Friedrich Gundolf, 1931

Aus dem Privatarchiv von Michael Becker, Berlin

Fast ein Nachruf …

571. Friedrich Gundolf1 an C.H.B. Heidelberg, 7.4.1931

Hochverehrter Herr Minister!

Für die freundliche Übersendung Ihrer Rede über „Das Erbe der Antike im Orient und Oczident“ bin ich Ihnen vielfach verpflichtet: zunächst durch den Zuwachs meiner Kenntnisse aus dem Wissen eines soliden Forschers, der in beiden Bildungs- und Glaubenswelten so genau und so ahnend heimisch ist. Gegenüber der Tendenz, die im 19. Jahrhundert entdeckten Hellenismen zu überschätzen, ist Ihre Art der jeweiligen Dauernaturen in den Wandelkulturen wahrzunehmen, die Originale in den Komplexen, oder die Wesen in den Mischungen festzuhalten, mir besonders willkommen, gemäß meiner Sorge, daß man vor lauter Einflüssen kein Wasser mehr sieht. Auch die Art der Übername als Contagion2 zu deuten (statt als Nachahmung) ist eine heilsame Einsicht, gegenüber dem meist täppischen Motivgezupfe, das eben durch seine Scheinexaktheit die wirkliche hindert. Vielleicht ähnelt aber auch die Ideenverbreitung gewissen Vorgängen der Schwangerschaft … dem Versehen und den Begehrlichkeiten.

Zumal was Sie auf Seite 16/17 anführen, die Umkehr etwa des alten islamitischen Offen-barungsbegriffs, die Popular-Philosophie scheinen mir als einem Laien nach Ihrer Darstellung als die Umsetzung fertiger Denkbilder in frische Angst- oder Lustreize völlig fremder Empfänger.

Doch dies beiseite: noch dankbarer bin ich Ihnen für die Besinnung des heutigen Humanismus auf sein reges Erbe aus „Dreitausend Jahren“, für die Rechenschaft dieein Führer wie Sie von dem steten Grunde gibt, gleich frei vom romantischen Traditionalismus wie von übergangstrunkenem Fortschrittstaumel … (den beiden Untergangskrankheiten unserer Bildung) … den alten Ehrfurchten woraus die ewigen hellenischen Bilder und römischen Taten sich verdichtet und verbreitet hatten noch nah genug und doch mit dem Vertrauen in die Wissenschaft, mit de guten Gewissen dazu, das immer rascher schwindet unter dem Druck der vordersten Not und dem Ungenügen der selbstzwecklichen Methoden, dem jugendlichen Verlangen nach billigen Absolutismen handfester Dummheit oder fixer Geheimnisse. Wenigstens spüre ich mit einer Art Grauen das Erlöschen des Forschmutes und – Zeichen dafür – der Gedächtnisstärke in der heraufkommenden Jugend. Was man nicht mehr glaubt behält man schwer.

Ihr Vortrag ist deshalb tröstlich durch seine Rückblicke-und als Aufruf, über das hinaus was er an weitem Lernstoff vermittelt.

In herzlicher Hochschätzung Ihr dankbar ergebener Friedrich Gundolf.

Professor C.H. Becker, Der Kultusminister des republikanischen Preußens Nach einem Gemälde von Eugen Spiro Beilage „Zeitbilder“ zur Vossischen Zeitung vom 19.2.1933
Professor C.H. Becker,
Der Kultusminister des republikanischen Preußens
Nach einem Gemälde von Eugen Spiro
Beilage „Zeitbilder“ zur Vossischen Zeitung vom 19.2.1933

1 Friedrich Gundolf (eigentlich Gundelfinger) * 1880 Darmstadt + 1931 Heidelberg, Literaturhistoriker dortselbst, gehörte zum Kreis von Stefan George, auf dessen Kunsttheorie seine Arbeiten beruhen.

2 Contagion franz. Ansteckung

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