei standhält. Aber die Sache bedeutet eine empfindliche Verzögerung, die mir deshalb so unangenehm ist, weil Ritter sie im nächsten Islam-Heft bringen und mit dem Satz recht bald beginnen wollte. Ich wäre wirklich heilfroh, wenn meiner Arbeit die fahrt an die Wasserkante erspart bliebe. Und Ihnen selbst die Mühe, sich darin vertiefen zu müssen. Das ist doch alles entsetzlich altständig und ich sehe schon, daß Jensen vor Ostern überhaupt keine Miene macht, mich zur Hab(ilitation) zuzulassen. Neulich wollte er gar meine bisherigen Arbeiten haben. Ich habe ihm aber höflich abgeschrieben und ihm erzählt, sie lägen noch in Stambul. Credat Judaeus Apella! Und Jensen auch. Ich halte, weiß Gott nicht damit hinterm Berg, aber ich finde es unverständlich, daß J(ensen) bloß um einer paragrafenmäßig festgelegten Pflicht zu genügen, nun mein ganzes literarisches Treiben seit 1911(?) untersuchen will. Davon versteht er aber doch wirklich nichts. Ich habe überhaupt den Eindruck, daß Budde oder der Indologe Geldner ebenso gut darüber referieren kann, ja besser noch als Jensen, der aus seinen scheußlichen, monomanisch gruppierten Arbeiten nicht herauskommt. Ein Beweis, wie dringend das Hab(ilitations)wesen der Änderung bedarf. Quod erat demonstrandum. Läßt sich, um Bismarck zu nennen, gegen eine solch dilatorische Behandlung nichts machen?

Herzfeld sandte mir nun den Sitzungsbericht vom 13.12., den ich mit lebhafter Anteilnahme durchgelesen habe. Hoffentlich kommt etwas Kräftiges dabei heraus. Ich zweifle etwas an der Zeugungsfähigkeit der älteren dabei beteiligten Herren. Mit ‚älteren’ verstehe ich solche, die etwa im Juni 1869 bzw. um Juli 1862 herum geboren worden sind. Na, Ritter hat was Schönes angestellt mit seinem Ausfall gegen das ‚Mittelalter’. Und ich habe es bei den Indologen ganz verschüttet, seitdem ich meine Meinung über das allmähliche Aussterben der Sanskritisten einem hohen Herrn gegenüber kundgab.

Ich sende Ritter einige Buchanzeigen. Zum Glück weiß es die ganze Nachbarschaft, daß ich in der Kritik allzeit schonend und rücksichtsvoll im allgemeinen, gegen die Kieler Schule aber insbesondere von wesentlich höflichem Benehmen bin.

Ich habe durch jemand (nomina sunt odiosa!) Grüße an Sie bestellt und bin neugierig, ob sie Ihnen ausgerichtet werden. Nochmals von Herzen alles Gute für1920 und die auf(richtigsten) Grüße von Ihrem stets dankbar ergebensten (gez.) Franz Babinger

 

337. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 13.1.1920

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger.

Dieser Tage war Jensen hier. Ich habe mich sehr warm für Sie eingesetzt und glaube, daß er Ihnen keine Schwierigkeiten machen wird. Er hatte auch nicht die Absicht, er hat sich nur etwas schwer an Ihrem Typ von Gelehrtentum in Verbindung mit Weltgewandtheit und Selbstbewußtsein gewöhnen können. Er fürchtete Reibungen mit Ihnen. Ich beruhigte ihn darüber vollständig und glaube, daß es auf ihn direkt erlösend gewirkt hat, als ich ihm sagte, daß Sie der liebenswürdigste und loyalste Kollege sein würden, den er sich denken könne. Ich soll ihm noch ein Votum über Sie schreiben, werde mich dabei aber nur in ganz allgemeinen Ausdrücken bewegen. Der Aufforderung, Ihre bisherigen wissenschaftlichen Publikationen vorzulegen, würde ich unter allen Umständen nachkommen, da es ganz allgemein üblich ist, daß Habilitanden ihre bisherigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit einreichen. Sie brauchen sich derselben ja auch nicht zu schämen.

Einliegende Korrespondenz wird Sie interessieren. Rückgabe eilt nicht.

Grüße von Ihnen sind mir übrigens noch nicht bestellt worden.

In freundschaftlicher Gesinnung herzlichst der Ihrige (C.H.B.)

 

338. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 16.1.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

auf dem Umweg über Ritter (um ihn von der Goldziher-Festschrift zu unterrichten) danke ich Ihnen herzlichst für die große Mühe, die Sie sich meinethalben wieder bei jenen gemacht haben. Sie haben ihm sicher nicht zuviel versprochen, wenn Sie ihn meiner ‚Loyalität’ versicherten. Ich habe ja auch wirklich keinen Grund, ihm gegenüber anders aufzutreten und eine gegenteilige Ansicht kann, zudem nach so kurzer Bekanntschaft, eigentlich nur, nun eben bei Jensen aufkommen. Ich habe Ihnen damals geschrieben, daß es wohl nie zu einem herzlichen Verhältnisse kommen wird und das werden Sie eben so begreiflich finden wie er nach kurzer Zeit. Es sind eben Welten, die uns trennen und die ich nicht überbrücken kann. Er darf nicht verlangen, daß ich ihm solche Zugeständnisse mache. Und dann, gewiß: Jensen ist Orientalist, aber Geldner in Marburg auch und der glänzende Hebraist Budde auch. Ich verstehe nicht recht, womit gerade J(ensen) seinen besonderen Anspruch auf enge Beziehungen mit mir begründen will. Sein Studiengebiet ist doch von dem meinigen siriusfern, genau so wie das G(eldners) und B(uddes). Das müßte der Mann doch einsehen. An meinem guten Willen soll es sicher nicht fehlen, wenn ich auch gestehe, daß sich meine Seele beim Gedanken an das Colloquium (über Muhammed-Saul und Abu-Bekr-David) mit Grauen zu füllen beginnt. Da kann ich einfach nicht mehr mittun. Es ist ein Glück, daß von Premerstein, der jetzige Dekan, als Mensch und als Gelehrter solche Vorzüge aufweist. Er schreibt mit wirklich überaus nett. Auch freue ich mich, daß meine Arbeit nunmehr nach einer Nachricht Brockelmanns von der fahrt an die Waterkant verschont bleibt. Womit ich nicht Ritter meine, sondern J(acob) in Kiel.

Nun zu Eduard Mahler! Die Ungarn haben 1910 (Goldziher wird doch heuer im Juni 70 Jahre alt!) G(oldziher) eine recht nette Festschrift gewidmet, die ich besitze und die mir vor allem wegen der Goldziher-Bibliographie (60 Seiten!) besonders wertvoll ist (Titel: Keleti tanulmányok oder ähnlich). Aber das ist eben eine Gabe, die Sie neulich unter dem Sammelbegriff ‚Feld-, Wald- und Wiesenfestschrift zusammenfaßten. Nun denke ich mir die Sache so. Ihr Gedanke ist zu glänzend als daß er fallen gelassen werden dürfte: ein delegatus der deutschen Islamwissenschaft überbringt G(oldziher) am Dienstag den 22. Juni 1920 zu Budapest Titelblatt, Vorwort und Inhaltsverzeichnis der Festschrift, für die ich , analog der Windelband’schen K.Fischer-Festschrift, als Überschrift vorschlage: Die Islamwissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nun fragt sich bloß, wie man das Ganze gliedert und ich wiederhole meine Bitte, sich mir oder Ritter gegenüber einmal darüber zu äußern. Alles weitere wird dann schon besorgt, ich meine die reine Geschäftsseite wie Briefwechsel mit den Mitarbeitern deren Namen Sie uns aber auch vorschlagen müßten). Wir können dann das Werk selbst G(oldziher) möglichst bald nachliefern. So kommen wir am besten um die Sache herum. E. Mahler natürlich in Ehren, die östliche Chronologie verdankt ihm überaus viel; aber ich fürchte, dieser Kalender-Mann wird mit seinem Zahlenhirn nicht recht viel Begeisterung und Verständnis für ein geschlossenes Werk in Ihrem Sinn übrig haben, sondern alte, begangene Pfade neu betreten wollen. Um so lieber , wenn ich mich irre.

Darf ich, nachdem mir Herzfeld darauf beharrlich keine Antwort gibt (worüber ich im stillen Kämmerlein grolle), Sie selbst fragen, wie Sie es nun mit der deutschen Mitarbeit an der Browne-Festschrift gehalten wissen wollen. Die Manuskripte sollen, wie ich einer Zuschrift aus London entnehme, am 1.Juni abgeliefert werden (beim súfí-Onkel Nicholson in Cambridge). Browne ist so begeistert von der deutschen Wissenschaft und auch als Mensch so prächtig, daß auch wir etwas tun müssen. Wie wäre es mit einem Islam-Sonderheft? Oder ähnlich. Ich mache Sie aber aufmerksam, daß er erst 1922 sechzig Jahre alt wird. Warum die Engländer jetzt schon drängeln, weiß ich nicht; ich will Arnold einmal deswegen befragen. Die bewußten Grüße werden Ihnen wohl erst in diesen Tagen (angeblich zwischen 15. und 20. 1.1920) bestellt; ich bin überaus gespannt, ob sie ausgerichtet werden. Das ‚Warum’ zu erörtern, führte jetzt zu weit. Was macht VDMF? Hoffentlich schlummert das Kind nicht in der Wiege!!

In aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung bleibe ich stets

Ihr ganz ergebener (gez.)F.Babinger

Postskriptum auf Beiblatt

Nachschrift:

Beim nochmaligen Durchlesen Ihres Briefes fällt mir ein, daß ich etwas nicht erörtert habe:

Ich habe mir oft überlegt, woher es wohl kommt, daß einer in vielen philosophischen Fakultäten (vorab erste Sektion) sozusagen nicht voll genommen wird, wenn er nicht in Gummikrägen, schmierigem Anzug, Röllchen, Schnellkrawatte usw. usw. sich zeigt und demgemäß gibt (Typus: Freitischtheologe u.ä.). Ich habe darauf nie eine richtige Antwort gefunden, zumal, wenn ich bedenke, daß doch in andern Fakultäten (rechtswiss(schaftliche), mediz(i-nische) nicht der Fall ist. Das kann doch nicht alles daher kommen, daß sich eben die philos(ophische) Fak(ultät) gesellschaftlich aus Leuten zusammensetzt, die in solcher Umwelt aufgewachsen sind und sich demgemäß darin wohl fühlen!? An diese Dinge werde ich wieder erinnert durch Jensens Abneigung gegen meine ‚Weltgewandtheit’ und mein ‚Selbstbewußtsein’. Ich weiß sehr wohl, was er damit meint und weiß ebenso gut, daß ich mich damit in einem Gegensatz zu seinen, sagen wir biedermännischen Auftreten befinde. Aber er kann doch nicht verlangen, daß ich mich schriftlich zur Aufgabe der ‚Weltläufigkeit’ verpflichte und mich fortab in das Gewand spießermäßiger Bescheidenheit hülle. Überhaupt: die Anmaßung und das Selbstbewußtsein! Darüber habe ich mich mit Ritter eben unterhalten. Das ist so ein Kapitel für sich.

Immerhin, all diese dinge wirken erziehend für die Ehe. Ja, für die Ehe. Ich werde meinen, Gott sei Dank, noch imaginären Sohn niemals in die philosophische Fakultät I schicken. Der Kerl muß Jurist werden oder Mediziner. Bis dahin haben die Herren, die sich in ergaunerten Zwischensemestern ihre Heilwissenschaft zusammengerafft haben, ihr Schäfchen im Trockenen, leben von ihrer Rente, haben auch die halbe Menschheit zu Tode gedoktert. Und es wird Platz für ein neues Geschlecht, das es mit der Wissenschaft wieder ernst nimmt wie anno dazumal.

Wieder ein Grund zu heiraten.

……

F.B.

 

339. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 18.2.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

Die Marburger Angelegenheit hat wieder einmal eine Form angenommen, die mich in eine gewisse Hilflosigkeit bringt. In ihr wende ich mich wieder an Sie mit der Bitte um Ihren Rat und Beistand, nicht ohne Sie herzlich um Verzeihung zu bitten, wenn ich damit zu den vielen großen Sorgen, die Sie jetzt quälen, für eine halbe Stunde auch die kleine Sorge um meine persönliche Zukunft bringe.

J(ensen) ist plötzlich auf den Einfall gekommen, meine Arbeit, die doch ein ihm, ja selbst der Mehrzahl der Islamforscher völlig ferne liegendes Gebiet behandelt, selbst zu überprüfen. Brock(elmann) hat sein Gutachten längst (wie ich aus Andeutungen entnehmen muß, in recht günstigem Sinn) erstattet und die Arbeit am 2. Januar nach Marburg zurückgesandt. Damit sollte, wie mir Jensen versprach, die Sache erledigt sein. Nun lesen Sie freundlichst beiliegende Karte. Ich weiß sehr wohl, daß man in diesem Fall einfach machtlos ist. J(ensen) kann, wenn er will, natürlich meine Arbeit jahrelang im Pult liegen lassen mit der Begründung, dass er sie ‚prüfen’ müsse. Eine ernsthafte Durchsicht ist bei ihm natürlich gänzlich ausgeschlossen, da er von diesen Sachen einfach keinen Schimmer hat und haben kann. Er versteht vom Derwischwesen und Sufismus soviel wie ich vom Tabuismus der Südseeinsulaner. Vielleicht noch weniger. Kein Mensch wird ihm das verübeln, aber das kann man ihm verdenken, daß er, hinter dem bürokratischen § (Paragraphen) verschanzt und durch ihn geschützt, einfach künstlich die Auslieferung des M(anuskripts) und damit auch die Habilitierung verzögert. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was ich mir von der Marburger Tätigkeit erwarte. Aber ich muß endlich einmal einen Beruf ergreifen, da ich privatisieren weder kann noch mag. In diesen Zeiten, wo nur eine ernste und geregelte Berufstätigkeit über den Jammer und die Drangsale der Gegenwart hinweghelfen kann, ist diese Nichtstuerei einem Menschen wie mir doppelt gräulich und verhaßt. Das W(intersemester) endet in Preußen am 1. IV., mithin ist (vgl. Sie bitte den Brief an v. Premerstein!) die Aussicht, im Wintersemester noch zur Hab(ilitation) zu kommen und damit im S(ommer)S(emester) lesen zu können, einfach gleich Null. Mit andern Worten, Herr J(ensen) bringt es zuwege, mich bis zum WS einfach zu beruflicher Untätigkeit zu verurteilen. Das ist ein himmelschreiender Mißstand, gegen den, ich weiß es wohl, man §§mäßig machtlos ist. Ich habe nun zwei Briefe geschrieben, von denen einer für J(ensen) als Antwort auf seine Karte, der andre für den Dekan bestimmt ist. Professor von Pr(emerstein) hat sich riesig nett benommen und sicher alles getan, was er in seinem Wirkungskreis tun konnte. Ich erhoffe mir von seiner Unterstützung allerlei, wenn hier überhaupt noch zu hoffen ist.

Dann die Islam-Sache. Mein Aufsatz, den ich F. Gieses und sonstiger im Fluß befindlicher wichtiger Untersuchungen über den osmanischen Islam (sit venia verbo!) wegen sehr gern bald gedruckt sähe, sollte im nächsten Islam-Heft untergebracht werden. Ritter hat Platz dafür frei gehalten. Ich weiß nicht, wann es erscheinen kann, erinnere mich nur, daß R(itter) sagte, nicht vor Ostern. Das ist ja, nachdem sich 1.)2. Heft etwas verzögert hat, ganz selbstverständ-lich. Durch das J(ensen)’sche Manöver ist aber die Herausgabe des Manuskripts in weite Ferne gerückt. Quid faciamus nos?

Ich hätte niemals etwas dahinter gefunden, wenn J(ensen) die Begutachtung durch weitere Islamforscher verlangt hätte (Jacob war mir freilich als Mitberichterstatter neben Br(ockel-mann) nicht eben erwünscht), allein ich bin empört über die Art, mit der er jetzt selbst (ganz plötzlich) über mich zu Gericht sitzen will. Das ist dieser orientalische Größenwahn zu glauben, weil man einen Keilschrifttext lesen kann, auch über Dinge des modernen Orients bündig urteilen zu können. So are they all, all honourable men …

Das worum ich Sie hier zunächst bitte, ist eine Einsichtnahme in die beiliegenden Briefe.17 Um Ihnen den ersten Abschnitt des an J(ensen) gerichteten Schreibens verständlicher zu machen, sei gesagt, daß er sich um Einzelheiten über einen Derwisch18 bekümmerte, den ich in meiner Arbeit anführe, wohlgemerkt eine geschichtliche Person, die vor gerade 300 Jahren erst starb. Dieser dede wurde von den Schiffern des Bosporus um Rat (Wetter usw. betreffend) gefragt. Der Mann gehört naürlich jetzt in den Gilgamesch-Sagenkreis. Einfach schauerlich. Nun, ich habe ihm meine Ansicht sub rosa gesagt und dabei meine Meinung zum Ausdruck gebracht, daß die Alt-Orientalisten sich nicht um Dinge kümmern sollen, von denen sie keine Ahnung haben. Ob er sich das bei der Bekrittelung meiner Arbeit zu Herzen nimmt??!

