Hellmut Ritter, 1913-33

VI.HA. Nl. C. H. Becker. Nr. 3521

Briefwechsel Beckers mit dem Orientalisten Hellmut Ritter1 1913-1933 (bis 1936 mit Hedwig Becker fortgeführt) – Briefe und Tagebuchberichte.

225. Hellmut Ritter an C. H. B. Stambul, 19.1.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Professor!

Nun bin ich schon seit etlichen Tagen hier und habe Zeit, etwas über meine Reise zu berichten

Mein Reisegefährte Leutnant Klinghardt, war Dienstag endlich gesund und so sind wir fröhlich abgedampft. Schlagwagen leider ausverkauft, so fuhr ich zwischen galizischen Juden die ganze Nacht hindurch. Fabelhaft, was in Österreich für eine unbeshreibliche Begeisterung für unser Heer und unsern Kaiser, den man sich im Volke durchaus als den genialen Führer des Ganzen vorstellt, herrscht. Ich höre noch die Galizier: „Ich bitte, Härr, wenn ich sehe einen Daitschen, so wird mir leicht ums Herz. Härr, jeder von unsere Lait gibt seinen Kopf für jeden daitschen Soldaten. Sie können kommen uns nehmen, was Sie wollen, wir geben alles her.“ Ein Ungar wollte seine Reiseroute ändern, nur, um uns am Bukarester Bahnhof behilflich sein zu können. So ist die Stimmung überall. In Ungarn sah ich bayerische Artillerie, die den Österreichern wohl gegen Serbien helfen soll. Die Leute wurden von den guten Menschen fast auf den Händen getragen, wußten sich gar nicht zu retten vor lauter Liebesbezeugungen. Ich ließ meine Galizier natürlich nicht merken, daß ich auch einer von diesen Halbgöttern sei, ließ vielmehr das ganze Lobgetön mit behaglicher Freude über mich ergehen. Unterwegs gesellte sich ein Offizier von der polnischen Legion zu uns, der mir recht gut gefallen hat. 50 000 Polen sollen ja mit uns gegen Rußland kämpfen. Österreich hat ja Recht uns zu loben. Man hat ein Rätsel gemacht: „Worin besteht die militärische Überlegenheit Österreich-Ungarns über Deutschland?- Es hat einen besseren Bundesgenossen.“

Freilich kann man von dem in so viel Nationalitäten zersplitterten Land nicht allzuviel erwarten. Wieviel Verräter mußten erst aus dem Heer entfernt werden, ehe man ausrücken konnte! Auch das Offizierkorps ist mit unserem nicht zu vergleichen. „Ja, wenn wir deutsche Offiziere hätten!“ hörte ich sagen. Man macht sich doch bei uns keine Vorstellung von den Schwierigkeiten der inneren Organisation bei diesem bunten Heere. Glänzend sollen die Ungarn sein. Auch wir hatten den Eindruck einer vortrefflichen Geschlossenheit der Stimmung in Ungarn. Mit einem ungarischen Offizier sprach ich über das Pech in Serbien. Er sagte folgendes:

Die Österreicher waren siegreich, hatten aber keinerlei Reserven, und als die Truppe todmüde waren, warfen ihnen die Serben 2 ganz frische Armeekorps entgegen, die bis dahin an der rumänischen Grenze untätig gelegen hatten, um einem eventuellen Angriff der Rumänen begegnen zu können; die waren nun bei Rumäniens neutraler Haltung frei geworden und hatten natürlich nun leichtes Spiel.“ Doch ist bereits ein neuer Angriff, scheinbar mit deutscher Hilfe, im Werke, von dem man sich viel verspricht. So viel scheint mir deutlich, daß das Erscheinen unserer Soldaten enthusiasmierend wirken wird.

Leider war weder in Wien, noch in Budapest Aufenthalt möglich. Erst in Bukarest sind wir über Nacht geblieben. Ein unerfreuliches Nest, präsentierte sich dazu noch im Schneematsch, so daß wir keine gute Erinnerung daran haben. Auch die Bevölkerung gefiel uns nicht. Ein Flegel, der in Deutschland den Dr. gemacht hat, suchte jede Gelegenheit, sich gegen uns zu stellen. Er war ein paar mal festgehalten worden, wohl wegen Spionageverdachtes, und ließ nun seine Wut an uns aus.„Ich habe es satt mit die Deutschen! Deutsche Kultur! Barbaren sind das. Etc.“ Das ein Mann, der bei uns studiert hat!

In Bukarest trafen wir einen dort ansässigen Landsmann. Den fragten wir nach der Stimmung im Lande. Er sagte, es wäre an sich gar nicht so schlimm, nur wäre das Volk durch die Presse aufgehetzt. Warum die Presse gegen uns wäre? Weil die deutsche Bestechung nicht funktioniert hätte. Der betreffende tüchtige Vertreter hat in den Zeitungen in echt bürokratischer Weise eine Quittung für die Bestechungssumme verlangt (!), was die natürlich verweigerten. Dagegen ist der Rubel reichlich geflossen. Volksstimmungen sind eben käuflich in diesen Ländern, und unsere Feinde kennen sich auf diesem Markt besser aus als wir.

Rustschuk (Bulgarien). Die ersten türkischen Laute. Arabagy! Ein Kutscher im Fes fährt uns nach einem deutschen Lokal, wo wir uns etwas restaurieren. Auf dem Rückweg zum Bahnhof sehen wir bulgarisches Militär mit schaurigem Gesang in die Kaserne marschieren. Vortreffliche Haltung, sehr viel erfreulicher als in Rumänien.

Dann weiter im Schlafwagen. Morgens beim Kaffee sieht man sich im Speisewagen um und entdeckt zu seinem Vergnügen, daß der ganze Zug voller Deutscher sitzt. Der Schaffner belehrt uns, das ginge nun seit Wochen so. Es müssen sich geradezu unverschämt viele sich durchgeschlängelt haben. Jeder Mensch in Bukarest oder irgendeinem Bahnhof, mit dem man sprach, sagte sofort:„Sie sind natürlich deutscher Offizier und fahren nach Konstantinopel.“

Auch die rumänischen Offiziere wußten genau Bescheid, doch drückten sie verständigerweise die Augen zu. Solange die zivile Form gewahrt wird, können sie ja auch nichts machen. Mit einigen der deutschen Herren haben wir Beziehungen angeknüpft. Ein interessanter Mann war dabei, Kapitän der Rickmerslinie, geboren und erzogen in Odessa, mit einem so fabelhaft internationalen Gesicht, daß kein Mensch ihn für einen Deutschen halten wird. Er war bei Ausbruch des Krieges in Wladiwostok und ist mit lauter falschen Pässen über China, Japan Amerika nach Hamburg und nun nach dem Orient gekommen, um dort irgendwie sich zu betätigen. Er hat russische und japanische Gefangenenlager gesehen. Die russischen sind nach ihm schlecht, dagegen die japanischen glänzend.


Ankunft in der Türkei


Als wir endlich die Grenzpfähle der Dewletti alijje überschritten, war es mit dem Schnee vorbei. Adrianopel bot sich uns im schönsten Sonnenschein dar: Türkische Offiziere, vortrefflich gekleidete Soldaten, schreiende Jungens, mit dem osmanischen Lloyd und ein buntes Völkergemisch, sowie eine kleine Entgleisung unseres Zuges auf den verwahrlosten Schienen versetzten uns in den Orient. Nach einer Stunde Verspätung , Nachts, kamen wir in dem ersehnten Cospoli an. Eine tolle Wagenfahrt brachte uns ins Hotel. Es war ein Wettrennen zwischen 2 Wagen, das bei dem schlechten Pflaster und der Abwesenheit jeglicher Bremse in den steilsten Straßen beinahe lebensgefährlich erschien. Gewiß wollten die wackeren Männer so ihren Eifer für die Sache bestätigen.

Das Hotel Pera hat mit unsern Hotels ersten Ranges wenig mehr als die hohen Preise gemein. Bummelige griechische Kellner etc. Doch das verschwindet alles, sobald man das Fenster auftut und das von der Morgensonne beleuchtete Goldene Horn und das unvergleichliche Stambul dem entzückten Auge zu genießen gibt. Es ist unbeschreiblich schön. Ich hatte gleich die größte Lust, sofort in die Herrlichkeit hineinzutauchen, aber die Pflicht ging vor.

Major, jetzt Oberstleutnant Schwabe, ist ein sehr freundlicher und angenehmer Vorgesetzter. Auch die anderen Herren gefallen mir, bis auf eine Ausnahme, recht gut. Natürlich, es sind deutsche Offiziere und besonders deutsche Leutnants. Aber ich bin recht froh über meine Reisegesellschaft.

Meine Sache regelt sich ziemlich schnell. Da man mich nicht so schnell zum Offizier machen konnte, ich aber andererseits nicht als Unteroffizier herumlaufen konnte, hat man mich allen militärischen Schmuckes beraubt, und ich fahre als Zivil-Dragoman in einem Anzug, der gewissermaßen eine Synthese aus Uniform und Zivil darstellt. Übrigens habe ich die Stellung und das Gehalt eines Leutnants. Das ist mir ganz sympathisch.

In diesen Tagen ist leider noch reichlich viel zu ordnen und zu besprechen, so daß meine

Gelüste, Stambul zu genießen, etwas gezähmt werden müssen. Immerhin haben wir auf einer Pinasse der Loreley uns den Bosporus angesehen und in dem Garten der Gesandtschaft gelustwandelt. Köstlich! Höchst merkwürdig wirkt es, wenn mitten in dem Gewühl von Orientalen plötzlich so ein paar Prachtmenschen von deutschen Matrosen herumlaufen, zu deren frischen Gesichtern der Türkenfes gar nicht recht passen will.

Gestern Mittag habe ich mich endlich frei gemacht, um einen Gang nach Stambul zu unternehmen. Nicht ohne einige Befangenheit betrat ich, die Schuhe abgezogen, die Jeni walide Gámi. Vier Gläubige verrichteten hinter irgendeinem Chodscha ihr Gebet. Ich fühlte mich äußerst beklommen. Der Abstand zwischen theoretischer Buchkenntnis und praktischer Übung erschien mir in seiner ganzen Größe.

Gibt es Orientalisten außer Snouck, die all’ das beherrschen, verstehen? Wie schön, wenn man Gelegenheit hat, wie er, an Ort und Stelle zu studieren. So lange man das nicht getan hat, wird einen der Muslim doch gewiß stets als Ignoranten behandeln. Kurz, ich ging etwas bedrückt weiter. Ein Angriff auf die Agra scheiterte vorläufig, da die Sonne unterging und der Diener mich nicht mehr hineinlassen wollte. So bin ich nach dem Azàn noch etwas herumgeschlendert. Ein paar neugierige Effendis redeten mich an und zwangen mich, mein Türkisch zu erproben. Ich fühlte mich doch noch etwas unbehaglich darin; wie froh war ich, als ich an einem Buchladen vorbeikam, dessen Inhaber natürlich Perser war. Sofort war ich im Bilde. Ein langer Schwatz entspann sich, so daß es stockdunkel war, als ich ging. Spät abends langte ich am Wasser an, setzte mich in einen gayq und ließ mich über das Goldene Horn hinüberfahren. So oft mein gayqschy die Ruder eintauchte, verwandelte sich das Wasser in glänzendes Metall. Eine Furche von flüssigem Silber bezeichnete den Weg, den das Boot gefahren hatte – das erste Meeresleuchten, das ich gesehen habe!

Herrn F.F. Schmidt habe ich aufgesucht und den Auftrag ausgerichtet.. Er will heute mit mir auf den Bazar gehen. Es ist alles spottbillig. Der Handel ist sehr geschädigt durch den Krieg.

Demnächst mehr.

Mit herzlichen Grüßen an alle Leser dieses Briefes Euer Hellmut Ritter.

Anmerkung: Lieber Herr Professor, bitte, schicken Sie diesen Brief an meine Eltern. Von dort soll er an Bruder Gerhard und von da ins Feld kommen. Dort ist man natürlich auch neugierig, was mit mir los ist.

 

226. Hellmut Ritter an seine Eltern Bosanti, 28.1.1915

(Maschinenkopie für C.H.B.)

Liebe Eltern!

Vorgestern sind wir hier angekommen. Leider habe ich Konstantinopel nicht mehr recht genießen können, weil noch so viel zu packen und vorzubereiten war, daß mir wenig Zeit blieb. Nur die Agia Sophia und das Armeemuseum im Serailgarten habe ich mir ansehen können. Ich schrieb schon, welche großartige Wirkung die Sophienkirche auf mich ausgeübt hat. Auch die Offiziere waren sich darin einig, daß sie selten einen so starken Eindruck erhalten hätten, wie bei der Betrachtung dieses einzigen Baues.

Dann kam eine etwas öde Fahrt auf der Anatolischen Bahn. Rechts und links dehnt sich ungeheures, leeres Gelände aus, das in seiner Menschenleere etwas Unheimliches hat. Anfangs erquickte noch der Ausblick auf den Golf von Ismid, dann aber kam eine lange eintönige Fahrt, bis endlich sich eine unbeschreiblich schöne Alpenlandschaft vor uns auftat: der Taurus. Hier weiß ja auch Christiane Bescheid. Sonnenbeschienene, schneebedeckte Bergzipfel, bewachsen mit grünem Nadelholz. Hier auf der Station ein buntes, malerisches Gewimmel von Karawanen, Kamelen, Ochsen, Soldaten, Zelten und Kutschern: denn hier ist die große Umladestelle. Die Bahn geht zwar noch eine Station weiter, doch beginnt hier die alte Paßstraße, und man tut am besten, schon von hier die Ochsenwagen oder Pferdewagen zum Transport nach Hulek oder Tarsus zu benutzen. Leider haben wir so maßlos viel Gepäck, daß wir in mehreren Transporten gehen müssen. Die Herren sind schon heute Morgen losgefahren, 2 Offiziere und ich haben die große Bagage nachzuschaffen. Natürlich geht das nicht ohne Schwierigkeiten mit dem Bahnhofskommandanten, einem türkischen Oberstleutnant, was nicht gerade an diesem zu liegen braucht… ich dolmetsche, so gut ich kann.

Ich habe eigentlich bis jetzt gute Eindrücke von der Organisation, es klappt alles in überraschender Weise. Landeskenner konstatieren tatsächliche Fortschritte.

Gestern haben wir in einem recht primitiven Kaffeehaus Kaisers Geburtstag gefeiert mit eigens dazu mitgeführtem Sekt. Abwechselnd wurden die beiden Kaiser und der Sultan hochleben gelassen, auch die merkwürdige Tatsache gewürdigt, daß in diesem Jahre Muhammeds und Kaiser Wilhelms Geburtstag zusammenfällt.

Unser Oberstleutnant ist zu meiner Freude sehr geschickt in der Behandlung der Leute, schlimmer wird’s, wenn die jüngeren Leute das Kommando haben und zu kommandieren anfangen. Na, es wird alles gehen.

Wir sammeln uns in Tarsus, um dann nach Adana zu kommen. Dabei werde ich Christianes Andenken pflegen.

Genaue Nachrichten über die Erfolge der türkischen Armee gibt’s hier auch nicht. Im Kaukasus soll es wirklich recht mäßig stehen. Gemáls Operationen sollen „sich einstweilen in dem Rahmen größerer Demonstrationen halten“.

Man wird ja sehen.

Mit vielen Grüßen Euer Hellmut.

Anmerkung: Ich war sehr froh, noch in K(onstantinopel) Vaters und Herrn Prof. Beckers zu erhalten. Bitte laßt auch diesen Brief die Runde machen.

 

227. C. H. B. an Metropolitan2 Ritter, Niederzwehren bei Kassel. (Bonn), 4.2.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Metropolitan!

Gestern empfing ich zwei Briefe von Ihrem Sohn Hellmut, von denen ich den einen wunschgemäß weitergebe. Ich habe mit Ihrem Sohn ausgemacht, daß ich seine Briefe immer abschreiben lasse, damit ich seine Nachrichten behalten kann und dafür das Original sende. Um Ihren Sohn im Felde nicht allzulange warten zu lassen, schicke ich einen Durchschlag meiner Abschrift direkt an ihn. Sie können also den für sie auch wertvollen Brief Ihres Sohnes in Deutschland behalten.

Bei unserem letzten Zusammentreffen in Berlin, von dem Ihnen Ihr Sohn Gerhard wohl berichtet haben wird, haben wir auch verabredet, daß ich unserem Reisenden für eventuelle Privatausgaben einen Kreditbrief zur Verfügung stellen solle. Ich habe das getan und werde Ihnen jedesmal Mitteilung zukommen lassen, wenn ein Betrag fällig wird. Da Hellmut aber Offiziersgehalt bekommt, wird es wohl nicht so oft vorkommen, wie er anfangs als Unteroffizier befürchtete.

Auf den Adressen ist er hinfort nicht mehr als Unteroffizier, sondern als Dragoman zu bezeichnen.

Mit verehrungsvoller Empfehlung Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)

 

228. C. H. B. an Metropolitan Ritter (Bonn), 8.2.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Metropolitan!

Verbindlichen Dank für Ihren freundlichen Brief vom 5., der sich offenbar mit dem meinigen vom 4. gekreuzt hat. Ich hoffe, Sie haben sicher über den schönen Brief Ihres Hellmut ebenso viel Freude gehabt wie ich.

Da Sie sich so offen über Ihren Sohn aussprechen, möchte ich Ihnen gern versichern, daß ich vollkommen im Bilde bin. Von der ersten Woche unserer Hamburger Zusammenarbeit habe ich nicht nur von der wissenschaftlichen, sondern auch vor allem von der menschlichen Seite her auf ihn zu wirken versucht, und er hat mir auch öfters sein volles Verständnis in diesem Punkte ausgesprochen. Er weiß genau, wo die Hemmungen seiner Natur liegen; aber sie sind oft stärker als der beste Wille. Auch mir war es eine große Überraschung zu sehen, wie völlig anders Ihr Sohn Gerhard geartet ist und wieviel leichter diesem natürlich liebenswürdigen Menschen die Welt fallen muß. Bei Hellmut kann man wohl sagen: il a les vices de ses vertues, d.h. seine ungemein gründliche und arbeitskräftige Natur nimmt es eben überhaupt schwer, auch mit den Äußerlichkeiten des Lebens. Ich habe manch merkwürdiges Erlebnis mit ihm in dieser Hinsicht gehabt; aber da ich viel Verständnis für so schwierige Naturen habe, sind wir immer glücklich über solche Momente hinweggekommen, und ich habe jetzt das Gefühl, daß sich Hellmut auch in menschlichen Dingen auf mich verläßt. Vor seiner Abreise gab ich ihm noch den Wink, recht auf seinen Zivilanzug bedacht zu sein, da unsere Offiziere im täglichen Umgang Gewicht darauf legen. Er hat das auch willig anerkannt. Er hat noch ungemein viel zu lernen, und Sie haben ja so Recht, daß seine jetzige Stellung ihm dabei große Dienste leisten wird. Er ist so gescheit, daß er sich die leichteren äußeren Lebensformen gewiß aneignen wird. Seine innerliche Schwere wird er aber wohl kaum überwinden, da an dieser wohl weniger manche traurige Jugendeindrücke, von denen er gelegentlich gesprochen hat, als vielmehr eine natürliche Veranlagung Schuld ist. Bei seiner Tüchtigkeit aber kann man beruhigt sein, daß seine wachsende Leistung ihm auch bei allen Selbstansprüchen eine innere Lebensharmonie verschaffen wird.

Besondere Freude machte es mir, auch Ihren Sohn Gerhard kennen zu lernen, den Sie bitte gelegentlich freundlich von mir grüßen wollen.

Hoffentlich bekommen Sie von Ihren in Ost und West kämpfenden Söhnen dauernd gute Nachrichten.

Mit bester Empfehlung Ihr Sie aufrichtig verehrender (CHB).

 

229. Tagebuch Hellmut Ritters. Osmanijje, 2.2.1915

(Maschinenkopie)

Ich habe die Reisekasse. Eine schreckliche Aufgabe. Erst mal die verschiedenen Kurse! In Stambul kriegt man für einen Pfundschein 108 Piaster, in Adana 102 ½ , in Aleppo etwa 124!

Der Megidi gilt in Stambul 20, in Adana 19, hier 18, in Aleppo 23. Nach welchem Kurs soll ich nun die Piaster addieren. Aber nicht genug. Wechsele ich z. B. hier das Pfund in Megidis, so bekomme ich 107 ½ Piaster, wechsele ich in Scheidemünze, so gibt’s nur 102. Die Buchführung soll in Goldpiastern, von denen 100 auf ein Pfund gehen, geführt werden, aber bei der Umrechnung der gewöhnlichen Piaster in Goldpiaster gibt’s immer Unstimmigkeiten. Eine hoffnungslose Rechnerei, von der man sich bei uns auch keine entfernte Vorstellung macht. In Aleppo hat die Münze höhere Kaufkraft als ihr offizieller Wert. Verlangt jemand 5 Piaster, so gibt man 4 Piasterstücke, und die Rechnung stimmt!! Der Brauch wechselt mit jedem Kilometer.

Kurz vor dem Aufbruch von dem Gor Ali Chan brachte man mir einen in sehr elegantem Türkisch geschriebenen Brief eines türkischen Oberleutnants in Bosanti, der mich dort zu einem türkischen Abendessen eingeladen hatte, namens Saladdin. Ich habe einfach gestaunt über die Mannigfaltigkeit und den angenehmen Geschmack der türkischen Küche. Dort weiß man aus Eiern, Milch und orientalischem Gemüse die köstlichsten Gerichte herzustellen. Man ißt von einer Schüssel an der Hand eines auf die Gabel gespießten Stück Brotes. Früchte jeder Art sind sinnlos billig. Fleisch und Getreide stehen dank mangelnder Ausfuhr, ebenso wie Teppiche, sehr niedrig im Preis. Hier in Osmanjje kostet das Oka (4/5 kg) Fleisch 4 Piaster. Sehr schwierig ist es, sich durch die Unsumme von Namen türkischer Gerichte hindurchzufinden.

Unsere Kutscher, die mit dem durch die Ochsenwagen gebotenen langsamen Reisetempo keineswegs zufrieden waren, drängten zum Aufbruch, und so ging’s weiter. Im Jeni Chan wurde bulgur gegessen, dann kam mit der schönste Teil der Fahrt. Gegen Abend konnten wir die Ebene bei Tarsus ganz übersehen, begrenzt von dem Meere im Hintergrunde, ein ganz herrlicher Anblick.- Die Dörfer, die an der Straße liegen, müssen den Weg bessern. Wir sahen mehrfach an einer Stelle die ganze männliche Bevölkerung eines Dorfes, vom kalija (Schulzen) kommandiert, Steine klopfen und herbeischaffen. Eine sehr billige Arbeitskraft, sie kostet der Regierung nichts als einen Befehl. Am Wege mehrfach mit Lappen behängte Büsche – sytma zijáreti – dort holt man sich Heilung vom Fieber. Auch zwei chinesische Mekkapilger begegneten uns; sie kommen jetzt scharenweise aus dem Higas nach Stambul, wohl weil ihnen der Seeweg nach Hause abgeschnitten ist oder aus panislamischer Begeisterung? Ich muß noch Näheres feststellen.

Abends Ankunft in der Stadt Pauli, Tarsus. Kleines, niedliches Städtchen, im Sommer recht heiß, in dieser Jahreszeit angenehm warm. Das Hotel ersten Ranges ist jetzt „Stambul“, allwo wir nächtigen. Abends lud uns sofort ein dort ansässiger deutscher Baumwollfabrikant namens Farnow ein, der aus Begeisterung allen deutsche durchreisenden deutschen Offizieren FC3 gewährt. Ich saß bei Tisch neben einem Arzt vom „Roten Halbmond“, namens (arab. Schrift), der einige Artikel im Turk Jurdu verbrochen zu haben behauptet. Er zeigte mir ein von ihm verfaßtes Werbeflugblatt für den „Roten Halbmond“, ganz im Stil der Turk-Jurdu-Leute, appellierend an das Nationalgefühl, Parole: ben türk im etc. Im Verlauf der Unterhaltung erschien ihm das Türkische trotzdem nicht ganz der Würde des Gegenstandes zu entsprechen, er ging zum ägyptisch-arabischen über. Bald gab er sich nochmals einen Ruck, fuhr mit dem Flugzeug seines Geistes steil empor, und alsbald strahlte der Glanz des klassischen Arabisch, mit allem Schmuck des irab (?) versehen, auf mich herab. Jeder anständige Mensch scheint hier arabisch zu können, mit den Buchhändlern rede ich überhaupt nur nahwý, soweit das in meinen schwachen Kräften steht.

Nachdem das unendliche Gepäck von den 15 Ochsenwagen abgeladen war und die arabagys sich endlich mit ihrem Bachschisch verdrückt hatten, ging’s weiter mit der Bahn über Adana (leider keine Zeit zum Aussteigen) nach Osmanjje. Die Bahn über Alexandrette ist unbrauchbar, weil sie von englischen Schiffen dauernd unter Feuer gehalten wird. Von hier aus über den Amanus wird’s mit Lastpferden weitergehen bis wir in Radja die Bahn wieder erreichen. Die Etappe funktioniert glänzend. Wenn man bedenkt, daß man zum Transport eines einzigen Waggons voll Gepäck an die 70 Tragtiere nötig sind, staunt man, wie relativ schnell die Massen von Kriegsgerät weiter transportiert werden. Unterwegs trafen wir übrigens ganze Karawanen von Kamelen, die Massen von Rohkupfer, in Anatolien gewonnen, an die Bahn brachten. Es wird wohl zumeist nach Essen wandern.

Hoffentlich geht’s morgen weiter, denn hier in Osmanjje ist relativ wenig los. Momentan sitze ich im Konferenzzimmer der hiesigen Zweigstelle des Bundes für nationale Verteidigung (arab.Umschrift) und versuche, meine Rechnerei in Ordnung zu bringen. Dieser Bund soll allerlei Tüchtiges geleistet haben, viele Soldaten haben durch ihn Liebesgaben empfangen. In Stambul bestehen noch mehrere derartige nationale Vereinigungen von größerer oder geringerer Bedeutung.

Hasan Begli, Amanuspaß, 4.2.1915

Diesmal ging’s mit Tragtieren weiter, 92 Pferde, 20-30 Kamele; denn der Weg ist nicht fahrbar. Man sagt, in Belgien seien schlechte Wege gewesen. Irrtum. Dort gibt’s sozusagen nur Asphaltstraßen. Man stelle sich einen mit dem Dampfpflug aufgerissenen Acker vor, die Furchen mit Wasser und Steinen gefüllt. Das ist der Amanuspaß in dieser Jahreszeit. Die Gegend ist sehr schön, leider regnete es ganz ungeheuerlich, so daß wir in ziemlich traurigem Zustande ankamen, dazu bei Dunkelheit. Es war eine tüchtige Leistung. 37 km barfuß durch den Morast, ohne Aufenthalt, ohne Nahrung – das macht kein deutscher Infanterist unsern Pferdetreibern nach. Die armen Tiere können einem auch leid tun. Halb so groß wie unsere Pferde, müssen sie 2 Eisenkisten und den Reiter tragen bei einer Tagesration von 2 kg Gerste. Abgesattelt werden sie scheint’s überhaupt nicht. Mit großen Schwierigkeiten wurden die sehr erschöpften Leute untergebracht. Der Etappenkommandeur, ein türkischer Hauptmann, funktionierte nicht besonders und ließ sich sehr nötigen. Das trotzdem alles funktionierte, ist fabelhaft bei diesen Verhältnissen. Das Dorf Hasan Begli liegt sehr schön, oben eine verfallene Burg.

Im Kaffeehaus wäre mir ein nicht sehr appetitlicher Türke fast um den Hals gefallen aus lauter Begeisterung über Deutschland. Auch ein frisch aus Mekka kommender Hodscha äußerte sich sehr begeistert über die Laterne, die der Kaiser für das Grab Saladdins arbeiten läßt. Diese kleine Aufmerksamkeit hat ganz ungeheuer gewirkt. Überhaupt der Kaiser! Seine Person ist die beste Vertretung im Orient (vielleicht auch im sonstigen Auslande?). Er ist ungemein populär.

Jsláhijje, 5.2.1915

Wir wohnen hier im Hause eines reichen Haggis, der aus Begeisterung sein Haus allen durchziehenden deutschen Offizieren zur Verfügung stellt. Kleine Kämpfe, unsere Leute wollen sich nicht daran gewöhnen, in den Zimmern die Stiefel auszuziehen.

Der Ritt von Hasan Begli hierher war besser als der vorige, aber doch übel genug. Unterwegs mehrere Burgen und kleine Dörfer, recht malerisch. Heute endlich Sonnenschein!

Heri Deri, 8.2.1915

Der Gesamtweg von Osmanijje bis Ragú ist folgender: 1. Tag Osmanijje – Hasan Begli 37 km, dazwischen, 15 km von Osmanijje Kanli kisid, dort kann man zur Not die Nacht bleiben, wenn man Hasan Begli nicht erreichen kann. Unterwegs zwischen diesem und Hasan Begli ein kleines Dorf rechts unten am Abhang, namens Bari, auch Ayzyl Dere genannt. Unterkunft schlecht. In Hasan Begli Unterkunft. Jetzt Etappenstation unter einem Hauptmann. Von dort gehen zwei Wege nach Islahidje: Ein kurzer schmaler, rechts ab, gleich den Ruinenberg hinauf, führt in 4-5 Stunden, unter Umständen auch schneller, nach Islahidje. Der lange, für größere Karawanen geeignet, führt über Jutilli, 4 Stunden von Hasan Begli. Dort wohnt Herr Köppel, deutscher Ingenieur (Sitz der Kompagnie Holzmann, gute Unterkunft), von dort noch 3 Stunden nach Jslahijje. Jslahijje ist Hauptort eines Qazá. Von da über Meidan (kleines Dörfchen) nach Qazababa. Auch da ist nichts los. Wir wohnten bei einem deutschen Ingenieur namens Neidauer, der an der Bagdadbahn baut. Die Etappenstation liegt etwas weiter zurück, 6 Stunden hinter Jslahijje, etwas rechts abseits vom Wege, erbärmlich, ein paar Häuser. Von Qarababa nach Ragú 3 Stunden. Wir blieben bei den deutschen Ingenieuren. Auf der Station Heri Deri, etwa auf halbem Wege, hoch auf dem Berge bei der großen Eisenbahnbrücke gelegen, mit wundervoller Aussicht. Von Ragú bis hierher liegen schon die Schienen. Der Damm ist bis hinter Jslahijje zurück fertig. In Ragú keine Unterkunft, oben am Berg Militärstation. Mit Pferden im ganzen drei Tage, mit Kamelen fünf. Es gibt auch einen direkteren Weg Osmanijje – Ragú, zu dem zwei Tage nötig sind. Den ist der Oberstleutnant gezogen.

In Jslahijje hatten wir Gelegenheit, die Stimmung der Bevölkerung kennen zu lernen. Gerade als wir im Hause unseres Gastwirtes ein entzückendes Frühstück à la Turka einnahmen, kam plötzlich atemlos ein Gendarm angelaufen mit einem Telegramm, das die Überschreitung des Suezkanals und die Versenkung dreier englischer Kreuzer durch die Türken meldete. Wir waren etwas ungläubig, doch war es ein offizielles Telegramm. Alsbald begann ein wahnsinniges Freudegeschrei im Dorf. Gewehre wurden abgeschossen, die ganze Einwohnerschaft veranstaltete einen gewaltigen Umzug mit Pauken und Klarinetten und langte schließlich vor unserem Quartier an. Die Honoratioren samt dem Chodscha des Ortes baute sich auf dem Balkon an der Türe auf und wollten uns gratulieren. Als wir herunterkamen, hielt der betreffende Kommandant eine zündende türkische Ansprache, und ein Greis begann danach zu schreien: jassy alemán, jasasyn pádisáh etc. Alles stimmte begeistert ein und vollführte ein gewaltiges Händegeklatsch. Major Rabius antwortete auf deutsch und ließ den Sultan und die türkische Armee hochleben. Dann ging der Umzug weiter. Als wir nachher wegritten, stand das ganze Dorf aufgebaut und begrüßte uns mit tollem Händeklatschen und jásyn alemán. Der Greis, der vorher das Hoch ausgebracht hatte, versicherte uns, seine Frau hörte nicht auf, täglich für die Deutschen zu beten.

Ich war erstaunt und erfreut über die allgemeine Begeisterung. Es wäre wundervoll, wenn auch im Süden die Sache so einschlüge. Könnte es nicht ein zweiter Mahdifeldzug werden? Ein populares Heer kann ja im Orient schnell lawinenartig anwachsen.

Etwa 5/4 Stunden hinter Jslahijje stießen wir auf ein altes Gräberfeld, das ich photographiert habe, dicht am Bahndamm. Inschriften waren nicht da. Dort finden sich auf manchen Steinen eigentümliche Zeichen, z. B. U, (wie eine „Fliege“, wie Citronen-Symbol) und andere.

Die Eingeborenen nennen den Platz UzunZabir und sagen, er stamme aus der Heidenzeit (küffár güni ?) In der Nähe, weiter links, auch Trümmer einer alten Stadt, von den Eingeborenen, wenn ich recht gehört habe, Gorcinlik genannt. Bei Intilli fängt man jetzt auch mit Erfolg an auszugraben.

Bei Meidan, rechts vom Wege, findet sich ein ähnlicher Friedhof.

Hier in Heri Deri trafen wir nur einen alten Werkmeister, namens Walzer. Die Ingenieure sollen in diesen Tagen kommen, um den Brückenbau wieder mit beschleunigtem Tempo aufzunehmen. Der Werkmeister hat rechte Not mit den kurdischen Soldaten und Wächtern. Sie haben ihn bestohlen, auch ist er einmal überfallen worden. Von hier aus führt ein Bergpfad nach Ragú. Auf halbem Wege saß eine kurdische Gesellschaft, Weiber und Kinder, die große Wäsche abhielt, gewiß ein sehr nützliches Unternehmen. Meinen kleinen Wegführer habe ich getypt4 und gedenke dasselbe mit einem kurdischen Manne zu tun, der sich zu diesem Zweck in seinen besten Staat geworfen hat.

