Willy Bornemann

HA.VI. Rep.92. Becker B. Nr.7920 (Willy Bornemann 1910-1930)

104. C.H.B. an Dr. Willy Bornemann, Frankfurt, Zeil 72 Hamburg (?), 22.10.1910

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Lieber Willy!

Du bist zwar ein hartnäckiger Schweiger, aber wenn man etwas von Dir will, muß man Dir trotzdem wieder schreiben. Bitte sei so freundlich und bestelle mir denselben schönen Turnapparat, den Du unserem Walter geschenkt hast, für mein Patenkind Joachim Becker, Arndt-str.25. Veranlasse bitte, daß er in meinem Auftrage dorthin geschickt wird und daß mir gleichzeitig hierher die Rechnung zugeht. Ein kleines Briefchen lege ich bei.

Hoffentlich geht es Allen so gut wie bei uns; die Photographien wirst Du wohl erhalten haben.

Herzlichst Dein alter (C.H.B.)

 

105. C.H.B. an Willy Bornemann. Hamburg, 29.12.1910

Maschinenkopie

Lieber Willy!

Zu Weihnachten haben wir gegenseitig ohne viel Worte unserer beiden Söhne gedacht, und ich hoffe, daß der Trambahnwagen Carl soviel Freude gemacht hat, wie Walter das Pilzbuch, mit dem Du gerade eine Liebhaberei von ihm getroffen hast. Stinkpilz ist seitdem ein Lieb-lingswort bei uns geworden. Nimm jedenfalls vielen Dank für die beiden Geschenke.

Punkt 2 meines Briefes betrifft den Jahreswechsel, zu dem Hedwig und ich Duttan und Dir alles Gute wünschen. Möge Euch Euer Kleiner auch im folgenden Jahre so viel Freude bereiten und Ihr selbst so glücklich und befriedigt Euer Leben genießen, wie bisher.

Ich freue mich, Dich in wenigen Wochen wiederzusehen. Am 25. Januar halte ich in Frankfurt und zwar im Verein für Geographie und Statistik einen Vortrag über die Araber in Spanien. Es wäre nett, wenn Du hinkommen könntest. Ich glaube, Du hast mich noch nie sprechen hören. Es wird allerdings diesmal eine milde Plauderei, da das gebildete Frankfurt nicht ohne Lichtbilder auskommen konnte. Ich fahre dann von Frankfurt weiter nach Metz, Saarbrücken und Neunkirchen, wo ich über sympathischere Dinge Vorträge halten werde. Dann gehe ich für 14 Tage nach Hamburg zurück, um hier am 20. Februar über Marseille nach Ägypten zu fahren, wo ich ohne Frau zwei Monate verbringen will.

Alles Nähere mündlich und damit Prosit Neujahr!

Von Herzen Dein alter (C.H.B.)

 

106. Willy Bornemann an C.H.B. o.O. (Frankfurt/M?), 31.12.1910

Lieber Carl!

Herzlichsten Dank für Deine lieben Zeilen und auch in Carlchens Namen für den prächtigen Trompetenwagen (? Schlecht leserlich) , mit dem Du ihm eine riesige Freude gemacht hast. Für alles was fährt, ist er begeistert, und so konntest Du ihm gar nichts Erwählteres schenken, als jetzt einen Wagen.

Wir hatten recht unruhige Weihnachten und zwar infolge der Verlobung meiner Schwester. Es kam sehr plötzlich 10 Tage vor Weihnachten, wird erst in den nächsten Tagen öffentlich. Der Bräutigam Carl Barthet ist ein sehr netter Mensch, Inhaber der Ferien-Lampen, aber eigentlich ein besserer Schneider, was man ihm aber durchaus nicht anmerkt. Vielleicht er-innerst Du Dich seiner von der alten Schule her, obwohl er 5 Jahre jünger war als wir. In

pekuniärer Beziehung ist die Partie eine sehr gute, und da Emmy durch ihre reichen Freundin-nen recht verwöhnt war, wird sie den vielen Mammon schon anzuwenden wissen. Vielleicht noch besser als der Bräutigam gefällt mir dessen noch ledige Schwester, so gut, daß ich Tutten schon eifersüchtig gemacht habe. Auch der Vater (die Mutter ist tot) macht einen gemütlichen guten Eindruck.

Meine Mutter ist natürlich froh darüber, daß sie Emmy glücklich versorgt weiß. Ich hoffe, sie wird sich nun selbst etwas mehr (Ruhe? Weggelocht) gönnen, nachdem sie eingesehen, daß sie mit all ihrer Plackerei es doch nicht zu Ergebnissen hat bringen können, die im Vergleich zu den Lampen respektive Barthet’schen Mammon irgend in Betracht käme.

Uns in der Fürstenhofstraße geht es gut.- Wir freuen uns sehr auf Dein Herkommen am 25.1. Ich wünschte, ich könnte auch mal aus meiner Tretmühle heraus. Alle Tage immer mehr Krankheit mit ansehen müssen, ist ein bißchen reichlich viel. Man gewöhnt sich aber auch daran.

Mit den herzlichsten Neujahrswünschen von Haus zu Haus Dein aller Willy.

 

107. C.H.B. an Willy Bornemann. O.O. (Hamburg?), 11.1.1911

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Lieber Willy!

Ich habe Dir schon geschrieben, daß ich am 25. Januar in Frankfurt einen Vortrag halte. Da ich annehme, daß Du nicht Mitglied des Vereins für Geographie und Statistik bist und da Einzel-karten nicht ausgegeben werden, schicke ich Dir anbei zwei Karten, die Du im Verhinderungsfalle weitergeben kannst.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

108. C.H.B. an Frau Bornemann, Frankfurt. Bonn, 8.12.1914

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Liebe Frau Bornemann!

Diesmal habe ich wirklich den 4.Dezember vergessen, obwohl er doch in meinem Kalender wie jedes Jahr rot angestrichen war. Was werden Sie von mir gedacht haben? Ich hoffe, Sie haben es auf Konto des Krieges gesetzt, der uns ja allerdings etwas aus dem normalen Leben herausreißt. Ich hatte den Kopf so voll und reiste außerdem gerade in diesen Tagen zum Besuch meiner Schwester Riedel nach Magdeburg, daß ich es wirklich vergaß, Ihnen zu gratulieren. Lassen Sie es mich es heute nachholen und Ihnen in dankbarer Treue meine herzlichsten Glück- und Segenswünsche aussprechen. Meine Frau schließt sich mir natürlich aufs Herzlichste an.

Von uns kann ich im allgemeinen nur Gutes berichten. Zwar ist unsere Hertha zur Zeit an Mumms erkrankt; aber dafür geht es den Anderen gut. Sorge hatten wir eigentlich nur wegen meiner Mutter, die plötzlich fiebrige Verdauungsstörung bekam und stark abfiel, was in ihrem Alter doch immerhin bedenklich ist. Jetzt scheint sie es wieder überwunden zu haben.

Von unseren Verwandten im Felde haben wir bisher gute Nachricht. Mein Bruder Alex steht sogar noch in Hannover. Der Bruder meiner Frau ist durch einen Zufall bayerischer Nachrichten-Offizier bei meinem Schwager Riedel geworden, der in der Gegend von Arras die preußische Nachbar-Division führt. Zwei Söhne meines Schwester stehen in Rußland, einer ist auf einem Kriegsschiff. Bisher ist alles gut gegangen.

Aber sonst hat sich der Kreis der Freunde doch sehr gelichtet, und auch habe manchen verloren, der mir nahe stand. Leider bin ich selbst verdammt, still zu Hause zu sitzen, doch habe ich mich bemüht, wenigstens mit der Feder mein Teil beizusteuern. Auch hoffe ich, da noch einiges leisten zu können. Es ist eben auch ein geistiger Kampf, der jetzt tobt. Gottlob dürfen wir ja guten Mutes in die Zukunft sehen. Die neuesten Ereignisse in Rußland scheinen ja sehr günstig zu sein.

Mit herzlichen Grüßen an Ihre Kinder – ich denke auch oft daran, wie es Hans ergehen mag – bin ich in alter Freundschaft Ihr getreuer (C.H.B.)

 

109. C.H.B. an Willy Bornemann. Bonn, 24.12.1914

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Mein lieber Willy!

Zu Weihnachten und dem neuen Jahre möchte ich Deiner Frau und Dir sowie meinem lieben Patenjungen einen herzlichen Gruß senden. Ich habe in diesen ernsten Zeiten von dem üblichen Weihnachtsgeschenk Abstand genommen, da ich nicht etwas kaufen will, was Ihr vielleicht Eurem Jungen von Euch aus schenken wollt. Auch bekommt er vielleicht zu Weihnach-ten schon soviel sonst, daß es richtiger ist, das Geschenk zu kapitalisieren. Ich lege Dir deshalb M(ark) 20,- ein mit der Bitte, sie nach Belieben für Euren Carl zu verwenden. Ich habe gar nichts dagegen, wenn Ihr sie in seine Sparkasse legt.

Von uns kann ich im allgemeinen nur Gutes melden. Wir sind zwar mit allerlei Krankheiten und Dienstbotenärger reichlich bedacht gewesen, aber was bedeutet das in diesem Jahr, wo rings um einen herum die fallen, die einem nahe stehen. Unseren engeren Familien ist es zwar bisher gut ergangen. So sind sämtliche Riedels seit dem ersten Mobilmachungstag draußen, ebenso mein Schwager Fritz, ohne daß bisher was passiert wäre. Dafür hat sich der Freundes-kreis um so mehr gelichtet, und gestern bekam ich die Nachricht von dem Tode meines treuen Schülers und Assistenten Graefe. Jahrelang habe ich in Hamburg mit ihm zusammen gearbeitet, und nun ist er bereits zwei Monate lang tot, ohne daß Eltern und Braut es wußten. Gleichzeitig starb hier Professor Sell, der uns ein väterlicher Freund geworden war und schon mei-nen Bruder Ferdinand wie dann unseren Jüngsten1 getauft hatte. Gottlob lauten die Nachrichten aus Gelnhausen wieder günstig. Eine Zeit lang hatten wir große Sorge um die Mutter, da sie ganz schwere Verdauungsstörungen mit starkem Kräfteverfall bekam. Nun scheint sie wieder hoch zu sein. Aber immerhin lastet doch all das viele Traurige auf dem diesmaligen Weihnachtsfest, und man muß sich etwas zusammenreißen, um für seine Kinder die nötige Freude zusammen zu bringen. Unser Jüngster wird diesmal den Christbaum zum ersten mal mit einem gewissen Bewußtsein erleben. Er läuft jetzt sehr nett an einer Hand, und man kann schon die Anfänge einer Unterhaltung mit ihm bewerkstelligen.

Von Deiner lieben Mutter hatte ich neulich einen rührenden Brief. Danke ihr bitte vielmals für

ihre freundlichen Berichte. Hoffentlich seid Ihr über Hans beruhigt. Ich wünsche Euch allen ein gutes Fest und ein gutes neues Jahr, das uns hoffentlich einen Frieden in Ehren bringt.

Es wird Dich noch interessieren zu hören, daß Fischler als Zivilarzt den Bonner Universitäts-Lazarettzug führt und vor einigen Wochen mit nach Frankreich abgefahren ist. Die Schwierig-keit seiner Situation wurde durch den Ausbruch des Krieges ungeheuer gesteigert. Die Lösung ist eine vortreffliche. Er ist sehr erholt und war mit wiederbeginnender Arbeit ganz der Alte. Walter Groß sitzt in Antwerpen und hat nichts zu tun, worüber er kräftig schimpft. Sehr ulkig ist auch, daß mein Schwager Fritz als bayerischer Nachrichten-Offizier zum Stabe meines Schwagers Riedel, der die Nachbar-Division führt, kommandiert ist.

Ich will am 1.Januar nach Gelnhausen, dann über Berlin nach Hamburg. Ob ich Dich auf der Durchreise sehe, weiß ich noch nicht. Dann aber wird sich wohl um den 28. Gelegenheit zu einem Wiedersehn bieten.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus, ein gesegnetes Fest und ein gutes neues Jahr! (C.H.B.)

 

110. C.H.B. an seinen Patenjungen Karl Bornemann. Bonn, 22.12.1915

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Mein lieber Karl!

Zu Weihnachten sende ich Dir und Deinen Eltern unsere herzlichsten Grüße. Ich habe mir lange überlegt, was ich Dir Schönes zu Weihnachten schenken könnte; aber ich habe Dir schließlich nichts geschickt, weil ich befürchtete, Du fändest vielleicht das Gleiche unter dem Weihnachtsbaum. So sende ich Dir erliegend 20 M; davon kannst Du Dir irgendeine Freude machen, oder Du kannst sie in Deine Sparkasse tun, wie es Dir Deine Eltern raten. Als Dein Vater und ich noch klein waren, da war es immer eine große Sache, wenn Dein Vater zu Weihnachten von seinem Patenonkel 20 M geschickt bekam, und ich habe mich oft mit ihm gefreut, wie glücklich er über dieses Geld war. Nun bin ich Dein Patenonkel, und da möchte

(Schlußblatt fehlt)

 

111. C.H.B. an Frau Bornemann. Bonn, 29.5.1916

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Liebe Frau Bornemann!

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundlichen Zeilen und weiß, daß Sie mit mütterlicher Teilnahme an der neuen Wendung meines Schicksals2 innerlich beteiligt sind. Es war mir eine große Wohltat, den bedeutungsvollen Schritt, noch ehe er öffentlich wurde, mit Willy besprechen zu können. Mittlerweile wird er ja in der Öffentlichkeit bereits sehr diskutiert, und es freut mich eine gute Presse zu finden. Hoffentlich erfülle ich alle die Wünsche, die man in mich setzt, und hoffentlich hält auch meine Gesundheit durch. Ich hätte mir diese Entwick-lung nie träumen lassen; man soll aber zugreifen, wenn einen das Schicksal vor eine große Aufgabe stellt. Und so wage ich es. Allen denen aber, die wie Sie so herzlichen Anteil nehmen, bin ich aufrichtig dankbar.

In alter Freundschaft Ihr Sie dankbar verehrender (C.H.B.)

 

112. C.H.B. an Willy Bornemann, Frankfurt, Leerbachstraße 18. Berlin, 19.2.1920

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Mein lieber Willy,

Zu Deinem Geburtstag sende ich Dir meine innigsten Glückwünsche. Als kleines äußeres Zeichen füge ich ein Exemplar meiner letzten Schrift bei, die ja vielleicht nicht in allen Punkten Deine Zustimmung finden wird, mit der Du aber im großen Ganzen doch einverstanden sein wirst.

Dankbar gedenke ich des herzerquickenden Abends, den ich mit meinem Freunde Wende bei Euch verbringen durfte. Ich bin Dir und Deiner lieben Frau wirklich von ganzem Herzen dafür verpflichtet, daß Ihr mich bei meinen zahlreichen Besuchen immer wieder mit der gleichen Herzlichkeit aufnehmt, obwohl unsere Gastfreundschaft in den letzten Jahren so eine ausschließlich einseitige geworden ist und ich immer nur der empfangende Teil bin. Niemals verlasse ich Eure Wohnung ohne das lebhafte Bedauern, daß uns das Leben örtlich so weit auseinandergebracht hat. Unsere gemeinsam verbrachte Jugend und unsere innere Entwick-lung aneinander bilden für uns beide einen unveräußerlichen Besitz, und wenn ich an Deinem Tische sitze, versinken die 20 Jahre, die zwischen unserm gemeinsamen Leben und der Gegenwart liegen, in einem Meer des Vergessens. Besonders dankbar bin ich auch Deiner lieben Frau, die mit unvergleichlichem Verständnis unser altes Verhältnis vertieft und bereichert hat. Diesmal hatte ich mir vorgenommen, noch einmal besonders zu Euch zu kommen, um etwas mehr Fühlung mit Carl zu bekommen; aber leider mußte ich meinen Plan ändern. Nach sehr anstrengenden Tagen in Marburg und Frankfurt – beide Veranstaltungen aber von Erfolg begleitet – war ich so müde, daß ich mich 8 Tage in Gelnhausen ganz ruhig verhielt und bei der Rückreise nur wenige Stunden in Frankfurt zur Regelung einiger dienstlicher Angelegenheiten mich aufhielt. Besonders lieb war mir, daß Du bei dieser Gelegenheit auch meinen Freund Wende kennen gelernt hast. Je weniger wir imstande sind, eine tägliche körperliche und geistige Gemeinschaft aufrecht zu erhalten, um so wichtiger ist es mir, daß Du die Menschen kennst, die jeweils mit mir in dieser Gemeinschaft stehen. Wende ist nicht nur mein Nachfolger und – wenn ich so sagen darf – mein Schüler, sondern er steht mir aus dieser gemeinsamen Arbeit heraus ganz außerordentlich nahe. So haben wir denn die ruhigen 8 Tage in Geln-hausen bei guter Verpflegung, auf wenige heizbare Zimmer beschränkt, sehr genossen. Inzwischen hat die Alltagsarbeit uns wieder überflutet, und Marburg, Frankfurt und Gelnhausen liegen wie ein schöner Traum hinter uns.

Hier schlagen wir uns mit Parlament und Staatsministerium herum und kämpfen mit anderen Ministerien um die neue Besoldungsordnung. Jeder Tag bringt sein Neues. Aber manchmal bäumt es sich in mir auf gegen das Zuviel an Arbeit, das auf mir lastet. Als ich gestern abend nach 3 ½ stündiger ununterbrochener Arbeit den letzten Aktendeckel zuklappte, war ich wirklich etwas ärgerlich. Und doch, wohin soll es führen, wenn wir nicht bis zur letzten Kraft unsere Pflicht tun? Darin allein findet man ja auch einen Trost gegenüber den immer schwie-riger werdenden Verhältnissen. Es ist interessant zu beobachten, daß die Gebildeten zunächst die geistige Spannkraft zur Arbeit wiedererlangt haben. Hoffentlich folgen auch die handar-beitenden Volksgenossen uns nach. In diesem Sinne habe ich mich heute morgen einem sehr interessierten Ausländer gegenüber äußern können. Willy Hepner, dessen Du Dich entsinnen wirst, brachte mir den früheren englischen Minister Trevelyan, der, wie du Dich vielleicht erinnerst, als Mitglied der Labour Party bei Kriegsbeginn mit Jone Burns und Morley aus dem Kabinett austrat. Es ist ein famoser Mann, der nach besten Kräften Deutschland helfen möchte.

Über Willy Hepner, der sich sehr deutschfreundlich benommen hat, fällt mir Wilhelm Trendelenburg ein, für den Du Dich ja früher gelegentlich interessiert hast. Er hat vor nicht ganz einem Jahre plötzlich seine Frau verloren und hat sich jetzt wieder mit einer Schülerin verlobt, da er eine Mutter für seine 7 Kinder braucht. Er hat mindestens 10 Rufe gehabt und ist zur Zeit Ordinarius in Tübingen.

So, nun muß ich aber zu meiner Arbeit zurück. Nimm diese Zeilen als Zeichen treuen freundschaftlichen Gedenkens.

Mit allen guten Wünschen für Dich und die Deinen (C.H.B.)

 

113. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 23.8.1920

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Lieber Willy,

Ich bin zum Schuljubiläum in Frankfurt, wohne im Hotel Baseler Hof von Donnerstag früh an, besichtige an diesem Vormittag u.a. die Musterschule, wo es mir Spaß machen würde, zufällig in Karls Klasse zu kommen. Ich muß mich darin allerdings der Führung des Direktors überlassen. Zu Mittag esse ich bei Alex, nachmittags halte ich mir frei. Vielleicht könnte ich Euch einmal kurz begrüßen; ich werde Alexens telegraphieren, im Näheres zu verabreden. Abends möchte ich an dem Begrüßungsabend im Zoologischen Garten teilnehmen. Eventuell könnte ich am Freitag bei Euch zu Tisch sein, nach Schluß des Aktes in der Paulskirche. Nachmittags will ich an dem Kaffee am Forsthaus einnehmen und um 6 Uhr dann wieder nach Gelnhausen fahren.

Wir haben nichts voneinander gehört, und ich würde mich riesig freuen, Euch wiederzusehen. Karls Geburtstag habe ich natürlich schmählich vergessen. Er soll mir das nicht übelnehmen. Ich freue mich dafür um so mehr, ihm meinen Glückwunsch jetzt persönlich bringen zu können.

In alter Freundschaft Dein (C.H.B.)

 

114. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 15.12.1920

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Lieber Willy,

Ich fand immer keine Zeit zum Schreiben; deshalb telegraphierte ich Dir heute, daß wir am Sonntag sehr auf Euch rechnen. Da nun von Frankfurt neuerdings am Sonntag mehrere Züge

fahren, muß ich wissen, wann und wo Ihr ankommt. Je nach der Menge Eures Gepäcks könnten wir das erst nach dem Hotel besorgen. Jedenfalls fahren wir dann 20 Minuten zu uns heraus und könnten dort noch 1 bis 1 ½ Stunden gemütlich zusammen sein. Ich lasse dann das Auto warten, so daß ihr dann bequem ins Hotel zurückfahren könnt. (C.H.B.)

 

115. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 22.2.1921

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Lieber Willy,

Hoffentlich ist Walters Brief zu Deinem Geburtstag rechtzeitig angekommen. Ich hatte mich auf die Erinnerung beschränkt und auf ein treues Gedenken und komme mit meinem schriftlichen Glückwunsch nun wohl etwas spät. Aber ich möchte Dir doch auch ein direktes Zeichen herzlichen Miterlebens zukommen lassen. Zugleich bitte ich Dich, meinen Freund Carl um Entschuldigung dafür zu bitten, daß ich den versprochenen Historiker von Weihnachten immer noch nicht geschickt habe. Aber die Situation ist buchstäblich die, daß ich niemals um eine Zeit, da die Läden noch oder schon offen sind, in Steglitz anwesend bin, wo ich bei unserm dortigen Buchhändler seiner Zeit das Universum gekauft und dann gleich zum Austausch zurückgegeben habe. Ich möchte aber gern selbst für Carl etwas aussuchen und hatte an Bismarcks ‚Gedanken und Erinnerungen’ oder so etwas Ähnliches gedacht. Leider weiß ich ja aber gar nicht, was er alles schon besitzt. Sollte er also einen diesbezüglichen Wunsch haben, wäre es mir natürlich sehr angenehm, ihn zu erfahren.

Wir stehen hier stark in Spannung, ob uns die Wahlen3 einen neuen Kurs im Ministerium bringen werden. Merkwürdigerweise ist die Entwicklung der extremen Parteien nicht ganz so schlimm wie erwartet. Es würde aber eine ganz andere und zwar viel gesündere Situation geschaffen, wenn die Deutsche Volkspartei doppelt so stark wie die Deutschnationalen wäre. Letztere werden durch ihre radikalen Schreier auch in ihren vernünftigen Mitgliedern aus-geschaltet, während Deutsche Volkspartei, Zentrum und Sozialdemokratie eine sehr trag-fähige Regierung bedeuten würden. Wir müssen uns doch im Augenblick ganz unter den

Primat der auswärtigen Politik beugen, aber leider gibt es wenige Leute in Deutschland, die wirklich politisch denken können. Da Minister Haenisch durch Liebäugeln mit dem Bürgertum sich bei seinen eigenen Genossen sehr stark kompromittiert hat, ist nicht sicher, daß er wieder zum Minister gemacht wird. Das kann dazu führen, daß wir einen noch links stehen-deren Sozialisten als Minister bekommen oder aber, daß das Ministerium überhaupt an einen Bürgerlichen fällt. Beides halte ich im Augenblick noch für einen Fehler. (C.H.B.)