Ich beginne allmählich einzusehen, daß in M(arburg) für mich keine erfreuliche Zeit bevorsteht. Dieser Mann plackt und quengelt mich sicher, wo er kann. Ein Glück, daß er in der Fakultät so ganz allein steht. Wenn ich nicht die felsenfeste Überzeugung hätte, in der mich auch andere Leute (so unlängst der hiesige Geograph, Prof. Sapper, für den ich drei Vorlesungen hier hielt) bestärken, daß ich im akademischen Berufe etwas Gutes bewirken kann – ich wäre schon längst abgesprungen und hätte mich der Industrie zugewendet. Oder wäre Müllkehrer geworden, oder etwas Ähnliches. Wenn ich Ihnen diese ganze Sache in so breiter Ausführlichkeit darstelle, so geschieht das auch deswegen, um Ihnen zu zeigen, wie sehr das ganze Hab(ilitations)-Wesen einer gründlichen Erneuerung bedarf. So ist man einfach auf Gnade oder Ungnade dem Fachbonzen ausgeliefert.

In der Internationalen Monatsschrift habe ich einen langen Aufsatz Die Zukunft der morgenländischen Studien in Deutschland (auf Anregung von Prof. Cornicelius) geschrieben, dessen Fahnen ich Ihnen demnächst sende. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich dazu äußern werden. Ich habe natürlich am Schluß, wo ich lang von Ihnen spreche, fürchterlich und bajuvarisch ‚geschimpft’. Der Artikel soll im April erscheinen.

Dann noch etwas: ich erinnere mich ganz deutlich, irgendwo von einer Schrift von Ihnen, etwa des Titels ‚Der Staatsgedanke im osmanischen Reich’ gelesen, nicht gehört zu haben. Sie erschien m.E. in den Veröffentlichungen des Dresdener Gehe-Stiftung. Nun erhalte ich von meinem Buchhändler beiliegende Zuschrift. Kann das wohl stimmen?

Darf ich Sie zu guter Letzt noch um ein Exemplar Ihrer Landtagsrede anbetteln; ich habe das Protokoll dem hiesigen Physiker, Geheimrat Wien (der als Nachfolger Röntgens wohl nach München gehen wird, was sehr schade ist) gegeben; der hat’s verlegt und ich mag ihn nicht nochmals daran erinnern. Andernteils möchte ich sehr gern Ihre Ausführungen für mich besitzen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich mit einem zweiten Abdruck erfreuten.

Meine im Islam abgedruckte Urkundenarbeit findet, praefiscini hoc dixerim, allgemeinen Beifall. Von Kraelitz, Brockelmann, Kahle usw. haben mir auffallend nett darüber geschrieben. Von Kiel habe ich noch keine Zeile darüber gehört. Aber den Empfang wird man mir doch noch bestätigen.

Ich bin zur Einsicht gekommen, daß in keiner Wissenschaft Neid, Mußgunst, Scheelsucht usw. eine so erbärmliche Rolle spielen wie bei uns. Ist das wohl wahr?

Wenn’s so weiter geht, nehme ich den Posten als Botschafter in Konstantinopel doch noch an. Soviel staatsmännisches Geschick wie Herr Erzberger habe ich auch noch. Freilich fehlen mir dafür andere Talente, die ihm so sehr eignen. Ad vocem E(rzberger): wenn ich der Kompagniechef des Fähnrichs von Hirschfeld wäre, würde ich mich aus Kummer über diesen Jungen erschießen. Und sein Großvater, der alte General in den Freiheitskriegen, dürfte sich im Grab herum drehen. „Ach, wie schießt Ihr schlecht!“, singt der alte Julius Mosen in seinem Hofer-Lied. Daran habe ich denken müssen. Und an einen hübschen alten Vers, den wir als Pennäler dereinst einpaukten:

Scelera ipsa nefasque
Hac mercede placent …

In steter aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung

bleibe ich Ihr ganz ergebener (gez.) Franz Babinger

P.S. Was macht die Goldziher-Festschrift? Es ist so schade, daß man sich über diese Dinge nicht mündlich unterhalten kann. Die hirnrissigen Fahrpreiserhöhungen machen solche Dinge wie Reisen für den gewöhnlichen Menschen hinfür überhaupt unmöglich. FB

 

340. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 7.9.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

zunächst three cheers for you. Weil Sie mir nämlich die Meinung wegen des Aufsatzes gesagt haben. Also bitte, transeat. Im übrigen habe ich seitdem weiter über dieses Problem nachgedacht und ich bin, glaube ich, zu einem bestimmteren Ergebnis gelangt. Darüber mündlich, sobald ich nach Berlin komme. Denn nach Leipzig gehe ich um keinen Preis der Welt. Ich habe mich aus der gotterbärmlichen Stimmung des Spätfrühlings glücklich wieder etwas herausgefunden und kann mir diese mühsam wieder erlangte Laune nicht von gewissen Herren in Leipzig verderben lasse. Ich stehe jetzt ganz auf dem Standpunkt, den Sie mir im Juni anrieten: nur innerhalb eines ganz bestimmten Kreises aus sich heraus zu gehen. Dann bin ich bekanntlich als Mensch einer gewissen Gattung von Orientalisten ein Greuel, als da sind: J(ensen), Zimmern, Scherman aus Posen, Lehmann-Haupt, Hommel und gewissen philologisch orientierten Herren. Ich bin herzlich froh, wenn ich gewisse Gesichter möglichst lange nicht sehe. Außerdem bin ich ja bis heute noch nicht Mitglied der DMG19. Und werde es, so lange sie diese Form beibehält, niemals werden. Ich hätte mich selbstredend riesig gefreut, Sie schon vorher zu sehen. Aber es geht bei bestem Willen nicht. Ich habe, wie gesagt, im Schwarzwald so wundervolle Tage verlebt und habe mir dabei zum Umgang die Leute aussuchen können, die mir genehm waren, daß ich möglich lang an dieser Erinnerung zehren möchte. Auch den alten, gestrengen Nöldeke scheine ich etwas amüsiert zu haben: er schreibt mir eben: Die Stunden, die Sie hier bei uns zubrachten, werden uns immer in erfreulicher Erinnerung bleiben. Diese Worte aus dem Munde gerade Nöldekes haben mir riesigen Spaß gemacht. Wissen Sie, der Gegensatz zwischen ihm, dem 84jährigen, der niemals auf einem Gaul gesessen, und mir war einfach köstlich. Ich mußte ihm und seinen Damen stundenlang bis in die späte Nacht hinein von meinen Erlebnissen erzählen. Es war entzückend … Unendlich anregende Tage hatte ich im Hause Emil Jacobs in Freiburg. Darüber muß ich Ihnen einmal einen Sondervortrag halten. Er ist, nebenbei, der einzige Professor, der Sie ganz versteht. Wenigstens unter meinen Bekannten. Ein prächtiger Mensch. So, nun habe ich Ihnen lange genug fast pensionatdamenmäßig vorgeschwärmt …

Daß Sie sich an der Browne-Festschrift beteiligen wollen, freut mich mächtig. Ich möchte gern, daß eine bestimmte Gesellschaft sich daran beteiligt. Aber es eilt dann ein wenig. Nicholson schrieb mir unlängst (August 11th, 1920). Almost all contributions have now been sent in to me, and as the printing of the volume will take a long time – probably more than a year – it is important to avoid unnecessary delay. I can, however, promise you that any contribution which reaches me on ore before November 1st will be included in the Festschrift. This arrangement will, I hope, enable you and other German scholars to take part with European and American Orientalists in doing honour to professor Browne …

Bitte, drücken Sie doch innerhab Ihres Kreises möglichst viele Beiträge zur Festschrift durch. Ich verfolge mit dieser Anregung einen ganz bestimmten Zweck, den ich Ihnen mündlich genau darlegen will. Aber bis ich Sie sehe, sind wohl nur noch 14 Tage zum Termin! Es liegt im Interesse der zukünftigen Orientalistik und der zwischenstaatliche Beziehungen außeror-dentlich viel daran, daß Sie, Littman, Ritter, Mittwoch, Kahle usw.usw. beteiligt sind. Littmann habe ich gründlich bearbeitet; er wird also sicher teilnehmen.

Ritter hatte ich vor aufzusuchen; ich weiß aber nicht, ob man damit nicht seine Kreise stört, zweitens, ob ich selbst noch dazu komme. Ich verreise noch 8 Tage innerhalb der weißblauen Grenzpfähle. Ich hatte ihn dringend aufgefordert, mich hier zu besuchen, aber er scheint nicht recht aus Niederzwehren heraus zu wollen.

Allen Erfolg in Bad Elster! Hoffentlich kommen Sie in keinen Kommunistenputsch herein. Das ist gerade so die Gegend dafür.

In herzlicher Dankbarkeit und Verehrung stets Ihr (gez.) Franz Babinger.

P.S. Daß ich neulich ausführlich im …Vorwärts20 abgehandelt wurde, wissen Sie vielleicht schon. Man hat den Aufsatz aus dem NO (??) über die ‚Tatarennachricht’, Gott sei Dank, mit Quellenangabe in extenso gebracht!! FB

 

341. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 13.1.1921

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Mein lieber Babinger!

Wenn ich Ihnen erst heute schreibe, so geschieht das, weil ich selbst die Grippe gehabt habe. Ich bin dieser scheußlichen Krankheit so energisch zu Leibe gegangen, daß ich sie sehr schnell wieder losgeworden bin. Allerdings gönne ich mir jetzt noch eine kleine Erholung und gehe in der nächsten Woche für etwa 8 Tage nach Gelnhausen. Sie müssen sich aber nun ganz besonders schonen. Man darf die Sache nicht leicht nehmen. Einer meiner Mitarbeiter hat heute seinen einzigen Sohn an dieser Krankheit verloren und beinahe auch seine Frau. Wo man hinhört dasselbe Elend. Aber wir wollen nicht jammern, sondern vorwärts schauen. Deshalb gehe ich auch nicht mehr auf (die) Herzfeld-Affäre ein. Ich wundre mich allerdings, daß Sie beabsichtigen, ihm einen Neujahrsbrief zu schreiben, nachdem Sie ihm vorher geschrieben haben, Sie würden Briefe von ihm uneröffnet zurückschicken. Also machen Sie was Sie wollen; aber machen Sie was Vernünftiges. Ich werde mich ganz draußen halten.

Ihren Goldziher-Nachruf in der Frankfurter Zeitung habe ich übrigens mit Interesse gelesen. Er war hübsch und durchaus zweckentsprechend. Ich bin natürlich nicht dazu gekommen, will aber jetzt in Gelnhausen die dortige Ruhe benutzen, einige Gedanken über den Islam niederzuschreiben. Auch Ihr Suleiman ist hier eingetroffen. Haben Sie herzlichen Dank. Gelesen habe ich ihn noch nicht, werde es aber tun.

Zum Schluß nehmen Sie meinen herzlichen Dank für Ihr schönes Bild. Der Karton hat leider beim Transport etwas gelitten, aber das Bild selbst ist unverletzt. Es ist ganz, daß wir ‚Franz Babinger in Berlin’ nunmehr im Bilde besitzen; denn sonst würde er schließlich nicht mehr ganz glaubhaft erscheinen.

Schonen Sie sich nur recht und pflegen Sie sich. Sie müssen jetzt erst einmal wieder ganz gesund werden. Ich gedenke Ihrer in herzlicher Freundschaft und erlebe mit Ihnen all Ihr unverdientes Mißgeschick. (C.H.B.)

 

342. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 26.4.1921

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

ich benutze eine der ersten Stunden nach meiner Rückkehr aus dem Hessenland, Ihnen für das Amt, das Sie nun tatsächlich übernommen haben, von ganzem Herzen allen Erfolg zu wünschen. Ich war zuerst entsetzt, aber dann schien es mir insofern eine glückliche Lösung, als wir eher Aussicht haben, den Minister CHB wieder zu gewinnen als den Staatssekretär! …

Ich war zwei Tage bei Kahle in Gießen und habe Marburg, lächelnd , aus der Ferne erschaut. Es war sehr nett und ich habe mit Staunen gesehen, wie Kahle in diesem gottverlassenen Nest eine ganz ausgezeichnete Seminarbücherei aus dem Nichts erschuf. Man wird weit gehen und suchen müssen, bis man wieder dergleichen findet. Im übrigen, ich habe wieder einmal gesehen, wie recht Sie hatten, als Sie meine Ungeeignetheit für eine ganz kleine Universität betonten. Ich stürbe totsicher vor Langerweile und Grausen in einer solchen Kleinstadt. In diesem Sinn muß ich das Scheitern der Marburger Sache als eine glückliche Fügung betrachten. Die Kleinheit der Menschen ist eben dort riesengroß.

Gestern schrieb mir der Berliner Pedell, daß meine Jungfernrede auf den 2. Mai falle. Das wäre der kommende Montag schon. Ich habe, da ich infolge verschiedener Abhaltungen in den letzten zwei Wochen fast zu nichts kam, um Verschiebung bis ans Weekend gebeten. Jedenfalls komme ich imVerlaufe der nächsten Woche nach Berlin. Sie werden, wenn das möglich ist, jetzt am Ende noch mehr in Anspruch genommen sein als früher. Aber ich gebe trotzdem die Hoffnung nicht auf, Sie während des S(ommer)S(emesters) einmal auf eine Stunde zu sehen.

Ihr früherer Hamburger Kollege, mein späterer Münchener Lehrer Erich Marcks hat sich dieser Tage an mich gewandt mit der Aufforderung, zu einem zweibändigen, von ihm geleiteten Werk ‚Meister der Politik’ einen Essay über Sülejman den Prächtigen beizusteuern. Tschudi habe aus Krankheit zurücktreten müssen und ich sei, so meinte er, in Deutschland der einzige, der für diesen Beitrag ernstlich in Frage komme. Ich nahm an, unterließ es aber nicht (versteht sich im stillen!!), meine Betrachtungen über diese Ansicht anzustellen. Trifft sie zu, so ist es weiß Gott kläglich um unsere Wissenschaft bestellt. So bleibt mir nichts anderes übrig, als jene Äußerung nicht ganz ernst zu nehmen.

Bedenken Sie doch, oben an der Wasserkante wirkt ja Ja’qùb. Wenn der so etwas erführe, platzte er vor Wut und Ingrimm. Das können wir doch im Ernste nicht wünschen …

Ihren Artikel in der Frankfurter Zeitung habe ich mich mit Entzücken gelesen. Glauben Sie aber ja nicht, daß die Leute an der Eschersheimer Straße nichts spannten. Dr. H. Simon, der Besitzer der Zeitung und – horribili dictu! – trotz einigermaßen abweichender politischer Auffassung guter Freund von mir, hat sich unsagbar darüber erlustigt, als ich ihn am vergangenen Samstag fragte, wie der Artikel in die Zeitung kam. Er meinte, und ich denke nicht mit Unrecht, Sie seien einer unsrer besten Diplomaten!

So sehen Sie denn zu, daß Sie recht bald den Ministersessel mit dem Botschafterposten am Goldenen Horn vertauschen. Und vergessen Sie dann bitte nicht – der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt! – mich als Kapudschi mitzunehmen.

