Prof. Wilhelm Flitner, 1926-33

Nachl. C. H. Becker.HA VI. Rep.92 Becker F. Nr. 680

Briefwechsel C.H.Beckers mit Prof. Wilhelm Flitner1 1926-1933

67. Wilhelm Flitner an C.H.B. Kiel, 20.7.19262

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Minister!

Die philosophische Fakultät der Universität Leipzig und die Sächsische Regierung fordern mich auf, nach Leipzig zu kommen und dort die Tätigkeit des a.o. Professors für praktische Pädagogik zu übernehmen. Da ich über praktisch erzieherische Tätigkeit zur Auswirkung meiner theoretischen Produktion noch nicht habe kommen können, so scheint es mir, daß ich diesen Ruf kaum ablehnen kann; würde ich ihn ablehnen, so müßte das bedeuten, daß ich auf die akademische Lehrtätigkeit und auf wissenschaftliche Produktion in größerem Umfang innerlich Verzicht leiste.

Ich erlaube mir, Ihnen das zu schreiben, um jeden Anschein zu vermeiden, als wolle ich die so überaus bedeutungsvolle und schöne Arbeit in der Preußischen Lehrerbildung aus einem Zweifel an der Sache wieder verlassen. Ich bin unverändert der Meinung, daß die Preußische Neuregelung den gegenwärtig allein gangbaren Weg geht, wenn ich auch über die Durchformung der einzelnen Anstalt einige vom jetzt Gültigen abweichende Gedanken habe.

Wenn ich jetzt, im Interesse meiner wissenschaftlichen Produktion, aus der Kieler Arbeit auszuscheiden gedenke, so wäre es mein innigster Wunsch, mich weder innerlich noch auf die Dauer äußerlich von dem Werk der Preußischen Lehrerbildung zu trennen. Ich möchte wünschen, daß meine Entscheidung auch Ihre Billigung findet, und ich möchte um die Gunst bitten, in einer rein privaten kurzen Besprechung Ihnen etwas deutlicher darlegen zu dürfen, warum ich mir auf Ihre innere Zustimmung Hoffnung mache.

Ihr verehrungsvoll ergebener (gez.) Dr. Wilhelm Flitner

Dozent an der Pädagogischen Akademie Kiel.

 

68. Preußisches Kultusministerium an Wilhelm Flitner. (Berlin), 22.7.1926

(Maschinenkopie)

An den Dozenten der Pädagogischen Akademie in Kiel Herrn Dr. Wilhelm Flitner.

Auf das an den Herrn Staatsminister Professor D. Dr. Becker gerichtete gefällige Schreiben vom 20.Juli d.Js. um Gewährung einer Unterredung teilt das Privatsekretariat ganz ergebenst mit, daß der Herr Minister sich bis Mitte August in Urlaub befindet. Ihre Eingabe wird dem Herrn Minister nach seiner Rückkehr vorgelegt werden.

Privatsekretariat (gez.) H. Amtsrat

Anmerkung: Herrn Ministerialdirektor Kaestner gehorsamst weitergereicht.

Ich habe Herrn Flitner geschrieben, daß der Herr Minister Anfang September für ihn zu sprechen ist, habe ihm nochmals zugeredet, in Kiel zu bleiben, und ihn gebeten, keinen endgültigen Entschluß vor seiner Unterredung mit dem Herrn Minister zu fassen.

Hinweis an ORR Duve: Die Sache ist gemäß Besprechung (nicht lesbar) erledigt.

 

69. Professor Wilhelm Flitner an C.H.B. Altona, 3.6.1932

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter lieber Herr Becker!

Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Einladung zum Nizzaer Kongreß. Ich sage Ihnen gern zu, darf aber wohl den Vorbehalt, den man jedem Deutschen heute zubilligen muß, machen, daß man die Entwicklung der politischen Zustände abwarten muß, um zu entscheiden, ob man im August über die Grenze zu gehen noch Lust verspüren wird. Es ist eine sehr frohe Aussicht, Sie in Nizza wiederzusehen und die Gespräche von Davos fortzusetzen.

Mit herzlichen Grüßen und Empfehlungen Ihr treulich ergebener (gez.) W. Flitner.

 

70. C.H.B. an Wilhelm Flitner, Hamburg. (Berlin), 15.6.1932

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Flitner!

