VI. HA Nachl. C.H. Becker. Rep.92 Becker C. Nr. 286
133. Hauptmann Dühring in der Schutztruppe von Kamerun an C.H.B. Bürgenstock/Luzern, 28.7.1918
Sehr geehrter Herr Geheimrat!
Vor einer Woche erlaubte ich mir per Karte die von Freund Eisenlohr an Sie übertragenen Grüße auszurichten.
Heute möchte ich von unseren gemeinsamen Studien berichten und Sie um Ihren gütigen Rat bescheiden angehen.
Eisenlohr und ich haben uns während der unfreiwilligen Muße hauptsächlich bemüht mit Hilfe der Harder’schen Grammatik die Kenntnis der arabischen Schriftsprache anzueignen. Daneben haben wir, soweit es uns möglich war Islamstudien betrieben und namentlich aus dem von Ihnen freundlichst übersandten Werk von Jonquière wissenswerte Anhaltspunkte über die Orientpolitik geschöpft. Die arabisch-türkische Spaltung im Islam hatte ich zum Gegenstand eines Vortrags gemacht, welchen ich aber nicht halten konnte bzw. durfte. Eisenlohr bat mich, sich einmal bei Ihnen zu erkundigen, ob er für seine weitere Carriere gute Aussichten im Orient haben würde und auf welchem Gebiete er sich besonders vorbereiten sollte. Nachdem der Wiedererwerb unserer Kolonien in weitere Ferne gerückt ist, und auch der Frieden noch nicht abzusehen ist, tritt ebenso an mich die Frage heran, eine Verwendung im Orient zu suchen. Durch meine fast zehnjährige Tätigkeit im Norden von Kamerun habe ich das Wesen des Islam aus eigener Anschauung kennen gelernt und Erfahrung in unserer Verwaltung gesammelt, welche den religiösen Vorschriften und Gesetzen der Scharia angepaßt war. Eine im Auftrag des Kolonialamts ausgeführte Studienreise durch Nordnigerien hat mich auch mit dem englischen Verwaltungssystem in den von Mohammedanern bewohnten Kolonien bekannt gemacht. Die Gefangenschaft in Nordafrika hat noch manche interessante Eindrücke in dieser Hinsicht gebracht und die lange Zeit zum Überlegen hat manches unbewußt Aufgenommene klarer und verständlicher erscheinen lassen. Die langjährige Nachbarschaft mit Engländern und Franzosen in der Kolonie hat mir oft Gelegenheit gegeben, mit diesen zu verhandeln und zu verkehren; auch in der Gefangenschaft habe ich dies schwierige Amt im Interesse meiner Kameraden übernehmen müssen. Herr Geheimrat wollen mich gütigst richtig verstehen, wenn ich augenblicklich pro domo spreche, es geschieht aber nur in der Absicht, möglichst bald wieder Gelegenheit zu finden dem Vaterlande meine Dienst zu widmen.
Ich wäre Ihnen dankbarst verbunden, wenn Sie mir durch einen gütigen Rat in der Förderung meines Wunsches behilflich sein könnten. Einglücklicher Zufall führte mich hier mit Herrn Said Runta zusammen, in dessen Hause Eisenlohr in London verkehrt hatte.
Meine afrikanischen Studien werde ich nun wohl auch abbrechen müssen, sie haben mir sehr geholfen, die Misere der Gefangenschaft überwinden zu können. Ich will meine Arbeiten, sobald sich eine sichere Möglichkeit bietet, dem orientalischen Seminar in Berlin überreichen.
In der herrlichen Umgebung gedenken wir wehmütig der in Frankreich Zurückgebliebenen. Wir hoffen und wünschen, daß sich der Austausch glatt weiter abwickelt, dann wird auch für Eisenlohr die Erlösungsstunde bald schlagen.
Die sich widersprechenden Nachrichten und die lange Ungewißheit gehen den alten Gefangenen sehr an die Nerven. Ich glaube aber, daß Eisenlohr diese Zeit gut überstehen wird, da er sie nach Möglichkeit zum besten Nutzen verwandt hat. Er ist mir während der langen Jahre (der Gefangenschaft) in Anok ein werter und lieber Freund geworden und hat viel zur wissenschaftlichen Anregung beigetragen.
Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung
Ihr sehr ergebener R. Dühring
Hauptmann in der Schutztruppe für Kamerun