Hellmut Becker

VI.HA Nachl. C. H. Becker. Nr.6292 (Briefe an Sohn Hellmut 1921-32)

171. C.H.B. an seinen Sohn Hellmut. Berlin, 14.4.1921

(Maschinenkopie)

Mein lieber Sohn Hellmut,

Über Deinen Geburtstagsbrief habe ich mich sehr gefreut, und ich danke Dir herzlich dafür. Es war der erste Brief, den ich bekam und war deshalb doppelt willkommen. Besonders freute mich, daß Ihr eine so gute Reise gehabt habt und daß es Dir in Salem so gut gefällt. Danke auch Fräulein Köppen vielmals für ihren ausführlichen Brief und ihre freundlichen Glück-wünsche. Er war mir sehr wertvoll, denn nun haben wir doch, wenn wir alle Eure Nachrichten zusammenfassen, ein ziemlich deutliches Bild von Eurem Leben. Am liebsten käme ich selber hingereist und sähe mir die Sache einmal an; aber ich fürchte, gar so bald wird das nicht möglich sein, und es wird wohl Sommer darüber werden. Dann bist Du schon ein alter Salemer und kennst Dich so gut aus, daß Du Deinem Vater alles zeigen kannst. Ich möchte nur gern wissen, was Du morgens früh nach dem Frühstück machst, bis der Unterricht anfängt. Das mußt Du uns einmal erzählen, wenn Du wieder schreibst.

Mein Geburtstag verlief sehr schön. Die Tulpe von Deinem Beet prangte in einer Vase zwischen Torte, Schlafanzug, Bilderrahmen von Walter, Waschlappen von Hertha und einem schönen Gemälde von Herrn Siegel, der sich im übrigen jedesmal nach Dir erkundigt und Dich schönstens grüßen läßt. Ich kam erst zum Abendessen nach Hause, und dann war Herr Richter bei uns eingeladen. Es gab sehr gut zu essen, beinahe so gut wie in Salem, nur Du hast uns gefehlt; aber wir haben Deiner mit Liebe gedacht. Mittags hatten mich Herr und Frau Wende mit der Inge besucht, die mir sogar ein Kränzchen Vergiß-mein-nicht mitbrachte, während mir ihre Mutter einen Kuchen gebacken hatte. Dann tranken wir alle zusammen in meinem Dienstzimmer Schokolade, und die Inge hat mir gesagt, ich solle Dich besonders von ihr grüßen.

Im Garten ist alles sehr schön grün geworden, sonst aber ist alles unverändert. Man berät im-mer noch, ob wir einen neuen Minister bekommen sollen. Wahrscheinlich aber bleibt auch hier alles beim Alten.

(CHB)

 

172. C.H.B. an Sohn Hellmut, z.Z. Hoyern bei Lindau am Bodensee, Verbandskrankenhaus. Berlin, 10.9.1926

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Mein lieber Sohn!

Da Dir meine mit der Hand geschriebenen Briefe Schwierigkeiten machen, will ich meine herzlichen Grüße an Dein Krankenlager in Maschinenschrift abfassen, damit Du ihn bestimmt ohne fremde Hilfe lesen kannst. Wir sind sehr glücklich, daß alles so gut abgelaufen ist und sind Deinem guten Pflegevater aufrichtig dankbar für die liebevolle Art, mit der er Dich be-treut hat. Ich bin sicher, daß es Dir unendlich wertvoll gewesen ist, daß er und die gütigen Damen Dich geleitet haben und Dich jetzt so nett besuchen. Wir freuen uns besonders, daß die Nieren ruhig geblieben sind. Vielleicht wirst Du nun in Zukunft auch diese Sache los werden. Jedenfalls ist es sehr erfreulich, daß Du Dich nicht mehr um Deinen Blinddarm zu sorgen brauchst. Möchtest Du recht bald wieder frisch und gesund herumspringen können. Ich freue mich schon sehr darauf, wenn Du nach Berlin kommst und wieder einmal die ganze Familie beisammen sein wird.

Bei uns regiert zur Zeit Hertha in der Küche und macht die wundervollsten Gerichte für ihren Vater unter der hohen Assistenz der Mutter. Manchmal muß ich das Menü bestimmen, weil den Damen immer nichts richtiges einfällt; dann gibt es natürlich immer meine Leibgerichte, und die Mutter ist sehr erfreut, wenn sie nicht selbst darüber nachzudenken braucht. Schade, daß Du all die kulinarischen Genüsse nicht miterlebst. Aber Du wirst Dich dann bei Deiner Ankunft davon überzeugen, daß Deine Schwester bereits eine perfekte Köchin geworden ist.

Von Walter haben wir lauter gute Nachrichten. Er schwimmt sozusagen im Völkerbundswas-ser und hat alle möglichen interessanten Leute kennengelernt. Zum Schluß will er noch zu Baums nach Lausanne und dann – denke Dir – noch 1 bis 2 Wochen nach Paris. Jedenfalls wird das seinem Französisch gut bekommen und habe ich es ihm gern erlaubt.

Hier habe ich neulich die Funkausstellung miteröffnet. Wir saßen in der prallen Sonne im Zylinder unter dem großen neuen Sendeturm1 und schwitzten fürchterlich. Gottseidank habe ich keine Rede halten müssen. Dann war ich drei Tage in Dresden bei der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft, habe auch Deines Befehls gedacht und die Sixtina besucht. Ich war mit Herr Leist zusammen und mit Dr.Baum, dem Dresdener Kaplan, dessen Du Dich wohl noch entsinnst. Unsere Karte wirst Du erhalten haben. Wir haben auch eine große Auto-fahrt gemacht und sind stellenweise 120 km die Stunde gefahren. Ich war aber schließlich doch ganz froh, als wir wieder in Dresden waren. Wir hatten ein Kinderheim in der Provinz in der Nähe von Mittweida besucht, das die große Wohltäterin der deutschen Kriegsgefangenen, die bekannte Schwedin Elsa Brandström, unterhält.

In den nächsten Tagen werden wir mancherlei Gesellschaften haben. Für morgen abend ist das ganze Ministerium zu einer großen Abendveranstaltung zu Ehren des ausscheidenden Herrn Klotzsch eingeladen.. Du weißt doch, daß Herr Wende der Nachfolger des Herrn Klotzsch geworden ist. Am Dienstag kommt Rabindranath Tagore zu einem Frühstück von 15 Personen, an dem auch die Mutter und vielleicht Hertha teilnehmen werden.

Am 18. gehe ich dann auf Dienstreisen zum Naturforschertag nach Düsseldorf, zum Historikertag nach Breslau und zum Orientalistentag nach Hamburg. Da werde ich Dir wohl manche Karte schicken. Heute abend gehen Mutter, Hertha, Morsbach und ich zusammen in Kleists Amphitryon.

Grüße bitte allerherzlichst die Ottenberger Autoritäten und danke ihnen recht sehr für alles , was sie für Dich tun.

Ich umarme Dich in herzlicher Liebe Dein getreuer

(Vater)

 

173. C.H.B. an Hellmut Becker, z.Z. Haus Ottenberg, Hemigkofen am Bodensee, Württemberg. Berlin,17.9.1926

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Lieber Hellmut,

ich danke Dir sehr für deinen schönen und inhaltsreichen und, wie ich sagen muß, fabelhaft gebildeten Brief. Natürlich hat Hebbel keinen Amphitryon geschrieben, sondern es ist Kleist, und ich habe mich im Diktieren geirrt, ohne es zu ahnen, daß Du mir so auf die Finger passen würdest. Hoffentlich kennst Du die übrige Literaturgeschichte eben so gut; dann wirst Du ein vorzügliches Abitur machen. Oder sollte eine der Damen geholfen haben?

