Ernst Eisenlohr (1915)

HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-35) 

29. C.H.B. an Frau Eisenlohr sen. Bonn, 15.2.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrte gnädige Frau!

Bei der Rückkehr von einer kleinen Vortragsreise finde ich Ihre inhaltsreiche Karte vor, deren wichtigste Nachricht mir meine Frau schon nach Frankfurt telephoniert hatte.

Ich bin aufs Äußerste überrascht, da sich aus der Abreise doch schließen läßt, daß sich unser Verhältnis zu Portugal zugespitzt hat. Daß er gefangen genommen würde, war ja wohl sicher; aber ich vermute, daß man ihn als Berufskonsul alsbald reklamieren wird. Er wird wohl auch direkt an das Amt geschrieben haben, sonst müßte wohl durch Sie oder Fritz dem Auswärtigen Amt Mitteilung zugehen.

Aus Ihrem Brief entnehme ich, daß man ihm unbegrenzt, und zwar in deutsch, schreiben kann. Ich will es in den nächsten Tagen tun, denn er wird in Gibraltar noch mehr Sehnsucht nach Anregung empfinden, als in Loanda.

Daß Fritz sich in Meran von seinen Anstrengungen erholen kann, muß doch Ihrem Mutterherzen wohltun. Mit verbindlichen Grüßen auch von meiner Frau

Ihr Sie aufrichtig verehrender (C.H.B.)

 

30. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, in Gefangenschaft in Gibraltar, Bonn, 20.2.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich möchte Dir in die Gefangenschaft einen herzlichen Gruß senden. Dein Aufenthaltsort ist mir ja wohl bekannt, wenn ich im Jahre 1900 auch unter ganz anderen Umständen in Gibraltar war. Hoffentlich hast Du wenigstens etwas von der schönen Aussicht. Ich freue mich, von Deiner Mutter zu hören, daß Du gut untergekommen bist. Hedwig hat Dir ja auch schon von uns berichtet. Hoffentlich wirst Du bald frei werden.

Ich habe z.Z. viel zu tun, besonders mit Vorträgen. Ich sprach oder spreche in Straßburg, Frankfurt, Trier, Düsseldorf usw., da mein Fach jetzt sehr en vogue ist. Auch schriftstellerisch habe ich mich noch weiterhin betätigt und dabei leider einen schweren Zusammenstoß mit meinem Freunde Snouck Hurgronje erlebt. Das ist eine traurige Begleiterscheinung des großen Krieges.

Von unsern Freunden nicht viel Neues. Nolte ist verwundet, offenbar nicht schlimm. Meinem Bruder, sowie Schwägern und Neffen im Felde geht es nach wie vor sehr gut. Walter liegt, von einem Pferd getreten, in Antwerpen. Fischler führt Heidelberger Lazarettzug.

Tempe Seng wird nächstens hier in einem Konzert auftreten.

Herzliche Grüße von uns allen, freudig bewegt von den letzten Ereignissen. Dein (C.H.B.)

 

31. C.H.B. an Ernst Eisenlohr (Berlin?), Bonn, 24.3.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Es wäre zu schön, wenn wir uns bald irgendwo treffen könnten. Morgen kommt hier unsere Schwiegermutter zu Besuch, so daß wir uns unter Umständen einmal ein paar Tage frei machen könnten. Jedenfalls teile uns sofort mit, wenn Du über Deine Verwendung Bescheid e bekommst.

Politisch wirst Du ja jetzt an erster Quelle orientiert, und brauche ich Dir nichts mehr zu berichten. Ich habe in letzter Zeit das Auswärtige Amt auch etwas näher kennen gelernt, und sind eigentlich meine schlimmsten Befürchtungen übertroffen worden. Darüber würde ich mich sehr gern einmal mit Dir aussprechen. Es ist ein wahrer Gottessegen, daß Zimmermann da ist, der jetzt die Seele des Amtes zu sein scheint

Ich habe eine größere Arbeit für das Kultusministerium über die Frage gemacht: Warum ist die Türkei im Kriege? Sie wird ein Kapitel bilden in dem großen deutschen Kriegsbuch, das der internationalen Diskussion zugrunde liegen soll. Es ist auf Anregung des Kultusministe-riums erschienen, wird sich aber äußerlich als buchhändlerisches Unternehmen darstellen. Eine andere Schrift von mir habe ich Dir noch nach Gibraltar geschickt, doch hat sie Dich wohl nicht mehr erreichen können. Ich schicke sie Dir anbei nochmals und lege Dir ein ganz ausgezeichnetes kleines Schriftchen bei, das weiteste Verbreitung verdient.

Snouck Hurgronjes Standpunkt erklärt sich aus der holländischen Kolonialpolitik, deren Interessen allerdings den unsrigen direkt widersprechen. Wir sind jetzt auf dem Wege der Verständigung, ohne beiderseits unseren Standpunkt aufzugeben. Ich habe eben meine Schlußworte auf seine Erwiderung vollendet, da beide in der Mai-Nummer der Internationalen

Monatsschrift erscheinen sollen.

Wenn sich unser Wiedersehen noch hinausschiebt, könnest Du uns einmal etwas über die Verhältnisse in Angola berichten. Ich weiß von Deinen Erlebnissen bisher nur aus einem Brief von Walter Fischler.

Ich bin bei der Landsturmmusterung vorerst als untauglich bezeichnet, da mein Darmleiden mich leider unbrauchbar macht. Bei größter Vorsicht kann ich aber einen einigermaßen aushaltbaren Lebensstandard durchführen.- daß Du jetzt lieber Soldat wärst, verstehe ich durchaus. Auch ich habe noch nie so sehr wie in diesem Jahre bedauert, nicht gedient zu haben.

Mit herzlichen Grüßen vom ganzen Hause (C.H.B.)