 

116. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 10.3.1921

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Lieber Willy,

Ich habe Walter versprochen, Dir auf Deine Anfrage wegen des Patengeschenkes zur Konfirmation zu antworten, da ich alle derartigen Anfragen beantwortet habe und mir Mühe gebe, für Walther eine schöne Bibliothek bei dieser Gelegenheit zusammenzubringen. Bücher sind etwas so Teures, daß man seinen Kindern nicht mehr so viel schenken kann wie früher und man deshalb solche Anlässe wie die Konfirmation ausnutzen muß. Trotz aller Vorbe-sprechungen haben natürlich zwei Paten bereits Schillers Werke geschenkt, doch hoffe ich, das noch zu entwirren. Jedenfalls bitte ich von Schiller, Goethe, Keller, Bismarck, Treitschke absehen zu wollen.

Wie schwierig die Auswahl ist, habe ich neulich gesehen, als ich selbst zu dem gleichen Zwecke einen Buchladen aufsuchte. Ich bitte Dich freundlichst ein Werk zu wählen, das wertvoll für’s ganze Leben ist. Viel wird davon abhängen, was Du in Frankfurt bekommst. Hier ist es sehr mangelhaft bestellt. Walther hat z.Zt. stark literarische Neigung, jedenfalls vorwiegend geisteswissenschaftliche, doch liegt es Dir vielleicht mehr etwas Naturwissenschaftliches zu schenken. Ich fände jedenfalls Klassiker hübsch bis zu Storm, Hauptmann und Ibsen; es wird eben einfach davon abhängen, was Du bekommst. Ich würde auch kein Bedenken haben, zu einem gut erhaltenen antiquarischen Werk zu greifen; das wird immer noch länger halten als die modernen, auf schlechtem Papier gedruckten Ausgaben. Sehr willkommene Gaben sind natürlich auch die neueren Memoirenwerke: Nur eines möchte ich Dich bitten: schicke mir möglichst bald eine Postkarte mit der Mitteilung, was Du gewählt hast, da ich auf vielerlei Fragen antworten muß und sich sonst bei der derzeitigen Lage des Büchermarktes Doppelgeschenke nicht vermeiden lassen. Das schönste Geschenk wäre natürlich, wenn Du selber kämst; aber ich fürchte, daß wir damit kaum werden rechnen dürfen.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

117. C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 23.1.1923

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Lieber Willy!

Ich bin die Nacht vom 29. auf den 30. Januar in Frankfurt und würde gern den Abend des 29. Januar (Montag) bei Euch verbringen. Darf ich kommen? Antwort erbeten bis zum 28. d. M. nach Gelnhausen. Nachdem wir uns in diesem Sommer nur einmal kurz telephonisch gesprochen und ich mich um die Jahreswende durch brutales Schweigen in jeder Richtung hin ausgezeichnet habe, fühle ich das dringende Bedürfnis, einmal wieder ein paar Stunden gemüt-lich mit Dir, Deiner Frau und Karl zu verplaudern. Ich wäre sehr dankbar, wenn Ihr es ein-

richten könntet, mich zu empfangen. Alles nähere mündlich.

Herzlichste Grüße von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

118. Telegramm von C.H.B. an Willy Bornemann. Berlin, 21.2.1929

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Gedenke des heutigen Tages mit innigen Wünschen in alter Freundschaft. Carl

***

Carl Heinrich Becker.

 

119. Nachruf auf Willy Bornemann. Februar 1930

Er war 13 Jahre alt, als ich ihn kennen lernte. Wir waren Klassenkameraden, dann Verbin-dungsbrüder, vor allem Freunde, vom ersten Tage an. Seine Jugend war auch meine Jugend.

Überschlank, fast zart gebaut, blond, blauäugig, mit frischen Farben, zurückhaltend u(nd) doch zutraulich, klug, aber nie sich vordrängend, besaß er von Natur das Charisma, daß jedermann ihn gerne hatte.

In Kreuznach, wo sein Vater Schulaufsichtsbeamter war, am 21.2.1877 geboren, kam er 1890 durch die Berufung des Vaters zum Stadtschulrat nach Frankfurt/Main, die Stadt, in der sich später auch sein Mannesleben abspielen sollte. Schon auf dem alten städt(ischen) Gymnasium in der Junghopstraße (?Unleserlich) zeigte sich sein Wesen von der gleich sympathischen Seite, wie es nachher im Rupertenkreise und später in der Praxis des Berufes allgemein in Erscheinung trat. Vom Vater, der Westfale war, hatte er die Charakterfestigkeit und die Schweigsamkeit; er war nie der Mann der Worte oder der Formulierungen, aber er besaß eine kritische, ja ironische Art gegenüber jedem Übertriebenem, jedem Gefühlsüberschwang, jedem blinden Optimismus. Er war kritisch und hart gegenüber sich selbst. Nicht als ob ihm Weichheit fremd gewesen wäre. Von seiner temperamentvollen, feinfühligen Mutter, die einer alten rheinischen Familie entstammte, hatte er eine seltene Gefühlslebendigkeit ererbt, die aber bei ihm durch das kritische Erbteil von Vatersseite gebändigt war. So kam es, daß er sich selbst sehr bescheiden, ja zu bescheiden einschätzte, was in Zeiten nervöser Belastung, z.B. vor dem Examen sich bis zu Minderwertigkeitsgefühlen steigern konnte. Dabei war er gewiß kein Hypochonder; niemand konnte, namentlich in jungen Jahren, so ausgelassen, so rheinisch fröhlich sein wie er. Als er im Sommersemester 1895 Ruperte wurde, war er ein geradezu idealer Fuchs und keine leichte Aufgabe für seinen Leitburschen, dem leider allzufrüh heimgegangenen A.H.Weichsel, der ihn auch zur Verbindung gebracht hatte, oder für einen Fuchsmajor bei der damals noch streng geübten Commentpraxis. Obwohl er der Verbindung nur als CK (?)beigetreten war, genoß er eine so große Beliebtheit, schon nach 2 Semestern in den RC (?) berufen wurde und hier jahrelang eine aus Vernunft und früh geborene Vermittlerrolle gespielt hat. Seine Güte ließ ihn alles verstehen, seine Vernunft lehrte ihn Eingreifen oder Laufenlassen, wie es die Umstände erforderten. So konnte er der Freund vieler, allen ein guter Kamerad sein.

Aus dieser Hülfsbereitschaft erklärt sich auch seine Berufswahl. Er studierte Medizin und zwar 5 Semester in Heidelberg, dann 2 Semester in Berlin und dann bis zum Staatsexamen (24.3.1901) wieder in Heidelberg. Es war nicht das Naturwissenschaftlich-Technische, das ihn zur Medizin zog, es war das Menschliche. Nicht durch Worte oder Lehre, sondern durch Handeln helfen, das entsprach seiner Natur. Da er zeitlebens an einem nervösen Herzen litt, konnte er nicht daran denken, praktischer Arzt zu werden, aber auch Neigung trieb ihn zur Spezialisierung; daß er gerade Dermatologe wurde, war mehr eine zufällige Entwicklung, da ihm als Assistenz- und später Oberarzt am Städtischen Krankenhaus (1901-1905) bei Geheimrat Herzheimer eine ungewöhnliche Gelegenheit zu erstklassiger Spezialisierung gerade auf diesem Gebiete geboten wurde. Am 14.1.1905 promovierte er in Leipzig und am 1.4.des gleichen Jahres eröffnete er in Frankfurt seine Fachpraxis.

Es ist unmöglich, im Rahmen eines kurzen Nachrufs ein Leben zuwürdigen, das nicht in wenigen großen Geschehnissen sich auswirkte, sondern in unermüdlicher Kleinarbeit des Alltags bestand. Die Patienten suchten ihn; keiner verließ ihn dem er einmal geholfen. Die Collegen schätzten ihn wegen seines Könnens und seiner versöhnlichen Persönlichkeit, dem äußerer Ehrgeiz, ein Gelten wollen in Vereinen und auf Kongressen fernlag. Er lebte seiner Arbeit, sein Leben war ein Dienst. Die öffentlichen Dinge sah er nur von fern, manchmal mit leidenschaftlicher Kritik, aber ohne Bedürfnis zum aktiven Eingreifen. Er war eben Arzt, der über oder neben dem politischen Leben stand. Im Krieg war es ihm selbstverständlich, daß er sein Können in den Dienst der gr(oßen) vaterländ(ischen) Sache stellte. Erst in Frankfurter Lazaretten tätig, wurde er von 1916-1918 in der Etappe und schließlich auf seinen Wunsch trotz seiner zarten Gesundheit auch an der Westfront verwandt. Kurze Zeit wirkte er dabei an einem von unseren a(Aktiven?) H. Wager geleiteten Lazarett. Das Leben brachte ihn überhaupt immer wieder mit Ruperten zusammen. Eine Schicksalsfügung ließ ihn am gleichen Tage sterben, an dem auch sein Freund a.H. Robert Walde von uns schied. (12.2.1930)

Schwer lasteten auf seiner im Grunde weichen Natur die Nöte des Lebens. Sein Beruf, gerade als Dermatologe, war dazu angetan, keine allzu idealistische Auffassung des Lebens aufkom-men zu lassen. Er zog als Empiriker die Konsequenzen aus seinen Beobachtungen, war aber in seinem eigenen Leben der lebendige Gegenbeweis gegen manchmal von ihm vertretener pessimistischer Grundsätze. In seinem persönlichen Leben herrschte Reinheit, Sonne und Glück. Er durfte die erste große Liebe seines Lebens als Gattin heimführen und das Schicksal hat diese Ehe in seltener Weise gesegnet. Hier lagen die Quellen seiner Kraft im Kampf mit den dunklen Mächten eines wachsenden Pessimismus.

Und auch zwei Welten gab es, die ihm seine Freude schufen und ohne die man ihn nicht richtig versteht, die Kunst und die Natur.

Schon auf der Schule ist er gern gewandert, später hat er Italien und Sizilien, hat er Dänemark und Schweden, von wo seine Gattin stammte, kennen gelernt, aber über die Größe der ausländ(ischen) Natur hat er nie die Liebe zu Taunus und Spessart verloren. In jungen Jahren war er auch ein leidenschaftlicher Jäger, aber die Natur war ihm bei der Jagd immer das Wesentliche. Und als Spiegel der Natur empfand er die Kunst. Auf einer großen Italienreise 1898 hatte er künstlerisch sehen gelernt, seine Mittel erlaubten ihm keine großen Anschaffungen, aber im kleinen ist er ein Mäzen gewesen, an den mancher junge Künstler, dem er durch Auskünfte geholfen, heute dankbar zurückdenkt.

Als ich ihn das letzte mal sprach, war er schon sehr krank. Ich ahnte, daß es ein Abschied für immer sei. Seine Gedankenwelt war erfüllt von der Liebe zu Frau und Sohn, zu Geschwistern und Freunden und von dem ganzen Ernst strengster Berufsauffassung und tiefer, letzter Bescheidenheit. Den Frohsinn der Jugend hatte die Härte des Lebens gebrochen, aber die Vornehmheit, Güte und Selbstlosigkeit seines Charakters leuchteten durch die schweren Schatten seines nahenden Todes.

Wir wollen ihn in uns lebendig halten, er aber ruhe in Frieden. (C.H.B.)


1 Hellmut

2 Es handelt sich um die Berufung ans Preußische Kultusministerium als Hochschulreferent Frühjahr 1916.

3 Es handelt sich um Wahlen zum Preußischen Landtag.

Else Becker

HA VI. Nachl. C.H.Becker. Rep.92. Nr.6283

67. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Bonn), 2.5.1916

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Liebe Else!

Nach Bonn zurückgekehrt, ist es mir ein lebhaftes Bedürfnis, Dir und Ferdi nochmals Dank zu sagen für die reizende und wirklich erquickende Aufnahme, die ich bei Euch gefunden habe. Die gemütlichen Plauderstündchen und Spaziergänge mit Dir werden mir in unvergeßlicher Erinnerung bleiben.

Mein Vortrag ist dann schließlich noch etwas anders geworden, als ich ihn Dir skizzierte; vor allem habe ich ihn ganz anders eingeleitet, da ja gerade im richtigen Moment Kut el Amara gefallen war. Ich hatte von dem Publikum den allerangenehmsten Eindruck und war nachher noch bis 1 Uhr mit den Herren in regem Gedankenaustausch zusammen.

Die mitgebrachte Butter genieße ich sehr, und wir danken Dir nochmals für dieses schöne Geschenk. Wenn es Dir möglich ist, die 30 Dutzend Eier für uns zu beziehen, so würdest Du in uns dankbare Abnehmer finden. Der Eierbezug scheint hier in nächster Zeit sehr erschwert zu werden; um so angenehmer wäre es uns, wenn sich die Sendung bald ermöglichen ließe.

Hier fand ich alles wohl vor. Sonntag erwarten wir Tante Emma Rehbock zu Besuch.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer Schwager (CHB)

 

68. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Bonn), 10.6.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Nur schnell herzlichen Dank für Deine Karte. Die Briefe von Harry haben wir alle mit großer Freude gelesen. Emma sollte sie eigentlich mitnehmen, vergaß es aber; so sandte ich sie Dir gestern, leider nicht eingeschrieben, da sie mir auch uneingeschrieben zugegangen waren. Auch ich hatte einen sehr netten Brief von Eurem Jungen, der sich in seinen Briefen wirklich von seiner besten Seite zeigt.

Wenn Du uns 10 oder 20 Dutzend Eier schicken kannst, sind wir natürlich sehr dankbar und glücklich. Hier bekommt man auf Brotbuch auch nach vielem Bemühen bestenfalls drei Eier pro Kopf und Woche. Einfuhr ist aber gestattet, ja sogar erwünscht.

Ich sende Euch einliegend ein kleines Schriftchen, das nur als Privatdruck erscheinen kann, da die Zensur den dritten Teil gestrichen hatte und ich deshalb auf Veröffentlichung verzichten mußte. Jetzt ist es ohne Streichungen gedruckt.

Herzliche Pfingstgrüße vom ganzen Hause und vielen Dank für Deine Bemühungen.

Dein getreuer Schwager (CHB)

 

69. C.H.B. an Else Becker. o.O. (Berlin), 16.9.1927

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Herzlichen Dank für Deine Karte. Wir haben wirklich Pech mit Ferdis Besuchen. Hedwig ist noch in Gelnhausen mit den Kindern und kommt vielleicht gerade gleichzeitig mit Ferdi an. Da außerdem große Wäsche ist und Du den Zustand bei Rückkehr der Hausfrau kennst, wäre es uns lieber wenn Ferdi diesmal anderswo wohnte. Ich halte ihm aber für alle Fälle Dienstag Abend frei und erwarte ihn um 8 Uhr zum Abendessen. Wenn er in der Stadt ist, kann er ja vorher mal im Ministerium vorsprechen und evtl. mit mir herausfahren. Voraussetzung ist dabei, daß nicht noch für den Abend eine Staatsministersitzung anberaumt wird. Es geht wieder einmal so heiß zu wie in den schlimmsten Krisenzeiten. Eine Sitzung jagt die andere. Reichsschulgesetz – das sagt alles. Daneben verschwindet fast die Besolddungsordnung. Um so mehr freue ich mich auf die Ruhe des Wiedersehens bei Ferdis Jubiläum. Ich komme gern am 30. September mittags und bleibe bis zum 2. Oktober in der Früh, wenn es Euch paßt. Habt Ihr andere Gäste, wohne ich in Bremen.

Dein getreuer Schwager (CHB).

Ernst Eisenlohr (1916-1919)

HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-35)

45. C.H.B an Oberleutnant Ernst Eisenlohr. Bonn, 9.2.1916

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Du hast ewig nichts von mir gehört; aber Du weißt ja, daß es mir nicht möglich war. Seit einigen Tagen kann ich wieder aufatmen, und da will ich Dir wieder einmal gründlich von uns berichten. Zunächst einiges Persönliches: Die Kinder liegen mal wieder mit einem kleinen Schnupfenfieber zu Bett; es ist aber so bedeutungslos, daß Hedwig nach wie vor ihre morgendliche Pflege im benachbarte Stift weiterführt. Sie ist jetzt ganz dorthin übergesiedelt und vormittags auf der Babystation tätig und wacht dafür nachts nicht mehr. Ich bin sehr erfreut über diese glückliche Lösung. Es muß jetzt jeder während des Krieges irgend etwas zu tun haben, was außerhalb seiner gewöhnlichen Arbeit liegt, und dort im Stift fehlt es an Arbeitskräften, und Hedwig füllt einen wirklichen Platz aus. Dabei bereitet sie sich jetzt auf das Examen vor, wenn sie bei ihrer etwas unregelmäßigen Vorbildung zugelassen wird: doch ist ein Gesuch dafür unterwegs. Du kennst ja die ganze wunderbare Weibergeschichte, und hat sich jetzt alles in Wohlgefallen aufgelöst. Gesundheitlich geht es Hedwig vortrefflich. Mit persönlich geht es unverändert. Ich kämpfe noch immer den alten Kampf mit meiner Verdauung, bin aber recht arbeitsfähig und habe den anstrengenden Januar gut überwunden. Es war schon eine rechte Arbeit. Von Berlin hatte ich nicht viel, da ich mich gleich den ersten Abend so erkältete, daß ich den Rest der Zeit wie eine Primadonna leben mußte, das Haus nicht verließ und meine Stimme schonte, um abends sprechen zu können. Diese unfreiwillige Muße ist dafür der Vorbereitung meiner Vorträge zugute gekommen. Ich hatte die Empfindung, daß auch das Publikum mit mir zufrieden war und habe ziemlich frei von der Leber weg gesprochen, wenn auch der türkische Generalkonsul in der ersten Reihe saß. Es war aber ein verständiger Mann, wenn er sich auch bei meinem Vorredner, Philippson, gegen den Gebrauch des Wortes Armenien an Stelle von Türkisch-Kurdistan energisch zur Wehr gesetzt hat. Als ich über Verwaltung und Steuerwesen sprach, fehlte er glücklicherweise. Auch in Dresden konnte ich mich nur im Hotel und Vortragslokal aufhalten, wurde aber sehr herzlich von den Veranstaltern aufgenommen und hatte alle Satisfaktion von dieser Extratour. Ich versuchte, telefonisch etwas über Stübel zu ermitteln, doch war bei dem einzigen Stübel, dem Gesandten a.D., kein Anschluß zu erreichen.

In Dresden sprach ich vor 1000 Männern; Damen waren nicht zugelassen, und der Bruder des Königs war anwesend. Ich sprach über den türkischen Staatsgedanken: Du erhältst den Vortrag nächstens gedruckt. Es war mir eine kleine Satisfaktion, daß die Herren des Vorstandes, darunter ein ehemaliger Unterrichtsminister, sich lebhaft darüber unterhielten, welche Ausbildung ich eigentlich besitze, ob ich Philologe oder Jurist sei. Bitte nicht grinsen! Nach meiner Rückkehr mußte ich hier Hals über Kopf die Kaiserrede fertig machen, die dann programmgemäß stieg. Auf Deine Anfrage sub a und c wird Dir Hedwig antworten: sub b kann ich es wohl selber tun und Dir als Wegweiser für die Dir demnächst bevorstehende Lektüre folgende Winke geben:

Ich halte den ersten Teil für den wichtigsten, weil in ihm eine starke gedankliche Durcharbeitung bekannter Tatsachen liegt. Das Neue erkennt aber nur, wer wirklich Freude an reiner Gedankenarbeit hat. Abgesehen von einigen kleinen Lichtern ist materiell in dem ganzen Vortrag nicht viel Neues, wohl aber in der Konstruktion. In dem zweiten, sehr praktischen Teil habe ich manche Lieblingsgedanken von mir hineingelegt, doch bin ich hier zuweilen stark von dem Junge’schen Buch Die Europäisierung orientalischer Wirtschaft beeinflußt. Es ist oft schwer festzustellen, was von junge und was von mir ist, da wir uns in der Entstehungszeit seines Buches sehr oft gesprochen und gegenseitig beeinflußt haben. Der kaiserliche Rahmen bemüht sich, die unvermeidliche Banalität zu vergeistigen und ist mit Absicht auf einen ernsten Ton gestimmt. Zu Hurra-Stimmung ist es nicht die rechte Zeit.

Das ergibt auch die ganze politische Lage. Wir scheinen doch mit Amerika in einer sehr ernsten Krisis zu stehen, wenn auch die neuesten Nachrichten wieder besser lauten. Es gibt wohl überhaupt keine schlimmere Diskreditierung des republikanischen Systems als diese Verquickung von Weltkrieg und innerer amerikanischer Politik. Ich bin unbedingt dafür, daß wir bis an die Grenze des Möglichen gehen; denn ein Eingreifen Amerikas in den Krieg würde, abgesehen von der finanziellen Stärkung Englands und dem ungeheuren moralischen Eindruck, uns nicht nur drei Viertel unserer Handelsflotte kosten, sondern auch, und das scheint mir das Wichtigste, alle diese Schiffe sofort frei machen und damit die Welttonnage so erhöhen, daß die Lebensmittelpreise in England stark fallen würden. In höheren Marinekreisen ist man bei uns allerdings der Ansicht, daß ein Bruch mit Amerika nicht das Schlimmste wäre, da wir die Unterseebootwaffe jetzt so ausgebildet hätten, daß wir England wirklich von aller Zufuhr abschneiden könnten, wenn wir, ungebunden durch Amerika, torpedieren könnten. Die Unterseeboote brauchen neuerdings nicht mehr aufzutauchen um zu torpedieren. Ich halte diesen Marineoptimismus für höchst gefährlich, da sich England natürlich längst darauf eingestellt hat und mit Lebensmitteln für längere Zeit versorgt ist. Außerdem würde diese Absperrungspolitik Dänemark und Holland in die Arme Englands treiben; kurz und gut, wir hätten dann die ganze Welt gegen uns, und unsere östlichen Bundesgenossen würden zweifellos wackelig.

Sonst war in Berlin nicht viel zu hören. Der Generalstab verbreitet geflissentlich, daß im Westen und Osten mit keiner Offensive unsererseits zu rechnen ist, auch gegen Saloniki sei keine Offensive beabsichtigt. Unser Interesse liegt darin, daß Griechenland sich weiter piesacken läßt ohne loszuschlagen; denn auf welche Seite es auch treten möge, für uns bringt es immer Schaden. Man schein in Berlin mit einem Angriff von französisch-englischer Seite zu rechnen. Truppen kommen hier nach wie vor in großen Mengen durch. Unsere Westfront muß z.Z. unüberwältigbar sein. Ich höre aus sicherer Quelle, daß man einen starken militärischen Druck auf Rumänien ausübt, und daß Rumänien vollständig von unsern Bundesgenossen Truppen umstellt ist.

