GEHE Stiftung, 1915/16

HA VI Nachl. Becker C.H. Rep.92 Nr.379

Schriftwechsel mit der GEHE.Stiftung in Dresden 1915/16 und die Zensur

126. C.H.Becker an Dr. Schanze, Dresden. (Bonn), 18.11.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Doktor!

In höflicher Erwiderung Ihres Schreibens vom 12. November frage ich hierdurch ergebenst an, ob für meinen Vortrag am 15. Januar (1916) als Thema Der türkische Staatsgedanke genehm ist. Im Falle der Zustimmung brauche ich weiter keine Nachricht.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener C.H.B

 

127. Dr. Schanze, an C.H.B. Dresden, 22.12.1915

Gehe-Stiftung

Hochgeehrter Herr Professor!

Soeben erhalte ich von der Königl(ichen) Polizeidirektion die Mitteilung, daß auf Anordnung des Kommandierenden Generals das Manuskript Ihres Vortrages in Schreibmaschinen- oder sonst leserlicher Schrift spätestens am 7. Januar einzureichen ist.

Wir bitten ganz ergebenst, uns das Manuskript rechtzeitig zu übersenden, damit wir seine Prüfung und Genehmigung veranlassen können.

Mit ausgezeichneter Hochachtung Die Gehe-Stiftung. Dr. Schanze.

 

128. C.H.B. an Dr. Schanze. Bonn, 28.12.1915

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich habe bei meiner Vortragstätigkeit während des Krieges bisher nirgends ein völliges Manuskript eingereicht, sondern immer nur eine kurze Inhaltsangabe, und dabei habe ich selbst in Festungen, wie Straßburg, und in der Reichshauptstadt gesprochen. Ich spreche nämlich immer frei und mache höchstens ein Manuskript erst nach dem Vortrag. In diesem falle aber liegt es ja anders, weil das Manuskript gleich zum Druck abgeliefert werden soll. Ich werde dafür Sorge tragen, daß es bis zum 6. Januar in Ihren Händen ist. Ich bitte nur darum es sonst niemanden lesen zu lassen.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

129. C.H.B. an Dr. Schanze. Bonn, 3.1.1916

(Maschinenkopie)

Hochgeehrter Herr Doktor!

Anbei übersende ich Ihnen verabredungsgemäß einen Durchschlag meines am 15. Januar zu haltenden Vortrages für die Zensur. Ich möchte mich aber nicht unbedingt auf den Wortlaut festlegen; das ist ja auch nicht nötig. Auch soll der Druck nicht nach diesem Durchschlag, sondern nach dem Original gehalten werden, das ich mit einigen Verbesserungen und Literatur Ihnen anläßlich meines Aufenthaltes in Dresden überreichen kann.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

130. C.H.B. an Dr. Schanze. Bonn, 29.1.1916

(Maschinenkopie)

Hochgeehrter Herr Doktor!

Ich danke verbindlichst für die gütige Übersendung der Zeitungsreferate, die ich hier vorfinde. Ich sehe mit Freude daraus, daß sich die Öffentlichkeit für meine Gedankengänge interessiert hat.

Ich wäre natürlich dankbar, wenn mein Vortrag bald gedruckt würde und darf doch wohl unter allen Umständen auf eine Korrektur rechnen.

Mit nochmaligem besten Dank für die freundliche Aufnahme

Ihr Ihnen sehr ergebener (C.H.B.)

 

131. C.H.B. an das Kuratorium der Gehe-Stiftung Dresden z.H. Herrn Dr. Schanze.

Bonn, 16.2.1916

Einem verehrlichen Kuratorium der Gehe-Stiftung beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, daß mein in Dresden gehaltener Vortrag über den türkischen Staatsgedanken, der Wort für Wort von der Dresdener Zensur genehmigt war, bei der Drucklegung von der Leipziger Zensur derartig zusammengestrichen worden ist, daß ich meine Erlaubnis zur Veröffentlichung in dieser verkürzten Form nicht geben kann.

Historische Tatsachen sind von dem Zensor auf den Kopf gestellt; Gedanken, die ich im amtlichen Kriegstagebuch Deutschland und der Weltkrieg im Auftrage der Regierung ausgeführt habe, sind gestrichen; wissenschaftliche Tatsachen, die in allen Lehrbüchern stehen, sind als staatsgefährdend ausgemerzt; Verteidigungen des derzeitigen türkischen Regimes sind gestrichen, weil bei der Widerlegung der gegnerischen Anwürfe auch deren Meinung zur Darstellung kommen mußte. Die ganze Zensur ist derartig kindlich und unverständig ausgeübt, daß der Inhalt meiner Ausführungen gelegentlich direkt in das Gegenteil verkehrt ist.

