Schwiegervater Schmid

HA.VI. Nr. 8681 (Schwiegervater Schmid)

79. C.H.B. an seinen Schwiegervater (Schmid). Berlin, 13.1.1922

Lieber Vater!

Eine kleine Grippe, die mich die letzten Tage aus Bett gefesselt hat, hat es verhindert, daß ich Dir nicht schon längst für Deinen köstlichen Neujahrsgruß gedankt habe, der in Gestalt zweier Zigarrenkisten richtig in meine Hände gelangt ist. Nimm vielen Dank für das freundliche Gedenken, das meiner Dir ja bekannten Schwäche sehr entgegen kam. Ich habe auch schon gekostet und kann Euer Urteil nur bestätigen. Ich bitte, auch in künftigen Fällen meiner bei solchen Anlässen freundlich gedenken zu wollen.

Um mich von der Grippe und der Ministerschaft, diesen beiden ephemeren Erlebnissen der letzten Zeit, zu erholen, will ich nächste Woche nach Gelnhausen. Hedwig geht mit, obwohl sie sich nur sehr schwer loseist. Da auch Hellmut wieder von der Grippe erfaßt war und eine kleine Erholung ebenso nötig hat wie sein Vater, darf er uns begleiten. Vor Beginn der hohen Preise wollen wir wieder in Berlin sein. Hätten wir noch frühere Zeiten, so wären wir irgendwo ins Gebirge gefahren. Heutzutage ist man froh, wenn man in einem selbst im Winter nicht ganz unbehaglichen Heim wie in Gelnhausen unterschlupfen kann. Man ist jedenfalls einmal fern von Berlin, und es ist nicht so schrecklich weit. Wir sind schon um 5 Uhr dort. Man sieht Geschwister und Verwandte einmal wieder. Vielleicht erleben wir sogar den Geburtstag der Mutter dort. Kurz, es hat allerlei Verlockendes, selbst auf die Gefahr hin, daß kein Schnee liegt. Besser wie ein verregneter Aufenthalt in einem teuren Gebirgsgasthaus ist es allemal.

Während ich dies schreibe, gedenke ich des heutigen Geburtstages der lieben Mutter. Ich habe wegen meiner Grippe nicht schreiben können und bitte sie, auf diese Weise noch nachträglich meine herzlichen Glückwünsche in Empfang zu nehmen. Mein geplanter Besuch in München ist leider unterblieben, da ich den Nuntius Pacelli1, den ich aufsuchen wollte, sehr eingehend in Berlin sprach, während die Besprechung mit dem Kardinal von Köln noch kurz vor Jahres-schluß glücklich vom Stapel lief. Wir haben sehr interessante und wichtige Besprechungen gehabt und alles hat sich zu einem, wie ich glaube, Gutes verheißendes Einvernehmen gefügt. Es waren vom Reich schwere Fehler gemacht worden, die wir von Preußen dann mit vieler Mühe ausbalancieren mußten2. Nun läuft die kirchenpolitische Entwicklung so, wie wir sie in Preußen von Anfang an hatten haben wollen. Leider ist mit Bayern auf diesem Gebiet nicht leicht zu arbeiten. Man ist immer gleich mißtrauisch und kommt aus dem alten Schema nicht heraus, als ob Preußen über die Reichsregierung Deutschland beherrschen wolle. Dabei besteht die Reichsregierung nur aus Süddeutschen, und Preußen hat einen weiß Gott schwereren Stand als Bayern; denn es kann nun einmal leider von Berlin nicht abfallen. Wie herrlich wäre die preußische Position, wenn Berlin außerhalb Preußens läge. Manchmal kann einen wirklich die Wut packen, wenn man sieht, wie wir an unserer eigenen staatsrechtlichen Kompliziertheit zu Grunde gehen. Wir brauchen diesen komplizierten Bau, um unserer partikulären Geistesart einen gewissen Auspuff zu geben, und dann schlagen wir uns wieder mit demselben Instrument gegenseitig die Köpfe ein. Und das alles trotz dem ausgesprochenen Willen, beisammen zu bleiben. Ich muß manchmal daran denken, daß spätere Jahrhunderte auf all diese Verhältnisse mit dem gleichen Mitleid zurückblicken wie wir auf die staatsrechtlichen Verhältnisse im Götz von Berlichingen. Schade, daß wir es nicht mehr erleben werden. Meine Arbeit gilt jedenfalls dem Ziel, unter Aufrechterhaltung aller landsmannschaftlichen Eigenart doch den Einheitsgedanken als nächstes Ziel über alles andere zu stellen. Nur das Tempo sollte man nicht forcieren.

Der außenpolitischen Entwicklung stehe ich mit großer Reserve gegenüber. Ich bewundere manchmal den Optimismus, mit dem unsere leitenden Männer heute an die Arbeit gehen müssen. Die kulturpolitische Arbeit ist da doch immerhin noch erfreulicher. Man kann sie zur Not auf die Intensivität einstellen, wenn man sich in Bezug auf die Extensität Schranken auferlegen muß. Aber in der Außenpolitik ist man doch jetzt nur noch Objekt. Und dabei das entsetzliche Gefühl, daß die Torheit der Engländer die Franzosen so mächtig hat werden lassen, daß dieses wildgewordene Narrenvolk jetzt selbst den Engländern eine Gefahr wird, weshalb diese immer weiter vor ihnen zurückweichen. Immerhin ist doch zu hoffen, daß die Welt allmählich einsehen wird, woran sie mit den Franzosen ist. Aber angenehm ist die Zeit nicht, die man darauf warten muß. (CHB)


 

1 Nuntius Pacelli ist der spätere Papst Pius XII. Seine Residenz in der Münchener Kaulbachstraße wurde nach dem 2. Weltkrieg Sitz des Institut Francais.

2 Hervorhebung des Herausgebers.

Harry Becker

HA.VI. Nr. 6290 (Harry Becker, auch Vater Ferdinand)

70. C.H.B. an Harry Becker. O.O. (Bonn), 2.7.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Harry!

Dein lieber und langer Brief kam gestern Nachmittag in meine Hände. Ich hatte es eigentlich nie anders erwartet und mich immer darüber gewundert, daß Du so zuversichtlich für alle Fälle mit einer Rückkehr nach Bonn rechnetest. Jedenfalls bist Du noch gerade vor Toresschluß angenommen worden, denn inzwischen hat Deine Hausfrau mir den Stellungsbefehl für Dich zum 3. Juli zugeschickt, den ich sofort an Deinen Vater weitergehen ließ. Das Regiment, dem Du jetzt angehörst, ist ja ein mecklenburgisch-feudales, und Du wirst Dich da schon wohl fühlen. Daß Du auch Schulkameraden da hast, ist ja famos. Der kleine Klebe war sehr betrübt, daß Du nicht wiederkehrst, und auch ich bedauere es lebhaft, da die Erweiterung unseres Familienkreises, die Du darstelltest, uns doch sehr willkommen war. Zukunftspläne lassen sich ja jetzt noch nicht machen; jedenfalls kannst Du sicher sein, daß wir Dich jederzeit wieder mit der gleichen Herzlichkeit aufnehmen werden, und wenn Dein Bonner Aufenthalt nur eine Episode bleiben sollte, so freue ich mich, daß er mir Gelegenheit gegeben hat, Dich etwas näher kennen zu lernen und freundschaftliche Beziehungen mit Dir zu knüpfen, die hoffentlich fürs Lebens sein werden. Wenn Du neben Deinen Eltern einmal einen Onkel brauchst, der Verständnis für Dich hat, so wirst Du nicht lange zu suchen brauchen. Meine Frau wird ja nun wohl in Frankreich von Deinen Schicksalen erfahren; aber die anderen Freunde und Verwandten, die ich sprach, lassen Dich alle vielmals grüßen: die Meinigen, Fritz Sell, der dieser Tage während seines Umzuges bei uns wohnt, Schreuers und auch Ritschel, dessen Sohn in Bruchsal leider nicht genommen worden ist. Er scheint gänzlich militär-untauglich zu sein.

Deine hiesigen Geschäfte werde ich heute nach Wunsch abzuwickeln versuchen. Gestern konnte nichts mehr geschehen; doch werde ich jetzt gleich mit Fräulein Ida und Hertha nach Deiner Wohnung gehen, um aufgrund Deiner äußerst sorgfältigen Darstellungen zu handeln. Ich habe vielleicht noch Gelegenheit, an das Ende dieses Briefes über das Resultat meiner Verhandlungen zu berichten.

Und nun wünsche ich Dir alles Gute für die Zeit Deiner Ausbildung und vor allem für später. Es muß für Dich doch einerfreuliches Gefühl sein, für gesund erachtet zu werden. Ich verstehe ja sehr wohl dieses gewisse Gefühl der körperlichen Unsicherheit, das Du nach den Sorgen der letzten Jahre noch hast, und ich bin ja in mancher Hinsicht auch in ähnlicher Lage, wie Du, nur daß ich es mit meinen 40 Jahren wohl kaum aushalten würde. Jedenfalls werde ich, wenn ich militärisch frei bleibe, in den großen Ferien wieder einmal ein Sanatorium aufsuchen, um meinen wenig erfreulichen Zustand zu kurieren. Bei einer kürzlichen Untersuchung wurde wieder Zucker gefunden, und damit ist nicht zu spaßen.

Laß uns gelegentlich mal was von Dir hören. Wir werden Deiner oft in Treue gedenken.

Mit herzlichen Grüßen vom ganzen Hause Dein alter Onkel (CHB)

s.a. dtv-Atlas Weltgeschichte Band 2, S.402

 

71. C.H.B. (ohne Anrede, wohl an Bruder Ferdinand Becker), o.O., o.Datum (1915/16)

(Maschinenkopie, Fragment)

(Lieber Ferdi!)

…Was den „Landratsjungen“ betrifft, so habe ich die größte Vorliebe für wohlerzogene norddeutsche junge Leute. Aber wenn einer einmal in ein anderes Milieu kommt, soll er sich dem nicht verschließen; ich glaube auch jetzt, daß das Harry nie tun wird.

Ich stehe heute Morgen ganz unter dem Eindruck der Torpedierung der Lusitania1. Das ist ein Bombenerfolg, der beweist, daß die in letzter Zeit viel bespöttelte Unterseebootwaffe ein furchtbares Instrument ist. Hoffentlich ist recht viel amerikanisches Kriegsgerät mit unter-gegangen. Es war von deutscher Seite genug gewarnt worden, und zweifellos hat man den großen Personendampfer bisher geschont. Auch die englische Kriegsflotte wird sich jetzt wohl noch mehr verstecken.

Mit Italien sieht es dagegen böse aus.; man weiß allerdings nicht, wieviel daran Pressemache ist. Auch von deutscher Seite wird damit stark gearbeitet. Die Kölnische Volkszeitung brachte einen offenbar von oben gebilligten Leitartikel, der mit der Wiederherstellung des Kirchen-staates drohte. Ich sage mir immer, die Italiener sind im Grunde feige; sie haben kein Geld und keine Kohlen; die Kriegspartei hat die Sozialisten und die katholische Kirche gegen sich. Das ist etwas viel. Allerdings ist die Dynastie gefährdet, und die öffentliche Meinung bedeutet in Italien mehr als bei uns. Ich kenne kein Beispielt in der Geschichte, daß ein Volk so voll-ständig seine natürliche politische Orientierung aus dem Auge verliert, wie jetzt Italien. Es wird sich gewiß nicht den Kopf am Trentino2 einrennen, was ziemlich uneinnehmbar ist, aber es wird wohl in der Türkei eingreifen und die französische Front verstärken. Demgegenüber sollen wir beabsichtigen, mit großen deutschen Truppenmassen aus dem Trentino herauszubrechen und die Lombardei zu besetzen. Wie es allerdings mit der Neutralität der Schweiz wird ist eine schwierige Frage. Ohne ein Eingreifen Italiens dürfte der Krieg wohl bald zu Ende sein.

Was den Munitionskauf in Amerika betrifft, so stammt meine Nachricht aus dem Hauptquartier. Alex war aber auch bereits darüber orientiert. Der Gedanke ist seit Kriegsbeginn erwogen worden, und man hat z.Zt. geplant, Munition zu kaufen und dann die Fabriken zu veranlassen, einem Ausfuhrverbot sich nicht länger zu widersetzen; ihr privatwirtschaftliches Interesse war ja dann gedeckt. Das scheint nicht gegangen zu sein. So hat man jetzt nicht

direkt Munition, sondern wenn ich recht berichtet bin, einen zur Pulvererzeugung nötigen Bestandteil (Salpeter??) aufgekauft. Das große Munitionsgeschrei in England ist doch auch nicht durch einen Zufall von heute auf morgen entstanden.

Wie ich in Berlin hörte, empfindet man auf Seiten der Entente vor allem den Krieg mit der Türkei als eine ungemeine Erschwerung. Man hat der Türkei sehr glänzende Bedingungen gemacht, wenn sie einen Separatfrieden schlösse; aber davon ist keine Rede. Verhandlungen bestehen bisher tatsächlich nach keiner Seite, doch glaube ich, daß trotz der Frankfurter Zeitung, die einer Verständigung mit England das Wort redet, z.Zt. ein Hand-in-Hand-gehen

mit Rußland in Aussicht steht. Ein Vortastverfahren über eine Verständigung in der Dardanellenfrage scheint sich anzubahnen, Grundsätzlich aber steht der Kanzler auf dem Standpunkt, daß die gegenwärtige Kriegslage eine politische Zukunftsorientierung nicht zulasse.

Mit großem Interesse las ich einen Teil von Elses Brief. Grüße sie bitte herzlich, sowie auch Ully (und) Deinen Sohn Harry …

Ende des Fragments, aus dem sich aber immerhin der Schreiber erschließen ließ

 

72. C.H.B. an Harry Becker o.O. (Bonn), 17.3.1916

(Maschinenkopie)

Lieber Harry!

Ich möchte Dir wieder einmal einen herzlichen Gruß von uns allen schicken und Dir Dank sagen für Deine freundlichen Karten. An Deinen Briefen habe ich herzlichen Anteil genommen und mich Deiner lebendigen Darstellung sehr gefreut. In den letzten Wochenhabe ich allerdings nichts mehr bekommen; ich weiß nicht, aus welchem Grunde.

Es wird Dich interessieren, daß das kleine Jüdchen, mit dem wir Dich immer so aufzogen, und der wegen seiner schrecklichen Jugend immer nicht ankommen konnte, dieser Tage vor Lille gefallen ist. Er war eigentlich noch ein Kind, dieser rote Levinson; aber ich habe ihn eigentlich doch ganz gern gemocht, und jedenfalls hat mich sein Schicksal, das er nach nur vierwöchigem Aufenthalt an der Front, von einem Schrapnell getroffen und sofort getötet wurde, recht erschüttert. So findet diese kleine Episode Deiner Bonner Zeit einen tragischen Abschluß. Der Onkel des kleinen Jüdchens, Professor Levinson, ist übrigens vor mehreren Monaten in seinem Studierzimmer von einer Leiter heruntergefallen und hat sich den rechten Arm derartig verletzt, daß er jetzt immer noch nicht Arm und Hand gebrauchen kann, und es zweifelhaft ist, ob sie je wieder die alte Bewegungsfähigkeit erhalten. Sonst kann ich Dir von Deinem hiesigen Bekanntenkreis nicht viel berichten. Der älteste Ritschel wird wegen zu kleinen Herzens nirgends genommen. Der zweite ist in Freiburg als Fähnrich eingetreten.

Uns geht es nach wie vor gut. Ich bin noch immer nicht eingezogen, habe aber neulich in den Sprachen, die ich verdolmetschen soll, auf dem Bezirkskommando eine Klausur schreiben müssen. Inzwischen schreibe ich unzählige kleinere und größere Artikel und halte Vorträge, z. Zt. aber genieße ich die Ruhe der Ferien, um mal bei einer ernsten wissenschaftlichen Arbeit zu bleiben.

Meine Frau pflegt jetzt vormittags in dem neuen Stift bei uns draußen. Den Kindern geht es gut. Hellmut ist ein ganzer Jüngling geworden von ungeheurer geistiger Beweglichkeit; Du würdest Deine helle Freude an ihm haben. Das Semester über war Carola3 bei uns, die mit großer Selbständigkeit durchs Leben segelt. Leider wohnte sie sehr unglücklich und war telephonisch nicht zu erreichen, was den Verkehr etwas erschwerte. Dafür hörte sie meine Vorlesung über die islamische Religion, und kam sie auch einmal die Woche zu uns zu Tisch. Was wäre es witzig gewesen, wenn Ihr beide zusammen hier studiert hättet!

Daß ich Deine Eltern in Gelnhausen traf, wirst Du gehört haben. Es war mir eine besondere Freude, und haben wir viel zusammen geklönt. Großmutter ging und geht es glänzend. Ich war dieser Tage wieder bei ihr und zwar mit Fritz Sell, der inzwischen als Krankenwärter auf dem Venusberg eingezogen ist. Es ist das ein wenig beneidenswerter Posten, da er nicht avancieren kann. Er trägt Soldatenuniform, wird aber nicht weiter ausgebildet und geht im Lazarett den Schwestern zur Hand. Da er bei Einberufung nur noch wenige Wochen vor dem Staatsexamen stand, hat man ihm große Erleichterungen gewährt und sogar 14 Tage Voll-Urlaub, und er hat dann auch sein Staatsexamen mit gut, in Geschichte sogar mit Eins bestanden. Dann hat man ihm 10 Tage Erholungsurlaub gewährt, und jetzt tut er wieder seinen übrigens nicht allzu anstrengenden Dienst und ist eigentlich jeden zweiten Tag bei uns.

Aus der Türkei hört man in letzter Zeit weniger Erfreuliches. Die Hungersnot ist dort sehr groß; aber eine Hungersnot bedeutet im Orient nicht dasselbe wie bei uns. Man ist mehr daran gewöhnt. Der Vormarsch der Russen auf Bagdad ist nicht unbedenklich; aber es scheint nicht so schlimm zu sein, wie man es anfangs befürchtet hat. Jedenfalls warnt die Times ihre Leser vor Überschätzung dieses Ereignisses.

Der Rücktritt von Tirpitz4 dürfte tatsächlich mit der U-Bootfrage zusammenhängen, und, so sehr ich sein Scheiden bedauere, bin ich doch froh, daß die nüchterne Erwägung der politi-schen Lage über das blinde Scharfmachertum der Marinekreise gesiegt hat. Seit über einem Jahr hatte die Marine Zeit zu zeigen,, was sie mit den U-Booten kann; aber sie hat es nicht einmal erreicht, die regelmäßigen Militärtransporte von England nach Frankreich zu verhindern, und da soll man ihr Glauben schenken, sie könne bei rücksichtsloser Torpedierung England in drei Monaten aushungern, eine Hypothese, die uns auf der anderen Seite die Feindschaft sämtlicher Neutralen auf den Hals gehetzt hätte. Leider zeigt sich noch nirgends eine Möglichkeit, den Krieg zu beenden. Wir müssen uns eben gedulden. Unserer draußen stehenden Lieben aber gedenken wir mit Dankbarkeit.

Gute Grüße vom ganzen Hause Dein getreuer Onkel (CHB).

 

73. Feldpostkarte von Harry Becker an C.H.B. 1. Escadron, 4. Mecklenburgische Kavalleriedivision, Regiment 17, 26.3.1916

Lieber Onkel Carl!

Für Deinen langen Brief vielen herzlichen Dank. Für Tante Hedwigs Sendung habe ich mich neulich schon bedankt. Ihr werdet das inzwischen erhalten haben. Ich bin bei den Hand-pferden, habe sehr viel zu arbeiten, daher nicht die rechte Ruhe und Zeit zum Schreiben. Daher nur dieser kurze Dank. Sowie ich wieder kann, werde ich Euch schreiben. Mir geht es ausgezeichnet; auch habe ich genug zu essen. Hier ist starkes Tauwetter; alles ist ein Patsch.

Viele herzliche Grüße, auch an Tante Hedwig und die Kinder

von Deinem tr(euen) Neffen Harry

 

74. Feldpostkarte von Harry Becker an C.H.B. 16.5.1916

Lieber Onkel Carl!

Aus dem fernen Osten sende ich Euch einen kurzen Gruß. Oft muß ich an die schönen Stunden denken, die ich vor einem Jahre bei Euch verleben durfte. Mir geht es hier sehr gut. Die Obstbäume blühen alle wunderschön. Augenblicklich ist kaltes regnerisches Wetter.

Der Russe ist ruhig. Sonst nix Neues.

Viele Grüße an Alle.

Dein treuer Neffe Harry

 

75. Feldpostkarte von Harry Becker an C.H.B. 22.5.1916

Lieber Onkel Carl!

Ich habe eine große Bitte an Dich. Wärest Du wohl so freundlich, das Buch über die Universität zu schicken.

Es ist schlechtes regnerisches Wetter. Der Russe ist ruhig. Oft muß ich an das vorjährige Frühjahr denken. Wie viele nette Erinnerungen kann ich damit verknüpfen. Wann werden diese Zeiten wiederkehren?

Hoffentlich geht es Euch allen gut! Was macht eigentlich die kleine Herta? Ihr hattet doch damals große Sorgen. Sicher ist es jetzt bei Euch herrlich mit all den blühenden Obstbäumen.

Seid alle herzlichst gegrüßt … Dein treuer Neffe Harry.

 

76. Feldpostkarte des Kriegsfreiwilligen Harry Becker an seinen Onkel C.H.B. 27.3.1916

Feldpostkarte des Kriegsfreiwilligen Harry Becker an seinen Onkel C.H.B. 27.3.1916

77. C.H.B. an Harry Becker. O.O. (Bonn), 27.5.1916

(Maschinenkopie)

Mein lieber Harry!

Deine beiden Karten haben uns sehr erfreut, und die ganze Familie sendet Dir gute Grüße. Den Ostergruß der Universität, an dem auch ich mitgearbeitet habe, hast Du wohl nur deshalb nicht erhalten, weil Du dem Sekretariat Deine Adresse nicht eingeschickt hattest. Auf Deine Mahnung hin habe ich es veranlaßt und wird das Buch wohl ungefähr gleichzeitig in Deine Hände kommen. Du wirst auch einen hübschen Aufsatz von Schreuer darin finden.

Von Deiner Mutter wirst Du inzwischen gehört haben, daß ich als Personalreferent für sämt-liche preußischen Universitäten ins Kultusministerium berufen bin. Es war ein schwerer Kampf, bis ich mich entschloß, das Angebot des Ministers anzunehmen, und habe ich dreimal lange Konferenzen mit Trott deswegen gehabt. Dann aber hielt ich es für meine Pflicht ja zu sagen, und nachdem einmal die Würfel gefallen sind, fühle ich mich glücklich in dem Gedan-ken an meine neue Aufgabe. Ich gehe zunächst allein und, wie das so üblich ist, kommis-sarisch noch als Professor für einige Monate nach Berlin. Erst im Herbst werde ich dann zum Vortragenden Rat ernannt werden, und dann wird auch meine Familie folgen. Bis dahin bleibt mir der Rückweg offen, wenn es mir gar nicht gefallen sollte. Ich zweifle aber nicht daran, daß ich mich schnell einlebe, zumal die persönlichen Verhältnisse in meiner nächsten Arbeits-gemeinschaft günstig sind. Ich habe mit einem alten sachkundigen und wohlwollenden Ministerialdirektor und auch sehr viel mit dem Minister selber zu tun, der zwar ein Junker, aber ein entscheidungsfreudiger und ideenreicher Mann ist; auch scheint er Anregungen zugänglich.. So schließe denn auch ich das Bonner Kapitel, in dem die kurzen Monate mit Dir uns immer eine liebe Erinnerung bleiben werden.