 

32. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Berlin NW7, Hotel Königshof, 21.3.1915

Lieber Carl,

das A.A.hat sich wenig verändert, ich sitze und harre und die Vorgesetzten harren auch und sitzen voll Bedenken, ob sie mich wohl loslassen können und gegen Desertion ist auch vorgebeugt, denn das Bez(irks)kommando) nimmt mich nicht ohne schriftliche Erlaubnis des Amts.. In der Zwischenzeit I ´m eating my heart und trinke Rotwein dazu, letzteres die einzige verständige Beschäftigung, die ich hier ausfindig machen konnte. Ich habe mich draußen über Aufenthalt und Gefangenschaft nicht übermäßig aufgeregt, aber hier geht mir die Zeitverschwendung nahe. Sobald ich eine Entscheidung habe, lasse ich Dich’s auf dem schnellsten Wege wissen, um noch ein Zusammentreffen zu ermöglichen, falls ich ins Feld gehe.

Grüße die Deinen. Ernst

 

33. Feldpostkarte von Leutnant Ernst Eisenlohr an C.H.B. o.O., 22.4.1915

(XV. Armeekorps, 29.Division 114. Regiment, III. Bataillon, 9. Batterie)

Lieber Carl,

Habt nochmals herzlichen dank für die Stunden mit Euch. Alles persönliche hier so nett wie nur möglich. Adresse umseitig. Ernst.

Viele Grüße an Toby.

 

34. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 26.4.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Soeben von Berlin zurückgekehrt, finde ich Deine Karte vor, und will ich Dir sofort einen herzlichen Gruß senden, ehe ich mich wieder in die alltägliche Arbeit stürze, die gerade jetzt zu Semesterbeginn mich von privater Korrespondenz ziemlich abhalten dürfte.

Unser kurzes Zusammensein ist uns auch eine liebe Erinnerung, und wir haben Dich seit Deiner Abreise mit unseren Gedanken an die Front begleitet. Laß uns oft und ausführlich von Dir hören.

In Berlin höre ich wieder mancherlei Interessantes. Das allgemeine Friedengerede, das besonders aus der Front in die Heimat dringt, scheint doch mehr ein Massen-Frühjahrsgefühl zu sein. Die Regierung steht auf dem Standpunkt, daß die gegenwärtige Kriegslage noch nicht eine Friedensorientierung nach einer oder der anderen Seite zuläßt; es sei denn, daß unsere Gegner an uns herantreten. Verhandelt wird ganz positiv mit England nicht; auch zwischen den Dynastien ist aller Verkehr unterbrochen, während die privaten Beziehungen der Höfe von Berlin und Petersburg niemals ganz aufgehört haben. Aber auch mit Rußland wird noch nicht im eigentlichen Sinne des Wortes verhandelt. Allerdings scheinen hier gewisse Vorfühlungen stattzufinden. Eins ist gewiß: daß die Entente sich lebhaft bemüht, die Türkei zu einem Sonderfrieden zu bewegen. Nicht unmöglich scheint es, daß wir mit Rußland zu einer Verständigung über die Dardanellen kommen, und zwar in der Richtung, daß Konstantinopel deutsche Flottenbasis wird und daß Rußland die freie Durchfahrt, auch für Kriegsschiffe, erhält. Gleichzeitig soll Rumänien eine Flotte bauen, und nur für die genannten Mächte sollen die Dardanellen offen stehen. In Rußland scheint man einzusehen, daß man doch nicht nach Konstantinopel kommt und wäre zu einem Frieden geneigt. Er könnte natürlich nur stattfinden, wenn Rußland eine innere Erstarkung der Türkei weiterhin nicht behindert. Immerhin ist man deutscherseits zunächst noch sehr vorsichtig, weil trotz aller Vorfühlungen die Kriegsereignisse weitergehen, und jedenfalls wartet man mit neuen Investierungen in der Türkei, bis der Friede geschlossen ist. Ein Separatfriede der Türkei ist natürlich nur denkbar, wenn wir zustimmen. Trotz aller Fühlungnahme mit Rußland scheint eine große militärische Aktion noch bevorzustehen.

Im Einzelnen habe ich mich sehr gefreut, wie unser orientalischer Nachrichtendienst aufgezogen ist. Die Pressebeeinflussung der orientalischen Welt ist jetzt in ganz großem Stile eingeleitet und wird es auch nach Friedensschluß bleiben.

Mein Vortrag verlief programmmäßig. Mit Ausnahme von Sachau war alles anwesend, was in Berlin irgendwie mit dem Orient zu tun hat. Der Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses war so voll, daß die Galerie hinzugezogen werden mußte. Die türkische Botschaft war leider nicht anwesend, weil sie sich prinzipiell von allen solchen Veranstaltungen fernhält; dafür war die Berliner Wissenschaft durch einige Celebritäten vertreten. Ich war recht befriedigt und hatte inhaltsreiche Tage in mancherlei Beratungen. Ich habe mich auch mit Wesendenck ausge-sprochen und mit Freude konstatiert, daß man im A.A. nach denselben Gesichtspunkten

Islampolitik treibt, wie ich sie in meinen Kriegsschriften vertreten habe. Ich hoffe, daß später einmal die Nachrichtenstelle sich mit dem orientalischen Seminar verbinden wird; dann könnte bei geeigneter Leitung all das in wissenschaftlicher und politischer Hinsicht geleistet werden,, wovon ich Dir sprach. In dem früheren Dragoman, jetzigen Konsul Schabinger hat die Nachrichtenstelle einen trefflichen Leiter. (C.H.B.)