Gjok Ali Chan, (Mitte Februar?) 1915

Heute morgen Aufbruch mit ca. 10 Büffelwagen und zwei Personenkutschen nach dem

Tauruspaß. Unbeschreiblich schöne Fahrt. Ein Schwelgen Natur und Volk zugleich. Neben mir sitzt mein Dragoman und versucht mir einiges Türkisch beizubringen.

Links am Wagen taucht ein Kastell auf, wie mich der Kutscher belehrt, von Isma’il Pascha gebaut. Gegenüber rechts ein anderes, älteres. Dann die Kilikischen Tore, dahinter in einem hübsch gelegenen Chan machen wir, d.i. mein Dolmetscher, der Bursche und ich, Rast und warten auf die Ochsenwagen, die sehr viel langsamer vorwärts kommen als die Pferdewagen. Große Schwierigkeiten bereitet den Tieren ein steiles Stück Straße. Nur stückweise, sprungweise gelingt es vorwärts zu kommen, zwischendurch läßt man die Tiere immer wieder sich verschnaufen. Die arabagys sind recht freundlich zu ihren Böcken. Ich sehe noch, wie der eine seinen Büffel streichelt und ihn zärtlich tröstet: coq qalmadi – es ist nicht mehr viel.

Momentan ist nichts zu machen, als in meinem Salon in Chan, bestehend aus vier Lehmwänden, Lehmboden und 2 Holzpritschen, durch ein Kaminfeuer angenehm erwärmt, zu sitzen und die vortrefflichen türkischen Zigaretten zu rauchen, bzw. wie mein Dragoman Hussein zu „rollen“. Schade, daß meine in Stambul für ein billiges erworbenen Teppiche noch nicht da sind, sonst würde ich das Lokal alsbald in einen Palast verwandeln.

Eben kommt der erste Büffelwagen. Die Kutscher sind arabische Fellachen aus der Umgegend von Tarsus; sie sagten, dort seien mehr Araber als Türken ansässig.

Eben kommen die beiden Offiziere, die die große Bagage geführt haben. Es ist nach ihnen eine entsetzliche Geschichte gewesen. Fast sämtliche Ochsen haben sich die Kniee aufgeschlagen. Mit einem Rad sind die Karren z. T. schon über den Rad des Weges – in den ziemlich erheblichen Abgrund – herübergerutscht. Die unten liegenden zerbrochenen Wagen und Tierleichen trugen nicht dazu bei, die Stimmung zu verbessern. Erst einer Kompagnie Soldaten, die z. T. von den Offizieren mit starken Knütteln ermuntert wurden, hat das Werk vollbracht. Die Schuld liegt natürlich an dem Offizier der Etappe in Bosanti, der, um zu sparen, die Karren unsinnig überladen hat. Die armen Bauern, die ihr Viehzeug natürlich genau kennen, protestierten vergeblich und bezogen so furchtbare Anschnauzer, daß sie fein still schwiegen. Die Sachkenntnis hat auch in diesem Lande das entscheidende Wort nicht zu sprechen.

Unterwegs reichte uns ein Haggi Brot, in Blätter einer alten Handschrift eingeschlagen. Es handelt sich offenbar um die türkische (vielleicht osttürkische? Das Türkische ist sehr schwer zu verstehen) Übersetzung des Qamus, doch habe ich (das) nicht näher nachprüfen können.

Anhang:

Auswärtiges Amt Berlin.7.5.1915

Nr. 60120

Falls der anliegende Brief militärische oder politische Nachrichten enthalten sollte, ist es im vaterländischen Interesse erforderlich, daß der Inhalt geheim gehalten wird.

 

230. C. H. B. an Hellmut Ritter (Bonn), 8.2.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Heute kann ich Ihnen die gewünschten Adressen (vgl. Anmerkung) schicken. Ich schreibe sie auf die andere Seite des Bogens mit meinen persönlichen Bemerkungen über die genannten Herren.

Inzwischen hat sich hier wenig Neues ereignet. Von Ihrem Vater hatte ich einen äußerst liebenswürdigen Brief, und Ihr Bruder Gerhard sandte mir Ihre Photographie, auf der Sie sogar wirklich ein freundliches Gesicht machen und die mir sehr gut gefällt, sowie einen sehr hübschen Aufsatz aus der Historischen Zeitschrift aus seiner Feder.

Ich bin mit Vorträgen für die deutsch-türkische Vereinigung und mit meiner großen Arbeit:

Warum ist die Türkei im Kriege? sowie mit den Gegenschriften gegen Snouck so beschäftigt, daß ich heute zu keinem ausführlichen Brief kommen kann.

Es ist Ihnen doch recht, daß ich die für den größeren Kreis bestimmten Blätter Ihres Tagebuches in Abschrift auch an Tschudi und Littmann bekannt gebe? Es nehmen ja so viele Leute Anteil an Ihrem Ergehen.

Bald mehr! In freundschaftlicher Gesinnung Ihr getreuer (CHB).

Anmerkung

  • Hauptmann Professor Dr. Giese.

2. Bataillon, Landwehr-Infanterieregiment 20. Professor Giese ist der offizielle Lehrer des Türkischen am Orientalischen Seminar in Berlin und mit den Verhältnissen in der Türkei wohl vertraut. Er mag etwa 40 Jahre alt sein.

  • Rittmeister Professor Dr. Sarre.

XVII. Armeekorps, Munitionskolonnenabteilung des Fußartillerie-Regiments 11/1. Kolonne. Professor Sarre ist ehrenamtlicher Leiter der orientalischen Abteilung des Kaiser-Friedrich-Museums und bekannt durch seine vielen und großen Reisen im Orient, in Klein-Asien, Euphrat- und Tigris-Land und in Persien. Er ist also ein vorzüglicher Landeskenner und an Reisen im Orient gewöhnt, doch beherrscht er keine orientalische Sprache vollkommen. Er steht im Lebensalter zwischen 45 und 60 Jahren.

  • Leutnant Privatdozent Dr. Schaade

Kaiserlich deutsche Südarmee, 1. Division, Fußartillerie-Regiment 11, 5. und 6. Batterie. LMK. Dr. Schaade ist ausgebildeter Orientalist und Privatdozent für semitische Philologie in Breslau. Ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn wurde er als Direktor der KhedivialBibliothek nach Kairo berufen, kennt also den Orient aus eigener Anschauung und ist jedenfalls mit dem Arabischen, speziell mit dem Ägyptischen vertraut. Er muß Anfang der 30 stehen. Bei Kriegsbeginn verließ er sofort Ägypten und steht zur Zeit in Ungarn.

 

231. Tagebuchbericht (3) von Hellmut Ritter Damaskus, 13.2.1915

(Maschinenkopie)

In Aleppo sind wir endlich wieder zum Gros der Expedition gestoßen. Eine sehr schöne Stadt, die mir großen Eindruck gemacht hat.

Lernten Oberstleutnant Boettrich kennen, der frische Nachrichten aus dem Süden brachte. Leider war ich nicht dabei, als er erzählte. Es soll recht betrüblich stehen, soviel habe ich aus allem herausgehört. Er meint, der erste Fehler wäre die Wahl des Augenblickes, in der die Türkei losschlagen mußte. Entweder hätte sie gleich mitmachen müssen, um größere russische Streitkräfte uns sogleich vom Hals abzuhalten, oder noch lange nicht, denn es sei noch wenig fertig gewesen.

Die geringen Erfolge im Kaukasus lägen an dem gänzlichen Mangel jeglicher Nachfuhr, die Flotte gibt sich nur ungern her, Transportschiffe zu begleiten, was nach B(oettrich) das wichtigste Werk im Augenblicke ist. Der Plan der Flotte, ein russisches Schiff nach dem andern zu versenken, sei (und ist tatsächlich) bis dato mißglückt.

Auch Authentisches aus dem Großen Generalstab, bei dem mehrere unserer Herren gearbeitet haben, hörte ich. Demnach i tilaf zwischen Jagon und Falkenhayn. Der eine will mit Frankreich Sonderfrieden und alle Kraft auf England und Rußland wenden, der andere einen solchen mit Rußland, mit dem man doch nicht fertig werden könne, und vor allem Frankreich und England klein machen. (arabische Bemerkung)

In Aleppo Festung besichtigt. Schöner Bazar. Gewohnt im Deutschen Kasino. Hotel Baron, wo die anderen Herren wohnten, sehr mäßig, wie alles Levantekram. Heute morgen Ba’albeck genossen. Kenner behaupten, es sei viel erheblicher als die Akropolis. Glaub’s. Die Dimensionen sind erstaunlich, muß sehr schön gewesen sein. Fahrt von Haleb nach

Damaskus 16 Stunden.

Sonntag, 14.2.1915

Heute ausführlich Damaskus betrachtet. Wir werden hier wieder aufgehalten durch allerhand Torheiten der Eisenbahnverwaltung. Jetzt haben sie unsere Gepäckwagen weggeschickt, kein Mensch weiß wohin. Für mich sehr angenehm, so gewinne ich Zeit, mir die Stadt anzusehen. Wirkt nicht so schön wie Aleppo, man hat nirgends so schöne Überblicke wie dort. Die berühmten Hammams sind ja recht schön, mit Marmor ausgelegt, aber modernes europäisches Gepinsel und Verschlumpung des erhaltenen Schönen, schwächen den Eindruck stark. (Habe übrigens festgestellt daß – arabischer Text – der „Auskleideraum“ heißt. Er soll nach den (arabisches Wort) sein. Der Raum, wo die Kohlen, bzw. der Heizmist liegt, heißt ammím, türkisch kulxane.) Die Omjjadenmoschee hat mich etwas enttäuscht. Ich wußte nicht, daß so wenig Altes erhalten ist. Sehr hübsch die beiden Chans: As’ad Pasa und Suleiman Pasa. Morgen will ich das Haus des As’ad Pascha besuchen.

Nachrichten über die Lage und politische Konstellation nicht erhalten. Die unglaublichen Siege der Türken sind gewiß erlogen.

Schade, daß man bei unserer Art des Reisens nur die Oberfläche des Orients kennen lernt: ich muß mich vorläufig im Wesentlichen darauf beschränken, mich sprachlich zu vervollkommnen. Später vielleicht einmal Gelegenheit, in die Tiefe zu gehen.

Heute beim Konsul nach Prüfer erkundigt. Er ist im Großen Hauptquartier.

Heute bin ich mit Ressád Bey, einem uns attachierten türkischen Rittmeister, in Damaskus umhergezogen.. Als wir gerade auf dem Minarett der Omajjadenmoschee standen, begann ein ganzer Chor von Muezzins in furchtbarer Höhe den Adán zu schreien. So habe ich auch dies aus nächster Nähe genossen. Über die (arabischer Text) geht R.’s Dissertation.

Damaskus, 19.2.1915

Dieser Tage kam Back Pasa durchgereist. Er brachte allerhand gute Nachricht aus dem Süden. Der (Suez-)Kanal sei mit 100 000 Mann Engländern besetzt. Es wäre tatsächlich eine Pontonbrücke über ihn von den Türken geschlagen und ein englisches Schiff sei kaputt geschossen. Dasselbe erzählte ein von der Front kommender Zeitungsreporter. Größere Aktionen seien aber erst im November dieses Jahres möglich.

Gestern im arabischen Theater (arabischer Name) mit nachfolgender hübscher Vulgärposse. Leider mein Ohr noch nicht an gesprochenes Hocharabisch gewöhnt, nicht viel verstanden.

Heute Besichtigung des herrlichen Hauses von As’ad Pasa’s. Natürlich kriegt man nur wenig zu sehen. Aber es genügt, einen Eindruck von orientalischer Pracht zu geben.

Jerusalem, 24.2.1915

Von Damaskus ohne Schwierigkeiten nach Sileh mit der Bahn. Dortselbst stiegen die Herren in Wagen und fuhren nach Nabulus. Ich und Heufeld blieben beim Gepäck mit Burschen, Arabern etc. Die Menschen (Burschen etc.)sollten mit weiteren Wagen abgeholt werden, das Gepäck mit mir und 2 Leuten mit der Bahn bis Sebastije gehen. Bis dorthin ist die Bahnstrecke fertig, doch ist der Bau zwischen Sileh und Sebastije noch nicht ganz kapitelfest, es sind Entgleisungen vorgekommen, so daß man Menschen eigentlich nicht damit befördert. Leider blieben aber auch die Wagen aus, und ich nahm die ganze Gesellschaft doch mit in die Güterwagen. Dort waren Transportmittel bestellt, ich fand aber keine vor, beschloß infolgedessen, die Diener und Burschen zu Fuß nach Nabulus zu schicken und selbst da zu bleiben, abwartend, ob Major Rabius aus Nabulus Wagen schicken würde. Daselbst mein erstes selbstgefertigtes türkisches Telegramm: (zwei Zeilen arabischer Text).

Unterkunft war nicht, also Zelt aufgeschlagen und drin geschlafen. Abends schickte man aus Nabulus noch Esel, um die Burschen zu holen. Der führende Sergeant trieb sogar noch ein paar Kamele auf, so daß ich den Herren wenigstens das nötigste Handgepäck nachschicken konnte.

Morgens früh bot mir der Kommandant, der am Abend noch erklärt hatte, kein zum Transport geeignetes Tier da zu haben, so viele Kamele an, wie ich haben wollte. Leider waren es junge, das Tragen noch nicht gewöhnte Tiere, die dazu noch der Regierung gehörten, d.h. so schlecht gefüttert waren, daß sie bald am Verenden waren. Ein paar Biester waren wie besessen beim Verladen. Endlich ging auch dieses vorüber. In Nabulus wollten sie eigentlich zurückkehren, wie ihnen in S(ebastije) befohlen war, doch hielten wir sie fest, weil es mit der Aussicht auf Transportmittel in Nabulus schlecht bestellt war. Dort Nacht im deutschen Hotel verbracht. Am Morgen geschah etwas Unerwartetes. Rittmeister Ressád fand in dem Adjudanten des Etappenkommandanten einen alten Bekannten wieder. Dies und der Umstand, daß eben dieser alte Bekannte wohl gern befördert werden wollte, verhalf uns zu ungezählten Wagen, die plötzlich von irgendwoher kamen, um uns und das Gepäck zu befördern. Leider waren gerade die Kutschpferde so schamlos unterernährt, daß sie zum Teil unterwegs einfach streikten. Ich mußte einen meiner drei Schinder abspannen und von dem trefflichen Soldaten Selim am Halfterband nachführen lassen. Ähnliches geschah mit anderen Tieren anderer Wagen.

Obwohl wir immer privatim Futter dazu kaufen, gibt es immer wieder derartige Schwierigkeiten. Auch ein Wagen zerbrach unterwegs, neue mußten requiriert werden, so daß wir genügend Abwechslung unterwegs hatten.

Im Chan Labban blieb ich wieder die Nacht mit Heufeld, während die Offiziere nach Jerusalem weiterfuhren. Im Chan ein typischer verlodderter Etappenmajor, der dem Trunke sehr stark ergeben war und meine ziemlich große Whiskyflasche, die auf mehrfache Anspielungen seinerseits angeboten wurde, schier und ohne Wasser bis auf einen geringen Rest in ziemlich kurzer Zeit unterbrachte. Dafür war er bestrickend liebenswürdig, stellte mir ein Zelt, eine Lampe und einen Unteroffizier zu Bedienung zur Verfügung.

Sebastije, das alte Samaria, habe ich mir gründlich angesehen. Als Wahrzeichen alter Pracht stehen noch Säulen und Tempelreste aus Herodes’ Zeit, sowie eine Kreuzfahrerkirche in der übrigens zu einem kläglichen Dorfe herabgesunkenen Stadt. Die Lage ist sehr schön, auf dem Gipfel eines die ganze Umgegend beherrschenden Berges. In der Kirche, jetzt Moschee, habe ich den Schulmeister mit seiner Kinderschar photographiert. Etliche Kriegshospitäler sind in den alten Gebäuden eingerichtet.

Ganz anders Nabulus (Sichem), eine stattliche, schön gelegene, anmutige Stadt. Alles prangte in frischem Grün, Blumen auf den Wiesen, ein dem Auge angenehmer Anblick. Die mit Recht so beliebten Samaritaner aufzusuchen hatte ich keine Zeit, sonst hätte ich nicht verfehlt, ihnen Grüße von Kahle zu bestellen, wenn ich auch keine in Auftrag genommen habe.- Eben kommen hier die Kamele an mit dem letzten Gepäck, so sind wir gänzlich angekommen.

In Nabulus trafen wir zwei Offiziere: Hauptmann Feist und Hauptmann Tirschner, beide Hauptbeteiligte an der Suezkanalexpedition. Sie erzählten etwa folgendes:————– Doch dieses später nach besseren Informationen.

Heute bekomme ich den letzten Brief von Prof. Becker, den er mir ins Feld geschickt hat, von Carl nachgeschickt. Sonst ist noch nichts da von Briefen. In dem beiliegenden Brief von F. F. Schmidt ist der Ansicht Ausdruck gegeben, als wäre der Heilige Krieg im Volksempfinden ein Krieg gegen die Gjouas5 im Allgemeinen. Das kann ich durchaus aus meinen Reiseerfahrungen nicht bestätigen. Überall, wohin ich kam, entsprach das Volksempfinden ganz dem

Fetwa. Gehaßt die Nation der Engländer, die Nation der Russen, der Franzosen, geliebt die Nation der Deutschen und ihr vortreffliches Heer und ihr vielgepriesener Kaiser. Das Volk sieht nicht mehr in jedem Europäer den frangi, den Gjaur schlechthin, sondern unterscheidet in seinen Sympathien sehr genau die einzelnen Nationen. Jedenfalls hatte ich durchweg diesen Eindruck. Das uns der Djihad gefährlich werden könnte, scheint mir einstweilen unwahrscheinlich. Hier heißt gihad Kampf gegen die Engländer. Man sollte in den bewußten Broschüren viel mehr von den großen Kanonen der Deutschen, von Siegen im Osten etc. erzählen, als über asbáb al-hab etc. reden oder gar große religiöse Begeisterung zu wecken suchen. Die Stimmung des muslimischen Volkes ist für Deutschland gewonnen gegen die Engländer, nicht so sehr für die Befreiung des Islam und dergleichen abstrakte Sachen. Freilich sollen in den Küstenstädten (z. B. Haifa) starke Strömungen gegen uns sein, ganz abgesehen von der beispiellosen Spionage. (Beim Vorstoß gegen den Suezkanal wurde die am Abend ausgegebene Parole wenige Stunden später von den Engländern herübergerufen!)

Die Situation am (Suez-)Kanal ist folgende:

Er ist maßlos befestigt, die Wände gut eingepflastert bzw. betoniert. Ein Kreuzer liegt am andern , und recht viele Maschinengewehre erschweren das Herankommen. Kress von

Kressenstein hat bei seinem Vorstoß keine der beiden Karawanenwege (Akaba, Arisch) benutzt, sondern eine mittlere Route gewählt. Das Heer wäre aber elend verdurstet, wenn nicht Hauptmann Feist Brunnen gegraben hätte. Man hat tatsächlich eine Pontonbrücke gebaut, doch ist ein weiteres Vorgehen im Maschinengewehrfeuer erstickt. Verlust annähernd 2000 Mann. Der Rückzug ist tadellos und gut diszipliniert gewesen. Kenner der Wüste sagen, dies Ende sei vorauszusehen gewesen, denn selbst wenn es gelänge, den Kanal mit größeren Truppen zu überschreiten, könnten sich diese doch nicht jenseits halten, ohne daß das ganze Hinterland östlich vom Kanal in ein einwandfreies Etappengebiet umgewandelt wäre mit den Stützpunkten Akaba und el Aris. Diese Vorbereitungen gründlich zu treffen, soll Sache der nächsten Monate sein. Ein weiterer Vorstoß ist deshalb in nächster Zeit noch nicht zu erwarten. Man hofft, im November fertig zu sein. Nächstens hoffentlich mehr.

Die Araber sollen sich nicht sehr gut schlagen. Ein Hauptmann erhält den Befehl zu feuern, kommt ihm aber nicht nach. Warum? Dann merken doch die Engländer, wo wir liegen und schießen auf uns! Gut sollen die anatolischen Türken sein. Ähnliches erzählten mir heute zwei österreichische, hier ansässige Kriegsfreiwillige von 18 Jahren, die bei Kress von Kressenstein Dolmetscherdienste tun. Gute Aufklärungsarbeit leisten übrigens die Beduinen.

 

232. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Bonn), 25.2.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter!

Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, daß ich von nichts gehört habe; aber auch Sie sind längere Zeit ohne Nachricht von mir geblieben. Die Korrespondenz ist ja jetzt zweifellos etwas erschwert, da die Reise nach dem Suez-Kanal ja schon in Friedenszeiten ziemlich lange dauert. Ich habe Ihre Briefe programmäßig behandelt, doch datieren die letzten Nachrichten von Ihnen aus Rosanti, 28.1.(1915). Hoffentlich berichten Sie in weiteren Briefen einmal genauer, wie es denn eigentlich mit den Eisenbahnbauten steht und wie die allgemeine Stimmung ist. Schmidt ist ja kolossal pessimistisch, aber das liegt in seiner Natur. Die Nachrichten aus russischen, englischen und türkischen Quellen widersprechen sich so ungeheuer, daß man sich kein Bild mehr machen kann.

Von den Herren, deren Adresse ich Ihnen das letzte Mal geschickt habe, ist Sarre inzwischen in eigener Mission nach der Türkei geschickt worden. Leider hat er Herzfeld nicht mitnehmen können, der doch so glänzend paßt. In Berlin wird die Version verbreitet, daß der Bedarf an Orientkennern gedeckt sei.

Ich habe inzwischen noch sehr viel Ärger mit Snouck gehabt, doch kann ich Ihnen das lieber einmal später erzählen. Er ist offenbar total verrannt. Meine Gegenschrift sende ich Ihnen einliegend. Sie werden sehen, wie maßvoll ich bin. Ich schreibe jetzt noch an einer holländischen Entgegnung und hauptsächlich an dem Türkei-Artikel der großen Publikation, von der Sie wissen. Dann soll mein Islam-Buch endlich gefördert werden, doch ist jetzt wieder zweifelhaft ob ich nicht doch zum Landsturm eingezogen werde. Jedenfalls soll nächstens Musterung stattfinden, und dann wird sich’s ja zeigen, ob ich gesund genug bin, was ich eigentlich nicht glaube. Wenn aber, so hört natürlich die wissenschaftliche Arbeit auf, und ich werde mich bemühen, als Soldat meine Pflicht zu tun. Ganz leicht wird das ja in meinem Alter und bei meinen Darmverhältnissen nicht gerade sein. Auch sollte ich glauben, anderswo mich nützlicher machen zu können; aber das müßte die vorgesetzte Behörde schließlich ja wissen.

Das Semester nähert sich langsam seinem Ende. Mein Afrika-Kolleg ist schön beisammen geblieben.- Im Hause haben wir allerlei unbedeutende Kinderkrankheiten, doch geht es uns im Ganzen gut. Meine Frau pflegt jetzt regelmäßig Verwundete.

Politisch Neues kann ich Ihnen heute nicht viel erzählen. Man steht noch ganz unter dem Eindruck des ostpreußischen Sieges und sieht die politische Lage z. Zt. sehr günstig an. Es gibt sogar Leute, die sich von dem Vorgehen Japans in Ostasien eine günstige Rückwirkung auf unsere Stellung im Osten und unser Verhältnis zu Japan versprechen.

Vielleicht interessiert es Sie zu hören, daß unser bisheriger deutscher Konsul in Angola abgereist ist, weil der Gouverneur nicht mehr glaubte, für seine Sicherheit garantieren zu können. Das läßt ja auf nette Verhältnisse schließen. Auf der Rückreise wurde er in Gibraltar gefangen gesetzt, und jetzt wird über seine Freilassung verhandelt. Da es mein…

(Leider fehlt das Folgeblatt)

 

233. Hellmut Ritter an C. H. B. Jerusalem, 1. 3.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Professor!

Gestern wurde ich sehr erfreut durch Ihren Brief No. 1, nachdem ich schon ein paar Tage vorher den mit der Schmidtbeilage von meinem Bruder aus dem Felde nachgeschickt bekommen hatte. Hoffentlich ist mein voriger Brief schon in Ihre Hände gelangt, in dem ich einiges über die Suezunternehmungen schrieb. Inzwischen sprach ich Prüfer hier in Jerusalem; er ist als Major dabei gewesen. Er meinte, der Handstreich hätte glücken können, wenn man statt der feigen Araber Türken an der Front gehabt hätte. Jetzt seien lange Vorbereitungen nötig, vor allem aber mehrere Batterien schwerer Artillerie und viel Flieger, schon als moralische Gegenwirkung gegen die andauernd Bomben schmeißenden englischen Flieger.

Nach einer Beredung mit Gemal Pascha sind die Offiziere einstweilen für verschiedene Aufgaben verteilt worden. Einer geht nach Deutschland zurück, um Autos im großen Stil herbeizuholen. Ich habe die mir sehr zusagende Aufgabe erhalten, mit Major von Ramsay, dem alten Afrikaner, der Ihnen ja wohl bekannt ist, zusammen die englische Karte vom Sinai und dem ganzen für uns in Betracht kommenden Gebiet, speziell Quellgebiet des Kusema, von wo eine 70 km lange Wasserleitung nach Ibni, wo jetzt (ein) Detachement steht, geführt werden soll, nachzuprüfen. Teilweise werden wir da wohl auf unbetretenen Pfaden wandeln, und hoffentlich wird auch einiges für die Wissenschaft dabei herauskommen. Freilich habe ich bisher das Prinzip verfolgt, einstweilen hier weniger zu forschen als zu lernen.

Leider muß ich den kurzen Brief abschließen, weil Major Scharrer ihn mitnehmen soll.

Viel mit der Bevölkerung zu verkehren, habe ich jetzt nicht Zeit. Kassierer und Sekretär sein nimmt viel Zeit weg. Geschlemmt habe ich in der Qubbat as sahrá. Das ist ja herrlich!

Hoffentlich bald einiges Politisches von hier.

 

234. Tagebuchberichte von Hellmut Ritter (Nr. 4) Jerusalem, 5.3.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Professor,

Seit meinem letzten Brief vom 1. März hat sich viel geändert. Aus meiner schönen Reise nach dem Sinai ist einstweilen nichts geworden – sehr zu meinem Leidwesen. Denn der Oberstleutnant ist plötzlich zum Kommandeur der 10. Division ernannt worden und will mich nunmehr nicht weglassen. Ich bin nun etwas gebunden, muß stets mit ihm reiten und dolmetschen helfen. Auch laufen täglich eine Unmasse Schreibereien ein, bei deren Erledigung ich behilflich sein muß, eine nicht besonders interessante, aber doch sehr lehrreiche Beschäftigung, bei der ich türkisches Militärwesen gründlich kennen zu lernen Gelegenheit haben werde. Allmählich werde ich wohl auch den vertrackten türkischen Aktenstil etwas besser lernen. Ich trage übrigens, ut figura docet, jetzt Leutnantsuniform.

6.3.1915

Soeben, nach einer sehr langen Pause, gelangt zu meiner großen Freude Ihr Brief vom 25. Februar in meine Hände mit Ihrer Erwiderung auf Snouck Hurgronje, die ich natürlich mit größtem Interesse gelesen habe. Ich kann nicht viel zum Gegenstande sagen, da ich selbst bis jetzt keine Gelegenheit hatte, mit den hier in Frage kommenden Orientalen zu verkehren; doch will ich wiedergeben, was die Ansicht vieler hier ansässiger Deutscher ist. Natürlich bezieht sich alles nur auf die hiesigen d.h. türkisch-palästinensischen Verhältnisse.

Die Erklärung des Djihad hat einen Erfolg gehabt: er hat nämlich bewiesen, daß der Djihad, wenn er von Konstantinopel aus erklärt wird, eine Lächerlichkeit ist. Hier im Lande ist er gänzlich ins Wasser gefallen. Wenn Deutschland das beweisen wollte, daß religiöse Aufrufe und Ansprüche von Konstantinopel aus ohnmächtig und wirkungslos sind, so hat es einen großen Erfolg zu verzeichnen. Wo er hier gezündet hat, hat er in der alten Form gezündet: Hier hat ein Scheich in der Zeitung tatsächlich zur Austreibung sämtlicher Giaurs aufgefordert, hat aber begreiflicherweise keinen Erfolg gehabt. In Stambul hat der Pöbel ein paar europäische Läden zerschlagen. Das ist alles. Dieser Djihad ist kein Djihad, sagen die arabischen Scheiche, die auf die Türken so wie so nicht besonders zu sprechen sind. Wenn es einer wäre, so wäre er so und so: d.h. im alten Sinne Krieg gegen alle Ungläubigen. Die Armee hat am Kanal die heilige Fahne mitgehabt, aber man wird rot, wenn man davon spricht. Ich selbst kann auch bei den türkischen Offizieren nichts von Djihadstimmung merken. Es scheint, als sei man hier schon zu aufgeklärt, um noch theokratisch Religion und Politik verbindend zu denken. Im Süden mag es anders sein. Einige Überläufer aus dem Sudan, mit denen jetzt Neufeld arbeiten will, hatten ganz die von uns gewünschte und dem Fetwa entsprechende Stimmung.

Hier erschwert der Rassengegensatz zwischen Arabern und Türken sehr den Fortschritt. Die Araber lieben die Türken nicht, haben wohl auch ihre Gründe dazu. Demnach ist die Stimmung hier gegen uns sehr kühl. Solch freudige Begrüßungen, wie wir sie in den türkischen Nestern erlebt haben, wären hier gänzlich ausgeschlossen. Die türkischen kleinen Leute hoffen wohl von uns Besserung ihrer gedrückten Verhältnisse. Sie können nur gewinnen, wenn wir die Verwaltung übernehmen. Nach dem Kriege halten die hiesigen finanziellen Kreise (z. B. der Direktor der Palästina-Bank) eine Protektion für das einzige Mittel6, weil nur so der S…wirtschaft abzuhelfen sei. Die Banque Ottomane, ein übles Wucherinstitut französischer und englischer Aktionäre, müßte gesprengt und eine anständige Reichsbank eingesetzt werden, die Zwangskurs des Geldes einführt und den augenblicklichen Kursverhält-nissen damit ein Ende macht. Man wolle lieber mit ägyptischen Verhältnissen arbeiten, als mit türkischen. Eine andere Reform als durch Bevormundung stärkster Art sei sinnlos. Ähnlich ist die Stimmung in hiesigen militärischen Kreisen. Freilich ist wohl daran nicht zu denken. Jedenfalls wird Deutschland, wenn es nicht nach dem Kriege Mengen von Leuten herschickt, jeden Einfluß verlieren und den Amerikanern das Feld räumen müssen.

Übrigens kommt dieser Tage Prüfer von einer kurzen Reise zurück. Ich will ihm Ihre Schrift zeigen und ihn nochmals gründlich nach seinen Erfahrungen fragen. Leider habe ich ihn bisher noch nicht viel gesprochen, obwohl er hier im Hotel wohnt.

Die Bahnverhältnisse7 sind folgende:

Man fährt von Haidar-Pascha bis Bosanti, dann fehlt ein Tunnel, man fährt zu Wagen 2 Tage bis Tarsus. Von da geht die Bahn bis Osmanije am Amanus. Dann ist wieder Schluß; ein nur für Tragtiere gangbarer schauerlicher Weg führt in 4-5 Tagen nach Radja. Man könnte schon früher wieder die Bahn benutzen, wenn ein großer Viadukt wenige Kilometer vor Radja (Heri Deri) fertig wäre. Seine Fertigstellung soll noch 3 Monate in Anspruch nehmen. Die Strecke über Alexandrette ist unpassierbar, da von den Engländern unter Feuer gehalten. Radja – Aleppo – Damascus – Sileh – Sebastije ist die Fortsetzung. Sebastije – Jerusalem mit Wagen in 1- 1 ½ Tagen. Die schlimmste Strecke ist er Übergang über den Amanus. Hier muß die Straße noch sehr verbessert werden. Es wird auch gearbeitet, neuerdings unter Aufsicht eines deutschen Ingenieurs namens Erdmann. Große Schwierigkeit verursacht der arge Kohlenmangel. Die Züge fahren nur zu militärischen Zwecken und einmal in der Woche. Es könnte hier natürlich durch rationelle Einteilung sehr gespart werden, aber türkische Behörden…. Dagegen sind sehr zu unserer Freude endlich zwei Flieger da, wohnen auch hier im Hotel. Weitere werden erwartet. Der Bau einer Fliegerhalle ist Ingenieur Häcker übertragen. Ein Flugzeug habe ich gesehen.

Meine Tätigkeit besteht außer den erwähnten Schreibereien darin, täglich mit dem Oberstleutnant Regimenter zu besichtigen und Fronten abzureiten. Ich lerne dabei natürlich die Umgegend von Jerusalem recht gut kennen. Heute haben wir für unsere Regimenter die zum Teil seit dem Balkankriege kein Dach gesehen haben, Quartier gesucht. Hier gibt’s haufenweise leere Häuser. Vor allem sind die beiden großen Pilgerasyle, das große russische und das französische Notre Dame ganz unbezahlbar. Doch sind jetzt viele französische Klöster von den Truppen belegt. Unsere Division – rein türkisch – gilt als das Paradestück der türkischen Armee, soll vielleicht auch bei der großen Truppenschau in Berlin nach dem Frieden – inchallah – sich produzieren. Einstweilen macht man bloß Friedensdienst.

Sonntag, 31.3.1915

Inzwischen ist Prüfer zurück. Er wohnt jetzt in einem gemieteten Haus. Dort besuchten wir ihn, und er gab folgendes über die Situation von sich:

Der Djihad ist hier zu Lande ein klägliches Fiasko gewesen. Die Araber sind uns durchaus nicht wohlgesinnt, weil sie über die Türken erbittert sind und wir mit denen zusammengehen. Dazu kommt noch die seit Jahren gänzlich verfehlte deutsche Orientpolitik, die den französischen und englischen Einfluß hat wachsen lassen, ohne irgend etwa entgegenzusetzen. Englische und französische Jüdinnen spielen eine große Rolle und haben zum Teil ihr für uns nicht sehr günstiges Hierbleiben hier durchgesetzt. Noch immer sitzen Engländer und Franzosen unbehelligt im Lande und treiben ausgedehnten Spionagedienst. Man ist zu sehr gut Freund mit ihnen geworden, als daß man sie jetzt grob als Feinde behandeln könnte. Höchst merkwürdige Zustände. Hier lieben uns weder Christen noch Juden. Die Zionistenpartei ist so sehr unter englischen Einfluß geraten, daß vor einiger Zeit ein deutschdenkender Jude von keiner Zeitung, weder jüdischen noch christlichen, einen Artikel angenommen bekam. Eine deutsche Zeitung zu gründen ist natürlich versäumt worden. Man las und liest nur englische und französische. Am loyalsten sind noch die Muhammedaner. Man läßt uns jetzt sogar ohne Erlaubnisschein in den Haram (große Moschee), ja, sogar in die Moschee zu Hebron, die bis dahin ganz unzugänglich war. Doch ist auch hier durch christlich-französische Hetzerei et non semper actis Turcorum viel verdorben worden8.