Ich bin außerordentlich glücklich, daß Sie den Hauptvortrag für Nizza übernommen haben. Es stellt sich jetzt heraus, daß wir doch nicht drei sondern nur über zwei Hauptvorträge verfügen können. Ich habe deshalb sofort geschrieben, daß Herr Dessauer und Sie die gegebenen Redner für diesen Zweck wären, da Sie sich auch nach der theoretischen und praktischen Seite bestens ergänzen, während ich in einem anderen Zusammenhang über das gleiche Thema wie projektiert sprechen werde. Man wollte gern, daß ich englisch spreche, doch kann ich das als deutscher Hauptredner natürlich nicht, aber in meiner Eigenschaft als Vizepräsident könnte ich in anderem Zusammenhang nach einer deutschen Einleitung doch die wichtigen Dinge, die ich zu sagen habe, auch in Englisch vorbringen, ohne gleich als anational zu erscheinen.

Bei unserer Besprechung mit den Behörden in Berlin ist erwogen worden, ob die Reisekosten für Sie nicht von der Hamburgischen Oberschulbehörde übernommen werden könnten. Die Finanzierung macht überhaupt einige Schwierigkeiten. Ich bekomme gerade von Frau Dr. Rotten einen Brief, worin sie die Hoffnung ausspricht, daß entweder Sie oder Dr. Gebhard finanziell von der Hamburger Oberschulbehörde übernommen würden. Darf ich Sie einmal fragen, wie Sie darüber denken, und ob Sie es für zweckmäßig halten, daß ich vielleicht einmal als Vizepräsident an den Herrn Senator de Chapeau Rouge ein paar Worte schreibe; in Hamburg war man früher in solchen Dingen immer sehr großzügig.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)

Anlage o.D.(Mai/Juni 1932)

C. H. B. an Wilhelm Flitner, Professor in Hamburg

Lieber Herr Flitner!

Ich hoffe, Sie haben schon von Weniger gehört, daß wir auf Sie das Attentat machen wollen, auf dem Nizzaer Kongreß mit mir und Dessauer das dritte deutsche Referat in den Main Lectures zu der Grundthese des Kongresses zu übernehmen. Wir hatten uns die Arbeitsteilung so gedacht, daß ich Education and Social Change vom internationalen, Dessauer, Frankfurt, vom soziologischen und Sie vom pädagogischen behandeln sollten. Frau Dr. Rotten, die für die Headquarters spricht, soll die Auswirkung auf die Seele des individuellen Lehrers behandeln. Bitte tun Sie mir den Gefallen, ich würde mich ganz besonders freuen, wieder einmal mit Ihnen bei einer Sache zusammen wirken zu können. Näheres über den Kongreß brauche ich einem Fachmann, wie Ihnen, ja nicht zu schreiben. Als Reiseunterstützung werden von amtlicher Stelle RM 200 zur Verfügung gestellt werden.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB).

 

71. Wilhelm Flitner an C.H.B. Hamburg, 17.6.1932

(Maschinenmanuskript)

Lieber hochverehrter Herr Becker!

Für Ihren Brief danke ich Ihnen sehr und möchte nicht versäumen, meinen Vortrag Ihnen wieder zur Verfügung zu stellen. Wenn Deutschland nur zwei Vorträge zu halten hat, so wäre es meiner Ansicht nach sehr viel repräsentativer, wenn außer Herrn Dessauer Sie sprechen würden. Ich verzichte dann gern, zumal die Beschaffung der Mittel Schwierigkeiten macht. Ich habe mich an unsere Hochschulbehörde mit einer Anfrage gewandt, noch keine offizielle Antwort bekommen, aber der Herr Senator teilte mir mit, daß Mittel gar nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Es könnte natürlich sei, daß er Ihnen ungern eine abschlägige Antwort erteilt, wenn Sie als Vizepräsident sich an ihn wenden würden, aber vielleicht ist das nicht nötig, wenn Sie selbst den Vortrag übernehmen. Ich möchte Sie jedenfalls bitten, ganz danach zu verfahren, wie sich das Ganze am praktischsten arrangieren läßt.

Mit herzlichen Grüßen Ihr treulich ergebener (gez.) Flitner.