Herthas Beingestell ist immer noch nicht wieder ganz tadellos; aber es geht ihr doch besser, und sie wirkt äußerlich wie ein Ausbund von Gesundheit. Sie wiegt 10-20 Pfund mehr als Walther; auch ist sie in der Schule ausgezeichnet. Walther hatte gestern das beste Zeugnis seiner Klasse mit einer Eins in Deutsch und Latein. Er ist ein recht frischer Bub geworden. Das Entzücken der Familie ist der Jüngste, der sich ganz goldig entwickelt hat und mit seinem kleinen regen Geist und seiner körperlichen Tadellosigkeit die ganze Familie ergötzt.

An all die Friedensgerüchte5, die namentlich Rußland betreffen, glaube ich nicht. Es ist zwar merkwürdig, daß Rußland sich so still verhält, während die Italiener und Franzosen immer mehr in die Klemme geraten. Mir scheint, daß wir den Russen in Persien Konzessionen machen; denn es muß doch unser Ziel sein, einen Keil zwischen England und Rußland zu treiben. Die Schnelligkeit, mit der Grey’s ungeheure Heuchelei durch die Veröffentlichung der bosnischen Dokumente Lügen gestraft worden ist, hat etwas Herzerquickendes.

Wir würden Dir gern manchmal etwas schicken; aber es ist jetzt hier sehr knapp geworden, und man freut sich, wenn man sich selber durchschlägt. Ich tue es auch aus Prinzip nicht, weil ich ja in Osterholz gesehen habe, wie glänzend Du durch mütterliche Liebe versorgt wirst.

Hoffentlich geht es Dir dauernd gut und läßt Du uns recht bald mal wieder was hören. Meine Adresse ist vom 16. Juni an: Kultusministerium, Berlin, Unter den Linden. (CHB)

 

78. Kriegsfreiwilliger Harry Becker an C.H.B. Im Felde (im Osten?), 3.6.1916

Lieber Onkel Carl!

Schon gestern wollte ich Dir schreiben; durch einen glücklichen Zufall kam ich nicht dazu. Das paßte glänzend, denn heute kam Dein langer netter Brief. Also zuerst mal meinen herzlichsten Glückwunsch zu Deiner Berufung. Ich kann mir sehr gut denken, daß Dir die Entscheidung recht schwer gefallen ist. Denn an dem schönen Bonn hängt Ihr doch alle sehr. Auch wirst Du wohl viel von Deiner Arbeitsfreiheit aufgeben müssen. Aber dafür winken wieder viele andere Vorteile. Allerdings bin ich gespannt, ob Ihr wieder eine so schöne Wohnung finden werdet. Denn die Eurige ist doch einfach ideal, besonders wenn ich an die dort verlebten Stunden zurückdenke. Was war das eine schöne Zeit! Man kann sich gar nicht denken, daß die noch mal wieder kommt. Aber das wollen wir doch hoffen. Na, einstweilen läßt es sich hier ja auch aushalten, trotzdem wir ein Ende herbei wünschen. Von Mama werde

ich rührend versorgt, und ich bitte Euch daher, nur nichts zu schicken, besonders da ich jetzt weiß, daß bei Euch alles knapp ist. Über eine gelegentliche Nachricht von Euch hingegen freue ich mich immer sehr.

Daß es Deinen Kindern so gut geht, ist ja ausgezeichnet. Ihr habt doch sicher viel Freude an ihnen. Jetzt ist es wohl auch ausgeschlossen, daß Du noch als Schipper eingezogen wirst. Das hätte ich Dir auch wirklich nicht gewünscht. Denn die haben doch ein recht trostloses Dasein. Wir haben auch eine Kompagnie bei uns. Immer bloß für andere Truppen zu arbeiten, ist doch keine Kleinigkeit.

Der Russe ist im allgemeinen ruhig. Seit ein paar Tagen schießt er mit Maschinengewehren. Das ist recht unangenehm. Das Schlimmste ist aber doch die Artillerie.

Die Obstblüte ist fast vorbei. Ich bin gespannt, wie die Ernte ausfallen wird. Denn Bäume und Sträucher haben wir genug, sie haben zum Teil auch gut angesetzt. Für den Ostergruß der Universität vielen Dank. Er wird wohl in den nächsten Tagen kommen. Die Feldpost funktio-niert recht gut die letzte Zeit. Hingegen ist die Verpflegung oft sehr mäßig, und Tage, an denen man überhaupt nicht satt wird, sind nicht selten geworden. Trotzdem geht es mir aber hier ganz gut. Man gewöhnt sich an alles. Viele Grüße an Tante Hedwig und die Kinder!

Dein treuer Neffe Harry.


1 Die Lusitania wurde am 7.5.1915 von einem deutschen U-Boot versenkt. Sie hatte Kriegsmaterial im Frachtraum geladen für England, obwohl sie ein Passagierdampfer war.

2 Trentino ist die Gegend um Trient, Italien. Heute eine autonome Region Trentino-Südtirol

3 Carola von Blumenstein

4 Alfred von Tirpitz *1849 +1930, Großadmiral seit 1911, entwickelte die Torpedowaffe seit 1877

5 Ein Gesandter Wilsons sondierte in Paris, London und Berlin 1914-1916. Ein deutsches Friedensangebot nach dem Sieg über Rumänien wurde im Dezember 1916 von der Entente abgelehnt. Die exzessiven Bedingungen der Entente führen zur Erklärung Wilsons vom Januar 1917 eines Friedens ohne Sieg. Nur Deutschland antwortete übrigens auf die Bemühungen Wilsons; die österreichischen Bemühungen bleiben erfolglos. Im April 1917 treten dann die USA in den Krieg ein.

Else Becker

HA VI. Nachl. C.H.Becker. Rep.92. Nr.6283

67. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Bonn), 2.5.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Nach Bonn zurückgekehrt, ist es mir ein lebhaftes Bedürfnis, Dir und Ferdi nochmals Dank zu sagen für die reizende und wirklich erquickende Aufnahme, die ich bei Euch gefunden habe. Die gemütlichen Plauderstündchen und Spaziergänge mit Dir werden mir in unvergeßlicher Erinnerung bleiben.

Mein Vortrag ist dann schließlich noch etwas anders geworden, als ich ihn Dir skizzierte; vor allem habe ich ihn ganz anders eingeleitet, da ja gerade im richtigen Moment Kut el Amara gefallen war. Ich hatte von dem Publikum den allerangenehmsten Eindruck und war nachher noch bis 1 Uhr mit den Herren in regem Gedankenaustausch zusammen.

Die mitgebrachte Butter genieße ich sehr, und wir danken Dir nochmals für dieses schöne Geschenk. Wenn es Dir möglich ist, die 30 Dutzend Eier für uns zu beziehen, so würdest Du in uns dankbare Abnehmer finden. Der Eierbezug scheint hier in nächster Zeit sehr erschwert zu werden; um so angenehmer wäre es uns, wenn sich die Sendung bald ermöglichen ließe.

Hier fand ich alles wohl vor. Sonntag erwarten wir Tante Emma Rehbock zu Besuch.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer Schwager (CHB)

 

68. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Bonn), 10.6.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Nur schnell herzlichen Dank für Deine Karte. Die Briefe von Harry haben wir alle mit großer Freude gelesen. Emma sollte sie eigentlich mitnehmen, vergaß es aber; so sandte ich sie Dir gestern, leider nicht eingeschrieben, da sie mir auch uneingeschrieben zugegangen waren. Auch ich hatte einen sehr netten Brief von Eurem Jungen, der sich in seinen Briefen wirklich von seiner besten Seite zeigt.

Wenn Du uns 10 oder 20 Dutzend Eier schicken kannst, sind wir natürlich sehr dankbar und glücklich. Hier bekommt man auf Brotbuch auch nach vielem Bemühen bestenfalls drei Eier pro Kopf und Woche. Einfuhr ist aber gestattet, ja sogar erwünscht.

Ich sende Euch einliegend ein kleines Schriftchen, das nur als Privatdruck erscheinen kann, da die Zensur den dritten Teil gestrichen hatte und ich deshalb auf Veröffentlichung verzichten mußte. Jetzt ist es ohne Streichungen gedruckt.

Herzliche Pfingstgrüße vom ganzen Hause und vielen Dank für Deine Bemühungen.

Dein getreuer Schwager (CHB)

 

69. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Berlin), 16.9.1927

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Herzlichen Dank für Deine Karte. Wir haben wirklich Pech mit Ferdis Besuchen. Hedwig ist noch in Gelnhausen mit den Kindern und kommt vielleicht gerade gleichzeitig mit Ferdi an. Da außerdem große Wäsche ist und Du den Zustand bei Rückkehr der Hausfrau kennst, wäre es uns lieber wenn Ferdi diesmal anderswo wohnte. Ich halte ihm aber für alle Fälle Dienstag Abend frei und erwarte ihn um 8 Uhr zum Abendessen. Wenn er in der Stadt ist, kann er ja vorher mal im Ministerium vorsprechen und evtl. mit mir herausfahren. Voraussetzung ist dabei, daß nicht noch für den Abend eine Staatsministersitzung anberaumt wird. Es geht wieder einmal so heiß zu wie in den schlimmsten Krisenzeiten. Eine Sitzung jagt die andere. Reichsschulgesetz – das sagt alles. Daneben verschwindet fast die Besolddungsordnung. Um so mehr freue ich mich auf die Ruhe des Wiedersehens bei Ferdis Jubiläum. Ich komme gern am 30. September mittags und bleibe bis zum 2. Oktober in der Früh, wenn es Euch paßt. Habt Ihr andere Gäste, wohne ich in Bremen.

Dein getreuer Schwager (CHB).

Alexander Becker

HA. VI. Rep.92. Nr. 185 (Alexander Becker)

15. Alexander Becker, Metallbank, an Minister C.H.B. Frankfurt, 28.6.1926

(Maschinenmanuskript)

Lieber Carl!

Wir sind neulich durch den Fall Lessing und die allseitige Besetzung und Präokkupiertheit nicht dazu gekommen, die finnische Reise von Günther nochmals zu ventilieren.

Kannst Du dem deutschen Gesandten in Finnland ein Wort zukommen lassen, daß die kleine Reisegesellschaft von Prof. Dr. Wünnenberg, Frankfurt/M, aus jungen Leuten bester Familien besteht und im Notfall einer Unterstützung der deutschen Gesandtschaft durchaus würdig ist?

Ich glaube, das ist alles, was zu sagen wäre. Erfahrungsgemäß pflegen aber derartige kleine Winke im entsprechenden Fall außerordentlich nützlich zu sein. Ich wäre jedenfalls sehr dankbar. Falls Du Bedenken oder keine Lust hast, schreibe mir auf jeden Fall, ob Du etwas veranlaßt hast oder nicht. Im letzteren Falle würde ich Wünnenberg sagen, daß er sich nicht an die deutsche Gesandtschaft wendet. Mir wäre es nur ein beruhigendes Gefühl, daß, wenn dem alten Herrn etwas passiert, die Jungens nicht nur auf finnische Empfehlungen, sondern auch auf eine deutsche Empfehlung zurückgreifen können. Event(uell) würde, wenn Not an Mann geht, aufgrund einer solchen Empfehlung die Gesandtschaft auch ein Telegramm hierher loslassen, worauf dann sehr schnell die nötige Hilfe geldlicher Natur von hier aus geschickt werden könnte. Verzeihe die Belästigung, und besten Dank im voraus.

Die Geschichte mit den Pässen hat Wünnenberg glücklicherweise schon verquatscht. Max Heinecke und ich bringen sie allmählich in Ordnung. Bei Günther ist natürlich eine besondere Schwierigkeit aufgetreten, weil wir durch Abwesenheit in Gelnhausen etwas ins Hintertreffen geraten sind. Es wird sich aber alles noch mit Hilfe unseres Berliner Vertreters einrenken lassen und Günther wird seine Reise schon antreten können.

Viele herzliche Grüße getreulich Dein Alex.

(In der Anlage Empfehlungsschreiben von C.H.B. an den Gesandten in Helsingfors, der Wünnenberg empfing, allerdings ohne die Frankfurter Schüler mit dem Sohn von Alex, Günther. Weiterer Brief an Alex.)

Else Becker u. Ernst von Blumenstein jr.

HA. VI. Nr. 6286 (Else Becker, Ernst von Blumenstein jr.)

8. C.H.Becker an seine Schwägerin Else Becker. O.O (Bonn), 19.12.1913

(Maschinenkopie)

Liebe Else,

ich möchte Dir doch einmal aussprechen, wie herzlichen Anteil ich an Eurem Mißgeschicke mit Ully (nicht: Ulli) nehme. Daß ihr die Nierenattacke nicht erspart geblieben ist, ist wirklich fatal, aber selbst wenn man es in der verschärften Form erlebt, wie ich es seiner Zeit durch-machte, kann man doch völlig wieder gesund werden. Meistens geht es ja sehr viel glatter, als wie bei mir. Auch hat man wirklich, selbst in der schlimmsten Zeit, keine Schmerzen dabei, und wenn einmal die erste Zeit vorüber ist, befindet man sich sogar ganz behaglich in seinem Bett. Bei mir war es damals die selbe Jahreszeit, und ich erinnere mich noch ganz genau des Weihnachtsabends 1889, den ich einsam mit der Mutter in Frankfurt feierte, während die übrige Gesellschaft in Gelnhausen war. Die größte Unbehaglichkeit und die meiste Sorge haben bei dieser Sache die Eltern, und deshalb richte ich auch meine Teilnahme weniger an Ully, als an Euch. Hoffentlich könnt Ihr doch schon beruhigt Weihnachten feiern, und ich bin sicher, daß Ully das Fernsein nicht allzu tragisch nehmen wird.. Wir bitten gar nicht um weitere Nachricht, da wir durch Mutter Näheres hören und Du jetzt wirklich alle Hände voll hast.

Wir sind bisher leidlich über den Winter gekommen, und ich hoffe nur, daß es so weiter geht. Hellmut entwickelt sich endlich regelmäßig und kräftig und wenn er auch einmal zahnt oder niest, so ist das doch nicht mehr so tragisch zu nehmen als in den ersten Monaten, in denen er halt gar nicht vorwärts gehen wollte. Auch den Großen geht es, von einzelnen Schnupfen abgesehen, recht gut. Nur Hedwig und ich haben gelegentlich an unseren alten Leiden zu laborieren, aber das Bonner Milieu gefällt uns so gut, daß wir uns hier damit leichter abfinden, als in Hamburg. Nach dem Gang der Ereignisse dort bin ich nur froh, den Bonner Ruf angenommen zu haben. Es ist wirklich sehr schön hier. Während ich dies schreibe, liegt an dem ersten frostigen Wintertage das ganze Rheintal in hellem Sonnenglanze offen vor mir, und man kann hier leichter ein besserer Mensch sein, als in dem Nebelheim an der Elbmündung.

Wir wollen Weihnachten hier in aller Ruhe verleben. Den projektierten Besuch in Augsburg gaben wir auf und auch die Eltern den ihrigen in Bonn. Was nun aus der Taufe wird, wissen wir noch nicht recht. Wir werden sie wohl bald einmal in der Stille halten, Euch aber jeden-falls vorher benachrichtigen. Unser eigentlicher Plan war es, die Taufe zwischen den Jahren zu halten und Euch dazu von Gelnhausen herüber zu bitten. Nun ist aber Alles anders geworden, und wir können uns noch nicht recht zu einer Fixierung entschließen. Dafür haben wir aber schon einen Prediger; es wird Ferdi interessieren, daß Professor Sell mir versprochen hat, Hellmut zu taufen.

Gleich nach Neujahr reise ich über Gelnhausen nach Berlin und Hamburg, wo ich noch einen Kursus zu halten habe. Ich würde Euch gern auf der Rückreise gern ein paar Stunden besuchen, weiß aber noch nicht, ob sich das mit meinen Zeitdispositionen vereinigen läßt.

Für heute herzliche Weihnachtsgrüße und freundliche Wünsche vom ganzen Haus. (CHB)

 

9. C.H.B. an Else Becker. O.O (Bonn), 16.2.1914

(Maschinendurchschlag)

Liebe Else,

wir haben es ja allerdings befürchtet, daß wir auf Euch bei der Taufe verzichten müßten, aber es tat uns doch wieder von neuem herzlich leid, daß es sich so ungeschickt fügt. Es ist nun tatsächlich so gekommen, daß alle näheren Verwandten abgeschrieben haben, ja, daß nicht einmal die Paten anwesend sein werden. Auch Emma kann gerade in diesen Tagen nicht. So haben wir uns denn Schreuers und ein anderes befreundetes Paar eingeladen, damit die Taufe wenigstens einigermaßen einen festlichen Charakter bekommt. Es ist eben ein Fehler, wenn man so etwas hinausschiebt, aber wenn wir länger gewartet hätten, hätte der Helli ja schließ-lich selber Ja sagen können.

Um so erfreulicher waren uns dagegen die Nachrichten, die Du uns über Ullys Befinden schickst. Hoffentlich hält die Genesung jetzt stand und gewinnt sie bald ihre alte Frische wieder. Ihre Zunahme ist ja geradezu erstaunlich.

Hedwig hörte mit einem gewissen Neid, wie glänzend Deine häusliche Maschine läuft; das läßt sich von der unsrigen einstweilen noch nicht sagen. Hoffentlich gelingt es Hedwig, während meiner Ferienabwesenheit die Sache in Gang zu bringen.

Wenn Ferdi unserem Jungen etwas schenken will, so bitten wir darum, von einem Besteck, das die Gegenpatin bereits übernommen hat, und von einem Becher abzusehen, da Hedwig aus hygienischen Gründen gegen silberne Becher ist. Sonst ist uns jede Gabe herzlich will-kommen.

Mit guten Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer Schwager (CHB).


Harry meldet sich als Kriegsfreiwilliger


10. C.H.B. an Else Becker. O.O. (Bonn), 7.7.1915

(Maschinendurchschlag)

Liebe Else,

einliegend sende ich Dir Harrys Schlüssel. Er hat mir beide geschickt, da er nicht wußte, welcher zu seinem Koffer paßt. Der Koffer ist als Frachtgut, das Rad als Eilgut und ein Paket mit Hüten per Post nach Osterholz abgegangen. Der Radschlüssel folgt in den nächsten Tagen, wenn das Rad abgeholt ist. Ich habe die Expedition durch die Vermieterin besorgen lassen, nachdem unser Fräulein Hertha unter meiner Aufsicht die Sachen gepackt hatte. Dann habe ich mit Harrys Wirtin abgerechnet und ihr noch 23,10 Mark aufgrund einliegender komplizierter Rechnung ausgezahlt. Da ich Harrys Brief zu spät bekam, konnte ich erst am 2. Juli kündigen; ich mußte also, wie Harry ja auch schon angenommen hatte, den ganzen Juli bezahlen, abzüglich des Frühstücks. Eine Differenz bestand nur, ob die für die Bedienung zu zahlenden 3 Mark abgezogen werden müßten. Ich hätte es mit einigem Nachdruck wohl erreichen können, habe dann aber den pekuniär schwer bedrängten Weibern die 3 Mark gelassen, da sie so schrecklich jammerten, und habe ihnen dafür die Mühe aufgehalst, die Fracht- und Eilgutsachen zu expedieren.. Die eigentlichen Frachtspesen werden dann von Euch erhoben. So weit das Geschäftliche!

Und nun muß ich Euch doch beglückwünschen, daß die ärztliche Untersuchung Harry für dienstfähig erklärt hat. Sein Kommilitone Klebe ist als zu zart zurückgestellt worden, was Harry interessieren wird. Auch sonst scheint man mit den Jungen ziemlich mild umge-sprungen zu sein. Harry hat sich während des Semesters, namentlich durch sein Tennis-spielen, ja so gekräftigt, daß er nun wohl auch die Strapazen einer kavalleristischen Aus-bildung vertragen wird. Ob er noch herauskommt1, ist dann eine andere Frage, und bei der Kavallerie hat er es immer noch am besten. Er selbst schien wenig Lust zum Militär zu haben; aber ich konnte ihm das sehr gut nachfühlen, denn ich weiß von mir selbst, was es bedeutet, wenn man sich sein Leben lang – bei Harry sind es ja allerdings erst 1-2 Jahre – alle starken körperlichen Leistungen und Extravaganzen mit Rücksicht auf seine Gesundheit versagen muß. Man findet sich dann schließlich mit einem Kompromiß der Schwäche zurecht, und es ist schwer, dann plötzlich die körperliche Betätigung wieder als Freude empfinden zu sollen, die man sich jahrelang, da man sie nicht genießen konnte, als nebensächlich oder gar schäd-lich eingeredet hatte. Hoffentlich hält Harry seine neue Tätigkeit aus, und dann wird er Euch wohl als gekräftigter, gesunder Menschzurückkehren.

Wir haben ihn hier in den Wochen dieses Sommers wirklich herzlich lieb gewonnen, und wir sehen ihn mit Bedauern scheiden. Ich habe mich ja anfänglich etwas mit seiner mir fremd-artigen Natur herumgequält; im Laufe der Zeit habe ich ihn dann immer besser verstanden, und es gibt viele Wege zur männlichen Selbständigkeit: es muß jeder den gehen, den ihn seine Natur und sein elterliches Erbe vorschreiben. Jedenfalls haben sich zwischen Harry und uns in dieser nur allzu kurzen Zeit Beziehungen geknüpft, von denen ich hoffe, daß sie fürs Leben halten werden, und ich merke immer mehr, wie notwendig, schon Neffen und Nichten gegen-

über, persönliche Beziehungen sind, da die Verwandten allein bei mangelndem Verkehr schon in diesem Grade der Entfernung keine feste Basis mehr abgibt.2 Wenn ich Euch in Zukunft in Bezug auf Harry irgendwie nützen kann, so wendet Euch bitte an mich; ich tue es nicht nur um Euretwillen, sondern auch um des Jungen willen, der uns jederzeit willkommen sein soll.