Herzlichst stets Ihr getreuer (gez.) F.Babinger

 

343. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 3.9.1921

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

gestern sind es drei Wochen gewesen, seit ich mich hier von Ihnen verabschiedete. Es wird Zeit, daß ich anstelle der flüchtigen Kartengrüße mich wieder einmal ausführlicher vernehmen lasse. Ich mittlerweile hier und da gewesen, acht Tage in Tirol, wohin mich Mordtmann drahtlich gebeten hatte. Der Ärmste hat außer seinem einzigen Kind nun auch seine Frau hergeben müssen und steht im wirklichen Sinn des Wortes allein in der Welt. Dazu die Abgeschnittenheit von seinem Heim, seinem Hausrat, seiner Kleidung: ein schrecklicher Zustand. Ich bin gerade dabei, für ihn in London die Einreise nach Konstantinopel zu erwirken. Er wünscht, daß ich ihn, auf seine Kosten, dorthin begleite. Das wäre ein schicklicher Vorwand, die Reise nach Berlin hinauszuschieben, vor der mir im wahrsten Sinne graust. Nicht so sehr wegen Berlin selbst und der dortigen Menschen, denen ich immer noch keinen rechten Geschmack abgewinnen kann, als vielmehr wegen des nötigen Geldaufwandes. Die Zustände werden immer gräßlicher und der bevorstehenden Winterteuerung sind ganz anders gestellte Leute nicht mehr gewachsen. Aber ich will Ihnen wirklich nichts vorjammern. Ich habe bisher immer so etwas in den Tag hineingelebt. Allerlei Ereignisse haben nun meinen Blick mehr auf die Zukunft gerichtet, die mir in bezug auf Lebensbedingungen mehr als grau erscheint. Es ist, glaube ich, ganz gut, wenn man nicht von heute auf morgen denkt. Nur der Krämer sorgt für den Tag, der Kaufmann berechnet die Zukunft. Sie werden mich doch hoffentlich unter die Kaufherren rechnen!? Wäre ich um zehn Jahre jünger, so wüßte ich genau, was ich täte. Aber so bleibt mir nichts andres übrig als bei meiner brotlosen Kunst zu verharren. Sonderbar, daß die meisten meiner bekannten mich beneiden. Erst gestern sagte wieder so jemand, wie schön ich es doch haben müsse usw.! Ich hinwiederum finde den Zustand anderer beneidenswert, so Mittwochs, Ritters, Littmanns usw. Während die nicht nur das Haupthindernis als da ist inonis argenti glücklich übersprungen haben, steht mir dieses und Sonder-Hindernisse, wie (arabischer Text) und (arabischer Text) (o der unselige §1313 BGB, vgl. Sure 2,228; 65,1) zu überwinden bevor!

(Arabischer Text)

Doch genug der Jereminaden! Herzfeld, der mir übrigens ernstlich zu heiraten empfiehlt und Sport zu treiben rät, ist hell begeistert von Albion. Er hat mir ellenlange Briefe geschrieben. Aus manchem merkt man, den er zum erstenmal den Kanal überquert hat. Aber in vielem hat er ja recht, ach so recht. Er plant, statt nach Leipzig nach Rom zu fahren, wogegen ich Einspruch erhob. Ich selbst werde zwar, deficiente pecu -, schwerlich, d.h. fast sicher nicht nach Leipzig kommen, aber ich halte es aus mehrfachen Gründen wirklich für wichtig, wenn er erscheint und von seinen Erlebnissen berichtet. Meine englischen Freunde Browne, Arnold, Nicholson sind übrigens auf meine Anregung der DMG beigetreten und ich habe mindestens 30 Deutsche als neue Mitglieder beigebracht. Hoffentlich erscheint Ihr Vortrag bald. Sie müssen ihn gesondert drucken lassen, falls nicht ‚Transactions’ der Tagung gedruckt werden sollen.

Gregger schreibt aus Badgastein. Wir haben leider, als er Bayern durchfuhr, verfehlt. Ich war gerade in Rosenheim, als er die gleiche Gegend im Zug durchsauste. Er meint immer, ich solle mich mit ihm in Reichenhall oder in der Nähe davon treffen! Aber ich werde ihn gewiß sehen, wenn er zurückkehrt. Aus einer gemeinsamen Fahrt nach Ofen ist leider nichts geworden.

Mittwoch habe ich zur Hochzeit am 13.9. (in der Loge Plato zu Wiesbaden ulkigerweise) einen Perser versprochen (Teppich nämlich!), aber erst, wenn mein Einkommen x Tausende übersteigt. Er ist weniger um seine Auffassung über die Ehe und um seine Braut zu beneiden als um die Tatsache, daß er heiratet. Die platonische Loge finde ich überflüssig. Er hat noch Platonismus genug in seiner Ehe …

Herzfeld ist auf schickliche Art der Verpflichtung überhoben, an der chatunâ (hebräischer Text) teilnehmen zu müssen. Aber ich wünschte ihm trotzdem sehr, daß er dem Nebel der City, der ihm schwer zuzusetzen scheint neben der anstrengenden Tätigkeit im B(ritish) M(useum), endlich entfliehen könnte. Er schreibt geradezu beängstigende Briefe über seinen Gesundheitszustand. Was er über die englische Rasse alles schreibt, ist, wenn es sonst nichts ist, äußerst geistreich und hat mir viel Spaß gemacht. Er hat bis zu einem gewissen Grade sicherlich recht, wenn er auch vielleicht vergißt, daß auch die geschichtliche Entwicklung und die geographische Lage ein gut Teil an den Erfolgen schuld sind, und , daß er —– zum erstenmal in England ist. Aber auch ich habe mich von jeher riesig begeistert für jenen Eton- oder Oxford-Typ, der etwas von der wirklichen Kultur des Gelehrten mit der Anmut, Vornehmheit und dem vollkommenen Gebaren eines Weltmannes verbindet. Die Engländer scheinen ihm aber auch wirklich entgegenzukommen und ich kann mir vorstellen, das all das um so günstiger auf ihn einwirken muß, als gerade seine letzten Erfahrungen in Berlin entgegengesetzter Art gewesen sind.

Der XI. Islam-Band ist übrigens in der neuen Zeitschrift Oriente Moderno glänzend wegge-kommen. Auch die Arbeit von al-abd alfaqir hat darin freundliche Beurteilung gefunden. Diese Zeitschrift gefällt mir sehr. Sie hat nicht nur den Titel, sondern auch die Anordnung von der Mittwoch’schen, ist aber ganz ungleich besser. Ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Sie müssen sie sich, wenn Sie einmal eine ruhige Stunde haben, wirklich einmal ansehen. Mittwoch könnte alles daraus lernen.

Ich war vorgestern bei mehreren Buchhändlern um die versprochenen Bücher für die beiden Jungens zu erstehen. Was ich da fand, war sehr kümmerlich und gar nicht das, was ich suchte. Ich überlege mir nun noch etwas. Mitte kommender Woche spätestens will ich die Bände absenden. Ganz das, was mir in jedem Fall vorschwebt, wird es wohl kaum. Das Frankenland hat, wie es scheint, außer Scheffel keinen richtigen Lobpreiser gefunden und gerade solche Bücher, wie sie für meine altbayerische Heimat vorliegen, gibt es für Nordbayern gar nicht. Ich werde nu etwas über Würzburg aussuchen, weil mir dafür noch am besten gesorgt zu sein scheint.

Nun habe ich Sie vier Seiten lang aufgehalten. Es ist wenig Gescheites, was diesmal im Briefe steht. Aber Sie werden zeitlebens das Pech haben, von mir brieflich angegangen zu werden, wenn es im Innern nicht so aussieht, wie man es wünscht. Ich kann Ihnen keinen größeren Beweis meiner herzlichen Anhänglichkeit und Dankbarkeit geben …

In steter aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit Ihr getreuer (gez.) F.Babinger.

 

344. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 14.12.1921

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

schon lange wollte ich ihnen einmal schreiben, aber die Zeit, die ich bisher außer Betts verbrachte, war immer so kurz, daß ich mich nicht dazu aufraffen konnte. Ich bin nämlich seit dem ersten Tag meines Hierseins, 30.11. abends, bis heute ständig zu Bett gelegen und erst jetzt fange ich an, hin und wieder etwas aufzustehen und innerhalb der vier Wände der Wohnung mich zu bewegen. Seit heute haben wir Schnee und wenn das Wetter Bestand hat, will ich morgen sogar den Weg ins Freie suchen, und sei es nur für wenige Stunden. Aber das Ergebnis der genauen Untersuchung ist nicht gerade erhebend; ich habe einen linksseitigen Lungenspitzenkatarrh gehabt und dadurch mir eine, freilich ganz unbedeutende Geschichte zugezogen, die sorgfältiger Behandlung bedarf. Der Arzt hat mir aufs bestimmteste versichert, daß binnen sechs Wochen alles wieder gut sei, aber mir dringendst einen rund 6-8wöchigen Aufenthalt im Allgäu angeraten. Ich will, um möglichst rasch die Sache loszuwerden, schon Ende des Monats nach Hohenschwangau und dort, bzw. in Oberstdorf, bleiben bis Mitte Februar. Berlin sieht mich also in diesem W(inter) S(emester) wohl nicht mehr. Ich hatte vorhin eine Rücksprache mit dem Arzt und habe daraufhin mein Zimmer zum morgigen Tage gekündigt.

In diesen Tagen haben Sie mir eine unendliche Freude und einen ebensolchen Genuß bereitet. Jawohl, Sie, und zwar ohne es zu wissen. Ich hatte nämlich neben meinem Bett die beiden großen Kapseln ‚CHBecker’ stehen, in den alle Ihre opuscula minora verwahrt werden. Ich habe sie alle durchgelesen, manchmal zweimal, so den Beseler-Vortrag, zu dessen Studium ich bisher leider gar nicht gekommen war. Es war mir eine unbeschreibliche geistige Erholung und Ablenkung und ich habe überaus viel Neues gelernt. Ich schriebe Ihnen, Sie kennen mich genau, dies sicherlich nicht, wenn es nicht genau stimmte. Sie finden diesen Erguß vielleicht naiv. Aber es gibt Fälle, wo einen das Temperament oder das Herz, oder wie man diese feine Bewegungszentrale sonst nennen will, über die papiernen Schranken der Zurückhaltung hin-wegtreibt, wo die innere Lebenswärme, die durch irgend einen Anstoß in uns erweckt und befeuert wird, auf dem kürzesten Weg nach außen drängt. Das war eben der Fall.

Ich werde mir diese zwei Kästen als geistige Nahrung mit ins Gebirge nehmen.

Der kleine Wolfgang Kühn hat mir eine sehr nette Karte geschrieben, die ich, meiner alten Gepflogenheit nach, längst bedankt hätte, wenn ich zurzeit nicht ganz aus dem Gleise wäre. Denken Sie sich, er schrieb als Anschrift: Herrn F.C.H. Babinger, Berlin, Universität. Die Karte wurde mir prompt in meine dortige Wohnung und von da hierher zugestellt.

Die neuen Postgebühren finde ich irrsinnig; ich werde am 1. Januar zu schreiben aufhören, Briefe und Karten nämlich. Wie lange dieser Wahnsinn wohl noch weitergeht?

Zum Schlusse noch eine Frage: ich möchte sehr gern, daß mir für die restlichen drei Monate (Januar, Februar, März 1922) Stipendium und Lehrauftrags-Geld auf einmal ausbezahlt werden; das macht s.s. Mark 1675. Ich habe im Juni schon einmal eine solche Eingabe dem Ministerio unterbreitet, aber ich hatte das Empfinden, als ob das allerlei Weiterunge zur Folge gehabt habe. Man wollte, irre ich nicht, bei der Fakultät nach der Bedürftigkeit nachfragen usw. So wenigstens sagte mir irgend ein Assessor im Ministerium, an den ich mich wandte, als die Sache Ende Juli noch im Umlauf war. Unter solchen Umständen lasse ich mir die Beträge natürlich lieber ratenweise, nämlich monatlich, auszahlen, aber sonst wäre mir, zur Bestreitung meiner höchst ungewollten Gebirgsreise, der auf einmal entrichtete Betrag natürlich nicht unangenehm. Vielleicht lassen Sie mir, wenn Sie selbst keine Zeit dazu finden, das durch Gragger sagen, der mir doch dieser Tage schreiben wird.

Und nun wünsche ich Ihnen und den Ihrigen recht fröhliche Weihnachten. Ehe das Jahr zu Ende geht, werde ich mich noch einmal vernehmen lassen.

In herzlichster Dankbarkeit und Verehrung stets Ihr getreuer (gez.) F.Babinger.

PS. Der handschriftliche Vermerk ist unlesbar. BB

 

345. C.H.B. an Franz Babinger, Privatdozent (Berlin), 20.12.1921

Der Staatssekretär (Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger!

Haben Sie herzlichen Dank für Ihren guten Brief vom 14. Dezember. Es tut mir aufrichtig leid, daraus zu entnehmen, daß Sie sich doch einen kleinen Knacks geholt haben. Ich kann Sie nur bitten, Ihre ganze Kraft darauf zu konzentrieren, zunächst einmal wieder gesund zu werden. Ihre materiellen Wünsche habe ich mit Herrn Richter besprochen und wird Ihnen in der nächsten Zeit Mitteilung zugehen, daß Ihre Lehrauftragsbezüge erheblich erhöht worden sind. Außerdem wollen wir versuchen, ihnen sonst noch eine kleine Unterstützung zukommen zu lassen. Erwarten Sie also, bitte, darüber besondere Nachricht.

Daß Sie meinen Opuscula ein so freundliches Interesse entgegenbringen, freut mich aufrichtig. So kommt doch noch manches, was nur wenige gelesen haben und an den verschiedensten Orten verstreut ist, an die richtige Adresse. Schaeder hat ja schon lange die Absicht, meine ganzen kleinen Schriften einmal in einem Bande zusammenzufassen. Ich habe nur nie die Zeit, die notwendige korrigierende Hand mit an die Arbeit zu legen.

Wenn Sie dieses Semester nicht mehr nach Berlin zurückkommen, was ich nach Ihren Mitteilungen für selbstverständlich halte, bitte ich Sie, der Fakultät eine kurze Mitteilung davon zu machen, unter allen Umständen aber, worüber Sie zweifelhaft zu sein scheinen, Vorlesungen für das Sommersemester anzukündigen. Bis dahin sind wir ja wieder ein gut Stück weiter.

Ich hatte gerade Ihren Brief zu Ende gelesen, als mich Herzfeld besuchte und wir auf Sie zu sprechen kamen. Er war aufrichtig betrübt über die zwischen Ihnen ausgebrochenen Mißverständnisse und meinte besorgt, Sie müßten doch offenbar sehr nervös sein. Nachdem er mir den ganzen Vorgang auf meine Bitte hin genau erzählt hat, glaube ich auch, daß Sie einer fixen Idee zum Opfer gefallen sind. Ich bemerkte schon früher einmal, daß Sie sich sehr abfällig über Herzfelds Stellung zu E.G. Browne äußerten. Ich machte schon damals eine abwiegelnde Bemerkung, da ich Herzfeld zu genau kannte, um Ihr Urteil in dieser Sache für richtig zu halten. Herzfeld hat bei den ersten Wiederanknüpfungen mit England Browne gegenüber eine abwartende und kritische Stellung eingenommen, wenn er auch lange nicht so empfindlich war wie Sie dem gleichen englischen Gelehrten gegenüber. Dann trat bei Ihnen die Peripetie ein, während Sie sich nie davon überzeugten, daß auch Herzfeld gern seinen guten Erfahrungen mit Browne nach Wiederanknüpfung der Beziehungen Rechnung trug. Herzfeld hatte seine frühere Reserve nie so tragisch genommen, wie Sie das getan hatten, und sich deshalb auch gar nicht mehr erinnert, daß er sich Ihnen gegenüber abfällig über Browne geäußert hatte. Unter diesen umständen hat er in voller Gutgläubigkeit, da er wieder von Ihren neuerlichen intimen Beziehungen zu Browne nichts wußte, Ihre Bemerkungen über seine Stellung zu Browne völlig mißverstanden und dann von Ihnen eine mich etwas erschreckende brüske Antwort erlebt. Er hätte mir die Sache nicht erzählt und trägt sie Ihnen auch nicht weiter nach, da er Sie wirklich gern mag und sich bloß um Ihre nervöse Labilität im Interesse Ihrer Person Sorge macht. Es ist wirklich schade, wenn sich Leute wie Sie und Herzfeld über ein derartiges Mißverständnis verkrachen, und ich bitte Sie herzlich, Ihre kollegialen Beziehungen zu ihm mit einigen Worten der Aufklärung in der alten Weise wieder aufzunehmen. Sie können natürlich nach dem Vorgefallenen nicht erwarten, daß er zuerst an Sie schreibt. Aber von meiner Freundschaft können Sie ja sicher sein, daß sie Ihnen nur zu etwas rät, was vor Gott und den Menschen vertretbar ist.

Mit den besten Wünschen für ein gutes Weihnachten und für eine gute Gesundheit bin ich in herzlicher Zuneigung Ihr getreuer (C.H.B.)

Anhang.

Herrn Staatssekretär Professor Dr. Becker o.D.

Fall Babinger

  1. 6000 RM außerordentliche Unterstützung, zahlbar Würzburg, sind angewiesen.
  2. Die Zahlung des Stipendiums in der vorjährigen Höhe wird folgen.
  3. Für die Weiterzahlung der beim Orientalischen Seminar zahlbaren Vergütung werde ich Sorge tragen.
  4. Die Absendung des Werkes von Lenz ist veranlaßt.
  5. Am Mittwoch habe ich wegen des Lehrauftrags bei der Universität geschrieben.
  6. Vom geschäftlichen Teil des Briefes ist demnach folgendes noch zu erledigen:
    1. Die Überweisung eines Exemplars des Bezold’schen Werkes können wir von hier aus wohl kaum veranlassen.
    2. Mit dem Steuerabzug hat es seine Richtigkeit, weil der Entscheidung hierüber nicht nur die Zahlung der Vergütung für den Lehrauftrag beim Orientalischen Seminar zugrunde zu legen ist, sondern auch die Zahlung des Stipendiums, beide Summen machen mehr als 7800 RM. Zur Zeit sind auch die Stipendien steuerpflichtig.