 

72. C. H. B. an Wilhelm Flitner. Berlin, 21.6.1932

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Flitner

Ich freue mich herzlich, daß Sie mir treu bleiben. Herr Rawson teilt mir mit, daß wir alle drei an hervorragender Stelle zu Wort kommen, daß nur einer der Vorträge vielleicht am Vormittag stattfinden müßte, was bei einem Kongreß dieser Art evtl. noch das bessere ist. Da er mich gleichzeitig bittet, einen Titel für meinen Vortrag zu finden, habe ich lange darüber nachgedacht und dann folgende etwa umständliche, aber deutliche Formulierung gewählt:

„Der soziale Wandel und die Erziehung unter dem Gesichtspunkt der Verschiedenheit der Völker.“

Weiter kann ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß die RM 3000 des Auswärtigen Amts bereitgestellt sind. Ich erhielt die offizielle Mitteilung und habe die Pädagogische Auslandsstelle, die als Zahlstelle fungiert, gebeten, zunächst einmal RM 500 Frau Rotten zu überweisen. Ich werde nun heute noch ein Gesuch an Minister Grimme richten, daß auch Preußen sich mit RM 500 beteiligt, desgleichen schreibe ich mit gleicher Post an de Chapeaurouge.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen freundschaftlich ergebener (CHB)

 

73. C. H. B. an Wilhelm Flitner. (Berlin), 31.1.1933

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Flitner!

Ihr Besuch bei Jacob war mir besonders erfreulich, und ich möchte Ihnen gern noch einmal von Herzen dafür danken. Das nächste Mal werde ich nicht verfehlen, Sie und ihre Gattin bei sich aufzusuchen. Ich versprach, Ihnen zwei Artikel zu schicken, über die wir gesprochen haben. Den über den Dritten Humanismus können Sie behalten, den über Amerika muß ich allerdings zurückerbitten, da ich leider keine Exemplare mehr zur Verfügung habe und es doch noch einige Zeit dauern wird, bis der erweiterte Druck erscheint.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)

 

74. Wilhelm Flitner an C. H. B. Klein-Flottbeck bei Hamburg, 7.2.1933

(handschriftlich)

Hochverehrter Herr Staatsminister!

Vielen Dank für die beiden Sonderdrucke und den freundschaftlichen Gruß. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie am Tag Ihres zweiten Vortrags noch Zeit für mich fanden; die beiden Tage werden mir festlich in Erinnerung bleiben. Den Sonderdruck über Amerika sende ich beiliegend zurück und freue mich, das andere behalten und in mein Helbling(?)-Exemplar hineinlegen zu können. Indem ich beiden Gedankenreihen mich hingab, habe ich mich gefragt, ob die Kirche von der im Humanismus nicht die Rede ist, wirklich so vergangen ist, wie es hier scheint. Weder die Sowjets noch die Amerikaner noch diese neuen Mythosleute wie Helbing wissen noch um sie und um die neue, unsichtbare Kirche, die doch die Substanz dessen enthält, was Blut, Leib, Mythus nicht geben und was da sein muß, bevor ein Humanismus kommen kann, es zu verfeinern. Die Konfessionalität der Päd(agogischen) Akademien – so wie Kittel sie seinerzeit interpretierte – war wohl die Grundlage ihres praktischen Humanismus, und jene Konfessionalisierung, die politisch notwendig wurde, hat wirklich nicht zufällig jener Idee des neuen Humanismus das Fundament gegeben.

Verzeihen Sie die Ausführlichkeit dieses Dankes. Meine Frau freut sich mit mir auf Ihren nächsten Besuch in Hamburg – vergessen Sie nicht uns aufzusuchen.

Mit herzlichen Wünschen für Spanien-Marokko Ihr getreulich ergebener W. Flitner.


1 Wilhelm A. Flitner * 1889 Bad Berka + 1990 Tübingen. Erziehungswissenschaftler, 1926 Prof. in Kiel, 1929 Hamburg. Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, verband historische. Forschung, die die Erziehung in den Kulturzusammenhang einbettet, intensive Zuwendung zu pädagogischen Gegenwartsfragen der Erwachsen- und Lehrerbildung, der Schule und Hochschule. (Nach Brockhaus 20.Aufl. Mannheim 1996)

2 Hervorhebungen von Becker.