Hier steht das folgende in syrischen Buchstaben:

Zum Beispiel hat Djemal Pascha alle Geschäftsschilder entfernen und durch türkische ersetzen lassen und unkluge Befehle mehr, die sehr übel gewirkt haben. Erst wir haben hier Veto eingelegt.“

Gestern kam Meissner Pascha hierher und erzählte allerhand Interessantes. Die Bahn von

Sebastije nach Bir Sab’a ist kräftig im Bau, doch noch nicht in Benutzung.

Gestern war Besichtigung der 10. Division durch Djemal Pascha mit Kinoknipsung. Wer mich also im Kino vorbeigaloppieren sehen will, erkundige sich bei der Berliner Eikofilmgesellschaft, wann der Film gezeigt wird. Der Photograph der Gesellschaft, der uns geknipst hat, heißt Sparkuhl. Nach der Truppenschau verkündete Djemal den Erfolg an den Dardanellen. Dann führten die Soldaten sehr witzige türkische Volkstänze auf, erst mit, dann ohne Schwerter, z. B. wurde ein Mann nach dem Takte der Musik gewissermaßen abgemurkst und aufgefressen. Es war sehr hübsch zu sehen. Ist auch gefilmt worden.

Heute war ich mit dem orientalisierenden amerikanischen Dr. Spoer in der Moschee in Hebron, die über der alten Abrahamshöhle Machpela erbaut sein soll. Eine Riesenhöhle, die schon seit alters als Patriarchengrab verehrt wurde, befindet sich tatsächlich unter der Moschee. Durch ein Loch kann man von oben hineinsehen. Die Leute werfen allerhand Briefe an den alten Erzvater da hinein. Wir wollten eigentlich hinein, weil darin eine schon im12. Jahrhundert nicht mehr verstandene Inschrift sein soll, die unser Forschergemüt reizte; doch geht es nicht ohne höhere Erlaubnis, die wir uns erst noch beschaffen müssen. Jedenfalls war es auch so interessant, in der bisher kaum zugänglichen, übrigens sonst nicht sehr bemerkenswerten Moschee gewesen zu sein. Eine arabische und eine griechische Inschrift haben wir abgeklatscht.

Mit vielen herzlichen Grüßen Ihr getreuer H. Ritter

P.S. Heute Abend große Siegesfeier mit Djemal Pascha im Hotel Fast.

25.3.1915

Vor kurzem unfreiwillig der Execution eines Deserteurs beigewohnt. Gräßlich!

Dann war eine religiöse Feier zu Ehren der am Kanal gefallenen Soldaten. Ich war auch in der Moschee. Lobgesänge auf den Propheten und sehr schöne Koranvorlesung eines Egypters, dann Verteilung von Süßigkeiten an die Truppen. Heute ist auch eine Feier für die bei der Beschießung der Dardanellen Gefallenen.

Heute hörte ich das politische Glaubensbekenntnis eines arabischen Dieners, das für die Stimmung hier bezeichnend ist:

Die Russen sind gut, die Engländer und Franzosen auch. Ganz schlimm sind die Türken; sie gehen in die Läden und nehmen alles für die Truppen ohne zu bezahlen. Die Deutschen sagen ihnen: Macht Frieden! Aber sie wollen nicht.“

Unglaublich sind die Türken verhaßt. Die Egypter werden sich über das Danaidengeschenk ihrer Freiheit von England und Angehörigkeit der Türkei, falls man überhaupt damit rechnet, schwerlich freuen. Ich bin sicher, daß nach dem Frieden hier im Orient ein incomparabler „Saustall“ werden wird.

 

235. Hellmut Ritter an C. H. B. Ostersonnabend in Jerusalem (März 1915)

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Professor!

Ihr letzter Brief datierte vom 25. Februar. Haben Sie vielen Dank. Ich bin noch immer in Jerusalem und habe täglich reichlich türkischen Aktenstaub zu schlucken. Doch ist das ja ganz gesund, zumal die täglichen Ritte um Jerusalem eine gute Erfrischung gewähren. Jetzt ist die Osterwoche, da gibt es eine Menge schöner Sachen zu sehen, angenehm ist dabei das Fehlen der russischen und sonstigen Pilgerscharen, die in Friedenszeiten alles mit ihrer Flut übergießen. Wir als Offiziere bekommen natürlich stets gute Plätze, wo man solcher bedarf.

Anbei schicke ich Ihnen noch einiges geheime politische Material. Das arabische stammt zwar aus der Zeit des Balkankrieges, als hier die antitürkischen Wellen am höchsten gingen, ist aber immerhin auch für das Verständnis der jetzigen Lage nicht ohne Interesse. Das andere, französische, ist uns zugeschickt als Warnung vor den Leuten die die Briefzensur ausüben. Alle naselang werden am Bab el Chalil Spione aufgehängt, natürlich die eigentlichen läßt man laufen, begünstigt sie sogar.

Mit gleicher Post erlaube ich mir, außer den beiliegenden ein paar Filme und Photographien in zwei Couverts Ihrer Obhut anzuvertrauen. Hoffentlich kommen sie gut an. Würden Sie vielleicht die große Güte haben, mir den Empfang telegraphisch zu bestätigen? Leutnant Ritter, Jerusalem, Deutsches Konsulat.

Einstweilen mit den besten Grüßen Ihr Ihnen dankbarer H. Ritter.

 

236. C. H. B. an Metropolitan Ritter, Niederzweheren. (Bonn), 6.3.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Metropolitan!

Manche der von Hellmut erwähnen kleinen Orte habe auch ich auf meinen Karten nicht finden können. Es geht uns ja auch schließlich mit manchen belgischen und russischen Plätzen so. Ich will mich aber gern informieren, nur glaube ich, daß es jetzt wenig Zweck hat, da Hellmut inzwischen in dem eigentlichen Syrien angekommen sein dürfte. Da werden Sie seine Reise wohl am besten an der Hand des Baedecker oder Meyer von Syrien verfolgen können. Ich verreise für einige Tage, will aber dann nach meiner Rückkehr, schon in meinem Interesse, mich etwas um das Kartenmaterial kümmern und werde Ihnen dann berichten.

Man merkt aus Hellmuts Reisebeschreibung nicht mehr viel vom Krieg; es ist eben das Tagebuch eines Orientreisenden. Hoffentlich halten die Türken an den Dardanellen Stand.

Ich werde dafür Sorge tragen, daß auch während meiner Abwesenheit Hellmuts Tagebuchblätter, falls neue kommen sollten, sofort abgeschrieben werden und an Sie gehen.

Mit freundlicher Empfehlung Ihr sehr ergebener (CHB)

 

237. Tagebuchberichte von Hellmut Ritter (Nr.5) Jerusalem, 19.4.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Professor!

Jetzt ist der Mann, der hier schon so lange schmerzlich vermißt wurde,, auch endlich gekommen, d.h. er ist unterwegs: Oppenheim! Unsere Offiziere werden ihm keinen sehr warmen Empfang bereiten. Auch ein gewisser, sehr gefürchteter Rochus Schmidt, ist unterwegs; man versucht, ihn durch Telegramme jeder Art fernzuhalten. Das schönste aber ist, daß jetzt ein genauer Bericht über Frobenius’ 9Tätigkeit vorliegt. Doch will ich abbrechen und erst abwarten, was mir Prüfer morgen erzählen wird, der hier meine Quelle ist.

Übrigens sind französische Truppen in Ägypten gelandet worden, wohl Südländer, die’s da oben nicht aushalten konnten. Was sagen Sie zu dem schönen Erfolg an den Dardanellen? Hier ist Gaza einmal von einem französischen Dampfer beschossen worden(vgl. Abbildung)10, ohne irgend welche Bedeutung. Die politische Lage ist ja sehr prekär hier. Die Araber sehnen sich nach Befreiung vom Türkenjoch; die Abneigung wird nun noch künstlich vergrößert einesteils durch mancherlei Unbequemlichkeiten, die der Krieg, für den auch nicht das geringste Interesse herrscht, und die Anwesenheit so großer Truppenmengen überhaupt mit sich führt, andererseits durch die türkisierenden Bestrebungen Djemal Paschas. Ein Ukas befiehlt, daß in allen Schulen (auch den deutschen, wie Schnellers Waisenhaus) türkisch gelehrt werden solle – um das Geld und die Lehrkräfte kümmert sich natürlich niemand -, aller arabische schriftliche Verkehr mit den Behörden hat, sehr zum Ärger der Araber, aufgehört usw. usw. Die goldene Zukunft sieht hier jeder in der Herrschaft einer europäischen Macht, jeder natürlich derjenigen, in deren Schule er erzogen ist, also der englischen, französischen oder russischen. Wir sind natürlich an dem vermaledeiten Kriege schuld und sind infolgedessen auch ein wenig scheel angesehen, jedoch wird andererseits dankbar anerkannt das wohltätige Eingreifen der Hand deutscher Offiziere in den üblichen Schlendrian. Von Back Pascha leider nicht mehr bestehender Kommandantur der Stadt ist man doch erbauter gewesen als von den früheren Zuständen. Wären wir nur mehr hier, wir wollten schon einiges erreichen, obwohl freilich der englisch-französische Geist, den die Kinder in der Schule schon einsaugen, so schnell nicht zu bannen ist.

26.4.1915

Komme eben zurück von einem Übungsritt des Corpsstabes nach Ramleh, Jaffa usw. Alles in üppiger, grüner Fülle, haben in Apfelsinengärten gelustwandelt und die reifen Früchte vom Baum heruntergepflückt. Der Stadtkommandant von Jaffa, Major Hasan, hatte alles aufgeboten, um dem General einen würdigen Empfang zu bereiten. Die Bevölkerung stand Spalier und erhob bei unserem Vorbeireiten ein gewaltiges Händeklatschen. An präsentierenden Wachen vorbei wurden wir in den Konak geleitet, um allda mit allerlei netten Sachen bewirtet zu werden. Alle Würdenträger der Stadt beeilten sich, dem Pascha ihre Aufwartung zu machen. Nachher beim Abschied war derselbe Zauber noch mal. Dann war Besichtigung der schönen Befestigungen, die den Engländern, wenn sie landen sollten, das Leben vermutlich recht trübe machen werden, mit anschließenden kleinen strategischen Aufgaben für die Offiziere. Auch die deutsche Templerkolonie in Savona wurde besucht. Ich habe dort mit Oberstleutnant S. sehr schön bei einem Herrn Weber zu Abend gegessen. In Birsalem bei Herr Spohn – Filiale des Syrischen Waisenhauses -, nicht weit von Ramleh, wurde einmal übernachtet. Ich unterhielt mich mit den Deutschen in Savona ausführlich über die Verhältnisse. Es ist immer dasselbe, genau so, wie oben beschrieben. Die Aufhebung der Kapitulationen11 würde viele Deutsche wegtreiben, (wird von anderer Seite bezweifelt), weil kein Mensch die Steuern bezahlen will. Ich habe den Eindruck, daß nach einem für die Türkei glücklichen Kriege sich das Erstarken des Staates zunächst in Fremdenhaß und Schikanierung der Europäer, uns einbegriffen, zeigen wird. Wir werden genau wie jeder andere fremde Staat behandelt. Alle Höflichkeit, die bei Einzügen und Festlichkeiten uns gegenüber entfaltet wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie der Karren in Wirklichkeit läuft.

Frobenius und der sehr tüchtige Halbabessinier Hall sind wirklich durch das englische und französische Gebiet hindurch auf italienischen Boden gekommen. Es wäre wohl auch weiter gut gegangen, wenn nicht F(robenius) die Tarantel gestochen hätte, dergestalt, daß er sich aufs Roß setzte, Paschagala anzog, einen gewaltigen Einzug arrangierte und ein großes Hurrahgeschrei ausstieß, worauf die Italiener notgedrungen mißtrauisch werden mußten und Weiteres verhindern mußte. H(all?) soll die Absicht haben, die Sache noch mal allein zu versuchen. Neufeld wirkt augenblicklich als Dolmetscher bei Herrn von Ramsay in der Wüste; seinen politischen Plänen darf man einigen Zweifel entgegenbringen.

Neulich hat der frühere Lotse des Kanals, Herr Bresch, eine Mine in den Kanal gelegt, auf die alsbald ein englisches Kauffahrteischiff stieß und zerbarst. Heute große Freude über die Überschreitung des Yserkanals, ist auch mit Sekt begossen worden.

Mit vielen Grüßen Ihr treu ergebener H. Ritter

In diesem Jahr große Heuschreckenplage. Die letzte soll (18)78 gewesen sein, aber nicht so wie jetzt. Alle Felder bedeckt mit der kleinen schwarzen Satansbrut. Militär und Zivilbehörden tun alles, was die deutschen Offiziere können, doch ist natürlich von einer geregelten Bekämpfung, wie es sein müßte, keine Rede. General Trommer ist Vorsitzender der Heuschreckenkommission.

Trotz der jetzigen ernsten Zeilen:

Eben kommt die Nachricht, daß die Dardanellen mit 48 Schiffen angegriffen werden – gibt es noch Momente, in denen man nichts Besseres zu tun weiß, als sich Märchen erzählen zu lassen, die freilich weder neu noch originell sind. Immerhin können sie vielleicht einen Spezialisten wie Littmann oder Kahle interessieren. Ich schicke die Durchschläge mit, hoffentlich werden sie nicht von der Zensur als Geheimsprache beanstandet. Es ist Jerusalemer Dialekt, sofern man von einem solchen überhaupt reden kann, Erzähler: Jacab Iris al-asis, so genannt, weil sein Großvater Sidó asis war. Sein Vater ist Steinhauer, erblindet und ein großer Märchenerzähler; von ihm hat der Sohn die Geschichte gehört.

Die Ereignisse an den Dardanellen fesseln natürlich sehr unsere Aufmerksamkeit; man munkelt, falls der Angriff mißlänge, würde Rußland Frieden machen …

Man glaubt in hiesigen militärischen Kreisen, daß selbst, wenn die Forcierung gelänge, strategisch der Erfolg nicht sehr erheblich sein könne, da jedes Schiff, ehe es ins Schwarze Meer kommt, noch ein richtiges Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen muß, zu dessen Verhinderung ganz erhebliche Landtruppen würden ausgeschifft werden müssen. Freilich würde der moralische Eindruck der Dardanellenforcierung gewiß erheblich sein.

27.4.1915

Einstweilen wird das ´Idi gulús heute, am 27., gefeiert; Musikumzüge in der Stadt, Gratulationskuren bei den verschiedenen Militär- und Zivilbehörden usw., abends großes Essen. Gestern Nachmittag kam der Kommandant des 10. Bataillons, der eben eine neue kleine Unternehmung gegen den Kanal unter Oberst von Kress mitgemacht hatte, hierher zurück und erzählte eingehend seine Erlebnisse:

Das Bataillon, 2 Maschinengewehrkompagnien und 2 Batterien Artillerie hatten den Auftrag bekommen, die diesseits des Kanals befindlichen Befestigungen, sowie die vorhandenen Brücken zu stürmen, den Kanal zu überschreiten und dort einen Aufruhr zu machen. Marschrichtung Madáma. Ein Patrouillenritt von Kress ergab aber, daß sich weder Befestigungen noch Brücken dortselbst befanden. Darauf wurde die Aufgabe geändert: Die Artillerie soll einen Frachtdampfer, der gemeldet war und an Madáma vorbei mußte, kaputt schießen. Man stellte sich also nachts 50 m vom Kanal entfernt hinter und auf einem kleinen Sandhügel auf. Der Dampfer kam auch, aber die Kanonen waren noch nicht genügend eingebuddelt, um das Rohr schräg nach unten richten zu können. Sie konnte also nicht schießen. (Entsprechende Zeichnung als Marginalie.) Dagegen näherte sich gegen Morgen eine feindliche Patrouille von 6 Mann bis auf 20 m. Eine Gruppe schoß, drei fielen, einer stürzte sich in den Kanal. Auf das Schießen wird es drüben lebendig, aus dem am weitesten nördlich gelegenen Zelten löst sich ein Bataillon und eröffnet das Feuer. Darauf beginnt man sich loszulösen, die Artillerie unter Bedeckung eines Infanteriezuges zieht sich zurück, eine Kompagnie nach der anderen folgt in guter Ordnung. Die Engländer schießen inzwischen mit Schiffs- und Geschützen von 6 Batterien und werfen wie wahnsinnig Fliegerbomben, doch sind nicht viel Verluste: 1 Offizier und 6 Mann, glaube ich, zu beklagen. Bei en-Nachl trifft man noch zwei Araberkompagnien der Hidjasdivision und einen Zug Hedschinreiter, die übernehmen die Nachhut, die dem Gros in dem ungewöhnlich großen Abstand von 15 km folgt. Eines nachts lagern sie friedlich und versäumen zu sichern, da man ja den Feind, der nicht gefolgt war, weit wähnte. Leider machten die Engländer einen Überfall mit sehr überlegenen Kräften – 5 (?) Bataillonen, der völlig überraschend kam, bei einer Kompagnie Panik hervorrief, so daß immerhin einige Waffen und Munition, keine Menschen, in der Hand des Feindes blieben. Doch ist der Feind nicht weiter gefolgt. Nur in die Kamelkolonne sind noch Fliegerbomben geworfen worden, die 6 Kamele töteten. Nachher forderte Kress 50 Freiwillige aus dem zuerst genannten türkischen Bataillon an, die sofort da waren und sich noch in der Wüste befinden.

Fliegerbesuche sind reichlich in der Wüste, sie schaden nicht sehr viel, weil sich die Bomben zu tief in den Sand einbohren. Eben kam ein Brief von Major X aus Jbin (Ort etwa N33° 45’, O 30° 30’), daß daselbst ein Flieger gewesen sei und eine in das Vorratshaus der Offiziersmesse gefallene Bombe 2 Teller, sowie einen Topf mit Gurken zerschlagen habe. Weitere Verluste waren nicht zu beklagen.

Eben die ersten mit Spannung erwarteten Nachrichten von den Dardanellen: 400 Gefangene, 400 tot, 2 Torpedozerstörer zerstört, viele Überläufer. Hoffentlich geht es so weiter.

Eben kam Ihr Brief vom 4.4.1915. Vielen Dank, auch besonders für die Beilagen. Gräfe und Thorning – Thorning hatte ich ganz vergessen, ach, auch ihn werde ich ja nicht wiedersehen. Wie wird uns das merkwürdig und fremd vorkommen!

Ihre politische Beilage ist außerordentlich interessant. Hier munkelt man, Bülow 12hätte Italien erklärt, wenn es sich nicht bald entschiede, würde sich Deutschland auf die Seite seines Verbündeten stellen.

Mein Bruder Karl nun doch Infanterist; wir hatten das lange in trüber Ahnung kommen sehen. Mein Bruder Gerhard soll wirklich an die Front?

Nun, es kann nicht mehr lange dauern. Wir haben gute Nachrichten von Nauen13 aufgefangen, Sieg am Yserkanal – bezeichnenderweise schweigt sich der Eiffelturm gänzlich aus.

Jerusalem, 1.5.1915

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Professor!

Nur ein paar Zeilen über das Neueste:

Neulich eine Beschwerde von Enver (Pascha) bei Botschafter, daß sich deutsche Emissäre im Lande herumtrieben, um die Inbesitznahme des Landes vorzubereiten und gegen die Türken Stimmung zu machen. Grund: Frobenius hat das Recht, Orden zu verleihen!! Und hat einen Araberhäuptling dekoriert, der einer der berüchtigtsten Türkenhasser des Landes ist. Man faßt sich an den Kopf. Auch hat das Kolonialamt Leute hergeschickt nur mit dem Auftrage, „Erfahrungen zu sammeln“. Jedermann muß, da sie absolut nichts zu tun haben als herumzuhorchen, sie für Emissäre halten.

Übrigens Haltung an den Dardanellen vortrefflich. Die Feinde versuchten mehrere Landungen von Truppen, ohne die eine Forcierung der Dardanellen ja unmöglich ist. Überall zurückgeworfen, nur an einer Stelle halten sie sich noch unter dem Feuer der Schiffsgeschütze. Man kann also beruhigt sein.

Anbei ein Bild14 mit Djemal Pascha im Hotel Fast, wo auch meine Wenigkeit beteiligt war. Würden Sie es bitte dann meinen Eltern zur Aufbewahrung zusenden?

Mit vielen Grüßen Ihr ergebener H. Ritter.

 

238. Hellmut Ritter an C. H. B. Jerusalem, 27.4.1915

(handschriftlich)

Lieber Herr Professor,

Anbei schicke ich ein paar Films mit der Bitte, doch davon je 2 Abzüge machen zu lassen und einen meinen Eltern, einem mir zuzuschicken. Hier ist leider das Papier ausgegangen. Könnten Sie wohl vielleicht gar einmal 144 Blatt Gaslichtpapier in dem Format des Films herunterschicken, so würde man hier sehr erfreut sein, meine Aufnahmen auch im positiv betrachten zu können. Plakate zu schicken macht gar keine Schwierigkeit. Ich habe mir die Freiheit genommen, Sie, lieber Herr Professor, um Aufrechnung der Films und Bestellung der Abzüge zu bitten, weil das für meine Eltern mit ziemlichen Umständlichkeiten verknüpft ist. Es sind alles Straßenbilder aus Jaffa, gemacht bei unserem kürzlichen Übungsritt nach der Küste.

Mit vielen Grüßen Ihr Ihnen ergebener Ritter

 

239. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Bonn,) 12.5.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter!

Vor wenigen Tagen trafen Ihre Tagebuchblätter vom 5.-25. März bei mir ein, ebenso die Einlagen und zwei Tage danach auch die Photographien und Filme. Ich habe wunschgemäß versucht, Ihnen nach Jerusalem zu telegraphieren: es werden aber nach der asiatischen Türkei z. Zt. keine Telegramme, nicht einmal auf Risiko des Absenders, angenommen. So habe ich denn an die Botschaft telegraphiert in der Hoffnung, daß man Ihnen das Telegramm übertelegraphiert. Mehr konnte ich nicht tun. Selbst dieses Telegramm wurde nur auf Gefahr des Absenders hin angenommen.

Ihr Brief brachte wieder viel Interessantes. Besonders freue ich mich über Ihre neue Stellung; denn für die Zukunft ist es wichtiger, daß Sie den inneren Verwaltungsapparat der Türkei kennen lernen, als daß Sie einige genußreiche Wüstentouren machen. Natürlich stehen Sie dabei ebenso wie Prüfer, dem Syrien doch auch Neuland ist, unter dem starken Eindruck des arabisch-türkischen Gegensatzes, der durch die Entente-Arbeit und die vielen orientalischen Christen, namentlich die geschäftigen christlichen Syrer, noch besonders herausgearbeitet worden ist. Mir sind Ihre Erlebnisse und Eindrücke nicht so sehr überraschend, und halte ich den ganzen arabischen Besitz der Türkei überhaupt für stark gefährdet, wenn die Türkei nicht endlich damit Ernst macht, die Verwaltung zu arabisieren15. Noch vor ganz Kurzem kam es vor, daß man einen Oberkadi nach Mekka schickte, der des Arabischen nicht kundig war. Die Verhältnisse im Irak sind übrigens noch schlimmer als in Syrien. Glauben Sie nicht, daß ich die Bedeutung des Heiligen Krieges überschätze. In meiner ersten Schrift habe ich direkt davor gewarnt. Nachdem er erklärt war, habe ich ihn als politisches Bindemittel zu verstehen versucht. Daß es natürlich auch Kreise gibt, die ihn im alten Sinne auffassen, und daß der moderne Türke, der noch nicht so weit ist, den Djihad als politisches Mittel objektiv zu werten, sich dieser halbreligiösen Geste schämt, ist selbstverständlich. Ich war immer der Meinung, daß auch ohne Djihad der tatsächliche internationale Zusammenhang der Türkei schon ausgereicht hätte, die gewünschte Wirkung einer Erschütterung der kolonialen Stellung unserer Gegner zu erreichen. In welcher Form sich später die deutsche Hülfe in Syrien, wie in der Türkei überhaupt, vollziehen wird, ist natürlich z. Zt. noch nicht zu übersehen. Die Hauptsache bleibt, daß das Vertrauen der Armee in die deutsche Hülfe bestehen bleibt. Ich weiß von maßgebender Stelle, daß man bei uns tatsächlich die Absicht hat, das wirtschaftliche Staatsinteresse der Türkei auch gegen die privat-wirtschaftlichen Interessen selbst des deutschen

Kapitalismus zu schützen, und zwar nicht etwa aus sentimentalen Gründen heraus, sondern weil eine innerlich gestärkte und gekräftigte Türkei auch dem wirtschaftlichen Zukunftsinteresse Deutschlands mehr entspricht. Vor allem wird es darauf ankommen, die Dinge festzustellen, auf welche die Türkei zur Hebung ihrer eigenen Industrie einen Schutzzoll wird legen müssen, damit die deutsche Industrie sich auf diese Gebiete einstellt, sondern auf solche, die der Türkei nicht liegen. Hätte die deutsche Industrie sich einmal auf die Dinge eingestellt, die die Türkei in ihrem Staatsinteresse später mit einem Schutzzoll belegen muß, so wäre ein unabsehbarer Konflikt zwischen Deutschland und er Türkei gegeben. Es geschieht zwar auf diesem Gebiete noch nicht genug; aber ich weiß, daß man wenigstens das Problem erkannt hat.-

Wie die Dinge sich auch entwickeln mögen, unter allen Umständen ist es verkehrt, sich bereits jetzt in Diskussionen über die äußere Form zu ergehen, in der künftig sich die deutsch-türkischen Beziehungen bewegen werden. Bedenken Sie bitte stets, daß alle meine jetzigen Schriften politische Schriften sind: so wollen auch meine Auseinandersetzungen mit Snouck gewertet werden. Snouck bildet sich ein, wissenschaftlich zu sein; das ist grundfalsch, auch er ist Politiker. Daß in gewissen deutschen Kreisen die Bedeutung des Heiligen Krieges aus Unverstand maßlos überschätzt worden ist, liegt auf der Hand. Ich sende Ihnen einliegend meinen holländisch geschriebenen Artikel, der die Snouck’sche Episode abschließt. Das deutsche Schlußwort haben Sie inzwischen erhalten. Sie werden genau fühlen, worauf ich hinaus will. Der Artikel scheint in Holland sehr gut gewirkt zu haben; jedenfalls hat die Tagespresse ihn fast wörtlich abgedruckt.

Die mir übersandten Dokumente habe ich mit Interesse gelesen und bin ähnliches Material auch weiterhin dankbar. Die Photographien sind (schön? Unleserlich) und werden Sie später viel Freude davon haben. Jedenfalls freue ich mich täglich an dem Gedanken, daß Sie jetzt so herrliche Lerngelegenheit haben, und daß weder der Krieg, noch die Dienstzeit Sie wissenschaftlich Zeit kosten. Ihr Herr Vater hat mir übrigens auf meinen Wunsch Ihre Dissertation geschickt, und will ich nächstens versuchen, die Einleitung als Dissertation drucken zu lassen. Aber rechnen Sie bitte noch nicht allzu sicher damit, denn gerade die Einleitung sollte doch noch umgearbeitet werden. Wenn ich diese Umarbeitung vornehme, ist es eben keine Dissertation mehr. Vielleicht muß ich deshalb doch einen Teil des Textes drucken. Wie ich es auch anfange, ohne eine sehr große Aufwendung von Arbeit meinerseits wird es sich nicht machen lassen. Andererseits verstehe ich wohl, daß Sie nach dem Kriege gern Ihre Dissertation fertig hätten. Wenn ich nur selbst etwas freier wäre; aber auch ich habe schrecklich viel zu tun. Was ich irgend tun kann, soll aber für Sie geschehen. Das Schwierigste ist, daß Interesse für die Sache in Einklang zu bringen mit dem Interesse für Sie. Ich möchte nämlich gern das Ganze bearbeiten und veröffentlicht haben, während jeder Teildruck eine spätere Neuaufnahme des Ganzen erschwert.

Über die politische Lage lohnt es kaum zu reden, da bei der langen Reise dieses Briefes alle Äußerungen überholt sein werden. Immerhin interessiert (es) Sie doch vielleicht auch meine persönliche Ansicht. Ich glaube nicht an ein Losschlagen Italiens. Wenn es aber losschlägt, so sieht man in leitenden militärischen Kreisen den Ereignissen mit Ruhe entgegen. Meine persönliche Ansicht ist, daß ein italienischer Krieg mit Italien als Republik und einer österreichischen Adria inclusive Venetien abschließen würde. Die Kenner Italiens haben bisher das interventionistische Geschrei nicht ernst genommen, weil man den Volkscharakter eben kennt. Plötzlich aber zeigte sich, daß die Regierung sich davon kaptivieren ließ, vor allem Sonnino, der halb Engländer ist, da er ja in England erzogen wurde. Jetzt wurde es plötzlich der neutralistischen Mehrheit bange, und sie griffen ein, geleitet von Giolitti. Gleichzeitig erfolgte ein deutscher Druck auf Italien, indem man die Deutschen abreisen ließ. Die Wirkung auf die Industrie Norditaliens ist sehr groß, und man merkte, daß Deutschland Ernst machte. Dabei kommt Österreich bis an die Grenze des Möglichen entgegen. Kommt es trotz allem zum Krieg, so ist nur die Bestechung der Entente daran Schuld. Jedenfalls ist von einer Einheitlichkeit der Stimmung in Italien nicht die Rede. Braucht man also auch in keiner Weise in Sorge zu sein, so ist , m. E. die Rückwirkung auf die Türkei doch recht bedenklich. Dann werden auch Sie noch kriegerisch zu tun bekommen; denn Italien wird sicher Truppen landen lassen. Die bisherigen Erfolge der Türkei ermutigen allerdings sehr. Ich höre von unterrichteter Seite, daß die Entente der Türkei glänzende Anerbietungen macht, wenn Sie einen Separatfrieden schlösse. Ihre Mitwirkung ist also von großer Bedeutung für uns gewesen. Ich halte es nicht für unmöglich, daß bei glücklichem Fortgang der Ereignisse in Galizien ein Separatfriede mit Rußland zustande kommt. Die Aktion in den Ostsee-Provinzen scheint nur den Zweck zu haben, weiteres Austauschgebiet zu besetzen. Österreich muß doch einen gründlichen Ersatz für das Trentino erhalten. Die Kriegsgeschichte dürfte übrigens keine so glänzende Flankenaufrollung kennen, wie die in den Karparthen.

Unsere allgemeine Stimmung in Deutschland ist sehr gut. Das Leben funktioniert gleichmäßig; die Universität ist voll besetzt. In meinem türkischen Publikum habe ich über 100 Hörer, allerdings die Hälfte Damen, in Syrisch und Arabisch aber auch 6-7 ordentlich mitarbeitende Leute. Dabei stehen meine sämtlichen früheren Hörer im Felde. Ich habe vor ein paar Wochen in Berlin einen Vortrag gehalten und werde dort am 9. Juni auf Veranlassung des Kultusministeriums abermals dort sprechen.

Die Nachrichtenstelle für den Orient ist sehr gut organisiert. Ein sachverständiger Stab von etwa 30 Leuten arbeitet unter kundiger Führung. Hoffentlich bleibt diese Institution auch in Friedenszeiten bestehen. Da ich das Schicksal dieses Briefes nicht kenne, will ich nichts Ausführlicheres darüber berichten.

Damit Schluß für heute. Ihre drei Photographien stehen in meinem Studierzimmer, und freue ich mich täglich darüber. Weitaus am besten gefallen Sie mir in der türkischen Leutnantsuniform. Auf dem Bilde im Tropenhelm haben Sie zwar eine charakteristische Haltung, aber gerade die, die mir bei Ihnen nicht so gut gefällt. „Der Herr aber siehet das Herz an.“

Mit freundschaftlichen Grüßen Ihr getreuer (CHB).

 

240. C. H. B. an Metropolitan Ritter. (Bonn,) 2.6.1915

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Metropolitan!

Einliegend übersende ich Ihnen einen neuen Brief von Hellmut, der allerdings abermals nicht gerade für weitere Kreise geeignet ist. Wollen Sie ihn also bitte mit der entsprechenden Diskretion gebrauchen. Ich halte es nur nicht für richtig, Ihnen diese Nachrichten zu unterschlagen; ich bitte aber jedenfalls darum, solche Briefe nicht ins Feld gelangen zu lassen. Verschiedene Äußerungen von Hellmut sind mir von anderer Seite bestätigt und entsprechen auch dem Bilde, das ich selbst von unserer Zukunftsarbeit in der Türkei habe. Je besser es der Türkei geht, um so selbstbewußter wird sie werden und um so schwieriger, aber auch gerade um so notwendiger wird unsere Zukunftsarbeit. Diskretion ist bei dem Brief auch schon wegen der mancherlei kritisierten Persönlichkeiten notwendig. Ich war außer mir, als ich hörte, wieviel ungeeignete Leute man deutscherseits herausgeschickt hat. Ich habe Hellmut schon bei seiner Ausreise entsprechend vorbereitet.

Einliegende Photographien wollen Sie bitte für Hellmut aufbewahren. Er hat mir noch weitere Films geschickt, von denen ich Abzüge machen lasse, die ich Ihnen dann auch zusende.

Hoffentlich haben Sie von Ihren anderen Söhnen auch gute Nachrichten.

Mit verbindlicher Empfehlung Ihr sehr ergebener (CHB)

 

241. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Bonn,) 14.6.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter!