Über die Türkei könnte ich Dir noch mancherlei erzählen. Die Verhältnisse sind schwierig; namentlich bildet die Verproviantierungsfrage eine große Sorge. Darüber will ich Dir später einmalausführlich schreiben. Heute schicke ich Dir nur einen Brief meines bekannten Konstantinopeler Korrespondenten, der Dir ein gutes Bild von der Lage gibt. Ich bitte natürlich um sofortige Rücksendung. (C.H.B.)

 

46. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 24.2.1916

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Lieber Ernst!

Es freut mich sehr, daß Brieftasche, Tabak und der türkische Roman schnell in Deine Hände gelangt sind. Ich habe sie selbst besorgt und bitte Dich wirklich herzlich, mir die Freude zu machen, in diesem Falle die Dinge als Geschenk anzunehmen. Ich habe Dir genau die gleiche Brieftasche geschickt, die ich täglich trage, und es würde ich freuen, sie Dir geschenkt zu haben. Der Tabak war leider der letzte, der zu erlangen war. Ich schicke an so viele Leute rauchbare Dinge, daß es mir doch wirklich auch einmal erlaubt sein muß, Dir etwas zu schicken. Da ich Dich nicht mit überflüssigen Paketen bombardieren mag, warte ich ab, bis Du schreibst, was Du brauchst. Das ist entschieden brüderlich gemeint. Wenn es größere Objekte sind, wie neulich die Pistole, so lassen wir sie Dich schon bezahlen. Also geniere Dich wirklich nicht zu fordern, was Du brauchst….Teure und unpoetische Gegenstände kannst Du selber bezahlen.

Bei uns ist endlich wieder die allgemeine Gesundheit eingekehrt. Hedwig, die recht von ihrer Influenza gequält war, tut wieder regelmäßig Dienst und ist eigentlich den ganzen tag außer Haus. Sie kann es sich z.Zt. auch ruhig leisten, da alles Übrige glatt läuft. Die Kinder gehen wieder zur Schule. Ich selbst erledige allerlei Semesterschlußarbeiten und halte nächstens noch einen auswärtigen Vortrag. Am 3. März ist Semesterende, und wenn ich dann nicht eingezogen werde, so habe ich zwei Monate stiller Arbeit vor mir. Während dieser Zeit bin ich sogar frei von Vorträgen und Terminarbeiten wie seit vielen Jahren nicht. Ich möchte dann die zeit wieder einmal zu intensiver Arbeit benutzen und endlich einmal das schon so lange projektierte Handbuch der Islamkunde schreiben. Es besteht ein großes Bedürfnis danach. Die politische Arbeit, so vor allem den Druck meiner Berliner Vorträge, habe ich aus mehreren Gründen herausgeschoben:

  1. kommen eben in der Türkei so viele neue Gesetze heraus, daß in wenigen Monaten doch alles anders ist, und über vieles ist jetzt einfach keine Information erhältlich.
  2. würde die Zensur einen Abdruck meiner Vorträge so wie sie gehalten wurden und so wie sie einzig nützlich werden können doch zweifellos verhindern.

Mein Dresdener Vortrag über den türkischen Staatsgedanken ist nämlich von einem Leipziger Zensor bei der Drucklegung um ein Drittel gekürzt worden, und zwar so unsagbar töricht, daß mir alle Lust vergangen ist, so lange diese Verhältnisse bestehen, noch etwas über die Türkei zu schreiben. Ich hebe diese Blüte der Zensur sorgfältig auf, ums sie später einmal als politische Bildzeitung verwenden zu können; aber im Augenblick war es mir natürlich sehr ärgerlich, diese streng wissenschaftliche staatsrechtliche Abhandlung von irgendeinem Übertürken verschandelt zu sehen. Ich habe natürlich mein Imprimatur zurückgezogen und versuche jetzt zunächst einmal hinten herum die Sache frei zu bekommen. Es geschehen schon merkwürdige Dinge in dieser Hinsicht in Deutschland. Auch die heutigen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses lassen tief blicken. Die Behandlung der öffentlichen Meinung ist offenbar ein Talent, das den Deutschen für alle Zeiten versagt ist.

Mit ungeheurer Spannung verfolgen wir natürlich alle die offenbar jetzt beginnende Ent-scheidung an der Westfront. Der gestern gemeldete Erfolg bei Verdun scheint doch eine ganz große Sache zu sein. Hat es überhaupt im Stellungskriege schon einmal so viele Gefangene an der Westfront gegeben? Auch auf die Erfolge des U-Bootkrieges ist man natürlich sehr gespannt. Ob nun doch noch ein Konflikt mit Amerika kommt? Kein Mensch kann es wissen. Vielleicht hält Wilson den Konflikt für wünschenswert, um wiedergewählt zu werden. Was man bisher hört, läßt vermuten, daß Amerika seine Hilfestellung neben England nicht aufzu-geben beabsichtigt. Aber die Pressverfälschung geht ja jetzt so weit, daß man eben überhaupt nicht mehr glauben kann.

Hoffentlich begünstigt das Wetter die Aktionen an der Westfront. Bisher war es ja denkbar ungünstig. Bei uns ist heute alles tief verschneit, während schon seit Wochen vieles grün ist und manches geblüht hat. Die Landwirtschaft scheint allerdings noch keinen Schaden gehabt zu haben; das ist schließlich die Hauptsache.

Von meinem Schüler Ritter hatte ich einen interessanten Bericht aus Bagdad. Er war mit von der Goltz, dessen Dolmetscher und Dechiffrierer er ist, in Kermanschah in Persien, offenbar nur auf Inspektion. Dann ist der ganze Stab nach Kut-el-Amara abgereist. Leider darf er natürlich nichts Näheres schreiben, und seine Briefe sind mehr allgemeine Reisebeschreibungen als gerade Kriegsbriefe.

Endlich geschieht in Berlin jetzt etwas Energisches in Sachen türkischer Ackerbestellung und unserer künftigen gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Junge reist unter der nominellen Führung von Jäckh dieser Tage in amtlichem Auftrage nach Konstantinopel, um mit Talaat das Wirtschaftsproblem durchzusprechen. Hoffentlich merken die Türken, wie sehr wir die Absicht haben, sie zu stärken.

Der Fall von Erzurum, so bedauerlich er an sich ist, wird von vielen Seiten als für uns nicht so ungünstig angesehen, da er den Größenwahn der Türken zu dämpfen geeignet ist. Mit jedem Schritt, den die Russen weiter machen, erschwert sich ihre Lage, und die der Türken wird günstiger. Ich fürchte allerdings, daß die Unordnung der Truppen den Kanalplan beeinflussen wird. Was die Irakfront betrifft, so sah Ritter mit einiger Sorge die Engländer von Gallipoli abziehen. Sonst ist vorerst nichts Neues zu melden. (C.H.B.)

 

47. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Genesungslazarett (?) Balau bei Sedan. Bonn, 28.3.1916

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Lieber Ernst!

Freundlichen Dank für Deine Zeilen. Ich hoffe, Du beruhigst uns nicht nur, sondern es geht Dir auch wirklich gut. Du solltest Dir doch einmal ernstlich überlegen, ob Deine Gesundheit nach all den Strapazen der Tropen einen dauernden Frontdienst gestattet, oder ob es nicht im vaterländischen Interesse läge, daß Du Dich jetzt im diplomatischen Dienst statt beim Militär betätigtest. Du bist nicht so robust wie manch anderer, der äußerlich weniger kräftig ist, und es wäre doch unverantwortlich, wenn Du nur aus Eigensinn oder aus einer Überspannung des Begriffes Kameradschaft Dir einen Knacks fürs Leben holtest und nachher, wenn man Dich sehr nötig haben wird, wenn das große Reinemachen im A.A. losgeht, nicht mehr dienstfähig wärest. Mich beschäftigen diese Gedanken sehr, und ich fürchte, daß Du sie mit einem Lächeln bei Seite schiebst; aber Du solltest sie doch wirklich einmal durchdenken. Ich appelliere nicht an Deinen Egoismus – das wäre ein verlorenes Unternehmen -, sondern an Deinen nüchternen Verstand. Der Staat muß eben mit seinen besten Kräften ökonomisch vorgehen.

Von uns ist nicht viel Neues zu berichten. Ich bin ruhig bei der Arbeit und schicke Dir heute einmal eine kleine streng wissenschaftliche Arbeit, in der aber alles übersetzt ist, die Du vielleicht trotz ihrer Gelehrsamkeit in Deiner Rekonvaleszenz einen Augenblick beschäftigt. Auch ein Artikel liegt bei, der ziemlich viel abgedruckt worden ist und weite Kreise interessiert hat.

Aus der Türkei lauten die Nachrichten günstiger. Ein Brief von Ritter aus Bagdad von Mitte Februar klang sehr erfreulich, wenn auch ohne politische Details. Die Engländer sind fest eingeschlossen und können nur nicht genommen werden, weil Munition fehlt. Enver ist inzwischen in C(onstantinopel) zurück, und die Mission Mackensens ist ja wohl auch nicht ganz zwecklos. Die wirtschaftlichen Verhandlungen gehen sehr langsam voran. Zimmermann sieht die Dinge optimistisch an, wie ich über das Kultusministerium höre. Die Berlin zurück-gehaltenen Missionen reisen ab. Ein allzu starker Pessimismus ist also nicht am Platze. Man rechnet aber in Berlin mit einem eventuellen Regimewechsel in C(onstantinopel). Jedenfalls hat die Zensur die Instruktion, auch die Alttürken zu schonen. Infolgedessen kann man poli-tisch jetzt überhaupt nichts mehr über die Türkei drucken lassen. In meiner Sache hat die Oberzensur die untere Instanz gedeckt. Da Du jetzt Zeit hast, schicke ich Dir einmal diese Blüte des Militarismus . Du schickst mir vielleicht das Exemplar gelegentlich zurück; interes-sieren wird es Dich sicher. Ich versuche, es jetzt als Manuskript drucken zu lassen, um es an Interessenten zu verschicken.

Innerpolitisch scheint die Stimmung ziemlich gespannt. Wie man hier glaubt, sind die Parteien hauptsächlich so nervös und erbost wegen der Handhabung der Zensur, die weit über alles Notwendige hinausgeht. Das Vertrauen in den Reichskanzler ist in weiten Kreisen erschüttert. Ich halte zwar den Rücktritt von Tirpitz für einen Disziplinbruch schlimmster Sorte; aber man kann das Mißtrauen in den Reichskanzler seinen Kritikern doch nicht so sehr verdenken, wenn man nur die Proben seines staatsmännischen Ungeschicks, die er selber in letzter Zeit zur Bekräftigung seiner Friedensliebe vorgelegt hat, einmal näher untersucht. Er hat eben auswärtige Politik getrieben, wie ein preußischer Regierungsrat sich mit seinem Nachbarn unterhält. Trotzdem mißbillige ich die jetzige Hetze aufs Äußerste, da ein Kanzler-wechsel geradezu verhängnisvoll wäre und keiner der Scharfmacher die Verhältnisse wirklich beurteilen kann. Bei Dietrich Schäfer soll man sogar Haussuchung gehalten haben. Daß von der ganzen deutschen Presse die beiden Judenblätter Frankfurter Zeitung und Berliner Tagblatt jetzt die Hoforgane des Reichskanzlers geworden sind, ist doch nicht gerade sehr erfreulich. Dabei höre ich von einer sehr gut eingeweihten Stelle, daß man auf die Dauer zwar nicht mit einem direkten Krieg mit Amerika rechnet, aber doch annimmt, daß die Tonnagenot Amerika unter dem Druck Englands doch zwingen wird, unsere Schiffe in Beschlag zu nehmen. Die Gegner des Kanzlers sagen, daß er jetzt die gleiche Schonungspolitik betreibe wie einst in der belgischen Frage, um England zu ködern, wie dann gegen Italien und nun gegen Amerika. Der Mißerfolg des Nachgebens und Versprechens ist überall der gleiche, und kostbare Zeit geht verloren. Namentlich kommt in den nächsten Wochen die argentinische Ernte zur Versendung, die England wieder lange Zeit von der Zufuhr unabhängig machen würde. Die andere Partei ist der Meinung, daß der scharfe Unterseebootskrieg auch Holland und Dänemark unter unsere Gegner treiben würde., und das hält man wohl mit Recht für bedenklicher als eine Kriegserklärung Amerikas. Beide Standpunkte lassen sich hören: aber ich merke es an mir selber, wie schwer es ist, ohne genaue Kenntnis der Sachlage ein Urteil abzugeben. Deshalb habe ich es auch abgelehnt, mich an der Agitation zu beteiligen. Man muß nun eben einmal das Vertrauen in die leitenden Männer haben; aber gerade deshalb war der Rücktritt von Tirpitz ein so großer politischer Fehler, weil damit der Mann des Vertrauens für weite Kreise die Politik des Kanzlers offen desavouierte.

Über Fischler möge Dich einliegender Brief von ihm orientieren.1

Herzliche Grüße von uns allen. Wir wollen am 7. April auf 12 Tage nach Gelnhausen gehen, Ostern aber wieder in Bonn sein. (C.H.B.)

 

48. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 5.5.1916

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Mein lieber Ernst!

Es ist wirklich schade, daß Du brieflich so wenig ausgiebig bist. Die Mannigfaltigkeit der Briefe, die man aus dem Felde bekommt, ist wirklich erstaunlich. Um so mehr sehnt man sich nach einer mündlichen Aussprache mit Dir. Wann bekommst Du eigentlich endlich Deinen ersten Urlaub? Bisher bist Du doch nur krankheitswegen in Deutschland gewesen und hast niemals einen richtigen Urlaub gehabt. Ich habe Dir so mancherlei geschickt, über das ich gern ein Urteil von Dir gehabt hätte; aber ich habe überhaupt nichts gehört. Ich will Dich das aber nicht entgelten lassen, sondern Dir heute wieder einmal ganz allgemein von uns berichten.

Ich habe sehr anregende Tage hinter mir in Berlin, Hamburg und Bremen. In Berlin hatte man mich telegraphisch ins Kultusministerium berufen, um die Neugestaltung des Auslandsunter-richtes an den preußischen Universitäten mit dem Ministerialdirektor durchzusprechen. Zu meiner Überraschung wünschte mich dann auch der Kultusminister zu sehen, und ich konnte ihm etwa ½ Stunde meine Gedanken entwickeln, eine glatte, gewandte Persönlichkeit, die nicht unbedeutend wirkt. Ich bin ganz entschieden nicht für eine Auslandshochschule, sondern für eine Durchsäuerung des ganzen akademischen Unterrichtes mit Aufklärung über das Ausland. Es handelt sich, um mich eines Troeltsch’en Ausdruckes zu bedienen, um die sozial-ethische Struktur der fremden Völker, die wir, sehr zu unserem Schaden, bisher zu studieren unterlassen haben. In Berlin war ich dann lange mit Junge zusammen, der gerade aus Konstantinopel zurückkam und viel Interessantes zu berichten wußte. Es sind doch von deutscher Seite recht viele Fehler gemacht worden; aber man scheint langsam auf den richtigen Weg zu kommen. Junge hat nun die Sisyphosarbeit auf sich genommen, die verschiedenen Reichsämter in Berlin: inneres, äußeres, Militär und Marine zu einer einheitlichen Politik der Türkei gegenüber zu veranlassen. Bisher durchkreuzt immer ein Amt von seinem Rechtsstandpunkt aus die besten Pläne des andern. Ehe wir einen starken Willen in die Zentrale bekommen, wird es wohl damit nichts werden.

Nachdem ich von 11-5 (Uhr) im Kultusministerium gewesen war, besuchte ich dann noch Solf, der mich schriftlich um einen gelegentlichen Besuch gebeten hatte. Er wollte sich über Konstantinopel unterhalten, verriet aber eine erschreckende Unkenntnis der Dinge. Er hatte sich die türkischen Minister noch in großen Bärten, Turban und orientalischen Gewändern vorgestellt und war natürlich sehr enttäuscht, glatte Levantiner zu finden. Die Unterhaltung ergab dann schließlich nur, daß ich im Herbst in Berlin einen Vortrag halten soll, und zwar in dem geschlossenen Kreis der Deutschen Gesellschaft von 1914, ein Klub, dem alle Berliner Spitzen angehören. In der Parallelgründung in Bremen fand übrigens mein dortiger Vortrag statt, wovon ich gleich sprechen werde. Weiter wollte mich Solf gern mit Rosen zusammen-bringen, und bat er mich um zeitigere Anmeldung bei meinem nächsten Besuch in Berlin.

Ostermontag verbrachte ich dann bei Troeltsch, den ich in bester Laune und sehr glücklich über seine Berliner Stellung vorfand. Auch der kleine Troeltsch ist ein ganz netter Junge geworden. Troeltsch erzählte viel von politischen Dingen und Persönlichkeiten. Er ist durchaus nicht mehr der alte Radikale, wodurch es ja auch zum Bruch zwischen ihm und Max Weber gekommen ist, und zwar über den Fall Schneegans, den Du ja wohl kennst. Er wußte auch allerlei über die Tirpitz-Affäre, wovon ich aber lieber einmal mündlich mit Dir spreche.

Dann war ich drei Tage in Hamburg. Am 1. Tag ein improvisierte kleiner Orientalisten-kongreß, bestehend aus Littmann, Jacob, Tschudi und mir. Auch von den andern Freunden wurde ich herzlich aufgenommen, namentlich von Schubotzens. Er ist mit einer schweren

Ischias und ziemlichem Nervenknacks schon seit Monaten in Hamburg. Langsam kann er wieder etwas laufen. So reizend die Leute mit mir waren, hatte ich doch das frohe Gefühl, nicht mehr in Hamburg zu sein. Das Wetter war wonnig, an und für sich angenehmer als hier; aber es war doch einer meiner klügsten Entschlüsse meines Lebens nach Bonn zu gehen.

Nach den anstrengenden Tagen in Hamburg gönnte ich mir 24 Stunden Ruhe bei meinem Bruder Landrat und freute mich, einmal etwas in die ländlichen Verhältnisse hereinschauen zu können. Auf dem Lande ist von einem Mangel noch nirgends die Rede, wenn auch ein Landrat von vielen Unzufriedenen, die sich nicht einzurichten vermögen, überlaufen wird.

In Bremen hatte ich ein Auditorium wie noch nie. Es waren zwar nur 100-150 Leute, aber nur Männer aus der führenden Bremer Geschäftswelt, an der Spitze der regierende Bürgermeister und der Präsident des Norddeutschen Lloyd. Im Moment, da ich meinen Vortrag beginnen wollte, kam die Nachricht vom Falle von Kut el Amara. Das gab natürlich Stimmung, und die Sache verlief nach Wunsch. Ich sprach mich auch rücksichtslos aus, da der Vortrag vertraulich war, und man war doch einigermaßen überrascht, daß das von mir entwickelte Bild etwas anders aussieht als das rosa-rote von Jäckh.

Am 1. Mai nahm ich dann hier meine Vorlesungen wieder auf. Die wissenschaftliche Arbeit muß etwas ruhen, da ich jetzt erst die organisatorische Denkschrift für das Kultusministerium machen möchte.

Gesundheitlich geht es mir wechselnd, doch laviere ich mich so durch. Frau und Kindern geht es gut. Hedwig pflegt wieder regelmäßig Vormittags. Im Hause läuft alles z.Z. glatt. Von Walter Groß habe ich neulich wieder einmal gehört. Bei seinem 14tägigem Urlaub hat es ihm wenig gefallen, daß sich die Heimat so auf den Krieg eingestellt hat, daß es fast als Normal-zustand erscheint, und doch ist das eine bittere Notwendigkeit gewesen.- Von Fischler nichts Neues. Er ist immer noch in dem Schwarzwaldsanatorium. (C.H.B.)

 

49. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 13.6.1916

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Lieber Ernst!

Dein Brief hat mir eine wirklich große Freude gemacht, denn es gibt kaum etwas, das ich mir so sehnlich wünsche als ein Wiedersehen mit Dir. Ich finde es reizend, daß Du auch nach Berlin kommst. Morgen siedle ich über. Meine Adresse ist einfach: Kultusministerium, Unter den Linden 4. Ich wohne erst im Hotel und nehme dann eine Privatwohnung, doch bin ich natürlich den ganzen tag auf dem Ministerium. Laß mich ein paar Tage vorher wissen, wann Du dort bist, und reserviere mir recht viel Zeit. Ich steige zunächst im Hotel Saxonia ab, das auch für Dich sehr gelegen ist, da es in nächster nähe des Potsdamer Platzes liegt, sehr gute Gesellschaft hat und recht billig ist. Ich habe dort jetzt öfter gewohnt. Deine andern Fragen beantwortet Hedwig. Sie freut sich natürlich auch sehr auf Deinen Besuch, nicht minder die Kinder, denen es , von einigen Schnupfen abgesehen, ganz gut geht. Das Wetter ist ja auch zu infam, und man beginnt bei der andauernden Kälte und Nässe sich um die Ernte zu sorgen.

Dein Aufenthalt in einem Genesungsheim steht doch hoffentlich nur im Zusammenhang mit Deinem Kommando und ist nicht ein Zeichen körperlichen Leidens.

Also auf frohes Wiedersehen! (C.H.B.)


Aus dem Wiedersehen wurde nichts! Eisenlohr kam für zwei Jahre in französische Kriegsgefangenschaft, noch 1919 in Auch, Departement Gers.


50. C.H.B. an Oberleutnant Ernst Eisenlohr, Auch. Weimar, 25.2.1919

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Lieber Ernst!

Von Woche zu Woche rechnen wir mit Deiner Heimkehr und man verschiebt immer wieder den Brief, den man Dir schuldet. Nun habe ich durch einen Zufall in meinem übervollen Leben einen Augenblick frei und den will ich benutzen, Dir rasch einen herzlichen Gruß zu schicken, auch auf die Gefahr, d.h. die Hoffnung hin, daß dieser Brief Dich nicht mehr er-reicht. Ich bin seit acht Tagen in Weimar und das wird Dich wundern, denn mit den Univer-sitäten hat meine hiesige Mission wenig zu tun. Aber bei der Neuordnung der Verhältnisse bin ich immer mehr in die allgemein kulturpolitischen Fragen hineingekommen.

Ich arbeite hier als Vertrauensmann und Vertreter meines Chefs in allen möglichen Kommis-sionen, war schon in Berlin und auch hier Hauptkommissar für Verfassungsfragen, soweit unser Ministerium daran beteiligt ist. So habe ich hier den ganzen Entwurf im Staatenhaus mit durchberaten und auch manche Sitzung der Nationalversammlung mitgemacht. Ich sehe die Verhältnisse sehr aus nächster Nähe und auch häufig hinter den Kulissen und werde Dir nach Deiner Rückkehr viel Interessantes erzählen können. Brieflich läßt sich das leider alles nicht machen. Ich kämpfe vor allem dafür, daß neben wirtschaftlichen Sorgen und politischen Kämpfen die kulturpolitische Einstellung, wie überhaupt die Idee nicht zu kurz komme, da ich fest überzeugt bin, daß wir nur durch einen völligen Umbau unserer geistigen und speziell pädagogischen Einstellung die gegenwärtige Krise überwinden können. Ich finde auch all-mählich bei leitenden Stellen Verständnis für meine Pläne. Aber die Kulturpolitik läuft Gefahr, in dem Kampfe zwischen Föderalismus und Unitarismus erdrückt zu werden.