Hedwig (unleserlich) ist noch immer nicht aus Frankreich zurückgekehrt. Offenbar ist in der Ersten Armee z.Z. nicht viel zu tun , und liegt der Zug dauernd in Marchienne bei Charleroi, von wo sie neulich einen Urlaubsausflug nach St. Quentin gemacht hat um ihren Bruder zu sprechen. Man scheint dort jetzt wieder bequem zu reisen, und sie hatte auf der fahrt nach St. Quentin die Möglichkeit, ganz behaglich im Speisewagen ihren Tee zu nehmen. Natürlich sieht und hört man viel, wenn auch ihre Tätigkeit z.Zt. nur beschränkt ist; sie verbindet verletzte Bahnarbeiter und wartet im übrigen, daß der Zug abgerufen wird. Gestern kam plötzlich ein Telegramm, daß der Zug frühestens diesen Samstag laden werde, ob Schwester Hedwig deshalb vorher zurückkommen solle. Die Normalzeit für die Abwesenheit von Bonn beträgt sonst 8 Tage; diesmal werden es wohl fast drei Wochen werden. Aber nachdem sie alles Interessante davon gehabt hat, soll sie nun auch die Arbeit tun, die sich auf die Rückfahrt beschränkt. Wir kommen hier ganz gut auch so aus. Bisher geht es unberufen allen drei Kindern gut, mir selbst leider nicht ganz so prima, da mein Zustand sich seit dem vorigen Juli nicht verändert hat,, aber nun endlich einmal etwas geschehen muß, da der Krieg so lange dauert, daß ich ihn nicht erst vorübergehen lassen kann, wie ich anfänglich dachte. Natürlich wird dabei auch das Militär noch mitzureden haben: eine zweite Musterung steht mir noch bevor.

Mit herzlichen Grüßen von mir und den Kindern an Euch alle Dein getreuer Schwager (CHB)

 

11. C.H.B. an Else Becker. O.O. (Bonn), 20.4.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Freundlichen Dank für Deine Karte. Hedwig käme gern mit, aber es ist z.Zt. ziemlich aus-geschlossen, da sie von ihrer Pflege stark in Anspruch genommen wird und außerdem noch Fräuleinwechsel hat. Ich selbst komme von Hamburg wahrscheinlich um 5 Uhr11 und kann bis Sonnabend 3 Uhr 20 bleiben. Dr. Wilckens läßt Ferdi freundlichst einladen an der Veran-staltung in Hillmanns Hotel teilzunehmen und eventuell auch vorher schon in seinem Hause mit Tee zu trinken.

Deinen ergiebigen Brief und Harrys hübsche Berichte habe ich noch in Gelnhausen mit-genießen können. Wie gut ist es mit dem Streifschuß abgelaufen! Wir habe alle herzlichen Anteil genommen. Du hast doch gewiß einen rechten Schreck davon gehabt.

Den Sonntag kann ich übrigens leider nicht mehr bei Euch bleiben, da ich Montag mit den Vorlesungen beginne und deshalb über Sonntag zurückreise. Dafür hoffe ich Euch mancherlei erzählen zu können, da ich über Ostern in Berlin und danach in Hamburg sein werde. (CHB)

 

12. Ernst von Blumenstein an seinen Onkel C. H. Becker. Duisburg, 18.7.19283

(Maschinenmanuskript)

Sr. Exzellenz dem Preuß(ischen) Kultusminister

Mit der ergebenen Bitte übersandt, beiliegenden, von Herrn Adolf Knab in einem Strandkorbe des Nordseebades Duhnen gefundenen Artikel freundlichst zur Kenntnis nehmen zu wollen.

Unterzeichneter beehrt sich den Antrag zu stellen, besagten hochwohllöblichen halbbrüderlichen Landrat wegen treurepublikanischer Gesinnung für die nächsthöhere Gehaltsklasse vorzumerken.

Mit freundlichen Grüßen

Ernst von Blumenstein


 

Hier folgt der Text des Zeitungsartikels:

Der Herr Landrat

Es begab sich, daß der Kreiskriegerverband in Osterholz-Scharmbeck sein Sommerfest, verbunden mit der Fahnenweihe des Kriegervereins Scharmbeck, feierte. Um dem Feste die richtige, also amtliche Weihe zu geben, hielt der Kreisverband es für nötig, den Herrn Landrat zu dem Feste einzuladen. Der Herr Landrat war zwar früher des öfteren an der Spitze des Kriegervereins marschiert, aber das war vor der Revolution. Revolution und die Tatsache, daß der Landrat ein Halbbruder des preußischen Kultusministers Dr. Becker ist, verpflichten. Und so hat sich denn der Herr Landrat seit der Revolution so benommen, daß wohl die Republik mit ihm zufrieden sein kann, nicht aber die alten Soldaten, die in ihrem Verein die Erinnerungen an die Armee und Marine des deutschen Kaiserreiches aufrecht erhalten wollen.

Als der Herr Landrat am Eingang des Festplatzes eintraf, begab sich der erste Zwischenfall. Von den beiden Fahnen, die schwarz-weiß-rot und schwarz-rot-gold4 am Eingang flatterten und die genau gleich groß waren, war während der Nacht die eine Fahne gestohlen worden. Nicht die schwarz-rot-goldene! O bewahre! In Osterholz-Scharmbeck weiß man, was sich gehört. Sondern die schwarz-weiß-rote. Nun mußte Ersatz beschafft werden, und die schwarz-weiß-rote Ersatzfahne war länger und breiter als die schwarz-rot-goldene und hing, da es nun einmal keine Reichsbannerparade, sondern eine Kriegervereinsfeier war, am Hauptflaggenmast.

Dem flaggentechnisch geschulten Auge des hohen Herrn entging das natürlich nicht. Er sprach mißbilligende Worte. Und die erhebende Feier begann damit, daß die große schwarz-weiß-rote Fahne an den kleinen Mast und die kleinere schwarz-rot-goldene Fahne an den großen Mast gehängt wurde.

Aus den Mienen aller Festteilnehmer strahlte glückselige Ergriffenheit, als der Herr Landrat nunmehr an dem großen Mast mit der kleinen Fahne und dem kleinen Mast mit der großen Fahne seinen Einzug hielt.

Weit kam er auf seinem Triumphzug nicht. Nur bis in den Festsaal hinein. Dort hingen am Eingange zwei ganz gleich große Fahnen, die eine schwarz-weiß-rot, die andere schwarz-rot-gold. Aber – und das wurde den alten Kriegern, die sich unbändig über den Besuch des Landrats freuten, zum Verhängnis – hinter beiden Fahnen hing eine schwarz-weiß-rote Fahne. Und die war größer als die beiden anderen. Kaum hatte der landrätliche Mund sich gespitzt, um diesen neuen Verstoß gegen das neudeutsche Vereins- und Hofzeremoniell in wohl-gesetzten Worten zu rügen, da fiel der landrätliche Blick auf die den Saal schmückenden Girlanden. Sie waren nur mit schwarz-weiß-roten Fähnchen geschmückt. Das war zuviel. Und mit dem Gegenteil von Sonne im Herzen zog sich der Herr Landrat zurück und war sehr bald den Blicken der Festteilnehmer entschwunden. Die alten Krieger grinsten, diesmal aber war es wirklich vor Freude, nur der Vorstand, der’s trotz der schönen schwarz-rot-goldenen Fahnen nicht recht gemacht hatte, machte ein etwas bekniffenes Gesicht.

Schadet ihm nichts, warum lud er denselben Landrat ein, der einen Oberlandjäger zur Rede stellte, der am Volkstrauertage an dem Gottesdienste des Kriegervereins teilgenommen hatte und hinter der schwarz-weiß-roten Vereinsfahne, die dreimal so alt ist wie die Republik, mit zur Kranzniederlegung marschiert war. Der Oberlandjäger ist daraufhin – dem Stirnrunzeln seines hohen Vorgesetzten gehorchend – aus dem Kriegerverein ausgetreten, den Herrn Landrat lud man ein.

Vielleicht begreifen die, die es angeht, es endlich, daß man damit bei niemandem Eindruck erweckt, wenn man eine schwarz-weiß-rote Angelegenheit mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen dekoriert. Festesfreude setzt Gesinnungsgemeinschaft voraus, und die Sozialdemokraten haben ihre Maifeiern in der früheren Zeit ja wohl auch nicht in der Weise gefeiert, daß sie links rot und rechts schwarz-weiß-rot flaggten, um den Herrn königlichen Landrat zur geneigten Mitwirkung zu veranlassen.

Entweder ist man schwarz-weiß-rot und Gegner dieser Republik und der von ihr okkupierten Flagge. Oder man ist schwarz-rot-goldener Republikaner. Ist man beides nicht, so hat man nicht das Recht, eine dieser beiden Flaggen zu hissen. Dann soll man sich mit der neutralen weißen Flagge begnügen, die man, um die Gesinnungsgenossen in Scharen anzulocken, mit der Inschrift versehen kann: „Heute frische Wurst!“

F.C.Holtz


13. Hochzeitsanzeige von Ernst von Blumenstein jr. Duisburg, 26.8.1930

Ihre Vermählung beehren sich anzuzeigen

Ernst von Blumenstein und Marianne von Blumenstein geb. Weiland

Duisburg, 26. August 1930 Düsseldorfer Straße Nr.88

 

14. C.H.Becker an Ernst von Blumenstein jr. Duisburg-Huckingen, 25.8.1931

(Maschinenmanuskript)

Mein lieber Ernst,

nach langem Schweigen wenigstens eine erfreuliche Nachricht von Dir. Ich beglückwünsche Dich und Deine Frau von ganzem Herzen zu dem strammen Jungen. Möge er die Tradition der Blumensteins aufrechterhalten, denn auf ihm steht ja jetzt ein ganzes Geschlecht. Deshalb freue ich mich, daß es ein Junge ist. Möchten ihm in späteren Jahren noch weitere folgen, da-mit diese erfreuliche Familie nicht auf zwei Augen gestellt ist, sondern als ein Wohlgefallen vor Gott und den Menschen sich ständig vermehre. Ich mußte im ersten Augenblick denken, wie Dein Vater sich gefreut haben würde, wenn er diesen Tag erlebt hätte. Also alles Gute für Mutter und Kind und den Vater, der ja auch seinen Anteil daran hat.

Von uns kann ich nur Gutes berichten. Ich bin im Begriff nach China zu fahren, und zwar werde ich noch diesen Sonnabend auf der Bremen Bremerhaven verlassen, um mit einer Kommission des Völkerbundes über Amerika und den Stillen Ozean nach Japan und China zu gehen. Wir sollen das Schulwesen Chinas 2 bis 3 Monate studieren. Dann kehre ich über Vorderasien zurück. Auch in China werde ich natürlich Deines Vaters gedenken.

Walter hat neulich magna cum laude seinen Doktor gemacht und ist weiterhin Referendar. Hertha ist Operationsschwester im Krankenhaus und sehr glücklich in ihrem Beruf. Hellmut, der sein erstes Semester in Freiburg hinter sich hat, ist zur Zeit in England, wohin auch Hertha sich für ihre Ferien rüstet. Meine Frau war den Sommer über als Krankenschwester im Konzern der Salemer Schulen am Bodensee und wird dort voraussichtlich auch während meiner langen Abwesenheit sich betätigen, da es für sie unerträglich wäre, allein in unserem großen Hause zu sitzen. In herzlicher Mitfreude grüßen wir Dich, Deine Frau und Deinen Sohn.

Dein alter Onkel (Carl)


1 Man sieht, wie euphorisch die Stimmung noch 1915 war. Die Kavallerie spielte im 1. Weltkrieg keine Rolle mehr im Kampf gegen Artillerie und Maschinengewehre, von Gas gar nicht zu reden! BB

2 Hervorhebung vom Herausgeber.

3 Rep. 92 Becker B. 6492 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

4 Hervorhebung vom Herausgeber.

CBH an Geschwister

HA. VI. Nr. 8683 (Emma Rehbock, Sell jr., Geschwister)

6. C.H.B. an seine Geschwister. Berlin, 19.2.1925

(Vertraulich)

Liebe Geschwister.

Ihr werdet aus der Zeitung ersehen haben, daß ich seit gestern wieder einmal

Kultusminister bin. Bei der Vorstellung begrüßte mich ein deutschnationaler Abgeord-neter mit den Worten: „Sie werden noch wie Marius siebenmal Konsul werden!“ Ich erwiderte ihm, daß das vielleicht möglich sei, wenn die Sache sich durchsetzte, da mich ausschließlich das kulturpolitische Interesse leite, ich aber als Parteiloser mich persönlich auf keinerlei allgemeinpolitisches Programm festlegen könne. Damit ist die Situation charakterisiert. Obwohl die Rechtspresse ein Interesse daran hat, mich ihren Lesern als Demokraten oder, wie es die Schlesische Zeitung getan hatte, mich sogar als einen so weit links stehenden Demokraten abzustempeln, daß mich nun sogar bereits die Demokraten ablehnten, so ist das natürlich alles heller Unsinn. Ich bin der einzige Minister des Kabinetts, der als Person und Fachminister1 einberufen ist. Ich habe gewisse Beziehungen zur Demokratie, habe mich aber mit den Herren darüber verständigt, daß wir überall offen aussprechen, daß ich nicht zur Demokratischen Partei gehöre, obwohl ich natürlich auf demokratischem Boden stehe. Die Vorgeschichte dieser zweiten Ministerschaft ist die folgende:

Bereits seit langem erstrebt das Zentrum2 den Staatssekretärsposten im Kultusministerium. Von dem Gedanken ausgehend, daß der Kultusminister immer evangelisch sein muß, fordert das Zentrum, daß die zweite leitende Stelle dann aber mit einem Katholiken besetzt sein müsse. Nur dadurch werde die Parität voll gewahrt. Nun bin ich trotz manchen Wechsels in der Stimmung dem Zentrum auf die Dauer immer genehm gewesen, weil ich ein starkes Verständnis für den Katholizismus besitze und vor allem weiß, welche eminenten Verdienste um die Aufrechterhaltung unserer Bildung und Kultur das Zentrum in den Zeiten des Wirrwarrs und der Revolution gehabt hat. So bin ich dem Zentrum der ihm genehmste evangelische

Minister; aber ich kann es ihm nicht übelnehmen, daß er mich nicht als Sachwalter seiner katholischen Spezialinteressen ansehen kann. Das Zentrum wiederum weiß ganz genau, daß ein ständiger katholischer alias Zentrumsstaatssekretär unter einem häufig wechselnden

evangelischen Minister für den evangelischen Volksteil etwas Unerträgliches ist. Infolge dessen hat das Zentrum ein Interesse daran, auch den Posten des Ministers zu stabilisieren, und man ist an mich von vorneherein mit der Frage herangetreten, ob ich unter der Voraussetzung einer vom Zentrum zu vertretenden längeren Ministerschaft auch über das jetzige Kabinett hinaus bereit wäre, einen katholischen Staatssekretär zu ernennen, der dem Zentrum nahe stünde. Nun bin ich mir natürlich darüber klar gewesen – und man hat nicht versäumt, mir das von links und rechts sehr deutlich zuzuflüstern -, daß eine dauernde Ministerschaft eine Utopie wäre, da an einer Personenfrage niemals eine Kabinettsbildung scheitern könne, und da viel zu viel Ministeranwärter unter den Abgeordneten vorhanden wären. Auch wolle mich das Zentrum nur bei dieser Gelegenheit auf vornehme und einwandfreie Weise beseitigen, denn im Grunde mißtraue man mir mehr, als man mir traue. Nun, alle diese Gedanken habe ich selbstverständlich reiflich durchdacht. Das Angebot kam insofern meinen Wünschen entgegen, als ich von jeher bestrebt war, das Kultusministerium zu entpolitisieren, das heißt, dafür zu sorgen, daß alle maßgebenden Faktoren unseres Volkes, von den Sozialisten bis zu den Deutschnationalen, im Ministerium im Verhältnis zu ihrer Stärke im Volke vertreten sind, damit sich ein Ausgleich der Meinungen im Schoße des Ministeriums vollziehen kann und scharfe Kursschwenkungen vermieden werden. Nur dadurch kommt eine gewisse Ruhe in die Schule. Wie die Dinge nun einmal liegen, ist eine solche Lösung nur möglich unter einem möglichst parteilosen, aber der Mitte angehörigen Mann von einer gewissen persönlichen Autorität und entsprechendem Sachverstand und unter ihm ein Staatssekretär katholischen Bekenntnisses, der in loyaler Weise mit dem Minister zusammenarbeitet. Ich nenne diese Lösung die Geßlerisierung3 des Kultusministeriums. So hatte ich auch mit dem Zentrum ausgemacht, daß ich meinerseits bereit wäre, auch in einem rechtsgerichteten Kabinett in gleicher Funktion mitzuwirken, da ich nun durch all die Jahre erlebt habe, daß der einzige Unterschied in der Politik des Kultusministeriums zwischen rechts und links darin liegt, ob ein paar Schulräte mehr oder weniger aus Rechts- oder Linkskreisen genommen werden, während sich die große Linie der sachlichen Politik ganz unabhängig von der parteipolitischen Einstellung der Minister hält, da sie sich durch das Parallelogramm der Kräfte nicht im Kabinett, sondern in der Gesamtzusammensetzung unseres Volkes ergibt. Natürlich ist mir die Rechte nicht hold, aber so ein ausgesprochenes Rechtskabinett wird ja auf keinen Fall kommen, daß es einen Mann wie mich nicht mehr ertragen könnte. Wenn das einmal eintritt, stehen wir doch sowieso am Ende4. Aber, wie gesagt, über all das mache ich mir gar keine Illusionen. Ich verlasse mich auf keine Partei und auf keine Versprechungen, sondern stütze mich mit einem gewissen amor fati ausschließlich auf meinen Glauben an die Sache, und ich bin überzeugt, daß die

Sache meiner Mitarbeit hier noch einige Jahre fordert.. An sich wäre ich lieber Staatssekretär geblieben; aber im Laufe der Dinge war diese Position nicht mehr zu halten, da schlechterdings niemand vorhanden war, der mit einigem Sachverstand hätte Kultusminister werden können, nachdem Boelitz ausgeschieden war und seine persönliche Wiederkehr von allen Parteien der bisherigen Koalition unbedingt abgelehnt wird. Ich konnte ganz gut mit ihm arbeiten und bedauere lebhaft, daß diese ruhige und wirklich segensreiche Zusammenarbeit während der letzten Jahre durch die unbegreifliche Haltung der Volkspartei zunichte gemacht worden ist. Boelitz war darüber selbst am traurigsten wie auch Exzellenz von Richter, der Finanzminister. Beide Herren wußten, daß die Dinge in der wirklichen praktischen Arbeit doch ganz anders aussehen, als sie sich in der Kreuzzeitung5 oder der Deutschen Tageszeitung darstellen. Dabei ist die politische Lage doch so, daß der politische Einfluß der Sozialdemokratie in jeder neuen Regierung stark zurückzudämmen gewesen wäre und in einem Kabinett der großen Koalition natürlich noch viel mehr, so daß eine vollkommen andere Struktur des neuen Kabinetts herauskommt. Nur der eine Fehler durfte nicht wieder begangen werden, die Sozialdemokratie von heute auf morgen vollkommen auszuschalten, wie es die Deutschnationalen wollen. Ich halte es grundsätzlich für falsch, denn wir haben es schließlich erlebt, wohin wir in der alten Zeit damit gekommen sind. Natürlich wäre es ebenso falsch, die Deutschnationalen dauernd ausschalten zu wollen. Man muß einmal etwas wechseln, oder man muß sich vertragen. Nun halte ich die Politik des Zentrums für sehr klug. Es stützt im Reich ein Rechts-kabinett, hat aber seinen linken Flügel nur dadurch bei der Stange gehalten, daß die selbstverständliche Voraussetzung einer Beteiligung der Sozialdemokratie in Preußen gegeben war. Am liebsten hätte Marx ein Kabinett der Volksgemeinschaft von den Deutschnationalen bis zur Sozialdemokratie gehabt. Das haben die Deutschnationalen abgelehnt und die Sozialisten auch, aber nur, weil die Deutschnationalen eine Gesinnungsgemeinschaft verlangten, während es sich doch natürlich nur um eine Arbeitsgemeinschaft handeln kann. Gesinnungsgemeinschaft besteht ja nicht einmal zwischen Deutschnationalen und Zentrum. Da nun diese große Volksgemeinschafts-Koalition, die bei unserer außenpolitischen Lage zweifellos das Richtige gewesen wäre, gescheitert ist, versucht nunmehr das Zentrum, Deutschnationale und Sozialdemokraten wenn nicht in einem Kabinett, so doch in den zwei Kabinetten des Reiches und Preußens zu einer gewissen Zusammenarbeit zu führen. Ich halte diesen Gedanken für außerordentlich gesund, denn wir können zu keinem Aufstieg kommen, wenn wir irgendeinen maßgebenden Volksteil dauernd von der Regierung ausschließen.

Berlin, den 21. Februar 1925

Bis hierher hatte ich geschrieben, als die endgültige Abstimmung stattfand. Den Ausgang wißt Ihr aus den Zeitungen. Es wäre sehr schön, wenn dadurch eine neue Lage geschaffen wäre; aber das ist leider nicht der Fall, da der Sieg der Deutschnationalen und der Volkspartei nur mit Hilfe der 44 Kommunisten möglich war, die zufällig einmal fast vollständig anwesend waren6. Nach parlamentarischer Sitte müßte nun die Opposition, die das Ministerium stürzt, das neue Kabinett stellen. Aber da liegt der Hase im Pfeffer; denn für positive Arbeit bekom-men die Deutschnationalen natürlich nicht die Hilfe der Kommunisten, die sie beim Zerstören gern benutzt haben, und bleiben deshalb bei jeder Wahl eines neuen Ministerpräsidenten in hoffnungsloser Minderheit. Wenn man sich allerdings auf den Standpunkt stellt, den die Rechtspresse immer wiederholt, daß das Zentrum eigentlich eine Rechtspartei sei und infolge dessen eine sichere Mehrheit für eine Rechtsregierung vorhanden ist, so mag das dem

ahnungslosen Leser imponieren, aber es ist nicht richtig. Der Unterschied zwischen den zwei Meinungen ist der, daß die Linke von der Volkspartei erwartet, daß sie das neue Kabinett durch teilweise Stimmenthaltung wenigstens duldet, und das von allen Ministern genehmigte Programm könnte auch Herrn von Kries oder irgendeinem Deutschnationalen in der gegen-wärtigen Lage kaum anders formuliert werden. Die Rechte hingegen verlangt vom Zentrum nicht nur eine teilweise Stimmenthaltung, sondern die positive Mitarbeit und einen Bruch mit

seiner ganzen bisherigen Politik und Tradition, während die Volkspartei ja doch drei Jahre und gewiß nicht zum Schaden Deutschlands die auch jetzt von Marx7 wieder empfohlene Politik mitgemacht hätte. Weil die Volkspartei ausgebrochen ist, soll auch das Zentrum erprobte Grundsätze aufgeben. Das ist natürlich völlig unmöglich, und in dieser verschiedenen Einstellung liegt die Differenz auf beiden Seiten. Was nun werden wird, ist selbstverständ-lich schwer zu sagen. Entweder wird das Zentrum auf das Reich drücken und die dort herrschenden Parteien veranlassen, ihrerseits auf die Rechtsparteien des Preußischen Landtages zu drücken, damit in Preußen die Rechte einer Linksregierung die gleiche Duldung erweist, die die Linke im Reich dem Rechtskabinett Luther entgegenbringt. Dann würde voraussichtlich das eben zurückgetretene Kabinett alsbald wieder gewählt werden und ein Vertrauensvotum erhalten. Oder aber: Es wird unter Marx ein reines Beamtenkabinett gebildet, was vielleicht bei der jetzigen Situation das Beste wäre. Nur muß dieses Kabinett bei der ganzen politischen Lage von der Sozialdemokratie mit unterstützt werden und einen Minister des Innern enthalten, der auch links tragbar ist; denn eine verkappte Rechtsregierung wie im Reich oder eine offene ist bei der politischen Lage in Preußen vollkommen ausgeschlossen. Eine Auflösung hat wenig Sinn, da mit ganz leichten Modifikationen der gleiche Landtag wiederkehren würde.; denn beim Verhältniswahlrecht ändert sich die politische Situation nicht so schnell wie bei der einfachen Mehrheitswahl (wie in Frankreich) oder der relativen Mehrheitswahl (wie in England).