Ich freue mich herzlich, daß es Dir wieder gut geht, und daß ich diesen Brief schon nach Ottenberg richten kann. Wir freuen uns alle schrecklich, wenn Du in absehbarer Zeit wieder zu uns nach Berlin kommst. Hoffentlich hat es Dir nicht zu sehr gefehlt, daß Mutter nicht gleich hingefahren ist, aber wir wußten Dich ja in guten Händen, und Mutter war hier augenblicklich so nötig, daß es besser war, sie blieb hier.. Wir leben weiter still und gemütlich, und es nicht allzuviel Amtliches los. Nur neulich ein Frühstück bei uns im Ministerium zu Ehren des indischen Dichters Rabindranath Tagore, der in langem grauen Gewand erschien, während seine Schwiegertochter in malerischer indischer Tracht ihn begleitete. Wir hatten die Herren Marcks, Meinecke, Einstein, Deissmann und einige andere Celebritäten geladen. Abends war dann großer Empfang durch in Berlin wohnende Inder, wo ich eine Rede auf Tagore halten mußte.

Die ganze Berliner Presse regt sich in diesen Tagen gewaltig auf über die Ernennung Tietjens zum Generalintendanten der staatlichen Opernhäuser. Du gehörst ja zu den wenigen Einge-weihten, die strenges Stillschweigen bewahrten, und es ist wirklich merkwürdig, daß mehrere Monate lang meine Pläne geheim blieben. Jetzt ist alle Welt überrascht, und im Grunde genommen, erfreut, aber man gibt es nur nicht so gern zu, weil man lieber selbst vorher mitgequatscht hätte. Immerhin ist die Aufnahme in der Presse sehr erfreulich, und ich glaube, daß wir nun endlich geordneten Verhältnissen im Berliner Opernwesen entgegen gehen. Heute abend gehen die Mutter , Hertha und ich in die Kroll-Loge in Cavalleria rusticana und Bajazzi. Außer Herrn Schlusnus wird der berühmte neue Tenor Pattiera singen. Wir sind natürlich sehr gespannt. Vorher trinke ich aber noch schnell einen Tee, zu dem ich Oskar Kochertaler erwarte, der mit frischen Nachrichten aus Genf kommt, wo er und Walter sehr vergnügte Tage zusammen verlebt haben.

Herr Benecke hat sich etwas am Fuß verletzt und muß mit hochaufgerichtetem Bein drei Tage still liegen. Er hält mir deshalb den Pressevortrag durchs Telefon.

Morgen abend beginne ich eine Periode der Reisen, und zwar gehe ich zunächst nach Düssel-dorf, wo ich Carola Lexis Blumenstein, vielleicht auch Ernst und Jochen sehen werde. Ich besichtige die Gesolei (?) und eröffne den Naturforscher- und Ärztetag. Dann fahre ich über Nacht via Berlin nach Breslau, wo der Denkmalspflegetag stattfindet, bin aber schon Don-nerstag abend wieder in Berlin, da mich der Herr Reichsverkehrsminister Krohne zu einem Diner zu Ehren von Sven Hedin eingeladen hat. Die folgende Woche gehe ich dann nach Hamburg und dann wieder nach Breslau; aber das ist noch Zeit bis dahin, und dann wirst Du ja auch schon beinahe wieder hier sein.

Nun muß ich schleunigst zum Tee. Leb wohl, mein lieber Jung, werde bald wieder ganz gesund. Ich grüße Dich von ganzem Herzen und bitte um freundliche Empfehlung an die Ottenburger Autoritäten.

Dein Vater

 

174. C.H.B. an seinen Sohn Hellmut in Mer/Dep. Loir&Cher, chez M. Sémézies (Berlin?), 23.6.1930

(Maschinenkopie)

Lieber Hellmut,

Du hast den Wunsch geäußert, daß ich Dir einmal einen politischen Brief schreiben möchte. Ich bin aber nicht so sehr politisch, daß ich Dir wie früher immer das Neueste liefern könnte. Deshalb wirst Du Dich auch mit einigen anderen Nachrichten begnügen müssen. Wir haben Deinen Brief mit Freude zur Kenntnis genommen, zumal die Mutter ihn uns vorlas, die zur Interpretation schwieriger Handschriften offenbar eine natürliche Veranlagung besitzt. Sie ist übrigens soeben ins Krankenhaus abgefahren, nachdem sie glücklich den heißesten Tag abge-wartet hatte, den wir diesen Sommer erlebt haben. Ich sitze auf der Veranda, während ich dies diktiere, aber schon das bloße Diktieren bringt einen beinahe ins Schwitzen. Ich bin froh, daß Mutter jetzt in richtige Behandlung kommt, denn sie hatte doch immer wieder bis zur letzten Stunde gesundheitliche Schwierigkeiten.

Ehe ich es vergesse, zunächst die geschäftliche Mitteilung, daß ich soeben die Deutsche Bank angewiesen habe, Herrn Sémézies nochmals 600 Frans zu schicken. Den Überschuß nach Abzug seiner Spesen möge er Dir dann aushändigen. Ich bedauere sehr, daß Du es dort auch so heiß hast. Wir müssen bei den Bildern immer an Liebenwalde denken, nur etwas ins Südliche und Heißere übersetzt. Hoffentlich hast Du es dann an der See um so schöner. Wir sind der Meinung, daß Du Dich dort ja auch ganz gut einmal acht Tage aufhalten kannst.. An Bekanntschaften wird es Dir ja gewiß nicht fehlen.

Seit meiner Rückkehr von meinen fabelhaften Ehrungen in Ungarn habe ich eine ziemlich arbeitsreiche Zeit gehabt, da ich Kolleg nachholen mußte und es sich auch gerade so traf, daß ich für die betreffenden Stunden noch viel der Vorbereitung bedurfte. Diese Woche wird es besser, und nächste Woche ist es schon ganz gut, denn dann hören die Attaché-Kurse auf. Dafür beginnt dann die Vorbereitung auf Amerika. Einstweilen haben wir noch keine Kabinen, da alle Schiffe besetzt sind. Wir werden uns mit der Abreise ziemlich danach richten müssen, wo es noch Platz gibt. Vielleicht reisen wir schon am 13. August. Aber ich vermute, daß Dir das Walter geschrieben hat. Ich bin Samstag und Sonntag in Frankfurt(?Oder, unleserlich), wo es nicht nur ein Mozartmusikfest gab mit ausgezeichneten Vortrag von Frl. Trautmann, sondern wo dann auch in der Pause zu Ehren des Sonnenwendfestes ein Lampionumzug – man kann sagen Lampionreigen – der Studenten der Pädagogischen Akademie stattfand. Er gipfelte in einer allgemeinen Huldigung und Senkung der Lampions vor mir, wie ich überhaupt innerhalb 24 Stunden drei Reden halten mußte, obwohl ich doch eigentlich nur als Privatmann da war. Beim Abendessen hielt plötzlich der Sprecher des gerade stattfindenden Lehrer-Fortbildungskurses eine Ansprache auf mich, die ich beantworten mußte. Nach dem Konzert wurde um 12 Uhr eine köstliche Figur, darstellend den alten Typus des schlechten Lehrers auf einem großen Holzstoß verbrannt. Dem Scherz folgte dann aber der Ernst, und es war ein künstliches Johannisfeuer mit Gesängen und einem großen Ring von Hunderten von Menschen. Plötzlich mußte ich sprechen. Ich variierte dann das Thema „Wer die Flamme umschritt, bleibe der Flamme Trabant.“ Angestiftet hatte das natürlich Adolfus Reichwein, der mit einer Panne in Berlin doch noch zu diesem Fest eingetroffen war. Gestern, am Sonntag früh, machte der Kursus eine Morgenfeier, bei der sie mich am Abend gebeten hatten, einen Vortrag zu halten. So habe ich denn ¾ Stunden ohne Vorbereitung ihnen etwas über die Kulturkrise erzählt, und dann folgte ein wundervolles vormozartliches Cembalo-Konzert mit Orchesterbegleitung. Trotzdem war ich zum Mittagessen wohlbehalten zuhause, schwer ausge-lacht von der ganzen Familie, weil ich hatte sparen wollen und eine Sonntags-Fahrkarte genommen hatte, nun aber mit dem FD-Zug zurückgefahren war, weil die Fahrkarte keine Geltung mehr hatte.

