Einführung – Privatbriefe

Privatbriefe 1900-1933

In der Fülle der Briefdossiers eine Auswahl zu treffen ist außerordentlich schwierig: sagte Becker doch einmal im März eines (unwichtigen) Jahres, er habe bereits über 900 (i.W. neunhundert!) Briefe geschrieben. So mag hier bisweilen Belangloses neben Hochinteressantem stehen – immer kommt es mir natürlich auf den Briefpartner an.

So stechen am Anfang meiner Sammlung Briefe an Carls holländische Tante Emma Rehbock in Amsterdam (Nr. 3) aus dem Jahre 1918, in dem er schonungslos mit der Monarchie abrechnet. „Nach einer Krisis von zwei Tagen, so sagt er, begriff ich, daß ich nicht dem Zertrümmerten nachtrauern, sondern dem Werdenden dienen mußte.“ Voll und ganz steht er hinter der Nationalversammlung, arbeitet auch bei der neuen Verfassung in Weimar mit und bleibt weiterhin im Kultusministerium als Staatssekretär bzw. Minister (1921; 1925-30). Die Kinder, so heißt es weiter, hätten trotz Revolution keinen Tag die Schule versäumt und nachts ginge er halt auf dem Steglitzer Fichtenberg Patrouille. (Nr. 3)

Drei Jahre später, 1921, schreibt er recht deprimiert angesichts der zunehmenden Inflation und der rücksichtslosen Politik der Entente gegenüber Deutschland (Nr. 4):

„Wie lächerlich klein war die Machtpose Deutschlands vor dem Kriege gegenüber dem unerbittlichen Machthunger Frankreichs in der Gegenwart.“

1925 schreibt er an seine Geschwister (Nr. 6. 19.2.1925) über seine Ernennung zum Kultusminister; im Preußischen Abgeordnetenhaus begrüßte ihn ein Deutschnationaler mit den Worten:

Sie werden noch wie Marius siebenmal Konsul werden.“ Als parteiloser Staatssekretär und Minister mußte Becker immer eine Mittelposition einnehmen: der konfessionelle und politische Zwiespalt spielte in der Kulturpolitik eine große Rolle insbesondere bei der Volksschullehrerausbildung, die er neu ordnete. Zwar gelang ihm viel mit Hilfe des Ministerpräsidenten Braun, doch eben nicht alles. Er hatte keine eigene Lobby, sondern vertrat die Partei der Bildung. (Innerlich stand er der Demokratischen Partei nahe.)

„Natürlich ist mir die Rechte nicht hold, aber so ein ausgesprochenes Rechtskabinett wird ja auf keinen Fall kommen, daß es einen Mann wie mich nicht mehr ertragen könnte. Wenn das einmal eintritt, stehen wir doch sowieso am Ende.“

Eine gute Beziehung hatte Carl zu seiner Schwägerin Else und deren Sohn Harry, meinem Namenspatron, der leider im Frühjahr 1917 im Osten fiel. Nach einem kurzen Studienaufenthalt in Bonn im WS 1914/15 meldete sich Harry kriegsfreiwillig – keiner wollte zu diesem Zeitpunkt abseits stehen (oder fast keiner)!

Herausragend ist die Korrespondenz mit den Freunden Ernst Eisenlohr (Nr. 16-66), Willy Bornemann (Nr. 88-103) und Harro Siegel (Nr. 120-170).

Ernst Eisenlohr lernte CHB in Heidelberg während des Studiums und in der Verbindung Rupertia kennen. Sie verstanden sich auf Anhieb, der eine Jurist, der andere Orientalist. Carl besucht ihn in London, wo Ernst für das Auswärtige Amt arbeitet. 1913 geht Eisenlohr als Konsul nach Portugiesisch-Angola und erhält alle mögliche Information von Carl. In den Briefen politisieren beide gern; so äußert sich Carl kritisch zur Zabernaffäre, die sehr ungeschickt behandelt würde (Nr. 25). Am AA wird überhaupt kein gutes Haar gelassen – das wird auch deutlich in der Fachkorrespondenz, die ich parallel bearbeite. 1914 Kriegsausbruch. In der allgemeinen Euphorie hofft man auf ein baldiges Kriegsende noch vor Weihnachten. Carl hofft auf Entlastung in Ost und West durch den Kriegseintritt der Türkei (Nr. 27):

Der Rausch der ersten Wochen ist verflogen. Man weiß genau, daß es noch harte Arbeit kosten wird, aber an den endgültigen Erfolg zweifelt eigentlich niemand. Vor allem will man keinen faulen Frieden, sondern will eine gründliche Abrechnung, selbst wenn es noch viel Blut kosten sollte.“

1915 befindet sich Eisenlohr in britischer Internierung in Gibraltar, nachdem Portugal uns den Krieg erklärte, wird aber bald entlassen und geht an die Westfront. Im April 1915 berichtet CHB über seine Türkei-Vorträge und macht gegenüber seinem Freunde interessante Bemerkungen. Im gleichen Jahr wird Eisenlohr verwundet und von seinem Freunde besucht. Nach seiner Genesung geht er wieder an die Westfront und gerät im Juni 1916 in Gefangenschaft, die bis 1919 dauert.