 

346. Postkarte21 von Professor Georg Jacob an Franz Babinger. Kiel,13.1.1922

Sehr geehrter Herr Kollege,

herzlichen Dank für Ihre beiden Zusendungen. Über letztere schreibe ich ausführlicher und sende Ihnen auch eine Gegengabe, wenn ich Ihre Berliner Adresse weiß, die mir bisher zu ermitteln unmöglich war. Briefe an Jäger (Berlin, Universität) kamen als unbestellbar zurück, da er dort ‚unbekannt’ ist, obwohl er doch zu Ihren (Sternen??unleserlich) zählt. In Würzburg war ich auf der Rückreise von warmen sonnigen Herbsttagen und habe wieder einen tiefen Eindruck von der Schönheit der Stadt mitgenommen.

Mit bestem Gruß Ihr Georg Jacob.

PS und Unterstreichung von Babinger: Ist das nicht entzückend? Mich erreichen Karten ‚F.C. H. Babinger, Universität. Ja , ja , es kommt eben auf die Größe der Sterne an! (1., 2., 3. Größe(!)

 

347. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 16.1.1922

Lieber Herr Becker,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre lieben Zeilen vom 13.1. Denken Sie sich, ich hatte am 6.1. einen neuerlichen, ganz schweren Grippe-Rückfall, der mich volle acht Tage in scheuß-licher Verfassung ließ. Es war (unleserlich) zum irrsinnig werden. Erst seit zwei Tagen fühle ich mich wieder wohler und es wird nun wirklich höchste Zeit, daß ich an meine Erholung in den Bergen denke. Das war eine schreckliche Zeit. Ich liege nun die zehnte Woche. Wenn mir das jemand früher gesagt hätte, so wäre mir das als heller Unsinn erschienen. Aber vielleicht ist es ein gutes Zeichen. Daß ich seit gestern, wo ich in ein neues Lebensjahr eintrat, eine merkliche Besserung in meinem Befinden verspürte.

Gregger riet mir dringend zu einem Sanatorium (meine Ärzte raten mir ebenso ab, weil sie sagen, das brauche ich nicht). Ich habe mich daraufhin erkundigt und erfahren, daß keiner unter 150 RM pro Aufnahme gewährt. So erledigt sich dieser Vorschlag schon aus diesem Grunde ganz von selbst.

Ich bin bestürzt, daß Sie den dummen von der Schriftleitung zu Dreivierteln verkürzten, dumm verkürzten Artikel über Goldziher dennoch zu Gesicht bekamen. Ich habe mich rasend darüber geärgert. Mein Nachruf sah ganz anders aus. Goldziher jr. sandte mir eine begeisterte Karte mit interessanten Angaben, die Sie verwerten sollten. Auch hat irgendwer der Frankfurter Zeitung sehr nett geschrieben und einige Daten, die sie irgendwelchen Büchern entnahmen, berichtigt. Goldziher soll nun eine lange Biographie erhalten, wie mir der Sohn schreibt.

In der Herzfeld-Sache sehen Sie, leider, leider, immer noch etwas falsch. Ich konnte einfach einen dritten Brief des Kalibers wie die zwei vorangegangenen in meinem Zustand nicht ertragen. Er hätte mir die Nerven zersägt.

Im T’amg Paa (?) hat der berühmte P. Pelliot meine kümmerliche Doktorarbeit lang und glänzend besprochen, was mich eigentlich freute. Denn dieser Pelliot (wohl der größte lebende Sinologe) ist ruppig und karg in seinem Lob. Der mißratene Sulejman-Essai hat mir ein paar sehr nette Zuschriften von ganz unbekannter Seite eingetragen. Riesig dumm ist, daß im Inhaltsverzeichnis des Werkes steht: F.B., Professor in Berlin. Mich traf fast der Schlag, als ich das las. Aber ich versichere Ihnen, ich bin unschuldig daran.

Ich schreibe Ihnen bald einmal wieder. Aber zurzeit läßt sich im Bett die Feder zu schwer führen.

In steter Herzlichkeit und treuer Anhänglichkeit Ihr F.Babinger.

PS. Grüßen Sie die Buben herzlichst, wenn sie bei Ihnen sind. O, wie schöne Tage hatten wir im August 1921!

 

348. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 19.1.1922

Lieber Herr Becker,

heute früh habe ich mich zum erstenmal nach langer Zeit wieder freuen dürfen. Ich erhielt eine Depesche des Inhalts, daß der bewußte Scheidungsprozeß gestern in Salburg völlig zugunsten der Klägerin entschieden worden sei. Das muß ich Ihnen doch schnell mitteilen, weil Sie gerade in dieser Sache so rührenden Anteil genommen haben. Ich hatte mich schon fast in die Tatsache gefunden, daß dieses Jahr mir unmöglich etwas Gutes gelingen werde, nach dem das verwichene in seinem letzten Viertel mir nichts als Kummer und Sorge gebracht hatte. In einer solchen seelischen Niedergedrücktheit und so ohne Freude am Leben bin ich noch nie gewesen. Nun ist mir wenigstens die freudige Gewißheit geworden, daß ein in unwürdigem, jämmerlichen Zustand dahinlebendes Menschenkind wieder frei aufatmen und die Zukunft rosiger sehen darf.

Ich glaube, nachdem ich einen dritten schweren Grippe-Anfall glücklich überstanden habe, wieder zu leidlicher Rüstigkeit gediehen und fähig zu sein, die Reise südwärts demnächst antreten zu können. Ich schwanke noch zwischen Oberstdorf und Todtmoos (Süd-Schwarz-wald). Jedenfalls will ich Ende des Monats unterwegs sein.

Ich lege Ihnen eine Karte bei mit der Bitte um gel(egentliche) Rücksendung, die mir Goldziher d.Jg. geschickt hat und und mit deren Inhalt Sie am Ende für Ihren Nachruf interessiert.

Wissen Sie, das Bettliegen, das bei mir nun schon die 11.(elfte!) Woche währt, hat eine peinliche Folge gehabt: ich kam auf allerlei Gedanken, stöberte in meinen alten Erinnerungen herum usw. Und siehe da, mir fiel eine Aufforderung ein, die Sie im August während der fahrt von Rothenburg nach Würzburg (IV.Klasse!) an mich gerichtet haben, nämlich Sie zu erinnern, daß ich im Ministerium ein Exemplar der Lenz’schen ‚Geschichte der Univ(ersität) Berlin’ (drei Bände) und womöglich der von Bezold’schen Bonner Universitätsgeschichte umsonst bekommen könne. Ich hatte ganz auf diese Geschichte vergessen.

Dann noch etwas: Können Sie nicht gelegentlich zwei Briefe von Ihnen aus den Jahren 1908/1910 (jawoll!) aus dem Briefwechsel heraussuchen lassen. Ich sandte Ihnen diese zwei Schreiben vor rund 1 ½ -2 Jahren einmal als Belege dafür, daß ich wirklich schon 1908 mit Ihnen im Briefwechsel stand.

Hoffentlich haben Sie auch die letzten Spuren der Grippe überwunden und kehren gestärkt aus dem südlichen Deutschland zurück. Mein jüngster Bruder, der Leutnant bei der Reichswehr ist, vertritt mich in Berlin. Er ist dorthin bis zum 12. Juni zu einem Lehrgang berufen worden. Er kann mich getrost ad calendas Graecas vertreten.

Vescis, ben, vescis dominae fastidia Romae…

In alter Anhänglichkeit stets Ihr getreuer F.Babinger.

P.S. E.G.Browne schreibt mir rührend – besagte Briefe! Am 7.Februar ist sein 60. Geburtstag!

Anhang: Karte von Prof. Dr. Karl Goldziher, an Franz Babinger. Budapest, 3.1.1922

Hochverehrter Herr Professor!

Erst heute bekamen wir Ihren schönen Nachruf zu Gesicht, den Sie meinem guten Vater in der Frankfurter Zeitung gewidmet haben. Empfangen Sie den innigsten Dank für diese herrlichen Worte des Gedenkens, die sich an die Widmung Ihres letzten Werkes anschließen. Gestatten Sie die Bitte, mir –falls möglich – bekannt zu geben (eventuell einzuschicken), wo noch Nachrufe in Deutschland erschienen sind.

Ich benutze die Gelegenheit, einige unrichtige Angaben zu berichtigen, da diese die merkwürdige Laufbahn in noch helleres Licht stellen:

  • Reise im Orient nicht zwei Jahre sondern nur 6 Monate!
  • Privatdozent nicht 22, sondern 34 Jahre, da 1894 nicht a.o. Professor, sondern nur Titularprofessor;
  • Bei der jüd(ischen) Gemeinde nicht 16, sondern mehr als 30 Jahre;
  • Nicht in Oxford, sondern in Cambridge.
  • Prag, Cairo (Yiher Bibliothek?) noch in den 70er Jahren, später noch Heidelberg, Leipzig, Königsberg, etc.

Wir planen jetzt eine große wiss(enschaftliche) Biographie, deren Prospekt bald zugeschickt wird.

Ich berichte Ihnen über die obigen Daten, da Sie vielleicht einmal noch Gebrauch machen können.

Leider waren die letzten Jahre durch Krankheiten sehr getrübt, mein Vater arbeitete aber bis zur letzten Stunde am 9. (unleserlich)

Wir ordnen jetzt die ganze Bibliothek, deren Schicksal uns gehörige Sorge bereitet.

Mit hochachtungsvollen Grüßen bin ich

Ihr sehr ergebener Professor Dr. Karl Goldziher

 

349. Postkarte von Franz Babinger an C.H.B, Gelnhausen. Würzburg, 24.1.1922

(Maschinenmanuskript)

CHB: Sie müssen es meiner gegenwärtigen Verfassung zugute halten, wenn ich Ihnen noch nicht geschrieben habe. Ich bin täglich nur etwa eine Stunde außer Bett. An genauen Daten über Goldz(iher)s Leben kann ich Ihnen geben, was Sie wünschen. Durch die Mitteilungen des Sohnes sind ja die bisherigen Zweifel gelöst. Soll ich Ihnen etwa ganz kurz einen Lebensabriß von ihm schreiben? Nur Daten etwa. Sie müßten diesen dann eben nach der Karte von G(oldziher) d.Jr ergänzen. Die Städtenamen, aus den Sie vielleicht nicht klug geworden sind, bedeuten Orte, an die G(oldziher) berufen wurde. Ich habe noch ein paar Zuschriften in Händen, die bei der Schriftleitung der Frankfurter Zeitung auf meinen Artikel hin einliefen; es sind aber darin nur ganz belanglose Richtigstellungen enthalten, die sich zumeist in der Karte G(oldziher)s d.J. finden. E.G. Browwne’s Anschrift ist: Trumpington Road, Firwood, Cambridge, England. Geburtstag ist am 7. Februar. Er wird sich riesig auf Ihren Glückwunsch freuen. Und ich freue mich riesig, daß Sie endlich mal gründlicher Zeit nehmen, sich zu erholen und so weit von Ihrem Amt sind. Was ist denn mit Ritter los? Von ihm hört und sieht man nichts. Wenn man nicht hin und wieder eine Korrektur erhielte, so möchte man fast zweifeln, ob er noch lebt. Mittwoch fragt er bei mir an, ob Br.(??) in Berlin angenommen habe!! Ausgerechnet bei mir, der Ärmste! Die Leute halten mich für ein Orakel und glauben mir nicht, wenn ich ihnen schwöre, daß ich nichts weiß und daß ich mich überhaupt gar nicht darum kümmere … Am 29., spätestens am 30. Januar reise ich hier ab. Es geht mir gesundheitlich, Gott sei Dank, wesentlich besser; die neuerliche Untersuchung ist fast negativ verlaufen, also wenigstens darin ein Riesenfortschritt.

Ich kann Ihnen nicht schildern, wie ich mich auf die Sonne, überhaupt auf den Lenz freue.

Herzlichst stets Ihr getr(euer) F.Babin(ger).

 

350. C.H.B. an Franz Babinger. (Berlin,) 1.4.1922

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Mein lieber Babinger!

Sie werden wieder einmal nahezu an mir verzweifelt sein. Ich habe wirklich teilnahmslos gewirkt, aber ich darf Ihnen versichern, daß ich Ihrer ebenso schmerzlich wie herzlich gedacht habe. Ich halte es für unbedingt notwendig, daß Sie jetzt nicht nach Berlin zurückkehren, sondern sich erst vollständig erholen. Auf der anderen Seite hängt natürlich alles, was ich materiell für Sie tun kann, von Ihrer Berliner Wirksamkeit ab. Ziehen Sie die Synthese aus diesen beiden Notwendigkeiten, so ergibt sich als einzige Möglichkeit eine immer von Fall zu Fall zu erwirkende kurzfristige Beurlaubung; also benachrichtigen Sie die Fakultät erst zu Beginn des Semesters. Was ihre materielle Lage betrifft, so kann ich Ihnen einstweilen auch nur provisorisch beispringen. Es ist Ihnen zunächst eine außerordentliche Unterstützung von 6000 Mark, zahlbar Würzburg, angewiesen. Die Zahlung des Stipendiums in der vorjährigen Höhe wird folgen. Für die Weiterzahlung der vom orientalischen Seminar zahlbaren Vergütung wird Sorge getragen werden, wobei zu hoffen ist, daß Sie dann wenigstens im Wintersemester Ihren Lehrauftrag wirklich ausüben können. Eine dauernde Sicherstellung für Sie ist nur möglich, wenn Ihnen ein voller Lehrauftrag erteilt wird. Dafür brauche ich einen Antrag der Fakultät. Mittwoch ist Geheimrat Wende ersucht worden, eine solchen Antrag zu extrahieren.

Die Absendung der Universitätsgeschichte von Lenz ist veranlaßt.- Die Bezold’sche Universitätsgeschichte von Bonn kann leider nicht erfolgen, da wir keine Verfügung über diese Exemplare besitzen, was mir seinerzeit offenbar nicht gegenwärtig war.- Im übrigen haben Sie unserer Universitätskasse doch Unrecht getan. Mit dem Steuerabzug hat es seine Richtigkeit, weil der Entscheidung hierüber nicht nur die Zahlung der Vergütung für den Lehrauftrag beim Orientalischen Seminar zu Grunde zu legen ist, sondern auch die Zahlung des Stipendiums und zurzeit auch die Stipendien steuerpflichtig sind.

Ihre Anlagen folgen zurück.

Soviel über das Geschäftliche. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut, daß Sie so schwer vom Schicksal heimgesucht werden. Ich baue aber ebenso wie Ihr Arzt auf Ihre gute Konstitution und hoffe, daß Sie durchhalten werden. Aber gerade bei einer solchen Erkrankung wie der Ihrigen ist es nötig, daß man sich gut ernährt: und dazu braucht man wieder Geld, da haben Sie unbedingt recht.. Ich war leider in der letzten Zeit auch nicht ganz wohl und schreibe auch diesen Brief noch zuhause. Sonst hätten Sie wohl früher von mir gehört. Im übrigen waren meine Tage durch die Vertretung des Ministers während der Lichterfelder Krise über Gebühr in Anspruch genommen. Die Sache wird voraussichtlich Dienstag ihr parlamentarisches Nachspiel erleben. Je nachdem man Individualist oder Milieu-Theoretiker ist, wird man die Schuld verteilen. Mich hat immer der Gedanke bestimmt, daß das Wohl der Gesamtheit unter allen Umständen dem Wohle des Einzelnen vorzugehen hat. Ich hoffe, daß die Entwicklung der Anstalt jetzt endlich in ein ruhiges Fahrwasser kommt.

Mit gleicher Post sende ich Ihnen meinen Leipziger Vortrag; die Goldziher’sche Biographie folgt bald nach. Hoffentlich freuen Sie die kurzen Mitteilungen dieses Briefes. Jedenfalls kommt er aus freundschaftlichem Herzen.

Treulichst der Ihrige (gez.) C.H.Becker

 

351. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 3.4.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

da ich die entzückend ausgestattete Lenz’sche Un(iversitäts)Geschichte schon seit vier, die ministerielle Benachrichtigung von der Verlängerung des Stipendiums und er Anweisung von Mark 6000 schon seit Samstag in Händen habe, hätte ich Ihnen schon längst für die neuen Beweise Ihrer Güte danken sollen. Aber mein Gesamtzustand in seelischer und sonstiger Beziehung hat mich derartig stumpfsinnig und lebensunfroh gemacht, daß erst Ihre heute eingetroffenen lieben Zeilen mich aus der Betäubung bringen. Diese materielle Unterstützung ist mir natürlich überaus erwünscht und ich danke Ihnen herzlich für die Anregung. Ich habe am 1.4. wieder Arztrechnungen usw. bekommen, daß mir die Haare zu Berg stehen und bin heilfroh, daß ich nunmehr diese Verpflichtungen los werden, meine Mutter aber gleichzeitig für erhebliche Ausgaben, die sie durch meine Erkrankung in letzter Zeit hatte entschädigen kann.