Von der Innenpolitik kann ich Dir nicht viel erzählen, außer daß Hoepker-Aschoff offenbar definitiv abgelehnt hat. Er wird seinen guten Posten erst aufgeben, wenn er wirklich die Möglichkeit sieht, auch mit der Reichsreform vorwärts zu kommen. Danach sieht es aber im Augenblick noch nicht aus. Ich will sehen, daß ich ihn in den nächsten Tagen wieder einmal spreche.

Außenpolitisch habe ich Ungarn manches Interessante gehört. Von Königsmacherei ist die nüchterne derzeitige Regierung weit entfernt. Das falsche Bild in der Öffentlichkeit entsteht durch die Agitation der kleinen legitimistischen Gruppe im Zusammenhang mit gewissen kirchlichen Kreisen und mit greller Hintermalung durch die Todesangst der demokratischen Presse. Immerhin will Klebelsberg Bethlen veranlassen, einmal in einer öffentlichen Rede von den Königsmachern abzurücken. Man weiß in Ungarn viel zu genau, daß die Rückkehr Ottos 2den sofortigen Einmarsch der kleinen Entente zur Folge haben würde. Mein Besuch hat insofern günstig gewirkt, als er ein Gegengewicht geboten hat zu der wachsenden Mißstimmung gegen Deutschland3, das politisch und wirtschaftspolitisch Ungarn vollkommen in Stich läßt, während Italien4 – dazu ja auch besser in der Lage als wir – den Ungarn etwa 1/5 ihrer ganzen Ernte abkauft (allerdings zu Weltmarktpreisen; die Differenz muß durch Steuern bezahlt werden). Der Revanche-Gedanke ist in Ungarn ungeheuer stark. Kinder in den kleinsten Dörfern rufen einem als Gruß zu: „Hofft auf eine bessere Zukunft!“ Die ganze Jugend ist militärisch ausgebildet. Mit Stolz wurden mir die Holzgewehre gezeigt, die genau das Gewicht und die Größe richtiger Karabiner haben. Trotzdem weiß man genau, daß auch lokaler Krieg nur zu Ungunsten Ungarns ausschlagen könnte. Man rechnet aber mit der weiteren Isolierung Frankreichs, das dann nicht mehr in der Lage sein wird, die kleine Entente zu stützen. Dadurch werde eines schönen Tages eine politische Situation entstehen, die es den ungarfreund- lichen Mächten möglich machen würde, ohne Krieg durch einen politischen Druck eine Revision des Trianon-Vertrages herbeizuführen. In diesem diplomatischen Spiel rechnet man natürlich auch mit Deutschland, obwohl man genau weiß, daß Deutschland gar nicht in der Lage ist, einen Krieg zu führen. Immerhin kann man verstehen, daß unsere deutschen Politiker sich allen diesen Plänen gegenüber außerordentlich reserviert verhalten (im Original: verhält) und lieber eine Verständigung mit Frankreich erstrebt. Frankreich wird ja in den nächsten Jahren zeigen müssen, ob es wirklich eine europäische Politik zu machen bereit ist, die diesen Namen verdient. Bisher sieht es nicht danach aus. Jedenfalls wäre es mir sehr interessant, einmal meine italienischen Eindrücke mit den ungarischen zu vergleichen. Man bekommt dadurch etwas mehr Abstand von der einheimischen Politik.

Nun aber Schluß für heute, mein lieber Jung’! Ich grüße Dich von Herzen. (CHB)

 

175. C.H.B. an seinen Sohn Hellmut, z. Z. Les Sables d’Olonne, Vendée. (Berlin?), 10.7.1930

(Maschinenkopie)

Lieber Hellmut,

Ich muß Dir doch einmal davon erzählen, daß ich mich mit Deinem Freunde Billie so vorzüg-lich verstanden habe. Bei irgendeiner Gelegenheit hatte ich ihm gesagt, der dürfte mich auch einmal besuchen, und so kam er denn einmal zum Tee, von dem wir Dir eine Karte schickten. Wir waren aber beide sehr verhetzt, und da er mir ausgezeichnet gefiel, lud ich ihn für ein paar Tage später zum Abendessen ein. So kam er dann. Wir aßen auf der Veranda zu Nacht.. Walter zog sich nachher zurück, und dann haben wir beide bis gegen ½ 12 Uhr eine wirklich wundervolle Unterhaltung miteinander gehabt. Ich kann Dir nur von Herzen zu diesem Freun-de gratulieren. Er ist nicht nur äußerlich, er ist auch innerlich älter als Du und von einer er-staunlichen Reife und Besonnenheit des Urteils. Seine Frühreife ist natürlich auf seine jüdi-sche Herkunft zurückzuführen. Aber er hat gerade diesen Grad jüdischer Intellektualität und Wachheit, der noch angenehm ist, ja einen besonderen Reiz verleiht. Seine Intellektualität wird gebändigt durch sein starkes künstlerisches Gefühl. Aber er lebt nicht nur in der Musik, sondern auch in anderen Sphären des emotionalen Lebens, im Religiösen und im Menschli-chen. Die Art, wie das alles bei ihm harmonisch neben einander steht, wie Selbstbewußtsein und Reife sich neben Bescheidenheit und Jugendlichkeit paaren, ist wirklich erstaunlich. Er ist ein höchst erfreuliches Geschöpf, und ich habe meine helle Freude an ihm gehabt. Er war fabelhaft aufgeschlossen, charakterisierte Salem und besonders Hahn mit Worten, die fast ich hätte gebraucht haben können.. Weißt Du, er hat etwas so Wissendes bei aller Diskretion und etwas Herzliches bei aller Zurückhaltung. Ich merkte sehr bald, daß irgend ein älterer Freund auf ihn eingewirkt haben müsse, und dann erzählte er mir von Herrn Frommel. Beim Ab-schied meinte er, ob ich nicht mal Herrn Frommel empfangen wolle. Ich hielt mich etwas zurück, weil ich mich nicht in diese Beziehung einmischen wollte. Hernn Frommel ging es ebenso; doch habe ich schließlich Billies Wunsch erfüllt und Herrn F. gestern in der Deutschen Gesellschaft empfangen. Das war nun eine sehr merkwürdige Angelegenheit. Herr F war auf mich geladen wie noch selten einer von der Jugend. Er hatte ungefähr alles von mir gelesen, und es hatte ihn entscheidend beeinflußt. Wir haben uns gleich ganz fabelhaft ver-standen, so gut, daß ich beschloß, ihm einen meiner jetzt sehr kostbaren Abende zu opfern und ihn für heute Abend zum Abendessen eingeladen habe. Er reist dann allerdings ebenso wie Billie in den nächsten Tagen fort, und wenn wir uns noch sprechen wollten vor Amerika, so mußte es in diesen Tagen sein. Du kennst ihn ja auch und hast ihm offenbar sehr gut gefal-len. Ich finde ihn einen hochbegabten, ungewöhnlich sympathischen Menschen, der nur mit seinen 28 Jahren endlich ein Examen machen sollte. Ich habe ihm das gleich sehr gründlich gesagt, und ich glaube, daß dieser Appell etwas nutzen wird. Ich nehme an, daß Dich das alles interessiert. Deshalb erzähle ich es Dir so ausführlich.

Mutter geht es Gottlob etwas besser. Sie ist gestern sogar im Plesch’schen Garten spazieren gegangen und hat auch heute Morgen sehr vergnügt telefoniert. Sie scheint jetzt über den Berg. Sehr schwierig ist es nur, eine genügende Ferienreise für sie mit den verschiedenen Terminen unserer Heimkehr rep. Abreise in Übereinstimmung zu bringen. So meinte sie, unter allen Umständen hier sein zu müssen, wenn Du zurückkämst. Ich hielt das für total überflüssig, da ich der Meinung bin, daß Du auch noch 8 Tage später alles genau so gut erzählen kannst. Dann müßte sie gleich nach dem Verlassen des Krankenhauses abreisen.