Das Groteskeste von allem aber ist, daß die jedem heutigen Türken höchst erfreulich ins Ohr klingende Kritik des Absolutismus unter Abdul Hamid von dem übertürkischen Zensur beanstandet worden ist. Man versteht nicht, wie eine derartige Zensur und ein so vollkommenes Mißverstehen der von Berlin gegebenen Direktiven an den Zentralsitz des deutschen Buchhandels in Leipzig möglich ist. Wenn ich nicht bedauerte, daß die Veröffentlichung meines Vortrages dadurch eine erhebliche Veröffentlichung erführe, würde dieses Dokument militärischer Weisheit die größte Heiterkeit bei mir auslösen. Aber der Gegenstand ist denn doch zu Ernst dazu, und möchte das verehrte Kuratorium der Gehe-Stiftung bitten, seinerseits die Sache in die Hand zu nehmen und in Leipzig durchzusetzen, daß die Beanstandung zurückgezogen wird. Mein Vortrag war ja seinerzeit sogar von einem königlichen Prinzen besucht, und dem Kuratorium Ihrer Stiftung gehören so hervorragende Männer an, daß es Ihnen wohl ein Leichtes sein wird, durch eine private Einwirkung auf den Kommandierenden General die Druckerlaubnis zu erhalten. Zu diesem Zwecke sende ich Ihnen die beanstandeten Fahnen; außerdem erlaube ich mir, die Abschrift meines Briefes an die Firma Teubner beizulegen, aus der Sie ersehen können, welche Schritte ich mir vorbehalte, wenn es der Gehe-Stiftung nicht möglich sein sollte, den Vortrag frei zu bekommen.

In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)

 

132. C.H.B. an die Gehe-Stiftung. Bonn (?), 31.3.1916

(Maschinenkopie)

Hochverehrte Herren!

Zu meinem schmerzlichen Bedauern muß ich Sie zum zweiten Male in Angelegenheit der Drucklegung meines bei Ihnen gehaltenen Vortrages belästigen. Nach Empfang Ihres gütigen Schreibens vom 22. Februar habe ich meinerseits versucht, die Zensurierung meines Vortrages rückgängig zu machen. Leider hat die Oberzensur die untere Instanz gedeckt, so daß ich es für selbstverständlich hielt, daß mein Vortrag nun erst nach dem Kriege in Ihrer Serie werde erscheinen können.

Zu meinem allergrößten Befremden mutet mir nun aber plötzlich die Firma Teubner in höchst unverbindlicher Form zu, entweder das von der Zensur verballhornte Manuskript jetzt erscheinen zu lassen oder aber gegen Ersatz der Druckkosten auf die Drucklegung überhaupt zu verzichten; nach dem Kriege werde sich niemand mehr für das Thema interessieren. Mir kam dieser Brief in seiner ungeheuerlichen Anmaßung als eine Entgleisung eines Korrespondenten vor, und ich habe eine etwas gereizte Antwort gegeben. Nun deckt Dr. Giesecke völlig die Maßnahme seines Prokuristen. Unter diesen Umständen hat eine Korrespondenz meinerseits mit der Firma Teubner keinen Zweck mehr, da ja alles von dem Vertrag der Stiftung mit der Firma Teubner abhängt, den ich nicht kenne, und der mich auch nichts angeht.

Indem ich Sie bitte, die Angelegenheit zu entscheiden, möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie Ihre Redner gegen derartige Ungezogenheiten Ihrer Verlagsfirma schützen; denn wie sich die Firma Teubner aufspielt, muß man den Eindruck gewinnen, als ob nicht das Direktorium der Gehe-Stiftung, sondern Herr Dr. Giesecke entscheidet, welche Vorträge in Dresden gehalten und nachher gedruckt werden dürfen. Meine Auffassung der Rechtslage habe ich Ihnen in dem Schreiben an Teubner niedergelegt, das ich Ihnen mit der ganzen Korrespondenz zur geneigten Kenntnisnahme überreiche.

Ich würde es sehr bedauern, wenn mein Vortrag nicht in Ihrer Serie erscheinen würde; aber ich habe auch nicht die Absicht, vor dem kapitalistischen Unternehmertum des Herrn Dr. Giesecke einfach zu kapitulieren. Daß das Interesse an der Türkei nach dem Kriege erlöschen sollte, ist außerdem so grotesk, daß man daraus nur schließen kann, daß der Firma Teubner das orientalische Verlagsgebiet nicht liegt; denn ich kann mir gar nicht helfen vor Verlegeranfragen, über orientalische Themata jetzt oder nach dem Krieg zu schreiben1. Also ich habe die Firma Teubner ganz gewiß nicht nötig. Ich würde eine Lösung des Vertragsverhältnisses nur vom Standpunkt einer gestörten schönen Erinnerung bedauern, da mir meine Aufnahme in der Gehe-Stiftung in sehr angenehmer Erinnerung geblieben ist.

Indem ich die Angelegenheit2 Ihrem Ermessen anheimstelle, bin ich mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr sehr ergebener (C.H.B.)


1 Hervorhebung vom Herausgeber

2 Wie die Angelegenheit geregelt wurde, geht aus der weiteren Korrespondenz nicht hervor; jedenfalls erreichte die Stiftung wohl eine gütliche Einigung. Der Herausgeber.

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