Mir fiel, ehrlich gestanden, bei der Abstimmung ein Stein vom Herzen, denn es ist kein Vergnügen, in einem ausgesprochenen Kampfkabinett als Fachminister zu sitzen. Nun muß meiner Meinung nach irgendeine Vereinbarung herbeigeführt werden. In welcher Weise sie auch geschieht, so wird sie jedenfalls eine Verabredung der Parteien sein, wodurch eine ganz andere Stimmung geschaffen wird, als wie wenn ein Kabinett sich mit Gewalt durchsetzt und bei Sieg oder Niederlage nur 1 oder 2 Stimmen Mehrheit in Frage kommen. Ein solches Kabinett könnte stabiler sein als alle bisherigen. Sollte eine andere Regelung erfolgen und ich aus der Ministerkandidatenliste ausscheiden, würde ich, aller Wahrscheinlichkeit nach, wieder Staatssekretär werden, da es im Augenblick nicht gut verantwortlich wäre, mich völlig auszuschal-ten. Dann wird der schöne Neutralisierungsversuch, der mir vorschwebt, eben bei nächster Gelegenheit einmal gemacht werden, sei es dann, daß ich oder irgend ein anderer dazu berufen sein wird.

Zunächst hat sich der Landtag bis zum 3. März vertagt, und auch Verhandlungen zwischen den Parteien finden vorher nicht statt. Da nach dem Rücktritt des Kabinetts entscheidende Maßnahmen und bedeutende Personalbesetzungen nicht vorgenommen werden, habe ich mich entschlossen, mich acht Tage in Arosa zu erholen. Eigentlich wollte ich ja vier Wochen während des Februar dort Ski laufen und hatte mir meinen Sommerurlaub aufgespart. Diese Absicht ist mir durch die Kabinettskrise gründlich zerstört worden, und da ich nach dem 3. März doch wieder für einige Wochen festgehalten bin und wieder mancherlei Nerven-zermürbendes zu ertragen habe werde, schein es mir richtig, mich erst ein bißchen zu erholen und vielleicht dann in der Osterpause des Parlaments die noch restierenden 14 Tage nachzuholen.

Ich hoffe, daß Euch dieser Brief einigermaßen darüber ins Bild setzt, wie ich die Dinge sehe, was auch für die unter Euch, die politisch anderer Meinung sind als ich, doch immerhin von Interesse sein wird.

Allen Geschwisterhäusern sende ich einen herzlichen Gruß.

In alter Treue Euer Bruder CHB

 


Autounfall in Berlin


 

7. C.H.B. an seine Geschwister. Berlin-Steglitz, Schillerstr. 2, 15.12.1932

Liebe Geschwister!

Nachdem die Zeitungen unseren Autounfall leider schrecklich aufgebauscht und in alle Welt hinaus posaunt haben, und ich von den meisten von Euch bereits Grüße und besorgte An-fragen erhielt, ist es wohl das Einfachste, wenn ich Euch kurz erzähle, was eigentlich los war.

Wie Ihr wißt, hat sich Hedwig vor einigen Monaten ein kleines Auto gekauft, und wir haben weiter anstelle einer Köchin und eines Mädchens nur noch eine Köchin und einen jungen Diener-Chauffeur. In dieser Form ist die Einrichtung bei unserem betriebsamen Leben wirklich kein Luxus, sondern eine Ersparnis.. Nun fuhren wir am vorigen Montag zum Kolleg und Besorgungen in die Stadt. Am Steuer saß der Chauffeur, neben ihm Hedwig, auf den Hintersitzen ein englischer Freund von mir, den wir zur Bahn fuhren, und ich. Wir fuhren in mäßigem Tempo den breiten Südwest-Korso herunter, verlangsamten das Tempo und hupten an jeder Straßenkreuzung, als plötzlich aus einer kleinen Nebenstraße in großem Tempo ein Fleischerwagen herauskam, der offenbar nicht schnell genug bremsen konnte, und, obwohl wir auswichen, uns doch noch von der hinteren Ecke her überrannte und unser leichtes Auto einfach umwarf. Wir fielen übereinander, kamen aber merkwürdig gut davon; nur mir fiel der Koffer meines Freundes gegen die Nase, und der Chauffeur hatte eine unbedeutende Schram-me am Ellenbogen. Der Schreck war natürlich groß, aber nicht so groß, wie man eigentlich erwartet hatte, da man solche Situationen ja unendlich oft vorher durchdacht hat. Schließlich lagen wir alle ganz gemütlich aufeinander und waren nur erlöst, daß niemand ernstlich verletzt war. Es war natürlich sofort ein großer Auflauf, die Feuerwehr wurde alarmiert, und wir kletterten nach oben aus dem umgestürzten Wagen hinaus, erst Hedwig, dann der Chauffeur, schließlich wir im Hintergrund. Inzwischen hatte meine kleine Verletzung etwas angefangen zu bluten, so daß es, als ich hinauskletterte, etwas tragischer aussah und nur dadurch in Kombination mit meiner Vergangenheit entstanden die Pressenachrichten, von denen die im Tempo mit der dicken Überschrift auf der ersten Seite „Minister Becker verunglückt“ natürlich alarmierend wirken mußten. Ich begab mich sofort in eine Apotheke und ließ mich mit Jod betupfen und dann vom Doktor verbinden, während Hedwig erst wie ein Feldherr den Abtransport dirigierte und dann zur Fortsetzung ihrer Weihnachtsbesorgungen mit meinem englischen Freund in die Stadt fuhr. Die Tragikomödie schloß damit, daß das Telefon überhaupt nicht zum Stehen kam, Briefe und Blumen in das Haus flossen, wie an einem Familienfeiertag. Ich saß nach zwei Stunden wieder an der Arbeit, nur das Auto wird noch einige Tage verarztet werden müssen, ehe es wieder gebrauchsfähig ist. Für seine Güte spricht die Tatsache, daß trotz ziemlich erheblicher äußerer Beschädigung keine Glasscheibe zerbrochen war. Es war also noch sehr viel Glück im Unglück.

Euch aber, Ihr Lieben, danke ich allen herzlich für Eure freundlichen Grüße und benutze schon jetzt die Gelegenheit, Euch allen ein frohes Fest zu wünschen. Wir werden mit Kindern und Schwiegertochter alle vereint das Fest begehen. Ich grüße Euch alle herzlich! (Carl)


1 Hervorhebungen vom Herausgeber.

2 Das Zentrum ist seit Bismarck die katholische Partei, zu seiner Zeit ultramontan. Erst das gemeinsame Leid der Nazidiktatur ebnete den Weg zur CDU.- Ob sich das aber auf Dauer halten lassen wird? Papst Benedikt XVI. alias Herr Ratzinger aus Bayern verkündet im Juli 2007, die evangelischen Kirchen seien keine im eigentlichen Sinne auf Grund der fehlenden „apostolischen Sukzession im Weihesakrament. Ohne sakramentales Priestertum gebe es jedoch keine vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums.“ Im weiteren spricht man von „irrigen Interpretationen des Zweiten Vatikanischen Konzils der 60er Jahre!! (nach Der Tagesspiegel vom 11.7.2007)

3 Geßler *1875 +1955 war der Reichswehrminister der Republik bis zu seinem Rücktritt 1928 wegen Finanzgeschäften der Reichswehr. Nachfolger General Groener

4 Hervorhebung vom Herausgeber.

5 Parteizeitung des Zentrums

6 Eine Crux der Weimarer Verfassung wird hier deutlich: der Sturz eines Kabinetts war leicht möglich durch recht willkürliche Mehrheiten. Deshalb führten die Gründerväter des Bonner Grundgesetzes 1949 das sog. konstruktive Mißtrauensvotum ein (§ 67 GG).

7 Wilhelm Marx, Zentrum, *1863 +1946, bildete 1923 sein 1. Kabinett; nach den RT-Wahlen 1924 bildete er sein 2. Kabinett, im Mai 1926 das 3. und 1927 das 4. Kabinett, immer mit AußenMin Stresemann (+1929). März 1930 Sturz der Reg. Müller und Ende der parlamentarischen Demokratie, Übergang zu den Präsidialkabinetten von Heinrich Brüning, von Papen und General Schleicher; unter von Papen fand der sog. Preußenschlag statt, d.h. die Absetzung der demokratischen Regierung Braun in Preußen!

Roger an CHB u. CHB an seine Geschwister

HA VI. Nachl. C. H. Becker. Nr. 122

1. Hauptmann Roger an C.H.B. Gefechtsstand an der Somme1, Feldartillerie-Regiment 29, 3. Batterie * 2.11.1916

Mein lieber CH!

Beiliegender Zeitungsausschnitt, der mich im Stollen an der Somme erreicht, mahnt mich endlich Dir den schon lange zugedachten Gruß zu senden, um Dir einen sichtbaren Beweis zu geben, daß meine Anteilnahme an Deinem Wohlergehen auch in der langen Kriegszeit wach bleibt. Meinen herzlichsten Glückwunsch zu Deiner Berufung an so hervorragender Stelle und meine wärmsten Wünsche für eine recht erfolgreiche Betätigung!

Offengestanden war ich recht erstaunt, daß ich erstmals von dieser Berufung hörte –(was schon lange her ist)- und ich denke mir, daß es Dich einen Kampf hat kosten müssen, daß Du Dich entschlossen hast, nicht mehr Dein ganzes Können in den Dienst Deiner bisherigen Aufgaben zu stellen. Die endgültige Berufung will ich gern dahin deuten, daß Du auch in den neuen Verhältnissen Dich wohl fühlst und das dasselbe Maß an Befriedigung Dir erwartest, das Du als Forscher, Lehrer und Vorkämpfer für eine richtige Würdigung des Islams in so reicher Weise hast empfinden dürfen. Ich denke auch, daß es Dir gelingen wird, trotz der jedenfalls außerordentlich großen Inanspruchnahme in Deiner amtlichen Stellung noch Kraft übrig zu behalten, Deiner lieben Wissenschaft weiter zu leben und für sie zu wirken, ganz abgesehen von der besonderen Förderung, die Du ihr gerade in Deiner jetzigen Stellung kannst zuteil werden lassen. Ich gratuliere auch der U(niversität) Frankfurt, daß sie auf einen wohlwollenden „Oberhirten“ rechnen darf!

Becker-Villa in Berlin Steglitz, „auf dem Fichtenberg“, Arno-Holz-Str. 6, 1916-1933, Eine Gedenktafel war nicht zu sehen; Grundstück ziemlich ungepflegt, aber Haus wirkt gut. BB. 10.7.2007
Becker-Villa in Berlin Steglitz, „auf dem Fichtenberg“, Arno-Holz-Str. 6, 1916-1933, Eine Gedenktafel war nicht zu sehen; Grundstück ziemlich ungepflegt, aber Haus wirkt gut. BB. 10.7.2007

Für mich sind diese Gedanken doch recht fernliegend!. Das Kriegshandwerk hält mich nun schon 2 Jahre in einer Weise hier, daß ich gewohnt bin nur von einem zum andern Tag zu leben und zu denken! Bald jährt sich zum 2. Mal der Tag, an dem ich meine Batterie übernommen und wie viel Erlebnisse schließt diese Zeit ein! Viel Schwerer aber auch viel Freude! Ich bin dem Geschick dankbar, daß ich die schöne Aufgabe erfüllen darf, wie sie in der Führung einer Batterie im Kriege liegt – insbesondere wenn man sich nie von ihr hat trennen müssen und so mit jedem Einzelnen durch die gemeinsamen Erlebnisse verwachsen ist.- Zur Zeit bin ich nebenher – im 10tägigen Wechsel mit dem Abteilungskommandeur – Gruppenführer und habe außer unseren 3 noch 3 sächsische Batterien unter mir. Wir sind seit dem 15.10.(1916) an einer Stelle eingesetzt, die fast täglich im Heeresbericht der letzten Wochen genannt war und ich rechne noch mit wochenlangem Hierbleiben. Im September war ich auf 2 ½ (Wochen?) in Frankfurt, auf meinem 2. Urlaub, den ersten hatte ich September (19)15 zwischen Serbien und unserer 9monatigen Kampfzeit in Ypern2.- Zu Hause hörte ich auch von Deiner dienstlichen Anwesenheit in (Frankfurt?). Du hast ja auch (Meinungen? Unleserlich) bestätigt, die meinem persönlichen Interesse besonders nahe stehen. Friedrichsheim und Volkskindergarten (Ruhwaldschule)) – in denen ich bzw. für die ich tätig bin, kann ich ja nach 2jähriger Kriegszeit eben nicht sagen!

Ich habe gute Nachrichten von Frankfurt! Alle sind sehr tätig. Daß Ludwig Landauer als Kriegsfreiwilliger bei der (…)artillerie seit über einem Jahr im Feld ist und es zum (Quartier)meister und Off(iziers)Ass(istenten) bei einer Kolonne gebracht hat, wirst Du wissen. Wir sahen uns im Urlaub in Frankfurt. Auch mein Schwager Ahlers war gerade von der Front weg – zur Kur in Wildbad – und wir trafen uns in Karlsruhe.

Was sagst Du zu „Hans dem Kanonier“? Wer hätte gedacht, daß ein Krieg so lange dauert und so zur Zusammenfassung aller Kräfte beansprucht!

Du hast jedenfalls Einblick in den gegenwärtigen Stand der Friedensaussichten. Es gibt wohl Stimmung, der den Frieden nicht herbeisehnt; das hindert aber nicht, daß an der Front die alte zuversichtliche Stimmung durchgehalten wird!

Vergelte bitte mein langes Schweigen nicht mit gleichem. Grüße Deine liebe Frau und empfange selbst herzlichen Gruß in alter Treue von Deinem CR

 

2. Ferdinand Becker an seine Geschwister. Osterholz, 8.6.1918

Liebe Geschwister!

Im letzten Winter schrieb ich Euch einmal einen Rundbrief wegen unserer von Mutter ererbten Aktien der Straßburger Neusten Nachrichten. Heute handelt es sich um dasselbe Wertpapier. Ihr werdet von Euren Banken gehört haben oder hören, daß das Unternehmen sein Aktienkapital vergrößern und zu diesem Zweck die Ausgabe neuer Aktien vornehmen will. Die Aktien sollen unentgeltlich an die alten Aktionäre ausgegeben werden, und zwar je eine Aktie auf vier alte Aktien. Die unentgeltliche Ausgabe ist möglich, weil der Gegenwert durch Ansammlung eines Fonds bereits im Besitz der Gesellschaft ist. Die neuen Aktien nehmen vom 1.1.1918 am Gewinn teil. Bis zum 30.Juni muß das sog. Bezugsrecht ausgeübt werden. Für diejenigen Aktien, die bis dahin nicht zwecks Ausübung des Bezugsrechts eingereicht sind, wird ein Betrag von 300 Mark von der Emissionsstelle ausgezahlt. Also eine sehr erfreuliche Sache: Wer vier Aktien hat, erhält unentgeltlich ein bisher immer recht gutes Wertpapier, wer keine vier Aktien hat und seinen Bestand nicht durch Zukauf von sog. Spitzen auf 4 Stück erhöhen kann, erhält für jede alte Aktie 300 Mark.

Es fragt sich, wie wir uns zu der Angelegenheit stellen. Wir sechs haben zusammen 38 Stück Aktien, und zwar Dora acht, Emma und Alex je sieben, Carl und Frida je fünf und ich sechs. Für Dora ist die Sache einfach: sie bezieht auf ihre 8 Aktien einfach die zwei ihr zustehenden jungen Aktien. Wir übrigen tun wohl gut daran, tunlichst die vorhandenen Spitzen gegenein-ander auszugleichen, d.h. wir kaufen sie einander gegenseitig ab, so daß jeder das Bezugs-recht über eine durch 4 teilbare Zahl von Aktien ausüben kann. Da aber 38 Stück in der Familie sind, geht das bezüglich zweier Stücke nicht. Diese verkauft der Eigentümer hinsichtlich des Bezugsrechts für 300 Mark je Stück an die Gesellschaft, wenn er nicht von der Gesellschaft zwei Spitzen kaufen kann, um auch auf eine durch vier teilbare Zahl zu kommen. Dabei nehmen wir als Preis für den Verkauf der Spitzen untereinander natürlich den Betrag von 300 M, den auch die Gesellschaft zahlt. Da ich, wie gesagt, das Papier für gut halte und der zugesagte Preis für die Spitze recht niedrig ist, macht meiner Meinung nach der Käufer einer Spitze ein besseres Geschäft wie der Verkäufer. Die einzige Schattenseite für den Käufer einer Spitze ist der, daß er für jede Spitze 300 Mark flüssig machen muß. Ich weiß nicht, ob das Jedem von Euch paßt und ob nicht der eine oder andere lieber seine Spitzen abgibt und sich an den 300 M freut. Wir müssen uns deshalb über den Fall verständigen. Bestimmte Vorschläge kann ich nicht machen, weil ich nicht weiß, wie bei den Einzelnen die Kassenverhältnisse zur Zeit sind und wer kaufen und wer verkaufen will. Emma, die 7 Stück hat, sollte m.E. unbedingt das eine ihr noch fehlende Stück kaufen. Vielleicht gibt es ihr Carl. Sie hätte dann 300 M an diesen zu zahlen. Etwas schwieriger liegt die Sache mit Frida. Sie muß drei Spitzen kaufen, also 900 M zahlen, wenn sie junge Aktien haben will. Sie muß es sich überlegen und vielleicht gibt ihr Alex dann seine drei Spitzen. Wenn ihr die Aufbringung der 900 M unbequem ist, muß sie ihre 5. Aktie hinsichtlich des Bezugsrechts an Alex abgeben, der sie sicher liebend gerne nimmt. Bliebe ich. Ich kaufe lieber, als daß ich verkaufe. Wenn ich die mir fehlenden Spitzen nicht aus der Familie erhalte, werde ich versuchen, sie aus der Emissionsstelle zu erhalten. Doch bin ich auch bereit, wenn eine der beiden Schwestern anderweit die ihr fehlenden Spitzen nicht erhalten kann, ihr meine zwei Stück abzulassen. Die Brüder, die ja besser stehen wie ich, werden das von mir ihnen gegenüber nicht erwarten. Es ist wohl am Besten, wenn Ihr mir Eure Wünsche mitteilt und daß ich sie dann der Emissionsstelle weitergebe.

Darüber, ob wir (sic) zur Ausübung unserer Bezugsrechte die bei unseren Banken lagernden Zinsbogen nach Straßburg schicken müssen, oder ob es genügt, daß die Mantelbogen in Straßburg gestempelt werden, erkundige ich mich bei E.Hoff.

Bei uns allright, um mal wieder ein englisches Wort zu schreiben.

Treulichst F.B.


1 Noch tobte die Schlacht um Verdun, da begann am 24.6.1916 die Schlacht an der Somme, die bis zum 24.11. andauerte und wo es der Entente nicht gelang durchzubrechen. Dafür eroberten die Franzosen einige Festungswerke bei Verdun.

2 Die Schlacht von Ypern tobte im April/Mai 1915. Erster Einsatz von Giftgas! Nach deutschen Anfangserfolgen ebenso erfolglose Gegenangriffe der Entente; es folgte die Lorettoschlacht Mai-Juli 1915 und die Herbstschlacht in der Champagne, die ebenso wenig eine Entscheidung brachte.

Emma Rehbock und Fritz Sell jr.

HA. VI. Nr. 8683 (Emma Rehbock, Sell jr., Geschwister)

Der folgende Brief hat, wie ersichtlich, eine eigene Signatur und wurde hier aus gegebenem Anlaß eingeschoben. Der Herausgeber


3. Auszug aus einem Brief von Geheimrat Prof. Dr. C. H. Becker an Tante Emma Rehbock in Amsterdam, Steglitz, 17.11.1918

(Maschinenmanuskript)

Carl-Heinrich-Becker-Weg in Berlin-Steglitz – in dem Becker aber nicht wohnte
Carl-Heinrich-Becker-Weg in Berlin-Steglitz – in dem Becker aber nicht wohnte

Es wäre zum Verzweifeln, wenn man nicht den Glauben an die tiefen Werte des deutschen Volkes hätte. Noch stehen wir erst im 3. Akt des Trauerspiels, und wenn man es nicht selbst zu spielen hätte, könnte man mit interessierter Spannung das Ende abwarten.

Selten ist wohl in der Geschichte eine Gesellschaftsordnung so schnell und so völlig zusammen gebrochen. Die Kräfte waren nach außen überspannt. Es war nur mit der Aussicht auf Sieg zu ertragen. Das Eingeständnis der Niederlage durch Ludendorffs übereiltes Waffenstillstandsangebot zerbrach von heute auf morgen die ganze militärische Autorität, auf der unser Staat nun einmal fußte. Der alte Wunsch nach deutscher Einheit war nicht durch das Volk (trotz Paulskirche), sondern durch das preußische Militär erfüllt worden. Folgerichtig überschätzte man daraufhin die staatliche Gewalt gegenüber der Idee. Im modernen Staat war es unmöglich, ein friderizianisches Offizierskorps mit seinem nur militärischen Ehrengesichts-punkten dauernd mit einem kriegsmüden Volksheer von Familienvätern zusammen zu schmeißen. Merkwürdig , aber wahr: Unsere Erfolge und Siege haben die Stimmung unter-graben. Der Verteidigungskrieg schien in einen Eroberungskrieg verwandelt, die Masse fühlte sich mißbraucht, Einflüsse von außen, die vom Nahrungsmittelmangel bedrängte Stimmung in der Heimat haben mitgewirkt, damit aber auch zugleich der ganze Staat, der auf ihr fußte. Das Kaisertum war eine Episode. Wir knüpfen an der Paulskirche wieder an. Die historische Bedeutung des Kaisertums wird stets bleiben, die Reichseinheit gebracht zu haben.