 

35. Ernst Eisenlohr an C.H.B. im Felde, 3.5.1915

Carole,

Dein Brief hat mich sehr interessiert und ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mich auch künftig nach Zeit und Möglichkeit über Politisches unterrichtest halten wolltest. Denn wir erfahren hier wenig und davon ist wieder ein Teil ungenau (?) oder unverbürgt. Neulich, d.h. vor drei Tagen, kam die Nachricht von einer höheren Kommandostelle, daß die Artillerie des XV. A(rmee)k(orps) den Engländern in den Rücken gekommen sei im Verein mit den Franzosen, die versehentlich auf die Beefs schossen und daß 20 000 auf dem Platze blieben. Es kam aber noch keine Bestätigung und so halte ich die Sache für eine stolze Artillerie-meldung. Dann die Chlorgasgeschichte. Der zuständige Professor soll übrigens zur Zeit auf der Lorettohöhe, nicht weit von hier, auf günstigen Wind warten, so daß es dort auch bald losgehen dürfte. Da wo ich bin, wird es wohl keine besonderen Ereignisse geben, wir sind mitten zwischen Arras und Ypern vorwärts Lille. Angriffe unsererseits hätten aber hier strategisch keinen Zweck, und falls wir angegriffen würden – was ich auch nicht glaube -, so wäre die gut ausgebaute Stellung wohl ohne besondere Mühe auch von geringen Kräften zu halten. Zudem scheint zur Zeit unsere Artillerie hier die zahlenmäßige Unterlegenheit zu haben und ist auch zum Teil ganz gut eingeschossen i.e. cum grano salis: gewisse vorgescho-bene Stellungen räumen wir, wenn sie auf den gegenüberliegenden Feind feuern will und wenn wir die Stellungen nachher wieder besetzen, sind wir froh, wenn die mühsam gebauten Hindernisse nicht allzusehr zerdeppert sind.

Wenn Du oder Hedwig ein leicht lesbares Buch finden, denkt an mich. Denn in den sog. Ruhetagen hat man….gar keine Zeit zum Lesen. Hier vorne aber sitze ich gegenwärtig erst 4 Tage in einem unterirdischen Blockhaus 2 Minuten hinter der Front (sog. Bereitschafts-stellung) und dann 4 Tage in einer anderen Villa im vorderen Graben, und auch nach sorgfäl-tigster Regelung und Kontrolle des Dienstes bleibt da dem einsamen Hausherrn reichlich viel Zeit und wenig Hergang, die zur Selbstbetrachtung oder zur Nagelpflege oder was es sonst an beschaulicher Beschäftigung geben mag , zu verwenden.

Was das politische Programm für einen möglichen Frieden mit Rußland angeht, von dem Du mir schreibst, so hätte es allerdings den geschätzten Vorteil, nicht unseren Interessen allein, sondern auch denen unseres Bundesgenossen gerecht werden, zugleich uns, wenn wir die Flottenbasis in Konst(antinopel) haben den bisher fehlenden greifbaren Stützpunkt für unsere vorderasiatische Politik zu liefern. Auch weißt Du, wie sympathisch es mir wäre, wenn wir uns mit Rußland, im Bösen wie im Guten auseinandersetzen könnten, um den Rücken frei zu bekommen und in Zukunft Rußlands Ehrgeiz auf Indien zu weisen. Aber, ist es denkbar, daß die Russen auf ihr jahrhundertelanges Sehnen nach Konstantinopel verzichten? Und der Kampf bis aufs Messer mit England ist dann da (Suezkanal), zugleich ein Interessenkonflikt zwischen England und Rußland aus der Welt geschafft. Immerhin, der Gedanke hat etwas ungemein Großzügiges und Bestechendes. Ich möchte gern wissen, wer sein Vater ist.

Es freut mich sehr, daß Du diesmal aus Berlin mit erfreulicheren Eindrücken zurück gekommen bist als sonst. Viele Grüße an Hedwig und die Kinder. Ernst

 

36. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 10.5.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Mehr um Dir einen brüderlichen Gruß ins Feld zu schicken, als weil ich gerade besonders viel Neues zu berichten hätte, antworte ich Dir gleich auf Deinen Brief, der uns alle sehr erfreut hat. Nach einem Buche sehen wir uns um. Jedenfalls schicke ich Dir heute mal die neueste Nummer der Internationalen Monatsschrift, in der meine Schlußauseinandersetzung mit Snouck steht, und die auch sonst mancherlei Interessantes enthält. Übrigens ist auch meine holländische Entgegnung auf Snouck dieser Tage erschienen, und große Auszüge daraus bringt die gesamte holländische Tagespresse.

In letzter Zeit hat man ja wieder so viel Großes und Aufregendes erlebt, daß die mühsam erkämpfte Arbeitsruhe wieder zum Teufel geht. Was ist der Durchbruch in Galizien für eine große Tat! Atemlos lauscht man dem Weitergang der Ereignisse. Was man eigentlich bei Ypern will, ist mir nicht recht klar. Sollte man dort wirklich so stark sein, einen eventuell glückenden Durchbruch bis zur Aufrollung durchzuführen? Die Lusitania war ein glänzender Erfolg. Besser konnte die Wirksamkeit der U-Waffen nicht bewiesen werden, als daß trotz vorheriger Ansage für ein ganz spezielles Schiff dieses gleiche Schiff am hellen Tage torpediert wird. Mich erschüttert dabei der Gedanke an die Titanic; was damals alle Welt entsetzt bejammert, wird jetzt absichtlich herbeigeführt. Wohin uns dieser Krieg noch führt!

Trotz aller günstiger Nachrichten von den Kriegsschauplätzen wird man wegen Italien nicht recht froh. Nicht, als ob ich dieser feigen Gesellschaft irgendwelche Erfolge zutraute; aber Italiens Eingreifen wird den Krieg verlängern, komplizieren und Tausende weitere deutscher Leben kosten. Der Enderfolg wird sein, daß Italien Republik wird und die Lombardei verliert. Allerdings würde unsere Position in der Türkei sehr erschwert, denn es scheint mir kein Zweifel, daß Italien sich nicht am Trentino den Kopf einrennen, sondern seine Truppen nach Flandern und in den Orient schicken würde. Dieses Vorgehen kann unsererseits nur durch einen Vorstoß in die Lombardei pariert werden. Der Berner Bund meldet heute, daß große Truppenbewegungen hinter der deutsch-österreichischen Front im Gange wären, um unter allen Umständen auf einem neuen Kriegsschauplatz schnell eingreifen zu können. Mir ist nicht recht begreiflich, was Italien eigentlich noch mehr will. Österreich scheint bis an die Grenze der

Irredenta-Forderungen gegangen zu sein. Ich kann mir nur einen Grund für ein Nichtzustandekommen der Verständigung denken: daß England ein geheimes Ultimatum an Italien gestellt hat. Trotz allem glaube ich, daß Italien neutral bleibt. Es hat weder Geld noch Kohlen; es hat die Sozialisten und die katholische Kirche gegen sich. Ein offiziöser Artikel der Kölnischen Volkszeitung winkte neulich sehr deutlich mit dem Kirchenstaat. Den Krieg wollen in Italien eigentlich nur die Intellektuellen, die italienischen Frankfurter-Zeitungs-Leute. Noch nie hat ein Volk seine politische Aufgabe in der Welt so verkannt. Die ernste Sprache der deutschen Blätter und die veranlaßte Abreise der deutschen Kolonie halte ich nur für ein deutsches Druckmittel. Bisher spielte man in Italien mit uns: offenbar haben wir ihm ernstlich bedeutet, daß das nicht so weitergehen kann.