Ich habe viel zu tun und komme nur schwer an meine amerikanischen Vorträge. Viermal die Woche spiele ich Tennis mit Werner früh von 8 bis 9 Uhr. Er steht mir ungefähr gleich, wenn ich ihn auch bisher geschlagen habe. Aber er macht eigentlich immer nur lange Bälle, und er hat einen höchst anständigen Schlag und ist schnell und gewandt. Er ist ein lieber Kerl, und ich mag ihn wirklich gern. Aber es ist manchmal schwer, Funken aus ihm zu schlagen. Er hat so eine merkwürdige Mischung von Unsicherheit und knabenhaftem Hochmut. Er ist skep-tisch und es fehlt ihm die richtige Gläubigkeit, ohne die aber nun einmal im Leben nichts Großes zu leisten ist. Ich gebe mir sehr viel Mühe mit ihm, trinke jeden Montag nach meiner Vorlesung mit ihm Tee, kurz wir sind ganz befreundet, nur sorge ich mich manchmal, ob ein starker Mensch aus ihm wird. Vorgestern Abend hatte ich die ganzen Attachés zu einer Bowle eingeladen. Hertha und Walter unterstützten mich. Es war sehr nett und dauerte bis nach 12 Uhr. Der bei uns zwei Nächte wohnende Albrecht Dieterich, der ältere Bruder von Hermann Dieterich, Salem, der Sohn unseres alten Heidelberger Nachbarn und Kollegen, nahm auch daran teil.

In Sachen K.W.G5. wird furchtbar viel hinter den Kulissen geredet und intrigiert. Ich halte mich von allem fern und stehe der Sache außerordentlich kühl gegenüber. Wenn es das Schicksal will, werde ich schon Präsident werden, und wenn nicht, ist es gewiß besser für mich, ich werde es nicht. Da ist die Gläubigkeit, von der ich vorhin sprach und die nichts mit Indolenz und Apathie zu tun hat. Glum und Schmidt-Ott haben seit Jahr und Tag die rheinische Industrie so gegen mich aufgehetzt, daß dieser Samen natürlich jetzt aufgeht und diese Kreise unbedingt gegen mich sind. In einer halben Stunde der Unterhaltung ließe sich so etwas natürlich beseitigen., aber ich kann eben nicht herumreisen und die Leute aufsuchen. Braun, Grimme und Richter haben sich sehr anständig benommen. Auch Landé gibt sich rie-sige Mühe. Höpker läuft herum; kurz und gut, es geschieht schon einiges. Trotzdem ist wahr-scheinlich, daß zunächst Herr Planck gewählt wird, der als Nobelpreisträger und Sekretär der Akademie und als Naturwissenschaftler ja eigentlich der Gegebene wäre. Aber er ist 72, und sein Präsidium bedeutet natürlich die Allmacht Glums. Leider ist Harnack zu früh gestorben, und das Ressentiment gegen mich als Vertrauensmann der Sozialdemokratie noch zu stark. Auf der anderen Seite kann ich es auch der Regierung wieder nicht übelnehmen, daß sie mich wohl vorschlägt, aber nicht so auf mir besteht, daß sie politische Schwierigkeiten davon hat. Schließlich weiß ich selber nicht, ob ich es mir wünschen soll. Die Freiheit vom Verwaltungs-betrieb, die ich augenblicklich genieße, ist so herrlich, daß ich sie gern noch einige Jahre genießen möchte. Auf der anderen Seite kann ich eine auf mich fallende Wahl auch nicht gut ablehnen. Wie die Sache also auch ausgeht, ich stehe ihr ohne Enttäuschung, aber auch ohne Begeisterng gegenüber. Wenn ich sie übernehme, dann entscheidet sich allerdings für mich der Weg, den ich weiterhin zu gehen habe. Dann möchte ich von diesem Punkt aus allmählich ein Reichskulturamt, möglichst als nichtpolitische Behörde schaffen, um ein späteres Reichs-Kultur-Ministerium6 vorzubereiten. Aber diesen Plan Deines Vaters bitte ich, in der Stille Deines Busens zu bewahren.

Es ist sehr nett, daß Walter jetzt wieder da ist. Dadurch bin ich nicht so allein, wenn wir uns auch nicht allzu häufig sehen. Er steht unheimlich früh auf, frühstückt schon um 7 Uhr, jeden-falls ist er immer schon fertig, wenn ich zum Tennis weggehe. Es geschehen eben noch Zeichen und Wunder, und dann sage noch jemand etwas gegen den sittlich hebenden Einfluß des Landes.

Nun aber will ich diese endlose Epistel beschließen. Aber ich mußte Dir unbedingt die Ge-schichte mit Billie erzählen. Ich bin sehr neugierig, was er Dir darüber geschrieben hat. Er ist zwar, wie Herr Frommel sagt, weniger mitteilsam, aber ich fand das eigentlich persönlich nicht bestätigt. Jedenfalls freue ich mich herzlich, daß Du einen so netten Freund hast. (CHB)

 

176. C.H.B an Sohn Hellmut, Freiburg /Br.,  Johannisberg 25. (Berlin?), 25.4.1931

(Maschinenkopie)

Lieber Hellmut,

Zunächst begrüße ich Dich herzlich auf Deiner ersten Universität und wünsche Dir ein in jeder Hinsicht reiches und beglückendes Semester. Dann danke ich Dir für Deinen nachträg-lichen Geburtstagsbrief. Wir haben uns nicht weiter gewundert, daß Du den 12.April im Drange der Geschäfte vergessen hast. Bei der notorischen Unsentimentalität Deiner Eltern kommt es ja auf Termine und Daten nicht allzu genau an, wenigstens nicht bei Geburtstagen, wohl aber bei Verabredungen, wie ich sie jetzt mit Dir treffen möchte. Ich bin neugierig, ob Du ein ebenso guter Reisemarschall für Deinen alten Herrn sein wirst wie es Walter in Ame-rika war. Nur ist Deine Aufgabe erheblich einfacher. Meine Pläne stehen jetzt in sofern fest, als ich Freitag, den 8. Mai vormittags 10.21 Uhr mit dem Nachtzug von Berlin in Freiburg eintreffen werde. Sonnabend den 9. um die Mittagszeit möchte ich mit Dir nach Zürich fahren. Wir sind dort bei Frau Dr. Carola Escher-Prince, Rütistr.55, eingeladen. Ich nehme an, daß wir so etwa zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags dort sein werden. Am Sonntag dem 10. vormittags um 11 Uhr ist mein Vortrag und an ihn anschließend werden wir im Auto zu einem Lunch in die Umgegend auf eine andere Privatbesitzung fahren. Abends fahre ich dann mit dem Nachtzug nach München und Du nach Freiburg zurück. Da es Dich nur den Sonn-abend und Sonntag kostet, trage ich keine Bedenken, Dich für diese Zeit Deinem Freiburger Milieu, Freunden und Freundinnen zu entreißen.

