Rede zu Ehren Max Liebermanns, o. J.

115. C.H. Becker, Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. (Berlin, undatiert).

Rede zu Ehren von Liebermann1

Täglich führt mich der Weg von meinem Haus zum Amt (in der Wilhelmstraße) an der Berliner Wohnung Liebermanns vorbei, deren Fenster hier nach dem Tiergarten, dort nach dem Pariser Platz blicken. Mir will es scheinen, als könnte Liebermann nirgendwo sonst sein Heim haben, als wiesen seine Persönlichkeit und sein Schicksal ihn mit Notwendigkeit gerade an diesen topographischen Ort.

Der Maler sieht aus seinen Fenstern auf den Pariser Platz hinüber zur Akademie der Künste, hinein in die alte preußische via triumphalis. Welch ein Berlinischer Prospekt – voll von Erinnerungen an die politische und künstlerische Geschichte der Vaterstadt Liebermanns! Es ist der Boden, über den seine malerischen Wahlvorfahren: die Chodowiecki, Schadow, Steffeck und Menzel geschritten sind. An der edlen Zurückhaltung der monumentalen Bauten: des Brandenburger Tores, der Akademie der Künste freut sich das zu höchsten Ansprüchen erzogene Auge des Malers, im Raume dieses Platzes fühlt er sich stolz als Berlinischer Bürger, der Teil hat an alter Familien- und Stadtkultur. Hier berührt uns täglich der Hauch einer großen Tradition, deren Wert der Präsident der Preußischen Akademie der Künste so oft und so eindrucksvoll mit Goethischem Geist und Kantischer Strenge betont hat. Liebermann ist nicht außerhalb Preußens und Berlins, Berlinische Kunst und Preußischer Stil sind nicht ohne Liebermann zu denken.

Und nun ein Blick durch die andere Fensterfront seines Heims, über die Bäume des Tier-gartens hinweg: ein Stück Landschaft mitten in Berlin. So sehr Liebermann Großstädter ist – nach Herkunft, Anlage, Lebensart und Leidenschaft, so sehr ist er Verehrer und Deuter der nordischen Natur, Gestalter unserer Landschaft. Wo immer dieser Maler seine Staffelei hingesetzt hat: auf Thüringische Wiesen, in die Dünen und Gärten Hollands, an die Ufer der Seine, der Alster oder der Havel: stets empfängt er vom Objekt das Gesetz. Ehrfurcht und Sachlichkeit führen seine Hand. Phantasie ist ihm nicht die Kraft, sich etwas „auszumalen“, sondern etwas Gesehenes zu malen. Die Grenzen zwischen Malerei und Dichtung hat Liebermann, ein Lessing des Pinsels, mit kritischer Schärfe, zugleich aber aus der Unmittelbarkeit des schöpferischen Erlebnisses heraus, bezeichnet.

Wie sein äußeres Leben harmonisch zwischen Stadt und Land sich abspielt, wie er an der Grenzstelle zwischen Großstadtlärm und Gartenstille wohnt, so halten sich in seinem künstlerischen Charakter Verstand und Gefühl wundervoll die Waage. Daß der große Künstler zugleich einer der Höchstgebildeten seiner Nation nicht nur sein kann, sondern sein muß, wenn immer er wirklich zur repräsentativen Figur werden soll, das zeigt Liebermanns Beispiel.

Es ist daher dem Preußischen Kunst- und Bildungsminister eine freudige Pflicht, dem vornehmen Bürger, dem genialen Maler, dem geistreichen Denker und dem von hohem Pflichtgefühl erfüllten Präsidenten der Akademie den Dank und die Anerkennung der Staatsregierung auszusprechen.

C. H. Becker mit Max Liebermann und Familie, sowie Waetzoldt
C. H. Becker mit Max Liebermann und Familie, sowie Waetzoldt

 


1 *1847 Berlin +1935 in Berlin

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