Sehr interessante Nachrichten habe ich von Ritter aus Syrien. Er steht z.Z. ganz unter dem Eindruck des türkisch-arabischen Gegensatzes, der türkischen Mißwirtschaft in Syrien, der Entente-Freundschaft der dortigen Christen, des Mißerfolges des Heiligen Krieges der Araber

und ist mit den ganzen Europäerkreisen fest davon überzeugt, daß nur ein deutsches Protektorat die heillosen Verhältnisse Syriens verbessern könne. Diese Gedankengänge sind mir natürlich nicht neu; aber man wird sie jetzt nicht gerade an die große Öffentlichkeit bringen. Jedenfalls wird nach dem Kriege die deutsche Beeinflussung der Türkei, namentlich in den arabisch sprechenden Ländern, zu einer ganz neuen Verwaltungsform führen, oder auch wir haben in diesen Ländern ausgespielt. In Anatolien können die Türken alles allein besorgen.

Von Fischler hatte ich dieser Tage (einen) Brief aus der Gegend von Charleroi, wo er wohl längere Zeit bleiben wird. Er fragt nach Dir. Seine ständige Adresse ist: Bonn Universitäts-Sekretariat. Von Walter habe ich ewig nichts mehr gehört. Welde ist bei seinem Regiment zurück, und wirst Du ihn vielleicht einmal sehen.

Uns geht es so weit gut. Wir genießen das sonnige Wetter und sind oft mit Fritz Sell zusam-men. Ein ganz netter Zuwachs unseres engsten Kreises ist der Sohn meines Bruders Landrat, ein Fuchs im ersten Semester, Jurist, nierenkrank und deshalb nicht einmal als Chauffeur verwendbar1. Es ist übrigens erstaunlich, wie viele junge Leute noch hier sind. Mein Publikum über die Türkei wird von über 100 Leuten besucht, wovon die knappe Hälfte Männer. Von Hertha nichts Neues; ihr Gang ist noch unverändert. Die konsultierten Geheimräte sind für Ruhe und Abwarten. Mit Walter gehe ich jetzt dreimal die Woche schwimmen, was ihm und mir sehr gut bekommt. Er macht ganz nette Fortschritte.

Herzliche Grüße vom ganzen Hause (C.H.B.)

 

37. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde, z.Z. Gelnhausen, 2.6.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Meinen Brief aus Gelnhausen wirst Du erhalten haben. Hier sah ich Deine Briefe an Hedwig. Du hast ganz recht, daß man das Eingreifen Italiens nicht unterschätzen soll. Es ist die einstimmige Meinung aller vernünftigen Leute, daß es den Krieg nicht entscheiden wird, daß es ihn aber verlängert und weitere Menschenopfer kostet. Aus diesem Grund ist auch die Erbitterung gegen die Italiener so groß. Es ist zweckloses Blutvergießen, und das fühlen wir hier drinnen ebenso schmerzlich wie Ihr draußen. Es ist wohl tatsächlich so gewesen, wie der Reichskanzler gesagt hat, daß die Straße die Vernünftigen terrorisiert hat. Die Gründe der Regierung sind dunkel. Bei Salandra2 scheint es Eitelkeit, bei Sonnino3 die englische Mutter und die jüdisch-freimaurerischen Beziehungen zu Frankreich. Daß sie direkt bestochen sind, glaube ich nicht, aber sie sind beide große Zeitungsbesitzer, und die Bestechung hat diesen Umweg genommen.. Ich hörte, daß Bülows Schwiegermutter vor Antritt von B(ülows) Mission diesem geschrieben habe, die Sache sei aussichtslos, er solle keinesfalls kommen. So haben also sachverständige Leute von Anfang an beurteilt. Wir sind immer noch zu moralisch, um die südländische Schweinebande zu würdigen.

Die große Frage bleibt nun, ob das Vorgehen Italiens auf den Balkan wirken wird oder nicht. Rumänien allein geht keinesfalls los, oder doch höchstens erst, wenn ein Teil vollkommen erledigt ist. Das Bedenkliche aber ist, daß zweifellos Bestrebungen im Gange sind, einen neuen Balkanbund zu schaffen, und daß man hofft, Rumänien und Bulgarien gegen uns zusammenzuschmieden. Gerade in diesen Tagen wird eifrigst gearbeitet. Leider habe ich gehört, daß unser A.A. auch in dieser Krise wieder vollständig versagt hat. Als von wirklich sachverständiger Seite aus Kreisen der organisationsfähigen Großindustrie dem A.A. angeboten wurde, die öffentliche Meinung Italiens zu bearbeiten, bekamen die betreffenden Herren die lakonische Antwort, man danke sehr, aber in Italien stände alles so vortrefflich, daß man nichts mehr zu tun brauche. Aus den gleichen Kreisen kamen jetzt zum Teil vom bulgarischen König direkt entsandte Sachverständige mit alarmierenden Nachrichten nach Berlin, doch wurde ihnen im A.A. bedeutet, die leitenden Leute hätten keine Zeit, sie zu empfangen. Darauf wurde es nötig, die Spitzen der Industrie zu alarmieren, und es wurde an Falkenhayn telegraphiert, worauf dann endlich etwas geschah. Leider scheint auch Michahelles, der so viel versprach, in Sofia nicht am richtigen Platze. Er hat es nicht verstanden, sich mit dem König zu stellen und merkt scheinbar nichts. Um so mehr wird von allen Seiten Busche in Bukarest gelobt. Er hat eine großzügige Hand und gelegentlich gegen die bürokratisch-fiskalischen Vorschriften des Amtes zum Nutzen Deutschlands gehandelt. Details will ich lieber nichts schreiben.