Die schwierigste Aufgabe bei dieser Reise fällt Dir zu, nämlich meine Zeit in Freiburg so zu disponieren, daß ich nicht nur von Dir etwas habe, sondern auch mit Wolf Kühn, Dr. Baumgarten und Prof. Schacht zusammenkommen kann. Vielleicht gehst zu zunächst zu Dr. Baum-garten, der Dich bereits erwartet und der Dir sicher gut gefallen wird. Vielleicht könnte ich Prof. Schacht am Sonnabend Vormittag besuchen und den Freitag Nachmittag oder Abend bei Dr. Baumgarten sein. Dann würdest Du mich am Zug abholen, Wolf vielleicht zum Mittag-essen zu uns stoßen und dann das Programm so weiterlaufen, wie ich es eben entwickelte. Wie die besten Züge nach Basel-Zürich fahren, wirst Du dort auch leicht feststellen können. Prof. Schacht ist vielleicht jetzt noch nicht da, da er in Marokko war. Aber am 8. oder 9. ist er sicher in Freiburg. Die Adressen der beteiligten Herren sind:

  • Wolfgang Kühn, Zähringerstr. 3,
  • Dr. Baumgarten, Freiburg-Zähringen, Rötebuckweg 37,
  • Prof. Schacht, Stadtstraße 7

Wir haben mit großem Interesse und viel Mitleid von Deinem Dulderweg bis zum Finden einer konvenablen Wohnung Kenntnis genommen, und ich brenne darauf, Dein erstes selb-ständig gewähltes Heim genau zu besichtigen. Wir sehnen uns alle nach der Ankunft der Schreibmaschine, denn es war wirklich nicht leicht, Deine Briefe zu entziffern, wenn ich auch anerkennen muß, daß Du treu und redlich geschrieben hast.

Ich habe ja seit Deinem Abschied hier auch allerlei erlebt. In Davos war es ganz entzückend, und der Besuch bei Ulrich Noack in Zuoz, hoch über dem Ort, hatte einen unleugbaren Charme. Dann begann ich mein Kolleg mit über 40 Leuten im Kalifen-Kolleg und einem Dutzend Arabisten in den Übungen. Das letzte Wochenende war ich in Holland, wo ich in Rotterdam, im Haag und in Amsterdam Vorträge hielt, überall auf das reizendste von den deutschen Vertretern und den holländischen Wirten willkommen geheißen. In Amsterdam wohnte ich bei Rehbocks. Aber auch die Schöffer’schen Kusinen waren in meinen Vorträgen. Ich besuchte das Grab der Tante Emma und mein Geburtshaus. Auf der Rückfahrt machte ich ein paar Stunden in Dortmund Station, um den Schulrat Ernst Müller zu besuchen.

Hier haben wir seit gestern endlich etwas besseres Wetter, und langsam und scheu zeigt sich das erste Grün. Heute erwarten wir Hertha zu Tisch, die ich noch gar nicht gesehen habe, und Dienstag wird uns dann Mutter für einige Zeit verlassen. Ich finde diesen Ausflug sehr vernünftig, da ich gerade während des Monats Mai ja nicht nur in die Schweiz, sondern über Pfingsten auch noch nach England fahre, so daß die Mutter hier doch ziemlich einsam sitzen würde.

Ich fürchte, dieser Brief wird nicht mehr richtig zum Sonntag kommen. Aber er kann ja auch am Montag noch einen sonntäglichen Gruß übermitteln. (CHB)

 

177. C.H.B. an Sohn Hellmut in Freiburg. (Berlin?), 10.6.1931

(Maschinenkopie) (Eilbrief!)

Lieber Hellmut,

Auf der Fahrt nach Genf komme ich Freitag mit dem gleichen Zug durch Freiburg, mit dem wir damals nach Basel gefahren sind. Richte Dich so ein, daß Du mit einem Billet II. Klasse zu mir in den Zug steigst und mich nach Basel begleitest, wo wir ja zusammen zu Mittag essen könnten. Nach meiner Abreise könntest Du dann zurückfahren. Auf diese Weise hätten wir vielleicht 2 ½ Stunden zusammen, was doch sehr nett wäre. Ich könnte Dir dann alles erzählen und auch vor allem Deine englischen Pläne mit Dir besprechen. Ich habe nämlich heute Morgen einen Brief von Rolf bekommen, aus dem ich Dir den entsprechenden Passus abschriftlich beilege. Ich habe ihn auch an Mutter geschickt und bin der Meinung, daß wir es so machen sollten, wie Rolf vorschlägt. Was Dir evtl. auf Rolfs Farm in Gore bevorsteht,

darüber werde ich Dir Näheres mitteilen. Jedenfalls wäre es ganz anders als Dein bisheriges Dasein. Aber Englisch würdest Du fabelhaft lernen, und Ralph ist ein ganz entzückender Kerl. Über all das mündlich. – Hier alles wohl.

Mit herzlichem Gruß (CHB)

Anlage: C.H.B. an seine Frau Hedwig. (Berlin?), 3.6.1931

(Maschinenkopie)

Liebe Hedwig,

eben telefoniert mich der Vertreter des Temps, ein M. Lauret, an im Namen von Mme Keller-son (Foyer de la Nouvelle Europe, nicht zu verwechseln mit der Europe Nouvelle). Diese Dame, wohnhaft 2 Rue de Chézy in Paris–Neuilly, hat zwei Söhne von 16 und 18 Jahren. Sie behauptet, im vorigen Jahre mit uns in Verbindung gestanden zu haben zwecks Aufnahme von Hellmut. Ich kann mich der Sache nicht erinnern. In diesem Jahre hätte sie eine kleine Villa gemietet in der französischen Schweiz, 1400 m hoch, und möchte dort gern Hellmut für 6 Wochen haben unter der Voraussetzung, daß dann einer der Jungen einmal 6 Wochen mit Hellmut in Berlin sein könnte. Ich habe sofort gefragt, ob nicht vielleicht auch ein junges Mädchen in Frage käme und habe dabei an Maria Michaelis7 gedacht. Da ich die Vorge-schichte nicht kenne und auch nicht weiß, wie weit es mit Hellmuts englischen Plänen steht, schicke ich Dir in aller Eile diese Notiz mit der Bitte, jedenfalls der Dame ein paar Zeilen zukommen zu lassen. Ich würde ja Frida gern den Gefallen tun, etwas für Maria zu erreichen. (CHB)

 

178. Karte von Hellmut Becker an seinen Vater. Heidelberg, 6.7.1931

Lieber Vater!

Heute Morgen langes Ausschlafen, vormittags solo Schloßbesichtigung, mittags mit Georg Kruse, einem Salemer, anschließend herrliches feines Baden im Neckar. Nachmittags Kolleg von Jaspers, spätnachmittags Spaziergang mit Bergsträsser. Heute abend wahrscheinlich Philosophenweg. Morgen will ich, wenn’s schön ist, nach Neckarsteinach mit der Bahn, zurück mit Motorboot. Morgens noch Kolleg von Radbruch8, abends eines mit Gundolf. Dann nach Hause.

Herzlichst Hellmut

 

179. C.H.B. an Sohn Hellmut. Berlin, 15.7.1931

(Maschinenkopie)

Lieber Hellmut,

herzlichen Dank für Deine verschiedenen Karten aus Heidelberg. Ich freue mich sehr, daß Du es dort so schön gehabt hast.

Ich fahre Freitag Morgen wieder durch Freiburg und zwar um 10.07 Uhr. Es wäre nett, wenn Du mich wieder bis Basel begleiten könntest, da es wohl das letzte Mal vor China ist, daß wir uns sehen können. Einstweilen habe ich wenigstens noch die Hoffnung, daß die gegenwärtige Verwirrung nicht zu einer Zurückstellung Deiner wie meiner Auslandspläne führen wird.

Falls Du aus irgend einem Grunde nicht mitfahren kannst, komm jedenfalls an die Bahn, damit wir uns noch einmal sehen.

Hier alles wohl. Mit herzlichen Grüßen Dein getreuer (Vater)

 

180. C.H.B. an Sohn Hellmut. (Berlin?), 25.7.1931

(Maschinenkopie) (Einschreiben!)