Die Erkenntnis ist so elementar, daß es kaum jemand gibt, der sich ihr entzieht. Da wir zur Zeit ohne Autorität, nahezu anarchisch im Urzustande leben, unser bisheriger Contrat social zerschmettert ist, müssen wir ihn neu aufbauen. Da gibt es, bei der Unmöglichkeit einer Restauration des alten Regimes, nur die lautere Demokratie. Nur der Volkswille zur Ordnung kann uns vor dem Bolschewismus retten. Deshalb stützt alle Welt freiwillig die provisorische revolutionäre Staatsgewalt. Gewiß blutet einem das Herz, als man die rote Fahne in den Händen unserer preußischen Soldaten sah, aber die einheitliche, glatte, ja widerstandslose Auflösung aller militärischer Disziplin, soweit sie im Verhältnis zwischen Soldat und Offizier lag, war so handgreiflich, daß, wer noch jung war und fühlen konnte, sofort die neue Zeit begriff. Es ist eine ungeheuerliche Zeit; denn es muß alles neu aufgebaut werden. Ich begriff nach einer Krisis von 2 Tagen, daß ich nicht dem Zertrümmerten nachtrauern, sondern dem Werdenden dienen mußte. Ich hatte eine offene Aussprache mit den neuen Männern in meinem Ministerium, erklärte klipp und klar, daß ich meine Überzeugung nicht würde vergewaltigen lassen; in diesem Falle kehrte ich zur Universität zurück. Man wollte das aber keineswegs, sondern hofft auf meine energische Mitarbeit. Im Einzelnen sind die Verhältnisse noch chaotisch, die Kompetenzen nicht abgezeichnet, der eine unserer zwei neuen Kultusminister, die Parität der zwei sozialdemokratischen Parteien verlangt Doppelbesetzung aller wichtigen Posten, was schon an sich ein Unsinn ist, ist ein ehemaliger Vergolder, ein alter 70jähriger Herr ohne Bildung, aber mit Liebe fürs Volk, radikal, beherrscht von Schlagworten, ohne Ahnung von der Kompliziertheit des Institutionellen, der das goldene Zeitalter seiner früheren Volksreden am liebsten auf dem Verordnungswege innerhalb 8 Tagen verwirklichte. Die Schwere der Aufgabe wird auch ihn zur Erkenntnis oder wahrscheinlich zum Abgang bringen. Der andere Chef, den ich vom Parlement her schon gut kannte, ist ein kluger und gebildeter Mann, studierter Journalist, reiner Idealist, aber sich völlig klar über die Riesenhaftigkeit seiner Aufgabe, die er nur mit Beratung Sachverständiger langsam zu verwirklichen hofft. Er heißt

Hänisch, und ich hoffe mit ihm und durch ihn meine schon unter dem alten Minister, mit dem ich sehr befreundet bin, begonnenen Reformen durchzuführen. Es gibt jetzt Luft, da manche Fesseln gesprengt sind, gegen die auch ich bisher vergeblich rang.

Die Parole aller Vernünftigen ist jetzt: Herbeiführung eines Rechtszustandes durch die Nationalversammlung und Bekämpfung des Bolschewismus. Ob wir ihn erleben müssen, ist noch unklar. Ich hoffe, daß der Ordnungssinn des Deutschen ihn nicht hochkommen läßt. Aber Voraussetzung ist Opferbereitschaft der Besitzenden und allmählicher Abbau des Kapitalismus. Dem Sozialismus gehört die Zukunft. Das war stets mein Gedanke, aber ich erwartete ihn auf dem Umweg resp. in organischer Entwicklung aus dem durch den Krieg geschaffenen militärischen Staatssozialismus. Nun kommt er über die Demokratie. Die fortgeschrittenen Westmächte incl. Amerika werden sich wundern, wenn sie erkennen, daß unter dem Militarismus ein soziales Denken sich entwickelt hat, das eine sehr fortgeschrittene soziale Demokratie schaffen wird, der die Zukunft der Welt gehört. Vor ihr wird der Westen sich nicht verschließen dürfen und können, während alle Kulturvölkern den Bolschewismus unbedingt bekämpfen werden.

Es ist in Deutschland ein Gesinnungswandel eingetreten, der unbegreiflich scheint und der doch wohl vorbereitet ist. Nur Geschichtsfälschung wird dabei den Ideen des Westens ein Verdienst zuerkennen, so sehr es dem oberflächlichen Beschauer so erscheint. Charakte-ristisch ist das völlige Ausscheiden außenpolitischer Gesichtspunkte im Volksbewußstsein. Wer etwas weiter denkt, leidet unter dieser nationalen Würdelosigkeit furchtbar. Die Konse-quenzen sind unübersehbar; denn unsere Gegner kennen keine Grenzen der Menschlichkeit und der Vernunft trotz allen ihren früheren Verheißungen. Die Schwäche des Moments kostet uns Jahrzehnte des Aufbaus. Es ist ein durch falsche Erziehung nicht verbesserter National-fehler. Leider hat unser Kaiser durch seine würdelose Flucht, die ihm mehr geschadet hat als alle seine früheren Fehler zusammengenommen, sich nur als echter Deutscher erwiesen. Wir haben ja leider noch nicht die Zeit gehabt, eine wirkliche Nation zu werden. Auch ging es uns materiell zu gut. Die große Not der kommenden Jahre wird uns als ein Volk weiterbringen als die Glanzzeit unter Wilhelm II. Schon jetzt eint weite, bisher völlig getrennte Kreise die Angst vor der Anarchie des Bolschewismus. Mit dem moralischen Mut ist es in der Öffent-lichkeit noch schlecht bestellt. Langsam erwacht das Bürgertum und beginnt sich zu organi-sieren. Wir haben in allen Ministerien „Räte“ gebildet aus allen Beamtenklassen, und es erwächst eine Beamtenorganisation, die den Arbeiterorganisationen gegenüber auch einmal die Macht des Streiks in die Wagschale wird werfen können. Wer so etwas früher nur gedacht hätte, wäre sich selbst lächerlich vorgekommen.

Von der Revolution habe ich persönlich viel gesehen, da ich meinen Dienst keinen Tag unter-brach und nur beim Ausbruch schon um 5 Uhr nach Hause ging. Hedwig meinte, da muß schon Revolution sein, wenn der Vater mal zum Tee nach Hause kommt. Mein letzter Vortrag bei dem alten Minister erfolgte unter Maschinengewehrfeuer und Handgranatenschlägen vor unseren Fenstern. Die ganze Aufmachung hatte etwas von Karnavalsumzügen, dann aber wieder von Leichenzügen in stiller Feierlichkeit. Die militärische Aufmachung der sausenden Autos mit Maschinengewehren usw. verriet die verheerende Wirkung eines Jahrzehnts von Volkserziehung durch Kinosensationsstücke.

Hier draußen war es ruhig. Die Kinder unterbrachen keinen Tag den Schulbesuch. Am 2. Revolutionstag, dem Sonntag, ging ich mit den Kindern behaglich durch die Felder in unserer Nachbarschaft. Die Nacht habe ich dann allerdings gewacht, da Einbrüche und Requirie-rungen in der Nachbarschaft vorgekommen waren und sich unser ganzer Fichteberg schnell organisierte. Alle paar Tage trifft mich die Pflicht nächtlicher Patrouillengänge. Mit Sorge sehen wir der grauen Flut entgegen, die sich jetzt heimwälzt. Einquartierung ist angesagt. Und dann die Riesenaufgabe, das Wirtschaftleben wieder in Gang zu bringen. Glückt das nicht, gibt es noch Chaos und dann Auswanderung zu 100 000en. Das wäre ein furchtbares Schicksal.

Am meisten leide ich unter dem Gedanken, daß die Schuld am Kriege nun in ganz falsche Beleuchtung rückt, zumal innerpolitischer Hass gegen das alte Regime auch bei uns die ganz Links-stehenden dazu bringt, dem Kaiser und seinem Regiment die Schuld am Krieg zuzu-schreiben. Die ganze Entente-Ideologie ist darauf eingestellt. Das göttliche Strafgericht scheint ihr Recht zu geben. Und doch ist das grundfalsch. Ein Völkerbund ist nur möglich, wenn bei unseren Feinden auch in dieser Hinsicht ein völliger Wandel eintritt. Gewiß sind wir nicht schuldlos, aber wir haben mehr durch Ungeschick als durch bösen Willen den Krieg herbeiführen helfen und jedenfalls haben wir nicht die Hauptschuld, wenn man nicht grade in natürlichem Wachstum und wirtschaftlicher Ausbreitung eine Schuld finden will. Von göttlicher Gerechtigkeit ist in diesem Teil der Geschichte nicht viel zu spüren, wenn man unser Schicksal mit dem der Italiener vergleicht.

 

4. C. H. Becker an Emma Rehbock, Amsterdam. Berlin W 8, den 15.11. 1921

Kultusministerium (Maschinenkopie)

Liebe Tante Emma!

Dein bevorstehender Geburtstag sollte für mich der Anlaß sein, Dir wieder einmal ausführlich von uns zu berichten. So kommt Dein liebevoll teilnehmender Brief an Hedwig kam gerade recht, um das längst Gewollte Wirklichkeit werden zu lassen, wenn ich auch auf diese Weise mit meinen treuen und aufrichtigen Glückwünschen vielleicht ein paar Tage zu früh komme. Jedenfalls weißt Du, daß wir in kindlicher Liebe an diesem Tage Deiner gedenken und uns stets der seelischen und materiellen Hilfe dankbar bewußt sind, die Du in schweren Tagen uns aus vollem Herzen gespendet hast. Mögest Du nach all diesen Jahren des Schreckens auch noch einen Blick tun dürfen in das gelobte Land einer besseren Zukunft.

Im Augenblick sieht es ja allerdings nicht danach aus, und man muß ein ungeheurer Optimist sein, um noch an den Sinn des Daseins zu glauben. Immerhin, ich bin ein solcher Optimist und lasse mich auch durch Widersinnigkeit unserer ehemaligen Gegner, unserer heimischen Parteien und durch keine Mangelhaftigkeit staatlicher und privater Leistung von diesem Glauben abbringen. Wenn man, wie Du, im Ausland lebt, so sieht man Deutschland zunächst mit den Augen der auswärtigen Politik, während mich nicht nur die Geschlossenheit der Grenze, sondern meine spezielle kulturpolitische Lebensarbeit mehr auf die innere Politik einstellt. Und doch predige ich immer den Primat der auswärtigen über die innere Politik. Wenn der Dollar so weiter steigt, werden es vielleicht auch die engsten Parteipolitiker in Deutschland einsehen, daß die auswärtige Politik uns beherrscht. Man hat es als Deutscher schwer, nicht verbittert zu werden. Wie lächerlich klein war die Machtpose Deutschlands vor dem Kriege gegenüber dem unerbittlichen Machthunger Frankreichs in der Gegenwart. Aber es scheint ein soziologisches Gesetz zu sein, daß das korporative Denken immer unter massenpsychologischen Gesichtspunkten steht und deshalb die Vernunft in ihm noch weniger Geltung hat als in der individuellen Seele, wo die Vernunft doch auch schon einen Kampf mit dem Triebleben zu bestehen hat. Die Triebhaftigkeit des Denkens und Empfindens zeigt sich ja schon im Gegensatz der Parteien.1 Ich habe das in den letzten Jahren aus allernächster Nähe studieren können und es am eigenen Leibe erfahren. Zunächst herrscht immer überall das Mißtrauen, und es wird dem Gegner jede Schlechtigkeit, jeder Macchiavellismus, jede Torheit und jede Perfidie zugetraut. Und selbst wenn einzelne vernünftige Parteiführer sich zusam-mensetzen und man dann merkt, daß die Gegensätze eigentlich gar nicht so groß, sondern mit einigem guten Willen leicht zu überwinden sind, so wird doch dieser Konsensus der Einsich-tigen immer wieder gestört durch die taktischen Bedürfnisse des Zusammenhalts der soziologischen Gruppe oder Partei.

Genauso, ja in noch vergröberter Form scheint (es) so mit im Leben der Nationen zu liegen. Und erst seitdem ich diesen Un-Sinn des Parteilebens völlig begriffen habe, bringe ich eine gewisse Objektivität des Urteils auch gegenüber den fremden Nationen auf, die uns jetzt beherrschen. Diese Erkenntnis ist allerdings kein Trost, ja man könnte an der Zukunft verzweifeln, wenn man bedenkt, wie das Mißtrauen die Welt regiert, während ich in meinem Leben gelernt habe, daß Erfolge sich nur auf Vertrauen aufbauen können.

Wir erleben einen merkwürdigen praktischen nationalökonomischen Unterricht in diesem Jahr. Zeigte schon der Krieg mit erschütternder Deutlichkeit, wie im anatomischen Präparat, die Zusammenhänge des Wirtschaftslebens, so hat die Nachkriegszeit uns wieder ganz neue Einsichten über die Verbindung der heimischen mit der Weltwirtschaft gebracht. Wenn ich denke, welch ungeheure Gehälter man jetzt bekommt! Ich werde eine dienstliche Bruttoeinnahme von über 200 000 Mark haben, wofür aber über 1/3 an Steuern abgeht; immerhin bleiben noch Einnahmen, an die man sich schwer gewöhnt. Während ich dies diktiere, kommt Hedwig ins Zimmer und berichtet, daß sie gerade Kartoffeln gekauft hat 110 M den Zentner, während man früher 3 M dafür bezahlte. So geht es in allem und jedem. In Zukunft wird ein Brief nach dem Ausland 3 M kosten. Man stelle sich gegenüber diesen Preisen einmal vor, was heute noch Privatvermögen bedeutet, wenn es festverzinslich angelegt war. Gewiß sind die Industriepapiere ja auch in die Höhe gegangen; aber der solide alte Besitz lag doch meist in Staatspapieren, Hypotheken und ähnlichem. Eine Katastrophe ist über die kleinen Rentner hereingebrochen, wie sie schlimmer gar nicht gedacht werden kann. Der aktive Beamte kann ja noch einigermaßen mit, wenn er auch nur in Bezug auf die Kaufkraft auf einem Drittel oder höchstens der Hälfte seiner Friedensbezüge steht. So hat z.B. das gesellschaftliche Leben völlig aufgehört, und wo man es noch pflegt, geschieht es in den einfachsten Formen. Man bekommt einen Gang oder ein Glas Bier oder Tee. Gewiß hat das auch etwas sehr Erfreuliches und das Geistige tritt wieder mehr hervor gegenüber dem Materiellen. Aber leider baut sich eine neue Schicht von Reichen auf, die die ganzen ungesunden Formen des alten gesellschaftlichen Lebens weiterführen. Aber der geistige Adel Deutschlands geht leider unaufhaltsam der Proletarisierung entgegen. Besonders schlimm steht es in Berlin. Selbst Frauen höhe-rer Beamter müssen Nebenerwerb betreiben, um den gemeinsamen Haushalt aufrecht erhalten zu können. Und überall werden die letzten Reste des Privatvermögens aufgezehrt. Wohin das alles noch führen soll, kein Mensch weiß es. Und dieser ganze Ruin wäre aufzuhalten gewesen, wenn eine Spur von Einsicht bei der Entente obgewaltet hätte und wenn die Teilung Oberschlesiens nicht so gegen allen Sinn und Verstand unter dem Diktat Frankreichs von einem Tschechen in die Wege geleitet worden wäre. Wir waren gewiß schwer genug geschlagen. Aber daß man uns auch noch die Produktionsmittel nimmt, um unsere Schuld zu bezahlen, ist ein solcher Wahnsinn, wie er nur in der Atmosphäre, die ich eingangs schilderte, geboren werden kann.

Nach dieser allgemeinen Einleitung will ich Dir aber nun wirklich etwas von mir erzählen. Aber diese allgemeinen Gedanken lagen mir deshalb so nahe, weil unter diesem wirtschaftlichen Rückgang und dieser furchtbaren Not natürlich ja auch meine kultur-politische Lebensarbeit in erster Linie zu leiden hat. Und da stehen schließlich denn doch noch höhere Werte auf dem Spiel, als wenn man in seinen materiellen Bedürfnissen etwas zurückschrauben muß. Als ich im April dieses Jahres das Ministerium übernahm, tat ich es schweren Herzens. Ich wäre damals lieber Staatssekretär geblieben; aber nach einer schmachvollen wochenlangen Krise war in dem endlich zusammengekommenen Kabinett Stegerwald 2ein Beamter als Kultusminister notwendig, und als solcher kam bei Lage der Dinge tatsächlich nur ich in Frage. So konnte ich mich der Aufgabe nicht entziehen, obwohl ich mir der Kurzlebigkeit dieses Ministeriums bewußt war, wenn auch die Möglichkeit bestand, daß ihm eine längere, vielleicht sehr lange Dauer beschieden sein könne. Das hätte allerdings eine verständigere Einstellung der Sozialdemokratie zur Voraussetzung gehabt. Von Anfang an suchte sie Stegerwald und seine Kollegen als reaktionär zu diskreditieren, obwohl wir natürlich genau so regiert haben, als ob die Sozialdemokratie im Kabinett säße, da wir uns immer als die Vorläufer der großen Koalition fühlten. In der Politik gilt aber leider der gute Wille, ja selbst die Leistung eines Ministers eine sehr viel geringere Rolle als das aus taktischen Gründen der Partei sich ergebende Fluidum der Beurteilung seiner rein politischen Bedeutung, Brauchbarkeit oder Angreifbarkeit. Der Zustand war noch zu ertragen, bis die große Krise mit Oberschlesien kam. Als damals wieder die taktische Haltung der bürgerlichen Parteien der Sozialdemokratie die Pflicht zuschob, die vaterländische Verantwortung zu übernehmen, da konnte die Sozialdemokratie mit Recht verlangen, daß sie auch in Preußen die Ämterverteilung mit kontrollierte und die allgemeine Politik mit bestimmte; denn das Reich hat ja hauptsächlich gesetzgeberische Kompetenzen, während die Macht der inneren Verwaltung nach wie vor in den Einzelstaaten liegt. Was in dem kleine Bayern möglich ist, ist in dem großen Preußen ganz ausgeschlossen. Bei uns kann ohne Sozialdemokratie oder doch gegen ihren ausgesprochenen Willen schlechterdings nicht regiert werden. Als sie nun nach ihrem Wiedereintritt in das neugebildete Kabinett Wirth auch in Preußen die Teilnahme an der Regierung verlangte und sie mit allen parlamentarischen Machtmitteln, evtl. mit Sabotage, durchzusetzen beabsichtigte, waren die Tage des Kabinetts Stegerwald gezählt, und es war nur die Frage, in welchen Formen sich die Umgestaltung vollziehen sollte. Sie kam dann etwas brüsk dadurch zustande, daß die Demokraten ihre Minister kurzer Hand aus dem Kabinett zurückzogen, wodurch der Rücktritt des Gesamtkabinetts unvermeidlich wurde, da es nur auf Zentrum und Demokratie beruhte und die drei Beamten-Minister ja keine Parteien hinter sich hatten. So wurde denn die große Koalition Wirklichkeit. Ich weiß, daß sich maßgebende Parteihäupter sehr darum bemüht haben, das Kultusministerium unter mir zu neutralisieren. Aber es mußten Parteien befriedigt werden, und es waren nur acht Ministerien. Ich aber hatte es trotz meiner demokratischen Grundanschauung stets vorgezogen, mich keiner Partei zu verschreiben. So scheiterte mein Verbleiben eigentlich nur an der Arithmetik.

Mir war das Ausscheiden in diesem Momente aus sachlichen Gründen natürlich schmerzlich. Nachdem ich die ersten Wochen für Einführung einer ruhigeren Arbeitsweise im Ministerium gesorgt hatte, nachdem ein neuer Arbeitsplan aufgestellt war, hatte ich gerade in den letzten Wochen auf dem Gebiet der Volksschullehrerbildung persönlich die Führung in die Hand genommen und sehr erhebliche Resultate im Kampf mit dem Finanzminister erreicht. Ein seit Jahren, ja seit Jahrzehnten strittiges Problem war endlich in Fluß gekommen, und ich hatte innerlich das Gefühl, daß die hier erreichten Verbesserungen in unserem Zeitalter des Sozialismus und der Demokratie für die Volkserziehung das Gleiche bedeuten, was vor einem Jahrhundert im Zeitalter des Individualismus die Begründung der Universität bedeutet hatte. Mein Etat stand im Hauptausschuß gerade zur Beratung. Ich hatte peinliche, aber für mich doch erfreuliche Auseinandersetzungen mit meinem Vorgänger Hänisch. Ich wurde von fast allen Parteien ausgezeichnet behandelt, nur die Sozialisten ließen zum Teil aus persönlichen, zum Teil aus taktischen Gründen in ihrem Kampf gegen Stegerwald ihren Unmut auch an mir aus. Da erfolgte plötzlich mitten in den Verhandlungen der Rücktritt des Kabinetts. Und heute setzt der Ausschuß seine Beratungen fort. Der damalige Berichterstatter ist inzwischen zum Minister avanciert. Ich halte mich diesen Beratungen fern, wie ich mir überhaupt einige Tage der Ruhe gönne. Die Anstrengungen des letzten halben Jahres waren doch sehr groß, wenn ich auch die Sommerpause in Gelnhausen dankbar empfunden habe. Ich habe mich aber grundsätzlich bereit erklärt, die Geschäfte des Staatssekretärs wieder zu übernehmen. Zu diesem Zweck hatte ich ja für alle Fälle die Stelle unbesetzt gelassen. Natürlich ist es ein gewisser Entschluß, vom Minister wieder Staatssekretär zu werden. Auch geschieht es zum ersten Mal in der preußischen Geschichte, daß ein gewesener Staatsminister diesen Schritt unternimmt. Die Verhältnisse haben sich ja allerdings auch völlig verschoben. Was in der Monarchie unmöglich war, ist im parlamentarischen System der Republik das einzig Wahre. Minister sind heutigentags ephemere Gestalten. Die eigentlichen Leiter der Ministerien sind überall die Staatssekretäre, und denen kann man es nicht verdenken, wenn sie einmalvorübergehend einen Ministerposten übernehmen. Auf mich ist in den letzten Wochen nach verschiedenen Richtungen hin sehr energisch eingewirkt worden. Die Orientalisten wollten mich gern wiederhaben. Die weiteren Universitätskollegen und vor allem die Beamtenschaft des Ministeriums sind in unzähligen Äußerungen bei mir vorstellig geworden, daß ich dies Opfer des Rücktritts in meine alte Stelle der Sache doch bringen möchte. Entscheidend war mir nach ruhiger Prüfung der Zug des Herzens. Ich glaube allerdings, daß ich im Kultusministerium vorerst nicht gut zu ersetzen bin, und ich habe, wie ich es in meiner Abschiedsrede sagte, das Gefühl: Treue um Treue. Trotz diesem frühen Ende bedauere ich keinen Augenblick, den Ministerposten übernommen zu haben. Ich habe doch sehr viel gelernt und vor allem einmal das Gefühl der letzten Verantwortung erlebt. Es ist sehr viel leichter, Minister wie Staatssekretär sein. Auch hat der Staatssekretär mehr zu arbeiten. Aber er hat doch immer die Möglichkeit, unbequeme Sachen an den Minister abzuschieben, der schließlich in der einen oder der anderen Weise entscheiden muß. Die Zusammenarbeit im Staatsministerium war außerordentlich erfreulich, und ich kann ohne Überhebung sagen, daß dies Ministerium doch weitaus das erfreulichste und sachkundigste war, das Preußen seit der Revolution gehabt hat. Außer bei der Sozialdemokratie war auch die Autorität des Ministeriums im Lande größer als die seiner Vorgänger. Dankbar gedenke ich dabei besonders der Zusammenarbeit mit dem Finanzminister Sämisch, einem ganz vorzüglichen Mann, der namentlich für die kulturellen Dinge viel Interesse und Mittel übrig hatte.