Bulgarien hat nur das eine Interesse, daß ihm das serbische Mazedonien garantiert und daß dem König für alle Fälle sein nicht unbedeutendes Privatvermögen sichergestellt werde. Dafür will es neutral bleiben, doch verlangt man deutscherseits ein sofortiges Eingreifen, was ja auf die Dauer doch selbstverständlich ist, aber im Moment eine unnötige Belastung bedeutet. Man kann sich denken, mit welchen Versprechungen jetzt Rußland auf dem Balkan arbeitet, nachdem es in Galizien so schlecht steht. Rumänien läßt neuerdings nichts mehr durch. Die Raubstaaten haben eben vom Erpressungserfolg Italiens gelernt. Für uns ist es aber zweifellos eine große Gefahr, wenn auch noch der ganze Balkan gegen Österreich mobilisiert wird. Da das A.A. völlig versagt, hat sich eine industriell-kaufmännisch-militärische Neben-regierung gebildet – so wird sie wenigstens von manchen Leuten bezeichnet -, aber wenn man sieht, wie glänzend das Militär funktioniert, und wie kleinlich unorganisiert und egoistisch der Borussenklub in der Wilhelmstraße sich betätigt, so kann man jede Selbsthülfe anderer Kreise nur mit Freuden begrüßen. Du kannst Dir gar nicht denken, wie ungeheuer die Erbitterung namentlich in Industriekreisen über das A.A. ist. Natürlich erzählt man, daß sich die eigentliche Zunft kolossal gefreut haben soll, daß Bülows Mission mißglückte, und Anek-dötchen über die Unwissenheit unserer Diplomaten kursieren z.Z. in erschrecklicher Weise. Ich glaube, daß nach dem Kriege mit eisernen Besen gekehrt werden wird. Du weißt, daß ich immer dem A.A. die Stange gehalten habe, und daß es gewiß schwer ist, in dieser Zeit aus-wärtige Politik zu machen; aber manchmal hört man doch zu viel Deprimierendes. Eines ist sicher, daß, wenn der Balkan losschlägt, es die Schuld des A.A. ist; wenn er nicht losschlägt, dann geschieht es trotz der Fehler des A.A. nicht.

Über die türkischen Verhältnisse habe ich den gleichen Eindruck: militärisch gut, politisch schwierig. Frobenius, den das A.A. in einem Anfall von Wahnsinn herausgeschickt haben muß, hat fröhlich die Araber gegen die Türken gehetzt, ist also ganz gewaltig ins Fettnäpfchen getreten. Das ist der heikelste Punkt der inner-türkischen Politik, wie (Du) weißt. Große Beschwerde von Enver, Mißstimmung. Auch hat ausgesucht4 das Kolonialamt Leute nach Syrien geschickt mit dem ausschließlichen Auftrag, „Erfahrungen zu sammeln“. Natürlich gelten sie als Emissäre zur Vorbereitung einer deutschen Kolonisation. Dabei haben die Erfolge an den Dardanellen den Türken den Kamm schwellen lassen. Dieser voraus-zusehende Hochmut einer siegreichen Türkei ist eine ungeheure Gefahr für später. Dabei sehnt sich in Syrien alle Welt nach einer europäischen Herrschaft und nach Vertreibung der Türken. Auch das ist keine Erleichterung unserer Position.

Ich will nicht nur Pessimismus treiben, sondern doch auch meine Meinung dahin äußern, daß sowohl das Losschlagen Italiens, wie die Balkansorgen, wie die Reorganisation des englischen Kabinetts doch nur Anzeichen dafür sind, daß unsere Gegner ziemlich am Ende mit ihren Kräften sind. Bevor aber die Balkanfrage entschieden ist, wird Rußland trotz der galizischen Niederlage zu keinem Separatfrieden bereit sein. Hoffentlich gelingt auch ein entscheidender Schlag gegen Italien; dann könnte unter Umständen das Eingreifen Italiens das Kriegsende noch beschleunigen. Erhebend ist es, welch’ großartige nachrichten gerade gestern wieder von allen Kriegsschauplätzen vorlagen. Trotz aller Politik im A.A. muß man eben doch das Vertrauen haben, daß auch dort tüchtige Männer sitzen, die nur durch die hervortretenden Mängel der äußeren Repräsentanten kompromittiert werden. Jedenfalls ist es bei der glänzenden militärischen Sachlage ganz gut, auch die politischen Dessous etwas zu kennen, um sich vor leichtsinniger Zuversicht zu hüten.

Damit hast Du wieder etwas Politisches. Ich bitte Dich aber, den Brief zu vernichten, damit er nicht etwa in falsche Hände kommt. Du weißt ja selbst, (wem Du) etwas davon mitteilen kannst. Vielleicht paßt der Brief nicht ganz in Deine Stimmung; aber ich habe ja versprochen, Dich nach Kräften politisch zu orientieren. Du kennst mich ja auch genug um zu wissen, daß ich kein Scharmacher und kein Fanatiker bin.

Persönlich geht es uns leidlich. Bei Hertha immer noch alles unverändert. Am. 9.(Juni 1915?) spreche ich in Berlin. Wenn ich dort etwas Neues höre, sollst Du es bald von mir erfahren. (C.H.B.)