Lieber Hellmut,

Du wirst Dich gewundert haben, daß Du noch kein Geld erhieltest. Aber erst wollte es Mutter besorgen, und dann hat sie mich doch wieder darum gebeten. Ich schicke Dir deshalb einlie-gend 150 RM. Wenn das nicht genügt, schreibe mir sofort, damit ich Dir noch etwas schicke. Es ist nur im Augenblick nicht anhängig, Geld über den Bedarf hinaus abzuheben. Walter war ganz außerstande, sich stundenlang für Dich an die Sparkasse anzustellen, um schließlich 20 RM herauszubekommen. Es wird eben noch einige Zeit dauern, bis hier wieder alles in Ord-nung kommt. Da man aber auf der Bank über sein Gehalt disponieren kann, ist vorläufig alles gut, solange man wenigstens sein Gehalt bekommt.

Gestern waren wir alle sehr glücklich über Walters schönes Examen. Er hat mit sehr gut, also magna cum laude abgeschnitten, was bei einem Juristen schon eine ungewöhnliche Note ist. Seine Mitkandidaten kamen auch durch, und das Examen selbst war sehr angenehm. Der un-angenehmste Prüfer ist erkrankt und durch einen ihm genehmeren ersetzt gewesen. „Meine Generäle müssen Fortune haben!“

Hier ist göttliches Wetter. Ich diktiere das morgens auf der Veranda. Eben hat Hertha aus Werder9 telefoniert. Heute nachmittag wird sie hier sein. Morgen geht sie zu Sarres. Ich war gestern ganz allein, da der angesagte Frommel seine Ankunft auf heute verschob. Zum Rind-fleisch in der Suppe kommen heute außer Frommel noch Farkas, der auch Strohwitwer ist, und mein Schüler Hellige, der jetzt endlich die Bibliothek in Angriff nimmt und während meiner Abwesenheit Ordnung schaffen soll. Zum Abendessen erwarte ich Harro zum Ab-schied und Billie für Frommel. Alle Leute hängen jetzt fest mit ihren Auslandsreisen. Es ist zum Verzweifeln, und ich hoffe, daß die Notverordnung bald aufgehoben wird. Walter ist von Halle direkt nach Dresden zu Oskar gefahren, will aber Sonntag Abend wieder hier sein.

Am Morgen nach unserer Trennung habe ich hier einen englischen Vortrag gehalten, den nächsten Tag ein Doktorexamen gehabt, 6 Stunden Kolleg gelesen und eine sehr gut Rede von Grimme10 zur Verfassungsfeier des Studentenverbandes im Reichswirtschaftsrat gehört. Er hat es doch recht gut gelernt, und man hört ihm gern zu.

Mutter rief gestern an. Ich bin neugierig, ob Ihr nun zusammen zurückreist, oder ob sie doch noch einige Tage in Augsburg bleibt. Ich nehme jedenfalls an, daß Du Dich rechtzeitig ansagst. Mit herzlichen Grüßen Dein getreuer (Vater)

 

181. Hellmut Becker an seinen Vater. Hemmenhofen, 11.8.(1931?)

Lieber Vater!

Vielen Dank für Deine beiden freundlichen Karten. Es freute mich sehr durch sie zu hören und auch durch Mutter, daß es Dir wieder besser geht. Hoffentlich wird es Dir bald wieder ganz gut gehen. Vielleicht wirst Du ja auch noch mal zu uns runterkommen. Du scheinst es ja in Dresden sehr schön zu haben; denn wenn Du auch keine großen Ausflüge wirst machen dürfen, so gibt es in Dresden doch viel anzuschauen. Hast Du schon die Sixtinische Madonna gesehen? Deine Autofahrt in die Sächsische (Schweiz) muß wundervoll gewesen sein.

Gestern war ich in Friedrichshafen; deshalb mußte ich Deinen Brief unterbrechen. Es hat gestern in Strömen gegossen, aber es war trotzdem sehr nett. Großmutter ist seit vorgestern in Friedrichshafen; es gefällt ihr dort sehr gut.

Du wirst jetzt also noch eine Woche in Dresden bleiben. Das ist ja sehr schade.—

Als ich neulich mal in Friedrichshafen war, war ich im Zeppelin-Museum. Es war sehr schön und sehr interessant.

Meiner Gesundheit geht es ausgezeichnet. Ich hoffe sehr, daß Du auch bald wieder ganz gesund sein wirst.

Dein treuer Sohn Hellmut.

 

182. C.H.B. an Sohn Hellmut. (Berlin?), 21.8.1931

(Maschinenkopie)

Lieber Hellmut,

die zwei gewünschten Adressen sind.

  • Dr.jur. Ernst Deissmann, The Anglo-German Academic Bureau, 58 Gordon Square, London W.C.1.

  • George Trevelyan, 14 Ct. College Street, Westminster, London SW 1.

Uns geht es weiter gut. Allerlei wichtige Beschlüsse für den Winter sind gefaßt; doch will ich ihre Publikation der zuständigen Stelle überlassen. Jedenfalls löst sich alles sehr erfreulich bis incl. Quick. Ich lasse Dich mit Absicht etwas zappeln, weil Du uns auch so schrecklich hast zappeln lassen, und auch auf Deiner erst heute eingetroffenen Karte nur von Deiner heroischen Haltung der Größe des Meeres gegenüber Kenntnis gegeben hast.

Zar und Zimmermann war eine mäßige Aufführung, fand aber ein begeistertes Publikum. Es spielte auf Capri statt in Zandam.

Sonnabend Morgen kommt Walter von seiner offenbar trotz schlechten Wetters sehr geglück-ten Reise zurück. Am Abend trifft dann Irmgard11 ein.

Herzliche Grüße (DeinVater)

 

183. Hellmut Becker an seinen Vater. (Hemmenhofen, Bodensee?), 27.12.1931

Lieber Vater!

Mit der letzten Flugpost habe ich leider nicht schreiben können, da ich viel zu spät in Inns-bruck ankam und keine Zeit mehr dazu fand. Hoffentlich erhältst Du vor Deiner Abreise nach China noch meinen ausführlichen Bericht, denn der Weihnachtsgruß nach (unleserlich) ist ja ziemlich kurz ausgefallen.

Für Dein fabelhaft großzügiges Weihnachtsgeschenk vielen Dank. Du kannst Dir denken, daß ich Geld stets glänzend brauchen kann. Wir haben uns, da wir ja zu Weihnachten stark (?) auseinander sind, das Geld geholt. Ich werde meinen Teil wahrscheinlich in erster Linie für Bücher verwenden, eventuell mit einem Teil als höchst erfreulichen Beitrag zu den Freiburger wochenendlichen Skiunternehmungen. Ich danke Dir auf jeden Fall vielmals und fand es fabelhaft, daß Du aus weiter Ferne12 uns zu Weihnachten so rührend bedacht hast.

Ich las mit größtem Interesse die weiteren Berichte, vor allem auch den letzten über den Inhalt eines Berichtes; es war sehr nötig und interessant, daß Du mal etwas darüber schriebst.- So interessant Deine Briefe aber auch sind, so bin ich doch schon jetzt sehr gespannt, was Du mündlich alles erzählen wirst und was eben schriftlich einfach nicht wiederzugeben ist. Fragen schriftlich zu stellen, würde wenig Zweck haben, da Du, bis Du den Brief erhältst, schon wieder weiter in Deinem Studium des so fernen China sein wirst, daß Deine Konzentrationskraft davon voll in Anspruch genommen wird. Also das alles (wollen) wir bis zur mündlichen Unterhaltung aufschieben.

In Freiburg hatte ich auch für eine sehr nette Gesellschaft Zeit. Du hast ja über meinen Frei-burger Kreis in meinem letzten Brief nach China schon einiges gehört. Gesellschaftlich hinzuzufügen wäre vielleicht zumal (?) einige nette Abende bei Lanzmanns, einem Verleger, der eines der schönsten Häuser auf dem Lorettoberg besitzt und in dessen Verlag u.a. Bücher von Kayserling und Klages erschienen sind, sowie einige Abende bei Pringsheims. Unter meinen jungen Bekanntschaften ist die netteste wohl Gerry Picht (?), mit dem ich ziemlich viel zusammen war; ich war auch ziemlich oft bei Pichts draußen. Herr Dr. Baumgarten läßt Dich vielmals grüßen; ich schreibe nächstens mehr über ihn.