Seit meinem Brief vom 12. Mai hat sich manches verschoben, und mein Optimismus in Bezug auf Italien hat sich als unberechtigt erwiesen. Von Ihnen sind ein weiterer Stoß Tagebuchblätter eingetroffen und vor allem auch Ihre hübschen Films angekommen, von denen ich Ihnen einen Abzug anbei sende. Weitere Abzüge gingen an Ihre Eltern. Das Kopierpapier besorgte ich Ihnen sofort, doch war mehr als die zwei Pakete im Augenblick nicht zu bekommen; so bald als möglich schicke ich Ihnen aber mehr. Auch Films bekommt man nicht mehr unbegrenzt in allen Größen, vermutlich, weil der große ausländische Import aufgehört hat und die heimische Industrie besonders für Kriegszwecke arbeitet.

Wenn ich so lange schwieg, so hängt das mit einer starken persönlichen Inanspruchnahme während der letzten Wochen zusammen. Am 17. Mai wurde der älteste Sohn meiner Schwester Riedel in Rußland schwer verwundet, um dann am 20. Mai in Tilsit zu sterben. Da ihr Mann, wie ihre anderen Söhne im Felde stehen, habe ich alles arrangiert, und wir konnten den hoffnungsvollen, jungen Offizier, der mir persönlich besonders nahe stand, auf dem Familienfriedhofe in Gelnhausen beisetzen, wo er an der Seite seines noch nicht vor Jahresfrist in Davos verstorbenen älteren Bruders liegt. Mein Schwager, der Generalleutnant, wie sein Sohn, konnten zur Beerdigung kommen, und meine Schwester trägt ihr Schicksal bewundernswert. Das Eiserne Kreuz in der dritten Generation lag auf dem Sarge.

Die ungeheuren Verluste sind es immer wieder, die es einem schwer machen, sich über die großartigen Erfolge, namentlich im Osten, zu freuen. Gerade heute Morgen bekam ich wieder die Nachricht von dem Tode eines meiner (unleserlich)ittenen Schüler, eines Herrn Thiebes, den Sie auch, glaube ich, hier kennen gelernt haben. Und noch sieht man kein Ende ab! Ich war jetzt gerade wieder einige Tage in Berlin und habe mich vielseitig informiert; aber

Friedensverhandlungen nach irgend einer Richtung bestehen noch nicht. Immerhin ist doch zu hoffen, daß Rußland nach den vielen Schlägen und dem offenbaren Zermürbtsein seiner Armee nicht mehr allzulange wird mitmachen können. Momentan wirkt die Entente-Diplomatie mit Nachdruck darauf hin, uns den Balkan zu sperren. Ich hoffe, daß es mißglückt: denn eine Kriegserklärung Rumäniens wäre gleichbedeutend mit dem Ende unserer Orientpolitik. Gottlob sind unsere Interessen identisch mit denen Rumäniens, und es ist zu hoffen, daß das Entente-Gold nicht allzuviel Wirkung erzielt. Der Eintritt Italiens in die Reihe unserer Gegner hat, wie ich höre die eingeweihten Kreise nicht mehr überrascht, wenn man auch die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hatte. England, dem der Atem auszugehen scheint, wirft seine ganze Macht in die Wagschale, um die noch Neutralen zu Hülfsdiensten zu zwingen. Jedenfalls ist dieser Krieg die Bankerotterklärung des parlamentarischen Systems und der Demokratie. So ist wider den Willen seiner Majorität Italien in den Krieg getrieben worden und zwar, weil es seinen leitenden Männern an Mut gebrach. Das Bild, das Italien bisher gibt, ist nicht gerade glorreich. Es drückt sich um die Kriegserklärung an Deutschland, um keine Truppen nach Flandern schicken zu müssen. Der türkische Botschafter ist überhaupt noch in Rom; also auch der so erwartete Eingriff an den Dardanellen scheint sich noch hinauszuziehen. Wir erklären keinen Krieg, weil wir nicht irgendwelche rumänische Bündnispflichten eintreten lassen wollen. Man hofft auf einen baldigen Zusammenbruch Italiens; aber erst scheint man mit Rußland fertig werden zu wollen.

Ihre Nachrichten über die Türkei waren mir sehr interessant, und habe ich alles ganz genau so erwartet. Der Halbgott Leo ist in Berlin völlig kalt gestellt; man merkt allmählich, welche Dummheit man mit seiner Entsendung gemacht hat. Der teure O. soll nicht schlecht arbeiten, aber ich wünsche Ihnen doch, daß Sie von ihm verschont bleiben. Es wäre zu schade, wenn die tatsächliche Interessengemeinschaft zwischen Deutschland und der Türkei durch solch eitle Streber und Abenteurer in Gefahr gebracht würde. Ich hatte in diesen Tagen interessante Unterhaltungen mit dem bekannten ägyptischen Nationalisten, Scheich Schawisch, den Sie ja wohl dem Renommee nach kennen. Er machte mir einen recht guten Eindruck und ist z. Zt. als Vertrauensmann Enver’s (Pascha) in Berlin. Er wohnte im Hotel Esplanade, und frühstückte ich mit ihm zusammen. Aus Unterhaltungen mit ihm gewann ich die Bestätigung meiner alten Ansicht von der allzu großen Fairheit unserer auswärtigen Politik vor dem Kriege. Hätten wir, seinem Rate folgend, rechtzeitig Waffen in orientalische Gebiete eingeschmuggelt, was England und Frankreich ja ganz gewohnheitsmäßig tun, so wäre der Aufruf zum Djihad wirkungsvoller gewesen. Erschreckend ist vor allem der Hochmut der Jungtürken; nur wenige ganz fähige Köpfe sehen die eigenen Fehler ein. Ihr derzeitiger Chef hat nicht das Renommee, dazu zu gehören. Wenn die führenden Leute nur wüßten, wie ehrlich die Absichten der deutschen Regierung sind; aber ich fürchte, daß wir sehr mit Mißtrauen zu kämpfen haben werden. Unsere amtliche Türkenpolitik scheint übrigens (?) in fähigen Händen zu liegen. Auch auf dem Balkan sind wir gut vertreten. Manche Details möchte ich Ihnen vorsichtshalber nicht schreiben. Es ist zu schade, daß unsere Gegner in den arabischen Provinzen der Türkei so furchtbar leicht den Hebel der Opposition ansetzen können.

Die amerikanische Angelegenheit sieht man hier mit großer Ruhe an.

An Ihrer Arbeit habe ich bisher nichts tun können; ich bin mit meinen Magengeschichten doch nicht so arbeitsfähig wie ich es gern sein möchte, aber man schlägt sich eben so durch.

Viel beschäftigt man sich in eingeweihten Kreisen mit dem Problem der Kriegsziele, das verständigerweise der öffentlichen Diskussion noch entzogen ist. Die Bildungsschicht muß diese Gedankenwelt eben vorbereitend durchdenken. Im Osten kann uns an einigen Millionen Polen nichts gelegen sein. Da aber irgend etwas als Entschädigung für die ungeheuren Opfer notwendig ist, so wünschen einflußreiche Kreise eine Übernahme besitzfreier Landstrecken, deren Bevölkerung von Rußland zu verpflanzen und im Innern Rußlands zu entschädigen wäre. Dann würde neuer Boden für deutsche Besiedelungen frei. Im Westen werden wir die Seeseite Belgiens wohl nicht mehr aus der Hand geben. Millionen und Millionen sind in ihre Befestigung hineingesteckt. Auch Frankreich gegenüber warnen jetzt alle Sachverständigen vor Gefühlsduselei, wie sie dem für ideale Zwecke kämpfenden Frankreich nur allzu viel entgegengebracht worden ist. Das Revanchegeschrei und das Geld Frankreichs haben schließlich diesen Krieg doch erst möglich gemacht, und Frankreich muß erbarmungslos dafür büßen. Schwierig wird es vor allem bleiben, England zu zwingen, und man rechnet noch immer damit, ihm in Ägypten das Rückgrat zu brechen. Die Angst davor ist es zweifellos, die jetzt England veranlaßt, mit allen Machtmitteln in Rumänien oder an den Dardanellen einen Riegel vorzuschieben.

Schreiben Sie nur recht bald einmal wieder. Ich bin so viel in Gedanken bei Ihnen und begleite Sie auf Ihren interessanten Fahrten

mit freundschaftlichen und treuen Gedanken. (CHB).

 

242. C. H. B. an Hellmut Ritter, Konstantinopel (Bonn), 17.6.1915

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Gestern habe ich Ihnen einen langen Brief geschrieben, und kaum war er fort, kamen Ihre zwei Pakete, die vielen Photographien, Seidenstoffe usw. an. Ich werde alles, Ihrem Wunsche nach, aufheben resp. an Ihre Mutter senden. Die Tagebuchblätter haben mich natürlich brennend interessiert Es freut mich, daß Sie wieder so viel zu sehen bekamen. Unser brieflicher Verkehr wird ja nun wieder schneller gehen, nachdem Sie wieder in Konstantinopel eingetroffen sind. Schreiben Sie mir doch nächstens einmal über die Gesamtlage und ob es richtig ist, daß die Errichtung der Munitionsfabriken ein Fehlschlag war; es kursieren so mancherlei unkontrollierbare Gerüchte.

Hoffentlich müssen Sie nicht in den Schützengraben auf Gallipoli: das täte mir leid für Sie.

Eine Abschrift Ihres Briefes geht wieder an Tschudi. Auch eröffne ich Ihnen einen Kredit von Mark 200 zur Anschaffung wichtiger türkischer und persischer Drucke, die ich Sie bitte in Konstantinopel für mein hiesiges Seminar zu erwerben. Ich besitze nur die Bibliotheca Indica und gebe Ihnen im Übrigen ganz freie Hand. Sie wissen ja am besten, was ein Seminar brauchen kann. Vor allem hätte ich gern den Evlija, auch neuere türkische Literatur nicht ausgeschlossen. Abrechnung geschieht am besten direkt durch den Buchhändler, den ich durch die Staatskasse bezahlen würde. Macht das Schwierigkeiten, so wollen Sie auf Grund meines Kreditbriefes zahlen, dann verrechne ich es direkt hier mit der Universitätskasse. Übrigens haben Sie mir nie ein Wort geschrieben, ob der Kreditbrief in Ihre Hände gelangt ist. Bisher haben Sie jedenfalls nichts abgehoben, aber es wäre mir doch wertvoll zu wissen, ob Sie ihn überhaupt erhalten haben, da man ihn sonst für ungültig erklären müßte.

Inzwischen ist ja nichts Neues passiert, drum nur herzliche Grüße!- Grüßen Sie Schmidt.

Ihr Ihnen freundschaftlich ergebener (CHB).

 

243. Tagebuchberichte von Hellmut Ritter. (Nr.6) Jerusalem, 10.5.1915

(Maschinenkopie)

Gestern bei Prüfer. Erzählte Interessantes über die Behandlung eines englischen Offiziers durch hazretleri, auch über den Kommandanten von Jaffa, der uns so schön empfangen hatte, und seine Art, die Herzen deutscher Offiziere zu gewinnen. Auch über den Befehl, daß Deutsch als Unterrichtssprache abzuschaffen sei, auch über Frobenius. Doch das sind alles Dinge, die sich nach dem Kriege noch besser erzählen lassen.

Jsláhíje, 23.5.1915

Also wieder in Anatolien. Plötzlich Befehl, daß die 10. Division nach Norden, d.h. nach Konstantinopel abmarschieren soll. Dann wird man ja Gelegenheit haben, die Affaire an den Dardanellen aus der Nähe zu betrachten. Wenn die Wirklichkeit so ist, wie die Agencen berich-ten, kann man ja zufrieden sein. Etwas für uns Ungünstiges ist sicher bis jetzt nicht passiert, da wir vom AOK alles erfahren, was zu erfahren ist.. Der Eisenbahntransport war sehr übel, da die Bahn durch Heuschrecken aufgehalten wurde. Diese Bestien sind hier in erschreckender Menge aufgetreten, zum ersten Male wieder seit 15 Jahren ungefähr. Erst Schwärme, die die Luft verfinstern, Eier legen und sterben, dann nach einiger Zeit eine kleine schwarze Brut, die mit großem Appetit gesegnet ist. Man hat eine Heuschreckenkommission mit General Trommer als Spitze gebildet, Soldaten losgeschickt, um die Untiere zu vernichten. Herr Aaronssohn, der Entdecker des Urweizens in Palästina, und mehrere andere mehr oder weniger Sachverständige haben gearbeitet, sämtliche männlichen Einwohner Jerusalems und der umliegenden Bierdörfer mußten bei großer Strafe eine bestimmte Anzahl Kilo Heuschreckeneier beibringen, aber trotzdem fehlte es natürlich gänzlich an dem Zusammenarbeiten der Behörden, z. B. die Eisenbahn stellt einen Sonderzug für Heuschreckenfänger bereit, heizt an – es kommt aber niemand. Warum? Weil ein Beamter den entsprechenden Befehl in der Schublade hat liegen lassen! In Ramleh sitzt ein Mudir, dessen Bruder im türkischen Parlament sitzt und deshalb Paschaallüren angenommen hat und gar nicht daran denkt, irgendwelche Befehle auszuführen. Freilich saß ihm zum Glück ein ganz ungemein energischer deutscher Offizier als Kommandant auf der Jacke, der ihn außerordentlich schnell zur Raison zu bringen wußte. Doch zurück zu unserer Eisenbahn. Also die Heuschrecken sitzen in solchen Massen auf den Schienen, daß durch ihre zerquetschten Leiber Schienen und Räder gewissermaßen eingefettet werden, wodurch die Räder sich dauernd auf der Stelle drehen. In Damaskus war ein wenig Aufenthalt. Bin in das entzückend schöne Tal von Dummar gefahren, alles voll hübscher Gärten, Springbrunnen und Wasserfällen. Leider war alles leer, in keinem der schönen Kaffeehäuser auch nur ein Raky zu haben, ohne den der türkische Offizier einfach nicht leben kann, oder ein Schälchen Kaffee. Auch kein Mensch vorhanden. Warum? Der Polizeichef (Tahir) ist ein so frommer Mann, daß er liihjá es-sunna als Lustbarkeiten mit stärksten Mitteln unterdrückt; auch wir, die wir uns in einem hübschen Garten niederließen einen Kaffee zu trinken, wurden alsbald durch einen Polizeisoldaten aufgefordert, das Feld zu räumen.

Dafür habe ich auf dem Markt etwas orientalisiert. Sogleich das kitáb el-isara ila mhásire etc. gekauft und zu dem ersten attár (Spezereihändler) am Platze gegangen, um mir sämtliche Drogen vorführen zu lassen. Habe dann 100 Stück gekauft in kleinen Proben, Namen und Gebrauch aufgeschrieben und in eine Blechkiste gepackt, die demnächst nach Bonn abgehen wird. Übrigens war nicht alles reine Volksmedizin; der Mann hatte seine Lubb el-Lubáb auf dem Ladentisch liegen, um sich Zweifelsfällen daraus Rat zu holen.

Nun ist die Sprachgrenze überschritten, wir fahren jetzt denselben Weg zurück, den wir damals gekommen sind. Inzwischen sind die Wege sehr verbessert worden, an der Eisenbahn wird emsig gearbeitet. Übrigens ist neulich der erste Zug von Damaskus über Llyd nach Jerusalem gefahren. Die Strecke bis Birsaba wird bei der kolossalen Energie Meissner Paschas wohl auch bald fertig werden.

Jslahijje war bis vor 60 Jahren ein Aufenthaltsort nomadisierender Kurden. Das wurde anders, als bei einem großen Aufstand Derwisch Pascha hergeschickt wurde und der Ort zu einem gazá gemacht wurde. Derwisch Pascha siedelte die Kurden an und hielt die nicht angesiedelten doch so in Gewalt, daß man aus ihnen rekrutieren konnte. In allerjüngster Zeit, etwa vor 15 Jahren, hat sich in dem Kummernest auch ein Regierungsgebäude, noch später eine Schule erhoben. Jetzt baut man ein beledijje Gebäude. Die Leute leben neuerdings von Ackerbau, während sie bis vor wenigen Jahrzehnten, der alten Gewohnheit treu, lediglich der Viehzucht Aufmerksamkeit schenkten. Jetzt ist auch ein kleiner Markt da, Eigentum des einzigen wohlhabenden Mannes Hadschi Muhammed, wohl auch eigentlich aus kurdischer Familie. Es ist derselbe, der uns damals so gastfrei aufnahm. Türken sind inzwischen auch eine ganze Menge zugewandert, doch bilden den wichtigsten Teil der Bevölkerung die Muhagerín, etwa 100 Familien vor 20 Jahren hergekommen (rúmelí) und etwa 50 Familien Bosnier, vor zwei Jahren hergekommen. Außerdem 30-40 Zigeuner, die sich mit Siebmachen und dgl. Beschäftigen, aber angeblich außer Arabisch und Türkisch keine Sprache verstehen. Um ein wenig à la Stuhlmann zu arbeiten, ließ ich mich in ein Gespräch mit einem Hufschmied ein. Leider hindert mich sehr meine gänzliche Unfähigkeit zu zeichnen; doch will ich’s hinschreiben, so schlecht es auch ist.

(Anmerkung in der Kopie: Hier folgen einige Seiten mit wissenschaftlichen Notizen, die in der Abschrift fortgelassen werden.)

Hasan Begli, 24.5.1915

Von Jutilli nach Hasan Begli. Von Jutilli eine halbe Stunde entfernt liegt Ziugirli. Ich habe es liegen sehen und habe lange gekämpft mit mir, um endlich doch nicht hinzureiten. In Jutilli arbeiten deutsche Ingenieure am Tunnel der Bahn.

Hasan Begli ist ein rein armenisches Dorf, etwa 1000 armenische Familien, 15 Muslime. Die Armenier in der Umgegend von Marasch müssen irgendwas ausgefressen haben, sie werden jetzt ausgetrieben und nach Aleppo geschickt. Uns begegneten ganze Karawanen verbannter armenischer Familien. Auch hier das wundervoll in Feigen- und Maulbeergärten gelegene Hasan Begli ist wie ausgestorben. Hier sollen die Armenier vor 3 Tagen 2 Polizisten erschossen haben. Wie dem auch sein mag, ob man, um innere Feinde zu bekämpfen, gerade bei den Armeniern anfangen muß, ist mir zweifelhaft. Die Kleinen hängt man auf … Der Haß gegen die Armenier ist groß. Wenn der türkische Bauernjunge gerade so alt wird, daß er was lernen und schaffen könnte, wird er Soldat, und bei dem ununterbrochenen Kriegszustand, in dem sich die Türkei befindet, können wir uns jetzt, wo wir Ähnliches bei uns erleben, wohl vorstellen, welche schweren wirtschaftlichen Folgen diese Dauerabwesenheit der arbeitsfähigen Mannschaft haben muß. Was Greise, Frauen und Kinder ersparen können, schicken sie dem Vater und Sohn ins Feld. Etwas besser ist es ja seit der Abschaffung der 8jährigen Dienstzeit Abdul Hamid’s geworden, doch der Übelstand ist immer noch groß, weil der Staat jedes Jahr Krieg führt, sei es gegen den Westen, gegen Jemen, gegen Kurden oder sonst etwas.

Der Armenier sitzt derweil zu Haus, kriegt viele Söhne, jeder macht einen Laden auf und wird dick und reich, während sein gleichaltriger türkischer Nachbar des Sultans Rock trägt. Eine üble Folge des alten Gesetzes. Doch beginnt man jetzt schon, Christen und Juden einzustellen, was im Offizierskorps schon länger der Fall war.

Hasan Begli ist ein Mühlendorf. Es sind an die 18 Mühlen da, aus der ganzen Umgegend läßt man hier mahlen. Die Einrichtung der Mühlen unterscheidet sich nicht von der beschriebenen. Oben Burg aus viereckigen Quader, wohl armenisch.

Vertriebene Armenier auf dem Tauruspaß, 1916
Vertriebene Armenier auf dem Tauruspaß, 191616
Armenische Frauen im Lager, 1916
Armenische Frauen im Lager, 1916

Ma múre, eine Station östlich von Osmanijje, 25.5.1915

Drei Stunden von Adana mit der Bahn. Hier besteigen wir wieder den Zug, um bis Gúlek Bogas zu fahren.

Scheußliche Nachricht von Italien; diese Schweine. Freilich letztlich wohl Schuld unserer vertroddelten Diplomatie. Wie war es möglich, die Stimmung in Italien so schlecht zu kennen, daß der Generalstab bis zum letzten Augenblick mit der Hilfe italienischer Truppen gerechnet hat!! Häßliche Bescheerung!

Eine Stunde nach Hasan Begli sieht man links im Tale eine mächtige Burgruine liegen, von den Eingeborenen teils qaipaq (?) qal’asi, teils sauranda qalasi genannt. Etwas weiter, etwa 25 km vor Osmanijje, kleines Türkendorf unten im Tale: qyzyldere. Etwa 30 Familien, Bauern. Kam an ein Haus, um mir etwas eiran (dünne Sauermilch) geben zu lassen. Natürlich kein männliches Wesen da, vor der Tür die Mutter sitzend, das Kleinste im Arm, noch ein paar hübsche kleine Dinger, das Haar in ein Dutzend Zöpfe geflochten und an einem Halsschmucke arbeitend. Auf einer Wiege eine Schaukel: qynqylyg. Dann kam die Nachbarin mit der Spindel in der Hand um zu sehen, was los wäre. Leider verstanden wir uns recht schlecht, weil mir ihr Bauerntürkisch natürlich ganz fremd war.

Das nächste zu passierende Dorf ist qanly gecit, – so – blutige Furt – genannt, weil der zur Regenzeit stark anschwellende Fluß in alter Zeit, als es noch keine Brücke gab, schon manchen ums Leben gebracht hat. Kleines Türkendorf, 30 Familien. Jetzt ist eine Gendarmeriestation dort und ein kleiner Miniaturmarkt, wo man Essen und Trinken haben kann. Rechts biegt dann der Weg nach Mamúreh (nichts als Eisenbahnstation zu sehen) von dem Weg nach Osmanijje ab.

26.5.1915

Von Mamúreh mit der Bahn nach Adana. Adana ist ein geradezu greulich schmutziges Nest, verrufen als einer der ungesundesten und fieberreichsten Orte in der Türkei. Das Palace

Hotel, in dem wir wohnen, könnte bei uns kaum als Kutscherkneipe passieren. Der guten Schwägerin zu Liebe werde ich, wenn irgend möglich, das American Mission Seminary und die treffliche Miss Wep aufsuchen, mich auch mal sonst erkundigen, was für ein Andenken Christiane hinterlassen hat.

Unter Hasan Begli habe ich vergessen zu bemerken, daß ich mir ein paar armenische Häuser angesehen habe. Sie sind 1 oder 2stöckig, mit Erde und Kies gedeckt, das Dach wird zuweilen mit einer kleinen, ungefähr 1 m langen, 35 cm dicken Steinwalze (juwarlak) festgewalzt. Unterstock: Stallung. Oberstock: Zimmer und Veranda. Eine Treppe führt aufs Dach. Lokus in besonderem Bretterbüdchen in der Nähe des Hauses. In Islahije befindet sich dieser öfters in einem lang abstehenden Arm der Veranda im zweiten Stock, von wo aus die Sache entweder offen herunterfällt oder durch eine senkrechte Bretterröhre in die Grube versenkt wird. Alles andere muß die Photographie erläutern. Grundrißversuch eines 2stöckigen armenischen Hauses in Hasan Begli (erbaut 1909). (Zeichnung vom Kopisten fortgelassen).

Eine vernünftige Beschreibung ist mir dank meines mangelnden Zeichentalentes unmöglich. Fast neben jedem Haus ein kleiner mit Zaun umhegter Platz von 2-3 m Durchmesser für die Ziegen. Irgendwelche vergleichende Beobachtungen mit türkischen Bauernhäusern zu machen, habe ich natürlich nicht entfernt die Zeit, habe Wichtigeres zu tun. All diese Dinge verschwinden ja als Lappalien und Spielereien hinter einem großen Ereignis.

Die Berge rings schön grün, aber leider kein Wald, sondern nur dorniges Eichengestrüpp

(saly), etc. etc.

Auf der Fahrt von Osmanijje nach Adana kommt man an Topsaq Chal vorbei.

Eregli, 30.5.1915

Wieder eine Station weiter. Leider habe ich trotz aller Bemühungen, die Zeit herauszuschlagen, doch nicht mehr Miss Wep und Genossinnen aufsuchen können. Hier ist zwar allerlei Interessantes, teils hettitisches, teils römisches zu sehen, doch habe ich keine Zeit. Ein hiesiger deutscher Ingenieur namens Kern, der dicht am Bahnhof wohnt, versicherte mir, daß die Quelle beim Tschife Han nicht wie bei Baedecker angegeben, 60°C, sondern 65°C heiß sei. In dem hübschen Bosanti haben wir uns Abends wieder den sebek-Tanz und Schwertertanz (kör o in) des 29. Regiments angesehen. Man versicherte mir, daß die Smyrnaer (das Regiment stammt daher) in der Heimat ein besseres Kostüm anlegten: bis zu den Knieen bloß, Dolch und Pistole an einem Leder um den Leib geschnallt etc. Dann tanzen 30 Kerls nach dem Takt türkischer Musik umher. Ich habe bloß 2 Leute gleichzeitig in dem von den Soldaten gebildeten großen Kreis gesehen. Die Arme sind erhoben und mit den Fingern knipsen sie den Takt dazu. Bei zwei Tänzern sind die Bewegungen oft korrespondierend.

Einer trat auf, der wohl eine Art Clown darstellen sollte. Er tappte in komischen plumpen Schritten umher und zog bei jedem seiner großen Schritte neue dumme Fratzen.

Der Schwertanz ist viel lebhafter. Die Kerle springen wild umher, die beiden Schwerter, in diesem Falle Seitengewehre, nach dem Takte der Musik bald über den Kopf, bald unter einem erhobenen Bein zusammenschlagend.

Stambul, Sonnabend darauf

Anbei meine Drogen, Verzeichnis folgt nach und ein paar Broschüren. Wir bleiben jetzt für einige Zeit in Makriköi dicht bei Konstantinopel. Sollte Tschudi irgendwelche Wünsche haben, die ich hier erfüllen könnte, so soll er nur schreiben, ich sitze hier dicht an der Quelle. Die Tücher, in Jerusalem erhandelt, bitte ich gelegentlich meiner Mutter zusenden zu wollen. Die Fahrt mit der anatolischen Bahn verlief ohne weiteren Zwischenfall, zu irgendwelchem Aussteigen war natürlich keine Zeit.

Mit vielen Grüßen Hellmut Ritter.

Adrianopel, 13.6.1915

Seit 5 Tagen hier. Wohnen in einem sehr schönen türkischen Haus in der Nähe der Sultan Selim Moschee, mit Springbrunnen und allem Komfort eingerichtet. Es gefällt mir sehr gut hier, wenn auch das Klima sehr viel heißer ist als in Makriköi.

General Trommer ist Stadtkommandant geworden. Der alte Kommandant, Faiq Pascha, wurde vorgestern an der Hand unserer Musik und einer Ehrenkompagnie abgeleitet. Er hatte sich durch Gerechtigkeit, eine hier nicht durchaus alltägliche Eigenschaft, die Liebe der Bevölkerung erworben, auch besonders gegenüber dem zwar energischen, aber gewalttätigen Wali.

Gestern Besuch bei dem sehr netten österreichischen Konsul, der in Ermangelung eines deutschen Konsuls auch unsere Geschäfte hier mit versieht. Auch er wohnt in einem sehr hübschen türkischen Haus mit großem Garten voller Zitronenbäume, ziemlich einsam – die Europäer wohnen meist in der Vorstadt am Bahnhof Kara Aatsch – mit seiner Frau und einem kleinen Mädel.

Gestern und vorgestern Ritte in die Umgebung, ein paar alte Forts – Karaóz, Aapia und Kyjyk Aapia – angesehen und mit den Offizieren taktischen Besprechungen beigewohnt, z. T. dabei als Dolmetscher tätig.

Ich möchte wohl gern, daß wir einmal längere Zeit hier an diesem Orte blieben.

15.6.1915

In diesen Tagen hat der deutsche Arzt Israel, den man eigens dazu aus Deutschland berufen hatte, dem Sultan mit einer glücklichen Operation zwei Blasensteine entfernt. Zum Dank dafür gab es für die Soldaten 3 Tage und 3 Nächte dienstfrei und Festessen, auch wurden zum Tode verurteile Soldaten begnadigt.

Gestern waren wir bei Turnspielen des 30. Regiments eingeladen. Auf dem schönen Grasplatz hatte man Laubdächer für uns Zuschauer aufgeschlagen. Es war sehr nett. Nach Gesang türkischer Lieder das schon früher beschriebene Zebeknien, dann Tauziehen, Sacklaufen, Schwerttanz und das sehr ulkige kör hebe: Blindekuh. Von zwei Leuten mit verbundenen Augen ist der eine mit einem langen Strick an einen Pfahl angebunden wie ein grasendes Pferd. Mit zwei Steinen in der Hand muß er dem anderen Blinden durch Aneinanderschlagen einen akustischen Hinweis auf seinen Standort geben, der sucht ihn dann mit dem bekannten Tuch im Knoten zu erhaschen. Zum Schluß Ringen à la turka. Die Ringer, nur mit einer kurzen Hose bekleidet und mit Öl klitschig gemacht, schleichen unter zurna und tawul (Flöte und Pauke) Musik sehr spaßig wie zwei Raubtiere umeinander herum, um sich plötzlich erbittert aufeinander zu stürzen, bis ihnen der Atem ausgeht und sie sich zu einem neuen Waffengang erholen. Die Kerle waren zum Teil sehr schöne Gestalten und kämpften mit großem Geschick, beide Male mit unentschiedenem Ausgang. Als Lohn für die Mühe wurde dem besten Ringerpaar je eine Uhr zuteil.

Den Abend und die folgende Nacht waren die Minaretts illuminiert. Ein dreifacher Kranz von Lichtern umkränzte die hohen Türme ein ganz eigenartig schöner Anblick; denn es war leilei berrat, die Nacht der Reception des Propheten. Auch innen sind die Moscheen beleuchtet. Ich war in der mit Recht berühmten Sultan Selim Moschee und habe gestaunt über die Schönheit sowohl des Baues, wie auch des Lichterschmuckes.

Heute ist etwas ganz unerhört Schreckliches passiert: mit der beste Offizier der (deutschen) Militär-Mission ist von seinem Revolver, den er beim plötzlichen Einstieg in den Zug eilig in den Koffer warf in den Kopf getroffen und getötet worden. Entsetzlich, ganz entsetzlich! Der Offizier war 7-8 Jahre Militärattaché in Sofia und Bukarest gewesen, ein Mann von ganz ungewöhnlicher Tüchtigkeit und von großem Einfluß, eine ganz unersetzliche Kraft hier in diesem Lande. Gott weiß, warum der so sterben mußte! (Militärattaché von Leipzig.)

 

244. Hellmut Ritter an C. H. B. Mekriköi bei Stambul, 12.6.1915

(handschriftlich)

Sehr verehrter Herr Professor!

Ich habe schon seit langem nichts mehr aus Deutschland gehört, hauptsächlich wohl deshalb, weil unsere Post versehentlich wieder nach Jerusalem gewandert ist und nun wohl einige Zeit brauchen wird, um wieder heraufzukommen. Ich habe immerhin heute zu meiner großen Freude das von Ihnen geschickte photographische Papier erhalten. Haben Sie vielen Dank dafür. Ich schicke Ihnen wieder allerlei zu. Gekaufte Photographien von Palästina, Lichtbilder17, Zeitungen (darunter die mir scheint’s interessanteste Zeitschrift des Schickulislamrats (arab. Wort), ein paar Broschüren, türkische Grammatiken auf arabisch, diverse Films, eine Liste der in Damaskus gekauften Drogen etc. Vor kurzem ging ein Paket mit Drogen, Tagebuchblättern und seidenen Tüchern ab. In Damaskus wäre auch für meine Arbeit wohl noch viel zu machen gewesen, aber soviel Zeit hat der Dienst nicht abgeworfen. Auch unterwegs habe ich nicht viel mehr erfragen können.

Hier sitze ich in einem entzückenden Strandhaus am Meer. Gerade vor meinem Fenster sieht man die Masten des gesunkenen alten türkischen Bootes Pebegi Doria aus den Fluten ragen. Beinahe mehr Sommerfrische wie Krieg. Doch ist ziemlich unbestimmt, wie lange wir hier bleiben werden. Vielleicht sollen wir einige müde Truppen an den Dardanellen ablösen, vielleicht auch nicht. Die Stimmung ist hier sehr gut. Die türkischen Soldaten schlagen sich nach allgemeinem Urteil vorzüglich. Selbst F.F. Schmidt ist voller Hoffnung. Natürlich geschieht auch hier viel Törichtes, Schmidt weiß da besonders Bescheid, doch hat das nicht viel zu sagen. Munition liefern wir aus eigenen Fabriken, Proviant ist in Mengen da. Allgemeine Opferfreudigkeit. Wohl 10 mal am Tage hält einem ein Knabe oder Mädchen von der mudáfe’ij millije (Nationalverteidigung) eine Sammelbüchse vor, die stets schnell gefüllt ist.

Leider habe ich von meinen beiden Brüdern sehr lange nichts mehr gehört. Gott gebe, daß es ihnen gut geht! Ich schicke ihnen zuweilen von hier aus Zigaretten zu, um ihnen das Dasein zu erleichtern. Ich selbst bedarf ja hier keinerlei Liebesgaben mehr. Mein guter Bruder Gerhardt der Kommißige am Kommiß ist ihm so sauer geworden! Ach, könnte ich die beiden doch einmal schnell besuchen! Aber der Bosporus ist weit weg von da oben …

Wie geht es Ihnen und den Ihrigen?

Mit vielen herzlichen Grüßen Ihr Ihnen getreuer Hellmut Ritter

Bei Oberstleutnant Schwabe.