 

38.  C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 14.6.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich habe eine sehr bewegte zeit hinter mir; deshalb habe ich Hedwig die Korrespondenz überlassen und Dir nur noch einmal Zigarren geschickt, die Dich hoffentlich erreicht haben. Mein letzter Brief war aus Gelnhausen. Kaum von dort zurückgekehrt, kam Schwager Fritz plötzlich nach Köln, dann war ich zwei Tage in Berlin, wo ich für das Viktoria-Lyzeum einen Vortrag hielt, dann wieder in Köln mit Fritz auf der Ausreise, dann einen Tag hier mit seiner Frau ohne Hedwig, die sich z.Z. in Augsburg befindet und heute ihren Vetter Müller wegen Hertha konsultiert. Obwohl ich also kein Recht hatte, auf einen Brief von Dir zu hoffen, war mir die Pause doch bereits schrecklich lang geworden, zumal auch Fischler, der momentan wieder hier ist, im Juni noch nichts von Dir gehört hatte. Da kam heute Morgen Dein Brief an Hedwig, aus dem ich mit Freude entnahm, daß Du noch gesund und offenbar in etwas sichererer Stellung bist. Du bist ja nun ausgesucht an die schlimmste Stelle der Westfront gekommen. Wieviel Blut hätte hier durch sorgfältigere Vorbereitung erspart werden können! Schwager Fritz erzählte mir, auch er habe dort im Schützengraben gelegen und immer darauf gedrängt, die schlecht ausgebauten Stellungen sollten stärker befestigt werden. Aber die höhere Führung war wie besessen von dem Gedanken, daß an dieser Stelle nicht angegriffen werden würde, und auch Du hattest ja anfangs diese Ideen von Deinen Vorgängern übernommen. Die Stellung meines Schwagers Riedel war z.B. ganz anders ausgebaut; sie soll uneinnehmbar sein. Gottlob ist ja der Durchbruch verhindert worden; aber die großen Verluste hätten gespart werden können. Der Heroismus der Schützengraben-Truppen muß eben alles bezahlen, was ein Höherstehender in seinem Leichtsinn versäumt5. Mein Schwager Fritz war ganz erfüllt von diesen Dingen. Jetzt steht er bei Peronne6.

Ich habe nach der Unruhe der letzten Tage schrecklich viel zu tun und schicke Dir deshalb heute nur ein kurzes Lebenszeichen. Ich lege Dir aber eine längere Betrachtung bei7, die ich Dir eigentlich schulde, und die auch im Wesentlichen in Gedanken an Dich niedergeschrieben ist, denn mein letzter Brief war ja politisch etwas deprimiert. Um so mehr werden Dich die heutigen Ausführungen freuen.(C.H.B.)


Eisenlohr verwundet


39. C.H.B. an Frau Professor Eisenlohr, Heidelberg, Bonn, 22.6.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrte, gnädige Frau!

Da ich mir Ihre mütterlichen Sorgen lebhaft vorstellen kann, möchte ich Ihnen doch gleich von den erfreulichen Eindrücken berichten, die ich gestern in Nauheim hatte. Stellen Sie sich Ernst in gesunden Tagen und bester körperlicher Verfassung mit einem Beinbruch vor, dann habe Sie ungefähr das Bild seines derzeitigen Zustandes, nur dadurch verändert, daß er nicht ärgerlich und wütend ist , wie bei einem Beinbruch, sondern höchst vergnügt und behaglich sich die wohlverdiente Ruhe schmecken läßt. Appetit glänzend, Fieber nicht vorhanden. Den Arm kann er wieder ganz gut bewegen, und auch das Bein kann er wieder für leichte Hülfsdienste benutzen; so vermag er sich aus seinem bett selbständig auf den Balkon zu begeben, wo er dann sehr behaglich in der Sonne liegt. Er hat ein zwar kleines, aber durchaus

Genügendes Zimmer, was den Vorteil hat, daß er allein sein kann. Ich habe mit ihm gegessen und fand die Verpflegung ausgezeichnet. Er raucht und liest und sonnt sich und wird es schon einige Zeit so aushalten können.

Seine beiden Wunden eitern natürlich noch etwas, doch ist das normal, und glaubt er, daß die Sache sehr bald in Ordnung kommt. Nach anderen Erfahrungen halte ich es aber nicht für ausgeschlossen, daß sich die Sache doch etwas länger hinzieht; damit muß man halt rechnen, obwohl die Verwundungen so günstig sind, wie nur möglich, kein wichtiger Nerv getroffen, und ob man die Granatsplitter wird sich einkapseln lassen können oder ob man sie wird herausnehmen müssen, das läßt sich natürlich zur Zeit noch nicht übersehen.

Zweifellos hat Ernst ein außerordentliches Glück gehabt, fast ans Wunderbare grenzend, denn die Gefahr war doch groß, und durch seine Uniform sind noch mehr Splitter gegangen, während ihn nur die zwei an harmlosen Stellen verletzten.

Das ganze Krankenhaus machte mir auch einen sehr netten Eindruck, Pflegerin, Doktor usw. durchaus angenehm. Also, ich glaube, Sie können beruhigt sein, jedenfalls ist Ernstens Stimmung einfach brillant. Ich gedenke, ihn in 8 Tagen wieder zu besuchen; es tat mir leid, daß ich diesmal nur einen tag bleiben konnte, aber ich habe ihn immerhin von 9-4 Uhr mit einer halbstündigen Unterbrechung gesprochen. Er schaut übrigens von seinem Balkon in den Kurpark und wird, so wie er wieder etwas laufen kann –es ist ein Personenaufzug vorhanden – den schönen Nauheimer Kurpark nutzen können.

Mit verbindlicher Empfehlung, auch von meiner Frau, und mit herzlichem Glückwunsch, daß alles so gut abgelaufen ist, bin ich Ihr Sie aufrichtig verehrender (C.H.B.)

 

40. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Bad Nauheim. Bonn, 26.6.1915

( Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich möchte wohl gern wissen, wie es Dir geht und ob sich die Heilung Deiner Verwundungen programmgemäß vollzieht. Deiner Mutter habe ich geschrieben; sie hat mir sehr freundlich gedankt und mir auch mitgeteilt, daß Du inzwischen anderen Besuch gehabt hast. So werde ich Dich diesen Sonntag noch nicht wieder besuchen, sondern noch 8 Tage warten. Wir rechnen ja jedenfalls damit, daß Du dann zur Erholung nach Bonn kommst.