Nach Auch, Departement Gers, schreibt Becker im Februar 1919 aus Weimar, wo er sich wegen Verfassungsfragen aufhält: (Nr. 50) „Aber die Kulturpolitik läuft Gefahr, in dem Kampfe zwischen Föderalismus und Unitarismus erdrückt zu werden.“ Das hat sich leider auch fast hundert Jahre später kaum geändert!

Im Juni 1919 (Nr. 51) erwartet er die Antwort der Entente – nun, wir wissen, wie der Versailler Vertrag aussah, den nicht etwa der Kaiser oder sein Kanzler, sondern die Revolutionsregierung unterzeichnen mußte, um die Wiederaufnahme der Kämpfe zu verhindern. Er ist eine einzige Katastrophe, genau wie jener von St.Germain. Eine Katastrophe für Deutschland und Europa, denn unzählige Konflikte wurden damit im Keim angelegt.

Als Bonbon für die preußischen Rheinländer erhalten sie die Universität Köln, wo Becker positiv von Konrad Adenauer, dem Oberbürgermeister, berichtet. Die separatistischen Tendenzen wurden in Berlin durchaus ernst genommen.

Danach bricht der Briefwechsel zeitweilig ab. Eisenlohr wird Gesandter in Belgrad, Athen und ab 1935 in Prag.

Interessant ist die spätere Haltung Beckers zu „dem Einbruch der Gewalt in Form des Papen-Schleicher’schen Experiments. Mein Gedanke war dabei, daß die auf die Dauer nicht zu entbehrenden Parteien und Parlamente durch diesen Schreckschuß zu größerer Selbstdisziplin veranlaßt werden.“  (Nr. 54, 12.11.1932)

Nun, da war Becker schon zwei Jahre aus seinem Amt ausgeschieden, hatte die USA und China, Indonesien und Persien bereist. So wie er dachten damals doch viele; keiner ahnte, wohin das „Experiment“ führen würde – im Gegensatz zu uns heute. Die Kritik an der Politik Papens äußert er gegenüber Freund Eisenlohr durchgehend.

Leider ist es so auf der ganzen Linie (i.e. Besetzung der Posten durch Unfähige), und einsichtsreiche Rechtsleute rücken ebenso so von dem Kabinett Papen ab, wie ich. Der Mangel an Psychologie ist grenzenlos.“ Und später: „All das treibt zum Verfassungsbruch unter ungeeigneten Führern. Einen Verfassungsbruch kann sich nur ein Bismarck leisten, aber kein Papen.“

Zwar mochte Hindenburg Hitler nicht – aber er hat ihn auch nicht verhindert!

Aus einem Brief von 1927 geht so nebenbei hervor, was in der preußischen Kulturpolitik so anstand: Reichsschulgesetz, Besoldungsordnung, Vorbereitung des Konkordats…

Der Briefwechsel zwischen Carl und Harry Becker zeigt die ganze Zuneigung, die der Ältere dem Jüngeren entgegenbrachte (Nr. 70ff). Harry, gerade 20 Jahre alt, ist bei der „vornehmen“ Kavallerie gelandet. Das Haus in Bonn ist immer offen für den Neffen, den alle ins Herz geschlossen haben. Auch gegenüber Bruder Ferdinand äußert er sich sehr lobend über Harry (Nr. 71). Im übrigen freut sich Carl über die „Torpedierung der Lusitania“. Das Urteil über „die“ Italiener fällt recht vernichtend aus (Nr. 71, Mai 1915).

1916 berichtet Carl über die Hungersnot in der Türkei, „aber eine Hungersnot bedeutet im Orient nicht dasselbe wie bei uns. Man ist mehr daran gewöhnt.“ (Nr. 71, 17.3.1916) Ursache ist wohl neben der Heuschreckenplage der Völkermord an den Armeniern (wozu das Osmanische Reich meist kurdische Truppen einsetzte…)

Harry schreibt im Frühjahr 1916:

„Oft muß ich an das vorjährige Frühjahr denken. Wieviel nette Erinnerungen kann ich damit verknüpfen. Wann werden diese Zeiten wiederkehren?“

(Nr. 75, 22.5.1916) Nun, sie sollten für den Jungen nicht wiederkehren.