Hier ist es ganz entzückend. Mutter und ich verlebten einen reizenden Weihnachtsabend, der gar nicht geschmacklos, sondern stilvoll veranstaltet war. Beide erholen wir uns hier glänzend, Mutter schläft sehr viel, ich laufe ziemlich viel Ski.- Die Ilmau (?) als ganzes gefällt mir glänzend. Weder Burgen noch Vorträge erschüttern mich sonderlich; das Haus, die Menschen, die Form zu leben und vor allem die Umgegend finde ich restlos befriedigend. Mutter tut die Sache sehr gut und sie erholt sich sichtlich. Sie hat aber die Kunst des Ausspannens jetzt auch ganz nötig. Das Nette hier eben ist, daß alles so viel Stil hat und im Grunde so positiv und einheitlich in sich ist.

Mutter fährt am 2.1.(1932) nach Augsburg, am 9.1. nach Freiburg.

Dir alles Gute! Hoffentlich erhalten wir jetzt noch weitere Adressen.

Herzlichst Dein Hellmut.

P.S. Walter und ich schenkten Mutter den neuen Albert Schweizer zu Weihnachten. Ich kann meinen glücklicherweise noch umtauschen.- Entschuldige meine Schrift, sie ist noch furcht-barer als sonst, da ich auf Mutters Briefpapier schreiben muß, da mein eigenes zu schwer ist und der Brief sonst 1 Mark mehr kosten würde.

 

184. C.H.B an Hellmut in Freiburg-Ebnet bei Dr. Baumgarten. (Berlin?), 21.11.1932

(Maschinenkopie)

Lieber Hellmut,

Mutter meint, daß Dich die beiden Anlagen interessieren werden, weshalb ich sie mit der Bitte um Rücksendung zuschicke. Was die neueste politische Entwicklung betrifft, so glaube ich nicht, daß die Hitler-Herrschaft zu Stande kommt13. Es sieht mir so aus, als ob man ihm die letzte Chance nehmen, nicht als ob man sie ihm geben wollte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er als Reichskanzler die nötige Majorität aufbrächte, und ein Präsidial-Kabinett braucht einen parteipolitisch unabhängigeren Mann.

Sonst im Augenblick nicht viel zu berichten. Gestern war Herr Picht bei uns zum Mittag-essen, dem ich nachher den Aufsatz für die New York Times vorlas, dem er Wort für Wort zustimmte. Die englische Übersetzung habe ich mit Rolf vorbereitet, wir sind aber leider nicht fertig geworden. Daß bei Devrient-Michaelis Zwillinge14 angekommen sind, wirst Du wohl gehört haben.

Ich diktiere diesen Brief in aller Eile. Die Mutter wartet schon mit dem Auto, wir kombinieren Zahnarzt und Kolleg; deshalb unterschreibe ich dieses auch nicht persönlich. Den Amerika-Aufsatz könntest Du auch einmal Baumgarten lesen lassen; ich bin sehr neugierig, was er dagegen sagen wird. Ich freue mich sehr, daß Du Dich dort im Hause wohl fühlst. Während ich dies schreibe, schaue ich zu meinem Fenster hinaus und freue mich meiner Aussicht und denke daran, wieviel schöner Du es noch hast. Möge es immer so sein!

In Liebe von Herzen Dein Vater

 

185. C.H.B. an Sohn Hellmut. (Berlin?), 8.12.1932

(Maschinenkopie)

Mein lieber Hellmut!

Dein improvisierter und doch wohl durchdachter Brief hat mich sehr gefreut und beschäftigt. Es fehlt ihm ja nicht das nötige Selbstbewußtsein – auch in diesem Punkte hast Du mehr von Deinem Onkel Alex als von Deinem Vater geerbt – aber schließlich gibt es ja ein nicht ganz unrichtiges Wort „nur die Lumpen sind bescheiden“. Immerhin würde ich mich sehr freuen, wenn Deine Begabung etwas mehr in den Dienst der Allgemeinheit gestellt würde, als das bei Onkel Alex der Fall war., dem aber dieser Wille zum Politischen abging. Meine eigene Stel-lung zur Politik hast Du ganz richtig charakterisiert, mir kommt es mehr auf persönliche Lebensgestaltung und auf Dienst am Menschen an, als gerade auf breite politische Wirkung, obwohl ich zu dieser auch fähig bin und, so lange ich im Amt war, auch mit letztem Einsatz mich gewidmet habe. Zur Zeit aber befriedigt mich vollkommen die Wirkung im engeren Rahmen, und man ersetzt durch Intensität, was einem an Expansion versagt ist. Ich bin zwar nicht mehr der stille Gelehrte, als den ich mich in Deinem Alter als Zukunftsbild gesehen habe, aber ich glaube, jetzt das Arbeitsfeld gefunden zu haben, auf dem ich die Synthese zwischen meinen zwei Lebensberufen und Ausbildungen vollziehen kann.15

Doch nun zu Deinen Plänen. Sie sind gut durchdacht, nur rechnen sie mit zwei Unbekannten. Die erste Unbekannte ist das Assessorexamen. Ich habe selbst einmal als Minister verfügt, daß die juristischen Fakultäten grundsätzlich niemanden ohne Assessor-Examen zulassen sollten, da sonst bei Nicht-Erfolg der arme Kandidat nur noch Gerichtsschreiber werden könnte. Ausnahmefälle gibt es allerdings beim Staatsrecht, aber auch hier wird es ungern gesehen, wie ich neulich bei Bruns feststellte, der allerdings meinte, eine freie Arbeit auf seinem Institut wäre nach dem Referendar für einen künftigen Gelehrten eine mindestens ebenso gute Aus-bildung wie eine Assessorzeit. Immerhin wird alles davon abhängen, ob die Fakultät, bei der Du Dich habilitieren willst, sich auf das Risiko eines assessorlosen Privatdozenten einläßt.

Die zweite noch größere Unbekannte ist eine Berufung in jungen Jahren. Im Augenblick war die Chance nicht schlecht, aber wenn jetzt alles mit jungen Leuten besetzt wird, ist es natür-lich schwierig, in den Jahren, während deren Du auf eine Berufung rechnest. Gegen den gan-zen Plan bleibt eines zu sagen, das ist die ausschließlich theoretische Ausbildung für den künftigen Politiker. Die Reibung oder, um mich technisch auszudrücken, die Funktion des politischen Lebens kann man niemals aus Büchern lernen, und es geht mit der Erfahrung der Praxis wie mit der Erfahrung des Liebeslebens: man kann alles wissen und hat es doch nicht erlebt.16 Darin habe ich immer den großen Vorteil der Referendarausbildung gesehen, daß man in den Jahren bis zum Assessor doch mit den verschiedenartigsten praktischen Lebens-verhältnissen in unmittelbare Berührung gelangt. Ich habe ja selbst einen rein theoretischen Ausbildungsgang durchlaufen, habe allerdings durch meine großen Reisen frühzeitig eine gewisse Weltläufigkeit bekommen, die durch internationale Erfahrungen ersetzte, was mir an heimischer Schulung fehlte. Immerhin war es doch auch für mich eine neue und fremde Welt, als ich in Hamburg zum ersten Mal mit dem politischen Leben in Fühlung kam und als Senatskommissar vor dem Parlament auftrat. Was die Reibungen des praktischen Lebens aber wirklich bedeuten, habe ich eigentlich erst in meiner ministeriellen Praxis gelernt.