 

245. Tagebuchberichte von Hellmut Ritter (Nr. 7) Kara Burnu, 3.8.1915

(Maschinenkopie)

Vor drei Tagen in Konstantinopel gewesen, um ein paar Aufträge zu besorgen. Man kommt ganz schnell hin: Über Bojalyk, Boshane, Armantköi nach Beikos am Bosporus, von da mit dem Dampfer der sirketi hairíje nach Stambul. Beikos und Arnantköi sind durch eine glänzende Chaussee verbunden. Von da führt ein fahrbarer Weg, der zum Teil erst jetzt von Soldaten hergestellt wird. Jetzt sind nach allen Seiten brauchbare Verbindungen geschaffen. Freilich geht es gefährlich bergauf bergab, die armen Pferde, die zudem noch von Millionen Fliegen halbtot gestochen werden, haben schwere Arbeit zu leisten. Die Landschaft selbst ist sehr schön, alle Berge mit grünen Wäldern bedeckt. Freilich stellt sich bei näherer Besichtigung heraus, daß der so verlockende Wald nur aus halbwüchsigem, ungepflegtem Gestrüpp

besteht, das nur selten einem schönen schattigen Baumplatz, wo man sitzen und sich an der Natur laben kann, Raum gibt. Die Dörfer selbst liegen wunderschön. Arnautköi, wie der Name sagt, ursprünglich von Albanern bewohnt, die aber nach dem griechischen Krieg Griechen Platz machen mußten, liegt wunderschön auf einem Berghange, ist aber gänzlich verödet, da die Griechen natürlich vertrieben sind dank der bekannten panislamischen Politik, die jetzt getrieben wird. Nur ein paar Mohadjirs sind anzutreffen, die aus den verschiedensten Gegenden herkommen, sie haben von der Regierung aber auch keine Ackerflur angewiesen bekommen. Boshane, 50 Familien, dicht bei Urmudje (30 Familien) und Göllik’i sind rein türkisch. In Boshane und Gölliköi gibt’s übrigens sehr schöne Melonen. Im übrigen lebt die Bevölkerung von Holzkohlenbrennerei.

In dem Dorfkaffee, wo ich den Pferden etwas Rast gönnte, wurde ich wie üblich, mit allen Ehrenbezeugungen empfangen. Alles wartete auf gute Nachricht, die ich ihnen zu ihrer Freude auch bringen konnte. Ein Transportdampfer ist ja in diesen Tagen von uns versenkt worden. Meinen Tesfir i Efkiar mußte ich einem Bauern schenken in Gölliköi, der samt seinen Frauen sehr glücklich darüber war.

Mit den Ortsnamen ist es hier ganz sonderbar. Die ersten deutschen Kartographen, auf deren Arbeit die türkische Generalstabskarte beruht, haben sich offenbar oft verhört; aber die nun einmal in den Karten stehenden Namen erben sich im offiziellen Verkehr wie eine ewige Krankheit fort, werden vom Militär usw. gebraucht, bis schließlich die Einwohner selbst sich an den anderen Namen gewöhnen.

Boshane heißt im Ort selbst Bosháli (weil es früher sehr leer da gewesen sein). Urumdje heißt Örúndje (Eski zemande umhárebe iken di smen Örundje gibi qacmis). Ebenso Riwa am Schwarzen Meer eigentlich Jrwa.

Heute zwei russische Torpedos gesehen!

5.8.1915

Aufbruch über Skutari, Mittagsrast in Ermeniká. Soll jetzt, nachdem kein halber Armenier mehr da ist, in Abiudar umgetauft werden. Von den Armeniern wird nicht mehr viel übrig bleiben, welche wirtschaftlich kurzsichtige Politik! Die Arbeitslöhne für den ungelernten Arbeiter betragen jetzt 17 P.S. pro Tag. Was soll das nach dem Krieg werden! Die wirtschaftlichen Aussichten sind auch sonst trübe genug. Ein deutscher Unternehmer war im Taurus, ob man an den Wasserfällen eine Spinnerei machen könnte. Er kam enttäuscht zurück: Wasserkraft genug, aber keine Menschen.

In demselben Ort einen Waldhüter Schálím gesprochen über die Einteilung und Verwaltung der großen Waldungen zwischen Bosporus und Schwarzem Meer, war aber so töricht, nichts davon aufzuschreiben. Am Abend kamen wir nach Ömerli, Bauern- und Kohlenbrennerdorf, am andern Tag nach Bojalyk. In Boyalyk stehen nur ein paar verfallene Hütten, der Rest des früheren Tschiftliks. Nach einigen Tagen beschloß man die Übersiedlung nach der Rettungsstation Kara Burnu, wo wir gestern eintrafen (28. Juli türkisch). Diese Rettungsstation ist nach Angabe ihres jetzigen Wächters, Hafus Onbaschi, vor 35 Jahren aus den Geldern von 8 Mächten errichtet wurden. Als Lehrer und Instrukteur

Hat ein vor zwei Jahren gestorbener Engländer hier gewirkt. Ebenso ist die Verwaltung der Bezahlung der Besatzung bisher dem englischen Konsul in Stambul übertragen gewesen. Als der Krieg ausbrach, hörte die Besoldung auf, bis Enver nach einem Besuch hier die Sache wieder regelte. Die Leute werden bezahlt aus dem Bojengeld im Stambuler Hafen. Daß bei den Engländern nicht rein humane Motive wirksam waren, scheint sehr wahrscheinlich. Von hier aus kann man die ganze Küste von Gelara Burnu bis Schile übersehen. Schile scheint mir eine ganz interessante Stadt zu sein, hoffentlich findet sich mal Gelegenheit, sie näher zu betrachten.

Hier an der Küste fahren die verschiedensten Schiffe vorbei, gestern z. B. die Hamidijje, manchmal auch feindliche U-Boote. Zuweilen wird die Küste bombardiert. Neulich erging es so einer der internationalen Rettungsstationen. Sofort gab es einen Protest durch Amerika! Die Rettungshäuser seien internationales Gut, nicht türkisches. Der Russe antwortete prompt, sie hätten gar nicht auf die Rettungsstation geschossen, sondern nur auf türkische Soldaten, die darauf gewesen wären.

 

246. Hellmut Ritter. Marsch des Divisionsstabes (im Juli 1915). Übersicht seit Jerusalem

(Maschinenkopie)

Mai 10. ( n.St.) Abmarschbefehl eingetroffen.
13. Nabulus
16. Nabulus – Damaskus
17. Ankunft Damaskus morgens 10 h
19. Damaskus-Rajak
20. Rajak – Aleppo

21. Ankunft Aleppo morgens, nachmittags 4 h ab nach Radju
22. 1 h Ankunft Radju. Marsch nach Tahta Kopru im Amanus
23. Tahta Kopru – Jslahijje
24. Jslahijje – Hasan Begli
25. Hasan Begli – Ma’mure
26. Mit der Eisenbahn Ma’mure – Gülek
28. Marsch Gülek – Mezaroluk im Taurus
29. Mezaroluk – Bosenti
Juni 01. Bosenti – Eregli (Eisenbahn)
03. Eregli – Konia
04. Konia – Eskischehir. Abfahrt nach Handa Pascha
05. Ankunft in Handa Pascha
06. Ankunft Makrikör
19. Abfahrt nach Adrianopel
20. Ankunft in Adrianopel
Juli 10. Abmarsch nach Uzun Kopru
11. Ankunft in Uzun Kopru
12. Uzun Kopru – Karabunar
13. Karabunar –Jerli Su
15. Abmarsch
16. Eksamil
17. Am Meer vor Gallipoli
18. Bazarli – Jalova
19 Jalova Umkehr
20. Bei Gallipoli
21. vor Examil genächtigt, Mittagsrast in Kawakkör
22. Mittagsrast in (?), Nacht in Kawadjyk)
23. Fahrt über Uzunkopru (dort Eisenbahn bestiegen) nach Stambul.

 

247. Tagebuch Hellmut Ritters Keschan, 14.7.1915

(Maschinenkopie)

Auf dem Marsche von Adrianopel nach Sidd ül Bahr. Erste Station war Uzunkopru. Die lange Brücke führt über das Ergene auju, im Sommer ein kleiner Bach, im Winter aber füllt er das ganze, sehr breite Tal an, durch das er fließt. Auf Pfählen im Wasser stehen Mühlen. Unten im Wasser tauchen die unterschlächtig getriebenen Mühlräder mit horizontaler Axe, darüber die Mühlsteine. Auch hier hat jeder Stein ein besonderes Rad, sodaß man unten sechs Mühlräder nebeneinander sieht.

Wenn man von der Station über die Brücke geht, ist gleich linkt eine Inschrift, die ich nicht gelesen habe; die eigentliche Bauinschrift befindet sich im Eingang des Ortes jenseits der Brücke links am Weg an einer Quelle. (Einige Zeilen in türkischer Schrift).

Eine türkische kleine Inschrift an der Seite besagt, daß die Brücke 164 „Augen“ habe. Vor einigen Jahren ist ein Teil der Brücke repariert; eine Inschrift dazu ist am Stadtende der Brücke.

Der genannte Brunnen steht an der Ecke eines kleinen, zur Polizei gehörenden Gartens. Darin ist eine türbe des Baumeisters der Brücke: Bali baba. In das kleine, ziemlich neue Häuschen ist eine verkehrte Grabinschrift eingemauert, die den Tod einer „Amina bint Qaja Bali elanqa“ 1017 meldet.

Qara. Nächste Station.

Bunar, Griechendorf, ebenso wenig los, wie in dem nächsten Pasch jejit. Dort wie auch hier Massen von Windmühlen, alle einsternig, immer i n ganzen Mengen zu 8-9 nebeneinander.

Dann Keschan, Kaimmakanlyk. Sehr hoch gelegen, viel zerstörte Häuser vom Franktireurkrieg mit den Armeniern und den Griechen im Balkankrieg. Die Dörfer, die ich gesehen habe, sind alle griechisch. Nur Frauen da, die Männer fort, verbannt und geflohen. Jetzt hat man eine Frist von etwa 25 Tagen gewährt; wer innerhalb derselben zurückkommt, hat Amnestie, muß aber Straßenbauen helfen, bis der Krieg vorbei ist.

Kawakköi, 21.7.1915

Um diese Überschrift zu rechtfertigen, muß ich vorausnehmen, daß wir einen Tagesmarsch vor Erreichung des Zieles Sidd ül Bahr plötzlich wieder den Wanderstab ergreifen mußten, um – nach Stambul zurückzukehren; diesmal freilich nicht die 10. Division, sondern nur der Oberstleutnant, Schwindt, Raschad und ich. Schon in Adrianopel hatte der Oberstleutnant um Ablösung gebeten, da mit dem wunderlichen Korpskommandeur, Generalmajor Trommer, kein rechtes Verhältnis zu erreichen war. Als wir in Jalova (zwei Tagesmärsche südwestlich von Gallipoli) anlangten, kam die Nachricht, daß der Oberstleutnant zur I. Armee versetzt sei. So gehen wir denn denselben Weg zurück, den wir gekommen sind.

Um doch wenigstens etwas von der Front zu sehen, sind wir aber doch noch nach Ari Burnu geritten und haben uns die dortigen Stellungen angesehen. Durch ein ganzes Dorf von wunderschön angelegten Unterständen, Laufgräben, Erdhäusern, die, gedielt und mit allem möglichen Komfort versehen, einen sehr wohnlichen Eindruck machen, gelangte man zum Scheren-fernrohr, von dem aus wir mit Erlaubnis des Gruppenkommandeurs, Generalleutnant As ad Pascha, die ganze Sache bequem übersehen konnten:

Dicht am Ufer ein englisches Lazarettschiff, etwas ferner Kriegsschiffe verschiedener Art. Der Feind hält eine Stellung von etwa 3-4 km Länge in einer Entfernung vom Ufer von etwa 1 km besetzt.18 Hart dagegen die Türken. Es ist ein richtiger Stellungskampf geworden. Die Gräben liegen zum Teil nur fünf Meter auseinander. Alle beherrschenden Hügel sind in türkischer Hand. Leider mangelt es an Munition und schwerem Geschütz; es wird leider mehr verschossen, als hier hergestellt werden kann. Balkanpolitik!! Wenn nur ein deutsches Fußartille-rieregiment da wäre, würde die Sache in wenigen Stunden erledigt sein. So das allgemeine Urteil. Eine Haubitze ist da, doch hat sie keine Munition. Haltung der Truppen etc, Lage der Stellung usw. musterhaft, doch sind mehrere türkische Forcierungsversuche aus den oben erwähnten Gründen blutig gescheitert. Freilich ist von irgendwelchem Vordringen des Feindes keine Rede. Auch auf der Südgruppe bei Sidd ül Bah sollen sich die Engländer durchaus in der Defensive befinden.

Die Halbinsel ist stellenweise mit Kiefern bewaldet. Die Dörfer sind schon vom Balkankrieg her ziemlich zerstört, doch ab und zu tragen auch noch die Engländer zur Verschönerung der Gegend durch eifriges Kanonenschießen bei. Vorigen Freitag haben sie in Eksamil einiges in Brand geschossen. Nur noch ein paar türkische Bauern findet man in den wüsten Dörfern, zumeist damit beschäftigt, mit dem Schlitten Getreide zu dreschen.

Noch am Abend zogen wir weiter am Golf vorbei das Gebirge hinauf. Oben Nachtrast auf einem sehr hübschen Platze an der gänzlich zerstörten griechischen Kirche, deren Inneres, mit zahlreichen Bildern geschmückt, einmal einen sehr bunten Anblick gewährt haben muß. Nachmittags weiter bis Keschan. Dort noch am Abend Pferd beschlagen und in der Militärreparaturwerkstatt unsere leider sehr brüchigen Wagen notdürftig flicken lassen, auch auf dem Markt Eßwaren eingekauft. Morgens (23.7.) weiter nach Qarabunar und abends nach

Qawadjy, griechisches kleines Dorf mit schönem, von vierköpfiger Familie bewohntes Storchennest, im Hintergrund ein cumulusförmiger Hügel, mit griechischen Grabsteinen bedeckt. Die vom Stab mitgenommenen Leute kriegen heute Abend Abschiedsessen und, so uns die drei bisher noch nicht zerbrochenen Wagen erhalten bleiben, werden wir morgen in Uzunköprü einsteigen.

Am Morgen nach Uzunköprü, Verladung, andern Tages früh Ankunft in Stambul

Stambul, 27.7.1915

Wir sollen also in die Gegend des Schwarzen Meeres, Genaueres weiß ich nicht. Ein paar Tage bleiben wir hier. Leider noch immer keine Post, bloß ein W(ochen?)blatt. Von Professor Becker solange keine Nachricht, daß ich die Tagebuchblätter lieber nach Hause schicke.

Dieser Tage wütet ein zweiter fürchterlicher Großbrand, der Tausende von Familien obdachlos macht. Alle innen liegenden Straßen sind mit gerettetem Hausgerät angefüllt. So große Brände habe ich sonst nur in Belgien gesehen: Ihr habt sicher so etwas niemals gesehen, ca. 15 000 Leute sind obdachlos. Doch macht das Ereignis hier kaum irgendwelchen Eindruck. Ich habe keine einzige Träne gesehen; man ist an diese häufigen Brände so gewöhnt.

Hier ist Ramanzan19. Es ist aber rein gar nichts los. Der Krieg und der(sic!) Kino hat die früheren interessanten Volksbelustigungen in den Ramasannächten gänzlich verdrängt.

1.8.1915

Gestern in türkischen Theatern gewesen. „Leblebigi Chordor Agha“, ein älteres nationales Stück, das erste Theaterstück, was in der Türkei gespielt worden sein soll: Ein Pascha liebt ein Mädchen. Der Vater, Früchtehändler, will sie ihm nicht geben, weil er sie einem Dörfler zugesagt hat: Ein Anatolier bricht sein Wort nicht. Das ganze Stück dreht sich um die Erlangung der väterlichen Zustimmung, die natürlich zum Schluß gewährt wird. Spiel gut, besonders die Titelrolle, das unbewegliche Bauerngesicht mit wenig Geste.

Heute Abend Ramasan in Aja Sofia angesehen.

3.8.1915

Heute wieder im Theater: Dejirmendji Ali Baba. Diese von Benlian geleitete Schauspielertruppe leistet doch ganz Nettes, vor allem spielt Benlian selbst recht gut. Die Sache beginnt mir doch interessant zu werden, denn es läßt sich eine Menge Volkskunst daraus lernen. Ganz abgesehen von dem Inhalt des Stückes sind die alten Nationalkostüme, die öfters eingelegten Nationaltänze und Volkslieder interessant, die ganz nach türkischen Weisen getanzt und gesungen werden. Doch auch sonst kann man ein gutes Stück orientalischen Lebens dort im Abbild sehen. Die steifen und auf den Stelzen des Jgrab spazierenden Sachen in Damaskus bieten in dieser Beziehung ja nichts:

Der Müller hat eine schlimme Frau und eine hübsche Tochter, die einen Bey in der Stadt liebt.

Soweit die Exposition.

  1. Szene: Nach einem Tanzspiel der Müllerburschen mit allerhand Mädchen am Feierabend, das aber von dem Müller bald auseinandergejagt wird, zeigt der Müller seiner Frau ein Bündel schöner Anzüge, die er für seinen Schwiegersohn, einen Dörfler, dem er eben die Tochter zugesagt hat, gekauft hat. Die Mutter, die zur Tochter hält, macht darauf eine große Szene: sie wolle ihr Kind keinem Bauern geben etc. Sehr niedliche Zankszene, bei der sie ihn zuletzt verprügelt, den herbeieilenden Leuten aber einzureden weiß, daß er sie verprügelt habe, sodaß er gar noch ihr die Hand küssen muß. Während die Eltern reden, nimmt die Tochter, die das Gespräch belauscht hat, heimlich die Anzüge weg. Als man sie nachher nicht findet, schreit die Mutter, der Teufel habe sie geholt, bindet einen Knoten in das leer daliegende Tuch, „um des Bösen Auge zu binden“, und die beiden Alten schwenken das Tuch unter allerhand Sprüchen hin und her, bis plötzlich der wahre Satan erkannt wird.
  2. Szene: Der städtische Freier macht seinen Besuch bei den Alten, während dessen die Tochter ihm heimlich Kußhände zuwirft, die er durch andauernde Grüße dem darüber sehr verwunderten Alten gegenüber erwidert. Auch sein ganzer Redeschwall ist so gedreht, daß der Müller zur Not eine Geschichte mit einem Mehrsack (?) heraushören kann, in Wirklichkeit redet er mit dem Mädchen. Endlich kommt der Alte dahinter, wird wütend, und als der Bey nun gar noch mit seiner Werbung herausrückt, wirft er ihn hinaus. Kaum ist er weg, da kommen Mutter und Tochter und machen ihm eine große Szene, sie würde ins Wasser gehen etc.
  3. Szene: Im Lager des Sebeks. Wer die Sebeks sind, wird wahrscheinlich jeder Türkologe wissen; ich wußte es nicht und mußte folgendes aus meinem Rittmeister herauspressen: Die Sebeks – der Name der Häuptlinge und Führer ist Efeh – sind eine Räuberbande, die in den Bergen des Wilajets Aidyn bis vor nicht allzu ferner Zeit ihr Wesen trieben. Sie tragen eine besondere Tracht: Hohe rote Mütze mit Turban umwunden, die kurze türkische Jacke, einen breiten Gürtel aus Leder, in dem ein Schwert steckt, ganz kurze Hosen, bloße Kniee und Wadenstrümpfe. Von ihnen stammt das Sebek oinú, das heute noch getanzt wird. Ich habe es ja mehrfach von unseren Smyrnaer Soldaten gesehen und schon öfters erwähnt. Ein besonders berühmter Räuberhauptmann vor 2-3 Jahren hieß Tschakydschy (Messerheld). Mehr war vorläufig aus meinem Rittmeister nicht herauszubringen. – In das Lager dieser Leute also, wo übrigens der bewußte Tanz sehr schön gezeigt wurde, begibt sich der Effendi, um Hilfe in seiner Angelegenheit zu suchen, die ihm auch versprochen wird. Eins ihrer Weiber geht als fáldjy zum Alten und weissagt ihm, daß er selbst seine Tochter einem Städter in die Hand geben werde und gibt ihm dann unter irgendeinem Vorwand, den ich nicht verstanden habe, Haschisch zu rauchen. Die Wirkung wurde wundervoll gespielt, wie der Mann mit dem Taschentuch einen halben Meter vor seinem Gesicht sich die Nase putzen will etc.- Halt! Vorher der Besuch des Muhtar bei Alten, auch sehr schön gespielt mit allem dazu gehörigen Bauernzeremoniell, dessen Zweck die Botschaft von dem Bauernbräutigam ist, daß er auf das Mädchen verzichte, da ihr Verhältnis zu einem gewissen Städter auf allen Gassen bekannt sei. Der ehrenhafte Alte bricht zusammen und weiß sich nicht zu helfen. In diesem sehr passenden Moment kommt die Wahrsagerin, wie beschrieben. Während der Alte im Rausche schläft, rücken Mutter und Tochter aus, die Räuberbande umstellt ihn und beginnt – wie sie dazu kommt, ist mir entgangen – ihm zu erzählen, wie luderhaft seine Tochter lebe und daß kein Mensch mehr sie ihm abnehmen werde. Wenn er einen Rat annehmen wolle, so solle er schnell aus ihrer Reihe einen Freier aussuchen. Der Alte sagt in seiner Verzweiflung zu allem ja und gerät natürlich gerade an den Städter, der sich als Sebek verkleidet hat. Nach geschehener Tat erkennt er ihn entsetzt, weiß sich aber dann in sein geweissagtes Schicksal zu fügen, fordert zum Schluß die Räuber auf, ihm noch einen schönen Tanz zu zeigen, damit er alles vergesse. (Dieser Übergang à la Molière?)

Natürlich ist für den Orientalisten das Interessante nicht so sehr die Handlung selbst, als die Form, in der sie vor sich geht, die eben so viel Lehrreiches enthält. Leider kann ich nur notdürftig dem Türkisch folgen. Vielleicht kommt einmal die Zeit, in der man das Meiste versteht.

 

248. Hellmut Ritter an C. H. B. Stambul, 28.7.1915

(handschriftlich)

Hochverehrter Herr Professor,

Sie wissen wohl bereits, daß wir von Jerusalem nach Makriköi, von dort nach Adrianopel, von dort nach Sidd ul bahr, von dort nach Konstantinopel gewandert sind, um demnächst uns an das Schwarze Meer zu begeben. Durch dieses dauernde Reisen sind natürlich alle Briefe sehr versetzt in meine Hände gelangt. Erst heute erhielt ich Ihren Brief vom 12. Mai! Ihr Telegramm habe ich schon früher bekommen.

Das Feld zum Lernen ist für mich hier nicht sehr weit. Des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr läßt mich über den engen Kreis meiner militärischen Umwelt nur selten hinaussehen.. Da ich außerdem durchaus zu den „Kleinen in Juda“ dahier gehöre, ist es mir sogar meist versagt, an Gesprächen der Großen teilzunehmen, die mich sehr belehren könnten. Sie werden aus meinen Tagebuchblättern selbst entnehmen, worauf sich meine Beobachtung zumeist beschränken muß.

Über die militärische Situation berichten meine letzten Tagebuchblätter, die Ihnen meine Eltern gewiß zusenden werden. Wenn nur das A.A. etwas weniger „Missionen“ schickte und dafür bessere Balkanpolitik machte, damit wir Munition durchkriegen! Denn was nützt alle Tapferkeit allein!!

Vorgestern traf ich hier Lepsius, der auch glücklich eine geheime Mission erreicht hat.

Sie schreiben, daß man die Türkei selbst gegen deutsches Kapital schützen wolle, wenn man nur nicht zu rücksichtsvoll ist!. Nach dem momentanen Stand meines Unterrichtsseins muß ich sagen, daß man sich in jedem Fall hüten muß eine Schlange großzuziehen. Ich fürchte überhaupt, auch mit Beziehung auf anderes als die Türken, daß wir alles, was wir nicht mit eiserner Faust festhalten, militärisch festhalten, unserer Hand gar bald entschlüpfen wird, ohne daß wir einen annehmbaren Preis dafür bekommen.

Daß man jetzt schon öffentlich von einer Freigebung Belgiens spricht, wird unseren Feinden den Rücken stärken. Ich bin außer mir darüber. Schon jetzt gibt man unser bestes Druckmittel aus der Hand!

Ehe nicht England gänzlich drunten liegt, und da zu bewerkstelligen wird vielleicht doch einem zweiten punischen Krieg vorbehalten sein – ist es ein unverantwortlicher Leichtsinn, Belgien freizugeben. Wenn dieser Krieg zu Ende ist, ist der Krieg noch nicht zu Ende. Von einem zentralafrikanischen Reich zu träumen, ist vielleicht in 30 Jahren Zeit. Für schöne Friedenspläne ist nach Beendigung dieses Krieges m.E. noch nicht die Zeit gekommen. Dann sind wir noch lange nicht soweit.

Doch lasse ich lieber diese Dinge und zurück zur Türkei.

Je tiefer man hineinsieht in die Verhältnisse dieses Landes, desto klarer wird es einem, daß man die Fähigkeit der Türken zu eigener selbständiger Vorwärtsentwicklung nicht tief genug einschätzen kann. Hoffentlich richtet Jäckh nicht zuviel Unheil an! Ein Bündnis mit der Türkei! Die ist überhaupt nicht bündnisfähig für uns. Das Verhältnis eines zivilisierten Volkes zu einem halb- oder drittelzivilisierten Volkes kann niemals ein „Bündnis“ sein. Nichts schlimmer und gar (unleserlich) verkehrter als die Türken gewissermaßen als ebenbürtig zu behandeln. Nur dann kann aus der Türkei was werden, wenn man bei ihr fortwährend Empfindun-gen wachruft: Du bist ein dummer Junge. Die Leute sind so entsetzlich schnell mit sich zufrieden.

Es sind hier also wieder die schönsten Armenier massacres gewesen. Eine armenische Verschwörung, über das ganze Reich verbreitet, ist entdeckt worden. Im Irak haben die Kerls türkische Kolonnen beschossen. Die Strafe fing an mit Aufhängen der Rädelsführer und „Umsiedelung“ der Familien, d. h. sie wurden von Haus und Hof gejagt und ihre Habe „auf ihre Rechnung“ versteigert. Dann überließ man den kurdischen Stämmen die Nachbehandlung, die unter Zulassung der Behörden dieses in einer reichlich gründlichen Weise besorgten, Tausende von Frauen und Kindern zusammengebunden in den Euphrat warfen und keine Maus am Leben ließen (Photographien sind da). Ein paar deutsche Schwestern baten sich vom Mutesavuf wenigstens die Kinder aus. Das wurde sofort gewährt, aber nach wenigen Tagen waren die Kinder plötzlich verschwunden, die Damen reisten entsetzt nach Konstantinopel und waren nur schwer zu bewegen, keine großen Szenen zu machen. Natürlich werden diese Gewalttaten unserer „Verbündeten“ einst uns zur Last gelegt werden. Kompromittieren wir uns nicht mit solchen Dingen!

Quelle für die Geschichte Schmidt und ein Dr. Hoffmann. Letzterer hat die Photographien gesehen die ein Bekannter von ihm gemacht hat.

Meine Dissertationsfrage ist freilich sehr betrüblich. Mit wäre es freilich sehr lieb, den Dr.titel mit gutem Gewissen recht bald tragen zu können. Als „Herr Ritter“ bin ich nichts, als Dr. Ritter ein wenig. Aber freilich ist durchaus maßgebend, ob Sie, sehr verehrter Herr Professor, die Sache ohne allzugroßen Zeit- und Arbeitsaufwand einrichten könnten. In jedem Falle bin ich Ihnen aufs höchste und herzlichste dankbar für alle Sorge und Mühe, die Sie mit dieser Sache haben und schon gehabt haben.

Anbei wieder ein paar Photographien. Sie werden immer häßlicher, weil die Films alt geworden sind.

Mit der Bitte um herzliche Grüße an Ihre Frau Gemahlin und die Kinder bin ich Ihr Ihnen dankbar ergebener Hellmut Ritter.

 

249. Hellmut Ritter an C. H. B. Pera, 30.7.1915

(handschriftlich)

Sehr verehrter, lieber Herr Professor,

Heute erhielt ich Ihren Brief vom 17. Juni, nicht aber den darin erwähnten langen vom 16. Juni. Eben erhielt ich Ihre mudabara mit Snouck, die ich mit größtem Interesse gelesen habe. Sie nehmen ihn wundervoll psychologisch, so kann und muß man ihn ja wohl verstehen. Die Motive, die hier unsere Truppen treiben sind durchaus Nationalgefühl und Vaterlandsliebe, freilich spricht beim „gemeinen Mann“ eine religiöse Strömung mit, die z.T. (am Kanal zur Zeit) durch aufrührende Bataillonsmesse während der Schlacht sehr günstig verstärkt werden kann. Wir haben ein recht schönes Beispiel davon.

In einer der übersandten türkischen Broschüren wird als Beispiel einer islamunterdrückenden Großmacht auch Holland genannt. Einige Zeit später las ich in einer türkischen Zeitung eine Erklärung, daß dieser Passus als ein Versehen zu betrachten sei. Leider habe ich die Nummer nicht aufgehoben.

Daß die Gründung von Munitionsfabriken verfehlt sei, ist mir nicht bekannt. Ich wüßte nicht, was wir ohne die von ihnen hergestellte nach dem Urteil unserer Offiziere einwandfreie Munition machen sollten. Leider ist wahr, daß sie den Bedarf (infolge des Mangels an Maschinenmaterial glaube ich) nicht gänzlich decken können. Wenn also unser A.A. weiter solche Niederlagen in Rumänien erleidet, kann man ein Rechenexempel machen… Erkennt man denn die Wichtigkeit der Dardanellenhaltung nicht d oben? Die dürftigen Missionen und Missiönchen, die dauernd geschickt werden, können die sträfliche Nachlässigkeit unseres Bukarester Vertreters nicht wett machen. Hier wird, weiß Gott, genug gearbeitet.

Übrigens will ich noch einmal umhören wegen der Munitionsfabriken, ob irgend etwas los ist, ich weiß einstweilen von nichts.

Unsere Postverbindung wird sich verschlechtern, in Schile am Schwarzen Meer ist man ziemlich aller Kultur entrückt.

In den nächsten Tagen gehen wir fort, ich muß also den Bücherankauf einstweilen anstehen lassen. Für das Türkische hätte ich gern eine etwas nähere Bestimmung. Außer Evlija alte Historiker, alte Dichter, oder jüngere politisch-historische Sachen und belletristische „Moderne“? Sobald ich Zeit habe, will ich mir mal was zusammenstellen. Einige grundlegende ältere Sachen könnte eigentlich Tschudi nennen, denn da fürchte ich mich etwas vor Mißgriffen.

Daß ich den Kreditbrief erhalten habe, glaubte ich Ihnen schon geschrieben zu haben. Bis jetzt habe ich keinen Gebrauch davon zu machen brauchen, es kann aber jederzeit der Augenblick eintreten, daß mich das nach Haus geschickte ersparte Geld reut und ich auf diesem Wege es wieder zurückhole.

Über die Armeniermetzeleien berichten Tagebuchblätter, die ich vor Kurzem nach Haus geschickt habe, und die man Ihnen von dort zusenden wird. Haben Sie meinen aftár Laden inzwischen erhalten? Mit besten Grüßen Ihr Ihnen stets ergebener Ritter

 

250. Hellmut Ritter an C. H. B. Konstantinopel, 1.8.1915

Hotel Tokatlian

(handschriftlich)

Lieber Herr Professor,

der eine Tag in Konstantinopel, um Einkäufe zu machen und dann nach Kara Burnu, über Beikos und die schönen Wälder bei Arkanköi, zurückzufahren. Habe heute Evlija für Ihr Seminar für ein Pfund türkisch gekauft und abgesandt.

Habe mich außerdem von Lepsius verabschiedet, sein Sohn, den ich so sehr gut geschätzt habe, ist am 20. Juli auch gefallen. Er tut mir unendlich leid.

Lepsius war gekommen, um sich über die Armeniermassakres zu instruieren, und reist entsetzt ab, da alle Befürchtungen und Missionarsberichte weit übertroffen sind.. Die Deutsche Bank hat aus Dresden einen Beamten, Herrn Schneider, geschickt, der von der Millionenerwartung der Deutschen Bank, die durch die Metzeleien gefährdet sind, einiges zu retten versuchen solle. Daß unsere Diplomatie versagt, ist selbstverständlich. Prinz Hohenlohe soll eine Note überreicht haben, aber alle Vorstellungen wurden mit zynischem Lächeln beantwortet. Enver soll gesagt haben: Ich weiß, daß wir uns 10 Jahre wirtschaftlich zurückbringen, aber der innere Feind muß ausgerottet werden. Für die rachsinnige Art und Weise der Hinmordung gibt es keine Entschuldigung.

Daß die Sache nicht religiösem Fanatismus zuzuschreiben sei, wird mir in Zukunft niemand mehr weis machen. Man braucht geradezu den Fanatismus, um diesen „Djihád“ zu entfesseln. Es ist eine Art innertürkischer Panislamismus, für die es nur in Rußland Parallelen, aber hingegen harmlose Parallelen gibt. Daß auch wir Deutsche hier nur die Mohren sind, die, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan haben, gehen können, scheint mir immer deutlicher, nicht am wenigstens aus dem, was ich aus meinem ziemlich intimen Verkehr mit türkischen Offizieren lerne. Daß man in allen Zeitungen aus Berichten peinlichst vermeidet, unsere Mithilfe hierselbst auch nur mit einem Wort zu erwähnen, scheint nur ein Symptom zu sein. Gott bewahre uns vor Illusionen!

Daß übrigens der jetzige Djihad ein Djihad „alla franca“ ist, vernahm ich neulich auch aus dem Munde eines türkischen Offiziers.

Ihre beiden Schriften gegen Snouck habe ich mit großem Interesse und innerlichem Beifall gelesen. Nur meine Äußerungen sind nicht ganz so verwertet, wie sie eigentlich gemeint waren. Das türkische Landvolk führt mit diesem Kriege nicht ein Djihad, sondern einen politischen Krieg ihrer von ihnen geliebten Nation gegen feindliche Nationen. Nicht, daß man den Djihad als Krieg gegen England usw. auffaßt, von Djihad ist überhaupt keine Rede Djihad gibt es vielleicht, wenn man Armenier abwürgt.- Doch beweist das natürlich nichts gegen Ihre These, daß Deutschland zu diesem Schritt berechtigt war. Wie weit er geglückt ist, ist eine andere Frage.