Im gleich Monat teilt ihm Carl mit, daß er nunmehr In Berlin Personalreferent im Preußischen Kultusministerium sei.

An die Friedensgerüchte Rußland betreffend glaubt Carl nicht. „Mir scheint, daß wir den Russen in Persien Konzessionen machen, denn es muß doch unser Ziel sein, einen Keil zwischen England und Rußland zu treiben.“  (Nr. 77, 27.5.1916)

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Carl setzt sich nach seinen Kräften für seine Kinder ein. So interpelliert er an den Reichsfinanzminister wegen der Paßkosten von 500 Reichsmark (Nr. 88, 5.4.1924), den Walter für sein Studium in England benötigt. Geplant ist ein Besuch der Uni Birmingham.

Im Jahr 1925 stirbt Friedrich Ebert, der 1. Reichspräsident der Weimarer Republik (Nr.91, 8.4.1925). Die Aufstellung Hindenburgs (88 Jahre!) bezeichnet er als einen „Frevel“.

„Für das Ausland konnte die Rechte wahrlich keine dümmere Wahl treffen. Mir tut der arme Hindenburg bis in die Seele leid; denn selbst wenn er mit wenigen Stimmen Majorität gewählt werden sollte, so ist er doch nur ein Schatten und ein Spielball in den Händen einiger Drahtzieher.“ (Nr.91, 8.4.1925)

Leider sollte er recht behalten.

Im Mai 1931 informiert Sohn Walter, inzwischen Referendar, seinen Vater über die geplante Völkerbundskommission nach China für drei Monate (Nr. 101). CHB nimmt den Auftrag an und übernimmt die Leitung. Auf dem Hinweg geht es über den Atlantik, Nordamerika und Japan nach Nanking. Der Rückweg führt ihn über Indonesien, Persien und die Türkei nach Europa zurück. Im Frühjahr 1932 ist er in Paris (Nr. 107).

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Willy Bornemann ist sein Schul- und Studienfreund; ihn lernte Becker in der Frankfurter Schule und auch in der Verbindung Rupertia kennen. Sein Vater war Stadtschulrat in Frankfurt am Main und starb sehr früh, noch während des Studiums. Familie Becker half sehr diskret bei der Beendigung des Medizinstudiums, das geht aus den Jugendbriefen hervor. Sie waren beide Paten ihrer Söhne. Ende 1914 ist Willy Leiter eines Etappenlazaretts in Frankfurt, später auf seinen Wunsch auch an der Westfront. In einem Brief an Mutter Bornemann (Nr.108) hofft Carl auf baldigen Frieden, vor allem aber, daß die Todesnachrichten ein Ende haben. Die enge Beziehung zeigt sich auch an der Tatsache, daß er 1916 vor der Berufung Carls nach Berlin ins Ministerium lange mit Willy darüber diskutiert (Nr.111), und später, von Berlin aus, führt er seinen Freund Wende bei ihm ein, was ihm sehr wichtig ist (Nr. 112, 19.2.1920). Er berichtet vom Besuch des britischen Labourministers Trevelyan, der 1914 aus Protest gegen den Krieg aus dem Kabinett ausschied.

Über die Wahlen 1921 (Nr. 115, 22.2.1921) bemerkt Becker; „Merkwürdigerweise ist die Entwicklung der extremen Parteien nicht ganz so schlimm wie erwartet. Es würde aber eine ganz andere und viel gesündere Situation geschaffen, wenn die Deutsche Volkspartei doppelt so stark wie die Deutschnationalen wäre.“

In seinem Nachruf am Grabe seines Freundes (Nr. 119, Februar 1930) heißt , es:

Die öffentlichen Dinge sah er nur von fern, manchmal mit leidenschaftlicher Kritik, aber ohne Bedürfnis zum aktiven Eingreifen. Er war eben Arzt, der über oder neben dem politischen Leben stand. Im Krieg war es ihm selbstverständlich, daß er sein Können in den Dienst der großen vaterländischen Sache stellte.“

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Eine sehr intensive Beziehung zwischen Becker und dem jungen Künstler Harro Siegel spiegelt sich in den Briefen von 1921/22. Becker leistet sozusagen Entwicklungshilfe für den jungen Mann, der dann später nach seiner Buchbinderlehre kurzzeitig in Frankfurt/Oder an einer der neuen Pädagogischen Hochschulen Kunst unterrichtet. CHB plädierte für eine handwerkliche Grundausbildung als Künstler – vor allem gegenüber dem konservativ-autoritären Vater Harros. „Die beiden anderen Wege sind m.E. sowohl in pädagogischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht weniger zu empfehlen.“ (Nr. 124, 5.4.1921)

Zum Jahreswechsel 1921 schreibt Becker von seiner „Mentorschaft“ des vergangenen Jahres.