Langsam zieht jetzt überall in den Ämtern ein neuer Geist ein, aber allzu schnell geht es nicht mit der Ausschiffung der bisherigen Hauptbeamten, da sie meist durch ihren Sachverstand nur schwer ersetzbar sind. In Deinem Amt hat sich schon vieles gebessert. Auch bei uns wird nach der Bildung der neuen preußischen Regierung manches besser werden. Ich habe mich voll in den Dienst des Wiederaufbaus gestellt, weil ich es für ein Verbrechen halte, wenn man jetzt im Schmollwinkel steht oder sabotiert2. Mit der Mehrzahl meiner Kollegen stehe ich in bestem Verhältnis. Dieses Bewußtsein erleichtert mir die etwas schwierige Stellung, die ich manchmal einnehmen muß. Mein Chef ist eine idealistisch angelegte Natur und grundanständiger Mensch, der durch reines Wollen das Fehlen spezieller Fachkenntnisse aufwiegt. Ich kann mir nur wünschen, daß wir ihn behalten. Gottlob liegt die Periode Adolf Hoffmann hinter uns, die für alle wirklich mitarbeitenden Leute eine seelisch und materiell schwere Zeit war.

Über die allgemeine Lage werde ich wohl nichts sagen dürfen, doch habe ich den Eindruck, daß sie sich konsolidiert, wenn es auch schwer halten wird, neue Autoritäten zu schaffen und des Mobs restlos Herr zu werden. Wir brauchen nur unbedingt Frieden. Der Zwischenzustand ist eine unnötige Grausamkeit, die unsern Gegnern viel von den Imponderabilien kostet, mit denen sie sonst hätten rechnen können. Namentlich die Zurückhaltung der Gefangenen macht ungeheuer viel böses Blut. Nichts beschäftigt die öffentliche Meinung so sehr als diese Frage.

Aus meiner Familie ist im ganzen Gutes zu berichten, nur Hedwig ist etwas mürbe und wünsche ich ihr sehnlichst eine Ausspannung. Walter ist riesenhaft gewachsen, fast so groß wie ich und auch Hertha und Hellmut sind gut im Stande. In diesen Wochen ist ein Sohn der Frau Zacharias bei uns zu Gast., der sein Kriegsabitur nachmacht und neulich in Berlin mit Käthe Cohn zusammentraf, der es gut zu gehen schien. Meinen Geschwistern geht es auch nach Wunsch, auch in Augsburg. Meine Schwester Blumenstein ist leider wieder in einer Nervenanstalt, da die Revolution ihre alten Depressionen verstärkt wieder aufleben ließ. Sie wurde neulich Großmutter, hat in ihrem Zustand aber leider keine Freude daran. Hedwig und ich Großonkel und Großtante – man wird wirklich alt!

Ich kann Dir gar nicht sagen, welche Sehnsucht ich danach habe, wieder einmal lange mit Dir zu reden. Ich bin zwar auch Berlin nicht ohne Freunde, vor allem ist mir meinständiger Hilfsarbeiter, ein Regierungsrat Wende besonders nahe getreten. Aber es ist doch immer noch etwas anderes, wenn man sein halbes Leben gemeinsam gelebt hat. So, das möge genügen. (C.H.B.)

 

51. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Auch. Weimar, 17.6.1919

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Lieber Ernst!

Ich bin wieder einmal in Weimar und finde hier wieder einmal die Muße, Dir zu schreiben. In Berlin ist es für mich fast unmöglich, und Du wirst es schon richtig verstehen, daß ich so selten von mir hören lasse. Dafür habe ich so viel aufgespeichert für Deine nun hoffentlich baldige Rückkehr, daß wir uns einmal gemeinsam Ferien nehmen müssen, um das alles auszu-tauschen.

Um zunächst von den Meinen zu berichten, so geht es ihnen unberufen gut. Die Kinder gedeihen großartig, nur Hertha verlangt eine gewisse orthopädische Behandlung und ist deshalb aus der Schule genommen. Sie sieht aber aus wie das ewige Leben und es ist ja schließlich auch nur eine Maßnahme der Vorsicht. Hellmut als ABC-Schütze ist einfach köstlich. Er ist so völlig anders wie Walter im gleichen Alter, vor allem viel kritischer und dezidierter. Walter fand seinerzeit alle seine Kameraden gleich reizend. Hellmut hat offenbar einen sichereren Geschmack und hat eine wahre Lust an der Frechheit, wovon auch seinerzeit bei Walter nichts zu merken war. Eine gewisse Sorge macht mir eigentlich nur Hedwig, deren ja immer schwache Nervenkraft der Krieg ziemlich aufgebraucht hat. Sie hat nun einmal nicht das Talent zu organisieren, d.h. andere für sich arbeiten zu lassen und reibt sich zu sehr am Menschen, namentlich am Personal. Immerhin ist sie so gesund, daß ich mir viel von einem völligen Ausspannen verspreche. Die Hauptsache wäre die Trennung von den Kindern für mehrere Wochen. Das ist aber bei der Unzuverlässigkeit der Dienstboten, die eine der großartigsten Errungenschaften der Revolution ist, schwer mit dem Begriff des Beruhigtseins über das Wohl der Kinder zu verbinden. Du deutetest ja in einer Deiner letzten Nachrichten an, daß Du Dir auch Deine Gedanken über diese Dinge machst. Du brauchst nicht schwarz zu sehen. Der Zustand ist immerhin noch erträglich. Aber es wird Zeit, daß wir alle aus der ständigen Spannung und Erregung herauskommen. Der Zustand der Mürbheit ist ziemlich allgemein, und wir sind einfach physiologisch außerstande, noch weitere Widerstandskraft aufzubringen. Dabei sind die Ernährungsverhältnisse entschieden besser geworden, wenn auch noch lange nicht normal. Bei allem Leid bringt man aber doch wieder gelegentlich die Kraft zur Freude auf. Ein Ausflug mit den Kindern in die Umgegend, wie ihn neulich Dein Bruder Fritz während meiner Abwesenheit mit den meinigen unternahm, ist solch ein Lichtblick. Auch ist ein wunderbarer Sommer und wir genießen den Garten so sehr, daß sich daraus ebenfalls eine gewisse Nervenstärkung ergibt. Ich schreibe Dir das alles so ausführlich, damit Du einmal einen ungeschminkten Tatbericht bekommst und ich glaube, daß Deine Mutter vielleicht gelegentlich zu grau malt. Die alten Leute können sich nicht mehr in diese neue Zeit gewöhnen. Wir sind gerade noch alt und elastisch genug dazu.

Heute Nacht ist die definitive Antwort der Entente hier in Weimar eingetroffen, ich kenne sie noch nicht. Wenn dieser Brief in Deinen Händen ist, wird ja entschieden sein, ob wir unter-schrieben haben. Ich würde mich gern einmal über das ganze Problem mit Dir ausgesprochen haben, hatte es sogar schon diktiert, lasse es aber nun fort, um diesen Brief nicht zu gefähr-den.

Ich bin hier zur Beratung der Verfassung, namentlich der Grundrechte. In diese hat man alle möglichen Spezialwünsche, namentlich von Volksschullehrern, hineingesetzt, um damit alle künftige Gesetzgebung festzulegen. Dadurch ist ein ziemlich unerquickliches Machwerk entstanden. Überhaupt ist der Parlamentarismus, wie er sich jetzt auslebt, einfach unerträglich. Der Stil ist selten besser wie die Komment-Debatten auf studentischen Konventen. Aber Troeltsch, von dem ich Dir ja schrieb, daß er mein Kollege im Ministerium ist, hat ganz recht, wenn er sagt, all dieser demokratische Unfug muß eben ertragen werden, weil er das einzige Mittel ist gegenüber der Regellosigkeit und dem Chaos. Solange noch der parlamentarische Komment wirklich herrscht, sind Aussprachen und Rechte der Minoritäten gewahrt, alles andere ist reine Willkür.

Vorige Woche war ich in Köln und habe namens der Regierung die neue, erst aus zwei Fakultäten bestehende Universität Köln eingeweiht. Es war politisch und auch menschlich für mich als alten Bonner eine heikle Aufgabe. Aber es ist alles gut abgelaufen. Ich habe wieder einmal ziemlich tief in die rheinischen Verhältnisse hineingeschaut, vor allem mich sehr offen mit dem Oberbürgermeister Adenauer ausgesprochen, der eine hervorragende Persönlichkeit ist. Soweit die rheinische frage eine innerpolitische ist, steht und fällt sie mit der konfessionellen Volksschule. Das Fest selber war trotz des Ernstes der Zeit von rheinischem Glanz und Wärme. Die Eröffnungsfeier im großen Gürzenich-Saal mit prachtvoller Musik, Blumen und sehr guten Reden. Darauf im Rathaus ein Dîner von 40 Personen, dann Oper, die wegen der Polizeistunde in Cöln jetzt schon um 4 oder 5 Uhr anfängt, dann nochmals Abendessen und Zusammensein im kleinsten Kreise beim zweiten Bürgermeister; in der Nacht Rückreise. Du kannst Dir vorstellen, mit welchen Gefühlen man jetzt im Rheinland weilt. Immerhin bin ich jetzt zweimal ohne Schwierigkeiten und ganz unbehelligt dort gewesen, allerdings dienstlich ausgezeichnet vorbereitet und mir standen alle Vergünstigen zu Gebote. Die Gründung der Universität hat natürlich mit wissenschaftlichem Bedürfnis nichts zu tun, aber sie ein Geschenk von Berlin, das jedenfalls seine Wirkung nicht verfehlt.

Ich arbeite jetzt viel auf allgemein kulturellem Gebiet und habe ungeheuer viel Allgemeines gelesen. Darin liegt überhaupt der Unterschied zwischen meiner jetzigen und meiner früheren geistigen Arbeit. Als Orientalist mußte ich die Beschäftigung mit allgemein bildenden Dingen immer gleichzeitig als Zeitverlust für die Facharbeit werten. Jetzt habe ich die Möglichkeit und die Pflicht, den allgemein geistigen Strömungen mein Ohr zu leihen, und ich tue das, soweit es meine dienstliche Arbeit irgendwie gestattet. Du wirst deshalb nach Deiner Rückkehr bei mir ungefähr alles finden, was an bedeutenden Literatur-Erzeugnissen allgemeiner Natur erschienen ist. Glücklicherweise auch mancherlei Erhebliches. Schade, daß man solche Dinge nicht schicken kann. Ich lese eben ein Buch des mir befreundeten Bonner Privatdozenten Curtius über die literarischen Wegbereiter des modernen Frankreich, das Dich sicher brennend interessieren würde. Er zeigt die überragende Bedeutung Bergsons für das junge Frankreich und schildert vor allem Romain Rolland, Gide, Peguy, Claudel, Suarès. Was mich am meisten überrascht, daß die geistige Einstellung des jungen Frankreich vor dem Kriege verwandte Züge trägt mit dem Jung-Deutschland, das jetzt im Entstehen ist. Vor allem der leidenschaftliche Kampf gegen den Intellektualismus, Relativismus und Skeptizismus, jene Betonung des Ethischen und Sachlichen, die bei uns noch nicht herrscht, aber von den besten Köpfen als die einzige Rettung empfunden wird.

Ich habe mich in letzter Zeit öfters über diese Dinge ausgesprochen, in der Universität, neulich in der Deutschen Gesellschaft und auch in einer großen Denkschrift für den Verfassungsausschuß, der es hauptsächlich zu danken ist, daß in Zukunft das Reich auf dem Gebiet der Schulen und Hochschulen das Recht zum Erlaß gesetzlicher Normativ-Bestimmungen erhalten hat.3 Manches aus diesem Gedankenkreis findet sich auch in meinen Gedanken zur Hochschulreform, die ich während des Winters in der Deutschen Allgemeinen Zeitung habe erscheinen lassen und die jetzt in Buchform herauskommen. Ich kann es Dir gar nicht sagen, wie ich es entbehre, über all diese Fragen mir Dir nicht in dem ständigen Austausch stehen zu können, der uns beiden doch nun einmal so gewohnt und so notwendig war. Gewiß sind eine ganze Reihe neuer Menschen mit reichen Anregungen in mein Leben getreten. Aber wenn ich denke, was sein könnte, wenn Du jetzt in Berlin wärst, so erfüllt mich doch eine mir sonst ganz fremde Bitterkeit.

Teile mir bitte gleich durch Postkarte mit, ob dieser Brief in Deine Hände gelangt ist. Es wird bei Dir das gleiche Bedürfnis sein wie bei mir, auch immer wieder einen direkten geistigen Konnex zu fühlen, wenn wir ja auch beide darin geschult genug sind, uns ungefähr vorstellen zu können, wie der andere denkt und empfindet. Noch schöner wäre freilich, dieser Brief erreichte Dich nicht mehr, sondern Du kämst selber. Aber ich wage das immer noch nicht zu hoffen. (C.H.B.)


1 Der Brief liegt nicht in der Akte.

2 Hervorhebung vom Herausgeber.

3 Hervorhebung vom Herausgeber.

Ernst Eisenlohr (1915)

HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-35) 

29. C.H.B. an Frau Eisenlohr sen. Bonn, 15.2.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrte gnädige Frau!

Bei der Rückkehr von einer kleinen Vortragsreise finde ich Ihre inhaltsreiche Karte vor, deren wichtigste Nachricht mir meine Frau schon nach Frankfurt telephoniert hatte.

Ich bin aufs Äußerste überrascht, da sich aus der Abreise doch schließen läßt, daß sich unser Verhältnis zu Portugal zugespitzt hat. Daß er gefangen genommen würde, war ja wohl sicher; aber ich vermute, daß man ihn als Berufskonsul alsbald reklamieren wird. Er wird wohl auch direkt an das Amt geschrieben haben, sonst müßte wohl durch Sie oder Fritz dem Auswärtigen Amt Mitteilung zugehen.

Aus Ihrem Brief entnehme ich, daß man ihm unbegrenzt, und zwar in deutsch, schreiben kann. Ich will es in den nächsten Tagen tun, denn er wird in Gibraltar noch mehr Sehnsucht nach Anregung empfinden, als in Loanda.

Daß Fritz sich in Meran von seinen Anstrengungen erholen kann, muß doch Ihrem Mutterherzen wohltun. Mit verbindlichen Grüßen auch von meiner Frau

Ihr Sie aufrichtig verehrender (C.H.B.)

 

30. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, in Gefangenschaft in Gibraltar, Bonn, 20.2.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich möchte Dir in die Gefangenschaft einen herzlichen Gruß senden. Dein Aufenthaltsort ist mir ja wohl bekannt, wenn ich im Jahre 1900 auch unter ganz anderen Umständen in Gibraltar war. Hoffentlich hast Du wenigstens etwas von der schönen Aussicht. Ich freue mich, von Deiner Mutter zu hören, daß Du gut untergekommen bist. Hedwig hat Dir ja auch schon von uns berichtet. Hoffentlich wirst Du bald frei werden.

Ich habe z.Z. viel zu tun, besonders mit Vorträgen. Ich sprach oder spreche in Straßburg, Frankfurt, Trier, Düsseldorf usw., da mein Fach jetzt sehr en vogue ist. Auch schriftstellerisch habe ich mich noch weiterhin betätigt und dabei leider einen schweren Zusammenstoß mit meinem Freunde Snouck Hurgronje erlebt. Das ist eine traurige Begleiterscheinung des großen Krieges.

Von unsern Freunden nicht viel Neues. Nolte ist verwundet, offenbar nicht schlimm. Meinem Bruder, sowie Schwägern und Neffen im Felde geht es nach wie vor sehr gut. Walter liegt, von einem Pferd getreten, in Antwerpen. Fischler führt Heidelberger Lazarettzug.

Tempe Seng wird nächstens hier in einem Konzert auftreten.

Herzliche Grüße von uns allen, freudig bewegt von den letzten Ereignissen. Dein (C.H.B.)

 

31. C.H.B. an Ernst Eisenlohr (Berlin?), Bonn, 24.3.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Es wäre zu schön, wenn wir uns bald irgendwo treffen könnten. Morgen kommt hier unsere Schwiegermutter zu Besuch, so daß wir uns unter Umständen einmal ein paar Tage frei machen könnten. Jedenfalls teile uns sofort mit, wenn Du über Deine Verwendung Bescheid e bekommst.

Politisch wirst Du ja jetzt an erster Quelle orientiert, und brauche ich Dir nichts mehr zu berichten. Ich habe in letzter Zeit das Auswärtige Amt auch etwas näher kennen gelernt, und sind eigentlich meine schlimmsten Befürchtungen übertroffen worden. Darüber würde ich mich sehr gern einmal mit Dir aussprechen. Es ist ein wahrer Gottessegen, daß Zimmermann da ist, der jetzt die Seele des Amtes zu sein scheint

Ich habe eine größere Arbeit für das Kultusministerium über die Frage gemacht: Warum ist die Türkei im Kriege? Sie wird ein Kapitel bilden in dem großen deutschen Kriegsbuch, das der internationalen Diskussion zugrunde liegen soll. Es ist auf Anregung des Kultusministe-riums erschienen, wird sich aber äußerlich als buchhändlerisches Unternehmen darstellen. Eine andere Schrift von mir habe ich Dir noch nach Gibraltar geschickt, doch hat sie Dich wohl nicht mehr erreichen können. Ich schicke sie Dir anbei nochmals und lege Dir ein ganz ausgezeichnetes kleines Schriftchen bei, das weiteste Verbreitung verdient.

Snouck Hurgronjes Standpunkt erklärt sich aus der holländischen Kolonialpolitik, deren Interessen allerdings den unsrigen direkt widersprechen. Wir sind jetzt auf dem Wege der Verständigung, ohne beiderseits unseren Standpunkt aufzugeben. Ich habe eben meine Schlußworte auf seine Erwiderung vollendet, da beide in der Mai-Nummer der Internationalen

Monatsschrift erscheinen sollen.

Wenn sich unser Wiedersehen noch hinausschiebt, könnest Du uns einmal etwas über die Verhältnisse in Angola berichten. Ich weiß von Deinen Erlebnissen bisher nur aus einem Brief von Walter Fischler.

Ich bin bei der Landsturmmusterung vorerst als untauglich bezeichnet, da mein Darmleiden mich leider unbrauchbar macht. Bei größter Vorsicht kann ich aber einen einigermaßen aushaltbaren Lebensstandard durchführen.- daß Du jetzt lieber Soldat wärst, verstehe ich durchaus. Auch ich habe noch nie so sehr wie in diesem Jahre bedauert, nicht gedient zu haben.

Mit herzlichen Grüßen vom ganzen Hause (C.H.B.)

 

32. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Berlin NW7, Hotel Königshof, 21.3.1915

Lieber Carl,

das A.A.hat sich wenig verändert, ich sitze und harre und die Vorgesetzten harren auch und sitzen voll Bedenken, ob sie mich wohl loslassen können und gegen Desertion ist auch vorgebeugt, denn das Bez(irks)kommando) nimmt mich nicht ohne schriftliche Erlaubnis des Amts.. In der Zwischenzeit I ´m eating my heart und trinke Rotwein dazu, letzteres die einzige verständige Beschäftigung, die ich hier ausfindig machen konnte. Ich habe mich draußen über Aufenthalt und Gefangenschaft nicht übermäßig aufgeregt, aber hier geht mir die Zeitverschwendung nahe. Sobald ich eine Entscheidung habe, lasse ich Dich’s auf dem schnellsten Wege wissen, um noch ein Zusammentreffen zu ermöglichen, falls ich ins Feld gehe.

Grüße die Deinen. Ernst

 

33. Feldpostkarte von Leutnant Ernst Eisenlohr an C.H.B. o.O., 22.4.1915

(XV. Armeekorps, 29.Division 114. Regiment, III. Bataillon, 9. Batterie)

Lieber Carl,

Habt nochmals herzlichen dank für die Stunden mit Euch. Alles persönliche hier so nett wie nur möglich. Adresse umseitig. Ernst.

Viele Grüße an Toby.

 

34. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 26.4.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Soeben von Berlin zurückgekehrt, finde ich Deine Karte vor, und will ich Dir sofort einen herzlichen Gruß senden, ehe ich mich wieder in die alltägliche Arbeit stürze, die gerade jetzt zu Semesterbeginn mich von privater Korrespondenz ziemlich abhalten dürfte.

Unser kurzes Zusammensein ist uns auch eine liebe Erinnerung, und wir haben Dich seit Deiner Abreise mit unseren Gedanken an die Front begleitet. Laß uns oft und ausführlich von Dir hören.

In Berlin höre ich wieder mancherlei Interessantes. Das allgemeine Friedengerede, das besonders aus der Front in die Heimat dringt, scheint doch mehr ein Massen-Frühjahrsgefühl zu sein. Die Regierung steht auf dem Standpunkt, daß die gegenwärtige Kriegslage noch nicht eine Friedensorientierung nach einer oder der anderen Seite zuläßt; es sei denn, daß unsere Gegner an uns herantreten. Verhandelt wird ganz positiv mit England nicht; auch zwischen den Dynastien ist aller Verkehr unterbrochen, während die privaten Beziehungen der Höfe von Berlin und Petersburg niemals ganz aufgehört haben. Aber auch mit Rußland wird noch nicht im eigentlichen Sinne des Wortes verhandelt. Allerdings scheinen hier gewisse Vorfühlungen stattzufinden. Eins ist gewiß: daß die Entente sich lebhaft bemüht, die Türkei zu einem Sonderfrieden zu bewegen. Nicht unmöglich scheint es, daß wir mit Rußland zu einer Verständigung über die Dardanellen kommen, und zwar in der Richtung, daß Konstantinopel deutsche Flottenbasis wird und daß Rußland die freie Durchfahrt, auch für Kriegsschiffe, erhält. Gleichzeitig soll Rumänien eine Flotte bauen, und nur für die genannten Mächte sollen die Dardanellen offen stehen. In Rußland scheint man einzusehen, daß man doch nicht nach Konstantinopel kommt und wäre zu einem Frieden geneigt. Er könnte natürlich nur stattfinden, wenn Rußland eine innere Erstarkung der Türkei weiterhin nicht behindert. Immerhin ist man deutscherseits zunächst noch sehr vorsichtig, weil trotz aller Vorfühlungen die Kriegsereignisse weitergehen, und jedenfalls wartet man mit neuen Investierungen in der Türkei, bis der Friede geschlossen ist. Ein Separatfriede der Türkei ist natürlich nur denkbar, wenn wir zustimmen. Trotz aller Fühlungnahme mit Rußland scheint eine große militärische Aktion noch bevorzustehen.