Ob das neue Kabinett lebensfähig ist, läßt sich zur Zeit noch nicht übersehe. Der neue Kultusminister Dr. Boelitz, ist ein ruhiger, verständiger Mann, seines Zeichens Gymnasialdirektor. Er gehört der Deutschen Volkspartei an und hat amüsanter Weise unmittelbar vor seiner ihm wohl selbst unerwarteten Wahl einen Artikel über mich geschrieben, der erst nach seiner Ernennung erschien. Er ist vornehm gehalten und zeigt bei aller gebotenen Reserve des Abgeordneten der Oppositionspartei ein verständnisvolles Eingehen auf meine Pläne. Er bot mir sofort in liebenswürdiger Form das Staatssekretariat an; doch legte ich Wert darauf, aus politischen Gründen, daß es mir vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten angeboten würde. Das ist denn auch geschehen. Meine amtliche (Berufung) durch das Staatsministerium wird erst in einigen Tagen erfolgen, und so habe ich inzwischen die mir sehr willkommene Möglichkeit, einige Tage zu Haus auszuspannen. Dann geht es wieder an die gewohnte Arbeit. Ich fühle mich getragen von dem Vertrauen meiner Mitarbeiter und glaube, mit dem neuen Minister gut auskommen zu können. Ich habe ihm offen gesagt, daß ich ja für ihn auch eine gewisse Belastung darstelle. Auch gebe es zwei Arten von Staatssekretären, solche, die gehobene Bürochefs seien und solche, die wirklich Politik machten. Ich gehörte zu den letzteren. Und es zeugt für seine Großzügigkeit und sein sachliches Interesse, daß er das verständnisvoll aufnahm. In der sachlichen Politik wird es ja wohl auch kaum Differenzpunkte zwischen uns geben. Meine Politik geht entschieden dahin, das Kultusministerium aus dem Streit der Meinungen herauszuheben und es möglichst zu neutralisieren. Das wäre am leichtesten unter einem parteilosen Minister gewesen. Es geht aber auch unter einem verständigen Mitglied der Deutschen Volkspartei.

Laß mich damit für heute schließen. Über die häuslichen Dinge und besonders die Kinder will Dir Hedwig gern selber berichten.

Gute Grüße Dir und den Deinigen. In dankbarer Liebe und Verehrung

Dein getreuer Neffe (ungezeichnet: Carl Heinrich Becker)

 

5. Jugendfreund Fritz Sell an C.H.B. Godesberg, Deutschherrenstraße 52, 18.10.1921.

Vgl. auch Nr. 4: Klostermannsch’sche Privatschule

Lieber Carl.

Ich möchte Dir gern einmal wieder berichten, als dem Freund, der an Freuden und Leiden teilnimmt. Meinen letzten Brief hast Du indirekt ja durch Herrn Jahnke wohlwollend beantwortet, wofür ich Dir herzlich danke. Seitdem habe ich die schwierigsten aber auch erfolgreichsten Monate meines bisherigen Lebens, soweit es mit meiner Arbeit zusammenhängt, erlebt. Persönlich d.h. in der Familie sind sie so sonnig wie immer gewesen. Unser Töchterchen entwickelt sich prächtig, meine Frau ist frisch und gesund. Die Dienstboten in Ordnung und die Sommerreise an den Bodensee und ins Allgäu gar köstlich gewesen. Die materiellen Subsistenzmittel haben sich auch eigenen Kräften und Vermögen gefunden, so daß ich unabhängig auf eigenen Füßen lebe.

Beruflich war die Sache z.T. sehr schwer, hat aber das Ergebnis, daß ich meine hiesige Tätigkeit nicht mehr als Übergangsstufe ansehe, sondern als eine Lebensaufgabe, für die ich die äußerste Kraft einsetze. Wie Du vielleicht weißt, hat unser Chef, Herr Schopen, demissio-niert. Als Idealist verlor er mit seinen kulturphilosophisch apostolischen Ideen den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen und veröffentlichte derart verheerende Artikel, daß ich mit meinen älteren Kollegen mich an unser Kuratorium wandte und die Kabinettsfrage für das Lehrerkollegium stellte. Das Kuratorium schloß sich unserer Ansicht an und darauf trat Herr Schopen freiwillig zurück. An seiner Stelle ist ein neuer Direktor gewählt, Dr. Berendt, Studienrat in Bonn, ein ausgezeichneter Mann in jeder Hinsicht, pädagogisch wie menschlich, das wissenschaftliche nicht zu vergessen. Sutzmann (?) hat ihn seinerzeit aufgefordert, sich zu habilitieren, er hat das aber abgelehnt, weil er gerne in der Schule bleiben wollte. Daß wir ihn bekommen haben, ist ein großes Glück; ich bin auch stolz darauf, da ich nicht nur seine Kandidatur dem Kuratorium empfohlen habe, sondern es auch, als die Sache schief zu gehen drohte und er schon abgesagt hatte, fertig brachte in fast ununterbrochenen 5tägigen Verhandlungen ihn zu gewinnen und Einigkeit mit dem Kuratorium herzustellen. Den Gewinn dieser Unterhandlungen schlage ich hoch an; er besteht u.a. darin, daß wir 1/5 aller Plätze als ganze oder teilweise Freistellen einrichten können, so daß wir unabhängig vom Geldbeutel der Eltern wirklich begabte Jungen nehmen und das Niveau halten können. Ich hoffe auf eine gute Zukunft für unsere Sache, zumal sich nach dem Abgang von Schopen auch die Zustände im Internat sehr erfreulich entwickelt haben.

Viel hängt natürlich vom Abitur ab und seiner Abhaltung im Hause selbst. Gestern hat uns Herr Schellberg besucht und die Oberprima besichtigt. Die Jungen haben glänzend gezogen und der Eindruck war gut. Nur bin ich ihm, fürchte ich, etwas zu dekadent; mein Thema, die Geschichte des Romans an W(ilhelm) Meister, Hyperion, Titan usw. bis Niels Llyne und Buddenbrooks zu erläutern, schien ihm eine periphere Feinschmeckerei und von dem Zentrum der deutschen Literatur (Schiller) zu abseits gelegen. Über die letztgenannten sei man längst hinaus; leider hat er mir nicht verraten in welchen Werken. Ich vermute in Federer und der Handel-Merzetti! Vielleicht ist er ja auch der Auffassung, daß nur das Drama, nicht aber der Roman ein Kunstwesen sei. Im Vertrauen, unser alter Geheimrat Schunck aus Coblenz machte mir einen weitherzigeren Eindruck.

Unser offizielles Gesuch um Abhaltung des Abiturs liegt in Coblenz, beschließt (man? weggelocht!) es so gnädig wie seinerzeit das mündliche! Sollten die Zeiten sehr schwarz d.h. ultramontan werden, so sind wir als Refugium der liberal gesinnten Wissenschaften hier notwendig; wenn in 3 Jahren das Städtische Gymnasium in Bonn einen neuen, sicher ultramontanen Direktor erhält, wird diese Notwendigkeit eintreten.

Es wäre doch sehr schön, wenn Du uns mal besichtigtest, nicht nur aus amtlichen sondern auch aus persönlichen Gründen. Ich würde Dich so gern einmal wiedersehen! Vielleicht macht’s sich einmal. Grüße Frau und Kinder vielmals. Dir selbst wünsche ich einen guten Winter und Überdauerung der ministersessellüsternen parlamentarischen Äquinoktialstürme. In alter Freundschaft Dein Fritz.


1 Hervorhebung des Herausgebers.

2 Adam Stegerwald, *1874 bei Würzburg *1945 Würzburg. 1919 Vorsitzender des Gesamtverbandes Christlicher Gewerkschaften und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (bis 1929, MdR 1920-1933

Private Briefe

Quellen:

Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem. Nachl. C. H. Becker

Briefe

Nr.

HA. VI. Nr.122 (Hptm. Roger, Ferdinand Becker) 1-2
HA. VI. Nr. 8683 (Emma Rehbock, Sell jr.) 3-5
HA. VI. Nr. 8683 (Geschwister) 6-7
HA. VI. Nr. 6286 (Else Becker, Ernst von Blumenstein jr.) 8-14
HA. VI. Rep.92. Nr. 185 (Alexander Becker) 15
HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-14) 16-19
HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1915) 20-28
HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1916-19) 29-43
HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1920-35) 44-50
HA.VI. Rep.92. Nr.6283 (Else Becker) 67-69
HA.VI. Nr. 6290 (Harry Becker, auch Vater Ferdinand) 70-78
HA.VI. Nr. 8681 (Schwiegervater Schmid) 79
HA VI Nr.8705 (Alexander Becker) 80-84
HA.VI. Nr. 8654 (Frida Michaelis-Becker, auch Hellmut Becker) 85-86
HA VI. Nr. 6319 (Ully Becker) 87
HA VI Nr. 6293 (CHB – Walter Becker 1924-1932) 88-103
HA.VI. Rep.92. Becker B. Nr.7920 (Willy Bornemann 1910-1930) 104-119
Aus dem Privatarchiv von Michael Becker, Berlin:
Briefwechsel C. H. Becker mit Harro Siegel 1921/1922 120-145
Briefwechsel C. H. Becker mit Harro Siegel 1922 146-170
VI.HA Nachl. C. H. Becker. Nr.6292 (Briefe an Sohn Hellmut 1921-32) 171-187

 

 

Julie an CHB

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. VI.HA.Nl.C.H.Becker Nr.8610
Julie Becker, Gelnhausen 1909, Foto Dührkoop
Julie Becker, Gelnhausen 1909, Foto Dührkoop

Briefe Julie Beckers an Sohn Carl Heinrich 1897-1906/17

1. Julie Becker an Sohn Carl. Frankfurt, 21.5.1897, 7 Uhr

Mein liebes Carlchen,

Was machst Du für Sachen? Betrübst und erschreckst mich ja sehr. Es muß schon nicht ganz so leicht sein, sonst wärest Du doch gefahren und hättest Dich pflegen lassen. „Ganz famos“ kann man schreiben, denn das Papier ist geduldig, – ich weiß es besser, kann’s leider nicht ändern!

Dora kommt Sonntag von ½ 5 Uhr bis 8.50 hierher, so könntest Du sie doch noch sehen. Sie pflegt Alex, der natürlich auch noch krank ist. Er nimmt es der Krankheit und uns Allen furchtbar übel, meinte recht, wir seien toll geworden, der Doktor und ich, daß er nach Gelnh(ausen) solle, doch hat er gefolgt und auch wie ich mit Befriedigung höre sich meinem Wunsch gefügt. Ut mine Stromtid zu studieren statt des (unleserlich) … Schuld und Sühne, das er hier mit wahrer Habgier las.

Deine Karte hatte ich schon um 5 ¼ Uhr.

Die Nacht war gut, Vater schlief von 9 – 6 Uhr, der Tag heute wie immer.

Grüße Willy und schreibe mir gleich morgen früh wieder aufrichtig wie’s Dir geht.

Treu Deine Mutter

die natürlich auch Willy grüßt, der mal wieder nurse ist?

 

2. Julie Becker an Sohn Carl. Frankfurt/Main, 16.6.1897

Lieber Carl,

Vater war gestern und heute wieder viel aufgeregt, aber schlief auch viel, – eigentlich unverändert. Frida machte vorgestern Kränze im Diakonissenhaus und fiel danach aufs Knie, zog sich einen schlimmen Bluterguß zu und wird mal 8 Tage auf der Chaiselongue liegen müssen. Emma schnitt sich feste in den Finger und konnte auch nicht nach Darmstadt. Heute sind Bl(umensteins) bei Konsul Rohmer (?) zum Wurstessen.

Hast Du eigentlich gehört, daß sich die junge Frau Meister stark verbrannt hat und die schlimmsten Gerüchte gingen? Ganz Sicheres weiß man nicht, jedenfalls stand ihr Kleid in Flammen und lief sie damit in den Zug…

(…)

 

3. Julie Becker an Sohn Carl. Frankfurt/Main, 8.7.1897

Lieber Carl,

Ferdis Besuch hat auf Vater wie ein Fest, auf mich wie 8 Tage Landluft gewirkt. Vater hatte sehr bewegte Tage, vorgestern machte auch Frida einen sehr heftigen Sinnes (unleserlich): Näheres erzähle ich Dir morgen und auch daß Ferdi ihn sehr beruhigt hat.

Ferdi sieht prächtig aus und ist sehr beglückt auch über die Hanauer Wohnung und daß alle seinen Harry so nett finden.

Er kam zu Tisch -: um 5 (Uhr) auch noch Ernst, sie blieben bis 11 (Uhr) und waren bei Vaters Nachtessen, das äußerst gemütlich verlief. Frida fuhr programmgemäß. Maria kommt erst heute. Wie geht es denn Dir, ich werde mich da wohl bis morgen gedulden müssen. Zeit zum Schreiben hatte ich absolut nicht.

Gruß an Willy. Deine tr(eue) M(utter)

 

4. Julie Becker an Sohn Carl. Frankfurt/Main, 16.7.1897

Lieber Carl,

die akute Gefahr ist wieder vorüber gezogen, Vater bleibt aber sehr schwach. Es ist immerhin möglich, – wie Dir der D(okto)r. schon sagte, – daß ein Herzschlag eintritt, – jedenfalls kommt der Tod durch Herzschwäche, doch kann es wohl noch 14 Tage dauern und es wird nicht wahrscheinlich, daß alle Kinder um uns versammelt sein werden. Ich will aber doch jetzt immer eins hier haben. Es war gestern ungemütlich, daß keiner da war. Vater frug: Ist denn gar kein Sohn da? Und als er mir dankte, sagte er: Grüße die Kinder.

Heute kommen Bl(umenstein)s und morgen lasse ich Alex kommen und Samstag Frida, – da bist Du frei. Hast ihn ja noch lieb gesehen. In Gedanken seid Ihr ja alle da. Vater hatte gute Nacht und frühstückte in sehr guter Stimmung, fühlt sich wohl und ist in Gelnhausen.

In Liebe.


Konsul Carl Becker starb am 22. Juli 1897


5. Julie Becker an Carl. in London. Gelnhausen 3.9.1897

Lieber Carl,

Ganz erstaunt war ich als mir bereits gestern um 6 Uhr Dein Brief aus der neuen Wohnung gebracht wurde, – das ist ja fabelhaft expediert gewesen. Onkel Will(helm?) wollte es gar nicht glauben. Wie mag er wohl gereist sein?

Ich freue mich sehr Deiner glücklichen Reise und hoffe der Regen hat aufgehört und die Gesellschaft entsprach Deinem ersten Eindruck. (Doch?) 4 Pfund, das ist enorm, nur für Wohnung, da kommst Du doch nicht aus mit Deinem Geld?- Sehr freue ich mich, daß Du auch Grünes siehst und gesund ist das ja auch. Schone mir ja Deine Augen und kaufe eine ordentliche Lupe, da Du die hiesige vergessen hast.

Es ist hier jetzt recht still geworden, doch bekommt mir die größere Ruhe gut. Regen ist täg-lich viel, aber dazwischen Sonnenschein. Wir spazieren Abends, kommen nicht weit mit den Kindern. Manch Mal stehe ich, rechts ein Mantel, links einen, in jeder Hand einen Schirm und warte bis Mutter und Töchter genug Brombeeren haben.

Gestern sah ich zuerst die Diebesburg in der Nähe, sie sieht niedlich aus, doch liegt Prieß mit Wohlfahrt im Prozeß, da dieser so tief gebaut hat, daß im Haus Wasser steht..- Mein Befinden ist entschieden besser, ich esse etwas Kompott und Gemüse ohne Schaden.

Innerlich lebe ich so innig mit Vater weiter, daß ich oft ganz glücklich bin, ich hätte es mir nicht so gedacht, – manch Mal überfällt es mich: „Niemals mehr!“, aber dann denke ich, er ruht in Frieden und hat überwunden, dann wird’s wieder ganz stille in mir. Lieber treuer Junge, laß es Dir gut gehen. Es küßt Dich Deine tr(eue) M(utter).

 

6. Karte von Julie Becker an Sohn Carl, London. Gelnhausen, 6.9.1897

Deinen langen Brief erhielt ich, wegen des Sonntags erst heute früh. Dieses geht erst um 8 Uhr, soll Dir melden, daß von Capstadt Bericht da ist, daß Theo1 splendid arrived! Die Noth-quartiere sind Wahrheit geworden. Die ganze Nacht zog Militär vorüber in furchtbarstem Sturm und Regen, und um 3 Uhr hatten wir 1 General, 2 Offiziere, 3 Unteroffiziere, neun Gemeine und 10 Pferde! Es ist möglich, daß sie 5 Tage immer wieder kommen, wenn sie die Preußen nicht schlagen, – dann bekommen wir (mehr?), denn Biwacks sind wohl unmöglich nach den endlosen Güssen. In der Kinderschule liegen 160 Mann, die Schüler sind die ganze Woche zu Hause. Ferdi will trotz des Wetters hinaus. Wir sind alle wohl. Herzl(ichen) Gruß. M(utter)

 

7. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen, 8.9.1897

Lieber Carl,

Wir sitzen hier mitten im Krieg, – zum Glück fließt kein Blut, um so mehr Regen. Gestern war ein guter Tag und als Emma um ½ 5 Uhr die Truppen abmarschieren sah, wurde sie mild und unternehmungslustig, alarmierte Marie, Onkel Wilh(helm), Heinrich Anton usw. und danach gingen sie los. Onkel glaubte, Emma sei durch den General unterrichtet und sie dirigierte nach Hörensagen, so fuhren sie auf die Bergkirche, bestiegen die Nonnenburg, (…) und kamen dann nach 4 Stunden wirklich zurück und um ½ 2 Uhr ziemlich naß nach Hause. Die Pferde waren tief eingesunken und Emma sich darüber wie gewöhnlich heldenmüthig mitteilt(?).-Eben schreien sie Mami und Emma: „Aber den Kaiser haben wir gesehen und das ganze bayerische Korps und den ganzen Train!“ Eben gehen sie wieder los mit dem Hektor, die Sonne bricht durch und es schießt stark hinter dem Berg.2

Dein lieber Brief kam erst gestern Morgen an, es hängt mal an der Minute; er interessierte mich sehr und ich danke Dir für Deine gemütlichen3 Worte. Es geht auch mir so, ich thue nichts lieber als innig und lang an Vater denken und bin, wie Du weißt, mehr beglückt, wie betrübt. Zuweilen erfaßt dann auch mich wieder der ganze Jammer der Trennung, aber ich richte mich bald wieder auf an der Liebe von Euch Allen, Ihr treuen Kinder.

Frida hat ja auch schlechtes Wetter im Schwarzwald, sitzt aber gemütlich mit Fr(au) Pfarrer Kasimir Aja und Bibi im einzigen großen Zimmer; sie lesen sich vor und musizieren sehr viel. Sie machte auch Ausflüge und fiel auf derselben Stelle wieder hin wie voriges Jahr, doch that’s ihr nichts, sie glaubt sich schon sehr zu erholen und hat guten Appetit. Ein H(err) Zimmer war da, dem scheint sie interessanter, wie er ihr gewesen zu sein, – es schwebt über dem Bericht ein eigenthümliches Element.- Dora schreibt vergnügt und mir geht es nun wieder ganz gut, ich esse Gemüse, aber wenig Kompott. – Hoffentlich hat Bezold nun aus aller Noth geholfen! Von Allen herzliche Grüße, Ferdi fährt immer um 6 (Uhr) fort um kommt um 8 (Uhr) wieder; die Einquartierung war nett und hochzufrieden. Herzlichst umarmt Dich, Du Einsamer in der großen Welt (Deine Mutter; fehlt – kein Platz mehr…)

 

8. Karte von Julie Becker an Carl, London. Gelnhausen, 13.9.1897

(Lieber Carl,)

Heute nur die Mittheilung, daß Hans Major und Alex mulus geworden ist. Samstag früh fand ich ihn angekommen, als wir mit den Zwillingen vom Dietrichshofspaziergang heimkamen. Emma Bergm(ann) kommt wohl später am Sonntag, etwa 20 Uhr.

Treu D(eine) M(utter)

 

9. Julie Becker an Sohn Carl in London. Gelnhausen, 15.9.1897

Lieber Carl,

Der gestrige Brief kam um 6 Uhr an. Fleißige Arbeit und angenehme Erholung, was kann man sich beßres wünschen? Dein Aufenthalt scheint sich sehr in die Länge zu ziehen und hier werden wir Dich nur sehr kurz mehr sehen. Frida schreibt auch sehr vergnügt. Am Sonntag hat Ernst sie in Sassbachwalden besucht und fand sie sehr gut aussehend. Am Montag ist sie mit Aja und Casimir über Yburg in Baden nach Gernsbach marschiert und hat es herrlich getroffen, schreibt ganz begeistert. In Gernsbach bei Frau Katz scheint’s auch sehr gemütlich. Ihren mysteriösen Andeutungen zu Folge hat sie sicher einen, wie mir scheint zwei Körbchen ausgetheilt. Das hat sie sichtlich gehoben. Ein Ernstfall wäre mir aber sehr störend gewesen. Eine gute Parthie war der eine, ein Verwandter von Kaysers, Namen werden nicht genannt! – Schrieb ich Dir, daß Paulchen fragte, ob er nun wohl noch „Vater“ sagen dürfe? – Hier sind wir wohl, Alex ist natürlich voller Übermuth. Zum Glück ist Emma wanderlustig und sie flogen heute schon zum 2ten Male aus nach Herrenmühle, und noch dazu mit einem erst gestern getauschten Pferd. Das eine von Rota bekam Spolh.- Ferdi hat mit seinem Landrat 1600 Parzellen abzuschätzen- muß meist ½ 7 Uhr abfahren, kommt 8 Uhr müde heim.

Montag wurde Harry drei Mal gefeiert, hatte den ganzen Tag ein Rosenkränzchen auf und ein Kleid-chen mit Rosen bestickt. Für die Zwillinge und Lola fiel auch etwas ab. Der Kleine war reizend. Else ist manchen Tag sehr beschwert, aber dann wieder so mobil, daß sie am liebsten die Partien mitmachte.- Die Wohnung in Hanau wird noch fortwährend umgekrempelt, glück-licher Weise in Gedanken. Rehbocks haben schmuddelhaftes Wetter, gingen nach Interlaken, bessern wird es sich dort nicht wollen. Sie kommen durch den Gotthard, kommen Ende des Monats hierher.- Kyritz hat Besuch in der Niedenau gemacht, wohl für Dich? Nimm Notiz davon.

Tante Marie geht es nicht besser, sie fühlt selbst, daß sie zurück geht. Mimi ist seit 8 Tagen in Baden-B(aden) mit ihrem Mann, da es hohe Zeit für sie zur Erholung war.. Es scheint eine ähnlich lange Sache zu werden, wie bei Papa. Sie liest noch viel und freut sich besonders an Briefen. –Ich komme noch immer nicht zur Auseinandersetzung der Möbel und Bilder. Über Dora waren wir nicht wenig erstaunt, die Frau Major machte sich schon sehr in ihren Wün-schen geltend. Unter Vielem mehr: das ganze rote Zimmer mit Teppich von Kerman den großen Achenbuch! Na, was sagst Du dazu? Ich habe ihr noch ein Mal geschrieben und sei enttäuscht, da ich das rote Zimmer bekanntlich selbst behalte.- Nun rückt allmählich die Sommereinquartierung ab. Heute ging Emmas Köchin und Freitag empfängt …Ernst in der Wohnung. Am 1,.Okt(ober) sind dann alle zu Hause.- Adolf hat uns auch verlassen, was Niemand großen Schmerz bereitete. Emil ersetzt ihn vollkommen. Von Frankfurt schrieb er am (unleserlich), ich möchte ihm doch ein Zeugnis ausstellen wie es nahezu bräuchlich wäre. Er schreibt denn uns vor, worin er dem meinen noch allerhand zufügt: zur größten Zufrieden-heit, – kann ihn besonders empfehlen und Ähnliches! Ist das nur dumm? – „Sehr geschickt“ fehlte auch in dem meinen.