Gestern traf übrigens auch Dein Brief aus dem Lazarett ein: aus militärischen Gründen verzögert stand darauf. Ich verstehe nicht ganz, warum man die ersten Nachrichten aus den Lazaretten an die Angehörigen verzögert. Offenbar sind das generelle Regeln für die gesamte Post.

Das Italienheft der Süddeutschen Monatshefte wirst Du erhalten haben. Ich las es auf der Rückreise von Naumburg (?)und wurde so davon gefesselt, daß ich die Kollegvorbereitung ganz vergaß, die viel nötiger war. Namentlich der Aufsatz über das Mittelalter und die Beziehungen zu Savonarola sind sehr geistreich.

Den Dir nachgesandten Brief von Leffson hast Du gewiß inzwischen erhalten.- Ich bin neu-gierig zu erfahren, ob jetzt wirklich das IV. Korps an Eure Stelle gesetzt worden ist; dann käme mein Schwager Riedel ja vor eine wichtige Aufgabe.

Fischler schreibt heute, daß er Dich nicht wird besuchen können.- Sonst ist nichts Neues zu melden.

Herzliche Grüße vom ganzen Hause Dein getreuer (C.H.B.)

 

41. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Bad Nauheim. Bonn, 28.6.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Hedwig ist gestern Abend 8.15 Uhr mit dem Lazarettzug abgefahren. Ich habe vorher noch mit den Schwestern und den Ärzten zusammen im Operationswagen zu Abend gegessen und bin jetzt für 8 Tage Strohwitwer. Daß Dein Besuch bald bevorsteht, ist uns sehr erfreulich. Ich kann’s nur immer noch nicht so recht glauben, daß Deine Wunden so selbstverständlich heilen, ehe die Granatsplitter herausgekommen sind. Mach nur aus Ungeduld keine Dumm-heiten! Deinen Brief an Hedwig hat sie übrigens nicht mehr bekommen. Immerhin ist es gut, daß die Abreise jetzt stattgefunden hat und nicht erst später: dann ist sie jedenfalls zurück, wenn Du hierher kommst.

Vor ihrer Abreise hat Hedwig noch Deinen Wunsch mit den Pistolen ausgeführt. Die Sache liegt so, daß Parabellum nur ohne Anschlagskolben zu haben ist, Kostenpunkt M(ark) 125,-: doch bekommt die hiesige Firma frühestens in 14 Tagen ein einziges Exemplar. Mauserpistole mit Anschlagkolben kann jederzeit für M 115,- geliefert werden. Bitte bestimme, was bestellt werden soll. (C.H.B.)

 

42. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Heidelberg. Bonn, 5.7.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Es scheint Dir ja wieder ganz gut zu gehen, daß Du so kühn in der Welt herumfährst. Ich will Dir doch nur gleich schreiben, wie sehr wir uns auf Deinen besuch freuen, der uns natürlich jederzeit angenehm ist.

Von Hedwig habe ich schon vielerlei Nachrichten; heute kam gleichzeitig ein Brief von ihr, einer von Fischler und eine gemeinsame Karte von Hedwig und Bruder Fritz an. Da sie acht Tage in Marchienne zu warten hatte, hat sie sich kühn entschlossen, nach St. Quentin zu fahren und ist dort offenbar eine Nacht geblieben. Auf der Rückfahrt hat sie dann Fischler in Charleroi abgeholt, und sie erwartet jetzt stündlich die Abfahrt des Zuges zur Verladung. Die Rückfahrt ist dann natürlich der anstrengendste Teil der ganzen Unternehmung. Sie hofft, event(uell) in Nauheim auszuladen, doch will ich sie noch zu erreichen versuchen, um ihr mitzuteilen, daß Du bis zum 7. in Heidelberg bist.

Den Kindern geht es gut, und sie senden Dir herzliche Grüße.

Soeben erhalte ich ein neues Buch von Eduard Meyer Nordamerika und Deutschland, das ich aber noch nicht gelesen habe.

Empfiehl mich Deinen Damen bestens.

Auf frohes Wiedersehen! (C.H.B.)

 

43. Ernst Eisenlohr an C.H.B Im Felde (im Westen), 2.8.1915

Lieber Carl,

die Verwöhnung geht weiter durch Buch-senden und –schenken, der wackere Feldgraue wird in den 8 Stellungstagen, die heute wieder begonnen haben, reichlich Zeit haben zu dankbarem gedenken und geistiger Nahrung. Du fängst morgen, wie mir Hedwig schreibt, die Frankfurter Beobachtungszeit an; möge sie gut verlaufen und endlich die Grundlage für eine durchzu-führende Kur schaffen Es wäre Dir ja zu gönnen, den quälenden Begleiter endlich einmal loszuwerden.

Von der Zeit werden hier 2/3, jeweils 8 Tage, in der vorderen Stellung zugebracht. Sie werden, da wir nicht genug Material zur Beschäftigung aller Arbeitskräfte erhalten können

, nicht ganz ausgefüllt und, da die Nachbarn weit und überdies auch von Langeweile geplagt sind, am besten mit Schlafen und Lesen ausgefüllt. Die vier Tage hinten fliegen mit Dienst und Sport in dulci jubilo nur allzu schnell vorüber. Das militärische ist also, wenn’s nicht gerade so schießt, daß man nicht erkennen kann, was der Feind damit will, wenig spannend und erhält noch seinen Beigeschmack dadurch, daß wir einen Wink bekommen haben, uns für längere Zeit, etwa bis November einzurichten. Auch soll Vorsorge gegen die Winterwitterung getroffen werden. Das Letztere dürfte uns persönlich aber kaum noch viel angehen, denn wenn die Russen der Zange in Polen auskommen, also nicht vernichtet, sondern nur für Monate gelähmt werden, rechnen wir bestimmt mit einer großen offensive gegen die Franzosen, die dann voraussichtlich mit allen technischen Hilfsmitteln, es gibt deren, die in Deutschland nicht bekannt geworden sind, vorbereitet und durchgeführt werden wird. Es muß m.E. das militärische Ziel sein, die Franzosen von den Engländern zu trennen und die letzteren gegen die Küste hin zu zernieren. Je weniger aber davon jetzt geredet wird, um so besser. Die Nachrichten aus dem Osten verfolgen wir mit viel gespannterer Aufmerksamkeit als man sonst für andere Kriegsschauplätze übrig hat. Daß Mackensen so langsam vorwärts kommt, scheint fast darauf zu deuten, daß die Russen nicht abhauen und es später vielleicht nicht mehr können werden. Und die Balkandinge scheinen sich doch definitiv zu unseren Gunsten zu neigen. Durch den ersten, längsten und schwersten Teil des Hacktenfels 8sind wir also durch – ohne wohl im letzten Halbjahr allzuviel Menschen verloren zu haben; das Letzte müßte sich bei Zähigkeit und umsicht doch wohl zu Ende schaffen lassen. Die amerikanische Note wird wohl beantwortet werden, wenn wir Warschau haben.