Im Einzelnen habe ich mich sehr gefreut, wie unser orientalischer Nachrichtendienst aufgezogen ist. Die Pressebeeinflussung der orientalischen Welt ist jetzt in ganz großem Stile eingeleitet und wird es auch nach Friedensschluß bleiben.

Mein Vortrag verlief programmmäßig. Mit Ausnahme von Sachau war alles anwesend, was in Berlin irgendwie mit dem Orient zu tun hat. Der Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses war so voll, daß die Galerie hinzugezogen werden mußte. Die türkische Botschaft war leider nicht anwesend, weil sie sich prinzipiell von allen solchen Veranstaltungen fernhält; dafür war die Berliner Wissenschaft durch einige Celebritäten vertreten. Ich war recht befriedigt und hatte inhaltsreiche Tage in mancherlei Beratungen. Ich habe mich auch mit Wesendenck ausge-sprochen und mit Freude konstatiert, daß man im A.A. nach denselben Gesichtspunkten

Islampolitik treibt, wie ich sie in meinen Kriegsschriften vertreten habe. Ich hoffe, daß später einmal die Nachrichtenstelle sich mit dem orientalischen Seminar verbinden wird; dann könnte bei geeigneter Leitung all das in wissenschaftlicher und politischer Hinsicht geleistet werden,, wovon ich Dir sprach. In dem früheren Dragoman, jetzigen Konsul Schabinger hat die Nachrichtenstelle einen trefflichen Leiter. (C.H.B.)

 

35. Ernst Eisenlohr an C.H.B. im Felde, 3.5.1915

Carole,

Dein Brief hat mich sehr interessiert und ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mich auch künftig nach Zeit und Möglichkeit über Politisches unterrichtest halten wolltest. Denn wir erfahren hier wenig und davon ist wieder ein Teil ungenau (?) oder unverbürgt. Neulich, d.h. vor drei Tagen, kam die Nachricht von einer höheren Kommandostelle, daß die Artillerie des XV. A(rmee)k(orps) den Engländern in den Rücken gekommen sei im Verein mit den Franzosen, die versehentlich auf die Beefs schossen und daß 20 000 auf dem Platze blieben. Es kam aber noch keine Bestätigung und so halte ich die Sache für eine stolze Artillerie-meldung. Dann die Chlorgasgeschichte. Der zuständige Professor soll übrigens zur Zeit auf der Lorettohöhe, nicht weit von hier, auf günstigen Wind warten, so daß es dort auch bald losgehen dürfte. Da wo ich bin, wird es wohl keine besonderen Ereignisse geben, wir sind mitten zwischen Arras und Ypern vorwärts Lille. Angriffe unsererseits hätten aber hier strategisch keinen Zweck, und falls wir angegriffen würden – was ich auch nicht glaube -, so wäre die gut ausgebaute Stellung wohl ohne besondere Mühe auch von geringen Kräften zu halten. Zudem scheint zur Zeit unsere Artillerie hier die zahlenmäßige Unterlegenheit zu haben und ist auch zum Teil ganz gut eingeschossen i.e. cum grano salis: gewisse vorgescho-bene Stellungen räumen wir, wenn sie auf den gegenüberliegenden Feind feuern will und wenn wir die Stellungen nachher wieder besetzen, sind wir froh, wenn die mühsam gebauten Hindernisse nicht allzusehr zerdeppert sind.

Wenn Du oder Hedwig ein leicht lesbares Buch finden, denkt an mich. Denn in den sog. Ruhetagen hat man….gar keine Zeit zum Lesen. Hier vorne aber sitze ich gegenwärtig erst 4 Tage in einem unterirdischen Blockhaus 2 Minuten hinter der Front (sog. Bereitschafts-stellung) und dann 4 Tage in einer anderen Villa im vorderen Graben, und auch nach sorgfäl-tigster Regelung und Kontrolle des Dienstes bleibt da dem einsamen Hausherrn reichlich viel Zeit und wenig Hergang, die zur Selbstbetrachtung oder zur Nagelpflege oder was es sonst an beschaulicher Beschäftigung geben mag , zu verwenden.

Was das politische Programm für einen möglichen Frieden mit Rußland angeht, von dem Du mir schreibst, so hätte es allerdings den geschätzten Vorteil, nicht unseren Interessen allein, sondern auch denen unseres Bundesgenossen gerecht werden, zugleich uns, wenn wir die Flottenbasis in Konst(antinopel) haben den bisher fehlenden greifbaren Stützpunkt für unsere vorderasiatische Politik zu liefern. Auch weißt Du, wie sympathisch es mir wäre, wenn wir uns mit Rußland, im Bösen wie im Guten auseinandersetzen könnten, um den Rücken frei zu bekommen und in Zukunft Rußlands Ehrgeiz auf Indien zu weisen. Aber, ist es denkbar, daß die Russen auf ihr jahrhundertelanges Sehnen nach Konstantinopel verzichten? Und der Kampf bis aufs Messer mit England ist dann da (Suezkanal), zugleich ein Interessenkonflikt zwischen England und Rußland aus der Welt geschafft. Immerhin, der Gedanke hat etwas ungemein Großzügiges und Bestechendes. Ich möchte gern wissen, wer sein Vater ist.

Es freut mich sehr, daß Du diesmal aus Berlin mit erfreulicheren Eindrücken zurück gekommen bist als sonst. Viele Grüße an Hedwig und die Kinder. Ernst

 

36. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 10.5.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Mehr um Dir einen brüderlichen Gruß ins Feld zu schicken, als weil ich gerade besonders viel Neues zu berichten hätte, antworte ich Dir gleich auf Deinen Brief, der uns alle sehr erfreut hat. Nach einem Buche sehen wir uns um. Jedenfalls schicke ich Dir heute mal die neueste Nummer der Internationalen Monatsschrift, in der meine Schlußauseinandersetzung mit Snouck steht, und die auch sonst mancherlei Interessantes enthält. Übrigens ist auch meine holländische Entgegnung auf Snouck dieser Tage erschienen, und große Auszüge daraus bringt die gesamte holländische Tagespresse.

In letzter Zeit hat man ja wieder so viel Großes und Aufregendes erlebt, daß die mühsam erkämpfte Arbeitsruhe wieder zum Teufel geht. Was ist der Durchbruch in Galizien für eine große Tat! Atemlos lauscht man dem Weitergang der Ereignisse. Was man eigentlich bei Ypern will, ist mir nicht recht klar. Sollte man dort wirklich so stark sein, einen eventuell glückenden Durchbruch bis zur Aufrollung durchzuführen? Die Lusitania war ein glänzender Erfolg. Besser konnte die Wirksamkeit der U-Waffen nicht bewiesen werden, als daß trotz vorheriger Ansage für ein ganz spezielles Schiff dieses gleiche Schiff am hellen Tage torpediert wird. Mich erschüttert dabei der Gedanke an die Titanic; was damals alle Welt entsetzt bejammert, wird jetzt absichtlich herbeigeführt. Wohin uns dieser Krieg noch führt!

Trotz aller günstiger Nachrichten von den Kriegsschauplätzen wird man wegen Italien nicht recht froh. Nicht, als ob ich dieser feigen Gesellschaft irgendwelche Erfolge zutraute; aber Italiens Eingreifen wird den Krieg verlängern, komplizieren und Tausende weitere deutscher Leben kosten. Der Enderfolg wird sein, daß Italien Republik wird und die Lombardei verliert. Allerdings würde unsere Position in der Türkei sehr erschwert, denn es scheint mir kein Zweifel, daß Italien sich nicht am Trentino den Kopf einrennen, sondern seine Truppen nach Flandern und in den Orient schicken würde. Dieses Vorgehen kann unsererseits nur durch einen Vorstoß in die Lombardei pariert werden. Der Berner Bund meldet heute, daß große Truppenbewegungen hinter der deutsch-österreichischen Front im Gange wären, um unter allen Umständen auf einem neuen Kriegsschauplatz schnell eingreifen zu können. Mir ist nicht recht begreiflich, was Italien eigentlich noch mehr will. Österreich scheint bis an die Grenze der

Irredenta-Forderungen gegangen zu sein. Ich kann mir nur einen Grund für ein Nichtzustandekommen der Verständigung denken: daß England ein geheimes Ultimatum an Italien gestellt hat. Trotz allem glaube ich, daß Italien neutral bleibt. Es hat weder Geld noch Kohlen; es hat die Sozialisten und die katholische Kirche gegen sich. Ein offiziöser Artikel der Kölnischen Volkszeitung winkte neulich sehr deutlich mit dem Kirchenstaat. Den Krieg wollen in Italien eigentlich nur die Intellektuellen, die italienischen Frankfurter-Zeitungs-Leute. Noch nie hat ein Volk seine politische Aufgabe in der Welt so verkannt. Die ernste Sprache der deutschen Blätter und die veranlaßte Abreise der deutschen Kolonie halte ich nur für ein deutsches Druckmittel. Bisher spielte man in Italien mit uns: offenbar haben wir ihm ernstlich bedeutet, daß das nicht so weitergehen kann.

Sehr interessante Nachrichten habe ich von Ritter aus Syrien. Er steht z.Z. ganz unter dem Eindruck des türkisch-arabischen Gegensatzes, der türkischen Mißwirtschaft in Syrien, der Entente-Freundschaft der dortigen Christen, des Mißerfolges des Heiligen Krieges der Araber

und ist mit den ganzen Europäerkreisen fest davon überzeugt, daß nur ein deutsches Protektorat die heillosen Verhältnisse Syriens verbessern könne. Diese Gedankengänge sind mir natürlich nicht neu; aber man wird sie jetzt nicht gerade an die große Öffentlichkeit bringen. Jedenfalls wird nach dem Kriege die deutsche Beeinflussung der Türkei, namentlich in den arabisch sprechenden Ländern, zu einer ganz neuen Verwaltungsform führen, oder auch wir haben in diesen Ländern ausgespielt. In Anatolien können die Türken alles allein besorgen.

Von Fischler hatte ich dieser Tage (einen) Brief aus der Gegend von Charleroi, wo er wohl längere Zeit bleiben wird. Er fragt nach Dir. Seine ständige Adresse ist: Bonn Universitäts-Sekretariat. Von Walter habe ich ewig nichts mehr gehört. Welde ist bei seinem Regiment zurück, und wirst Du ihn vielleicht einmal sehen.

Uns geht es so weit gut. Wir genießen das sonnige Wetter und sind oft mit Fritz Sell zusam-men. Ein ganz netter Zuwachs unseres engsten Kreises ist der Sohn meines Bruders Landrat, ein Fuchs im ersten Semester, Jurist, nierenkrank und deshalb nicht einmal als Chauffeur verwendbar1. Es ist übrigens erstaunlich, wie viele junge Leute noch hier sind. Mein Publikum über die Türkei wird von über 100 Leuten besucht, wovon die knappe Hälfte Männer. Von Hertha nichts Neues; ihr Gang ist noch unverändert. Die konsultierten Geheimräte sind für Ruhe und Abwarten. Mit Walter gehe ich jetzt dreimal die Woche schwimmen, was ihm und mir sehr gut bekommt. Er macht ganz nette Fortschritte.

Herzliche Grüße vom ganzen Hause (C.H.B.)

 

37. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde, z.Z. Gelnhausen, 2.6.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Meinen Brief aus Gelnhausen wirst Du erhalten haben. Hier sah ich Deine Briefe an Hedwig. Du hast ganz recht, daß man das Eingreifen Italiens nicht unterschätzen soll. Es ist die einstimmige Meinung aller vernünftigen Leute, daß es den Krieg nicht entscheiden wird, daß es ihn aber verlängert und weitere Menschenopfer kostet. Aus diesem Grund ist auch die Erbitterung gegen die Italiener so groß. Es ist zweckloses Blutvergießen, und das fühlen wir hier drinnen ebenso schmerzlich wie Ihr draußen. Es ist wohl tatsächlich so gewesen, wie der Reichskanzler gesagt hat, daß die Straße die Vernünftigen terrorisiert hat. Die Gründe der Regierung sind dunkel. Bei Salandra2 scheint es Eitelkeit, bei Sonnino3 die englische Mutter und die jüdisch-freimaurerischen Beziehungen zu Frankreich. Daß sie direkt bestochen sind, glaube ich nicht, aber sie sind beide große Zeitungsbesitzer, und die Bestechung hat diesen Umweg genommen.. Ich hörte, daß Bülows Schwiegermutter vor Antritt von B(ülows) Mission diesem geschrieben habe, die Sache sei aussichtslos, er solle keinesfalls kommen. So haben also sachverständige Leute von Anfang an beurteilt. Wir sind immer noch zu moralisch, um die südländische Schweinebande zu würdigen.

Die große Frage bleibt nun, ob das Vorgehen Italiens auf den Balkan wirken wird oder nicht. Rumänien allein geht keinesfalls los, oder doch höchstens erst, wenn ein Teil vollkommen erledigt ist. Das Bedenkliche aber ist, daß zweifellos Bestrebungen im Gange sind, einen neuen Balkanbund zu schaffen, und daß man hofft, Rumänien und Bulgarien gegen uns zusammenzuschmieden. Gerade in diesen Tagen wird eifrigst gearbeitet. Leider habe ich gehört, daß unser A.A. auch in dieser Krise wieder vollständig versagt hat. Als von wirklich sachverständiger Seite aus Kreisen der organisationsfähigen Großindustrie dem A.A. angeboten wurde, die öffentliche Meinung Italiens zu bearbeiten, bekamen die betreffenden Herren die lakonische Antwort, man danke sehr, aber in Italien stände alles so vortrefflich, daß man nichts mehr zu tun brauche. Aus den gleichen Kreisen kamen jetzt zum Teil vom bulgarischen König direkt entsandte Sachverständige mit alarmierenden Nachrichten nach Berlin, doch wurde ihnen im A.A. bedeutet, die leitenden Leute hätten keine Zeit, sie zu empfangen. Darauf wurde es nötig, die Spitzen der Industrie zu alarmieren, und es wurde an Falkenhayn telegraphiert, worauf dann endlich etwas geschah. Leider scheint auch Michahelles, der so viel versprach, in Sofia nicht am richtigen Platze. Er hat es nicht verstanden, sich mit dem König zu stellen und merkt scheinbar nichts. Um so mehr wird von allen Seiten Busche in Bukarest gelobt. Er hat eine großzügige Hand und gelegentlich gegen die bürokratisch-fiskalischen Vorschriften des Amtes zum Nutzen Deutschlands gehandelt. Details will ich lieber nichts schreiben.

Bulgarien hat nur das eine Interesse, daß ihm das serbische Mazedonien garantiert und daß dem König für alle Fälle sein nicht unbedeutendes Privatvermögen sichergestellt werde. Dafür will es neutral bleiben, doch verlangt man deutscherseits ein sofortiges Eingreifen, was ja auf die Dauer doch selbstverständlich ist, aber im Moment eine unnötige Belastung bedeutet. Man kann sich denken, mit welchen Versprechungen jetzt Rußland auf dem Balkan arbeitet, nachdem es in Galizien so schlecht steht. Rumänien läßt neuerdings nichts mehr durch. Die Raubstaaten haben eben vom Erpressungserfolg Italiens gelernt. Für uns ist es aber zweifellos eine große Gefahr, wenn auch noch der ganze Balkan gegen Österreich mobilisiert wird. Da das A.A. völlig versagt, hat sich eine industriell-kaufmännisch-militärische Neben-regierung gebildet – so wird sie wenigstens von manchen Leuten bezeichnet -, aber wenn man sieht, wie glänzend das Militär funktioniert, und wie kleinlich unorganisiert und egoistisch der Borussenklub in der Wilhelmstraße sich betätigt, so kann man jede Selbsthülfe anderer Kreise nur mit Freuden begrüßen. Du kannst Dir gar nicht denken, wie ungeheuer die Erbitterung namentlich in Industriekreisen über das A.A. ist. Natürlich erzählt man, daß sich die eigentliche Zunft kolossal gefreut haben soll, daß Bülows Mission mißglückte, und Anek-dötchen über die Unwissenheit unserer Diplomaten kursieren z.Z. in erschrecklicher Weise. Ich glaube, daß nach dem Kriege mit eisernen Besen gekehrt werden wird. Du weißt, daß ich immer dem A.A. die Stange gehalten habe, und daß es gewiß schwer ist, in dieser Zeit aus-wärtige Politik zu machen; aber manchmal hört man doch zu viel Deprimierendes. Eines ist sicher, daß, wenn der Balkan losschlägt, es die Schuld des A.A. ist; wenn er nicht losschlägt, dann geschieht es trotz der Fehler des A.A. nicht.

Über die türkischen Verhältnisse habe ich den gleichen Eindruck: militärisch gut, politisch schwierig. Frobenius, den das A.A. in einem Anfall von Wahnsinn herausgeschickt haben muß, hat fröhlich die Araber gegen die Türken gehetzt, ist also ganz gewaltig ins Fettnäpfchen getreten. Das ist der heikelste Punkt der inner-türkischen Politik, wie (Du) weißt. Große Beschwerde von Enver, Mißstimmung. Auch hat ausgesucht4 das Kolonialamt Leute nach Syrien geschickt mit dem ausschließlichen Auftrag, „Erfahrungen zu sammeln“. Natürlich gelten sie als Emissäre zur Vorbereitung einer deutschen Kolonisation. Dabei haben die Erfolge an den Dardanellen den Türken den Kamm schwellen lassen. Dieser voraus-zusehende Hochmut einer siegreichen Türkei ist eine ungeheure Gefahr für später. Dabei sehnt sich in Syrien alle Welt nach einer europäischen Herrschaft und nach Vertreibung der Türken. Auch das ist keine Erleichterung unserer Position.

Ich will nicht nur Pessimismus treiben, sondern doch auch meine Meinung dahin äußern, daß sowohl das Losschlagen Italiens, wie die Balkansorgen, wie die Reorganisation des englischen Kabinetts doch nur Anzeichen dafür sind, daß unsere Gegner ziemlich am Ende mit ihren Kräften sind. Bevor aber die Balkanfrage entschieden ist, wird Rußland trotz der galizischen Niederlage zu keinem Separatfrieden bereit sein. Hoffentlich gelingt auch ein entscheidender Schlag gegen Italien; dann könnte unter Umständen das Eingreifen Italiens das Kriegsende noch beschleunigen. Erhebend ist es, welch’ großartige nachrichten gerade gestern wieder von allen Kriegsschauplätzen vorlagen. Trotz aller Politik im A.A. muß man eben doch das Vertrauen haben, daß auch dort tüchtige Männer sitzen, die nur durch die hervortretenden Mängel der äußeren Repräsentanten kompromittiert werden. Jedenfalls ist es bei der glänzenden militärischen Sachlage ganz gut, auch die politischen Dessous etwas zu kennen, um sich vor leichtsinniger Zuversicht zu hüten.

Damit hast Du wieder etwas Politisches. Ich bitte Dich aber, den Brief zu vernichten, damit er nicht etwa in falsche Hände kommt. Du weißt ja selbst, (wem Du) etwas davon mitteilen kannst. Vielleicht paßt der Brief nicht ganz in Deine Stimmung; aber ich habe ja versprochen, Dich nach Kräften politisch zu orientieren. Du kennst mich ja auch genug um zu wissen, daß ich kein Scharmacher und kein Fanatiker bin.

Persönlich geht es uns leidlich. Bei Hertha immer noch alles unverändert. Am. 9.(Juni 1915?) spreche ich in Berlin. Wenn ich dort etwas Neues höre, sollst Du es bald von mir erfahren. (C.H.B.)

 

38.  C.H.B. an Ernst Eisenlohr, im Felde. Bonn, 14.6.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich habe eine sehr bewegte zeit hinter mir; deshalb habe ich Hedwig die Korrespondenz überlassen und Dir nur noch einmal Zigarren geschickt, die Dich hoffentlich erreicht haben. Mein letzter Brief war aus Gelnhausen. Kaum von dort zurückgekehrt, kam Schwager Fritz plötzlich nach Köln, dann war ich zwei Tage in Berlin, wo ich für das Viktoria-Lyzeum einen Vortrag hielt, dann wieder in Köln mit Fritz auf der Ausreise, dann einen Tag hier mit seiner Frau ohne Hedwig, die sich z.Z. in Augsburg befindet und heute ihren Vetter Müller wegen Hertha konsultiert. Obwohl ich also kein Recht hatte, auf einen Brief von Dir zu hoffen, war mir die Pause doch bereits schrecklich lang geworden, zumal auch Fischler, der momentan wieder hier ist, im Juni noch nichts von Dir gehört hatte. Da kam heute Morgen Dein Brief an Hedwig, aus dem ich mit Freude entnahm, daß Du noch gesund und offenbar in etwas sichererer Stellung bist. Du bist ja nun ausgesucht an die schlimmste Stelle der Westfront gekommen. Wieviel Blut hätte hier durch sorgfältigere Vorbereitung erspart werden können! Schwager Fritz erzählte mir, auch er habe dort im Schützengraben gelegen und immer darauf gedrängt, die schlecht ausgebauten Stellungen sollten stärker befestigt werden. Aber die höhere Führung war wie besessen von dem Gedanken, daß an dieser Stelle nicht angegriffen werden würde, und auch Du hattest ja anfangs diese Ideen von Deinen Vorgängern übernommen. Die Stellung meines Schwagers Riedel war z.B. ganz anders ausgebaut; sie soll uneinnehmbar sein. Gottlob ist ja der Durchbruch verhindert worden; aber die großen Verluste hätten gespart werden können. Der Heroismus der Schützengraben-Truppen muß eben alles bezahlen, was ein Höherstehender in seinem Leichtsinn versäumt5. Mein Schwager Fritz war ganz erfüllt von diesen Dingen. Jetzt steht er bei Peronne6.

Ich habe nach der Unruhe der letzten Tage schrecklich viel zu tun und schicke Dir deshalb heute nur ein kurzes Lebenszeichen. Ich lege Dir aber eine längere Betrachtung bei7, die ich Dir eigentlich schulde, und die auch im Wesentlichen in Gedanken an Dich niedergeschrieben ist, denn mein letzter Brief war ja politisch etwas deprimiert. Um so mehr werden Dich die heutigen Ausführungen freuen.(C.H.B.)


Eisenlohr verwundet


39. C.H.B. an Frau Professor Eisenlohr, Heidelberg, Bonn, 22.6.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrte, gnädige Frau!

Da ich mir Ihre mütterlichen Sorgen lebhaft vorstellen kann, möchte ich Ihnen doch gleich von den erfreulichen Eindrücken berichten, die ich gestern in Nauheim hatte. Stellen Sie sich Ernst in gesunden Tagen und bester körperlicher Verfassung mit einem Beinbruch vor, dann habe Sie ungefähr das Bild seines derzeitigen Zustandes, nur dadurch verändert, daß er nicht ärgerlich und wütend ist , wie bei einem Beinbruch, sondern höchst vergnügt und behaglich sich die wohlverdiente Ruhe schmecken läßt. Appetit glänzend, Fieber nicht vorhanden. Den Arm kann er wieder ganz gut bewegen, und auch das Bein kann er wieder für leichte Hülfsdienste benutzen; so vermag er sich aus seinem bett selbständig auf den Balkon zu begeben, wo er dann sehr behaglich in der Sonne liegt. Er hat ein zwar kleines, aber durchaus

Genügendes Zimmer, was den Vorteil hat, daß er allein sein kann. Ich habe mit ihm gegessen und fand die Verpflegung ausgezeichnet. Er raucht und liest und sonnt sich und wird es schon einige Zeit so aushalten können.