Übrigens schreibe ich hier alles nicht etwa unter dem Einfluß von Lepsius, mit dem ich außer über persönliche Dinge nie ein Wort gewechselt habe.

In Eile Ihr Ihnen sehr ergebener H.Ritter.

 

251. Hellmut Ritter. Bericht Nr. 8 Karaburnu, 29.8.1915

(Maschinenkopie)

Gestern hoher Besuch: von der Goltz hat hier geschlafen und gegessen. Er hat auf mich einen sehr großen Eindruck gemacht. Noch jetzt in seinem Greisenalter setzt der Reichtum seines Wissens, seiner Interessen in Erstaunen. Er ist sehr unterhaltsam und erzählt immerzu Erlebnisse und Geschichten. Heute Morgen ist er nach Kawak geritten, um von dort mit der Musch nach Stambul zurückzufahren.

Wir sprachen bei Tisch über die Urheber dieses Krieges. Er meinte treffend, die wahnsinnigen Vorstellungen von Deutschland, die man in feindlichen und neutralen Staaten hätte, wären zum großen Teil auf das Berliner Tageblatt zurückzuführen; denn eben das Zerrbild von Preußen als eines veralteten Militär- und Polizeistaates, der in die moderne Kultur nicht hineinpasse und dessen Aufhören einen Fortschritt in der Kultur bedeute, sei eben das, was die Ausländer täglich in dem in allen Weltteilen verbreiteten Berliner Tageblatt zu lesen bekämen.

30.8.1915

Freier Vormittag. Köstlicher Genuß. In der sandigen Landestelle östlich von Karaburnu, wo die zu Dumali gehörigen Schiffe liegen, ein herrliches Meerbad genommen. Das Wasser war heute so klar wie die blaue Luft, und während ich mich im Wasser ergötzte und den Blick an dem weit um Umkreis sich breitenden Meere weiden ließ, bot sich bald ein unendlich malerisches Bild dar. Halbnackte Fischer ließe einen großen Kutter, die Jnajeti chuda des Schiffes Hamsa aus Dumali mit Kohlen beladen ins Meer hinunter, um dann die Reise nach Stambul anzutreten. Von einer Trosse (jomma) im Block (maqara) nach und nach losgeschlagen, gleitet das Schiff auf Holzschwellen (felenk), die mit kurzen Holblöcken unterlegt sind, ins Meer herab. Eine dicke Kette nannten sie pandera. Kaum ist es unten, so stürzen sich die Kerls ins Meer, um schwimmend die mitgerissenen felenks zu erhaschen und an Land zu bringen. Mit einem o urlar olsun geht’s dann los.

Schäfer, Der deutsche Krieg, die Türkei, Islam und Christentum:

Die Darstellung des Islams hat zwar einiges von der neueren Wissenschaft gelernt, ist aber immer noch genügend schief. Die politischen und religiösen Fragen sollte man etwas weniger verquicken. Ein türkisches Nationalbewußtsein (S. 20) gibt es doch, und es ist die Quelle der jetzigen moralischen Kraft der Armee, zugleich aber auch die Quelle der isbihad-Bestre-bungen, der Turkisierungsversuche, deren Folgen und Erfolge doch wohl etwas zweifelhaft

sind. Daß diese Vaterlandsliebe vom Islam zu Tode gebracht wurde (S. 25) habe ich nirgends bemerken können. „Weiter ist nichts nötig, weder innere Überzeugung, noch Herzenssache“ (S.32). Wird Bauer nicht endlich Ghazalis Jhja übersetzen?

„In der heutigen türkischen Armee kämpfen aber gleichzeitig Christen und Moslems“ (3:47). Ja, aber die Christen (von uns Deutschen abgesehen) kommen nicht an die Front, sie dienen als airi musallah „…weil jetzt gerade dem Einfluß…und dem deutschen evangelischen Glaubensleben die Bahn freigegeben ist.“ (S.71)

F. Delitzsch, Die Welt des Islam:

Der romantische Orientliebhaber im Stile Vater Rückerts, aber ganz hübsch geschrieben. Nur sollte man über all’ den Lobsprüchen nicht vergessen, daß gerade unser (oder vielmehr der „Orientkenner“) politisches Gewissen uns mahnt, keine Illusionen zu verbreiten. Deshalb begrüße ich in gewissem Sinne Schäfers Schrift als wenigstens eine Stimme, die zur Vorischt mahnt.

Chálid Zia

Zwei Novellen, ganz französischem Muster gearbeitet, sodaß ich den Rest des Buches einstweilen nicht lesen werde.

A a Gündüz

Kriegsnovellen aus dem Tripoliskrieg, recht nett geschrieben, ganz im Geiste der modernen türkischen Nationalliteratur, à la Turk Jurdu. Der gefeierte Held ist der tapfere türkische Soldat. Eine wichtige Figur ist die Türkenmutter, die nach spartanischer Art den Sohn nur als schid oder Sieger sehen will. Das Ganze ist nicht ohne einen romantischen Blick nach „dem Land hinter dem Baikal“, wo der Sitz „der alten Väter Art“ ist.

A a Gündüz ist ein ganz junger Mann, Lehrer der türkischen Literatur am Dar ul funun. Er ist verbannt worden. Nach einigen soll er Gelder veruntreut haben. Ich weiß nicht genau, ob er jetzt zurückgekommen ist.

 

252. C. H. B. an Hellmut Ritter. Frankfurt am Main, 30.8.1915

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter!

Sie haben lange nichts Ausführliches von mir gehört, obwohl kein Tag vergeht, an dem ich Ihrer nicht herzlich gedenke. Der Hauptgrund für mein Schweigen war mein unerfreulicher Gesundheitszustand. Nicht bettlägerig aber durch meine alten Beschwerden gehemmt, beschränkte ich mich auf die notwendige Tagesarbeit. Seit Anfang August bin ich hier in einem Sanatorium bei Prof. von Noorden, dem ersten Spezialisten Deutschlands in Darm- und Magensachen. Die Untersuchungen waren anfangs recht quälend und ich kam noch mehr herunter, als ich es schon war. Nach 14 Tagen aber war die Diagnose gestellt und seitdem geht es mit mir bergauf. Ich glaube, daß man endlich das Richtige für mich gefunden hat. Ich nehme jetzt jede Woche ein Kilogramm zu und fühle mich auch in meinem Allgemeinbefinden sehr viel besser. Natürlich kann ein verschlepptes Leiden nicht innerhalb weniger Wochen ganz gehoben werden, aber meine Beschwerden haben schon erheblich nachgelassen und ich sehe hoffnungsfreudig in die Zukunft, was mir in den letzten Monaten nicht immer geglückt ist. Es wird Sie übrigens interessieren, daß ich nach dem 1. Oktober als Dolmetscher in Frage komme. Bis dahin bin ich militäruntauglich, danach aber habe ich die definitive Bestimmung als Landsturm ohne Waffe, im speziellen als Dolmetscher. Ob ich eingezogen werde, ist natürlich eine andere Frage. Vermutlich komme ich an irgendein Gefangenenlager oder zur Postzensur, wenn mich nicht die Universität reklamiert.

Es ist in dieser Zeit nicht angenehm hier herumzusitzen und ich hätte mich gern irgendwo in der Türkei in einer größeren Stadt betätigt, nur zum Lager- und Reiseleben dürfte meine Gesundheit noch nicht langen. Bisher habe ich eben ruhig mein Kolleg gelesen und allerlei geschriftstellert, daneben scheußlich schwierige Gefangenenbriefe zensuriert, was in Zukunft wohl meine Hauptbeschäftigung werden wird. Den Meinigen geht es gut, sie bleiben in diesem Sommer ruhig in Bonn und gehen nur für ein paar Tage ins Siebengebirge. Walter darf mich vielleicht hier besuchen.

Hier sehe ich sehr häufig den Kollegen Horovitz, der den Kriegsanfang in Indien erlebt hat. Er erzählt die köstlichsten Geschichten von der Unfähigkeit der Engländer zur Organisation. Der Krieg wird den Engländern in Indien ihre alte Stellung rauben, wie er auch ausgeht. Die Angst vor dem Emir von Afghanistan ist groß. Littman hat mich hier besucht, er ist zur Garde-Infanterie ausgehoben, aber noch nicht eingezogen. Tut man es wirklich, so will er versuchen nach der Türkei zu kommen. Tschudi hat furchtbar viel zu tun und unterhandelt jetzt mit

Petersen, ihn im Winter zu unterstützen. Auch Richard Hartmann wird in Hamburg lesen. Sachau wurde 70 Jahre und bekam eine Festschrift, an der sich aber der Kreis um Nöldeke , d.h. Bezold, Littmann, Jacob, Reckendorf und ich sich nicht beteiligte, ebenso wenig wie seine Fachkollegen unter den Dozenten des Seminars mit einigen Ausnahmen. Ich habe, weil ich nicht direkt mit ihm verkracht bin, ein höfliches Telegramm geschickt, aber sehr unpersönlich.

Von Ihnen, lieber Ritter, habe ich auch sehr wenig gehört. Erst vorgestern sind Ihre beiden Briefe vom 28. und vom 30. Juli in meine Hände gelangt. Tagebuchnotizen kamen zum Teil über Ihre Eltern, zum Teil direkt. Photographien und Films bilden bereits einen großen Stoß, auch Drogen sind angekommen, ich ließ sie uneröffnet. Auch die Vokabularien sind eingetroffen. Verabredungsgemäß habe ich von Ihrer Erhebung auf den Kreditbrief Ihrem Vater Mitteilung gemacht. Sie wissen, daß ich Ihnen das Geld gern kreditiere, aber Sie haben es ja damals so gewünscht. Unsere Korrespondenz wird übrigens im doppelten Sinne überwacht20, denn es ist doch wohl kein Zufall, daß gerade mein langer politischer Brief verloren ging. Ihren Briefen ist im Kuvert ein Zettel des Auswärtigen Amtes beigeschlossen, wonach der Inhalt geheim zu halten sei. Die Briefe müssen also wohl eröffnet werden.

Ich teile Ihre Ansicht über das Allzuviel der deutschen Missionen in der Türkei. Namentlich da sie oft ohne jegliches Verständnis für die Aufgabe erfolgen. Vor allem ist es ein Unsinn, lauter alte Afrikaner zu schicken. Diese Leute sind von vornherein für die Aufgabe verdorben. Das bißchen Reisepraxis, das sie besitzen, wiegt ihre psychologische Orientierung nicht auf. Hingegen tun Sie der Gesamtpolitik des Auswärtigen Amtes Unrecht, sie ist nicht schlecht und auch auf dem Balkan wird ganze Arbeit geleistet, so sehr die Ungeduld der Deutschen in Konstantinopel das bezweifelt. In Bukarest z. B. sitzt einer unserer besten Leute, den ich persönlich als hervorragend tüchtig kenne. Ich kann Ihnen nicht alles schreiben, was ich weiß, aber ich sehe der Entwicklung optimistisch entgegen.

Auch kann ich hier nicht ausführen, daß ich von dem Funktionieren der Dinge in der Türkei eine sehr klare Vorstellung habe und dürfen Sie mich nicht ausschließlich nach meinen Kriegsschriften beurteilen. Auch haben Sie ebenso wie Schmidt meine Äußerung über den Schutz der Türkei vor dem deutschen Kapital völlig mißverstanden. Es handelt sich mindestens ebenso um den Schutz des deutschen Kapitals vor der Türkei. Ich mag dieses ganze Thema nicht ausführlich in einem Briefe darlegen, von dem ich nicht weiß, in wessen Hände er kommt. Jedenfalls wird man, nach der politischen wie nach der wirtschaftlichen Seite, die Fehler zu vermeiden versuchen, die Rußland in Zentral-Asien gemacht hat.

Auch dürfen Sie nicht auf jedes Gerücht über die deutschen Friedensziele hereinfallen. An eine Aufgabe von Belgien denkt kein Mensch. Selbst die Organe, die wie die Frankfurter Zeitung bisher jede Erweiterung des Deutschen Reiches ablehnten, haben sich jetzt schon mit einem Länderzuwachs wenigstens im Osten versöhnt. Der Krieg ist uns aufgezwungen durch unsere unglückliche geographische Lage. Deshalb muß es unser Ziel sein, die geographische Lage zu verbessern, d. h. strategische Sicherung unter Annexion möglichst besitzfreien Agrarlandes im Osten und Erwerb eines möglichst großen Stückes atlantischer Küste im Westen. Im Osten wie im Westen muß sich das vollziehen ohne daß eine fremde Bevölkerung im Reichsinnern politische Bedeutung erlangt. Die staatsrechtliche Formel wird sich finden lassen. Am meisten wird der Gedanke gepflegt, Belgien in der Form der englischen Dominions anzugliedern. Man wird Europa zur pax germanica zwingen. Mit der belgischen Küste haben wir ein unschätzbares Gegengewicht gegen die englische Seeherrschaft in Händen. England wird es nie wieder riskieren können, gegen uns Krieg zu führen, da es bei der Entwicklung der Unterseeboote und Luftschiffe von uns jederzeit ins Herz getroffen werden könnte. Zur Zeit bestrebt sich die Entente, das Schwergewicht der strategischen Aktion nach Konstantinopel und den Balkan zu verlegen, um uns von der Westfront abzulenken. Trotzdem bin ich

sicher, daß wir im Frühherbst eine große Offensive im Westen machen werden und daß nach einem Durchbruch das schon durch und durch mürbe Frankreich um Frieden bitten muß. Wird Frankreich geschlagen, so ist damit England geschlagen. Und selbst der Fall der Dardanellen würde durch Erfolge in Frankreich wieder auszugleichen. Ich las heute die Times vom 26. August und freute mich daraus zu entnehmen, daß der deutsche Durchbruch von Ungarn nach Bulgarien unmittelbar bevorsteht. Dann werden sie ja wohl bald Munition in Menge haben und dann sind die Tage Englands an den Dardanellen gezählt. Ein Mißerfolg Englands an den Dardanellen bedeutet aber eine derartige Niederlage in den Augen ganz Asiens, daß das englische Weltprestige unwiederbringbar dahin ist.

Über die türkischen Bücher werde ich Tschudi bitten eine Liste aufzustellen. Ihre Dissertation hoffe ich nach meiner Rückkehr nach Bonn Ende des Monats druckfertig zu machen. Die Aufgabe ist nicht ganz leicht, ich habe mir die Sache genau angesehen. Schreiben Sie mir doch recht oft, wenn auch nur kurz, ich bin in Gedanken so viel bei Ihnen. (CHB)

 

253. Hellmut Ritter an C. H. B. Karaburnu, 19.9.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Vor einigen Tagen erhielt ich kurz hintereinander Ihre zwei Briefe vom 30.August und 3. September. Leider mußten Sie einige Tage unbeantwortet liegen bleiben. Unsere Küstentruppen sind hier plötzlich zur Division umformiert worden. Aber es sind erst heute die Offiziere des Stabes eingetroffen, so daß die ganze Last der Geschäfte auf uns beiden Dolmetschern lag. Tagelang habe ich überhaupt alles mit einem Schreiber allein machen müssen, so daß an irgend etwas anderes gar nicht zu denken war. Nun habe ich hoffentlich etwas mehr freie Zeit.

Ihre ausführlichen Auseinandersetzungen über unsere Türkenpolitik waren mir ebenso lehrreich wie tröstlich. Es ist wohl schon recht, sich nicht einmischen in die inneren Angelegenheiten, die Dinge mit anderen Maßstäben messen, sich kein böses Blut machen. Aber, wie Sie schreiben, ich stehe zu sehr in den Dingen drin. Aus der Ferne ist kühle Betrachtung natürlich viel leichter, als wenn man mitten drin steht und täglich diese blödsinnigen Maßnahmen samt ihren verderblichen Folgen direkt vor Augen sieht, ein gegenwärtiger Zeuge der Hinterlist, Roheit und Eitelkeit sein muß, die hier so arg herrschen. Wenn man da gleichmütig bleiben soll, darf man eben nicht zusehen. Daß ich dieses „Sentiment und Entsetzen“ nicht zur Grundlage politischer Aktionen machen will, ist selbstverständlich, nur berührt es einen wie Hohn, wenn man dann die übliche Lobhudelei bei gewissen Orientschriftstellern zu lesen bekommt, deren Nutzen ich durchaus nicht einsehen kann. Daß die eigentlichen Führer Bescheid wissen, freut mich natürlich sehr aus Ihrem Briefe entnehmen zu können.

Momentan bin ich übrigens allem Politischen wieder ziemlich entrückt. Außer Militär gibt es hier nichts zu sehen, und wenn es gäbe, würde die Zeit zur Betrachtung fehlen. Ein hübsches Bild hatten wir kürzlich, als U 18 ganz dicht an unserem Quartier vorbeifuhr, die Besatzung oben drauf. Man wird schwerlich wieder so etwas Schönes aus nächster Nähe zu sehen bekommen. Wenn Sie diese Zeilen erhalten, werden wir wohl schon das schöne Schwarze Meer verlassen und uns weiter zurück im Tschausch (Lala) Tschiftlik einquartiert haben. Hier ist für einen Divisionsstab kein rechter Platz. Wir hoffen sehr auf baldige Öffnung des Weges durch Serbien. Wenn wir erst 21er an den Dardanellen haben! Es wäre doch schön, wenn wir noch einmal an den Suezkanal kämen!

Den Eolija habe ich bar bezahlt von den 20 Ltq, die ich Ihnen ja schulde. Wenn es Ihnen so recht ist, darf ich den ganzen Betrag durch Bücherkäufe für Ihr Seminar ausgleichen. Eine Abrechnung geht Ihnen dann zu. Ich hoffe, nächstens nach Konstantinopel zu kommen und Nasrulla aufsuchen zu können. Haben Sie ein türkisches Lexikon im Seminar? Wahrscheinlich wohl.

Daß es Ihnen wieder so schlecht geht, betrübt mich sehr. Gott gebe, daß man nun endlich Mittel gefunden hat, den alten Feind zu bekämpfen. Bitte empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin und grüßen Sie die Kinder von mir. Ich muß ihnen nächstens mal wieder ein paar Postkartengrüße schicken.

Für Sendungen von Broschüren, Büchern (ja, selbst Zigarren), ist man hier sehr empfänglich. Nach beiden ist großer Appetit vorhanden. Die dauernde Lektüre türkischer Zeitungen ist sehr ermüdend.

Anbei noch ein paar Bildchen und Films, leider nicht so schön wie die Jaffabilder.

Mit vielen Grüßen Ihr Ihnen ergebener gez. Hellmut Ritter.

Anlage des handschriftlichen Exemplars des obigen Briefes:

Arabische Kleidung

(nach L. Bauer, ZDPV, XXIV, 32)

casbe, asáib Stirnbinde
bartúse, Schlappen
baskír, Handtuch, aufgesticktes Kopftuch
básnúka, Kopftuch unter dem Kinn gebunden
binawár, Morgenkleid der Frauen
blúse, Bluse
bujáje, Schürze
burqa, Schleier
botín, Paar Schuhe
bugme, Silberhalsband bei Fellachinnen
buméta, Hut
burnus, Staubmantel
chaff-kalkúl, Kinderschuhe
chaláq chulqán, altes Kleid
chéri cherijut, Münzen auf der sature
chirq, weißes unverziertes Kopftuch; gestickter Brautschleier der Fellachinnen, sonst auch tarka genannt
chizám, Hafenring
chmuar, Schleier
dämir, tuchene Jacke bis zum Gürtel reichend, Halbrock, fest anliegend, Ärmel eng, dicke Hosenriemen

usw. 6 Seiten lang, zum Schluß auch Türkisch.

 

254. C. H. B. an Dr. Gerhard Ritter (Bonn,) 13.10.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Doktor!

Im Felde freut einen wohl jeder Gruß aus der Heimat, und da möchte ich auch Ihnen gern einmal ein Zeichen freundlichen Gedenkens senden, zumal ich dank der Güte Ihres Vaters an einigen Ihrer prachtvollen Briefe habe teilnehmen dürfen. Ich muß Sie wirklich zu Ihrem schriftstellerischen Talent beglückwünschen; denn Ihre Feldpostbriefe gehören zu den lehrreichsten und stimmungsvollsten, die ich während dieses Krieges gelesen habe, und ich habe unzählige eigene und fremde zu Gesicht bekommen. Bei Ihnen erlebt man wirklich alles mit, und man bekommt ein Bild von den Dingen. Sie sollten später einmal Ihre Eindrücke zusammenfassen, denn in Ihnen steckt ein Schriftsteller, ja, ein Stück Dichter. Der persönliche

Eindruck, den ich bei unserm kurzen Zusammensein in Berlin von Ihnen gewonnen habe, hat sich durch Ihren Brief über Warschau und den Narev-Wald noch vertieft, und ich möchte wünschen, daß uns das Leben noch öfters wieder zusammenführt. Inzwischen begleite ich Sie mit aufrichtigen und herzlichen Wünschen auf Ihren schweren Kriegszügen, und ich hoffe, daß Sie Ihren Eltern und allen, die Sie schätzen, gesund und wohlbehalten zurückkehren werden.

Mit Hellmut bin ich nach wie vor in reger Verbindung. Er hat es, glaube ich, nicht ganz leicht. Er nimmt die Dinge oft zu schwer, und ich verstehe auch durchaus, daß einer, der in all dem orientalischen Schlendrian drin sitzt und nicht als Reisender darüber steht, sondern mitmachen muß, einen recht fatalen Eindruck von der türkischen Staatsmaschine bekommt. Man darf eben nicht mit unseren Voraussetzungen an den Orient herantreten. Immerhin ist er ja in relativer Sicherheit. Das ist auch etwas wert, und außerdem lernt er eine Unmenge für seinen Lebensberuf. Näheres wissen Sie selber, da Sie von einem direkten Brief von ihm sprechen und ja auch wohl seine Tagebuchblätter zu lesen bekommen. Es wird Ihnen dabei ebenso gehen wie mir, daß Sie immer noch viel mehr hören möchten.

Ich selbst sitze immer noch in meinen vier Wänden und warte auf meine militärische Verwendung. Ich bin als Dolmetscher gemustert, vorerst aber zurückgestellt und betätige mich weiter in literarischer Arbeit. Ich sende Ihnen das jüngste Produkt meiner Feder für den Fall, daß Sie zwischen all’ Ihren Kriegszügen doch einmal einen Moment finden, wo es Sie freut, sich einmal mit etwas ganz anderem zu beschäftigen.

Die Dinge haben sich ja so herrlich entwickelt, daß man einem baldigen Ende des Krieges mit einem gewissen Vertrauen entgegensehen kann. In den jüngsten Ereignissen auf dem Balkan, vor allem in der Entscheidung Bulgariens und der Haltung Griechenlands sehe ich nicht primäre Ereignisse, sondern Folgeerscheinungen unserer Siege. Zum ersten Male zeigt es sich, daß in der Welt das deutsche Prestige größer ist als das englische. Wenn die Engländer jetzt auf ihre Diplomaten schimpfen und die deutschen loben, so verwechselt man Ursache und Wirkung. Unsere jetzige Diplomatie hat Hindenburg gemacht, und die Mißerfolge der Unsrigen erklären sich eben zum guten Teil daraus, daß das englische Weltprestige größer war als das Unsrige. Immerhin bleibt die Haltung Griechenlands doch noch unklarer, obwohl der König ein ebensolcher Starrkopf ist wie Venezelos und es wohl auch fertigbringen würde, im Notfall ohne Parlament zu regieren. Der Neutralität Rumäniens scheint man ziemlich sicher zu sein, und aller Augen warten gespannt darauf, was jetzt die Entente tun wird. In der Times stand dieser Tage ein langer Artikel über große Kriegsvorbereitungen in Ägypten, und auch unsere serbischen Truppen sind ganz erfüllt von der Ansicht, daß sie schon halbwegs in Ägypten wären. Es hat doch etwas Fabelhaftes, dieser breite Vormarsch gegen Serbien, während wir rechts und links mit starkem Arm uns die übrigen Gegner vom Leibe alten. Man scheint auf der gegnerischer Seite unsere serbische Offensive für einen Bluff gehalten zu haben und ist jetzt konsterniert.

Die Kämpfe in der Champagne, über die ich heute einen detaillierten Bericht erhielt, müsse allerdings das Furchtbarste des Furchtbaren gewesen sein. Die Offensive ist noch nicht erloschen, aber sie hat nicht mehr den Schwung und nicht mehr die feine technische Vorbereitung wie am Anfang. Es muß doch bald der Punkt kommen, wo unsere Gegner merken, daß mit der Zeit unsere Erfolge immer größer werden, und daß ein baldiger Friede sie noch vor dem Schlimmsten bewahren kann.

Über unsere politische Zukunftsorientierung wogt der Kampf noch hin und her; Liberale und Konservative denken je nach ihrem politischen Gesichtspunkt an ein Zusammengehen mit England oder mit Rußland. Hauptsache ist, daß die Entente gesprengt wird. Aber die Fülle der Probleme ist ungeheuer. Es gibt Ideologen, die keinen Fußbreit fremder Erde annektieren wollen, und es gibt Übereifrige, die keinen Fußbreit des mit deutschem Blute erkauften Bodens wieder herausgeben wollen. Es scheint doch wohl so zu werden, daß wir die Ostsee-Provinzen und die Narew-Bobr-Linie behalten. Mit ganz Polen werden wir uns nicht beschweren; ob es nun halb selbständig oder ob es österreichisch wird, jedenfalls werden wir es militärisch an der Strippe halten, daß es kein russisches Glacis gegen uns werden kann. Das Gleiche gilt von Belgien und der Küste. Man spricht von einer Angliederung nach Art der britischen Dominions. Eisenbahnen, Festungen, Küste, außenpolitische Vertretung in deutschen Händen, in allem Übrigen selbständige Verwaltung. Denn wir brauchen diese finsteren Brüder nicht in den Reichstag aufzunehmen, was ein Unglück wäre. Aber über all’ diese Dinge wird sich erst reden lassen, wenn der Krieg wirklich vorüber ist. Darüber läßt sich auch besser bei einem Glase Wein plaudern, als wenn man es schriftlich festlegen muß.

Lassen Sie sich für heute mit diesen Zeilen genügen, die nur ein Ausdruck des Dankes sein sollen für den Genuß, den Sie mir mit Ihren schönen Briefen verschafft haben.

Mit allen guten Wünschen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)

Leider fehlen die Briefe und Berichte von 1916 und 1917.
Der Herausgeber

255. Hellmut Ritter an C. H. B. Nazareth, 9.1.1918

(handschriftlich)

Lieber und verehrter Herr Geheimrat,

Ich habe sehr lange nichts von mir hören lassen, die Arbeit war hier so gehäuft, daß ich alles andere liegen lassen mußte. Es ist unglaublich, was täglich bei uns ein- und ausläuft. Da ich aus dem Türkischen selbst nicht mehr übersetze, sondern nur noch umgekehrt und im übrigen die Arbeiten dem Herrn Mitarbeiter nachzusehen habe, entspricht meine Arbeit etwa der eines Oberlehrers, der Extemporale durchsieht, nur mit dem Unterschied, daß bei uns jedes Extemporale einen anderen Text hat und die Tätigkeit zu einer dauernden geworden ist. Schatz (?) hat sich recht schön eingearbeitet, es geht noch ein wenig langsam und mit vielen Kunstpausen, doch ist er uns eine rechte Hilfe geworden. Der Jacobschüler Neumann, der sich mit

Habilitationsplänen trug, ist dagegen leider ein ziemlicher Versager. Ab und zu taucht der Gefreite Mielck aus seinem Büro beim Oberquartiermeister auf, um sich von Schatz und mir durch Zigarren, soweit vorhanden, und Einflößung von Alkohol über den Jammer seines Daseins – er fühlt sich in seiner Stellung gar nicht wohl – hinweg helfen zu lassen. Auch ein Kurt Pöbel (?) – in Breslau Assyrio-Sumerologe – treibt bei den Fliegern hier sein Wesen. Mit seiner der Gegenwart abgewandten Natur hat er Schwierigkeit, sich im lebenden Dasein zurecht zu finden. Sehr geschmerzt hat seinen tief innerlich forschenden Geist, daß er neulich seine Kabine mit einem Regenschirm verunstaltet hat, und von seinem Leutnant ½ Stunde Strafexerzieren aufgebrummt bekam. Hier schon gelang es seinem Kollegen Schatz, ihn zu trösten. Auch er läßt sich zuweilen von uns Alkohol einflößen und beginnt sich dann zögernd über sumerische Dialekte zu verbreiten. Doch sind wir uns alle von Herzen gut und freuen uns gemeinsamer Interessen.

Weihnachten feierten wir in der Verkündigungskirche hierselbst, recht eigenartig. Ich suchte durch Orgelspiel und Inszenierung eines Männerquartetts der Feier ein etwas deutsches Gepräge zu verleihen in mitten des fremden katholischen Aufputzes und erntete besonders für das Quartett schönen Erfolg. Die Kerls sangen aber auch einfach großartig und machten um so mehr Eindruck, da allen Ohren die deutschen Klänge seit langem fremd geworden waren. Sonst gehen Schatz und ich öfters in die evangelisch-arabische Kirche um unser Ohr ans Hören des wahari (?) zu gewöhnen. Außerdem wäre von hier nichts Wesentliches zu melden.

In Deutschland wird das diesmalige Weihnachten wohl etwas hoffnungsfreudiger gewesen sein als die vergangenen. Wer weiß, vielleicht ist man am nächsten zu Haus!

Mit vielen Grüßen an Ihr ganzes Haus Ihr Ihnen treuergebener H.Ritter.

 

256. Hellmut Ritter an C. H. B. Nazareth, 5.2.1918

(Maschinenmanuskript)

Lieber und hochverehrter Herr Geheimrat!

Eben war Professor Uhlig bei mir und versetzte mich in großen Schrecken und Bestürzung durch eine schreckliche Geschichte, die mir mit meinem so hoch verehrten Lehrer Littmann, mit dem mir ein Mißverhältnis in allerhöchstem Grade unangenehm und schmerzlich sein würde, passiert ist. Wie Sie wissen, handelt es sich um den Stadtplan von Bagdad. Es liegt mir ganz besonders viel daran, die Sache sofort in Ordnung zu bringen und wenn Sie, lieber Herr Geheimrat, mir dabei in gewohnter Güte helfen würden, würde ich ganz außerordentlich dankbar sein. Die Sache liegt folgendermaßen:

In Bagdad zeichnete unsere Kartenabteilung den bekannten Stadtplan des Rechid ab und trug auch eine Anzahl Ortsbezeichnungen ein, die fast durchweg falsch waren. Gleichzeitig hatte ich aus Privatinteresse die Straßen- und Stadtviertelnamen Bagdads aufgenommen und stellte sie zur Verfügung, worauf diese Namen von der Kartenabteilung gleichfalls fehlerhaft eingetragen wurden. Leider ging diese Karte unkorrigiert und ohne mein Wissen so zum Großen Generalstab und wurde dort sehr zu meinem Leidwesen auf Grund dieses mangelhaften Materials gedruckt, während das genauere Originalexemplar sich in meinem Besitze befand und leicht hätte benutzt werden können. Dies war also die Schuld der Bagdadkartenabteilung.

Littmann hat nun in dankenswerter Weise die meisten Fehler herauskorrigiert und es ist in hohem Maße zu begrüßen, daß auf diese Weise die meisten der zahlreichen Fehler verschwunden sind,, die ohne seine Arbeit sicher stehen geblieben wären. Daß trotzdem Fehler stehen geblieben sind, liegt nicht an Littmann, sondern daran, daß das Originalexemplar ihm leider nicht vorlag. Als ich nach Berlin kam, hatte ich den Drang, meine Weisheit, die in meinem Original enthalten war, an den Mann zu bringen und übergab sie Ihnen mit dem Bemerken, die gedruckte Karte sei fehlerhaft und hier sei die Verbesserung. Gleiches sagte ich Uhlig, mit dem ich zufällig ein Telephongespräch hatte. Uhlig sagte mir: „Aber Littmann hat doch alles durchgesehen!“ Worauf ich sagte: Trotzdem sind Fehler darin, die Littmann nicht korrigieren konnte aus dem einfachen Grunde, weil seine Vorlage zu mangelhaft war. Was ein Mensch rauskorrigieren konnte, hat Littmann in dankenswerter Weise getan.

Nun kommt das Schlimme:

Wie Sie wissen, lieber Herr Geheimrat, gibt es eine große Schadenfreude, die darin besteht, daß man auch den ganz großen Leuten manchmal einen kleinen Fehler nachweisen kann oder nachweisen zu können glaubt. Man bringt sich die großen Leute dadurch gewissermaßen menschlich näher wenn man sieht, daß auch sie manchmal irren. Daß auch ich die üble Angewohnheit habe, haben Sie mir ja, lieber Herr Geheimrat, oft genug vorgeworfen. Ach, hätte ich doch Ihren Lehren gehört! So entdeckte ich auch auf dem Stadtplan im Quadrat 6c eine offenbar von Littmann herrührende Verbesserung, die falsch war. Es steht nämlich da ´Atran mit „Ain“ davor. Das Stadtviertel heißt aber Tatrán. Ich habe nicht mehr genau in Erinnerung, was auf der Karte, die Littmann vorlag, gestanden hat. Meiner Erinnerung nach stand da richtig Tatrân auf Grund dieser Tatsache sagte ich – leider – zu Ihnen: „Littmann hatte Fehler in die Karte verbessert“, womit ein wenig Schadenfreude, daß auch Littmann so etwas passieren konnte, verknüpft war.

Ein anderer Fehler im Quadrat 7d, wo Mastub statt Maslúb steht, ist offenbar von Littmann selbst mit Fragezeichen versehen worden. Sollte der Fehler Àtran statt Tatrân schon auf der ersten Karte stehen, was ich mich aber nicht erinnere, so beraubt mich Littmann des kleinen Vergnügens, ihm einen Fehler nachweisen zu können.