Und das andere Gesicht, mit dem ich Dich sehe? Das ist allerdings unbedingt, das geht nicht auf Experimente aus und will nicht erziehen. Das geht von Mensch zu Mensch, das sieht den „ewigen Jungen“ wie den werdenden Mann, die doch im Grunde eins sind. Das sieht die Zusammengehörigkeit, ohne den Zweck übersteigerter Bindung, ohne „Vergottung“, ohne Schwüle – kurz ohne allen Un-Sinn, weil eben Sinn und Sein alles ist.“ (Nr.1 35, 28.12.1921)

Begeistert schreibt CHB von seiner Dienstreise nach Padua zu deren 700jährigen Universitäts-Jubiläum (Nr. 147, 18./19.5.1922) mit Gartenfest beim Grafen von Padua, in Anwesenheit des Königs und hunderter Akademiker aus aller Welt. Dann berichtet er weiter von Venedig.

Harro schreibt über die Kunstausstellung in Kassel (Nr. 156, 9.7.1922):

Die Kunstausstellung beschäftigt hier die Gemüter enorm. Dieses Entsetzen über die „moderne Kunst“ hat etwas Groteskes, nachdem die eigentliche Woge schon vor 5 Jahren vorübergebraust ist. Was moderne Kunst ist, werden wir in 40-50 Jahren wissen. Ich war nur in der Akademie (in Kassel. BB); Herrgott, bin ich wirklich froh, da heraus zu sein. Diese Sterilität, Krankhaftigkeit, Selbstbeweihräucherung ist widerwärtig. Aber sie meinen, die Augen der Welt ruhten auf ihnen.“

CHBs Ferienlektüre war in diesem Sommer Spengler II (Untergang des Abendlandes) (Nr. 162, 17.2.1922).

„Als Ganzes ist die Konzeption bewundernswert, mit der Stärke eines Dogmatikers hat er eine Summa theologiae Spengleriana aufgebaut. Je schwieriger seine Argumente, desto größer ist die Selbstverständlichkeit, und die Geste.“

Und weiter unten: „Überhaupt redet er immer von Wirklichkeit, er ist aber ganz ein Mann der Wahrheit d.h. er vergewaltigt die Wirklichkeit. Immerhin ist’s ein kühner, großer Entwurf. Ich will ihn nicht bemänteln –trotz einiger Entgleisungen im deutschnationalen Sinn.“

Zur Genesung Harros schreibt ihm der Freund (Nr. 165, 4.8.1922):

Dein Zusammenleben mit Lola hat mich sehr für Dich gefreut. Den Altersgenossen ersetzt einem kein älterer Freund.“

Und weiter unten über Spengler:

„Ritter tobt über Spengler, der marktschreierisch Wahrheiten verkünde, die andere gefunden hätten. Der Rest sei Phantasie und Unsinn.“

Und noch mal äußert sich Harro zur modernen Kunst in Kassel (Nr. 166, 15.8.1922):

Kunstausstellung und Akademie erhitzen hier die Gemüter sehr. Cassel verteidigt sich gegen den Überfall der Modernen (die lange von gestern sind).“

Und kurz darauf (Nr.1 68, 29.8.1922) schreibt er an Carl:

„Warringen hat doch nicht so unrecht, wenn er in „Künstlerische Zeitfragen“ die These aufstellt, der Kunstgeist habe sich seit dem XIX. Jahrhundert mehr ins Denken, in die Wissenschaft geflüchtet; die Husserl’sche Schule, die Georgejünger, Gundolf, Kayserlink und Spengler belegen das. Jeder Ehrliche muß doch auch zugeben, daß ihm aus diesen Büchern mehr Geist natürlich, aber auch mehr Sinnlichkeit ausströmt, als aus aller moderner Malerei und Graphik.“

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Die Briefe an den 10jährigen Sohn Hellmut gehen 1921 nach Salem (fast) am Bodensee wo er die Schloßschule besuchte, die Hahn leitete. Auch Hertha, Beckers Tochter, machte dort ihr Abitur, und seine Frau machte sich nützlich krankenpflegerisch während der langen Reisen Beckers in die USA und nach China. 1939-32 (Nr. 171).