Emma Bergmann habe ich Deine Adresse zugeschickt. Du kannst aber doch auch an sie schreiben unter der Adresse Martinis, die ich Dir gab. Colonel Crozier hat mir nicht kondoliert, ob er die Anzeige nicht empfing? – Neues gibt’s nicht, mir etwas sehr Altes: Es hat dich innig lieb

Deine treue Mutter

 

10. Karte von Julie Becker an Sohn Carl, London. Gelnhausen, 21.9.1897

(Lieber Carl,)

Dein lieber Brief erreichte mich doch erst heute früh. Bitte arbeite nicht mehr von 8-10 Uhr (Abends!). Es tritt sonst Überanstrengung ein. Zeit zum Schreiben habe ich heute nicht, da Rehbocks gestern schon angekommen und ich heute Nachricht erhielt, daß T(ante) Maria in Darmst(adt) gestern Abend sanft und doch noch ziemlich plötzlich gestorben ist, morgen Nachmittag ist schon die Beerdigung. Die Feier für Herrn B(ornemann)4 war erst Sonntag, es sei recht feierlich gewesen. Alex war da und Willy hat gut geredet. Tante Emma liegt heute zu Bett, hat aber nichts auf sich. M(utter)

 

11. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen, 22.9.1897

Lieber Carl,

also darum hattest Du Sonntag so schön Zeit, weil Du einen Schnupfen hattest? Ein Wunder ist es nicht bei dem schauderhaften Wetter. Zwei ganze Tage konnte man keinen Moment vor die Thüre! Auch hier! Heute scheint eine wäßrige Sonne. Meine Karte, die Dir Tantchens Tod meldet wirst Du erhalten haben. Am Samstag trat eine Änderung ein, sie hatte heftige Leibschmerzen und war zeitweilig irre. Jedoch scheinen sie es nicht bedrohlich gefunden zu haben, denn Minni wurde erst Montag soeben telegraphiert, kam leider eine halbe Stunde zu

spät! Tante war bis kurz vorher bei Bewußtsein, sprach mit allen freundlich, auch mit den Helmerdörfers und verschied plötzlich ganz sanft. Line und Marielle waren dabei. Warum die Beerdigung noch früher als 48 Stunden, weiß ich nicht. Ferdi ist dienstlich verhindert, hat wirklich schwer zu arbeiten, ich kann Else nicht verlassen, und so werden Alex, Emma und Frida uns vertreten! Ich schickte eine Palme für Euch: von den Kindern Onkel Carls und Minni. Diese schrieb mir schon selbst so rührend!- Tante Emma war schon in Locarno recht unwohl und hatte starkes Erbrechen. Auch hier noch, doch geht’s heute besser und ist sie wieder auf, sitzt in Fridas Zimmer.

Über Deine (unleserlich)Laufschonung möchte ich Manches sagen, aber zu solchen langen schriftlichen Ergüssen fehlt mir jede Zeit. Wir versparen es auf später, ich stimme nicht ganz damit überein.

Einliegend der Ausschnitt aus dem GeneralAnzeiger.- Frida ist sehr erholt. Ihr erstes Liebes-abenteuer – zum Glück einseitig, – erzählen wir Dir mündlich. Sie war immer sehr erstaunt, daß sich überhaupt Jemand in sie verlieben könnte und noch mehr, daß Andere das Interesse früher schon bemerkt und sie absolut nicht. Sie wäre nach Heidelberg gekommen, in glänzen-de Verhältnisse. Nur wirst Du’s schon wissen? Ich schreib nicht gern dem Manne. Der Mann war ihr nicht verliebt (?) genug, sie fühlte nichts für ihn und hätte den Pantoffel gehütet. Das wollte sie nicht!


Ein Kutschenunfall anno 1897 in Gelnhausen


12. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen, 27.9.1897

Lieber Carl,

Ich freute mich sehr Dich gesund zu wissen, kann mir denken, wie Du mich wegen des Namens ausgelacht hast. Na, es war ja auch im 2ten Brief mehr Scherz. Ich und wir alle genießen Rehbocks Hiersein sehr, besonders da uns neben den alten Freundinnen mit den Männern auch ganz herrliche Herbsttage endlich beglücken. So machte ich vorgestern eine herrliche Fahrt über Eidegesäß mit Rehbocks und gestern fuhren die andern, Ferdi mit Alex im Dogcarr mit Lucullus, der plötzlich einen sehr unangenehmen Rückfall in die Unzuver-lässigkeit bekam. In Großerhausen trennten sich zum Glück die Wagen, so daß die zart-besaiteten Damen dann aus dem Weg waren, als Lucullus vor Berbach vor einem Kreide-haufen (?) scheute und urplötzlich den Boden verlor und mitsamt Allem 5 à 6 mètres tief herunter in einen Graben sauste. Das Wasser darin linderte zum Glück die Wucht. Alex stand sofort wieder auf den Füßen und befreite Ferdinand , auf dem der Kopf des Pferdes lag, das zwar aus einer Kopfwunde blutete, aber doch sonst heilgeblieben war. Einige Kinder riefen die gerade versammelte Feuerwehr zu Hülfe, und während Alex losschirrte, hielt Ferdi mal 20 Min(uten) den Kopf des Pferdes, damit es nicht losschlug und nicht im Wasser erstickte. Mit Hilfe (von) 7 Männern kam es auch wieder hoch und nur der Wagen ging in Trümmer.- Du kannst Dir unsere Angst denken, als sie immer nicht kamen und die Dunkelheit hereinbrach.- Endlich! Ein Viertel nach 8 (Uhr) führte Alex Lucullus an unserem Louciarposten (?) vorüber nach dem Stall, es waren angstvolle Minuten bis Ferdi mit einem Veloziped erschien, – er führte es , denn zum Fahren war er doch zu angegriffen, Beide sehen sehr elend aus und waren ganz naß, – wir ließen den Doktor wegen der Wunde kommen, der sie desinfizierte und uns vollkommen beruhigte. – Beide Herren hatten guten Appetit, – und Ferdi ist um ½ 7 Uhr wieder nach Hanau, Alex nach Frankfurt.- Else, – die nicht alles so genau erfuhr, – hatte sich doch auch recht aufgeregt und sie und Ferdi hatten schlechte Nacht, um ½ 1 (Uhr nachts!) kam auch noch ein dienstliches Telegramm!

Samstag hatten Emma und Frida die geschwisterliche Liebe früh ½ 7 (Uhr) nach Frankfurt zu Fahren, um Alex’ Rede zu hören und amüsierten sich höchlich ihn so ernst und würdevoll zu sehen. Es lief für ihn gut ab, während der Lateiner bös und wiederholt stecken blieb. Als Alex ging mußte er doch sein Frätzchen den Schwestern machen! Der vorher dünne Chor wurde dann sehr gut durch ihn und schließlich nahm er dann noch die Huldigungen eines Chores von Müttern entgegen, worüber Emma sich noch totlachte. – Frida kam ganz vergeistert (?) wieder, hatte einen argen Darmkrankheitsanfall (?) und legte sich um 2 Uhr ins Bett,, konnte aber um 6 Uhr ihre Suppe essen und ihre Singstunde nehmen, d.h. sie sang uns sehr schön vor, Onkel ist sehr befriedigt über ihre schönen Fortschritte.

Eben gingen sie wieder, Frl. Scharfer, Onkel und Frida! – Es war nett von Dir mir den Brief Lasinius’(?) zu schicken, er interessierte und erfreute mich sehr, es ist ein nettes Freund-schaftsverhältnis zwischen ihm und Frida. Ein 2tes Abenteuer hat sie übrigens nicht erlebt, das war ein Mißverständnis. – Das Geld werde ich pünktlich senden lassen. Viele Grüße von Allen. Treu D(eine) M(utter).

 

13. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen, 3.10.1897

Lieber Carl,

Ich schreibe Dir noch schnell vor der Kirche und sende Dir die wichtigsten Familiennachrichten, – kannst Dir denken wie ich mich für Alex freue. Sonst ist’s hier sehr still geworden, Rehbocks fuhren um ½ 11 Uhr nach Hamburg, wo heute die Taufe bei Hübners ist, morgen fahren sie nach Amsterdam zurück. Sie bedauern sehr, Dich nicht zu sehen, haben mir aber die frohe Aussicht eröffnet, uns in Bordighera zu besuchen. Am Ende reisen sie gar weiter mit. Wir hatten sehr gemütliche Tage und auch viel Fröhlichkeit. Onkel war so frisch wie nie und Tante erholte sich sehr rasch und genoß wirklich auch sehr die Ruhe und die vielen lieben Menschen hier, namentlich hatte Onkel Spaß an Fridas Gesang. Ernst traf am Mittwoch ein und gestern um ½ 4 fuhren Alle ab. Elisabeth die zurückblieb, heulte furchtbar und machte großen Sturm (?), so daß die Zwillinge ganz bedrückt wurden und Lilli auch heulte. An Lola glitt alles ab. Sie sagte nur immer strahlend: „Ich gehe nach Heidelberg.“ Gertrud ist seit Dienstag hier und Frida angenehm, heute kommt Ferdi Müllenhoff um 12 Uhr. Eine sehr große Freude ist mir noch geworden durch einen sehr guten Bericht von Onk(el) Heinr(ich), dessen Geschäft einen plötzlichen Aufschwung genommen hat durch die vielen Regen, denen ich so besorgt zusah. Dadurch können viele gute Sorten Getreide nicht versandt werden, die er billig bekommt und dabei ist das Mehl gestiegen. Auch hat Tinchen Hoffnungen. – Daß Du nur so kurz hier sein kannst, ist mir ja schmerzlich, aber Du hast sehr recht die Gelegenheit auszunützen. – Emma Bergmann schrieb aus Chislehurst, Kent um Deine Adresse. Sie hat die früher gesandte verloren, und andererseits British Museum, lud Dich früher ein und erhielt keine Antwort. – Ferdi ist immer todmüde wenn er Abends heimkommt. Die Parzellen haben sich auf 25.000 erhöht. Er arbeitet in 6 Kommissionen.

Leb wohl! Herzliche Grüße. Deine M(utter).


Geburt von Julie Beate Becker gen. Ully 7.10.18975


14. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen 12.10.1897

Lieber Carl,

Es geht hier sehr gut weiter, Else nährt aber selbst und Ully, d.h. Julie befindet sich sehr wohl, ist ein niedliches Baby. Sonst heißt’s noch Beate, Emma (nach Tante) Dora und Louise (nach Frl. von Leibitz).

Therese Schwartz besucht mich Freitag, sie lobte sehr Papas Bild und fand es sehr ähnlich: sie legte Rosen auf sein Grab und war sehr herzlich.

Gestern aßen Elise und Marie mit uns und nach Tisch ging Gertrude, Ferdinande geht morgen. Dann bekomme ich mal etwas mehr Zeit.

Herzlichst D(eine) Mutter.

 

15. Julie Becker an Sohn C.H.B. Gelnhausen, 19.10.1897

Lieber Carl,

Deinen Brief vom 17ten, 18 Uhr erhielt ich soeben und werde Deine Aufträge besorgen. Da Nachschicken nicht geht, so habe ich von inliegenden Briefen die Kouverts abgenommen, sie aber nicht gelesen, nur gesehen, daß der eine von Schön ist, der auch Paletot schickte. Ernst Schöffer habe ich geantwortet, er schrieb allerdings über seine Pläne, thut mir sehr leid, daß er so schlecht aussieht. Deinen Paletot in Frankfurt werde ich Freitag nachsehen und ihn sicher besorgen.

Ich wollte schon gestern nach Frankfurt, wir hatten aber einen kleinen Schrecken mit Else und so kam ich nicht hin. Sie bekam des Morgens Fieber 39(°C) und das stieg auf 40°, es kam von einer Entzündung in der Brust, Fachmer (?der Arzt) war sehr unglücklich und dachte sich gleich das schlimmste. – Grade war auch Dr. Mumm zu seinem Sohn gereist und kam erst Abends wieder, Huter macht Examen und hat einen sehr jungen Vertreter und Beckmann genierte sich zu kommen. Gott sei Dank ist es heute Abend besser, heute früh waren (es) noch 39°, aber heute Abend 37,5°.

Wir sind sehr erleichtert. Die kleine Ully ist brav, verträgt die Kuhmilch, mit der sie sich einige Tage begnügen muß.

Nelly Chaillet hat sich verlobt mit einem Gutsbesitzer, der 5 Kinder von 14 – 5 Jahren hat, aber sehr vermögend ist und dessen Familie schon einige hundert Jahre das Gut Stickelkamp besitzt. Nelly soll nun als guter Geist über dem ganzen schweben. Sie ist sehr glücklich, sie lieben sich und passen sehr zusammen. Ihr ödes Dasein hat nun Zweck und Freude bekommen. Ihren Brief habe ich den Schwestern geschickt, der ostfriesische Name muß erst noch auswendig gelernt werden!

Den Tod der alten Frau Steinmetz in Amsterdam habe ich Dir glaube ich schon gemeldet.- Alex hat sich glänzend gerechtfertigt, er schickte einen Brief am 1sten Oktober, der ihm am 15ten wieder zugegangen war, wegen verstümmelter Adresse. Er ist sehr vergnügt, sein heutiger Brief hat nur allzu viel Stalljargon. Du wirst sie später hier lesen, sie gehen zu Emma und besonders Neues steht nicht drin. Wir haben wunderbares Wetter, genießen sehr die offenen Fenster.

Sei herzlich gegrüßt! Treu Deine Mutter.

Noch viel Vergnügen, lieber Junge und halte Dich gesund. Alle grüßen Dich, auch Rehbocks. Deine tr(eue) M(utter)

 

16. Julie Becker an Sohn Carl aus Bellagio, Comer See. 12.4.1898

Lieber Carl,

Deine Karte klang ein wenig ungnädig, aber Deine Depesche mußte doch erst unsere Ankunft abwarten und da war es uns zu spät, noch an den ersten Ort zu telegraphieren. Frage auch im Grand Hôtel noch nach, jedenfalls schrieb ich eine Karte hin. Ich schrieb Dir von Sorrent Brief vorher nach Messina, denke Du erhieltst ihn auch. Ich saß dort ziemlich langweilig, die Zimmer liegen alle nach Norden und haben tief eingebaute schmale Fenster, so daß man nur ganz vorne und auf den zahlreichen Altanen die Aussicht genießt. Da der Wind oft recht heftig war, blieb ich meist in einer Glasveranda sitzen und sprach mit Niemand. Sorrent ist nicht geeignet zu längerem Aufenthalt, doch wurde nach einigen Tagen meine Erkältung besser.

Ully’chens Zustand drückte auch schwer auf mich, Ferdis haben viel durchgemacht und Blumensteins fanden das Kind miserabel und die Eltern abgemagert, sie hatten geraten, einen Hals- & Ohrenarzt zu consultieren, Emil behielt das Telegramm 4 Tage in der Tasche und dann war der Mann in Ferien gereist. Nun nahmen sie einen Frankfurter, der die beiden Trommelfelle durchstach, ohne Erfolg. Endlich trat sehr langsam Besserung ein, und gestern Abend meldeten sie, daß Gefahr ganz vorüber sei!

Der Weg von Sorrent nach Neapel ist nicht so schön, daß Ihr nicht besser zur See ginget, – doch kommt dieser Wind mal zu spät.

Nach Capri hatte unser Bötchen absolute Windstille, aber so aufgeregte See, daß fast alle seekrank wurden. Onkel (Erich? Unleserlich) beschränkte sich auf gelb-grün zu werden, Frida wurde schon im Boot elend und in die Blaue Grotte fuhren nur die beherztesten, kamen nicht hinein, nachdem zwei Damen pudelnaß geworden und eine andere sich das ganze Gesicht blau gestoßen hatte. Das Schiff muß dabei richtig geschwankt haben und Frida will nie wieder auf die See. Auf Capri hat’s ihr aber doch gefallen, meint hier auf den Bergen sei es ansehnlich. Auch in die Grotte kann sie am nächsten Morgen und ohne Seekrankheit nach Hause.. Tantchens Magen hat sich aber noch nicht ganz erholt. In Neapel war wieder Sirocco bei herrlichster Abendbeleuchtung, und am nächsten Tag sahen wir zum ersten Mal den Vesuv ganz frei und mit prächtiger Rauchsäule. Frida hatte selbst keine Lust hinauf, war doch noch angegriffen und wir Alle waren heilsfroh darüber. Die Reise nach Florenz war arg anstrengend, schlechte Wagen und alles besetzt. Durch große Grobheit Onkels blieb wenigstens der 6te Platz (im Durchgangswagen) frei. In Rom gerade Zeit, einige Bücher (?) zu kaufen und weiter gar nichts. In Mailand 3ter Stock, Alles besetzt, aber schöne Zimmer, vom Dom herrlichsten Eindruck, Galerie geschlossen, Abends hier hoch entzückt nach reizvoller Fahrt. Gestern brillanter Tag und heute aufklärend nach Ganither (?) in der Frühe. Hier genießen wir sehr, keine Sorge mehr und so nahe der Heimat! Wir werden wohl Sonntag nach Heidelberg kommen, Freitag sind wir in Straßburg, wohlmöglich Mittwoch Hanau und Donnerstag Gelnh(ausen). Conrad Schöffer hat Stelle in Frankfurt selbst gefunden: Technische Papier-handlung von Arndt & Trost. Carl (Schöffer?) hat sich mit einer Erzieherin in Hamburg, wahrscheinlich mittellos, verlobt. Sie ist 26 Jahre, er kannte sie schon früher.- Conrad war mit Alex in Heidelberg an Ostern.- Deine Depesche erhielt ich eben mit Freuden, kann keine genaue Adresse vor Straßburg angeben. Herzlichen Gruß von D(einer) M(utter)

 

17. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen, 25.6.1898

Lieber Carl,

ich glaubte jeder Tag sei mir nunmehr gleich bei dem Schmerz, der…niemals vergehen wird, – aber der Geburtstag mit seiner Flut lieber und ernster Erinnerungen hat doch noch in besonderem Macht. Alles aufgewühlt, mehr Sehnsuchtsschmerz, mehr Trennungsweh erzeugt, aber viel Liebe hat mich nun beglückt auf’s Neue ins volle Leben hineingetragen, der mir noch so viel Frohes gewährt.

Dein lieber Brief war mir eine große Freude, ich fühlte mich von Dir verstanden und sah, daß auch Du Ähnliches innerlich durchzumachen hattest, aber Dich auch wieder der Pflicht in der Freude des Daseins genommen hast.- Früh am Morgen zogen wir Alle hinaus, Frida hatte einen schönen grünen Doppelkranz um das Postament geschlungen, das Grab war mit Rosen besteckt und viele Kränze legten wir nieder. Ich blieb dann noch länger in stillerem Versun-kensein mit Emma und Frida zurück, die beiden letzten Geburtstage standen ernst in jeder Stunde vor unserer Seele. Nun lebe ich wieder in dem Liebesgefühl, das ordentlich Anfeue-rungskraft in sich hat, – ich fühle mich oft weniger getrennt! – Nachmittags legte noch Ferdi-nand mit mir seinen Kranz nieder, auch Blumensteins gingen wieder hin.

Line Maurer ist nun mit Emma für drei Tage bei Fr. Kuchen in Heidelb(erg) (beim?) Arzt.- Ully’chen hatte wieder ein Mal Fieber, war aber bald vorbei.- Sonntag besuchte ich H(errn) Metzler, es lief gut ab, obgleich das Wetter schwankend, – er war ganz paff über Fridas Gesang und Stimme, – er behauptete wieder, Vaters Bild sei gar nicht ähnlich! – war aber sonst sehr liebenswürdig. Er hat es gar zu traurig und verlassen zu Hause und fühlte sich hier sehr wohl.- Wir haben viel schönes Wetter, aber es ist zu kühl zum draußen sitzen. Für Euch und Alex … viele Grüße von Willy. Eure treue Mutter

 

18. Julie Becker an Sohn Alex. Gelnhausen, 2.7.1898

Lieber Alex,

ich wollte Dir gestern die rechte Willekarte (?) nicht mit der Nachricht verderben, daß Hektor grade gestern vom Leben zum Tode gebracht wurde. Wir haben alles versucht, Ferdi stets mit Hoffnung, ich ohne eine solche. Er war dreimal in Sprendlingen, die Hufen waren wirklich gut geworden, dagegen war er gefühlloser geworden. Noch einmal gab ich Einwilligung zu einer gründlichen Kur mit Doctorskosten, – Alles erfolglos, so wurde er denn gestern in Gegenwart von Heinrich in Offenbach geschlachtet, es war sehr schnell und schmerzlos vorüber. Freude am Leben konnte er nicht mehr haben, da Rheumatismus Schmerzen macht. Ferdi war noch ein Mal sehr traurig, – mir tat’s ja auch leid. Alles wäre längst vergessen und 500 bis 600 Mark gespart, hätte man sich im Herbst entschlossen. Nun haben wir zwei Pferde (im Hofe) von gleichem Temperament, sie laufen gut, der neue hält den Kopf zu sehr aus-wärts und (röchelt?) zuweilen, der 2te ist der gute vom vorigen Jahr. Ernsts Pferd ist hier ein-gefahren worden und macht sich gut. Ferdis Lucullus ist zweispännig sicher und kann dann das andere von mir gut allein fahren. Mitte Juli werden wir dann nur zwei Pferde haben, – wenn Ferdi nicht hier ist, habe ich davon genug. Ich schrieb an Lautzius Beringa, ob er mir vielleicht zu zwei guten eigenen verhelfen könne, dann hätte ich vier, bis die neuen eingefahren sind, da ich dreimonatliche Kündigung habe.- Heinrich sollte Dienstag seine Übung antreten, dafür hatten wir Ernsts Burschen bestellt, mit einem Mal kommt er zum allgemeinen Kummer als überzählig zurück. Besonders Anton war traurig und ließ ihn auch den ganzen Dienstag, – an dem gerade viel zu tun war, – nicht auf den Bock. Rutthardt habe ich dann auf dringende Fürsprache auch behalten, er soll sich nützlich machen, wo er kann. Arbeit findet sich ja immer.- Schultheiß, der, wie ich Dir wohl schrieb, wegen eines Tritts auf die Brust von einem fremden Pferd 8 Tage zu Bett und 14 Tage ganz dienstunfähig war, tut nun seine Arbeit wieder, der Kuhstall und das Hühnerhaus sind neu angestrichen und endlich ist auch der letzte Rest des Rumzuges(?) verschwunden, in dem das Schulzimmer mit dem Rest von allerhand Möbeln sehr gemütlich, – von mir zusammengestoppelt möbliert ist, – so selbst, daß Emma absolut hineinziehen wollte.- Gestern ist nun auch die arme Ernestine in Alten Hasslau erlöst worden, Ernst fährt bereits morgen hin, ich gehe morgen.