Ich mache eine schauerliche Zeit durch, so schauerlich, daß ich Ihnen mit nackten Worten gar keinen Einblick in meinen Zustand zu geben vermöchte, selbst wenn ich Sie mit meinem gram und Kram zu behelligen willens wäre. Unter der namenlosen seelischen Bedrücktheit sehe ich meine ganze Lage im schwärzesten Licht. Dazu kommt unheilvoller Weise, daß ich einen großen Teil des Tages regungslos und wach zubringen muß. Von geistiger Beschäftigung keine Spur. Ich bin in meinem ganzen leben niemals wirklich krank gewesen und empfinde natürlich diese Heimsuchung doppelt stark. Die ganzen deutschen Verhältnisse, die mit jedem Tag gräßlicher und für eine gewisse Volksklasse immer unerträglicher werden, wirken mit, mich gar nicht mehr des Lebens froh werden zu lassen. Mein Aufsatz in der ZDMG ist eine Art vox et oratio cygnea, wenigstens für die nächste Zeit. Es ist ein Jammer, daß ich im selben Augenblick, wo ich, wie in diesem Aufsatz, eine Art ‚Programm’ entworfen habe, meine Arbeitskraft und -lust lahm gelegt werden mußte. Die einzige Freude, die ich habe, besteht darin, daß grade an meine letzten Arbeiten allerorten (sogar !! in Deutschland) angeknüpft wird und ich vielleicht doch noch die freudige Genugtuung erleben darf, daß dem türkisch-persischen Islam und der osman(ischen) Urkundenforschung ein wirklicher Aufschwung zuteil wird.

In der nächsten Woche, just an Ihrem Geburtstag, fahre ich nach Reichenhall, wo ich allerlei Bäder und sonstige Kurmittel nehmen will, zu deren Bestreitung mir die Mark 6000 auch sehr willkommen sind. So lebe ich halt von einem Tag auf den andern, ein Dasein, das mir freilich niemals vorschwebte. Am meisten bedrückt mich, daß ich zur Untätigkeit verdammt bin und meine Arbeiten so gut wie einstellen muß. Ich sehe da zunächst keine Besserung. Schon in Berlin lebte ich notgedrungen fernab von meinen Büchern (die ich hier lassen muß: 1. weil ich dort immer nur während des Semesters mir ein Zimmer halte, 2. die mich ein irrsinniges Geld kosteten, wenn ich sie auch von hier nach Berlin schaffen könnte, d.h. eine Dauer-wohnung besäße.) Die Paketkosten sind dermaßen gestiegen, daß eine Bücherbeschaffung von auswärts hier auch zur Unmöglichkeit wurde, da die kostenlose Besorgung nur den bayerischen Dozenten zugute kommt. Kurz und gut, trostlose Aussichten. Bei der Universitätskasse bin ich übrigens doch mit meiner bajuwarischen Deutlichkeit durchgedrungen. Man hat erklärt, daß selbstredend der Abzug zu Unrecht erfolgt sei und die Rückzahlung der Beträge veranlaßt. Daß man nunmehr auch die Stipendien versteuert, paßt gut zu den unglaublichen Verhältnissen, in denen geistige Arbeiter seit Ende 1918 zu leben gezwungen sind. Man braucht gar nicht einmal weit rechtsum zu wünschen, daß endlich ein Herkules für diesen Augiasstall auftrete. Es ist jammerschade um die unheimliche Kraft und den Willen, den Sie der Besserung der Dinge widmen. Ich bedauere das jeden Tag, wenn ich eine Zeitung in die Hand nehme und von der Berliner Wirtschaft lese. Wären Sie doch in Bonn! Wieviel Neues hätten Sie uns da bescheren können! Wie jammervoll ist es um uns bestellt und wie dringend wir neuzeitliche Forscher in orientalibus brauchen, beweist für mich die Berufung des Herrn Rhodokanakis auf Ihren Lehrstuhl und in dieses herrliche Seminar!! Ausgerechnet Rh(odokonakis) aus Alexandrien. Das hat mir unsagbar leid getan …

Die Lenz’sche Geschichte, für die ich ebenfalls herzlichst danke, hat mir schon manche Stunde verkürzt. Ich habe die Akten nachgelesen, besonders die über die Berufung meines Großonkels Friedr(ich) Julius Stahl. Sie müßten einmal das dumme Gutachten lesen, das ein gewisser Schulz über Stahl abgab, der offenbar eine Berufung verhindern wollte, aber beim König und bei Altenstein, oder war’s Wich(?weggelocht!), an den unrechten kam. Höchst interessant und fast tröstend sind die Briefe L(eopold) v(on) Rankes, Seite 465. Man hat mir ein wundervolles Exemplar gesandt: Goldschnittbände in Halbleder! Ich bin wirklich riesig froh, daß ich dieses Werk besitze. Gekannt und studiert habe ich es schon als Student.

Auf Ihren Leipziger Vortrag freue ich mich sehr. Ich habe ihn noch nicht bekommen. Auch meine SA’e aus der ZDMG sind noch nicht in meinen Händen. Ich bin mächtig gespannt, wie man in Stambul darüber urteilt. Über den Bedreddin sind die Zeitungen buchstäblich voll. Halil sendet mir jeden Monat Ausschnitte. Dieser Schejch Bedreddin ist über Nacht zur Berühmtheit geworden. Einer meiner Hörer, ein Tatare, schrieb mir unlängst, daß er der pi´r der tartarischen Kommunisten geworden sei!! Ist das nicht köstlich? Es ist gut, daß die VWV Überdrucke des Heftes gemacht hat.

Nun muß ich schließen. Ich habe Ihre Zeit wieder über Gebühr in Anspruch genommen. Seien Sie nochmals herzlichst bedankt für Ihre Güte und begrüßt von

Ihrem getreuen (gez.) Fbabinger.

P.S. Kann denn für Süßbein nicht einmal etwas geschehen? Er spricht und schreibt doch das Arabische, Persische und Türkische wie ein Eingeborener! Der wäre am O(rientalischen) S(eminar) am Platz gewesen! Menzel, den man nach Kiel berufen hat, halte ich wissenschaftlich zwar für weit besser wie (arabischer Text..22.), aber auch für keine Größe. vielleicht werden nun die Kieler Veröffentlichungen etwas besser und weniger fehlerhaft. FB

Anliegender Zettel von FB:

Bitte zeigen Sie den Brief getrost Geheimrat Wende, dem ich übrigens herzlichst danke für die freundliche Benachrichtigung vom 1. April. Auch die Fakultät funktioniert, wie die Einlage zeigt, glänzend, seit Luder weg ist. Vorher habe ich so etwas ½ Jahr später erfahren! FB

Zettel 2 von FB:

Der Gilgameschuggene hat sich ja wieder eine herrliche Sache geleistet, wie mir Horovitz dieser Tage erzählte. Mme Jensen scheint Sie gründlich mißverstanden zu haben und er noch mehr. Quousque tandem …?

 

352. Postkarte von Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 5.4.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

man soll keinem Menschen Unrecht tun! Eben erhalte ich von Schaeder einen langen Brief, darin sich folgende Stelle findet:

Ich las eben Ihren Aufsatz im neuen Stück der ZDMG aufmerksamer als es in Leipzig geschehen konnte. Er ist höchst anregend. Sie haben einen hervorragenden Instinkt dafür, wo die Probleme sitzen. Daß das ganze Gebiet noch völlig terra incognita ist, betonen Sie ja selber. Usw.usw.

Darnach scheint Sch(aeder) gar nicht so ablehnend gegen mich eingestellt zu sein, wie es nach Ihren düsteren Mitteilungen am Eingang zum K(ultus)M(inisterium) Unter den Linden scheinen mochte. Ich bringe Ihnen diesen Briefauszug deshalb schleunigst zur Kenntnis, weil ich fürchtete, Sie würden von Sch(aeder) allzusehr gegen meine Ausführungen beeinflußt. Ich möchte mich mit ihm sehr gern unterhalten; es freut mich, daß er sich (noch?, weggelocht!) mehr mit dem persisch-türkischen Islam abgegeben hat als bisher. Er kann sich hier einen dicken Lorbeerkranz holen. Strothmann, von Mülinen, Sch(aeder?) und noch etliche haben mir sehr nett zu diesem Artikel geschrieben, was mich lebhaft erfreut. Es ist doch ein höchst angenehmes Gefühl, irgendwo promachos sein zu können. Aber das haben Sie selbst viel, viel mehr als ich erleben dürfen.

Ich empfehle Ihnen nochmals meinen gestrigen Brief!!!

Herzlichst Ihr (gez.) F.Bab(inger)

P.S. „Deutsche, kauft deutsche Waren!! Keine Importen!! Inländische Tabake!!“

 

353. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 5.4.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

da ich nicht jeden Tag zum Briefschreiben und kampfesmutig gestimmt bin, weil in mir seit einem halben Jahr alles umgekehrt zu sein scheint, benutze ich das heutige intervallum dilucidum, Ihnen jetzt schon zum 12.d.Mts. meine aufrichtigsten Glückwünsche zu senden. Eigentlich versteht sich das von selbst und Sie werden es den Leuten die Ihnen näher stehen selbst dann nicht verübeln, wenn sie einmal auf die Wünsche vergessen. Aber da ich nun einmal ein besonders unglückliches Talent für Daten habe und Sie um diese unselige Veranlagung wissen, fiele Ihnen am Ende mein Schweigen auf. Es wird nun bald Zeit, Ihre Festschrift zum Jahre 1926 vorzubereiten! Dergleichen geschieht doch, irre ich nicht, immer schon eine weidliche Weile vorher …

Die Bonner Univ(ersitäts)-Geschichte habe ich hier nun genauer eingesehen. Ich habe nichts Neues daraus gelernt, wenigstens nicht für Dinge, die ich gern wissen wollte. Denn ausge-rechnet da, wo ich neues zu erfahren wünschte, verweist v. Bezold auf … mich.

Daß Brockel sich nunmehr zur Annahme des Berliner Rufes gnädigst bequemt hat, habe ich gehört. Das berührte mich weiter nicht, wenn damit die Gefahr nicht immer drohender würde, daß man im ‚vorgeordneten Ministerium’ (ein entzückendes Wort von Seckel d.i. hessisch ‚Isaakel’, nebenbei) mit Vorliebe und nicht ohne Nebenton bei Reden angewandt) wirklich den Vorschlag, Rhod(okanakis) nach Bonn zu berufen, das placet gibt. Ich weiß genau, daß Sie mich nicht falsch verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß das für mich eine höchst schmerzliche Enttäuschung wäre. Und zwar aus ganz allgemeinen Gesichtspunkten, die ich Ihnen im letzten Brief schon andeutete und die weiter auszuführen sich für mich erübrigt. Käme diese Berufung zustande, so wäre das etwas so Verheerendes, daß man den Verstand einbüßen könnte darüber. Das wäre etwas, was ich im Leben nicht begriffe23, soweit dabei das Ministerium in Frage käme. So gern ich geneigt bin, seit 1918 bei einem preuß(ischen) Ministeriums-Erlaß die köstliche Phrase Kells anzuwenden: ‚ich kenne die Gründe der Reg(ierung) nicht, aber ich mißbillige sie’, so sehr sind doch in einem solchen Fall Sie selbst beteiligt. Daß man Rhod(okonakis) von Bonn aus vorschlug und von Breslau aus (wo dieser versoffene Eiszeitmensch Praetorius das Wort geführt haben wird), wundert mich gar nicht und beweist nichts gegen die feste Überzeugung wirklicher Kenner, daß Rhod(okonakis) als Mensch wie als Gelehrter von sehr untergeordneter Bedeutung ist. Wenn Littmann sich für ihn einsetzte, so sollte Sie das um so weniger beeinflussen, als m.E. nach Littmanns Verhalten in der Berliner Berufung ganz und gar die Antithese des löblichen Grundsatzes gerechtfertigt ist: noblesse oblige. Erstens ist diese désobligeance ihm gegenüber ganz und gar am Platz, zweitens ist für mein Empfinden (und wohl auch für das anderer Leute) L(ittmann) nicht der Mann, der die Notwendigkeiten der Gegenwart und die Belange der reichsdeutschen Orientalistik übersieht. Er hat mir im Leben niemals etwas zuleide getan, ist im Gegenteil immer äußerst ‚wohlwollend’ gewesen. Das hindert mich nicht, Ihnen gegenüber auszusprechen, daß ich ihn des Bonzentums stark verdächtig halte und zweitens von seiner Bedeutung von meinem Standpunkt aus nicht die Meinung habe, zu der man ‚von amtswegen’ verpflichtet sein müßte. Er ist wohl das größte deutsche Sprachgenie und ein selten glücklicher Inschriftenenträtsler. Aber, was ist er sonst? Was hat er für die Realien geleistet? Worin hat er seine synthetische Begabung auch nur im bescheidensten Ausmaß bewiesen? Mit andern Worten, wenn Littmann sich für Rh(odokonakis) ins Zeug legt, so beweist das gar nichts. Ich verstehe von der Wissenschaft des Kyrios Rhod(okanakis) nichts. Sie liegt mir, Gott sei bedankt, meilenfern, syriusfern. Aber ich bin bereit, Ihnen unbeteiligte Autoritäten sowohl im Südarabischen wie im Altsemistischen namhaft zu machen, die ein durchaus abfälliges Urteil über seine Leistungen fällen. Für mich genügt eine bloße Ankündigung der Vorlesungen eines Semesters: (Kein Scherz!!)

  • Codex Hammurabi.
  • Aramäische Stücke des Buches Daniel.
  • Einführung ins Arabische.
  • Israel, Juda und die Propheten.
  • Übungen im Orientalischen Institut.

Wenn ich so etwas lese, bekomme ich einen Brechreiz. Das ist der verjüngte Jensen, einer von jenen Tausendsassas, die mit genialem Flug die Jahrtausende in Sprachen, Geschichte usw. überbrücken. Eheu illos beatos! Wirkliche Orientalisten, wie Goldziher, Wallhausen usw. haben sich nie entblödet, solchen Unsinn anzukündigen. Goldziher hat, was mich zutiefst rührte, mir noch wenige Wochen vor seinem Tod bekannt, wie sehr er es bedauere, daß er vom persischen und türkischen Islam ‚rein gar nichts’ verstehe und daß er leider die Zeit nur anbrechen sehen dürfe, wo man hier ganz neue und umwälzende Dinge erkunde. Kyrios Rhod(okanakis) liest flugs drauf los, ‚wie’s trefft’. Und so etwas kommt als Ihr Nachfolger nach Bonn!!!24 Dieser Mann, mit dem ich übrigens nicht die leiseste Berührung persönlicher oder brieflicher Art hatte, hat mit Ihnen nur das gemein, daß er grade 6 Tage nach Ihnen, nämlich am 12.4.1876 zu Alexandrien das Licht der Welt sah. Sonst nichts.

Sie werden mir vielleicht sagen, daß die Urteile aller möglichen Leute günstig für ihn ausfielen. Sie wissen aber zum voraus, daß ich diesen Einwand nicht gelten lasse. Ich müßte Sie gänzlich verkannt haben, wenn ich glauben müßte, daß Sie aus freudigem Herzen diese Importe holen. Es gibt doch, bei uns in Deutschland auch noch Leute, die, jeder nach seiner Art, ebenso diesen Platz ausfüllen können, wie Rhod(okanakis). Das heißt nicht einmal hochgeschworen. Warum beruft man Strothmann nicht? Warum nicht irgendeinen beliebigen preußischen Privatdozenten, die seit Jahren herumsitzen? In Gottes Namen Horten! Bauer. Selbst Rescher ist mir lieber als Rhod(okokanakis). Für diese Leute wäre übrigens die Berufung des Grazers ein nicht mißzuverstehendes consilium abeundi. Wenigstens müßte es sein. Denn bei dieser Praxis der Universitätsbonzen beruft man eines Tages einen Schejch aus der Azhar.

Ich weiß nicht, wie andre, jüngere Leute über diesen Fall denken. Ich bin herzlich froh, zu Ihnen so zu stehen, daß ich nicht mißverstanden werden kann. Was die Bonzen sagen, berührt mich nicht. Im Übrigen gilt für dieses Genus Hiob 32,9.

Ich weiß, daß Ihre Zeit knapp bemessen ist, aber ich würde mich riesig freuen, wenn dieses Unheil nicht heraufzöge und Sie mir einmal in diesem Sinne schreiben könnten. Ich sage außer Ihnen niemand etwas über diese Dinge. Ich habe meine guten Gründe. Nur Kahle habe ich, als er Ende Dezembers hier bei mir war, ganz kurz gesagt, das wäre mir gänzlich unbegreiflich. Kahle ist bei allen guten, sehr guten Eigenschaften viel zu sehr verbonzt, als daß er mir recht und Littmann unrecht geben wollte.