Mein Befinden ist gut. Zuerst, als ich wieder herauskam, war ich, verglichen mit früher, geradezu schlafsüchtig und mußte mich auch wieder ans Schießen gewöhnen. Jetzt ist alles im alten Geleise. Der Splitter im Schenkel macht mir auch bei stundenlangem Reiten keinerlei Beschwerden.

Mit herzlichem Dank für das Buch und vielen guten Wünschen für Deine Gesundheit. Ernst

 

44. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Im Felde (im Westen!), 29.8.1915

Lieber Carl,

aus Deinem Brief geht hinsichtlich Deines Befindens wenigstens hervor, daß Du mit der Sorgfalt der Untersuchung zufrieden bist und endlich einen Weg zur Gesundheit vor Dir zu sehen hoffst. Ich bin gespannt auf das Ergebnis der Untersuchung und hoffe, Du unterrichtest mich gleich darüber. Sehr beruhigend ist mir gewesen, daß der Arzt den Zucker als Gefahren-quelle ausgeschaltet zu haben scheint.

Für die politischen Nachrichten war ich gleichfalls sehr dankbar und ebenso für das schöne große Buch, das Du mir durch den Verleger zuschicken ließest. Reventlow ist indeß noch nicht ganz beendet und hält meine wenigen Lesestunden noch beschäftigt. Im übrigen bin ich nun viel geschäftig. Lauter Kleinkram oder Korrespondenz-Verwaltung und des Stellungs-ausbaus mit viel Kampf gegen immer bürokratischer und unmilitärischer werdende Vorge-setzte. Oft grenzt es nicht nur ans Komische. Die Luft ist auch nicht mehr ganz so sauber hier. Wir haben ein neues Corps gegenüber, das viel arbeitet, seine Artillerie, auch schwere, vortrefflich aufgestellt hat und sie mehr benutzt, als mir lieb ist. Mein Abschnitts-Artillerie-geschwister ist die Batterie Mannhardt, in dessen Persönlichkeit und Urteilskraft ich kein übermäßiges Vertrauen setze, obwohl er ohne Zweifel sehr eifrig ist. Mal sehen, wenn’s darauf ankommt, was er leistet. Brauchbare schwere Artillerie mit Munition haben wir zur Zeit überhaupt nicht hier, alles im Osten. Gerüchteweise verlautet übrigens

  1. von französischen Angriffsgelüsten aus Reims heraus und
  2. von deutschen Truppen- und Artillerieanhäufungen nach dem Raum zwischen Calais und Arras.

Ich erzähle das mit allem Vorbehalt des Interesses halber und weil ich Deiner Diskretion sicher bin. Von Aust (?) höre ich, daß der Arabic Fall dort pessimistisch angesehen wird, und was mich mehr interessiert, daß mein Freund Jena (?) wohlbehalten ist.

In der zweiten Septemberhälfte werde ich, wenn nichts dazwischen kommt, 10 Tage Urlaub nehmen. In diesem möchte ich kurz nach Heidelberg und dann am liebsten eine kleine Tour oder Reise (Rothenburg?) machen. Ich schrieb heut an Jena, ob er auch um die Zeit Urlaub bekommen kann, glaube es aber nicht, da er als Kavallerist im Osten steht. Sonst ginge ich gern auf sein väterl(iches) Gut in der Priegnitz. Ich habe ihn nun seit mehr als 2 Jahren, oder sind’s drei?, nicht gesehen. In der Zwischenzeit hat er geheiratet.

Oder wenn Ihr um die Zeit im Schwarzwald oder sonstwo seid, komme ich einmal mit dem Rucksack zum Kaffee vorbei, aber diesmal nicht gern nach Bonn, da ich dort ja schon den halben Krieg über herumgesessen habe.

Der Aufenthalt hier ist nur erträglich durch gute Kameraden.

Leb wohl und werde gesund. Ernst


1 Er wurde dann doch noch eingezogen und fiel im Jahre 1917

2 Antonio Salandra *1853 + 1931 . Italienischer Politiker, Jurist, 1879 Professor in Rom, 1886 Abgeordneter der rechten Mitte. Führte als Ministerpräsident (1914-16) den Kriegseintritt an der Seite der Entente herbei; 1919 Delegierter Italiens in Versailles. Begünstigte nach 1920 den Faschismus, 1928 wurde er Senator.

3 Giorgio Sidney Sonnino, Baron, italienischer Politiker, *1847 +1922, Jurist und Diplomat,; ab 1880 Abgeordneter, mehrmals Minister, 1909/10 Ministerpräsident, liberal-konservativer Gegenspieler Giolittis. Als Außenminister 1914-19 führte er den Kriegseintritt Italiens an der Seite der Entente herbei

4 wohl gemeint: ausgerechnet!

5 Hervorhebung vom Herausgeber.

6 Französischer Grenzort zu Belgien

7 Liegt nicht bei den Akten.

8 Durchbruch der Bagdadbahn an der Kilikischen Pforte?? Diese Strecke von Konya zur Grenze ist 3200 km lang und wurde zwischen 1903-1940, zu zwei Dritteln mit deutschem Kapital gebaut. Sie trieb England und Rußland im 1. Weltkrieg zu gemeinsamer Politik gegen Deutschland.