Seine beiden Wunden eitern natürlich noch etwas, doch ist das normal, und glaubt er, daß die Sache sehr bald in Ordnung kommt. Nach anderen Erfahrungen halte ich es aber nicht für ausgeschlossen, daß sich die Sache doch etwas länger hinzieht; damit muß man halt rechnen, obwohl die Verwundungen so günstig sind, wie nur möglich, kein wichtiger Nerv getroffen, und ob man die Granatsplitter wird sich einkapseln lassen können oder ob man sie wird herausnehmen müssen, das läßt sich natürlich zur Zeit noch nicht übersehen.

Zweifellos hat Ernst ein außerordentliches Glück gehabt, fast ans Wunderbare grenzend, denn die Gefahr war doch groß, und durch seine Uniform sind noch mehr Splitter gegangen, während ihn nur die zwei an harmlosen Stellen verletzten.

Das ganze Krankenhaus machte mir auch einen sehr netten Eindruck, Pflegerin, Doktor usw. durchaus angenehm. Also, ich glaube, Sie können beruhigt sein, jedenfalls ist Ernstens Stimmung einfach brillant. Ich gedenke, ihn in 8 Tagen wieder zu besuchen; es tat mir leid, daß ich diesmal nur einen tag bleiben konnte, aber ich habe ihn immerhin von 9-4 Uhr mit einer halbstündigen Unterbrechung gesprochen. Er schaut übrigens von seinem Balkon in den Kurpark und wird, so wie er wieder etwas laufen kann –es ist ein Personenaufzug vorhanden – den schönen Nauheimer Kurpark nutzen können.

Mit verbindlicher Empfehlung, auch von meiner Frau, und mit herzlichem Glückwunsch, daß alles so gut abgelaufen ist, bin ich Ihr Sie aufrichtig verehrender (C.H.B.)

 

40. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Bad Nauheim. Bonn, 26.6.1915

( Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich möchte wohl gern wissen, wie es Dir geht und ob sich die Heilung Deiner Verwundungen programmgemäß vollzieht. Deiner Mutter habe ich geschrieben; sie hat mir sehr freundlich gedankt und mir auch mitgeteilt, daß Du inzwischen anderen Besuch gehabt hast. So werde ich Dich diesen Sonntag noch nicht wieder besuchen, sondern noch 8 Tage warten. Wir rechnen ja jedenfalls damit, daß Du dann zur Erholung nach Bonn kommst.

Gestern traf übrigens auch Dein Brief aus dem Lazarett ein: aus militärischen Gründen verzögert stand darauf. Ich verstehe nicht ganz, warum man die ersten Nachrichten aus den Lazaretten an die Angehörigen verzögert. Offenbar sind das generelle Regeln für die gesamte Post.

Das Italienheft der Süddeutschen Monatshefte wirst Du erhalten haben. Ich las es auf der Rückreise von Naumburg (?)und wurde so davon gefesselt, daß ich die Kollegvorbereitung ganz vergaß, die viel nötiger war. Namentlich der Aufsatz über das Mittelalter und die Beziehungen zu Savonarola sind sehr geistreich.

Den Dir nachgesandten Brief von Leffson hast Du gewiß inzwischen erhalten.- Ich bin neu-gierig zu erfahren, ob jetzt wirklich das IV. Korps an Eure Stelle gesetzt worden ist; dann käme mein Schwager Riedel ja vor eine wichtige Aufgabe.

Fischler schreibt heute, daß er Dich nicht wird besuchen können.- Sonst ist nichts Neues zu melden.

Herzliche Grüße vom ganzen Hause Dein getreuer (C.H.B.)

 

41. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Bad Nauheim. Bonn, 28.6.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Hedwig ist gestern Abend 8.15 Uhr mit dem Lazarettzug abgefahren. Ich habe vorher noch mit den Schwestern und den Ärzten zusammen im Operationswagen zu Abend gegessen und bin jetzt für 8 Tage Strohwitwer. Daß Dein Besuch bald bevorsteht, ist uns sehr erfreulich. Ich kann’s nur immer noch nicht so recht glauben, daß Deine Wunden so selbstverständlich heilen, ehe die Granatsplitter herausgekommen sind. Mach nur aus Ungeduld keine Dumm-heiten! Deinen Brief an Hedwig hat sie übrigens nicht mehr bekommen. Immerhin ist es gut, daß die Abreise jetzt stattgefunden hat und nicht erst später: dann ist sie jedenfalls zurück, wenn Du hierher kommst.

Vor ihrer Abreise hat Hedwig noch Deinen Wunsch mit den Pistolen ausgeführt. Die Sache liegt so, daß Parabellum nur ohne Anschlagskolben zu haben ist, Kostenpunkt M(ark) 125,-: doch bekommt die hiesige Firma frühestens in 14 Tagen ein einziges Exemplar. Mauserpistole mit Anschlagkolben kann jederzeit für M 115,- geliefert werden. Bitte bestimme, was bestellt werden soll. (C.H.B.)

 

42. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Heidelberg. Bonn, 5.7.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Es scheint Dir ja wieder ganz gut zu gehen, daß Du so kühn in der Welt herumfährst. Ich will Dir doch nur gleich schreiben, wie sehr wir uns auf Deinen besuch freuen, der uns natürlich jederzeit angenehm ist.

Von Hedwig habe ich schon vielerlei Nachrichten; heute kam gleichzeitig ein Brief von ihr, einer von Fischler und eine gemeinsame Karte von Hedwig und Bruder Fritz an. Da sie acht Tage in Marchienne zu warten hatte, hat sie sich kühn entschlossen, nach St. Quentin zu fahren und ist dort offenbar eine Nacht geblieben. Auf der Rückfahrt hat sie dann Fischler in Charleroi abgeholt, und sie erwartet jetzt stündlich die Abfahrt des Zuges zur Verladung. Die Rückfahrt ist dann natürlich der anstrengendste Teil der ganzen Unternehmung. Sie hofft, event(uell) in Nauheim auszuladen, doch will ich sie noch zu erreichen versuchen, um ihr mitzuteilen, daß Du bis zum 7. in Heidelberg bist.

Den Kindern geht es gut, und sie senden Dir herzliche Grüße.

Soeben erhalte ich ein neues Buch von Eduard Meyer Nordamerika und Deutschland, das ich aber noch nicht gelesen habe.

Empfiehl mich Deinen Damen bestens.

Auf frohes Wiedersehen! (C.H.B.)

 

43. Ernst Eisenlohr an C.H.B Im Felde (im Westen), 2.8.1915

Lieber Carl,

die Verwöhnung geht weiter durch Buch-senden und –schenken, der wackere Feldgraue wird in den 8 Stellungstagen, die heute wieder begonnen haben, reichlich Zeit haben zu dankbarem gedenken und geistiger Nahrung. Du fängst morgen, wie mir Hedwig schreibt, die Frankfurter Beobachtungszeit an; möge sie gut verlaufen und endlich die Grundlage für eine durchzu-führende Kur schaffen Es wäre Dir ja zu gönnen, den quälenden Begleiter endlich einmal loszuwerden.

Von der Zeit werden hier 2/3, jeweils 8 Tage, in der vorderen Stellung zugebracht. Sie werden, da wir nicht genug Material zur Beschäftigung aller Arbeitskräfte erhalten können

, nicht ganz ausgefüllt und, da die Nachbarn weit und überdies auch von Langeweile geplagt sind, am besten mit Schlafen und Lesen ausgefüllt. Die vier Tage hinten fliegen mit Dienst und Sport in dulci jubilo nur allzu schnell vorüber. Das militärische ist also, wenn’s nicht gerade so schießt, daß man nicht erkennen kann, was der Feind damit will, wenig spannend und erhält noch seinen Beigeschmack dadurch, daß wir einen Wink bekommen haben, uns für längere Zeit, etwa bis November einzurichten. Auch soll Vorsorge gegen die Winterwitterung getroffen werden. Das Letztere dürfte uns persönlich aber kaum noch viel angehen, denn wenn die Russen der Zange in Polen auskommen, also nicht vernichtet, sondern nur für Monate gelähmt werden, rechnen wir bestimmt mit einer großen offensive gegen die Franzosen, die dann voraussichtlich mit allen technischen Hilfsmitteln, es gibt deren, die in Deutschland nicht bekannt geworden sind, vorbereitet und durchgeführt werden wird. Es muß m.E. das militärische Ziel sein, die Franzosen von den Engländern zu trennen und die letzteren gegen die Küste hin zu zernieren. Je weniger aber davon jetzt geredet wird, um so besser. Die Nachrichten aus dem Osten verfolgen wir mit viel gespannterer Aufmerksamkeit als man sonst für andere Kriegsschauplätze übrig hat. Daß Mackensen so langsam vorwärts kommt, scheint fast darauf zu deuten, daß die Russen nicht abhauen und es später vielleicht nicht mehr können werden. Und die Balkandinge scheinen sich doch definitiv zu unseren Gunsten zu neigen. Durch den ersten, längsten und schwersten Teil des Hacktenfels 8sind wir also durch – ohne wohl im letzten Halbjahr allzuviel Menschen verloren zu haben; das Letzte müßte sich bei Zähigkeit und umsicht doch wohl zu Ende schaffen lassen. Die amerikanische Note wird wohl beantwortet werden, wenn wir Warschau haben.

Mein Befinden ist gut. Zuerst, als ich wieder herauskam, war ich, verglichen mit früher, geradezu schlafsüchtig und mußte mich auch wieder ans Schießen gewöhnen. Jetzt ist alles im alten Geleise. Der Splitter im Schenkel macht mir auch bei stundenlangem Reiten keinerlei Beschwerden.

Mit herzlichem Dank für das Buch und vielen guten Wünschen für Deine Gesundheit. Ernst

 

44. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Im Felde (im Westen!), 29.8.1915

Lieber Carl,

aus Deinem Brief geht hinsichtlich Deines Befindens wenigstens hervor, daß Du mit der Sorgfalt der Untersuchung zufrieden bist und endlich einen Weg zur Gesundheit vor Dir zu sehen hoffst. Ich bin gespannt auf das Ergebnis der Untersuchung und hoffe, Du unterrichtest mich gleich darüber. Sehr beruhigend ist mir gewesen, daß der Arzt den Zucker als Gefahren-quelle ausgeschaltet zu haben scheint.

Für die politischen Nachrichten war ich gleichfalls sehr dankbar und ebenso für das schöne große Buch, das Du mir durch den Verleger zuschicken ließest. Reventlow ist indeß noch nicht ganz beendet und hält meine wenigen Lesestunden noch beschäftigt. Im übrigen bin ich nun viel geschäftig. Lauter Kleinkram oder Korrespondenz-Verwaltung und des Stellungs-ausbaus mit viel Kampf gegen immer bürokratischer und unmilitärischer werdende Vorge-setzte. Oft grenzt es nicht nur ans Komische. Die Luft ist auch nicht mehr ganz so sauber hier. Wir haben ein neues Corps gegenüber, das viel arbeitet, seine Artillerie, auch schwere, vortrefflich aufgestellt hat und sie mehr benutzt, als mir lieb ist. Mein Abschnitts-Artillerie-geschwister ist die Batterie Mannhardt, in dessen Persönlichkeit und Urteilskraft ich kein übermäßiges Vertrauen setze, obwohl er ohne Zweifel sehr eifrig ist. Mal sehen, wenn’s darauf ankommt, was er leistet. Brauchbare schwere Artillerie mit Munition haben wir zur Zeit überhaupt nicht hier, alles im Osten. Gerüchteweise verlautet übrigens

  1. von französischen Angriffsgelüsten aus Reims heraus und
  2. von deutschen Truppen- und Artillerieanhäufungen nach dem Raum zwischen Calais und Arras.

Ich erzähle das mit allem Vorbehalt des Interesses halber und weil ich Deiner Diskretion sicher bin. Von Aust (?) höre ich, daß der Arabic Fall dort pessimistisch angesehen wird, und was mich mehr interessiert, daß mein Freund Jena (?) wohlbehalten ist.

In der zweiten Septemberhälfte werde ich, wenn nichts dazwischen kommt, 10 Tage Urlaub nehmen. In diesem möchte ich kurz nach Heidelberg und dann am liebsten eine kleine Tour oder Reise (Rothenburg?) machen. Ich schrieb heut an Jena, ob er auch um die Zeit Urlaub bekommen kann, glaube es aber nicht, da er als Kavallerist im Osten steht. Sonst ginge ich gern auf sein väterl(iches) Gut in der Priegnitz. Ich habe ihn nun seit mehr als 2 Jahren, oder sind’s drei?, nicht gesehen. In der Zwischenzeit hat er geheiratet.

Oder wenn Ihr um die Zeit im Schwarzwald oder sonstwo seid, komme ich einmal mit dem Rucksack zum Kaffee vorbei, aber diesmal nicht gern nach Bonn, da ich dort ja schon den halben Krieg über herumgesessen habe.

Der Aufenthalt hier ist nur erträglich durch gute Kameraden.

Leb wohl und werde gesund. Ernst


1 Er wurde dann doch noch eingezogen und fiel im Jahre 1917

2 Antonio Salandra *1853 + 1931 . Italienischer Politiker, Jurist, 1879 Professor in Rom, 1886 Abgeordneter der rechten Mitte. Führte als Ministerpräsident (1914-16) den Kriegseintritt an der Seite der Entente herbei; 1919 Delegierter Italiens in Versailles. Begünstigte nach 1920 den Faschismus, 1928 wurde er Senator.

3 Giorgio Sidney Sonnino, Baron, italienischer Politiker, *1847 +1922, Jurist und Diplomat,; ab 1880 Abgeordneter, mehrmals Minister, 1909/10 Ministerpräsident, liberal-konservativer Gegenspieler Giolittis. Als Außenminister 1914-19 führte er den Kriegseintritt Italiens an der Seite der Entente herbei

4 wohl gemeint: ausgerechnet!

5 Hervorhebung vom Herausgeber.

6 Französischer Grenzort zu Belgien

7 Liegt nicht bei den Akten.

8 Durchbruch der Bagdadbahn an der Kilikischen Pforte?? Diese Strecke von Konya zur Grenze ist 3200 km lang und wurde zwischen 1903-1940, zu zwei Dritteln mit deutschem Kapital gebaut. Sie trieb England und Rußland im 1. Weltkrieg zu gemeinsamer Politik gegen Deutschland.

Ernst Eisenlohr (1910-1914)

HA.VI. Nr. 327 (Ernst Eisenlohr 1910-35)

16. C.H.B. an Dr. Ernst Eisenlohr, Heidelberg, Hamburg, 5.11.1910

(Schreibmaschinenkopie)

Lieber Ernst!

Es ist mir leider ganz unmöglich, Deine Anfrage zu beantworten. Diese ist wohl überhaupt nur die Folge einer häufigen Verwechslung von Kolonialamt und Kolonialinstitut. Mit dem Betrieb des Kolonialamtes haben wir gar nichts zu tun. Auch wissen darüber evtl. kommandierte Offiziere nicht Bescheid.. Dein Bekannter soll sich einfach schriftlich an das Kolonialamt wenden. Das ist der einzige Weg, den auch ich einschlagen könnte. Meiner Erfahrung nach werden den Offizieren weniger vom Kolonialamt, als von ihren eigenen Truppenkörpern Schwierigkeiten bereitet. Da Paul Sigk aber schon in Südwest war, kennt er ja die fraglichen Stellen des Kolonialamtes besser als ich. Wir sind eben kein Zweig des Kolonialamtes, sondern eine freie Hochschule, der das Kolonialamt seine künftigen Beamten überweist; dementsprechend kann ich Dir leider keine Auskunft geben. Überdies sind zur Zeit, soviel ich weiß, nur sehr wenige Offiziere hierher kommandiert. Bei mir persönlich keiner. (Schluß fehlt). (C.H.B.)

 

17. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Hamburg, 22.2.1912

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich will Dir doch auch mitteilen, daß ich nicht zum Rupertenfest komme, nachdem ich erst angenommen hatte. Ich habe in den letzten Tagen furchtbar viel Unruhe gehabt, war in der vorigen Woche vier Nächte im Schlafwagen, habe Sonnabend Prüfung, zur Zeit gerade den Herzog Adolf Friedrich hier in Hamburg mit zu feiern, außerdem ist es Hedwig gar nicht gut gegangen und last not least muß ich bis zum 1. März eine umfangreiche Terminarbeit abliefern, mit der ich durch die vielen äußeren und inneren Hemmungen der letzten Zeit noch sehr im Rückstande bin. Unter diesen Umständen muß ich auf das Wiedersehen mit Dir bei dieser Gelegenheit verzichten und bitte Dich, auch Ackermann und Welde mein Bedauern über meine Behinderung auszusprechen. Es tut mir um so mehr leid, weil die anderen Hamburger Ruperten alle zur Zeit, sei es durch Assessorexamen, sei es durch Wochenbett der Frau am Kommen verhindert sind.

Sollte Hedwig Anfang März wieder frisch sein, so denken wir mal auf ein paar Tage nach Berlin zu kommen und dann werden wir wieder einmal gemütlich beisammen sein.

Mit herzlichen Grüßen vom ganzen Hause (C.H.B.)

 

18. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Hamburg, 12.7.1912

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Aus Deinem Briefe an Hedwig habe ich mit Freuden ersehen, daß es Dir im Grunde doch ganz gut geht, trotz all der kleinen Anlässe zur Kritik, die die neue Umgebung bietet. Zweck dieser Zeilen ist nur, Dich zu fragen, ob Du tatsächlich Deine militärische Übung machst, oder ob Du am 1. August noch in London bist. Da ich ja dann von Brüssel über England nach Esbjerg und nach Fanö fahren will, könnte mich Deine Anwesenheit in London zu einem kurzen Besuch dortselbst bestimmen. Teile mir also bitte mit, sobald Deine Pläne in dieser Hinsicht feststehen.

Du wirst von Hedwig gehört haben, daß wir erst acht Tage später als projektiert nach Fanö gekommen sind, da beide Kinder erkrankten. Nun ist aber die Gesellschaft glücklich dort installiert. Ich habe sie selbst hingebracht und habe auch weiter gute Nachrichten. (C.H.B.)

 

19. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Hamburg, 24.7.1912

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Ich finde es reizend, daß wir uns in Harwich treffen werden. Könntest Du Dich nicht einen Vormittag frei machen, dann würde ich nicht 12, sondern 36 Stunden in Harwich bleiben und wir könnten einen gemütlichen Abend zusammen verleben. Das wäre nur möglich, wenn ich am 1. August vormittags in Harwich bin und am 2. abends dort abfahre. Das Schiff von Freitag, den 2., will ich jedenfalls nehmen, damit ich den Sonntag schon bei Hedwig bin. Könntest Du Dich nicht frei machen, so würde ich erst am 2. August morgens in Harwich eintreffen und abends weiterfahren, Dich also nur wenige Stunden sprechen, wie Du es in Deinem Briefe vorschlägst. Definitives telegraphiere ich Dir von Brüssel, wo ich Sonntag eintreffe und nach dem Palace Hotel eine definitive Nachricht von Dir erbitte. Ich freue mich wirklich sehr auf ein paar Stunden Zusammensein mit Dir.

Hedwig meinte neulich, Du könntest doch die projektierten 8 Tage Seaside in Fanö verleben und gleich mit mir nach Esbjerg fahren. Das wäre ein famoser Gedanke; ich fürchte aber, er wird Dir zu abenteuerlich sein.

Den Kindern geht es gut. Walter läßt Dich ganz ex tempore grüßen. Hedwig ist leider immer noch nicht ganz frisch. Sie leidet ziemlich unter der Hitze. Alles Nähere dann mündlich. (C.H.B.)

 

20. C.H.B. an Vizekonsul Dr. Ernst Eisenlohr, London, Hamburg, 8.3.1913

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst,

ich komme voraussichtlich am 1. April, evtl. ein paar Tage später, zum Historiker-Kongreß auf gut eine Woche nach London. Wirst Du dann da sein? Jedenfalls hoffe ich auf manch gemütliches Zusammensein mit Dir, obwohl ich begreiflicherweise sehr besetzt sein werde. Kannst Du mir irgendeinen guten Rat geben betreffs einer angenehmen Unterkunft, wo ich nicht allzu gebunden bin? Der Kongreß scheint ziemlich schlecht organisiert, da man bisher noch nichts darüber gehört hat, aber es werden sehr viele ausländische Gelehrte nach London kommen.

Die Masern sind nun endlich vorbei und es schwebt noch ein gewisses Damoklesschwert über Hedwig, daß sie sie zu guter letzt auch noch bekommt. Die Familie ist wenigstens wieder vereinigt. Hoffentlich hat die Misere jetzt ein Ende, es wäre hohe Zeit. Ich bin über alle Maßen mit der Universitätssache beschäftigt und der kurze Aufenthalt in London, wird meine einzige Erholung in diesen Ferien sein. Länger mag ich von hier nicht fort. Am liebsten würde ich irgendeinen Tages(aufenthalt?) mit Dir machen.. Überleg Dir mal was! (C.H.B.)

 

21. C.H.B. an Vizekonsul Dr. Eisenlohr, London, Hamburg, 23.5.1913

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst,

heute nur in aller Eile einen kurzen Gruß und die Mitteilung, daß hier alles weiter nach Wunsch geht. Hellmuth ist ein entzückender kleiner Bengel, und strammer als seine Geschwister im gleichen Lebensalter. Die Kinder sind in Schwartau mit der Großmutter.

Ich sende Dir anbei Walters Brief zurück. Ich habe inzwischen direkt von ihm gehört.

Mit herzlichem Gruß von Haus zu Haus Dein getreuer (C.H.B.)

 

22. Ernst Eisenlohr, an C.H.B. London, 13.11.1913

Lieber Carl,

Deine guten Wünsche, für die ich Dir herzlich danke, sind in Erfüllung gegangen. Ich bin mit der Einrichtung und vorläufigen Verwaltung eines Berufskonsulats in Sao Paulo de Loanda, dem einzigen in Angola, beauftragt und fahre am 25. von Antwerpen ab, um kurz vor Weihnachten ans Ziel zu kommen. Der Erlaß kam gestern.

Ich schreibe mehr, sobald ich kann, bis zu meiner Abreise werde ich alle Hände voll mit Vorbereitungen zu tun haben, daneben muß der Fischereibericht noch abgeschlossen werden. Auch Hedwig kann ich erst später für Ihren Brief danken.

Seid alle herzlich gegrüßt, Ernst.