Zu etwas Erfreulicherem, ehe ich schließe: Strothmann hat, aus sich heraus und ohne mit mir vorher irgendwelche Berührungen gehabt zu haben, mir einen reizenden Brief über meinen Aufsatz in der ZDMG geschrieben (über den ich, nebenbei, gern einmal Ihre Meinung, unbeeinflußt von Schaeder, der von diesem Zweig der Islamforschung – glauben Sie mir’s aufs Wort – keine Ahnung hat!)25 geschrieben, der mich herzlich gefreut hat. Aber noch mehr hat mich gefreut, was er über Sie in diesem Brief sagt. Ich begehe wohl keinen Vertrauensmißbrauch, wenn ich die Stellen hierher setze:

Es war mir doch ein Genuß, in der ZDMG noch einmal den Orientalistentag zu erleben, und das alles made in Germany. Besonders Beckers Vortrag packte mich aufs neu. Alle Kleinarbeit in Ehren und die ja auch von Becker gepflegte und geleistete philo(logische) Akribie gewiß conditio sine qua non – aber, wo ständen wir, wenn er nicht die großen Linien zöge? (Kommen Einzelheiten aus dem Vortrag.) Unsere Aufgabe wird nun sein, jene Gedanken in den Einzelstoff zu projizieren. Der Vortrag versöhnt einen wieder mit der Tatsache, daß der wahrlich nicht große Kreis der Islamforscher seinen Vorarbeiter nun schon all die Jahre nur noch nebenamtlich zu den Seinen zählen darf. So wird man denn weiterhin seine Sonderfachwünsche ein wenig – glücklicherweise, wie der Vortrag zeigt, nicht ganz zurücksetzen, im Interesse der Gesamtheit mit dem nicht hoch genug anzusetzenden beruhigenden Gefühl, daß selbst im Kultusministerium ein starker Kulturträger lenkt.- Immerhin, wer beschert (? Weggelocht!) uns jetzt das Große – etwa ein Gegenstück zu Troeltsch – etwa die ‚Soziallehren des Islam’? Bitte, Herr Doktor!“

Das macht man aus dem Ärmel (Kyrios Rhodokanakis !! FB)

Soweit der prächtige Strothmann. Ich schließe nunmehr. Und zwar mit dem Psalmisten: Credidi propter quod locutus sum

Möchte ich Sie niemals mit schmerzlichen Gefühlen an diesen Brief erinnern müssen!

Kardinal, ich habe das meinige getan, tun Sie das Ihrige!!

In steter Herzlichkeit Ihr getreuer (gez.) F.Babinger.

Anlage

Anbei eine Anciennitäts-Liste (so heißt doch das herrliche Wort?!), die ich mir neulich im Bett zu Zeitvertreib zusammenstellte:

  • Hommel * 1854, München, wird 86 J)26
  • Bezold *1859, Heidelberg
  • Jensen *1861, Marburg (stirbt nie)27
  • Jacob *1862, Kiel
  • Reckendorf *1863, Freiburg i.Br.
  • Grimme *1864, Münster
  • Aujust Fischer * 1865, Leipzig
  • Lidzbarski * 1868, Göttingen
  • Brockelmann *1868, Berlin
  • Streck *1873, Würzburg
  • Horovitz * 1874, Frankfurt
  • Hell *1875, Erlangen
  • Kahle *1875, Gießen
  • Littmann *1875, Tübingen
  • Mittwoch *1876, Berlin
  • RHODOKANAKIS *1876, ???
  • Poebel *1881, Rostock
  • Hartmann *1881, Leipzig
  • Bergsträsser *188?, Breslau
  • Ritter *1892, Hamburg

Man sperre die Habilitation für Orientalia!!!!!

 

354. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 12.4.1922

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Mein lieber Babinger.

Es freut mich herzlich, Ihnen mit der Lenz’schen Universitätsgeschichte eine kleine Freude und mit den Bewilligungen eine gewisse materielle Erleichterung bereitet zu haben. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu versichern, mit wie freundschaftlichen Gefühlen ich Ihr physisches Leid mit erlebe, und wie innig ich Ihnen wünsche, daß Sie die so gar nicht zu Ihrem Wesen passende tückische Krankheit möglichst bald überwinden. In Ihrer schwierigen Lage nehme ich es Ihnen auch nicht weiter übel, daß Sie auf Gott und die Welt schimpfen, und daß Sie die unglückseligen Organe, die jetzt die große Liquidation vollziehen müssen, für den verlorenen Krieg und seine Folgeerscheinungen verantwortlich machen. Namentlich ist es furchtbar ungerecht, immer Preußen und Berlin zu beschimpfen und Bayern zu loben. Wenn Bayern ein solches Eldorado für Privatdozenten ist, daß sich dort Jeder als kleiner Rentner fühlen kann, so stelle ich anheim, sich doch nach Bayern umzuhabiltieren. Wie großzügig und verständnisvoll in Bayern die Berufungspolitik auf die orientalistischen Lehrstühle betrieben worden ist, beweist ja die derzeitige Besetzung, und ich sollte meinen, daß es kein Beispiel gibt, das besser beweist, wie weit man mit einer engherzigen Berücksichtigung der ‚Anwärter’ unter Ausschluß des ‚Importes’ kommt, als die Besetzung der orientalistischen Lehrstühle Bayerns. Sie könnten eigentlich wissen, meinlieber Babinger, daß kein Professor in Preußen berufen wird, ohne daß ich mein placet dazugegeben habe, und daß vorher in einem sorgfältigen Sieb- und Gutachtsverfahren die zu Berufenden auf Herz und Nieren geprüft sind. Insofern richtet sich Ihre Kritik der Berufung von Rhodokanakis auch in erster Linie gegen mich, und wenn ich auch freundschaftlicher Kritik gegenüber, wie Sie wissen, stets ein offenes Ohr bewahre, so kann ich Ihre Auslassungen doch nur aus einer nervösen Überrei-zung erklären, die ich bedauern muß. Ich werde Sie Ihnen nicht nachtragen, aber ich hätte Sie persönlich für großzügiger gehalten. Wie unsicher und schief Ihr Urteil gelegentlich ist, sehen Sie doch selbst an Ihrer Beurteilung von Schaeder, vor dessen Urteil Sie mich erst warnen, und den Sie dann, nachdem er einige freundliche Worte gesagt hat, doch wieder in Gnaden aufnehmen. Wer anderer Meinung ist wie Sie, ist eo ipso ein Bonze. Lieber Babinger, behalten Sie doch eingewisses Sabr Djamil! Mit solchen Briefen, wie den an mich, schreiben Sie sich um Kopf und Kragen. Ich bin Ihr Freund, verstehe und würdige Sie; aber wie Sie mit solchen mündlichen oder schriftlichen Expektorationen auf andere Leute wirken, haben Sie doch nun schon oft erlebt und jetzt auch wieder im Falle Moritz Littmann gesehen, daß ich Ihnen wirklich etwas mehr Vorsicht anraten möchte. Ich habe nicht die Absicht, mich Ihnen gegenüber über meine Berufungspolitik lang und breit zu rechtfertigen. Soviel Vertrauen dürften Sie ja doch wohl nach allen Vorgängen in meingesundes Urteil besitzen, daß Sie nicht verurteilen, ohne die Dinge zu kennen. Und Sie kennen sie nicht und sehen sie vor allem durch und durch schief und aus einem ja vielleicht begreiflichen furor privatdocenticus heraus, zu dem Sie, dem man doch nun wirklich weitgehend entgegengekommen ist, am allerwenigsten Anlaß hätten. Doch will ich Ihnen keine Moralpredigt halten. Das steht mir schlecht. Zu diesen Andeutungen fühle ich mich aber doch gerade auf Grund unseres herzlichen und vertrauensvollen Verhältnisses einfach verpflichtet. Es wäre unehrlich und gewissenlos von mir, wenn ich Ihre letzten Briefe so einfach zu den Akten nähme.

Zum Schluß will ich Ihnen aber doch noch etwas Erfreuliches sagen. Merkwürdigerweise habe ich das Heft der ZDMG noch nicht erhalten. Um so wertvoller war mir Ihr Separatabzug. Ich habe ihn aufmerksam gelesen und mich herzlich darüber gefreut. Ob die Grundthese richtig ist, steht dahin. Möldeke( oder Köldeke?) will gegen Sie schreiben, wie er mir mitteilt. Aber trotzdem ist der Aufsatz gut, wenn ich auch bemerken muß, daß Sie von der Basis Ihrer Kenntnisse aus die klein-asiatischen Verhältnisse vielleicht als zu einzigartig ansehen. In Indien liegen die Verhältnisse genau ebenso und in Niederländisch-Indien noch vielmehr. Aber diese gebiete sind ihnen fremd, aber hier ist für die Islam-Forschung vielleicht noch ebensoviel zu tun wie in Kleinasien. Damit will ich Ihre Verdienst nicht verkleinern. Ich glaube allerdings, daß Sie das spezifisch Schiitische überschätzen; bis zum Aufkommen der Safawiden spielt die Schia überhaupt keine so entscheidende Rolle, und der große Gegensatz zwischen Sunna und Schia stammt erst aus den politischen Differenzen zwischen Persien und der Türkei. Bis dahin ist auch die Orthoxie in einer Weise kalifenfreundlich, daß man zu ganz falschen Unterscheidungen kommt, wenn man mit der heutigen dogmatischen Spannung an die Darstellung dieser Verhältnisse herangeht. Ich habe leider nicht die Zeit, näher darauf einzugehen, will Ihnen aber gern zum Ausdruck bringen, daß ich mich über diese Ihre Arbeit gefreut habe, und daß ich nur wünschen möchte, daß Sie selbst mit aller Energie die Wege verfolgen, die Sie hier angeschnitten haben. Auch ich habe einst mit Christentum und Islam gewisse Leitsätze veröffentlicht, deren Spezialbeweis meine spätere Arbeit erfüllte. Ich hoffe, wenn Sie das Gleiche tun, Sie reiche Befriedigung und die Wissenschaft großen Nutzen davon haben werden.

Mit freundlichen Grüßen zu Ostern und guten Wünschen für eine baldige gesundheitliche Wiederherstellung Ihr Ihnen wie stets herzlich ergebener (CHB.)

 

355. C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 4.9.1922

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger!

Es freut mich, Sie in den nächsten Tagen wiederzusehen. Ich bin am 9. September zu einer Hochzeit in Gelnhausen und fahre wahrscheinlich Sonntag, den 10., vielleicht aber erst Montag, den 11. September, nach Berlin zurück. Für alle Fälle wollen wir deshalb ausmachen, daß Sie mich am 12. September besuchen, und zwar bitte ich Sie, mein und Geheimrat Wende’s bescheidenes Mittagsbrot (ein Frühstück, kein Mittagessen) um 2 Uhr teilen zu wollen. Daran anschließend können wir uns dann über Ihre Zukunft aussprechen.

Ich wäre dankbar, wenn Sie mir die Berliner Adresse Mordtmanns sofort mitteilen wollten, damit ich ihm telegraphieren kann. (Inzwischen anderweit erfahren.)

Mit freundlichen Grüßen Ihr getreuer (C.H.B.)

 

356. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 6.9.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

sehr gerne folge ich Ihrer freundlichen Aufforderung und hole Sie, wenn Sie mich nicht unter J.H. Mordtmann’s Anschrift (NW 23, Holsteiner Ufer 2/II) anders verständigen, am Dienstag, 12. September um 2 Uhr in Ihrem Amtszimmer ab.

Wenn ich, im Anschluß an das Frühstück, außer den Staatssekretär auch noch den Professor oder noch lieber den Herrn Becker sprechen könnte, wäre mir das eine besondere Freude.

Mit herzlicher Begrüßung Ihr getreuer (gez.) F. Babinger.

 

357. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 5.4.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

bitte verübeln Sie mir nicht, daß ich Ihnen schon heute alles Gute und Schöne zum Geburtstag am 12. April wünsche! Ich bin eben nach Schwaben eingeladen worden und möchte, zumal ich mutterseelenallein hier Haushalt führen muß, diese Gelegenheit so rasch wie möglich wahrnehmen. Am Samstag reise ich ab. In Augsburg hoffe ich Ihren Herrn Schwiegervater in alter Frische anzutreffen, ebenso wie Ihren Herrn Schwager. Ich habe allerlei mit dem Fürsten Fugger zu besprechen im Anschluß an mein Buch.

Während der letzten Wochen habe ich am nächsten opus gearbeitet, eine entsagungs- und mühevolle, gänzlich undankbare Arbeit, die aber unerläßlich ist als Vorläufer zu meiner von allen Seiten gewünschten Osmanischen Literaturgeschichte. Sonst habe ich hin und wieder Betrachtungen angestellt, ob es nicht besser gewesen wäre, ich hätte anstelle des letzten 350 Seitenbuches eine, wenn auch kleine, aber belangreiche Abhandlung über die ‚Auflösung der Akkusativrektion des transitiven Verbs durch die Präposition li im klassischen Arabisch’ oder etwas Ähnliches geschrieben (Arabische Bemerkung).

Werden Sie auf dem Orientalistentag sprechen und über was? Wann erscheint Ihr letzter Vortrag? Bitte, grüßen Sie Ritter von mir! Ich sandte ihm ein Stück meines Buches zu und seinem Seminar will ich auch noch eines abtreten, wenn ich mit der leider äußerst knapp bemessenen Zahl der Freiexemplare irgendwie zurecht komme.

Und nun freue ich mich auf ein paar Wochen Studium süddeutscher Kultur. Ich nehme nichts weiter mit als ein Buch von Goldziher (folgt eine weitere arabische Bemerkung).

(Gez.) F.Babinger

 

358. Franz Babinger an C.H.B. z.Z. Buchloe (Schwaben), 12.4.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

kurz vor meiner Abfahrt aus Würzburg lernte ich in der Person des dortigen Privatdozenten Dr. Glaser (Physiker) einen m.E. sehr schätzbaren Menschen kennen, der sich insbesondere, ohne eine Ahnung von unseren Beziehungen (zu) haben, mit großer Begeisterung über Ihre Hochschulumgestaltungspläne äußerte und mir dabei Mitteilungen machte, die Sie eigentlich interessieren sollten. Da der junge Mann, der Sie übrigens aus einem Vortrag aus einem Demokratischen Klub kennt, auf sechs Wochen nach Berlin geht, habe ich ihm nahegelegt, sich bei Ihnen fernmündlichen Bescheid zu erholen, ob Sie ihn empfangen wollen und wann.

Dr. Glaser ist ein wirtschaftlich ganz und gar unabhängiger Mensch und eine Persönlichkeit Naumann’schen Gepräges, an deren lauterer Gesinnung und Überzeugungstreue nicht zu zweifeln ist. Ich glaube, Sie werden eine kurze Unterhaltung mit ihm sicher nicht bereuen.

Ich bin seit zwei Tagen in Vindelizien28, habe gestern längere Zeit mit Ihrem Herrn Schwiegervater, den ich womöglich noch frischer und jugendlicher als früher fand, gesprochen und ihn auch heute früh kurz vor der Abreise aus Augsburg nochmals auf der Straße gesehen und mich seiner erstaunlichen Rüstigkeit gefreut.

Nun sitze ich, nach verpaßtem Anschluß (des Zuges nämlich) in einem wenig hübschen Gasthof dieses Schwabennestes.

Und gedenke glückwünschend Ihres heutigen Tages.

Herzlichste Grüße Ihr getr(euer) (gez..) F.Babinger

 

359. Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 26.4.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

die Tatsache, daß ich, sicherlich dank Ihrer gütigen Fürsprache, heute die erfreuende Mitteilung von einer außerordentlichen Beihilfe in Höhe von Mark 150 000 für meinen Lehrauftrag erhielt, benütze ich zum schnöden Anlaß, Ihnen meinen herzlichen Dank hierfür zu sagen, gleichzeitig aber auch eine Bitte auszusprechen, durch deren Erfüllung Sie mir einen wirklich großen Gefallen erwiesen. Seinerzeit sandten Sie mir mit Ihren Schriften auch einen SA29 Ihres und Barthold’s Aufsatz im ‚Islam’ über Kalif und Sultan. Ich habe ihn vor rund zwei Jahren an Sir T.W. Arnold senden müssen, der sich brennend dafür interessierte, aus Anlaß eines Vortrages, den er über das Kalifat halten mußte. Nun bräuchte ich ihn aber, zu einem ganz ähnlichen Zweck für ein Sommerkolleg, selber dringendst wieder. Sollten Sie noch einen verfügbaren Abdruck besitzen, so lassen Sie ihn mir doch bitte zukommen. Und sei es nur leihweise. Ich mag den ganzen Islam-Band, den ich natürlich besitze, nicht mit nach Berlin nehmen, wohin ich, nebenbei, am kommenden Dienstag die Anabasis antrete. Mein gesamter Büchervorrat, mit dem ich in Berlin hause, beträgt niemals mehr als ein Halb-dutzend Bände, weil ich immer fürchte, daß mir ein Handbuch verloren geht. Ich wäre Ihnen ganz besonders dankbar, wenn Sie die Absendung des SA’s etwa bis Montag veranlaßten bevor ich die Reise antrete.