Diese Ausführungen sollen nicht gegen Deinen Plan sprechen, aber sie sollen Dich klären helfen. Jedenfalls freue ich mich über den bewußten Einsatz Deiner Energie auf das akade-mische Studium, der sich in diesen Plänen dokumentiert, denn ich zweifle nicht, daß Du Dir darüber klar bist, daß selbst bei einem gescheiten Menschen die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben; namentlich im akademischen Leben, wo selbst ein so gescheiter und feingeistiger Mensch wie Sment Ruf und Ansehen weniger seiner Geistreichheit und seiner Integration als seinem dicken Buch über den Reichsdeputationshaupt(be)schluß verdankt. Immerhin kommt es auf juristischem Gebiet, und das mag Dich trösten, vielleicht stärker als auf irgendeinem anderen Gebiet der Geisteswissenschaften auf Qualitätsleistung im rein Gedanklichen an. Man kann also mit einer gewissen Dosis von Faulheit bei der nötigen Aufwendung von Grips nicht nur etwas leisten, sondern auch anerkannt werden. Unter allen Umständen aber werden diese Zukunftspläne bei Dir zu einem Einsatz von Arbeitskraft füh-ren, der einem für alle Fälle wichtigen günstigen Ausgang der ersten Examina nur förderlich sein kann.

Am meisten hat mich aber an dem Brief gefreut, daß Du ein engeres Verhältnis zu einer Arbeit im Rahmen Deiner Zukunftswünsche gefunden hast. Für den Mann ist ein solcher Halt in sich selber die beste Garantie für ein sinnerfülltes Leben. Man hat sein Fatum in sich, aber seine Fortuna kann man machen.17

Sag doch Herrn Baumgarten, wie herzlich ich mich über seinen guten Erfolg in Göttingen gefreut habe. Neulich telefonierte mich Windelband an, um mir aus einem Brief von Prof. Hecht die volle Anerkennung für Person und Leistung Baumgartens vorzulesen. Die Fakultät würde sich demnächst äußern. Hoffentlich geschieht das bald. Auch Hertha schrieb sehr begeistert, besonders über die Formvollendetheit des Vortrags. Im übrigen bin ich sehr neugierig, was B(aumgarten) zu meinem Amerika-Aufsatz gesagt hat, den ich mir übrigens gelegentlich ebenso zurück erbitte, wie den Durchschlag meines Briefes an Onkel Ernst. Die Redaktion der New York Times war von dem Artikel sehr begeistert; die Frankfurter Zeitung bemüht sich zur Zeit um ein gleichzeitiges Erscheinen des deutschen Originals.

Du wirst gehört haben, daß das Brautpaar nicht nach Amerika fährt und Frau Schroeder erst nach Weihnachten allein kommt. So werden wir alle hier gemeinsam Weihnachten feiern. Daß der teure Max geflogen ist, hat Mutter Dir ja wohl auch berichtet. Da wir alle, incl. Helene, auf diesen fixen und außerordentlich charmanten Kerl hineingefallen waren, wagten wir nicht zu gestehen, daß uns der sich meldende Ersatz auch wieder sehr gut gefiel. Er erin-nert physisch an Deinen Tutor Beck, ist weniger charmant, aber dafür solider als sein Vor-gänger, stammt aus Pommern, hat keine Dienerschule, aber ist in erster Linie Diener, und zwar meist in Saisonstellen an der See. Wir haben ihn einen ganzen Tag allein mitarbeiten und fahren lassen, ehe wir ihn engagierten. Morgen soll er antreten. Quod deus bene vertat.

Von mir selbst kann ich nur Gutes berichten. Zur Zeit sind Frommel und Bertaux hier, die ich neulich als zwei Kampfhähne aufeinander losgelassen habe, was höchst amüsant war. Bertaux war entsetzt über Frommels irrationalen Nationalismus und Frommel über Bertaux’ kühlen Nationalismus. In einer dramatischen Aussprache bei Lutter&Wegener zwischen drei Franzo-sen und drei Deutschen haben wir uns schließlich auf die Formel geeinigt, daß der französi-sche Nationalismus eine der Irrationalismen der französischen Mentalität sei. Ich selbst habe vorgestern in der Deutschen Gesellschaft über Bali gesprochen. Der Vortrag war gut besucht und ein echter Balinese anwesend. Gestern Abend war ich mit Mutter bei Dietrichs, wo jeder zweite Mann ein Minister war: außer dem Gastgeber und mir Brüning, Stegerwald, (unleserli-cher Zusatz), Koch-Weser, Graf Schwerin usw. Mutter saß zwischen Rumbold und einem schönen jungen Philosophen, ich zwischen Frau Koch-Weser und Breitscheid. Mutter fuhr glänzend durch Verkehr, Wind, Wetter und Finsternis.

Auf frohes Wiedersehen Weihnachten! Grüße Baumgarten. (CHB)


Tod Carl Heinrich Beckers am 10. Februar 1933


(Beileidsschreiben ab 12.2.)

 

186. Beileidskarte von Trude Becker an Hellmut Becker. O.O. 13.2.1933

Lieber Hellmut!

Ich liege hier mit einer Grippe im Bett und möchte Dir so gern etwas Liebes sagen, bringe es aber nicht fertig. Der Verlust Deines Vaters hat uns so plötzlich und unerwartet getroffen, daß man sich immer noch keine rechte Vorstellung davon machen kann. Ich denke viel an Dich, Deine liebe Mutter und Geschwister.

Viele Grüße Deine Trude

 

187. Beileidsbrief des Volkskonservativen Asuen(?) an Hellmut Becker. O.O., 12.2.1933

(Auszug)

Lieber Hellmut!

(…)

Beim Tode Deines Vaters mischt sich das Mittrauern mit Euch Angehörigen mit der eigenen Trauer um den Verlust, den das öffentliche Leben – um nicht pathetischer zu sagen -, den Deutschland erlitten hat.

(…) Mein Wunschtraum, ihn einmal an der Spitze eines Reichskultusministeriums, als Führer des Kulturlebens der ganzen Nation zu sehen, ist nun unerfüllt geblieben.


1 Der Berliner Funkturm hat den 2. Weltkrieg überdauert und ist heute noch ein Wahrzeichen der Stadt.

2 Otto von Habsburg

3 Hervorhebungen vom Herausgeber. In Ungarn herrschte Nikolaus von Horthy als Reichsverweser 1920-1944

4 In Italien herrschte der „Duce“ Benito Mussolini 1922 bis zu seinem Tode 1945, beides sog. Monarchien mit autokratisch-faschistischen Regimen.

5 Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, heute Max-Planck-Gesellschaft für Forschung und Wissenschaft

6 Hervorhebung vom Herausgeber.

7 Es handelt sich um Mia Michaelis, Tochter von Frida und Otto Michaelis, die später Theologie studierte, den Göttinger Theologieprofessor Trillhaas heiratete und 5 Kinder mit ihm hatte. Mein Bruder Uwe studierte während der Berliner Blockade 1 Semester dort 1948 und wohnte in einer noch freien Besenkammer – Wohnraum war eben knapp.

8 Das war sozusagen die Crême de la crême von Heidelberg für einen jungen Juristen: Karl Jaspers (Philosoph), Bergsträsser (Jurist und Politologe, den ich noch nach dem Kriege in Freiburg erlebte), und Gustav Radbruch, vor allem als Vater der Weimarer Verfassung bekannt.

9 Werder ist der Obstgarten von Berlin und sehr schön im Westen Berlins gelegen (für die Nicht-Berliner)

10Adolf Grimme, Pädagoge und SPD-Politiker, war als Minister Nachfolger Beckers im Preußischen Kultusministerium 1930-33

11 Irmgard war die Frau von Walther Becker und Mutter von Zwillingsmädchen

12 Chinareise Beckers. Evtl. war Becker aber schon (Dezember 1931) auf dem Weg nach Java

13 Hervorhebung vom Herausgeber.

14 Es handelt sich um Emma und Walther Devrient, mit den Zwillingen Ursula und Hanna *17.11.32; später kam noch ein Sohn Joachim; Emma ist die Tochter von Frida und Otto Michaelis, Schwester von Otfried und Mia…

15 Hervorhebung des Herausgebers.

16 Hervorhebung des Herausgebers.

17 Hervorhebung vom Herausgeber.