 

23. Ernst Eisenlohr an C.H.B. London, 17.11.1913

Lieber Carl,

vielen herzlichen Dank; aber Du darfst nicht kommen. Einmal sind es 6 Eisenbahnstunden nach Antw(erpen) und 6 zurück. Und dann ist die Abfahrtsstunde der Elisabeth Brock von der Woermannlinie am 25.11. noch nicht bestimmt. Du würdest also ins Ungewisse fahren. Ich denke am 25. Morgens in A(ntwerpen) anzukommen, wenn nötig am 24., obwohl dieser Tag eigentlich hier noch richtig besetzt ist. In Antwerpen habe ich dann zum dortigen Vizekonsul zu gehen, der evtl. mir Sachen vom Auswärtigen Amt zu übermitteln hat.

Möglich ist natürlich alles und Du weißt, wie gern ich Dich noch sehen würde. Wenn ich schon Samstag Abend hier führe? Bestimme Du und telegraphiere. Antwortadresse ist das Schiff, das mehrere Tage dort liegt oder p.a Vizekonsul Bode, Deutsches Generalkonsulat.

Nochmals sehr in Eile und todmüde und mit herzlichem Dank. Ernst

 

24. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Auf der Höhe von Casablanca, 2.12.1913

Lieber Carl,

ich fange schon an Dich, wie ich es Dir angekündigt habe, in Anspruch zu nehmen. Kannst Du mir die Singelmann’schen Aufsätze über Angola im Jahrgang 1913 der Kolonialzeitung auf pp. 56, 65, 121, 172, 266, 385, 501, 538, 551, 580, 624, 678, 694, 711, 724 und 761, sowie die Artikel von Paul Rohrbach über den gleichen Gegenstand in der Täglichen Rundschau vom 11. bis 17. April 1913, Abendausgaben, sowie endlich einen Abdruck des Staatsangehörigkeitsgesetzes von diesem Jahr womöglich schon kommentiert, andernfalls in der betr. Nummer des Reichsgesetzblatts besorgen? Ich wäre Dir sehr dankbar dafür.

Die Fahrt bisher war ausruhend und wundervoll, von jetzt ab wird es heiß, aber auch interessant werden. Wir kommen morgen nach Las Palmas auf den Capverdischen Inseln und legen dann noch in Monrovia, Sao Thomé, Cap Lopy und den Hafen von Portugiesisch-Congo an, die ich mich freue, bei dieser Gelegenheit kennen zu lernen. Postverbindung nach Loanda ist vom 1.1.1914 ab am 1. jeden Monats ab Lissabon mit portugiesischem Schnelldampfer und dto. mit der Ostafrikalinie am 15. jeden Monats. Langsamere Linien gehen von Lissabon am 7. und 21.jeden Monats. An Zeitungen werde ich Times, Frankfurter, Economist, Kolonialzeitung und 1 oder 2 Lissabonner Blätter beim Auswärtigen Amt beantragen. Meine Gesellschaft werden – hoffentlich – vorwiegend Engländer sein und portugiesische Offiziere, wenn es mir gelingt, auf einen grünen Zweig mit ihnen zu kommen. Konsul Singelmann plant im Auftrage der Kolonialgesellschaft für die trockene Jahreszeit (Anfang Januar) eine Reise nach Angola. Er ist ein netter Mann, ich reise vielleicht – einstweilen meine ganz private Absicht – mit ihm, um das Land kennen zu lernen und ich werde wohl mit ihm auskommen, falls er mir nicht in meine Competenz hineinpfuscht. Vor Rohrbach hat er mich wegen dessen unvorsichtiger Presseäußerung gewarnt.

Euch allen viel Gutes zum Neuen Jahr und herzliche Grüße, Ernst

 

25. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Loanda, Bonn, 6.12.1913

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst,

Wenn man so ausreist, warten die Zurückbleibenden meistens erst auf ein Lebenszeichen von dem Ausreißer, ehe sie selbst schreiben. Dadurch bleibt der betreffende dann oft Wochen und Monate lang ohne Nachricht. Ich will aber nicht so sein, sondern daran denken, daß man Dir doch jetzt schreiben muß, wenn Du zu Weihnachten oder Neujahr einen Gruß von uns haben willst, und da sind es denn zunächst herzliche Wünsche, die zu Dir eilen, daß Du in Deinem neuen Wirkungskreis volle Befriedigung finden mögest. Schreibe uns doch recht bald einmal, wie es Dir dort klimatisch und amtlich gefällt. Ich denke täglich an Dich und begleite Dich auf der schönen Reise über Lissabon nach Togo und Kamerun. In Kamerun wirst Du von der deutschen Verwaltung wohl keine überwältigende Eindrücke bekommen. Vielleicht triffst dort einige meiner alten Hörer.

Von uns ist eigentlich heute noch nicht viel zu reden. Ich habe meine Reise nach Leyden programmgemäß ausgeführt und in einem der schönen, alten, stimmungsvollen Auditorien der Universität auf Snouck’s Katheder meinen Vortrag gehalten. Es waren nahezu alle holländischen Orientalisten anwesen und ich werde stets gern an diese kleine Vortragsreise zurückdenken.

Bei uns im Hause geht alles weiter gut. Hellmuth nahm jetzt die Woche ein gutes halbes Pfund zu, so daß wir über beruhigt sein dürfen. Weihnachten werden wir nun doch hier in Bonn bleiben und nicht wie projektiert, nach Augsburg gehen. Dafür haben wir die Schwiegereltern zu uns eingeladen, doch ist es noch nicht sicher, ob sie kommen.

Heute ist Herzfeld bei mir eingetroffen. Er wohnt bei uns für ein paar Tage, um mir ausführlich über die Resultate seiner großartigen Ausgrabung in Samara zu sprechen. Da würdest Du auch gewiß gern zuhören.

Ganz Deutschland ist zur Zeit von der Zaberner Affaire erfüllt. Es ist einfach unbegreiflich, wie ungeschickt diese ganze Sache von der Regierung angefaßt worden ist. Im Grunde handelt es sich doch um eine Bagatelle. Immerhin habe ich doch vielleicht etwas besser von der Volksvertretung denken lernen. Im allgemeinen bin ich ja für die aufgeklärte Despotie, da von der Volksvertretung die sachverständigen Vorschläge der Regierung meist nur ins Dilettantische übersetzt werden. In diesem Falle aber sieht man doch, welch großen Nutzen Presse und Parlament zur Schärfung des Gewissens der Regierung haben können.

Ich schicke Dir einliegend einen kleinen Aufsatz aus unserer Zeitung, der Dich vielleicht interessiert. Ich habe meinem Nachrichtenbureau in Berlin den Tip gegeben, mir alle Zeitungsausschnitte über Angola und Umgebung zuzusenden. Du sollst sie dann regelmäßig erhalten. Es freut mich, auf diese Weise etwas für Dich tun zu können.

Dieser Brief ist mit der Maschine geschrieben, weil ich gerade einen Moment frei hatte, Dir einen Gruß zu schicken. Zu einem Brief mit der Feder brauche ich immer einem Moment

ruhiger Sammlung, der leider nicht all zu oft eintritt, und ich wollte Dich nicht auf einen solchen warten lassen.

Also Glückauf in Loanda und alles Gute von Hedwig (C.H.B.)

 

26. C.H.B. an Frau Professor Eisenlohr, Heidelberg, 19.10.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrte gnädige Frau!

Ihr freundliches Schreiben, das ich allerdings erst gestern erhielt, hat gerade die entgegen-gesetzten Empfindungen ausgelöst, als Sie annahmen: Gott sei Dank, wieder ein Lebens-zeichen von Ernst. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich so freundlich benachrichtigen, denn mich beschäftigt die völlige Unterbrechung jeglichen Kontaktes mit Ernst doch auch recht lebhaft. Wie glücklich wird er sein, wenn er endlich neue Nachrichten erhält. Selbst die französischen Siegesnachrichten von der Marne, die er sicher bekommen wird, werden bei einem so klugen Kopfe, wie dem Ernst, doch nur die Überzeugung auslösen, daß die Deut-schen doch nicht nur geschlagen sein können, wenn es nötig ist, sie vor den Mauern von Paris zurückzuwerfen. Ernst ist ja so ruhig, daß er die Dinge mit Fassung ertragen wird. Wenn jetzt Portugal wirklich den Krieg erklärt, so wird er wohl sofort zurückkommen, und ihn als Konsul kann man ja wohl nicht davon abhalten, nach Deutschland zurück zu reisen.

Bei der Zuspitzung unseres Verhältnisses zu Portugal habe ich jetzt nicht mehr an Ernst geschrieben, da er ja vielleicht schon auf der Rückreise ist. Wenn wir allerdings jetzt entscheidend siegen, wird sich doch vielleicht Portugal noch besinnen, seine Kolonien zu riskieren. Die englische Regierung allerdings scheint alle größeren Gesichtspunkte verloren zu haben, und von einer kindischen Wut erfüllt, es nur auf momentane Schädigung Deutschlands abgesehen zu haben. Die portugiesische Kriegserklärung kostete uns nur unsere dortigen Schiffe. Noch ist zwar viel zu tun, aber man kann jetzt dem Lauf der Dinge doch mit einer gewissen Beruhigung entgegensehen. Wenn es uns nur gelänge, auch England ins Knie zu beugen: Aussicht dafür scheint vorhanden.

Mit nochmaligem bestem Danke und der freundlichen Bitte, mich auch weiter auf dem Laufenden zu halten, bin ich mit verbindlichen Grüßen, denen sich auch meine Frau anschließt,

Ihr Ihnen verehrungsvoll ergebener (C.H.B.)

 

27. C.H.B. an Ernst Eisenlohr, Loanda, Bonn, 31.10.1914

(Maschinenkopie)

Lieber Ernst!

Du hast ewiglange nichts mehr von mir gehört, und ich habe Dir in der letzten Zeit auch mit Absicht nicht geschrieben, da ich nicht glaubte, daß Dich während des Krieges Briefe erreichen würden. Nach dem guten Erfolg von Hedwigs Brief sollst Du aber auch von mir hören. Mögen auch diese Zeilen trotz der sich immer mehr zuspitzenden internationalen Beziehungen in Deine Hände gelangen, um Dir zu bestätigen, wie herzlich wir Dein gedenken. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht von Dir sprechen. Eine Zeit lang schien es ja, als ob Portugal uns den Krieg erklären wolle, und da sahen wir Dich schon im Geiste auf der Heimreise. Hoffentlich kannst Du noch lange unbehelligt dort unten bleiben, bis man Dich freiwillig zurückholt.

So interessant es für Dich in Loanda sein muß, so bedauere ich Dich doch darum, daß Du diese gewaltige Zeit nicht in Deutschland miterlebt hast. Ungeahnte Lebenskräfte, Ideale,, eine starke Einmütigkeit des Volkes, das Schwinden aller politischer und religiöser Gegensätze sind Wirklichkeit geworden. Man sieht, wie sekundär alle diese sonst so wichtig erscheinenden Strömungen doch in Wirklichkeit sind, wenn das Lebensinteresse des Ganzen auf dem Spiele steht. Wir leben ja unter militärischer Diktatur, aber alle Welt befindet sich höchst wohl dabei, und die konservativen Elemente verlangen sozialistische Produktions- und Konsumtions-Regelung. Es geht eben auch so. Und trotz der ans Wunderbare grenzenden Kraftanstrengung merkt man im alltäglichen Leben, selbst in unserem doch linksrheinischen Bonn, abgesehen von den zahlreichen Verwundeten und dem Mangel an Autos, nur wenig vom Kriege. Die Universitäten sind wie alle Schulen in normalem Betriebe, und ich habe ziemlich genau soviel Hörer wie sonst, wenn auch die Gesamtzahl der Studierenden auf die Hälfte herabgesunken ist. Die Nahrungsmittel sind kaum teurer geworden: zwar sind vorübergehend von spekulativen Bauern lokal die Kartoffelpreise gesteigert worden, doch ist nichts zu befürchten, da die Ernte glänzend ist, und die Regierung zu Zwangsverkäufen übergehen wird. Die wenigen Autos benutzen jetzt Benzol statt Benzin. Vom 2. November ab tritt der Friedensfahrplan der Eisenbahn wieder in Kraft. Auf dem Rhein drängen sich die Kohlen-schiffe. Die Industrie ist auch nicht allzusehr geschädigt, dank der glänzenden Politik unserer Reichsbank, die sogar mein Schwiegervater als wahrhaft großzügig bezeichnet.

Trotz aller äußeren Alltäglichkeit haben wir alle natürlich nur einen Gedanken, den Krieg. Damit wacht man auf, damit legt man sich schlafen. Die dreimal kommenden Zeitungen genügen einem nicht, man läuft dazwischen noch zweimal zur Stadt, um Extrablätter zu erhaschen. Sehr groß sind die Verluste, die namentlich in unseren Kreisen erheblich sind, da der Prozentsatz der fallenden Offiziere begreiflicherweise größer ist als der der Mannschaften. In unserem nächsten Familienkreise sind wir durch eine gnädige Fügung verschont geblieben, obwohl Bruder Alex, Schwager Fritz, mein Schwager Riedel, der General, mit drei Söhnen im Felde stehen. Aber sonst sind Unzählige gefallen, die man kennt, und viele, die uns nahe stehen. Am meisten erschüttert hat mich der Tod von Paul Mestverdt, dann Berni Weiß, Ewald Lüders, um nur diese Dir bekannten zu nennen. Ernst Welde scheint es glänzend zu gehen; er ist bei einem Brücken-Train und hatte, bis zur letzten Nachricht von ihm, immer Interessantes erlebt und gute Quartiere gehabt. Walter Groß stand bisher in Germersheim, kam gestern hier durch auf dem Weg nach Antwerpen. Fischler ist bei Kriegsbeginn begnadigt worden, hat überall versucht anzukommen, immer vergeblich und schwer demütigend für ihn, soll aber jetzt, wie wir von Frau Groß hören, in Magdeburg beim Gesundheitsamt tätig sein. Leider macht die Demokratisierung des Krieges vor ihm halt: ja, der Krieg ist für ihn besonders hart, da er ihm das Ausland verschließt. Ganz ohne Nachricht ist man natürlich von all den vielen Freunden im Ausland, ich denke nur an Stübel und all die vielen Leute, die ich in Hamburg ausgebildet habe. Wer wird davon noch leben?

Über die kriegerischen Ereignisse bist Du ja durch die Zeitungen orientiert, wenn Du überhaupt Post bekommst. Das große Ereignis der letzten Tage ist das langerwartete Eingreifen der Türkei, das sehr sorgfältig vorbereitet war. Es bedeutet für uns natürlich eine Entlastung und wirkt wie ein Fuß, mit dem der deutsche Recke nach unten austritt, während er seine beiden Arme gegen Osten und Westen nötig hat. Ich habe natürlich mancherlei über den Gegenstand geschrieben und mache den Versuch, Dir separat einiges zu schicken auf die Gefahr hin, daß es konfisziert wird; die deutsche Zensur hat es natürlich passiert. Übrigens ist unsere Zensur streng aber wohltätig. Dadurch, daß man die gegnerischen, teils unwahren, teils halbwahren, in Einzelfällen auch richtigen Siegesnachrichten hier unterdrückt, ist es gelungen, die allgemeine Stimmung hochzuhalten. Der wirklich gebildete und kritische Mensch hat ja doch Gelegenheit genug, unsere eigene Presse mit Hülfe der neutralen oder feindlichen zu korrigieren. Nun wirken diese ständigen Verunglimpfungen und Entstellungen des Tatbestandes, diese häßlichen Vergrößerungen von kleinen Wirklichkeiten auf die Dauer so deprimierend, daß man die Weisheit unserer Zensur dankbar anerkennen muß. Natürlich sickert, namentlich hier an der Grenze, doch mancherlei durch, was nicht in die Zeitungen kommt, und es ist kein Wunder, daß unter Millionen von Kämpfern auch einige Flaumacher sind. Und überhaupt die Flaumacher! Solche Leute sind gemeingefährlich. Man findet sie aber in allen Schichten. Die Gesamtstimmung ist namentlich bei allen Eingeweihten optimistisch. Der Rausch der ersten Wochen, nach dem es sich in Frankreich nur um einen militärischen Spaziergang zu handeln schien, ist verflogen. Man weiß genau, daß es noch harte Arbeit kosten wird; aber an dem endgültigen Erfolg zweifelt eigentlich niemand. Vor allem will man keinen faulen Frieden, sondern man will eine gründliche Abrechnung, selbst wenn es noch viel Blut kosten sollte. Der Haupthaß richtet sich begreiflicherweise gegen England, dessen Kriegsführung den wahren Charakter dieser Nation erschreckend aufgedeckt hat. Auch der kleinste Sieg über englische Truppen oder Schiffe wird mit größerem Jubel begrüßt, als wie ein drei- oder viermal so großer Sieg über andere Mächte. Auch draußen bei den Kämpfenden soll es ebenso sein.

Das britische Weltreich kracht in allen Fugen, und wenn es auch, wie ich glaube, den Krieg überlebt, so werden die Engländer noch Jahrzehnte an den Folgen zu tragen haben. Der eng-lischen Kriegsführung fehlt alle und jegliche Spur der Ritterlichkeit und der Moral. Dein Schwager hat über England und Deutschland ein Pamphlet verfaßt, das die Stimmung wohl richtig wiedergibt, aber mich im Übrigen doch ziemlich entsetzt hat.

Was nach dem Kriege werden soll, ist unausdenkbar. Jetzt fehlt uns ein Bismarck. Gottlob ist die Diskussion darüber in der Presse verboten. Natürlich wird alles von unseren Erfolgen abhängen. Die Neuordnung muß jedenfalls so erfolgen, daß ein neuer Krieg unmöglich ist. Ich würde gern einmal wieder ein paar Stunden gemütlich mit Dir kannegießern, aber brieflich hat das wenig Zweck. Ich bin für das große Ziel Bagdad-Berlin auf der Basis des Staatenbundes und des geschlossenen Wirtschaftsgebietes, dazu die bekannte Mittellinie durch Afrika. In Europa nur strategische Verbesserungen der Grenze. Um Gotteswillen nichts am Mittelmeer. Die Entscheidung wird ja wohl darin liegen, wie weit es uns gelingt, an England heranzukommen.

Nun noch ein paar Worte über uns. Wir sind in Bonn sehr glücklich. Es geht den Kindern gut. Walter entwickelt sich famos und wird ein heller Kopf, an dem ich täglich meine Freude habe. Hertha leistet bisher mehr im Physischen. Sie eine stramme, dralle Dirn, rosig und appetitlich und eine Musterschülerin. Auch der Jüngste macht uns keine Sorgen mehr. Er spricht noch sehr wenig, fängt aber an zu laufen. Bei meiner Mutter hatten wir im Frühjahr schwere Sorgen, doch ist es durch richtige Behandlung abermals zum Stillstand gekommen, und jetzt ist sie wieder schmerzfrei und von fast unbegrenzter Leistungsfähigkeit trotz ihrer bald 76 Jahre. Auch in Augsburg geht es gut. Ich selbst habe mich gesundheitlich im vergangenen Jahre ziemlich geplagt. Die schwere hamburgische Nervenabspannung hat mich während des ganzen ersten Bonner Jahres nicht verlassen und sich auf meinen schwachen Teil, Magen und Darm, geworfen, so daß ich wirklich über Gebühr geplagt war. Im Frühjahr war ich deshalb in einem Sanatorium in Meran, von wo wir Dir ja öfters schrieben. Man hat mich dort auf allgemeine Nervosität behandelt, ohne der Sache auf den Grund zu gehen. Ende des Sommer-semesters wurde mein Zustand so schlimm, daß ich Urlaub nehmen mußte und mich zu Krehl nach Heidelberg in die Klinik legte, um einmal genau feststellen zu lassen, ob sich nicht etwas Ernsteres hinter meinem unerträglichen Blähungs und Aufstoßerscheinungen verberge. Mit allen Chikanen der modernen Wissenschaft wurde ich untersucht und schließlich festgestellt, daß ich ein nervöses Darmleiden habe, das nicht schlimm aber sehr lästig sei und dem man nur auf psychischem Wege beikommen kann. Irgendwo mußte der Cirkulus vitiosus Darmerkrankung – Depressionen – Darmerkrankung unterbrochen werden. Das sollte unter Leitung von Fränkel geschehen. Da kam der Krieg. Es wurde natürlich nichts daraus; aber die große Tatsache des Krieges mit ihrer Ablenkung der Gedanken von dem kleinen Ich hatte im Zusammenhang mit dem nervenberuhigenden Entscheid Krehls eine sehr günstige Wirkung auf meinen Zustand, so daß ich mich jetzt zwar noch nicht wieder ganz gesund, aber doch erheblich besser fühle.

Ich habe diesen Brief in die Maschine diktiert, damit ihn der Zensor schneller lesen kann und Du Aussicht hast, ihn zu erhalten. Bleibe gesund und sei von uns allen aufs herzlichste gegrüßt. Hoffentlich dauert es nicht mehr zu lange, bis wir uns einmal wieder aussprechen können. Möge es uns bis dahin vergönnt gewesen sein, einen günstigen Frieden zu diktieren. (C.H.B.)

 

28. Ernst Eisenlohr an C.H.B. Loanda, 20.12.1914

(Schreibmaschinenmanuskript)

Lieber Carl,

mit Deinem ausführlichen Brief, dem orientierendsten, den ich bisher aus Europa bekommen habe, und mit den Drucksachen hast Du mich sehr erfreut. Besonders Deine Schriften haben mir gefallen, bis auf den Gedanken, die Russen durch einen gestärkten Tartarenstaat vom Schwarzen Meer abhalten zu wollen. Das würde ich für utopisch halten. Dagegen hat mir die Schrift von Dibelius über England, obwohl eine Menge Wissen darin leicht verdaulich gemacht ist, nicht eben imponiert.

Die Gedanken darüber, wie der Krieg voraussichtlich verlaufen wird , und was nachher wer-den soll, beschäftigen natürlich auch mich unablässig. Als Unterlagen habe ich die gleichen Nachrichten wie ihr, nur 1 bis 2 Monate später, mit Ausnahme der Reutertelegramme und der Depeschen des Britischen Ministers in Lissabon, Mentiroso Britanico, wie wir ihn hier nennen. Die Resultate, die man beim Frieden hereinbringen kann, bemessen sich selbstverständ-lich in erster Linie nach der Größe des errungenen kriegerischen Erfolges; und da glaube ich, daß wir mit unserem wohlorganisierten Zusammenhalten, mit unserer Volks- und Heeres-kraft in absehbarer Zeit dazu kommen, die französisch-englische Mauer zu durchbrechen und die Heere zu schlagen. Die Russen werden, wenn keine Revolution ausbricht, mit der zu rechnen unvorsichtig wäre, wohl in einem Zustand Prestige, Geld und Menschen seiner Kolonien zu verlieren. Dagegen können wir uns vorsehen durch Erwerb von Flottenstützpunkten und Kohlenstationen, die zugleich dazu dienen müssen, die Türme eines erdumspannenden Telefunkennetzes zu tragen; dazu brauchen wir Milliarden, um unsere Flotte zu vergrößern und leider auch vielleicht einen Stützpunkt an der belgischen Küste. Daran, daß es möglich wäre, die Engländer aus Ägypten hinauszuwerfen, bevor sie nicht völlig am Boden liegen, glaube ich nicht. Die Querlinie durch Afrika und den Schutz unserer wirtschaftlichen Interessen in Vorderasien halte auch ich für notwendig, letzteres aber in Formen, die die Territorialhoheit der Türken wahren und zugleich den wirtschaftlichen Interessensphären der anderen in Syrien usw. ein Ende setzt. In Europa so wenig Grenzänderungen wie nur irgend möglich; darin bin ich ganz mit Dir einig. Die Regelung dieser Dinge wird eine ungeheure Arbeit machen und sehr viel historisches Verständnis und politische Weisheit erfordern.