Von Nöldeke habe ich einen höchst begeisterten, vier ganz engbeschriebene Seiten langen Brief über mein Buch, das er, praefiscini, in den höchsten Tönen preist.

Mein alter Lehrer, Geheimrat Hehn aus Würzburg, der neulich mit dem Gilgameschuggenen beim Grafen von Baudissin am selben Tisch saß, erzählte mir, daß ihm Jensen sein lebhaftes Bedauern über meine vereitelte Habilitation in Marburg ausgesprochen habe. Er habe hinterher erfahren und eingesehen, daß er sicherlich ‚glänzend’ mit mir ausgekommen wäre!!! The rest is silence.

Dieser Tage hatte ich in Oberstdorf höchst lehrreiche Gespräche mit einem Herrn, der sich über deutsche Universitätsverhältnisse erschreckend und beängstigend gut unterrichtet zeigte. Er meinte, natürlich ganz ungerechtfertigter Weise, daß im Tempelbezirk der Hochschulen horstende Intellektuellentum durch den Zusammenbruch des alten Staates, dem es im bösen Mißverstand seiner Aufgaben unkritisch dienerte, noch ganz im Gefängnis einer bankrotten Gedankenwelt sitze, mit der es eine geistig und politisch gleich schwer bildbare Jugend zu füttern suche. Wie man nur so gemein und ungerecht sein kann!?

Das Schlimmste war aber ein weiteres Erlebnis, wo mir ein alter Ordinarius, dem bisher nichts über die ‚Würde und Erhabenheit’ der deutschen Hochschullehrerschaft ging, sub rosa, anvertraute, er sei durch den Verkehr mit Industriellen usw. zur felsenfesten Überzeugung gelangt, daß die deutschen Universitäten, wenn nicht baldigst durchgreifende Umgestaltungen Platz griffen, rettungslos dem gänzlichen Verfall geweiht seien. Schaudervoll, schaudervoll, höchst schaudervoll, sagt Hamlet.

Mit besonderem Interesse habe ich neulich, leider aus den Zeitungen, die nur kümmerliche Auszüge brachten, Ihre Ausführungen im Landtag gelesen. Es wäre großartig, wenn Sie mir einen Abzug der amtlichen Drucksache gelegentlich schenken würden!

Nun lassen Sie mich abschließen! Mit bekannten Gesinnungen

stets ihr getreuer (gez.) F. Babinger.

 

360.C.H.B. an Franz Babinger. Berlin, 30.4.1923

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger!

Mit gleicher Post sende ich Ihnen den gewünschten Separatabzug. Hoffentlich erreicht er Sie noch rechtzeitig. Lassen Sie mich zugleich herzlich danken für manche freundliche Zeile und vor allem für Ihren großen Wälzer, der auf meinem Schreibtisch einem näheren Studium ungeduldig entgegenharrt. Ritter hat mir ausgiebig davon erzählt und mir Lust gemacht, ihn trotz meiner augenblicklichen Belastung einmal vorzunehmen. Verzeihen Sie einem Vielgeplagten, wenn er sich noch nicht dafür bedankt hat.

Ich bedauere aufrichtig, daß Sie beim Orientalistentag gefehlt haben. Es war sehr nett und kam wirklich was dabei heraus.

In Erwartung eines baldigen Wiedersehens herzlichst der Ihrige (C.H.B.)

 

361. C.H.B. an Franz Babinger, z.Z. Berlin. Berlin, 14.6.1923

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Babinger!

Sonnabend abend trifft Schaeder hier ein, um über Sonntag mit mir den Plan meiner kleinen Schriften zu besprechen. Er teilt mir mit, daß er mit Ihnen einiges zu besprechen habe und bittet mich, ihn bei Ihnen anzusagen. Er hat ja, wie Sie wissen werden, den von Ihnen abgelehnten Muhammed-Aufsatz übernommen, und würde es mir am besten passen, wenn Sie den Sonntag Abend miteinander verbringen würden. Vielleicht verabreden wir Sonnabend Morgen in meiner Vorlesung das Nähere. Ich wollte Ihnen nur heute schon Kenntnis von Schaeder’s Plänen geben, damit auch Sie sich einrichten können.

Ich bin infolge der Abwesenheit des Ministers maßlos belastet und verschiedentlich verreist gewesen, sonst hätte ich mich schon etwas mehr um Sie gekümmert; Sie müssen aber Nachsicht mit mir haben.

Mit freundschaftlichen Grüßen Ihr ergebenster (C.H.B.)

 

362. Franz Babinger an C.H.B. Berlin, 12.7.1923

Lieber Herr Becker,

ich komme erst heute dazu, Ihnen für Ihr freundliches Gedenken aus Gelnhausen, wo ich grade vor zehn Jahren zum letzten Male geweilt habe, zu danken. Es freut mich aus Ihrer Karte zu vernehmen, daß es Ihnen wohl ergeht und Sie sich Ihrer Ferien erfreuen.

Ich sitze noch in der Berliner Steinwüste. Am 27. Juli reise ich von hier ab.. Bis dahin muß, muß, muß ich eine Entscheidung von lebenswichtiger Bedeutung treffen. So darf mein und anderer, mir anvertrauter lieber Menschen Leben keinen Monat weitergehen!-

Leider habe ich hier keinen vernünftigen ehrlichen Menschen um mich und der vorhandene liegt mir nicht. Abgesehen von desertum Berolinum.—

Ich wünsche Ihnen alles Gute und Schöne für den Urlaub!

(Grußformel auf Arabisch) F.B.

 

363. Postkarte von Franz Babinger an C.H.B. Würzburg, 11.12.1923

(Maschinenmansukript)

CHB,

nehmen Sie meinen herzlichen Dank für das mir so wertvolle Geschenk, das Sie mir durch Ihren Verleger haben zukommen lassen. Ich will es in der ersten ruhigen Stunde, die mir beschieden sein wird, genau durchlesen und Ihnen dann ausführlicher schreiben. Es ist jeden-falls überaus angenehm, daß man nun Ihre Islamstudien beisammen hat, da ja nicht alle an ihnen Beteiligten in der erfreulichen Lage wie ich waren, alle Sonderdrucke zu besitzen. Ich darf Ihnen verraten, daß in wenigen Monaten ein grundlegendes Werk über den Islam erscheinen wird, über dessen Verfasser und über dessen Art ich zunächst Schweigen wahren muß. Per varius casus, per tot discrimina rerum bedeutet es für mich in wissenschaftlicher Beziehung den einzigen Lichtblick in diesem kläglichsten aller Jahre.

Mein Freund Sir T.W. Arnold schreibt mir soeben:

I hear that Becker gave a lecture last month about the relations of England with Islam, in which he attacked England (in which respect it is certainly vulnerable!). Do you know whether it has been published anywhere, as I should like to see it.

Ich weiß nichts von allem. Ich nehme nicht an daß der Vortrag schon gedruckt ist. Inzwischen will ich Sir Thomas auf Ihren Aufsatz ‚England im vorderen Orient’ hinweisen, der in den ‚Lebensfragen des Britischen Weltreiches’ erschien.

Ich wiederhole meine guten Wünsche für die Festtage und für das Neue Jahr.

(Arabische Grußformel). FB

 

364. Franz Babinger an C.H.B. Berlin-Wilmersdorf, Berliner Str.13/IV ,10.11.1924

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

am Kopf steht die Anschrift meiner neuen Wohnung die ich vor zwei Stunden bezogen habe. Inzwischen hat sich für mich insofern etwas Wichtiges ereignet, als sich, nach mehr als einjährigen Bemühungen, mir in dieser Woche eine Möglichkeit bietet, endlich hier eine Wohnung zu bekommen. Die Sache verhält sich so: meine Frau und Schwägerin besitzen in Bad Reichenhall eine Wohnung, die ich seit mehr als Jahresfrist gegen eine hiesige zu vertauschen suche. Das war bisher nur mit schweren Geldopfern (Abfindungen, finanziellen Ausgleichen, Vergütungen und wie diese schönen Worte alle heißen) möglich gewesen. Nun fand sich vor wenigen Tagen eine Dame, die in Wilmersdorf eine Wohnung besitzt, die nicht nur die von mir benötigte Größe hat, sondern auch einen erschwinglichen Mietzins. Die Dame hat sich bereit erklärt, ihre Wohnung gegen die meiner Frau anfangs Dezember zu vertauschen, wenn man ihr den Umzug vergütet, der nach den Berechnungen der Spedition etwa 1250-1300 Mark kosten wird. Von allen Angeboten ist dieses das weitaus anständigste und ich möchte selbstredend um jeden Preis diesen Tausch vollziehen. Ich brauche ihnen nicht zu schildern, was es für mich bedeuten würde, endlich ein Heim und meine Bücherei zur Hand zu haben. Der bisherige, seit mehr als drei Jahren ertragene Zustand wird nachgrade unhalt-bar.

Wäre es nun möglich, daß mir vonseiten des Ministeriums aus einem Fonds ein Betrag zur Verfügung gestellt würde, mit dem ich die bezeichnete Forderung der Dame begleichen könnte? Dann bliebe zwar noch der Umzug Reichenhall – Berlin sowie Würzburg – Berlin,aber ich glaube es dann irgendwie ermöglichen zu können, nach und nach unseren Hausrat hierher schaffen zu lassen.

Ich erlaube mir, Ihnen, auf Mittwochs Rat, diese Angelegenheit vor unserem Zusammen-treffen am Mittwoch zu unterbreiten. Die Sache drängt, denn die Entscheidung soll in dieser Woche fallen. Der betr(effenden) Dame wurden noch Wohnungen in München und Garmisch angeboten und es besteht die Gefahr, daß mir jemand zuvorkommt, wenn ich ihr nicht bald eine bindende Zusage geben und sie dann vertraglich verpflichten kann.

Heute erhielt ich aus Darmstadt die Korrekturen des Titelbogens. Es fehlt nur noch das Register, das ich in dieser Woche anfertigen will. Dann kann das Buch wenige Tage später erscheinen.

Mit verehrungsvollen Grüßen Ihr ganz ergebener (gez.) F. Babinger.

 

365. Franz Babinger an C.H.B. (Berlin) W 15, 22.6.1925

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

ich fürchte, daß mein von Ihnen angeregtes Gesuch vom 14 April 1925, betreffend Druck-zuschuß von Mark 500 niemals bis zu Ihnen vorgedrungen ist und vordringen wird, wenn ich mir nicht erlaube, Ihnen es auf diese Weise in Erinnerung zu bringen. Mir ist diese ganze Angelegenheit deswegen von Bedeutung, weil ich im April in der Annahme einer baldigeren Erledigung aus meiner eigenen Tasche die bei Druckereien übliche Anzahlung von mehreren hundert Mark geleistet sowie von mir aus die notwendigen Lichtbildaufnahmen der beiden Handschriften von Oxford und Cambridge bezahlt habe. Der Druck ist nahezu vollendet; ich hoffe Ihnen in längstens drei Wochen das vollständige rund zwölf Bogen umfassende Buch überreichen zu können.

Mit verehrungsvollen Begrüßungen stets Ihr dankbarer (gez.) Franz Babinger.

Anmerkung: Durch den beiliegenden Vorausverfügungsentwurf zu 6035 Mark erledigt

 

366. C.H.B. an Professor Dr.Franz Babinger. Berlin, 20.4.1926

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger!

Ihr freundlicher Glückwunsch und Ihr außerordentlich geschickter und geschmackvoller Artikel in der D(eutschen) A(llgemeinen) Z(eitung) haben mir eine aufrichtige Geburtstags-freude bereitet. Ich danke Ihnen von Herzen für die mich beglückende Würdigung, die mir nun von neuem bestätigt hat, wieviel sachliche und persönliche Interessen uns verbinden. –

Sie werden inzwischen wohl gehört haben, daß im Landtagsausschuß von Ihnen viel die Rede war und daß nicht nur Herr Richter, sondern auch ich sehr energisch für Sie eingetreten sind. Ihre Ernennung zum Lehrer des ‚Arabischen’ war mir von Anfang an nicht recht.; und wenn sie aus etatrechtlichen Gründen auch notwendig war, so gibt sie doch zu allerlei Mißverständnissen Anlaß, da neben einem gesonderten Lehrer für Arabisch und Türkisch Sie als der Lehrer der Realien insbesondere der Islamkunde30 gedacht sind und bei diesem Lehrgebiet es ja bei einer allgemeinen Beherrschung der drei großen islamischen Sprachen ziemlich gleichgültig ist, welche der drei Sprachen Sie als Ihre Hauptdomäne betrachten. Herr Richter hat sehr pointiert die kollegiale Verfassung mit der kollegialen Gesinnung kontrastiert und ich selbst habe ohne jede polemische Spitze mehr die oben skizzierten Ideen entwickelt. Ich hoffe, daß bei den Plenarverhandlungen davon nicht weiter die Rede sein wird.

Mit nochmaligem Dank und freundlichen grüßen, auch an Ihre verehrte Gattin, Ihr Ihnen stets aufrichtig ergebener (C.H.B.)

 

367. Franz Babinger an C.H.B. Berlin, 13.6.1926

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

in diesen widerlichen Stunden, wo eine verhetzte und um jede Besinnung gebrachte Studentenschaft versucht, gegen Sie Stimmung zu machen und dabei von einem Teil der Tagespresse und ‚Gott sei’s geklagt’, der Professorenschaft herzhaft unterstützt wird, möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich Ihren offensichtlich glücklich eingeleiteten Gegenmaßnahmen Erfolg wünsche. Wenn ich mir erlauben darf, eine öffentliche Kritik an dem Verhalten des Ministeriums zu meiner eigenen zu machen, so sind es die Schlußsätze in einem Artikel der heutigen Abend Voss(ischen Zeitung): Das ist die Quittung für die Langmut des Ministeriums. Seit über einem Jahr schleppt sich der Hochschulstreit hin. Man dokttert herum und kann sich nicht zur peration entschließen.

Si parva licet componere magnis: der Fall Kampffmeyer gibt zu ähnlichen Betrachtungen Anlaß. Möchte beim großen, gründlichen Reinewaschen des Ministeriums eine Eingabe, die ich dieser Tage abgehen ließ, auch zur endlichen Säuberung des nachgerade um jedes Ansehen gebrachten Orientalischen Seminars beitragen!

In der festen Hoffnung und Überzeugung, daß der Hochschulstreit und -streik rasch und gründlich aus der Welt geschafft wird, bin ich mit den herzlichsten Wünschen und grüßen Ihr dankbarer und getreuer (gez.) F. Babinger

Aktenvermerk zur Eingabe:

Die Rücksprache ist erledigt, die Anlage zur geschäftlichen Behandlung entnommen.

ORR Duwe. 25.6.(1926)

 

368. Franz Babinger an C.H.B. z.Z. Bad Reichenhall, 5.8.1926

Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

heute früh übersandte ich Ihnen die Fahnenabzüge von drei Nachrufen (E.G.Browne, C.M. Doughty, G.L. Bell), die für das erste Heft des XVI. Bandes des Islam bestimmt sind. Hoffentlich finden sie einigermaßen Ihre Billigung. Darf ich Sie bei diesem Anlaß an Ihr Vorhaben erinnern, dem großen René Basset einen Nachruf zu widmen? Das wäre m.E. unbedingt nötig, daß man dieses Mannes , dem die Islamwissenschaft soviel zu danken hat, im Islam gedenkt. Ich hatte Ihnen seinerzeit einige bibliographische und lebensgeschichtliche Zusammenstellungen zu machen das Vergnügen gehabt. Vielleicht denken Sie daran, sie für diesen Nekrolog zu verwerten.

Paul Casanova ist unlängst auch gestorben; der Mann hat auch seine Verdienste und ich würde gern etwas über ihn geschrieben haben, allein meine Zeit war vor der nunmehr erfol-genden Ausreise wirklich recht knapp bemessen, so daß ich froh war, als ich Miss G.L.Bell noch ein paar Seiten haben widmen können. Ich möchte aber sehr warm einen Nekrolog auf Casanova zur Aufnahme in den Islam anempfehlen. Basset darf auf keinen Fall vergessen werden. Wurde ich vor meiner Abfahrt aus Berlin richtig unterrichtet, so wird der Hamburger Lehrstuhl, nachdem R. Hartmann abgelehnt hat, in einer Weise besetzt, die jeden Freund der Islamkunde und der Zeitschrift Der Islam mit banger Sorge erfüllen muß. Um die Orienta-listik ist es in Deutschland schlimm bestellt. Nichts kann darüber hinweg täuschen.