Weißt Du eigentlich, daß ich die Gelnh(äuser) Jagd gepachtet habe für 2/3 mit Carl Alments 1/3 und die Rötzner allein, natürlich auf Namen von Ferdi und Ernst? Flegel hat die Stadt uns oktroyiert und da er schlapp ist, wurde noch der Dachdecker Hemey engagiert, jeder für 150 Mark, zus(ammen) Kostenpunkt 1200 Mark für 12 Jahre. Vorläufig ist sie so abgeschossen, daß geschont werden muß. Bert schoß 38 Stück Hochwild voriges Jahr! – Erst ließ sie Ferdi sich entgehen, aber durch geschickte Manipulationen erhielt er sie doch. Das kannst Du mündlich hören.

Wie Du aus Früherem siehst, wird Ferdi seinen Dienst am 1. August antreten und sich vorher 14 Tage trainieren. Eben vertritt er den Landrat, was ihm Spaß macht, aber Arbeit und Zeit kostet. Hier sind eben noch die beiden Hoffs, Mlle Bost und früh kommt Line Maurer wieder, sie war schon 14 Tage hier, ging dann zurück wegen Adolf Helmsdörfer, der allein war, da Ferdinande und Gertr(ude) nach Kiel in Holstein auf 6 Wochen sind. Adolf reiste gestern für die Ferien nach Paris und nun wäre Line allein, so kommt sie noch zu uns. Tante Anna aus Liegnitz kommt am 8ten, Emma Bergmann am 15ten, letztere für 4 Wochen. Adolf Geißler ist nicht in Sicht, es liegen Briefe für ihn da. – Blumensteins wollen Montag in die Schweiz auf 14 Tage. Emma war vorige Woche in Heidelberg um Zahnangelegenheiten, die nun in Ordnung sind. Frau Buhl schrieb ihr ab, weil sie an Influenza litt, nun logierte sie bei Frau Kuchen, besuchte aber Frau Buhl und steckte sich an. Sie legte sich nun auch einige Tage ins Bett und hoffte, so schnell genug davon zu kommen. – Die arme Dora plagt sich noch immer ohne Fräulein, 6 Uhr auf, 9 Uhr ins Bett. Ich bin froh, wenn sie glücklich in Sonbord (unleser-lich) ist, sie muß nur das Hausmädchen mitnehmen und hat wieder keine Stütze. Diesen Bericht kannst Du Carl schicken, damit er auch Hectors Ende erfährt. Herzlichen Gruß Deine M(utter).

 

19. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen, 18.7.1898

Lieber Carl,

Ich wollte Alex nun doch dazu bringen, mir regelmäßig am Sonntag eine Karte zu schreiben. Ich freue mich stets sehr über die Deine, es genügt mir aber vollständig, wo mich so viele Kinder und Enkel umgeben, ich weiß doch auch sicher, daß Du meiner gedenkst, was mir von Alex mehr wie zweifelhaft ist, nicht ein Mal den Empfang von Geld zeigt er an und seit er am 1sten auf flüchtiger Karte den Unteroffizier meldete, weiß ich nichts von ihm. Das fürchterliche Unglück im Regiment muß ihn doch erschüttert haben, – so was hätte auch ihm gesche-hen können, er schrieb aber doch nicht, obgleich ich ihn Sonntag vor 8 Tagen dazu auffor-derte. Meinen Brief an ihn vom 29sten hast Du hoffentlich bekommen? Ich legte förmliches Kouvert ein. – Dora schrieb ausführlich sehr beglückt von Bansin, schade, daß sie es dort nicht besser getroffen hat. Der kühle Sommer ist ja sonst wohl günstiger für Berlin.

Heute ist der 4te schöne Tag nach endlosem Regen, d.h. nur einen Tag konnte man nicht heraus, sonst war’s zum Gehen angenehm morgens und abends. Vorigen Montag trafen die beiden Tanten ein, Anna und Ottilie, mit Marie, es war sehr nett. Tante Anna ist nun noch hier mit Heinrich, der Conrad gestern brachte. Er hat sich etwas gespart und sein Papa gab ihm 50 Mark zu, da ging er zu Conrad nach Heidelberg und hierher. Er ist sehr lang geworden, macht einen bescheidenen, sehr anständigen Eindruck, ist aber sehr auffallend blaß. Ich hoffe doch, Deine Ermahnungen haben Frucht getragen? Conrad sah auch schlecht aus, fühlt sich aber wohl und ist vergnügt. Tante Anna nimmt mich mehr in Anspruch wie andere Gäste, es ist aber sehr gut, daß ich sie ausführlich sprach, bevor Onkel kommt, der noch in München und Umgegend ist. – Ernst ist schon seit gestern in Galgenhumor, weil er morgen fort muß. Er thut uns allen sehr leid, er spielt(e) heute an seinem Geburtstag doch sehr vergnügt mit seinen Kindern und baut mit ihnen unter den Linden ganz Wilhelmshöhe in den Sandhaufen. Emma Bergmann ist gestern gleichzeitig mit den beiden Schöffers von zwei Seiten eingetroffen. Sie war drei Wochen in England und hat sich sehr erholt und ist wieder so lieb und sympathisch wie früher. Das junge Ehepaar Huisken ist auch in Sicht, hoffentlich kommt er nicht grade nächsten Sonntag. – Die Großmutter von Else ist gestern von ihrem Leiden erlöst worden, Ferdi kommt aber nicht hin. – Von Anna Jansen sind die Berichte gut, sie hat in einer Woche 4 Pfund zugenommen, da dies der Zweck ist, hofft man das Beste.

Der König von Württemberg hat mir eine Salonphotographie zugeschickt mit eigenhändiger Unterschrift und dahinter 1866-98 und auch durch Herrn von Reden versichern lassen, er erinnere sich mit größtem Interesse der Zeit bei uns und der genossenen Gastfreundschaft.- So hat er doch seine Schuld eingelöst nach einem vollen Menschenalter.

Grüße Willy herzlich. Ich erwarte morgen oder übermorgen Geld und werde Dir senden.

Treu D(eine) Mutter.

 

20. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen.9.8.1898

Lieber Carl,

als Du nicht nach Rathenow gekommen bist, hat mir eine Karte von Dir völlig genügt. Daß die ersten Tage nicht schön waren, hatte ich mir schon gedacht. Dora scheinst Du auf der Durchreise nicht gesehen zu haben, ich freue mich für sie des schlechten Wetters, das tröstet doch sehr. Für uns ist es schade und für die Erndten darf es nicht lange dauern. Von Tag zu Tag warte ich auf wichtige Nachrichten – sie bleiben aus. Es fällt mir schwer nicht kribbelig zu werden. Die n(…unleserlich) ist von Alex, heute war ich besonders enttäuscht, da ich auf Sonntag hoffte, ich will ihm heute dann doch Mal wieder ins Gewissen reden; die andere ist wegen des Hauses, da es so lange dauert, fürchte ich nun, es ist wieder nichts. Ferdi war gleich Donnerstag bei Morck, der ihm auch schließlich den Reflektanten nannte, ein Banquier Hahn, Bruder der Frankfurter, der Millionär ist aber in Homburg zur Kur. Abgesprochen wurde, daß er’s zeigen solle und Ferdi ließ durchblicken, daß wir bis 310 (000 RM) herunter gehen wollten. Vorläufig hatten sie 250.000 (Reichsmark) ungesehen geboten. Na, es wird ja mal wieder nichts sein.

Else ist denn nun doch glücklich Samstag fort. Die Kleine ist wieder wohl, aber natürlich zurückgegangen. – Willy Jansen war 2 Tage da, mit Anna geht’s noch langsam, doch werden sie nun wenigstens eine Einsamkeit zu Zweien haben in Oosterbeck. Anna muß täglich trotzdem zur Heilgymnastik. Höre ich etwas Interessantes schreibe ich wieder. Grüße Rudi und wenn seine Eltern hier sind, soll er auch einmal kommen. – Du mußt es mir wegen Deines anderen Besuchs einrichten.

Treu Deine M(utter)

PS. Emma und Frida waren Beide etwas angegriffen von der Badischen Krankheit, die dort epidemisch … ist, doch sind sie wieder wohl. (ergänzende Klammer unleserlich)

 

21. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen 15.8.1898

Lieber Carl,

Diesmal erhielt ich schon gestern Deine Karte, von Alex noch immer nichts. Ernst und Ferdi und Adolf Helund (?) waren über Nacht hier, dazu fallen wir Familienesser mit der Witteck und aßen in der Hitze in 2 Zimmern, der Saal war zu heiß und nach Westen war es schön kühl. Sehr besorgt waren wir wegen Ully, die seit Freitag hohes Fieber hatte das sich trotz Einpackung auf 40.5° gestern Mittag steigerte. Wir schickten nach Frankfurt um gewisse Fieberpulver zu holen, die sie um 10 und um4 (Uhr) Mittags bekam. Zu dieser Zeit war die Temperatur noch immer 39.3°. Heute früh ist sie fieberfrei und ganz munter und war ich erfreut dies telegraphisch den Eltern melden zu können. Else wollte Donnerstag zurück sein, kommt aber nun wohl früher, man konnte es ihr nicht verschweigen und wegen des Sonntags scheint sie wohl heute erst Alles auf ein Mal zu hören. Ferdi hat rührend mit gepflegt, das Meiste tat Emma.

Ernst und Ferdi und ich theilten uns gegenseitig unsere Besorgnisse wegen Alex mit. Ernst … hatte die Sache noch nicht halb erfahren. Beide wundern sich über Hans, daß er nichts gethan hat. Ich hatte ihm auch wieder geschrieben, heute antwortet er darauf. Die Übung für vorige Woche war abbestellt worden, Hans meint es fiele auf wenn er hinginge, er wollte mit Bode in Berlin Zusammenkunft, scheint gescheitert zu sein! – Ich habe tolle Angst, daß es Alex aufs Gemüth geschlagen ist. Sein Wille scheint jedenfalls lahmgelegt, da er auf meinen sehr dringenden Brief vom Dienstag auch wieder nichts sagt. Ob sie ihn auch aus dem Unterricht heraus gethan? Das wäre doch zu entsetzlich. Wenn er nur nicht wieder etwas Dummes ge-macht hat in seinem deprimierten Zustand. Fahre Du nun bitte doch bald hin. Gott gebe, daß noch nichts passiert ist! Die Angst um den Jungen steigert sich mit jedem Tag!

Treu D(eine) M(utter)

 

22. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen,16.8.1898

Lieber Carl,

schon der Anblick Deines Briefes verhieß mir Nachricht von Alex, und ich kann Dir nicht sagen welch Glücksgefühl mich nach Kenntnisnahme des Inhalts durchströmte. Ein entsetz-licher Druck ist von mir genommen, – der Junge ist doch gesund, nicht aus dem Unterricht, für immer gebrandmarkt!- So fern (unleserlich) er bleibt, wenn er nicht in seinem geliebten Reg(iment) bleiben darf, so könnte es doch noch schlimmer sein und die erhaltene Lehre wird hoffentlich einen bleibenden Eindruck auf ihn machen, daß er erst überlegt, ehe er handelt, und diese Erfahrung wird ihn für fernerhin stets an den richtigen Takt mahnen.- Geschrieben hat er noch immer nicht, – aber man vergißt ja nur zu leicht; wenn man wieder schlafen und ohne Druck leben kann.

Ullys Besserung hält stand, Else ließ sich darauf hin noch einen Tag fallen.

Treu, Du treuer Jung, – Deine Mutter

 


 Aus einem Brief der Mutter Becker6 an ihren Sohn Bernhard (+1837)

So wird man am Ende allein stehen, bis man denn wieder den früher Heimgegangenen die Hände reicht und später auch die Seinigen ausstreckt, um die Zurückgelassenen in Empfang zu nehmen.

22. Juni 1821 – 1897

Du kamst am Sommermorgen,
Durch Mutterkuß geweckt,
An Mutterbrust geborgen,
In diese Zeitlichkeit.

Nun, – da am Lebensende
Den Geist schon Dämmerung deckt,
Die Mutter treue Hände
Dem Sohn entgegenstreckt!

Du Letzter all der Meinen
Ich warte Dein, brich auf!
Du hast vollbracht den reinen,
Den arbeitsreichen Lauf.

Wie mich mit süßen Klängen
Dein kindlich Lied ergötzt,
In meiner Seele Eingang
Stimm ein, mein Sohn, auch jetzt!

Womit ich rang vergebens,
Der Sorg und Schulden Last,
Das Bittre meines Lebens
Du mild gesühnet hast.
Die Hand, die kühn entschlossen,
Mir war sie unverdrossen
Zum Geben aufgetan.

Du stilltest viele Zähren
Von Not und Menschenleid,
Zu Perlen sie verklären
Sich in der Ewigkeit,
Hat nicht mich wundgedrückt
Der Sorgen Dornenkranz,
Sieh, wie Du nun geschmücket
Mein Haupt mit Perlenglanz.

Geh aus dem Kreis der Deinen
Nun mit getrostem Mut.
Auf Großen und auf Kleinen
Dein frommer Segen ruht.
Wenn Deine Augen brechen
Wird Frieden Dich umwehn,
Du hörst die Mutter sprechen
Das Leben war doch schön!“


 

23. Julie Becker an Sohn Carl. Gelnhausen, 23.8.1898

Lieber Carl,

Deine Sonntagskarte blieb aus! Fehlt Dir etwas? Ich bin natürlich gleich besorgt.-

Da ich sie gestern und heute erwartete, wollte ich Dir gleich die frohe Nachricht bringen, daß der Kommandeur des Reg(iments) von Zieten mit dem Offizierscorps die Sache mit Alex geregelt hat und sie ihn beim Regiment behalten wollen. Wir alle werden froh sein, wenn die Zeit herum ist, damit er nichts mehr anstellen kann. An Ermahnungen von allen Seiten hat es ihm nicht gefehlt. Er war am Sonntag in Rathenow und Hans hat sich auch versöhnen lassen.

Hier haben eben Tante Line, Louise und Ernst Hoff, Otto Michaelis (gegessen?), und Abends spielt uns Marie Becker auf dem herrlichen neuen Flügel Beethoven, und wir lauschen andächtig beim Sternenschein, ich wünsche meinen vier Soldaten und meinen armen Berliner Studenten diese abendliche Kühle, bei der man die Hitze des Tages vergißt.

Ferdi war Sonntag da und kommt wieder zu Elsens Geburtstag. Er sah die Mainzer Parade hinter dem Kaiser stehend und hörte zwei Kritiker.

Hahns (?) finden es immer noch zu heiß das Haus anzusehn … Abgesprungen sei er noch nicht.

Anna Jansen geht es aber besser, sie sei viel heiterer, ist in Osterbeck mit ihrem Mann.

Ich schrieb eben Alex zu seinem Geburtstag morgen.

Es küßt Dich Deine … Mutter

 

24. Julie Becker an Carl. Gelnhausen, 13.9.1900 (Brief V)

Lieber Carl,

Deine Briefe sind bis jetzt alltäglich eingetroffen, gestern drei auf ein Mal und des Morgens die Karte an Frida. Ich war sehr erstaunt, daß Du schon wieder in Madrid warst, doch erklärte es dann Dein Brief. Heute früh erhielt ich Briefkarte vom 10. Nach und nach geht die Verbindung, wie es scheint, besser. Ich freue mich riesig, daß Du wohl, vergnügt und gesund bist. Hoffe auch bald zu hören, daß die Arbeit sich auch lohnen wird. Willy ist bang, daß Du fleißig bist, all den ungehobenen Schätzen gegenüber. Ein Glück, daß man Dich nur 5 Stunden zuläßt.

Willy hat auch recht Pech, er schrieb mir von seinem neuen bösen Karfunkel, das ihm so zu schaffen machte. Ich denke eben viel an ihn, durch Rudi, der mir gestern, als wir uns zufällig zu einsamen Spaziergang zusammenfanden, viel erzählte, was man alles zum Examen wissen muß. Es gibt Knochen im Gehirn, die 75 Ecken und Löcher haben, alle mit Namen versehen, die man nennen muß. Rudi ist gerade heute angekommen, er studiert eifrig in Deinem Studierzimmer, schläft aber gut, ißt ordentlich, ist Nachmittags um 5 (Uhr) zu allem zu haben. Vorgestern waren Rehbocks von 11 bis 5 Uhr hier, die erzählten mir von W. Hegeners Verlobung, was zwischendurch allerhand Hoffnungen durchkreuzt, die Eltern aber sind sehr zufrieden, da die Familie eine vornehme holländische ist. Vermögen war früher groß, es wurde aber größtenteils verloren. Das Mädchen ist elegant und hübsch, nur ein Jahr jünger als er. Auch Theodor wurde als er in Landvoort war, mal von ihnen als Mann geplant, er aber hielt sich sehr reserviert, Und Du, Carlchen, eine Spanierin bringst Du mir nicht mit, gelt? Wäre nicht mein Wunsch.

Rehbocks entführten uns die Jugend, es war am Abend Zauberflöte und wurde ich auch gleich sehr bearbeitet und erteilte ich die Erlaubnis, Rehbocks spendierten das Nachtessen.

(Schlußblatt fehlt) (Mutter)

 

25. Julie Becker an ihre Kinder. Gelnhausen, 21.8.1906

Meine lieben Kinder,

das Herannahen des heutigen Tages hat mich schon lange bewegt und nun ist er wirklich da mit seiner Flut von Gedanken und Erinnerungen! Vor 50 Jahren stand ich als junge Braut am Altar , den so heiß Geliebten zur Seite, die grüne Myrthe im Haar, die Welt und Zukunft vor mir im Sonnenglanz, aber auch den festen Vorsatz und die heiße Bitte im Herzen den Mann dessen Wahl mich so stolz gemacht, so glücklich zu machen, wie es mit allen meinen Kräften nur möglich sein würde!

Dann kam der Tag, heute vor 25 Jahren, wo die grüne Myrthe gefeiert wurde und mit Dank und großer Freude sahen wir beide auf den lang versagten Segen unverhofft auf sechs blühende Kinder und genossen die Liebe von Geschwistern, Verwandten und Freunden, die sich so überraschend kund gab.

Alles was wir nicht zu hoffen gewagt, das geschah,- nach 16 Jahren ungetrübter Gemeinschaft wurden uns vergönnt, liebe Schwiegersöhne, eine vierte Tochter, liebliche Enkel erhöhten unser Glück, und als dann endlich die schwere Trennungsstunde schlug und jede Lebens-freude für immer verdunkelt schien, da erwies sich meine Liebe zu Euch und die Eure zu mir doch mächtig genug, mir noch ein Mal wunderschöne Zeit zu gewähren. Ich genieße den Einblick in sechs wahrhaft glückliche Ehen und freue mich an der Entwicklung lieber Enkelkinder in allen Stämmen.

Wie gern laß ich alles Leid zurücktreten, das ein langes Leben Jedem bringt, – ich fühle mich nicht in trauriger, sondern in gehobener Stimmung, denn ich habe ein großes Los gezogen und wenn auch allein im Leibe noch, so doch im Geist verbunden mit den Vorangegangenen, freue ich mich diesen Tag zu erleben, der mir ein Feiertag seliger Erinnerung und tief emp-fundener Dankbarkeit sein soll.

Es ist daher mein Wunsch, auch Euch, liebe Kinder, eine Freude zu bereiten und ein Andenken zu überreichen an den 21sten August, der für mich so große Bedeutung gewann, eine stete Erinnerung beim Tragen an den Vater, dem Spender der edlen Steine, als wie ein Symbol seiner sich niemals genug tuenden Liebe und an die Mutter, die sie über 37 Jahre getragen hat und sich heute freut, daß sie für Alle reichen und auch ihr noch ein Andenken bleibt.

Nehmt die Gabe hin mit meinem warmen Dank für Alles was Ihr mir gewesen, was Ihr mir seid und noch sein werdet und mit meinem und des Vaters Segen für Euch und Eure Kinder, denen Gott Erfüllung geben wolle!

Amen.-

***

26. Julie Becker an Sohn Carl. Frankfurt/Main, 19.11.1916

Lieber Carl,

Ich möchte Dir heute nur mitteilen, daß ich die Sache mit den Banken geordnet habe und die Sache Ferdinand mitgeteilt habe. Die Fassung ist ein bißchen verschieden, da beide Banken meinen Text etwas veränderten. Die Frankfurter schreibt, sie nähme Notiz davon, daß ich beiden Söhnen Vollmacht gegeben über mein Guthaben Jeder allein zu verfügen und Jeder allein über das Vermögen, wenn der Andere nicht zu erreichen sei. In diesem Fall gälte für sie die Mitteilung des Einen, daß dieser Fall eingetreten sei.

Die Filiale fand das zu riskiert und gab ihre Einwilligung unter der Bedingung, daß ich Jedem über Beides die Vollmacht erteilte. Ich machte damit keine Schwierigkeit. Ihr werdet Euch schon verständigen, da natürlich immer Einer nur die Teilung haben kann, damit es kein Durcheinander gibt. Jeder wird gern über das Vermögen lieber nur die halbe Verantwortung

tragen.

Gestern kam eine wahre Freudenbotschaft. Hans schrieb mir, daß er die Kais(erliche) Bot-schaft bekommen habe, daß er nun doch noch kommandierender General7 werden soll und zwar in der Heimat bei einem stellvertretenden Kommando. Wo? Und wann ist noch unbe-kannt, jedenfalls aber bald. Könnt Euch denken, wie glücklich Dora ist. Aber Weiteres können sie erst beschließen, wenn sie wissen wohin. Auch Hans schrieb sehr befriedigt, denn im Krieg sei dies ein sehr wichtiger einflußreicher Posten, aber der Abschied von der Division tue ihm leid. Sonst nichts neues. Herzlichen Gruß Mutter.


1 Theo Riedel war Marineoffizier; während des Spanischen Bürgerkrieges war er als Kapitän mehrmals dort zur Unterstützung General Francos. Selbstmord 1939.

2 Zu dieser Zeit fanden die üblichen Herbstmanöver statt; Großvater Ferdinand mußte als junger Assessor in Hanau die Flurschäden regulieren und war deshalb bei der Geburt Ullys nicht in Gelnhausen.

3 Sie meint wohl gemütsvoll o.ä.

4 Wilhelm Bornemann war Frankfurter Stadtschulrat, Sohn Willy ein Schul- und Studienfreund Carls. Zum ersten Todestage wurde ihm in der Stadt von Freunden ein Denkmal gesetzt. Willy, cand.med., sagte lt. Pressenotiz, „das ihm gewidmete Denkmal werde ihnen stets eine ernste Mahnung sein, in den Fußstapfen des Verstorbenen zu wandeln im Dienste und zum Wohle der Menschheit.“

5 Julie ist die Mutter des Herausgebers.

6 Amalie Becker geb. Schmincke, aus Carlshafen an der Weser

7 Hans Riedel wurde Generalleutnant.