Mir geht es nicht besonders; meine Nerven sind durch Arbeit, Sorgen und unglaublich viel Ärger ziemlich heruntergekommen. Zudem wird es jetzt recht heiß. Persönlich – amtlich natürlich alles andere – habe ich keinen heißeren Wunsch, als daß Portugal endlich einmal der neutralen Haltung, die schon lange eher das Gegenteil ist, ein Ende machen und mich von diesem Posten und der sehr drückenden Isolierung erlösen möchten. Neulich gab es wieder einen Zwischenfall an der Südgrenze; und neulich wirklich einen sehr schlimmen. Vielleicht ist ihnen das als Vorwand recht, da sie ein neues, anscheinend ziemlich unselbständiges Ministerium haben.

Ich möchte in dieser Zeit endlich auch einmal Soldat sein dürfen.

Seid alle recht herzlich gegrüßt. Ernst

Else Becker u. Ernst von Blumenstein jr.

HA. VI. Nr. 6286 (Else Becker, Ernst von Blumenstein jr.)

8. C.H.Becker an seine Schwägerin Else Becker. O.O (Bonn), 19.12.1913

(Maschinenkopie)

Liebe Else,

ich möchte Dir doch einmal aussprechen, wie herzlichen Anteil ich an Eurem Mißgeschicke mit Ully (nicht: Ulli) nehme. Daß ihr die Nierenattacke nicht erspart geblieben ist, ist wirklich fatal, aber selbst wenn man es in der verschärften Form erlebt, wie ich es seiner Zeit durch-machte, kann man doch völlig wieder gesund werden. Meistens geht es ja sehr viel glatter, als wie bei mir. Auch hat man wirklich, selbst in der schlimmsten Zeit, keine Schmerzen dabei, und wenn einmal die erste Zeit vorüber ist, befindet man sich sogar ganz behaglich in seinem Bett. Bei mir war es damals die selbe Jahreszeit, und ich erinnere mich noch ganz genau des Weihnachtsabends 1889, den ich einsam mit der Mutter in Frankfurt feierte, während die übrige Gesellschaft in Gelnhausen war. Die größte Unbehaglichkeit und die meiste Sorge haben bei dieser Sache die Eltern, und deshalb richte ich auch meine Teilnahme weniger an Ully, als an Euch. Hoffentlich könnt Ihr doch schon beruhigt Weihnachten feiern, und ich bin sicher, daß Ully das Fernsein nicht allzu tragisch nehmen wird.. Wir bitten gar nicht um weitere Nachricht, da wir durch Mutter Näheres hören und Du jetzt wirklich alle Hände voll hast.

Wir sind bisher leidlich über den Winter gekommen, und ich hoffe nur, daß es so weiter geht. Hellmut entwickelt sich endlich regelmäßig und kräftig und wenn er auch einmal zahnt oder niest, so ist das doch nicht mehr so tragisch zu nehmen als in den ersten Monaten, in denen er halt gar nicht vorwärts gehen wollte. Auch den Großen geht es, von einzelnen Schnupfen abgesehen, recht gut. Nur Hedwig und ich haben gelegentlich an unseren alten Leiden zu laborieren, aber das Bonner Milieu gefällt uns so gut, daß wir uns hier damit leichter abfinden, als in Hamburg. Nach dem Gang der Ereignisse dort bin ich nur froh, den Bonner Ruf angenommen zu haben. Es ist wirklich sehr schön hier. Während ich dies schreibe, liegt an dem ersten frostigen Wintertage das ganze Rheintal in hellem Sonnenglanze offen vor mir, und man kann hier leichter ein besserer Mensch sein, als in dem Nebelheim an der Elbmündung.

Wir wollen Weihnachten hier in aller Ruhe verleben. Den projektierten Besuch in Augsburg gaben wir auf und auch die Eltern den ihrigen in Bonn. Was nun aus der Taufe wird, wissen wir noch nicht recht. Wir werden sie wohl bald einmal in der Stille halten, Euch aber jeden-falls vorher benachrichtigen. Unser eigentlicher Plan war es, die Taufe zwischen den Jahren zu halten und Euch dazu von Gelnhausen herüber zu bitten. Nun ist aber Alles anders geworden, und wir können uns noch nicht recht zu einer Fixierung entschließen. Dafür haben wir aber schon einen Prediger; es wird Ferdi interessieren, daß Professor Sell mir versprochen hat, Hellmut zu taufen.

Gleich nach Neujahr reise ich über Gelnhausen nach Berlin und Hamburg, wo ich noch einen Kursus zu halten habe. Ich würde Euch gern auf der Rückreise gern ein paar Stunden besuchen, weiß aber noch nicht, ob sich das mit meinen Zeitdispositionen vereinigen läßt.

Für heute herzliche Weihnachtsgrüße und freundliche Wünsche vom ganzen Haus. (CHB)

 

9. C.H.B. an Else Becker. O.O (Bonn), 16.2.1914

(Maschinendurchschlag)

Liebe Else,

wir haben es ja allerdings befürchtet, daß wir auf Euch bei der Taufe verzichten müßten, aber es tat uns doch wieder von neuem herzlich leid, daß es sich so ungeschickt fügt. Es ist nun tatsächlich so gekommen, daß alle näheren Verwandten abgeschrieben haben, ja, daß nicht einmal die Paten anwesend sein werden. Auch Emma kann gerade in diesen Tagen nicht. So haben wir uns denn Schreuers und ein anderes befreundetes Paar eingeladen, damit die Taufe wenigstens einigermaßen einen festlichen Charakter bekommt. Es ist eben ein Fehler, wenn man so etwas hinausschiebt, aber wenn wir länger gewartet hätten, hätte der Helli ja schließ-lich selber Ja sagen können.

Um so erfreulicher waren uns dagegen die Nachrichten, die Du uns über Ullys Befinden schickst. Hoffentlich hält die Genesung jetzt stand und gewinnt sie bald ihre alte Frische wieder. Ihre Zunahme ist ja geradezu erstaunlich.

Hedwig hörte mit einem gewissen Neid, wie glänzend Deine häusliche Maschine läuft; das läßt sich von der unsrigen einstweilen noch nicht sagen. Hoffentlich gelingt es Hedwig, während meiner Ferienabwesenheit die Sache in Gang zu bringen.

Wenn Ferdi unserem Jungen etwas schenken will, so bitten wir darum, von einem Besteck, das die Gegenpatin bereits übernommen hat, und von einem Becher abzusehen, da Hedwig aus hygienischen Gründen gegen silberne Becher ist. Sonst ist uns jede Gabe herzlich will-kommen.

Mit guten Grüßen von Haus zu Haus Dein getreuer Schwager (CHB).


Harry meldet sich als Kriegsfreiwilliger


10. C.H.B. an Else Becker. O.O. (Bonn), 7.7.1915

(Maschinendurchschlag)

Liebe Else,

einliegend sende ich Dir Harrys Schlüssel. Er hat mir beide geschickt, da er nicht wußte, welcher zu seinem Koffer paßt. Der Koffer ist als Frachtgut, das Rad als Eilgut und ein Paket mit Hüten per Post nach Osterholz abgegangen. Der Radschlüssel folgt in den nächsten Tagen, wenn das Rad abgeholt ist. Ich habe die Expedition durch die Vermieterin besorgen lassen, nachdem unser Fräulein Hertha unter meiner Aufsicht die Sachen gepackt hatte. Dann habe ich mit Harrys Wirtin abgerechnet und ihr noch 23,10 Mark aufgrund einliegender komplizierter Rechnung ausgezahlt. Da ich Harrys Brief zu spät bekam, konnte ich erst am 2. Juli kündigen; ich mußte also, wie Harry ja auch schon angenommen hatte, den ganzen Juli bezahlen, abzüglich des Frühstücks. Eine Differenz bestand nur, ob die für die Bedienung zu zahlenden 3 Mark abgezogen werden müßten. Ich hätte es mit einigem Nachdruck wohl erreichen können, habe dann aber den pekuniär schwer bedrängten Weibern die 3 Mark gelassen, da sie so schrecklich jammerten, und habe ihnen dafür die Mühe aufgehalst, die Fracht- und Eilgutsachen zu expedieren.. Die eigentlichen Frachtspesen werden dann von Euch erhoben. So weit das Geschäftliche!

Und nun muß ich Euch doch beglückwünschen, daß die ärztliche Untersuchung Harry für dienstfähig erklärt hat. Sein Kommilitone Klebe ist als zu zart zurückgestellt worden, was Harry interessieren wird. Auch sonst scheint man mit den Jungen ziemlich mild umge-sprungen zu sein. Harry hat sich während des Semesters, namentlich durch sein Tennis-spielen, ja so gekräftigt, daß er nun wohl auch die Strapazen einer kavalleristischen Aus-bildung vertragen wird. Ob er noch herauskommt1, ist dann eine andere Frage, und bei der Kavallerie hat er es immer noch am besten. Er selbst schien wenig Lust zum Militär zu haben; aber ich konnte ihm das sehr gut nachfühlen, denn ich weiß von mir selbst, was es bedeutet, wenn man sich sein Leben lang – bei Harry sind es ja allerdings erst 1-2 Jahre – alle starken körperlichen Leistungen und Extravaganzen mit Rücksicht auf seine Gesundheit versagen muß. Man findet sich dann schließlich mit einem Kompromiß der Schwäche zurecht, und es ist schwer, dann plötzlich die körperliche Betätigung wieder als Freude empfinden zu sollen, die man sich jahrelang, da man sie nicht genießen konnte, als nebensächlich oder gar schäd-lich eingeredet hatte. Hoffentlich hält Harry seine neue Tätigkeit aus, und dann wird er Euch wohl als gekräftigter, gesunder Menschzurückkehren.

Wir haben ihn hier in den Wochen dieses Sommers wirklich herzlich lieb gewonnen, und wir sehen ihn mit Bedauern scheiden. Ich habe mich ja anfänglich etwas mit seiner mir fremd-artigen Natur herumgequält; im Laufe der Zeit habe ich ihn dann immer besser verstanden, und es gibt viele Wege zur männlichen Selbständigkeit: es muß jeder den gehen, den ihn seine Natur und sein elterliches Erbe vorschreiben. Jedenfalls haben sich zwischen Harry und uns in dieser nur allzu kurzen Zeit Beziehungen geknüpft, von denen ich hoffe, daß sie fürs Leben halten werden, und ich merke immer mehr, wie notwendig, schon Neffen und Nichten gegen-

über, persönliche Beziehungen sind, da die Verwandten allein bei mangelndem Verkehr schon in diesem Grade der Entfernung keine feste Basis mehr abgibt.2 Wenn ich Euch in Zukunft in Bezug auf Harry irgendwie nützen kann, so wendet Euch bitte an mich; ich tue es nicht nur um Euretwillen, sondern auch um des Jungen willen, der uns jederzeit willkommen sein soll.

Hedwig (unleserlich) ist noch immer nicht aus Frankreich zurückgekehrt. Offenbar ist in der Ersten Armee z.Z. nicht viel zu tun , und liegt der Zug dauernd in Marchienne bei Charleroi, von wo sie neulich einen Urlaubsausflug nach St. Quentin gemacht hat um ihren Bruder zu sprechen. Man scheint dort jetzt wieder bequem zu reisen, und sie hatte auf der fahrt nach St. Quentin die Möglichkeit, ganz behaglich im Speisewagen ihren Tee zu nehmen. Natürlich sieht und hört man viel, wenn auch ihre Tätigkeit z.Zt. nur beschränkt ist; sie verbindet verletzte Bahnarbeiter und wartet im übrigen, daß der Zug abgerufen wird. Gestern kam plötzlich ein Telegramm, daß der Zug frühestens diesen Samstag laden werde, ob Schwester Hedwig deshalb vorher zurückkommen solle. Die Normalzeit für die Abwesenheit von Bonn beträgt sonst 8 Tage; diesmal werden es wohl fast drei Wochen werden. Aber nachdem sie alles Interessante davon gehabt hat, soll sie nun auch die Arbeit tun, die sich auf die Rückfahrt beschränkt. Wir kommen hier ganz gut auch so aus. Bisher geht es unberufen allen drei Kindern gut, mir selbst leider nicht ganz so prima, da mein Zustand sich seit dem vorigen Juli nicht verändert hat,, aber nun endlich einmal etwas geschehen muß, da der Krieg so lange dauert, daß ich ihn nicht erst vorübergehen lassen kann, wie ich anfänglich dachte. Natürlich wird dabei auch das Militär noch mitzureden haben: eine zweite Musterung steht mir noch bevor.

Mit herzlichen Grüßen von mir und den Kindern an Euch alle Dein getreuer Schwager (CHB)

 

11. C.H.B. an Else Becker. O.O. (Bonn), 20.4.1916

(Maschinenkopie)

Liebe Else!

Freundlichen Dank für Deine Karte. Hedwig käme gern mit, aber es ist z.Zt. ziemlich aus-geschlossen, da sie von ihrer Pflege stark in Anspruch genommen wird und außerdem noch Fräuleinwechsel hat. Ich selbst komme von Hamburg wahrscheinlich um 5 Uhr11 und kann bis Sonnabend 3 Uhr 20 bleiben. Dr. Wilckens läßt Ferdi freundlichst einladen an der Veran-staltung in Hillmanns Hotel teilzunehmen und eventuell auch vorher schon in seinem Hause mit Tee zu trinken.

Deinen ergiebigen Brief und Harrys hübsche Berichte habe ich noch in Gelnhausen mit-genießen können. Wie gut ist es mit dem Streifschuß abgelaufen! Wir habe alle herzlichen Anteil genommen. Du hast doch gewiß einen rechten Schreck davon gehabt.

Den Sonntag kann ich übrigens leider nicht mehr bei Euch bleiben, da ich Montag mit den Vorlesungen beginne und deshalb über Sonntag zurückreise. Dafür hoffe ich Euch mancherlei erzählen zu können, da ich über Ostern in Berlin und danach in Hamburg sein werde. (CHB)

 

12. Ernst von Blumenstein an seinen Onkel C. H. Becker. Duisburg, 18.7.19283

(Maschinenmanuskript)

Sr. Exzellenz dem Preuß(ischen) Kultusminister

Mit der ergebenen Bitte übersandt, beiliegenden, von Herrn Adolf Knab in einem Strandkorbe des Nordseebades Duhnen gefundenen Artikel freundlichst zur Kenntnis nehmen zu wollen.

Unterzeichneter beehrt sich den Antrag zu stellen, besagten hochwohllöblichen halbbrüderlichen Landrat wegen treurepublikanischer Gesinnung für die nächsthöhere Gehaltsklasse vorzumerken.

Mit freundlichen Grüßen

Ernst von Blumenstein


 

Hier folgt der Text des Zeitungsartikels:

Der Herr Landrat

Es begab sich, daß der Kreiskriegerverband in Osterholz-Scharmbeck sein Sommerfest, verbunden mit der Fahnenweihe des Kriegervereins Scharmbeck, feierte. Um dem Feste die richtige, also amtliche Weihe zu geben, hielt der Kreisverband es für nötig, den Herrn Landrat zu dem Feste einzuladen. Der Herr Landrat war zwar früher des öfteren an der Spitze des Kriegervereins marschiert, aber das war vor der Revolution. Revolution und die Tatsache, daß der Landrat ein Halbbruder des preußischen Kultusministers Dr. Becker ist, verpflichten. Und so hat sich denn der Herr Landrat seit der Revolution so benommen, daß wohl die Republik mit ihm zufrieden sein kann, nicht aber die alten Soldaten, die in ihrem Verein die Erinnerungen an die Armee und Marine des deutschen Kaiserreiches aufrecht erhalten wollen.

Als der Herr Landrat am Eingang des Festplatzes eintraf, begab sich der erste Zwischenfall. Von den beiden Fahnen, die schwarz-weiß-rot und schwarz-rot-gold4 am Eingang flatterten und die genau gleich groß waren, war während der Nacht die eine Fahne gestohlen worden. Nicht die schwarz-rot-goldene! O bewahre! In Osterholz-Scharmbeck weiß man, was sich gehört. Sondern die schwarz-weiß-rote. Nun mußte Ersatz beschafft werden, und die schwarz-weiß-rote Ersatzfahne war länger und breiter als die schwarz-rot-goldene und hing, da es nun einmal keine Reichsbannerparade, sondern eine Kriegervereinsfeier war, am Hauptflaggenmast.

Dem flaggentechnisch geschulten Auge des hohen Herrn entging das natürlich nicht. Er sprach mißbilligende Worte. Und die erhebende Feier begann damit, daß die große schwarz-weiß-rote Fahne an den kleinen Mast und die kleinere schwarz-rot-goldene Fahne an den großen Mast gehängt wurde.

Aus den Mienen aller Festteilnehmer strahlte glückselige Ergriffenheit, als der Herr Landrat nunmehr an dem großen Mast mit der kleinen Fahne und dem kleinen Mast mit der großen Fahne seinen Einzug hielt.

Weit kam er auf seinem Triumphzug nicht. Nur bis in den Festsaal hinein. Dort hingen am Eingange zwei ganz gleich große Fahnen, die eine schwarz-weiß-rot, die andere schwarz-rot-gold. Aber – und das wurde den alten Kriegern, die sich unbändig über den Besuch des Landrats freuten, zum Verhängnis – hinter beiden Fahnen hing eine schwarz-weiß-rote Fahne. Und die war größer als die beiden anderen. Kaum hatte der landrätliche Mund sich gespitzt, um diesen neuen Verstoß gegen das neudeutsche Vereins- und Hofzeremoniell in wohl-gesetzten Worten zu rügen, da fiel der landrätliche Blick auf die den Saal schmückenden Girlanden. Sie waren nur mit schwarz-weiß-roten Fähnchen geschmückt. Das war zuviel. Und mit dem Gegenteil von Sonne im Herzen zog sich der Herr Landrat zurück und war sehr bald den Blicken der Festteilnehmer entschwunden. Die alten Krieger grinsten, diesmal aber war es wirklich vor Freude, nur der Vorstand, der’s trotz der schönen schwarz-rot-goldenen Fahnen nicht recht gemacht hatte, machte ein etwas bekniffenes Gesicht.

Schadet ihm nichts, warum lud er denselben Landrat ein, der einen Oberlandjäger zur Rede stellte, der am Volkstrauertage an dem Gottesdienste des Kriegervereins teilgenommen hatte und hinter der schwarz-weiß-roten Vereinsfahne, die dreimal so alt ist wie die Republik, mit zur Kranzniederlegung marschiert war. Der Oberlandjäger ist daraufhin – dem Stirnrunzeln seines hohen Vorgesetzten gehorchend – aus dem Kriegerverein ausgetreten, den Herrn Landrat lud man ein.

Vielleicht begreifen die, die es angeht, es endlich, daß man damit bei niemandem Eindruck erweckt, wenn man eine schwarz-weiß-rote Angelegenheit mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen dekoriert. Festesfreude setzt Gesinnungsgemeinschaft voraus, und die Sozialdemokraten haben ihre Maifeiern in der früheren Zeit ja wohl auch nicht in der Weise gefeiert, daß sie links rot und rechts schwarz-weiß-rot flaggten, um den Herrn königlichen Landrat zur geneigten Mitwirkung zu veranlassen.

Entweder ist man schwarz-weiß-rot und Gegner dieser Republik und der von ihr okkupierten Flagge. Oder man ist schwarz-rot-goldener Republikaner. Ist man beides nicht, so hat man nicht das Recht, eine dieser beiden Flaggen zu hissen. Dann soll man sich mit der neutralen weißen Flagge begnügen, die man, um die Gesinnungsgenossen in Scharen anzulocken, mit der Inschrift versehen kann: „Heute frische Wurst!“

F.C.Holtz


13. Hochzeitsanzeige von Ernst von Blumenstein jr. Duisburg, 26.8.1930

Ihre Vermählung beehren sich anzuzeigen

Ernst von Blumenstein und Marianne von Blumenstein geb. Weiland

Duisburg, 26. August 1930 Düsseldorfer Straße Nr.88

 

14. C.H.Becker an Ernst von Blumenstein jr. Duisburg-Huckingen, 25.8.1931

(Maschinenmanuskript)

Mein lieber Ernst,

nach langem Schweigen wenigstens eine erfreuliche Nachricht von Dir. Ich beglückwünsche Dich und Deine Frau von ganzem Herzen zu dem strammen Jungen. Möge er die Tradition der Blumensteins aufrechterhalten, denn auf ihm steht ja jetzt ein ganzes Geschlecht. Deshalb freue ich mich, daß es ein Junge ist. Möchten ihm in späteren Jahren noch weitere folgen, da-mit diese erfreuliche Familie nicht auf zwei Augen gestellt ist, sondern als ein Wohlgefallen vor Gott und den Menschen sich ständig vermehre. Ich mußte im ersten Augenblick denken, wie Dein Vater sich gefreut haben würde, wenn er diesen Tag erlebt hätte. Also alles Gute für Mutter und Kind und den Vater, der ja auch seinen Anteil daran hat.

Von uns kann ich nur Gutes berichten. Ich bin im Begriff nach China zu fahren, und zwar werde ich noch diesen Sonnabend auf der Bremen Bremerhaven verlassen, um mit einer Kommission des Völkerbundes über Amerika und den Stillen Ozean nach Japan und China zu gehen. Wir sollen das Schulwesen Chinas 2 bis 3 Monate studieren. Dann kehre ich über Vorderasien zurück. Auch in China werde ich natürlich Deines Vaters gedenken.

Walter hat neulich magna cum laude seinen Doktor gemacht und ist weiterhin Referendar. Hertha ist Operationsschwester im Krankenhaus und sehr glücklich in ihrem Beruf. Hellmut, der sein erstes Semester in Freiburg hinter sich hat, ist zur Zeit in England, wohin auch Hertha sich für ihre Ferien rüstet. Meine Frau war den Sommer über als Krankenschwester im Konzern der Salemer Schulen am Bodensee und wird dort voraussichtlich auch während meiner langen Abwesenheit sich betätigen, da es für sie unerträglich wäre, allein in unserem großen Hause zu sitzen. In herzlicher Mitfreude grüßen wir Dich, Deine Frau und Deinen Sohn.

Dein alter Onkel (Carl)


1 Man sieht, wie euphorisch die Stimmung noch 1915 war. Die Kavallerie spielte im 1. Weltkrieg keine Rolle mehr im Kampf gegen Artillerie und Maschinengewehre, von Gas gar nicht zu reden! BB

2 Hervorhebung vom Herausgeber.

3 Rep. 92 Becker B. 6492 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

4 Hervorhebung vom Herausgeber.