Mit allen guten Wünschen für eine recht gründliche Erholung, zu der Sie sich hoffentlich endlich einmal die nötige Zeit gönnen, bin ich mit bekannten Gesinnungen

stets Ihr dankbar ergebener (gez.) F. Babinger.

 

369. Franz Babinger an C.H.B. Berlin, 8.3.1927

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

niemand wird Ihnen verübeln, daß Sie nach den trüben Erfahrungen mit dem SOS während der letzten Jahre nicht Lust haben, sich mit ihm mehr als notwendig zu befassen. Aber ich darf Sie vielleicht auf die schwere, relativ schwere Gefahr aufmerksam machen, die von neuem droht, falls die Unterrichtsverwaltung einem offensichtlichen Wunsche des A(uswärtigen) A(mtes) folgend, die Anstellung des Herrn Abdullah Sebastian Beck als ‚planmäßigen Lehrer und Professor’ am SOS vollzieht31. Eine solche Ernennung wäre wirklich ein Schlag ins Gesicht dieser ganzen Anstalt und für Leute wie Heepe und mich, die wir gleichzeitig der Universität angehören, eine kaum tragbare Belastung. Gegen die Anstellung Becks werden aus dem Kreise der Dozenten des SOS die schwersten Bedenken geltend gemacht und ich kann für meine Person nur sagen, daß diese berechtigt sind.

Abdullah Beck ist ein Mann von gänzlich ungeregelter Vorbildung, ein schwacher, willenloser Mensch, der, bei einer nicht zu leugnenden sprachlichen Begabung, sich bisher lediglich zur Abfassung einer Persischen Grammatik aufgeschwungen hat, die, nach einhelligem Urteil der maßgebenden Fachleute, sich als unwissenschaftlich und unbrauchbar erwiesen hat. Ich darf Sie auf das sehr maßvolle und doch ungemein scharfe Gutachten Maximilian Bittners, eines doch gewiß zuständigen Orientalisten, im XXX. Band der WZKM verweisen. Andere Leistungen hat Herr Abdullah Beck bisher nicht aufzuweisen. Die Dinge liegen unzweifelhaft so, daß das A.A. Herrn Beck irgendwo unterbringen will, nachdem es für ihn im eigenen Rahmen keine Platz mehr hat. Beck hat sich, nicht nur durch seinen unter seltsamen Umständen erfolgten Scheinübertritt zum Islam, in Kabul unmöglich gemacht, ist nun hier gelandet und soll versorgt werden. Er ist persönlich eine ungemein kindliche, naive und sogar sympathische Natur, aber das befähigt allein ihn doch nicht, eine Lehrstelle am SOS32 zu versehen.

So tief kann doch bei den maßgebenden Behörden die Achtung vor den Lehrern dieser Anstalt noch nicht gesunken sein, daß man sie einfach zur Unterbringung anderweitig nicht verwertbarer Persönlichkeiten benützt. Ich zweifle nicht daran, daß Sie persönlich mit dem Fall noch gar nicht sich befassen konnten und befaßt haben. Die vorsichtige Art des Vorgehens der Unterrichtsverwaltung deutet wohl auch darauf hin, daß man nicht unbedingt geneigt ist, seine Genehmigung zu geben. Man hat heute eine Sitzung aus sämtlichen reichsdeutschen Dozenten des SOS zusammengerufen, die sich , innerhalb weniger Stunden, mit diesem so heiklen Fragenkomplex befassen und darüber äußern sollten. Das war natürlich unmöglich, insbeson-dere haben sämtliche sog. planmäßige Herren sich dagegen ausgesprochen, die Angelegenheit ohne eine Ausschuß zu erledigen. Das ist ja auch geschehen.

Das Ergebnis kann kaum zweifelhaft sein, darüber hinaus sind aber Schritte aller möglichen Art zu erwarten, die spielend leicht vermieden werden könnten, wenn man nur die Ernennung einer wissenschaftlich so fragwürdigen Persönlichkeit wie des Herrn Beck zu vollziehen sich weigerte. Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen sachlich diese Angelegenheit zu berichten, da ich nicht weiß, ob Sie sonst und unmittelbar unterrichtet werden. Es handelt sich doch schließlich um eine Sache der deutschen Orientalistik. Wenn man auch, ganz ernsthaft, von einer ‚Strafversetzung’ ans SOS zu sprechen sich gewöhnt hat, so scheint mir doch der immerhin begründete Ruf dieser Anstalt es zu fordern, daß nicht Leute an es berufen werden, die überall in wissenschaftlichen Kreisen Lächeln und Kopfschütteln erregen und die jede wissenschaftliche Anstalt aufzunehmen sich schlankweg weigern würde. Es ist doch wirklich nicht notwendig, daß wegen dieses Herrn Abdullah Sebastian Beck, der sich bis heute als ‚Abdullah Sebastian Beck, Orientalist und Dolmetscher’ unterzeichnet die endliche Befriedung der Verhältnisse am SOS aufs Spiel gesetzt werden. Meine eigenen bitteren Gefühle, die angesichts solcher engerer Kollegenschaft erstünden, will ich dabei ganz außer Acht lassen.

In der Hoffnung, Ihnen mit diesen kurzen Hinweisen dienlich gewesen zu sein, bin ich mit bekannten Gesinnungen

stets Ihr dankbarer (gez.) F. Babinger.

 

370. Franz Babinger an C.H.B. Berlin, 8.5.1929

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

darf ich bei Ihnen Herrn Hanns-Henning von der Osten33 einführen, einen Schüler Herzfelds, der seit Jahren in amerikanischen Diensten steht und in Kleinasien sich mit Erfolg archäologisch betätigt hat. Er steht im Begriffe34 wieder nach Kleinasien abzureisen und möchte gern vorher Ihnen sowohl über die amerikanischen Pläne wie über andere Dinge Vortrag halten. Herr von der Osten wohnt Hotel Astoria, Charlottenburg, Hardenbergstraße 15, und bittet, ihn zu einer Ihnen gelegenen Stunde zu bestellen. Es hat mir leid getan, das letzte Zusammensein am 1. Mai versäumt zu haben. Ich war gerade unterwegs nach Berlin.

Mit bekannten Gesinnungen

Ihr dankbarer(gez.) F. Babinger

Anmerkung von RR Duwe: Hotel bestellt. Herr von der Osten ist von Berlin abwesend, wollte bereits am Sonntag zurückkehren, ist bisher aber nicht eingetroffen. Duwe, 14.5. und 16.5.

 

371. Franz Babinger an C.H.B. Berlin, 19.3.1931

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

ich danke Ihnen aufrichtig, daß Sie bei der Zuwendung Ihrer neuesten Schrift sich so freundlich meiner erinnert haben. Ich kannte ihren Inhalt nur aus Zeitungsberichten gelegentlich Ihres Vortrages und freue mich, in den nächsten Tagen auf einer Eisenbahnfahrt mich näher mit Ihren Ausführungen vertraut machen zu können.

Darf ich die Gelegenheit benützen, mich an Sie qua Herausgeber der Zeitschrift Der Islam in folgender Sache zu wenden? Der Zeitschrift wurde Ende 1927 gelegentlich des Abschlusses meines nun bald vergriffenen Buches Die Geschichtsschreiber der Osmanen und ihre Werke auf Anforderung aus Hamburg durch den Verlag ein Besprechungsstück übersandt. Diese Anzeige ist, wiederholter Mahnung seitens des Verlags zum Trotz, bis heute nicht erfolgt. Ich muß gestehen, daß ich mir von einer weiteren günstigen Kritik der GOW in keinem Belang irgendwelchen Nutzen verspreche, da bereits 15 teilweise sehr lange Besprechungen vor-liegen, die in ihrem Tenor einhellig sind. Aber ich lege gewissen Wert darauf, daß der Islam dieses Buch bespricht, nachdem ich in seinen Spalten vor etlichen Jahren in hanebüchener Weise von einem jugendlichen Kritiker mich mußte abkanzeln lassen.

Es widerstrebt mir, mich selbst nach Hamburg zu wenden. Aber vielleicht ergibt sich für Sie einmal Gelegenheit, auf dieses Versäumnis hinzuweisen.

1927 waren Sie so gütig, sich nach den kritischen Stimmen über meine GOW zu erkundigen: ich erlaube mir Ihnen eine Liste der bisher veröffentlichten Anzeigen zu übersenden. Am Ende interessiert Sie die eine oder die andre.

Verehrungsvolle Grüße Ihres ganz ergebenen (gez.) F. Babinger.

Anmerkung Beckers: Wittek 2mal gemahnt.

Anlage:

Besprechungen der Geschichtsschreiber der Osmanen und ihre Werke,

von F. Babinger (Leipzig 1927) (nur auf die Zeitschriftennamen verkürzt vom Herausgeber)

  • Oriente Moderno VII (1927) S.587f
  • Zapinski kollegii vostokvedow III (Leningrad 1928) S.217f.
  • Rivisti delli studi orientali XI (Rom 1928) S. 323
  • Deutsche Allgemeine Zeitung, 1928 No.103, 1.3.1928
  • Ungarische Jahrbücher VIII (Berlin 1928), S.164
  • Byzantinische Zeitschrift XXVIII (Leipzig 1928) S.144ff
  • Revue historique du Sud-Est Européen V, (Bukarest-Paris 1928) S.81
  • Orientalische Literatur-Zeitung XXXII (1929) Sp.42ff
  • Literarisches Zentralblatt vom 31.3.1928, Sp.503
  • Türkijjâ medschnû asi II (1928) S. 564
  • Byzantisch-neugriechische Jahrbücher VII, Athen 1930, S.489
  • Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (84.Bd., Leipzig 1930, S.277
  • Glasnik Skopskog naucnog drztva VII/VIII. Bd. (Skoplje 1930) S.391
  • Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes XXXVII. Bd. (Wien 1931), S. 304f
  • Journal Asiatique, 1931

 

372. C.H.B. an Franz Babinger. O.O. 11.4.1931

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Babinger,

auf Ihren Brief vom 19. März habe ich in Hamburg nachgefragt, wie es mit der Besprechung Ihrer Geschichtsschreiber (der Osmanen und ihrer Werke) steht. Ich hörte gestern, daß die Besprechung von Dr. Witteck übernommen wäre, daß Wittek schon zweimal gemahnt sei, und daß nun die Hamburger Redaktion energisch vorgehen wird. Also brauchen Sie in Hamburg nicht vorstellig zu werden. Sie wissen ja selbst, wie es manchmal mit solchen Besprechungen geht.

Es wird Sie übrigens interessieren, daß sich Schaeder vorgestern sehr anerkennend über Ihre Geschichtsschreiber geäußert hat.

Mit freundlichen Grüßen Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

373. Franz Babinger an C.H.B. Berlin W 15, Bregenzer Str.4, 10.11.1932

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Becker,

wollen Sie es bitte, meiner langen Abwesenheit von Berlin und den aufregenden Plackereien eines Umzugs zugute halten, daß ich Ihnen für die freundliche Zuwendung auch des zweiten Bandes Ihrer Islamstudien erst heute meinen angelegentlichsten Dank abstatte.

Ich beglückwünsche Sie dazu, daß nunmehr auch der zweite Teil dieses Werkes hat veröffentlicht werden können, in dem Sie das Erträgnis Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit wenigstens zum größten, die breitere Öffentlichkeit interessierenden Menge, haben niederlegen können.

Ich habe diesen Band nicht ohne ein Gefühl der Wehmut und der Trauer durchgeblättert, weil grade er mich an eine Zeit der deutschen Islamforschung erinnerte, die sehr Großes versprach und die, Gott sei’s geklagt, bald nach dem Weltkrieg durch eine Periode kläglichster Untätig-keit und nichtsverheißender Kleinlichkeitskrämerei abgelöst wurde. Möchte dies Werk diesem teilweise so windigen Geschlecht nunmehr zeigen, welche Hoffnungen man dereinst an die Entwicklung der Islamkunde auch in Deutschland knüpfen durfte und wie jammervoll es diese Erwartungen getäuscht hat.

Wenn Sie die Menge der seit Kriegsende in unserem lieben Vaterland erschienenen, in die Islamwissenschaft schlagenden Arbeiten durchmustern, so werden Sie um so erschreckter deren gänzliche Belanglosigkeit feststellen müssen, je mehr Sie gleichzeitig sich die teilweise großartigen Leistungen der Franzosen, Italiener und selbst der Engländer vor Augen halten.

Die Aussichten, daß es anders wird, schätze ich denkbar niedrig ein. Daß Ihre nunmehr abgeschlossenen Islamstudien dazu beitragen, diesen für jeden Kenner des Verlaufs der Islamstudien unerträglichen Zustand wenigstens teilweise beseitigen und eine bessere Zeit heraufführen, ist eine jener freudigen Empfindungen, die Ihre wertvolle Gabe bei mir ausgelöst hat.

Mit allen guten Wünschen und verehrungsvollen Grüßen (gez.) F. Babinger.

 

374. Walter Becker an Franz Babinger. Berlin, 21.2.1933

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Professor!

Für die freundliche Übersendung des Briefes des Herrn Dr. Schweinfurth sowie des Auszugs aus der Zeitung Le Temps sage ich Ihnen zugleich im Namen meiner Mutter unseren auf-richtigen Dank. Es ist uns sehr lieb, die warmen und ganz gewiß die Stimmen vieler uns Unbekannter wiedergebenden Worte eines auch meinem Vater Fernerstehenden zu besitzen.

Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihr ergebenster (Walter Becker).


1 Franz Babinger, Orientalist, 1891-1967, zuletzt Professor in Berlin, Jassy und München, arbeitete über frühosmanische Geschichte, die Türkenherrschaft in Südosteuropa sowie abendländisch-türkische Kultur-beziehungen. Werke: Die Geschichtsschreiber der Osmanen (1927); Mehmed der Eroberer und seine Zeit (1953); Aufsätze und Abhandlungen zur Geschichte Südosteuropas und der Levante, 3 Bde (1962-76)

2 Hervorhebungen vom Herausgeber

3 Es handelt sich um die Deutsche Morgenländische Gesellschaft.

4 Fritz Schmid, der Bruder Hedwig Beckers (Schmid)

5 Hervorhebung vom Herausgeber.

6 Sonderdruck, oder Sonderabzug

7 Anmerkung Babingers: Der Brief ist ein typ(isches) Beispiel für den Zustand, den der Münchener Psychiater Krepetin als ‚manisch-depressiven Irrsinn’ bezeichnet.

8 Anmerkung Beckers: Schwiegersohn. In arabischer Umschrift im Text.

9 Es handelt sich um einen Ordinarius in Würzburg, Jensen. Ob es nun der Ethnologe Adolf Ellegard J. (* 1899 +1965) oder der Sprachwissenschaftler Hans Detlev J. (*1884 +1973) ist: Islamwissenschaftler waren beide nicht. Und auch nicht in Würzburg. Gegen beide spricht auch das Alter, denn Babinger spricht von einem 60jährigen; dieser Jensen müßte also 1869 geboren sein. Im Brockhaus steht er jedenfalls nicht!

10 Anmerkung des Verfassers: z.B. B. Zimmern ( übrigens die Quelle für Jensen über mich und Halle!) und Streck, den ich vorgestern zum ersten Mal seit acht (8!) Jahren sah. Er spie Gift und Galle auf seine Fachgenossen, u.a. auf Ritter („Einfach erbärmlich, unbekannte Größe“)

11 Randbemerkung mit Unterstreichung Beckers: Das ist so charakteristisch, daß ich es Dir nicht vorenthalten möchte. CHB

12 Anmerkung Babingers: Der zweifelt nämlich hin und wieder, daß wir d’accord sind!

13 Deutsche Morgenländische Gesellschaft

14 Anlage fehlt.

15 Hervorhebung vom Herausgeber.

16 Das muß wohl Prof.Jensen, Würzburg, sein!

17 Anmerkung Babingers: Ich bitte um Weiterleitung der Briefe, falls sie Ihre Billigung finden.

18 Hervorhebung vom Herausgeber.

19 Deutsche Morgenländische Gesellschaft

20 SPD-Zeitung

21 Übrigens kostete die Postkarte 1,30 RM Porto!

22 Hazrat = Morgenstimmung! (recht unleserliche Anmerkung von FB)

23 Unterstreichung von FB

24 Unterstreichungen von FB

25 Anmerkung Babingers: Non omnia possumus cuius(?)!!

26 Die bayerischen Lehrstühle hob ich kursiv hervor. BB

27 Ich druckte die preußischen Lehrstühle fett, um die Bedeutung Preußens hervorzuheben. BB

28 Augusta Vindelicorum = lat. für Augsburg

29 Sonderdruck, Separatabzug

30 Hervorhebungen vom Herausgeber.

31 Unterstreichung des Empfängers mit Rot!

32 Es findet sich kein Hinweis, was für eine Anstalt das SOS ist. Der Herausgeber

33 Unterstreichung des Empfängers.

34 Anmerkung Babingers: er reist am 17.5. ab.