Übrigens fiel die Bemerkung von Verschlimmbesserung nur Ihnen gegenüber, lieber Herr Geheimrat! Uhlig habe ich selbstverständlich nur gesagt, daß der gedruckte Plan von Bagdad nicht fehlerfrei sei und ich deshalb gern ein Originalexemplar zur Verfügung stellen wolle, begründete die Fehlerhaftigkeit der Karte, soviel ich mich erinnere, noch ausdrücklich damit, daß die Verbesserung der Karte restlos nur an Ort und Stelle möglich sei, was natürlich auch Littmanns Ansicht ist. Sollte Uhlig irgend einen Zweifel an Littmanns Arbeitsweise auf Grund dieser Bemerkung abgeleitet haben, so wäre das sehr merkwürdig und natürlich gänzlich grundlos. Littmanns Arbeitsweise zu bemängeln dürfte doch wohl nur lächerlich wirken. Dies ist der Sachverhalt, lieber Herr Geheimrat, helfen Sie mir Littmann zu besänftigen! Es wäre mir ein unerträglicher Gedanke wegen dieser Sache ihn ernstlich verletzt zu haben und sage Ihnen im Voraus für Ihre gütige Vermittlung meinen allerbesten Dank.

Ihr in Treue Ihnen ergebener (gez.) Hellmut Ritter.

Nachtrag:

Beim Durchsehen der gedruckten Karte fallen mir auf den ersten Blick noch folgende Fehler auf, die von mir nicht herrühren, also entweder von der Bagdader Kartenstelle oder in Berlin gemacht worden sind:

  • H4: Halládschi statt Halládsch (der berühmte Märtyrer)
  • E6: Gericht (Adilîje) statt Adlîje Moschee (Adilîje?)
  • D8: ´Alfi statt Alfi (Der Mann war jede Nacht angeblich 1000 ´hatams los)
  • D7: Darbúnât statt Darbûnat
  • F5: Sêf statt Sîf
  • F4: Hassâna statt Hassâne
  • A2.15 Maktûme statt Maktûme
  • A2.12: Platz Kaisarîje. Die K. ist eine Verkaufsstelle, kein Platz21

 

257. Hellmut Ritter an C.H. B. Niederzwehren bei Kassel, 4.5.1918

(handschriftlich)

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Heute bin ich also glücklich daheim eingetroffen und möchte Ihnen sogleich nochmals meinen Dank sagen für die warme und gütige Aufnahme, die mir wieder einmal bei Ihnen zu Teil wurde. Bockelmann (?) war hocherfreut über meinen Besuch, trotzdem möchte ich Ihnen bei der Rückkehr meinen Eindruck vorher anvertrauen. Ich denke ein wenig mit Wehmut an diesen Besuch.

Anliegend das Aufrechnungsbillet und der Schlüssel zu der F.F. Schmidt’schen Kiste. Schmidt läßt also bitten, Rittmeister Westphal Flugzeugmeisterei Abt.6 (Adlershof 320) anzurufen und ihm zu sagen, er möchte die Teppichkiste abholen und aufbrechen. Wenn ich die leere Kiste mit der darin liegenden Reithose nach Niederzwehren zugesandt haben könnte, wäre ich ihm dankbar. Doch hat das Zeit. Mit vielen Grüßen und der Bitte um Empfehlung an Ihre verehrte Frau Gemahlin verbleibe ich Ihr Ihnen dankbar ergebener H.Ritter.

 

258. Hellmut Ritter an C. H. B. (Köln.?), 2.10.1918

(handschriftlich)

Lieber Herr Geheimrat,

Ich sitze hier und hoffe, demnächst noch entfliehen zu können, ehe die Herren Engländer uns evakuieren oder „internieren“. Jedoch muß man auf alles gefaßt sein. Sollte ich nicht im Laufe der nächsten Woche nach Berlin kommen, so wäre ich Ihnen für den Freundschaftsdienst dankbar, wenn Sie sich – vielleicht durch Hauptmann Tausch, Stellv(ertreter im) Generalstab, Landaufnahme – einmal nach dem Schicksal meiner Koffer erkundigen würden: Nr. 4-7, rund 11 sind abgegangen an die Adresse Kriegsministerium Abt. Aü für Nr. bzi 60 HL. In Nr.11 befindet sich die (unleserlich)spielsammlung für das Hamburger Museum. Nr. 1-3 und 7 gingen an die Adresse: Leutnant Ritter, 2. Garderegiment z.F. Ersatz Lat. Ab. Ich würde Sie nicht mit dieser Liste belästigen, wenn ich nicht wüßte, daß Sie mir auch bei solchen Angelegenheiten stets Ihre Hilfe gewährt haben. Hoffentlich kommt es ja überhaupt nicht so weit, daß ich Sie in Anspruch nehmen muß. Aber als Internierter, der ich leicht bald sein kann, ist man so froh, einen näherliegenden Freund zu wissen, der einem hilft!

In einem besonderen Kuvert in der Mappe, die Ihnen Herr Oberleutnant Hotzhauf hoffentlich übergeben wird, liegen die Kofferschlüssel. Die Mappe enthält Manuskripte und Privatakten, die beide für mich von großer Wichtigkeit sind. Bitte heben Sie sie mir auf.!

Wie werden wir uns wiedersehen, lieber Herr Geheimrat? Ich meine Deutschland. Jetzt wissen wir, daß es sehr verhaßt war und vielleicht die Sozis recht hatten. Doch das Lehrgeld ist sehr sehr teuer gewesen. Wie wenige (unleserlich: tadelten?) den falschen Kurs den wir seit Jahrzehnten segelten! Doch wenn wir auch die Schmach ertragen müssen, an der Zukunft verzweifle ich doch nicht. Ich sehne mich danach, mit Ihnen zusammen zu sein …

Ihr Sie verehrender und auf ein baldiges Wiedersehen mit Ungeduld wartender H.Ritter.

 

259. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 1.3.1919

Seminar für Geschichte und Kultur des Orients

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Geheimrat!

Ich sitze eben an dem Manuskript Brass. Es ist ein harter Strauß, der Verfasser hätte auch das Schlußwort seiner Vorlage auf sich beziehen können: „Das was richtig ist in diesem Buche, ist von Allah, was aber falsch ist, ist von mir.“ Übrigens finde ich die Arbeit sehr interessant, die missionarische Tätigkeit Osmans reizt mich zum Vergleich mit Muhammed, mit dem ich mich gerade für mein Sommerkolleg eingehend beschäftige.

In die sachlichen Partien der Arbeit greife ich natürlich nicht ein, wenn mir auch die Auswertung der Quelle oft interessante Punkte zu übersehen scheint. Hier werden Sie ja ergänzend eingreifen.

Über einige Punkte möchte ich noch Klarheit haben. Habe ich recht verstanden, so soll die Brass’sche Edition des Textes überhaupt nicht gedruckt werden, sondern nur die Stücke, die er im Kontext des sachlichen Teiles mitteilt. Ich muß dann natürlich die Angabe der Seitenzahlen nach den Originalhandschriften umändern, die Herausgabe des ganzen Textes würde auch noch besondere Mühe machen, weil auch da gar vieles geändert werden muß. Zudem verstehe ich den kritischen Apparat von Brass nicht recht, sind die mit arabischen Zahlen bezeichneten Fußnoten des Textes Emendationsvorschlage? Ich finde diese Lesarten in keiner der beiden Handschriften. Dann eine weitere Frage: ist die Form Abdullahi eine Fulbe- oder Haussa-Form, oder darf man sie durch das normale `Abdalláh ersetzen?

Mit besten Grüßen Ihr ergebener (gez.) H. Ritter.


Zeitanalyse 1919


260. Professor Dr. H. Ritter an C. H. B. Hamburg, 5.3.1919

(handschriftlich)

Hochverehrter, lieber Herr Geheimrat,

Ich hätte Ihnen schon längst geschrieben, wenn ich Sie nicht in Weimar mit Geschäften überhäuft gewußt hätte und auch selbst auch erst ein paar Tage nicht hätte warten wollen, bis eine gewisse innerliche Ruhe bei mir eintrat. Nun wird mein Brief zugleich eine Antwort auf Ihre Karte und Ihren lieben Brief vom 2.d. M. sein.

Wenn ich meine Laufbahn überblicke, so habe ich ein merkwürdiges Gefühl: das Gefühl einer unheimlichen Schicksalsmacht, die mich vollends mit sich reißt, eines übernatürlichen Etwas, was in seiner Laune sich darin gefällt, mir meinen Werdegang in unheimlicher Weise zu erleichtern. Die sonderbare Führung meines Geschickes im Kriege bildet ein gewichtiges Glied in dieser Schicksalskette: Keil (?) schrieb mir etwas von (griech. Wort), ich weiß nicht, was er damit wollte, aber es wird mir ein ähnliches Gefühl gewesen sein. Im Grunde liegt wohl die Empfindung vor ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Erfolg. Da meine Berufung auf Vertrauen beruht, ich muß die Versprechen halten, die Ihr für mich gegeben habt. So gehe ich mit dem Gefühl ins Amt, zu einer großen Aufgabe verpflichtet zu sein und messe meine Kräfte ab, ob ich sie werde erfüllen können.

Nun ja, das weiß ich, mit einigem Anstand mich aus der Affäre ziehen, das werde ich können, vorerst ganz nette Artikel und Bücher wohl zusammenstellen können, aber das ist nicht das, was mich befriedigen würde. Ich kann nicht einfach da weiterarbeiten, wo der Vorgänger, der über dasselbe Thema schrieb, aufhörte. Bei uns drängt es darauf hin, alles, bis in die elementaren Grundlagen, in die philosophischen Grundlagen Voraussetzungen hinein, von neuem zu erleben und zu erkämpfen. Ein Weltanschauungskampf, der zunächst den Menschen voll erfaßt und dann auch auf das Fach übergreift. Sie kennen mich etwas von dieser Seite: Sie kennen meine Sprödigkeit bei jedem Versuch, wissenschaftliche Lehre einfach auf mich zu übertragen. Schiede (?unleserlich) sagte ganz nett, ich sei Ihr Schüler, aber doch nicht Ihr Schüler.

Mir wird, glaube ich, auf die Dauer kein Arbeiten möglich sein, das nicht zum unmittelbaren persönlichen Erfolge für mich wird. Meine kleinen Aufsätzchen, ja auch meine Oxágórarbeit werden noch sehr persönlich und spielerisch sein. Mein Ziel ist, die ethische Weltanschauung des Orients – in Weiterentwicklung der Bryserarbeit – einmal im Großen anzupacken und von da aus in die einzelnen Zweige des literarischen Schaffens des Orients hineinzusteigen…

Sie sehen, noch sehr dunkle und verworrene Ideen, wie uns auch jetzt sehr dunkel und verworren zu Mute ist. Ob je eine fruchtbare Klarheit daraus wird, das weiß ich nicht, nur die Erkenntnis, ob ich die Kräfte dazu finde oder nicht, das wird der Entscheidungsgrund meines wissenschaftlichen Erlebens sein.22

Nur eines hoffe ich bestimmt: Meine Studenten werden mit mir zufrieden sein: sie wissen warum. (Einen ganz prächtigen Kerl habe ich in Albert Schönberg, Sohn des Röntgenmenschen und Primus omnium des Wilhelmsgymnasiums.)

Ich habe für nächstes Semester Jassir und Islamkunde angezeigt. In beidem hoffe ich einiges Eigene geben zu können, wenn auch das Meiste notwendig Kompilation bleiben muß.

Was menschlich aus mir wird: Sicher kein geistiger Sybarit, aber vielleicht dies und jenes andere Unerfreuliche, da müssen Sie und werden Sie, lieber Herr Geheimrat, mir emsig den Mentor spielen. Wer einen anderen so unerfahren auf einen hohen Posten stellte, der muß auch ein wenig zu sagen haben, daß er nicht falle. Ich bin noch immer Ihr pneumatischer Sohn, und hoffe, daß Sie Ihre Vaterpflichten weiter mit aller Deutlichkeit ausüben werden.

Zum Geschäftlichen: Den Kontrakt werde ich Ihnen, vielleicht schon beiliegend zuschicken. Die Bibliographie dachte ich durch den neu anzustellenden Hilfsarbeiter langsam vorbereiten zu lassen und (im Herbst?), jedenfalls als frühsten Termin, Heft 1 des Jahrgangs 192023, damit wieder zustande kommen. Die Mitarbeiter zur Betätigung auffordern könnte man ja schon. Es liegen sehr viele, auch gute M(anuskripte) vor. Tschudi meinte, wir könnten gleich mit einem Doppelheft anfangen, um vorwärts zu kommen im neuen Jahrgang. Was meinen Sie dazu?

In der Hilfsarbeiterfrage wollte ich Sie noch etwas um Auskunft über Björkmann bitten, ist mir von Tschudi als durch göttlichen Ratschluß prädestiniert vorgestellt worden. So sehr ich Tschudis Urteil hochhalte wäre mir doch eine Stellungnahme von Ihnen angenehm, da mir der junge Mensch völlig und absolut unbekannt ist. Ich habe von ihm nur einen flüchtigen ersten äußeren Eindruck, nur der ist nicht etwa gerade hinreißend. Persönlich hätte mir Bräunlich sehr gelegen, ein Leipziger Schüler, der jetzt gerade doktoriert. Doch käme er für sofort nicht in Betracht und entbehren möchte ich den Hilfsarbeiter nicht. Ich will nun Björkmann entschieden zum Oberlehrerexamen drängen oder soll man ihm raten, sich zunächst ganz in die Orientalistik zu stürzen?

Wegen Schnellig (?unleserlich) will ich an Kahle schreiben. Ich habe Schnellig persönlich nicht gekannt und möchte auch nicht grad mit diesem Nachruf anfangen.

In diesen Tagen des politischen Kampfes habe ich oft mit Mitleid an Sie gedacht, besonders als das Zentrum das Kultusministerium für sich verlangte. Es muß ein wahrer Hexenkessel sein, ich bewundere Ihre Nervenkraft. Und doch hoffen wir alle auf Sie: Ihr Dasein ist für uns alle doch eine gewaltige Beruhigung: Welche Macht ist in Ihre Hände gelegt! In Bezug auf kulturelle Fragen sprechen wir mit Hafis:

Traure nicht, am Ruder sitzet Noah, der die Flut beschwört!“

Auch in dem rein politischen Fahrwasser ist Ihr Wirken gewiß von großem Segen. Wie gut, daß Sie damals nicht in Bonn geblieben sind!

Daß ich mich hier in Organisationsfragen sehr zurückhalten werde, versteht sich von selbst. Wenn Sie mich da mit Zusendung Ihrer Zeitungsartikel oder Meinung derhalben (?) etwas auf dem Laufenden erhielten, wäre mir das als bekannter Beckermann doch recht angenehm und ich möchte Sie ganz besonders um diese Freundlichkeit bitten.

Daß Karl bei Ihnen war, freut mich. Er ist trotz einer gewissen philosophischen Einseitigkeit ein guter Kerl und ich habe ihn sehr gern.

Mit vielen Grüßen Ihr Ihnen getreu ergebener H.Ritter

 

261. Hellmut Ritter an C. H. B. Hammburg, 1.4.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Herr Geheimrat!

Nun schreibe ich Ihnen heute nun schon den dritten Brief, aber die Sachlage erfordert es. Heute war die erste Fakultätssitzung der Hamburgischen Universität. Unsere Brust war natürlich mit Stolz und Freude gefüllt, wenn man auch nicht rein rosig wird in die Zukunft sehen könne. Dabei wurde gleich die Kommission für die Berufung des Extraordinarius für Semitistik eingesetzt, so daß ich also alsbald auch über diese Frage nachdenken muß. Ideal wäre natürlich Bergsträsser, doch kommt er natürlich leider nicht in Frage, da er selbstredend ablehnen muß. Bleibt eigentlich nur Schaade, der soeben aus dem Orient zurück ist und jetzt in Berlin sein muß. (Bei Oberlehrer Kesseler, Charlottenburg, Kirchplatz 6.) Er würde es wohl ertragen, neben mir als Extraordinarius zu leben, er hat sich ja auch in Nazareth so nett zu mir gestellt. Könnten Sie nicht mal ganz leise sondieren? Schade, daß er sich so auf das Arabistische verlegt hat, ein Inschriftenmann mit etwas mehr in die Breite gehenden Kenntnissen wäre mir ja lieber. Aber man kann nicht alles haben und Schaade ist in seiner Weise sehr tüchtig.,

Ich würde mich freuen, wenn er sich mit mir in die Arbeit teilen würde. Oder wissen Sie sonst jemand? Bauer? Nein! Rescher? Furchtbare Idee! Außerdem könnte Schaade hier in Phoneticis schwelgen. Bitte schreiben Sie mir einmal Ihre Meinung!

Brassens Arbeit interessiert mich sachlich immer mehr. Das schöne Thema verdiente wohl von etwas reiferer Hand behandelt zu werden. Über Einzelheiten werde ich Ihnen noch öfters zu schreiben haben.

Mit vielen Grüßen Ihr getreuer (gez.) Ritter

Nachtrag: Heute morgen war Milck bei mir. Er ist mit Schaade gekommen, den ich noch nicht gesprochen habe.

 

262. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 7.4.1919

(handschriftlich)

Lieber Becker,

Ich wage nach einigem Überlegen doch diese vertrauliche Anrede und hoffe, daß Sie nicht auf den Gedanken kommen, ich wollte mein Verhältnis zu Ihnen damit irgendwie verschieben. Das Fetma (?) meines Herzens allein rechtfertigt für mich diese Freiheit. Ich bin und bleibe doch einmal Ihr Verehrer auch im überkonventionellen Sinn. Für Ihre Zeilen vielen Dank. Schreiben Sie mir bitte nun auch noch, ob ich den Osman `Utmán, wie Br.(?) manchmal, oder Uthman, wie er persönlich schreibt, oder Osman schreiben soll. Die Beziehung zur

Wahhabitenbewegung scheint mir eher eine Analogie als eine Abhängigkeit zu sein. Mit der historischen Beurteilung bin ich auch sonst nicht immer ganz einverstanden. Er sieht Osman so vornehm als klug berechnenden Politiker an. Mir scheint, daß sich das politische Selbstbewußtsein dieser Leute erst mit der Bewegung entwickelt, es sind doch zunächst nur (über?)-eifrige Prediger und werden dann durch eine Wechselwirkung zwischen Führer und Volk zu Staatsmännern. Wollen Sie in solchen Fällen ändernd eingreifen oder soll ich Braß schreiben, oder wollen Sie mit ihm darüber korrespondieren? Änderungen sind – es läßt sich mit ein paar Worten machen – m. E. nötig auch auf sprachlichem Gebiet. Die Übersetzungen sind zum Teil wundervoll. Gleich der Titel ist nicht richtig erkannt: Tazjín el warayát bi heid má lí min el abját. Der zweite Teil gehört natürlich dazu, wie schon der Reim beweist. Ich gehe die Arbeit jetzt zum zweiten Male durch um zu sehen, ob die Qasiden richtig verstanden und verwertet sind

Ich freue mich, daß auch Sie für Schantz (?) eintreten. Es würde mir eine Freude sein, ihm so helfen zu können.

Viele Grüße Ihr getreuer Ritter.

 

263. C. H. B. an Hellmut Ritter. Berlin, 4.4.1919

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter!

Drei Briefe von Ihnen an einem Tag waren mir eine freudige Überraschung. Das dürfen Sie ruhig öfters machen. Heute zunächst die Mitteilung, daß ich dieser Tage zum Unterstaatssekretär ernannt worden bin und zwar zum einzigen geschäftsführenden, neben zwei parlamentarischen, von denen der eine Tröltsch ist und der andere ein Zentrumsmann. Ich hatte Ihnen ja neulich schon angedeutet, daß sich meine Stellung demnächst verschieben würde und ich habe es für meine Pflicht gehalten, das ehrenvolle Vertrauen des Ministers nicht zu enttäuschen und mich der schweren Aufgabe der Verantwortung für das ganze Ministerium nicht zu entziehen. Ich werde allerdings nun noch mehr Arbeit haben als bisher, und Sie sehen nun, daß Sie wirklich ein gutes Werk tun, nicht nur an mir, sondern auch an Braß, wenn Sie die Doktorarbeit dieses Mannes mir abnehmen.

Was die Haussa-Chroniken betrifft, so vermute ich, daß er einen Separatabzug zitiert. Ich kann leider nicht nachsehen, ob sich der Aufsatz durch mehrere Hefte oder Bände hindurchzieht, was mir nicht unwahrscheinlich scheint. Daß Sie die Arbeit selbst interessiert, freut mich. Das Thema hat auch mich so gereizt, daß ich es eigentlich selbst habe machen wollen. Ich habe immer eine Beziehung angenommen zwischen der religiösen Propaganda des Scheich Osman und der Wahhabiten-Bewegung. Ich weiß nicht, ob Braß ganz recht hat, sie abzulehnen. Ich erinnere mich dunkel, daß auch Le Chatelier in seiner kleinen Schrift „L’islam au 19e siècle“ etwas derartiges behauptet. Leider besitze ich die Schrift nicht und auch Braß konnte sie nicht erhalten. Meiner Erinnerung nach besitzt sie Ihr Seminar. Was die Arbeit selbst betrifft, so soll der ganze Braß’sche Text nicht gedruckt werden, da Braß dieser Aufgabe nicht gewachsen ist und er nur unnötige Kritik auf sein Haupt herabbeschwören würde. Hingegen würde ich die arabischen Textauszüge im Text oder in den Anmerkungen der Arbeit gern verwertet sehen. Die Änderung der Seitenzahlen ist dann unvermeidlich. Doch könnte die auch Braß selber bei der Korrektur vornehmen. Soweit ich mich erinnere, bezieht sich sein doppelter Apparat darauf, daß in dem einen Apparat die zweite Handschrift und in dem anderen die kritischen Bemerkungen gibt. Letztere können natürlich auch Emendationsvorschläge sein. Streichen Sie bitte nur sehr energisch, da ich nicht zweifle, daß Braß ziemlich ungeheuerliche Böcke gemacht haben wird. Die Form Abdullahi ist durchaus allgemein sudanesischer Gebrauch. Ich bitte, sie also keinesfalls in Abdallah abzuändern.

Endlich Bergsträßer. Ich halte ihn für den gegebenen Kandidaten und bin ganz glücklich, daß sich in Hamburg eine Wirksamkeit für ihn eröffnet. Er ist ja das Schüler-Verhältnis zu Ihnen vom Orient her gewöhnt und wird deshalb zweifellos hochbeglückt mit beiden Händen zugreifen, darüber brauche ich ihn gar nicht erst zu sondieren. Er war dieser Tage bei mir, frisch und rosig wie immer. Wenn Sie für die Fakultät irgend ein besonderes Votum über ihn brauchen, bin ich gern bereit Ihnen einen besonderen Brief darüber zu schreiben. Er hat sehr wenig bisher geschrieben, aber was von ihm vorliegt ist ausgezeichnet. Er hat auch allen Grund dafür, bisher nicht viel veröffentlicht zu haben, da er doch erst in Kairo und dann im Krieg war. Also nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe. Sie können übrigens eventuell auch direkt an Braß schreiben. Am besten unter der Adresse „Orientalisches Seminar der Universität Bonn“.

Freundschaftlichst Ihr ergebener (CHB)

 

264. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 5.4.1919

(handschriftlich)

Lieber Herr Geheimrat,

Oder wie muß ich Sie jetzt anreden? Es wird immer schwieriger! Zunächst natürlich meinen freudigen und herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt! (arabischer Text) Sie rücken ja damit noch ein wenig mehr ab von unserer Wissenschaft, aber ich bin persönlich froh, daß ich im Islam gewissermaßen noch einen Strohhalm habe, an dem ich Sie manchmal in die Konkreta der Orientalistik hineinziehen kann! Es ist ein gewisses sachliches Band, das nicht zerreißen darf.

Hier ist man auch im Organisieren begriffen, aber unter günstigen Auspizien, nachdem nun endlich die Universität unter Dach und Fach gebracht ist.

Doch zur Sache: Ich wollte gern in der zweiten Hälfte der Karwoche nach Berlin kommen, möchte es aber davon abhängig machen, ob Sie mich dann gebrauchen können. Sie könnten ja dann auch dem Braß die letzte Ölung geben. Ich müßte sowieso einiges in Ihrer Bibliothek vergleichen, was ich hier nicht finde. Der junge Mann ist nämlich leider auch im Zitieren recht flüchtig, und man muß alles nachprüfen. Ich hoffe aber nächste Woche fertig zu werden.

Gestern hat Björman seinen Einzug gehalten. Ich denke doch, daß wir uns ganz gut verstehen werden. Er ist sehr willig und bescheiden. Sonst läuft alles glatt und reibungslos, ich werde meines Lebens zuweilen ganz froh.

Mit vielen Grüßen Ihr Ihnen getreuer Hellmut Ritter.

 

265. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 12.4.1919

(handschriftlich)

Lieber Becker,

Ich werde Sie also Donnerstag früh anrufen. Einen der Tage, die ich bei Ihnen bin, möchte ich benutzen, um mit Kampfmeyer, Herzfeld, Bergsträßer, Sobernheim und Mittwoch zu konferieren. Vielleicht ist Hertzfeld so freundlich ein Arrangement zu treffen, der mir die Einzelbesuche erspart und Gelegenheit zur Aussprache gibt. Sobernheim will eine Verständigung zwischen den beiden Redaktionen herbeiführen. Wissen Sie davon? Man könnte das ja auch dann gleich bereden. Ich werde Herzfeld schreiben, er muß aber sich mit Ihnen in Verbindung setzen, um nicht durcheinander zu arrangieren. Ich bleibe bis Sonnabend einschließlich. Wir sind hier schon geprüft durch eine von den Abhandlungen des Kolonialinstituts erscheinende Arbeit Hans Tesches (?) über die Bauke Kalanus. Da tritt ein Abassidenchalif Wálid im Jahre 88 der Hedschra auf, Formen wie (arab.Wort) pflegen mahm transkribiert zu werden, kurz es ist eine rechte Freude! Natürlich müssen wir Korrektur lesen und die ganzen Maqrisi-Auszüge nachprüfen. Ich habe jetzt Björkmann dahinter gesetzt und bin nun sehr gespannt, wer mehr Fehler macht, er oder Hans Kahle. Braß I. Teil habe ich in die Druckerei geschickt. Den II. Teil will ich nach den Ferien noch einmal durchnehmen. Ich bin jetzt etwas in Druck auch durch meine Kollegs, von denen ich noch keinen Strich fertig habe.

Mit vielen Grüßen Ihr getreuer H. Ritter.

 

266. Hellmut Ritter an C. H. B. Hammburg, 29.4.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Ich bin soeben wieder in Hamburg angelangt und gedenke noch in dankbarer Freude des schönen Tages, den ich bei Ihnen draußen verleben durfte. Es war wirklich köstlich.

Kahle hat den Nachruf auf Schwally geschickt. Es ermangeln nun noch die Nachrufe, die wir von Ihnen zu erwarten haben. Es wäre doch ganz gut, wenn sie alle drei im 1. Heft des nächsten Jahrgangs erscheinen könnten.

Auf der Reise nach Hamburg sprach ich ausführlich mit Siddiki, der auf mich einen ausgezeichneten Eindruck machte. Er ist ein Orientale mit wirklich wissenschaftlichem Geist. Übrigens erzählte er mir, daß in Göttingen die Schreckenskunde verbreitet sei, Sie hätten sich der Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten angeschlossen. Andreas sei deswegen in großer Unruhe. Sie sehen, wie man Sie beurteilt.

Ich habe schon 4 richtige Studenten abgesehen von Björkmännchen, Mielck usw.

Die Angelegenheit Mielck scheint sehr trübe ausgelaufen zu sein, ich habe ihn noch nicht gesprochen, aber nachdem, was Fräulein Hass mir erzählte, will Wahl nichts von ihm wissen, er kommt morgen zu mir, um mir alles zu erzählen. Ich schreibe Ihnen dann ausführlich.

Ihr Ihnen dankbar ergebener (gez.) H.Ritter.

 

267. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 2.7.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Zunächst besten Dank für Deinen Brief. Ich kann mir Deinen „Zustand“ und Deine Arbeitslast lebhaft vorstellen. Nein, man hat heute tatsächlich Recht, über das Jahr die zemàn zu klagen.

Die Braß-Sache wird entsprechend Deiner Anweisung erledigt.

Heute nur einige Neuigkeiten: August Fischer hat mich in sein Herz geschlossen! Warum, weiß ich nicht. Er schrieb mir sogar, er hätte mich damals in der Kommission bei der Berufung Richard Hartmanns vorgeschlagen. Jetzt bietet er mir gar Manuskripte für den „Islam“ an“! Was sagst Du nun? Ich schicke Dir seinen Brief mit, vertraulich, zur Erbauung. Schicke ihn mir bald zurück, weil ich ihn noch beantworten muß.

Dann habe ich eine Karte von Goldziher, auf der mir seine veränderte Schrift auffällt. Er fragt nach mir und meinem Ergehen. Ich bin jedenfalls sehr froh, daß wieder Verbindung da ist.

Daß Frau Schmidt in Hamburg war, wußte ich nicht; sonst hätte ich sie aufgesucht.

In Treue Dein (gez.) H. Ritter

 

268. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin,) 8.7.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter,

entgegen meinem gestrigen Brief muß ich heute schreiben, daß ich heute Nacht mit dem Minister nach Weimar reise zu hochwichtigen politischen und kulturpolitischen Verhandlungen. Mein ganzer Urlaub ist dadurch in Frage gestellt, ebenso meine Erledigung der Braß’schen Korrekturen. Wenigstens werde ich in den nächsten Tagen nicht dazu kommen. Also entschuldige diese Verzögerung.

Heute sprach ich den kleinen Scholz aus Breslau, der Deußenss Nachfolger in Kiel wird, ein ganz famoser, ein idealistisch eingestellter Mensch, den ich etwas auf Dich gehetzt habe. Er ist ein naher Freund von Jäger und Spranger und gehört unbedingt in unsern Kreis. Von Kiel aus wird sich vielleicht eine Verbindung zwischen Euch finden lassen.

Herzlichst Dein (CHB)

 

269. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 9.7.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Habe vielen Dank für Deinen Brief. Den Humboldt habe ich schon irgendwo zitiert gelesen. Ich werde ihn zitieren in einem kleinen Aufsatz über die futuwwa-Bünde, den ich gerade niederschreibe. Ich habe darüber einiges in einer persischen Enzyklopädie gefunden, ich habe nur noch keinen rechten Mut, den Aufsatz auch drucken zu lassen, jedenfalls schicke ich ihn Dir erst im Manuskript zu.

Daß Du uns Jäger ausgespannt hast, werde ich Dir nie verzeihen. Er schrieb mir heute einen sehr netten Brief, in dem er mir seinen für uns so bedauerlichen Entschluß mitteilt.

Und nun noch eins. Bitte erledige mir um Gottes Willen den Braß und die Angelegenheit Ahrens, die beide schwer auf mir lasten. Du hast doch das Ahrens’sche Manuskript und meinen Brief dazu bekommen, er ging als Reichsdienstsache an Deine Dienstadresse ab? Braß hat seine Korrektur zurückgeschickt. Ich kann also mit dem Umbrechen anfangen, sobald Du die Fahnen zurückgeschickt hast. Auch Ahrens bedrängt mich schwer.

Für Deine Reise wünsche ich Dir von Herzen alles Gute.

Dein getreuer (gez.) H. Ritter

Handschriftlicher Nachtrag:

Meinhof erzählt mir, daß Meyer (?) in Sachsen mit 200 Mark Monatsgehalt mit 4 Kindern am Verhungern ist. Es ist doch eine Unverschämtheit gegenüber dem Wissenschaftler (?)!

 

270. C .H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin?), 14.7.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter,

Dein Aufsatz über die Futtuwa-Bünde interessiert mich sehr. Es ist allerdings immer schwierig, etwas derartiges zu veröffentlichen. Ob es richtig ist, sehen vier Augen besser als zwei und ich stelle mich Dir für die Prüfung gern zur Verfügung.

Daß ich Euch Jaeger nicht lassen würde, darüber habe ich nie einen Zweifel gelassen. Du weißt, wie gern ich Hamburg fördere, aber Ihr dürft doch nicht alle Rosinen aus unserem Kuchen holen wollen. Jaeger kommt doch in ganz kurzer Zeit nach Berlin und Ihr braucht in Hamburg jetzt einen Mann, der Euch mindestens 5-6 Jahre dort bleibt, um den sterilen Boden einigermaßen tragfähig zu gestalten.

Ich weiß nicht mehr recht, wie mir der Kopf vor Arbeit steht; zur Zeit bin ich mal wieder in Berlin, morgen fahre ich vielleicht wieder nach Weimar. Du wirst ja aus den Zeitungen gelesen haben, daß unser Eingreifen nicht so ganz ohne Wirkung geblieben ist. Es ist einfach furchtbar, daß die Sozialdemokratie in ihrem Doktrinarismus, ihrer Unkenntnis der Verwaltung und ihrem Mangel an Führern die ja in jahrtausende langem Kampfe der katholischen Kirche abgerungenen Rechte des Staates mit einem Federstrich preisgibt. Aber Zentrum ist halt Trumpf und Erzberger Diktator. Die Protestanten haben in ihrer Angst vor Adolf Hoffmann und ähnlichen Möglichkeiten sich für ihre Kirche alle Vorteile vom Staate errungen, ohne dem Staat irgendwelche Rechte zu lassen. Was für den Einen recht war, war für den Andern billig. So hat die katholische Kirche schmunzelnd alle Vorteile mit eingesteckt, die einer evangelischen Landeskirche leicht zu bewilligen waren. In Zukunft wird es niemand hindern können, wenn ein spanischer Mönch Erzbischof von Köln wird oder die gemischtsprachigen Gebiete an der Ostgrenze zu einer polnischen Diözese geschlagen werden usw. usw. Alle Beamten haben gewarnt, aber der Dilettantismus der politischen Machthaber ist jetzt Trumpf auf allen Gebieten. Ich versuche noch einiges zu retten, aber ich sehe schwarz. Hinter allem steht in letzter Linie im Augenblick der Kampf auf Leben und Tod zwischen Preußen und dem Reich. Die Auseinandersetzung muß kommen, aber sie kann sich in freundschaftlichen Formen vollziehen, während die Reichsregierung eine Proletenpolitik für angebracht hält und dadurch eine Mißstimmung erzeugt, die dem so gesunden Unitarismus höchst abträglich ist.

Doch nun zurück zur Sache. Braß werde ich ja jedenfalls noch erledigen. Das Ahrens’sche Manuskript habe ich im Augenblick verlegt, doch werde ich es noch heraussuchen, jedenfalls eilt die Sache ja nicht. Auch darüber schreibe ich noch.

