Otto Dibelius, 1929/1930

VI. HA. Nachl. Becker, C.H. Nr.226

104. Otto Dibelius, Generalsuperintendent der Kurmark, an C. H. B. Berlin-Steglitz, 22.10.1929

(Handschriftlich) Kaiser-WilhelmStr.11

Sehr verehrter Herr Staatsminister!

Ich habe die räumliche Nachbarschaft, in der ich mich zu Ihrem Hause befinde, noch niemals zu einem amtlichen Anliegen benutzt. Wenn ich es heute um des Joachimsthalschen Gymnasiums willen tue, so geschieht es, weil ich weiß, daß auch Sie an dieser Anstalt besonderes Interesse nehmen und weil mir für meine Kurmark unendlich viel an dieser alten Bildungsstätte liegt – ganz besonders auch um meiner Pfarrer willen, die dort ihre Söhne haben und denen es ein sehr ernstes Anliegen ist, daß dort die rechten Erzieherhände walten. Es war mir eine Freude, daß ich dem Provinzialschulkollegium, als es sich um den Geistlichen Inspektor handelte, zwei junge, treffliche Leute nennen konnte, zu deren pädagogischer und pastoraler Qualifikation man volles Vertrauen haben konnte. Jetzt geht es um den Direktor. Den Befürchtungen, die in der Uckermark umgehen, bin ich mit Bestimmtheit entgegengetreten, weil ich überzeugt bin, daß die Kultusverwaltung bei ihrer Wahl dem Charakter der Anstalt verständnisvoll Rechnung tragen wird. Aber Sie werden es gewiß verstehen, daß ich gerade deshalb, weil ich Vertrauen zur Kultusverwaltung gefordert habe, nun auch die Bitte aussprechen möchte: schicken Sie uns einen Mann, der der christlich-humanistischen Tradition des Joachimsthalschen Gymnasiums mit demselben innerlichen Verständnis gegenübersteht wie es der bisherige ausgezeichnete Direktor getan hat! Und wenn es irgend möglich ist, wieder eine unpolitische Persönlichkeit! Nirgends habe ich es so schwer, die Überparteilichkeit der evangelischen Kirche durchzusetzen, wie in der Uckermarck. Ich würde unendlich dankbar sein, wenn das Joachimsthalsche Gymnasium in die politischen Gegensätze nicht hineingezogen würde, sondern die Insel christlich-humanistischen Erziehungsfriedens bleiben könnte, die es bisher gewesen ist.

In aufrichtiger Verehrung Ihr ganz ergebener (gez.) Dibelius.

 

105. C. H. B. an Otto Dibelius. Berlin, 23.10.1929

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr General-Superintendent!

Freundlichen Dank für Ihre Zeilen in Angelegenheit der Direktorstelle des Joachimsthal’schen Gymnasiums. Ich habe Ihren Brief zum Anlaß genommen, mit meinen Herren die Angelegenheit zu besprechen und von ihnen erfahren, daß Gerüchte im Umlauf sein sollten, ich beabsichtigte einen Dissidenten zum Direktor in Joachimsthal zu machen. Uns ist allen völlig unverständlich, wie ein derartiges Gerücht entstehen konnte. Ich suche einen möglichst hochqualifizierten Direktor und wollte mich deshalb nicht mit den üblichen Listenvorschlägen abfinden. Ich habe eine Rundfrage bei Universitätsprofessoren und den Provinzialschulkollegien auch anderer Provinzen gemacht, um für diese wichtige Stelle einen möglichst hochqualifizerten Mann zu bekommen. Die Antworten sind noch nicht alle eingegangen und zurzeit existiert überhaupt noch keinerlei Kandidat für diesen Posten. Daß bei der Neubesetzung des Direktorpostens das Schülermilieu und die Tradition der Anstalt berücksichtigt werden müssen, versteht sich für mich von selbst.

In ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener (CHB).

 

106. C. H. B. an Otto Dibelius (Berlin), 15.5.1930

(Staatsminister a.D.) (Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Generalsuperintendent!

Wie ich höre, feiern Sie heute Ihren 50. Geburtstag. Da ich selbst vor wenigen Jahren diesen Tag mit einer gewissen intimen Feierlichkeit begangen habe, weiß ich, was die Vollendung eines halben Jahrhunderts für einen geistig lebendigen Menschen bedeutet. In unserem Alter kann man ja Gottlob den Blick noch mehr nach vorn als nach rückwärts richten, und der 50. Geburtstag ist kaum der Anlaß zu einer Rückschau, sondern eher ein Moment der Sammlung zu neuem Vorstoß in die Weiten der Arbeit und in die Fülle des Lebens. Ich wünsche Ihnen Kraft, Freude und Gesundheit für die kommenden Jahrzehnte.

In nachbarschaftliche Verbundenheit und mit verbindlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr sehr ergebenster (CHB).

 

107. Otto Dibelius an C. H. B. Berlin, 17.5.1930

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Haben Sie herzlichen Dank für Ihren so freundlichen Gruß zu meinem Geburtstag! Früher wurde von einem 50. Geburtstag noch nicht Notiz genommen. Man gab dem Leben mehr Zeit, seine Früchte reifen zu lassen. Heute hat man es eiliger. Wenigstens in der Öffentlichkeit. Für unsereinen aber kann solch ein Tag nur eine Mahnung sein, den Tag zu nutzen, an dem man noch wirken kann. Und wenn diese Wirksamkeit von freundlicher und verständnisvoller anderer begleitet wird, dann ist das freilich ein Geschenk, für das ich aufrichtig dankbar bin.

Mit herzlicher Empfehlung von Haus zu Haus Ihr ganz ergebenster (gez.) Dibelius