1926 schreibt der Vater rührend besorgt an den seines Blinddarms beraubten Sohn, „um den Du Dich nicht mehr …zu sorgen brauchst.“ (Nr.172, 10.3.1926) Zu Hause, so berichtet er weiter, schwingt Hertha die Kochlöffel und kocht „alle Leibgerichte“ des Vaters, und bedauert, daß Hellmut „die kulinarischen Genüsse“ nicht miterleben könne. Walter schwimmt in Genf „im Völkerbundswasser“, während der Vater im Zylinder bei großer Hitze die Funkausstellungunter dem großen neuen Sendeturm“ eröffnen mußte – „Gottseidank ohne Rede“.

Dann berichtet er von einer Autofahrt von Dresden in die Sächsische Schweiz,, wobei sie „stellenweise 120 km die Stunde gefahren“ sind…

Die kommenden Tage erwarte er Rabindranath Tagore zum Frühstück, muß dann nach Düsseldorf zum Naturforschertag, nach Breslau zum Historikertag und zu den Orientalisten nach Hamburg. Tagore erschien „in langem grauen Gewand, während seine Tochter in malerischer indischer Tracht ihn begleitete.“ (Nr. 173, 17.9.1926)

Dann erzählt er, daß er Tietjens zum Generalintendanten der Berliner Opern ernannt habe und freut sich diebisch, daß seine „Pläne geheim blieben“. Kurz darauf sei er beim Reichsverkehrsminister Krohn eingeladen zu Ehren von Sven Hedin.

1930 ist Hellmut in Frankreich (Nr. 174, 23.6.1939), der Vater, inzwischen ohne Amt, bereitet seine USA-Reise vor. In Frankfurt /Oder besucht er seinen Freund Reichwein an der Pädagogischen Akademie und hält einen Vortrag über die Kulturkrise. Zuvor war Becker in Ungarn geehrt worden; er berichtet ausführlich über die dortige politische Lage nach dem Trianon-Vertrag. Deutschland lasse Ungarn ziemlich allein mit seinen politischen und wirtschaftlichen Problemen, während „Italien den Ungarn ein Fünftel ihrer ganzen Ernte abkauft.“

Die ganze Jugend ist militärisch ausgebildet. (…) Trotzdem weiß man genau, daß auch ein lokaler Krieg nur zu Ungunsten Ungarns ausschlagen könnte.

Immerhin kann man verstehen, daß unsere deutschen Politiker sich all diesen Plänen gegenüber außerordentlich reserviert verhalten und lieber ein Verständigung mit Frankreich erstreben.“

Der Vater thematisiert ferner das Gerangel um die Präsidentschaft der Kaiser-WilhelmGesellschaft nach dem Tode Harnacks (Nr. 175, 10.7.1930). Wenn er nicht Präsident werde, „um so besser für mich“. Die Preußische Regierung wäre wohl dafür, „aber die rheinische Industrie“ sieht ihn in zu enger Verbindung mit den Sozialdemokraten: so wird „wohl Herr Planck gewählt werden, der als Nobelpreisträger und als Naturwissenschaftler eigentlich der Gegebenere wäre. Aber er ist 72.“ Wenn er es aber trotz allem würde, „dann möchte ich von diesem Punkt aus allmählich ein Reichskulturamt, möglichst nicht als politische Behörde, um ein späteres Reichs-Kultur-Ministerium vorzubereiten.“

1931, inzwischen aus den USA zurück, will er kurz von Freiburg, wo Hellmut studiert, nach Zürich fahren für einen Vortrag. (Nr.176, 25.4.1931) Sodann berichtet er von einer Reise nach Holland (Rotterdam, Amsterdam, Den Haag), wo er verschiedene Vorträge hält und die verwandtschaftlichen Beziehungen pflegt (Rehbocks, Schöffers) – und sein Geburtshaus in Amsterdam besucht.

Hellmut berichtet seinerseits von Heidelberg (Nr. 178, 6.7.1932), wo er Kollegs bei Jaspers, Bergsträsser, Radbruch und Gundolf hört.

In einem seiner letzten Briefe (Nr. 184, 21.11.1932) bemerkt Becker:

„Was die neueste politische Entwicklung betrifft, so glaube ich nicht, daß die Hitler-Herrschaft zu Stande kommt. Es sieht mir so aus, als ob man ihm die letzte Chance nehmen, nicht als ob man sie ihm geben wollte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er als Reichskanzler die nötige Majorität aufbrächte, und ein Präsidial-Kabinett braucht einen parteipolitisch unabhängigeren Mann.“

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Quellen aus dem Geheimen Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem. Nachl. C. H. Becker