Der gute Unger tut mir herzlich leid, aber Preußen kann in dieser Zeit nicht für alle sorgen, die von ihren Heimatstaaten schlecht behandelt werden. Wir kommen schon selbst kaum durch.

Meine Adresse bleibt zunächst das Ministerium. Vom 1. bis 12. August bin ich in Gelnhausen, Villa Becker, nachher wieder Ministerialadresse.

Nun noch eine wichtige Sache. Ich kann wegen der Urlaubsverschiebung am 5. August nicht in Berlin sein, die Konferenz über die Zeitschriften muß also am 15. August stattfinden, um 11 Uhr im Ministerium. Ich freue mich sehr, dann einen Tag in Ruhe mit Dir zu haben. Richte Dich jedenfalls nicht auf zu kurz. (CHB)

 

271. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 16.7.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Den Futtuwa-Aufsatz habe ich in einer Anwandlung von Mut an die Druckerei geschickt. Ich hatte ihn hier jemanden vorgelesen, der ihn harmlos fand. Jetzt hat aber die Druckerei Anweisung, Dir das Manuskript zuzuschicken. Bitte sei so gut und lies es dann gleich durch. Vielleicht ist er mit einigen Streichungen und Übermalungen doch zu gebrauchen.

Braß und Ahrens mußt Du unbedingt erledigen, ehe Du in die Ferien gehst. So viel Mühe wird es Dir nicht machen. Ich verstehe vollständig Deine Überlastung mit Arbeit, aber ich muß die Rechte des „Islam“ an Dich wie ein Löwe verteidigen.

Deine politischen Mitteilungen waren mir höchst interessant. Nein, die Götter lieben diese Regierung nicht. Dein Kampf gegen die Unbildung der Herrscher muß schrecklich sein. Der getreue Wesir und der übermütige junge Herrscher, der nicht hören will. Ich habe den Kampf in den Zeitungen wohl verfolgt.

Am 15. werde ich dann in Berlin sein.. Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

272. C. H. B. an Hellmut Ritter. Berlin, 18.7.1919

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter,

Schließlich ist es doch über meine Kraft gegangen. Ich war außerstande, Braß fertig zu machen, obwohl ich meine ersten Urlaubstage von morgens früh bis in die Nacht um 1 (Uhr) an der Arbeit gesessen habe. Nun aber hat es mit dem Schlafen aufgehört, und da heißt es gebieterisch Schluß, wenigstens für 8 Tage. Ich fahre heute über Weimar nach Heidelberg, Hotel Viktoria. Wenn es dort einen Tag regnet, werde ich den Braß dort erledigen. Der Islam kann auch einmal auf seinen Begründer warten. Es tut mir ja leid, aber ich kann es nicht ändern. Du kannst mir ja glauben, daß ich das Mögliche leiste.

Deinen Futuwwa-Aufsatz habe ich soeben erhalten und bin sehr gespannt darauf. Das Manuskript Ahrens ist mir irgendwie abhanden gekommen. Vermutlich habe ich es an einem ganz sicheren Ort aufbewahrt; aber jedenfalls kann ich es im Augenblick nicht finden und bin zu nervös, um mich lange darüber aufzuregen.

Adresse bis Dienstag: Heidelberg, Hotel Viktoria, dann Gelnhausen, Villa Becker. (CHB)

 

273. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 24.10.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Anbei sende ich Dir einen Briefwechsel zwischen mir und Dr. Lüdtcke zur Kenntnis und bitte Dich, doch einmal mit ihm die schwelenden Fragen zu besprechen. Dr. Lüdtcke ist eine ganz gute Hetzpeitsche; ihm geht immer alles zu langsam, sowohl das Drucken wie das Organisieren. Aber es ist gut, daß ein solcher Mensch da ist.

Die Heidelberger Hochzeit verlief recht erfreulich und harmonisch. Bezold habe ich leider vergebens versucht zu sprechen. Dagegen habe ich Ruska ausführlich genossen; er macht jetzt ja Politik.

Meine Kollegs hier sind nett besucht; mir geht’s auch sonst ganz gut. Ich hoffe sehr, daß auch Du gesund und nicht zu überladen mit Arbeit bist.

Mit herzlichen Grüßen Dein getreuer (gez.) Ritter.

Handschriftliche Anmerkung:

Franks (?) empfiehlt private Besprechung von Redak.(?). Auch Cohn, Kümmel, FWK Müller und Haenisch eingeladen.24

 

274. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin?), 27.10.1919

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter!

Wenn Du hoffst, daß ich im Augenblick nicht allzu überladen wäre, so ist Deine Hoffnung leider trügerisch. Ich gerade in diesen Wochen anläßlich der Beratung unseres Etats mit gleichzeitiger Tagung der Vorbesprechung der Reichsschulkonferenz und der jetzt noch bevorstehenden Abwesenheit des Ministers derartig überlastet, wie wohl noch kaum vorher und muß alle anderen Pflichten außer den dienstlichen zurückstellen. Es wird also auch dies neue Heft ohne meinen Nachruf herausgehen müssen. Nachdem wir schon sowieso die Nachrufe einmal zurückgestellt haben, schadet es nichts, wenn sie auch noch ein Heft später kommen. Meine Nervenkraft ist im Augenblick ziemlich zu Ende, ich weiß nicht, wie das so weiter gehen kann; denn auch der Minister und die Direktoren sind so abgearbeitet und ständig überlastet, neue Hilfskräfte taugen entweder nichts oder sollen wegen Finanznot nicht eingestellt werden; die Geschäfte aber wachsen täglich, so daß ich wirklich nicht ohne Sorge der Zukunft entgegensehe. Man darf aber den Kopf nicht sinken lassen und das tue ich auch nicht. Man erlebt ja auch immer wieder allerlei erfreuliche Anerkennung, die einem ein Stück weiter hilft. Ich bin bisher im Parlament mit meinen zwei Büchern sehr gut abgeschnitten, muß aber jetzt gerade in der nächsten Zeit endgültig Stellung nehmen zu den wichtigen Reformfragen und diesmal nicht als Privatmann sondern amtlich, und da heißt es, nochmals alles sorgfältig durchdenken.

Unter diesen Umständen kann ich mich auch nicht eingehend um die Verbandssache kümmern. Am Freitag wohnte ich einer Sitzung des Güterbock’schen Konkurrenzverbandes unter dem Vorsitz Eduard Meyers bei, konnte aber nicht die ganze Zeit dabei bleiben; unser Komitee war durch Lüders und Steindorff gut vertreten. Es wurde jedenfalls beschlossen nichts zu unternehmen, ehe nicht unser Zeitschriften-Verband geboren sei. Dann plant man allerdings, diesen Zeitschriften-Verband als eine Abteilung in den großen Verband einzugliedern. Das ist immerhin möglich, obwohl ich mich energisch dafür einsetze, daß die Zeitschriftenerhaltung und überhaupt das Interesse der eigentlichen Gelehrtenarbeit nicht von den mehr peripheren Interessen der großen Vereine, wie D.O.G., Geographische Gesellschaft, Museen usw., erdrückt werden dürften. Jedenfalls ist die Sache im Fluß, und ich glaube, daß die November-Konferenz bald zu guten Resultaten führen wird.

Gegen die Veröffentlichung der Texte zum Heiligen Krieg habe ich nichts einzuwenden. Ich möchte nur noch empfehlen, daß irgendwo angegeben wird, daß diese sämtlichen Urkunden in der Welt des Islam übersetzt und kommentiert sind. Dadurch wird diese nackte Ausgabe der bloßen Texte gerechtfertigt. Das Ganze erscheint dann als reines Verlegerunternehmen ohne Gegenzeichnung durch einen von uns beiden. Zur Einführung dieser Notiz schicke ich Dir den Bogen nochmals zurück.

Von Babinger wirst Du wohl wissen, daß er noch immer leichte Schwierigkeiten mit Jensen hat. Er hat mich alle Briefe lesen lassen, und ich sehe, wie schwierig es ist, mit einem kranken Menschen wie Jensen zu einem klaren Verhältnis zu kommen.

Ich freue mich sehr, Dich bald einmal wiederzusehen. Zu persönlichen Briefen kann ich leider jetzt nicht kommen. Abschrift meines Briefes an Lüdtcke lege ich bei. Eben kommt Deine Karte über Zeid. Mittwoch weiß natürlich besser Bescheid in diesen Dingen als ich. (CHB)

 

275. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 4.2.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

zu meinem Leidwesen erfahre ich, daß Du nicht kommen kannst. Ich hatte mich sehr auf ein Wiedersehen gefreut. So werde ich Dir demnächst brieflich mitteilen, was ich Dir ganz persönlich zu sagen hatte.

Heute will ich Dir nur mitteilen, daß Leroux wieder mit den Lieferungen des „Journal Asiatique“ begonnen hat. In der Liste des Membres für 1919/20 sind die deutschen Professoren ebenso wie unser Seminar aufgeführt. Freilich ist bei den deutschen Ehremitgliedern der unfreundliche Beschluß vom 14. Juni 1917 abgedruckt:

  • « Dans sa séance générale du 14 juin 1917, la Société asiatique a voté la résolution suivante :

En présence des violations du droit, des crimes, des destructions barbares et sans excuse, officiellement constatés à la charge du gouvernement et du commandement allemand, et universellement glorifiés par la presse allemande,

La Société Asiatique, si elle ne peut ni prétend abolir le fait de l’hommage qu’elle a cru devoir rendre à certains mérites scientifiques,

Déclare que, vis-à-vis des ressortissants des nations ennemies dont il n’est pas à sa connaissance qu’ils aient rien fait pour se dégager de leur part dans les responsabilités collectives, il lui est impossible dorénavant de se commettre à aucune relation personnelle ; qu’elle considère donc comme supprimés, en ce qui les concerne, tous les liens effectifs de confraternité attachés en principe au titre de membre honoraire. »

Der « Islam » steht unter den Zeitschriften, die im Austausch geliefert werden. Ich habe daraufhin den beiliegenden Brief geschrieben, der, wie ich denke, auch in Deinem Sinne ist. Wenn die Leute anfangen, haben wir wohl keinen Grund, uns zu weigern.

Einstweilen mit besten Grüßen Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

Handschriftliche Anmerkung:

G. Jacob hat neuerdings seine Schwester durch den Tod verloren. Willst Du nicht die Gelegenheit benutzen…?

2. Blatt (ohne Datum)

Hast Du irgend welchen Einfluß auf die Notgemeinschaft? Ich habe sie um 1500 Mark gebeten, um die Photographien der wichtigsten Nizami-Handschriften zu bekommen, auf die ich meine Ausgabe aufbauen möchte. Man hat mir prinzipiell zustimmende geantwortet und um die Angabe der Summe gebeten. Ich habe dann 1500 Mark angegeben, aber dann noch keine Antwort wieder erhalten.

Mit bestem Gruß Dein (gez.) Ritter

 

276. Hellmut Ritter an C. H.B. (Hamburg), 8.3.1920

(handschriftlich)

Lieber Becker,

Anbei hast Du die Ausarbeitung des Futuwwaaufsätzchens. Ich hoffe, Du wirst es auch diesmal nicht an Kritik fehlen lassen und mir Deine Meinung deutlich schreiben.

Im Islam bin ich besorgt um die Referate über Herzfelds … Beiträge, überhaupt die ganze Archäologie, die Du früher mitbesprachest. Seit er weg ist, liegt überhaupt ein Hauptzweig der Forschung vollständig brach.

Martensen hat seine einzige Tochter, an der er sehr hing, verloren. Er ist wirklich ein armer Kerl! Laß mich nicht allzulang auf Antwort warten und sei herzlich gegrüßt

von Deinem treuen H. Ritter.

 

277. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 9.3.1920

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter,

Du weißt, das Babinger mancherlei Schwierigkeiten bei Jensen zu überwinden hat. Er ließ nun seine Post über mich gehen, und nun habe ich auch noch zur Verzögerung beigetragen dadurch, daß ich einige Briefe von Babinger versehentlich liegen ließ. Gleichzeitig schrieb mir Jensen einliegenden Brief, den ich, wie ebenfalls beigefügt, beantwortet habe. Bitte schreibe Du ihm nun auch ein paar Worte. Wir können nicht gut eine Arbeit von Jensen ablehnen, aber ich bitte Dich, ihn aus technischen Gesichtspunkten heraus unbedingt auf den halben Bogen festzulegen.

Ich kann zur zeit mich weder um Goldziher-Festschrift, noch um Orientverband kümmern, obwohl ich merke, daß namentlich letztere Angelegenheit ohne mich eben doch nicht vorwärts kommt. Das ist mir eine recht schmerzliche Erkenntnis. Ich bin blödsinnig überlastet, namentlich da ich neuerdings auch im Reichsrat und im Reichstag beschäftigt bin, seitdem auch das Reich Schulgesetze macht. Morgen fahre ich für den Rest der Woche nach Bamberg zur Hochschulkonferenz, wo ich auch mit Wrochen zusammenkommen werde.

Über Deinen lieben persönlichen Brief habe ich mich sehr gefreut. Wir müssen ns wirklich bald einmal wieder sprechen. Hoffentlich ist in Deinen Ferien Anlaß dazu. (CHB)

 

278. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 11.3.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Der Querulant Ahrens läßt keine Ruhe. Ich schicke Dir beifolgend seinen letzten Brief, der vorige war fast noch unglaublicher. Ich habe mich daraufhin bereit erklärt, seine Arbeit bis zum Umfang eines Bogens zu drucken, obwohl ich ihm, wie Du weißt, nur einen halben Bogen zugesagt hatte. Trotzdem weiter diese Tonart! Er hatte als Entschädigung für die Arbeit des Kürzens ein besonderes Honorar von siebzig bis achtzig Mark verlangt, was der Verleger höflich ablehnte. Ich schicke Dir die ganze Korrespondenz, soweit sie hier ist, zu. Ich habe nun beifolgenden Brief geschrieben, aber noch nicht abgeschickt, weil ich meiner Sache nicht ganz sicher war. Ich finde nach wie vor, den ganzen entsetzlichen Mist von Ahrens’ Anmerkungen abzudrucken, ist einfach nicht zu verantworten. Alle anderen Autoren lassen sich Kürzungen ihrer Arbeiten gefallen, weil sie Verstand haben, dieser Mann ist wie verrückt.

Ich möchte Dich nun bitten, jetzt einmal selbst persönlich einzugreifen und Ahrens Deine Meinung zu schreiben. Wenn Du ex cathedra redest, wird es ja auf diese Kreatur hoffentlich Eindruck machen. Ich lege meinen Brief an Ahrens unterschrieben bei. Hältst Du ihn für richtig, ihn abzusenden, dann tu es. Lieber wäre mir freilich, Du schriebest selbst. Bitte, tu mir den Gefallen und hilf mir hier, wo ich festgefahren bin. Du weißt, daß ich die Arbeit nicht angenommen habe, insofern an dem ganzen Kram nicht unbedingt schuldig bin. Tschudi war eben zu nachgiebig. Also, ich hoffe auf Deine Hilfe! Bitte erledige die Sache auch recht bald, weil der Mann nach dem 15. d. M. mit einer Klage droht.

Mit bestem Gruß Dein (gez.) H. Ritter.

 

279. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 11.3.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Als ich den beiliegenden Brief unterschrieben hatte, kam Dein Brief. Weißt Du, zuweilen faßt mich ein Anfall von Verzweiflung. Die Situation ist wirklich fürchterlich: es geht nun einmal nicht ohne Dich, und Du bist nie zu haben.

Sehr schmerzlich die Sache ist mit dem Orientverband. Es müßte längst eine Sitzung einberufen sein. Aber wer hat denn Lust und Geld, in diesen Zeiten zu reisen. Es ist wirklich zu viel verlangt. Ich will jetzt einmal an Brockelmann, Steindorff und Herzfeld schreiben und versuchen, die Sache wieder in Fluß zu bringen. Was dabei herauskommt, steht dahin.

Da Du nach Bamberg fährst, schicke ich schweren Herzens den Brief an Ahrens doch ab. Wenn ich damit Unsinn mache, so kann ich es eben nicht ändern; wenn ich Dir den Brief erst zuschicke, verzögert sich alles wieder unliebsam. Ich verstehe, daß es nicht zu ändern ist, aber es wird mir manchmal schwer, die Verantwortung zu übernehmen.- An Jensen werde ich schreiben.

Wegen Goldziher will ich einmal bei Snouck-Hurgronje sondieren, ich will ihn auch fragen, ob er Geld dazu geben kann. Demnächst werde ich Dir einen Entwurf für einen Werbebrief zusenden, nicht, als ob ich das dann für endgültig hielte, aber in der stillen Hoffnung, daß es Dich vielleicht anregt, den besseren Text selbst zu entwerfen. Ich will Dir in der ganzen Angelegenheit alles möglichst mundgerecht machen, nur Dein Urteil, Deine Randbemerkungen und Deine Unterschrift brauche ich. Ich will dann mit Babinger zusammen eine Liste aufsetzen von Leuten, die zu beteiligen wären und Dir vorlegen.- In Betracht käme wohl ein Beiheft zum „Islam“, das vielleicht vom neutralen Ausland finanziell zu unterstützen wäre. Bitte äußere Dich zu dieser Sache einmal. Daß mehr als eine Feld-, Wald- und Wiesenfestschrift herauskommt, glaube ich nicht. Du dachtest, soviel ich weiß, an eine großzügige Darstellung der gesamten Islamwissenschaft durch berufene Vertreter. Wer soll das machen?

Mit vielen Grüßen Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

Handschriftlicher Zusatz:

Und nun noch einmal die leidigen Nachrufe. Ich habe heute die ersten Druckbogen des neuen Heftes bekommen und muß die Nachrufe haben. Weiß der Himmel, daß ich Dankwords (?) mit dem großen Widerwillen noch immer vor mir herschiebe, aber es ist jetzt ein volles Jahr her, daß Du mich vertröstest und noch kein Schimmer Hoffnung! Weißt Du einem wird’s manchmal übel; manchmal bin ich nahe dran mit Franke und Deiner Frau dem Tag zu fluchen, wo er ins Ministerium einzieht. Der Mensch in Dir wird ja ganz vom Beamten überwuchert, und meine ablehnende Stellung zu den Schulgesetzen bringt es mit sich, daß ich – ich kann mir nicht helfen – rein wissenschaftliche Arbeit für ein schöneres monumentum(?) ad perennius für mich halte als das Gesetz über Einheitsschule etc. Dir wünschte ich durch meine Islamanforderungen würden derartige Gesetze hinausgezögert!

Ärgere ich nicht über solchen verneinenden Gefühlsausbruch! Wir Laien beurteilen einmal alles ungerecht nach dem, was für uns letztendlich dabei herauskommt, und das war früher schöner. Verzeih! Mit besten Grüßen Dein H.R.

 

280. C. H. B. an Hellmut Ritter (Berlin?), 26.3.1920

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter!

Infolge der Wirren bin ich erst gestern dazu gekommen, Deine verschiedenen Schreiben gründlich zu lesen. Glücklicherweise bin ich im Augenblick als Folge der Umwälzung geschäftlich freier als sonst. So glaube ich, daß ich in den nächsten Tagen einige Deiner Wünsche werde erfüllen können. Jedenfalls habe ich vor, bis spätestens Ostern, wo ich durch Ausfallenlassen des Ostersamstages vier Tage hintereinander frei habe, die zwei Biographien fertigzustellen. Große Studien werde ich nicht mehr dafür machen, da ich ziemlich im Kopf habe, was ich sagen will. Es kommt nur auf eine mehr oder minder glückliche Formulierung an und ich habe ja bei allen meinen Orientalisten-Nachrufen immer mehr Wert auf die Charakterisierung der Persönlichkeit als auf biographische Vollständigkeit gelegt.

Über den Fall Ahrens habe ich heute mit Dr. Lüdtcke telephoniert. Er hatte von Ahrens bereits eine Reaktion auf Deinen, allerdings ziemlich groben Brief vom 11. März erhalten. Ich hatte nach Studium der Vorgänge den Eindruck, als ob die Rechtslage gar nicht so eindeutig ist, wie sich das Herr Ahrens vorstellt. Ich habe deshalb mit Lüdtcke verabredet, daß er jetzt an Ahrens ein kurzfristiges Ultimatum stellt, das er Dir zur Mitunterschrift schicke wird. Danach muß er sich verpflichten, die Arbeit auf einen Bogen zusammenzustreichen. Jedenfalls wird nicht mehr als ein Bogen gedruckt. Es ist meines Erachtens bei dieser Arbeit ziemlich gleichgültig, wo man abstreicht. Dieser eine Bogen wird ihm in einem der nächsten Hefte bewilligt. Läßt er sich darauf nicht ein, wird kurzweg abgebrochen und der Klageweg ihm überlassen. Ich bin überzeugt, daß er dabei hereinfallen wird. Die ganzen Papiere sende ich ihm mit bestem Dank zurück.

Von Tschudi hatte ich dieser Tage einen famosen 20 Seiten langen Brief, ein erstes Lebenszeichen von ihm seit seiner Rückkehr in die Schweiz. Ruhig, vernünftig, mit uns leidend, voll klarer Ausblicke auf das zukünftige Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz, kurz, ein recht wohltuender Brief. Wenn Du willst, schicke ich ihn Dir einmal.

Diese Feld-, Wald- und Wiesen-Festschrift für Goldziher halte ich für völlig überflüssig, auch wäre mir die Annahme neutralen Geldes hierfür höchst willkommen. Eine solche Festschrift haben wir ihm ja schon einmal gewidmet und für überflüssige und unsystematische Arbeiten hat man im Augenblick wirklich kein Papier übrig. Mir schwebte ein gar nicht von vielen Verfassern, aber von fünf, sechs Leuten zu gebendes, lebendiges Bild der derzeitigen Islam-Wissenschaft vor. Wenn sich z. B. Ritter, Littmann, Hartmann, Babinger, Jakob und Herzfeld zusammensetzten, könnte meiner Meinung nach ein recht schönes Buch zu Ehren Goldzihers herauskommen. Aber natürlich nicht von heute auf morgen. Eigentlich ist ja keine Zeit zu Festschriften. Wenn die von Dir geplante zustande kommt, würde ich mich nicht versagen, aber sehr viel inneres Interesse habe ich einer solchen Zweckschrift nicht entgegenzubringen, auch Snouck Hurgronje wohl kaum.

Einliegens schicke ich auch die Futuwwa-Arbeit zurück. So bin ich voll mit einverstanden, aber unter der Voraussetzung, daß es ein Vorbote zu größerem ist, jedenfalls aber verdient das schon jetzt den Druck. Es wird mich vielleicht veranlassen, auch meinerseits einmal zu dem Thema das Wort zu nehmen. Hoffentlich bringst Du es bald zum Abdruck.

Nun werde ich schon wieder aus den stillen Pfaden dieses Briefes in die rauhe politische Wirklichkeit gerufen. So will ich Dir nur noch schnell sagen, daß es natürlich ein Unfug war, mich für irgendwelche Reichsgesetze verantwortlich zu machen. Wenn die Reichsgesetze noch so halbwegs verständig geraten, so darf ich das wohl auch meinem direkten oder indirekten Einfluß zuschreiben. Du solltest erst einmal erleben, was sonst alles Gesetz würde. Daß man jetzt keine Lorbeeren pflücken kann auf schulpolitischem Gebiet, ist ganz klar. Das beste, was man tun kann ist, daß man allzu große Dummheiten verhindert. Aber ehe Ihr in Hamburg an zu kritisieren fangt, macht gefälligst mal selber ein besseres Universitätsgesetz.

Der wahnsinnige Husarenritt Kapps hat die Situation fatal nach links verschoben und es wird uns sehr viel Mühe kosten, all das neue gegen Bildung und Bürgertum angehäufte Mißtrauen zu überwinden. Nach solchen Heldentaten darf niemand von rechts mehr den Arbeitern einen Vorwurf machen, wenn sie in ihrer primitiven Denkweise die Konsequenzen aus dem Vorgefallenen ziehen. Ich war gerade in Bamberg, konnte aber Samstag Abend schon hier zurück sein und habe dann das ganze Ringen aus nächster Nähe miterlebt. Ich war auch vorübergehend in Schutzhaft und wurde auf der Reichskanzlei von Oberst Bauer vernommen. Dort traf ich auch Traub. Ich benutzte die Gelegenheit, den Herren sehr gründlich meine Meinung zu sagen. (CHB)

 

281. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 30.3.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Der Kapp’sche Streich hat für mich also doch eine erfreuliche Folge gehabt, nämlich einen ausführlichen Brief von Dir. Es ist sehr wohltuende, nun endlich Deine Meinung über die verschiedenen schwebenden Angelegenheiten zu erfahren.- Den Brief von Tschudi würde ich sehr gern lesen.

Wegen der Goldziher-Festschrift hatte ich vor einiger Zeit an Snouck Hurgronje geschrieben. Er war ganz Deiner Ansicht, indem er von einer Feld-, Wald- und Wiesenfestschrift nichts wissen will. Ich reiße mich auch nicht darum, eine solche zu inszenieren. Das von Dir gedachte Unternehmen halte ich freilich auch für aussichtslos. Die Leute, die Du nennst, werden sich eben schwerlich zusammensetzen, und ich kann jetzt nichts verfassen. Mit meiner jetzigen literarischen Produktion wirst Du vermutlich ebenso wenig einverstanden sein wie ich selbst. Ich schütte jetzt bloß einmal ein paar Ladenhüter aus: ut aliquid fieri videatur! Im übrigen bin ich jetzt rezeptiv und will es auch sein, weil ich merke, daß das außerordentlich nützlich ist, auch im Hinblick auf meine spätere Produktion. Des einen kannst Du sicher sein: daß ich mich immer mehr von der Philologie ab und der Geistesgeschichte zuwende. Die Sächelchen, die ich jetzt im „Islam“ schreibe, z. B. azerbeidschanische Texte, sind noch eratische Blöcke aus der früheren Periode, die Futuwwa-Arbeit zeigt ein bißchen den neuen Stil, der sich anbahnt.

Meinen vorigen, etwas temperamentvollen Brief wirst Du richtig verstanden haben. Natürlich weiß ich genau, worin Dein Wirken besteht, und weiß es voll und ganz zu schätzen. Das Endergebnis, der Kompromiß (natürlich höchst notwendig und wertvoll) ist nur gerade nichts, woran man sich von ganzem Herzen erfreuen könnte.

Die Nachricht von Sachau interessiert mich sehr. Dann gibt es also wieder eine Verschiebung der Ordinarien.

Vor einigen Tagen bekam ich einen Brief von Babinger. Ich hatte ihm vorgeschlagen, sich doch hier zu habilitieren, weil er mit Jensen notwendig einen solchen Krach kriegen wird, daß seine Privatdozentenjahre voll Ärger und Krakeel sein werden. Er schrieb mir daraufhin, daß ihn seine schwierige pekuniäre Lage daran hindere und vielleicht sogar zwingen würde die Wissenschaft aufzugeben, bat mich aber, Dir davon nichts zu schreiben. Ich will versuchen, ob ich hier etwas für ihn tun kann.

Herzfeld schrieb mir einen sehr betrübten Brief, sowohl wegen der langsam einschlafenden Verbandsangelegenheit als wegen seiner persönlichen Verhältnisse. Er sei in den nächsten Monaten für nichts zu haben.

Mir persönlich geht es gut. Hoffentlich sieht man sich einmal!

Mit besten Grüßen Dein getreuer (gez.) H. Ritter

 

282. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 6.4.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Dr. Lüdtcke schickt mir beiliegenden Brief und Entwurf zu. Bitte schreibe Deine Genehmigung darauf und schicke den Entwurf Lüdtcke zu. Ich bin sehr glücklich über seinen Vorschlag. Auf diese Weise hat man eine Handhabe, unangenehme Leute abzuwimmeln, z. B. allzu unerfreuliche Sachen von Jacob. Seinen letzten Beitrag in den Kleinen Mitteilungen wirst Du mit Entsetzen gelesen haben. Von den unzähligen Übersetzungsfehlern abgesehen, ist die ganze Sache so wenig Neues bringend, daß man sich doch recht wundern muß.

Die Islam-Finanzen25 stehen recht ungünstig. Lüdtcke wird Dir darüber berichten.

Mit besten Grüßen Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

283. C. H. B. an Hellmut Ritter (Berlin?), 15.4.1920

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Unser Freund Babinger redet und schreibt sich um Hals und Kragen. Wahrscheinlich hat er Dir auch die Internationale Monatsschrift geschickt. Der Artikel ist eine Katastrophe. Ich schicke einen Durchschlag meines Schreibens an Babinger, um Dich ins Bild zu setzen. Wir werden schon sehr für ihn sorgen müssen, sonst kommt er nicht durch. Auf Deine kürzliche Bemerkung hin hatte ich übrigens einmal andeutungsweise bei ihm angetippt, wie es mit einem Privatdozentenstipendium stünde, und zwar habe ich das so gemacht, daß ich ihm zugeraten habe, sich doch lieber in Hamburg zu habilitieren, da er sich mit Jensen sicher verkrachen würde. Und dann habe ich eine handschriftliche Anmerkung dazu gemacht, daß ich das sehr von dem Gesichtspunkt aus bedauern würde, daß ich ihn dann nicht mehr fördern könnte. Es käme doch in diesen ernsten Zeiten unter Umständen ein Privatdozentenstipendium in Frage, doch wüßte ich natürlich nicht, ob er überhaupt je darauf reflektierte. Nun hat er Gelegenheit, über diesen Punkt einmal offen mit mir zu sprechen. Soviel nur zu Deiner Orientierung.

Ich habe übrigens gestern meinen 12 Schreibmaschinenseiten langen Nachruf auf Martin Hartmann in die Druckerei gegeben. Für Karabecek habe ich auch das Material zusammen.

Von meinem Brief an Jensen sende ich Dir Durchschlag und bitte um Rückgabe.

Der Rücktritt von Sachau wird übrigens noch keine Verschiebung unter den Ordinarien herbeiführen, da er nur von der Leitung des Seminars entbunden ist. Doch bekommen wir aller Voraussicht nach bis zum Herbst die 65-Jahresgrenze …

Ich bin nur neugierig, Dein Urteil über die ZDMG-Angelegenheit zu hören. Du schreibst mir ja wohl bald einmal darüber und schickst mir den Entwurf eventuell in Abschrift zurück. (CHB)

 

284. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 16.4.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Hab Dank für Deinen Brief! Natürlich hatte mir Babinger seinen Abdruck auch gesandt; ich habe ihn aber gar nicht unter diesem Gesichtspunkt angesehen, mich nur ein wenig darüber gewundert. Warum schreibt der Mann so etwas?! Du hast ganz recht.

Daß Martin Hartmann von Stapel gelaufen ist, ist ja höchst erfreulich. Vivant sequentes!

Über die finanziellen Verhältnisse des Islam habe ich Dir kürzlich erst berichtet. Die eigentliche Schwierigkeit, mit der ich als Herausgeber jetzt zu kämpfen habe, ist die Produktion von Jacob. Bitte sieh Dir doch einmal seinen letzten Beitrag, der in Fahnen gedruckt Dir vorliegt, an. In den wenigen Zeilen, die er türkisch abdruckt, habe ich fünf bis sechs grobe Übersetzungsfehler herauskorrigiert. Es liegt noch bei mir ein Manuskript von ihm, Übersetzung Stambuler Urkunden, das von groben Schnitzern wimmelt. Ablehnen kann ich die Manuskripte von Jacob natürlich nicht, eine Kritik über ihn schreiben mag ich auch nicht, bleibt nur die höchst undankbare Arbeit, die Sachen durchzuarbeiten und ihm Verbesserungsvorschläge zu machen, was schon Tschudi immer tat. Aber ich weiß wirklich nicht, ob ich dazu da bin.

In der DMG-Angelegenheit verdient Herzfeld alles Lob. Die Aufgabe, die alten Orientalisten zu dieser Sache zusammenzutrommeln, ist ganz ungeheuer schwer, und ich verstehe, daß Herzfeld mit seiner Art oft sehr energische Gefühlsausbrüche von sich gibt; doch schrieb er mir neulich etwas zuversichtlicher. Den Entwurf kannte ich schon. Der Vertragsentwurf stammt von Lüdtcke. Ich bin nicht genügend organisatorisch gebildet, um an den einzelnen Paragraphen eine sachliche Kritik zu üben. Ich denke schon, daß die Sache mit der Zeit gehen wird. Daß die Generalversammlung hinausgeschoben wird, ist verständlich, niemand will und kann reisen; ich auch nicht. Ich finde, wir können die Entwicklung ruhig abwarten. Die Herausgeber der eingegangenen Zeitschriften mögen meinetwegen noch etwas reifer werden.-

Ich stecke jetzt in Kollegvorbereitungen und leide unter dem Druck des Zuvielerlei.

Weiteres schreibe ich in Kürze. Mit vielen Grüßen bin ich Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

285. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 22.6.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Eben kriege ich einen Brief von Babinger, wo er mir die Mitteilung macht, die Du wahrscheinlich auch schon direkt bekommen hast. Er bedarf also unseres Rates. Ich bin natürlich nach wie vor bereit, ihn hier aufzunehmen; doch will ich ihm nicht von neuem darüber schreiben, bevor Du Dich geäußert hast. Ich bin außerdem jetzt gerade dabei, einen Privatdozenten namens Obermann, der eine recht gute Arbeit über Ghazali geschrieben hat und mir von Goldziher empfohlen wurde zu habilitieren. Er ist zwar Jude, doch habe ich ihn mir angesehen und fand ihn persönlich so angenehm, daß dieser Punkt für mich keine Bedenken mehr hat. Er ist Wiener und kennt recht genau den Fall Kalám sowie die jüdische Philosophie, weiß auch ausgezeichnet im Talmus Bescheid, was mir eine nicht unerwünschte Berigabe ist, da ich in meinen Studien doch immer wieder auf jüdische Dinge stoße. Das würde aber kein Hinderungsgrund sein, auch Babinger hier aufzunehmen. Freilich könnte ich ihm zunächst keine Nebeneinkünfte bieten, solange Björkman noch da ist. Wie Du weißt, beschäftigt mich das Problem Björkman seit langem. Wenn ich nur irgend eine Versorgung für ihn wüßte. Weißt Du keinen Rat?

Beiliegend schicke ich einen Brief von Tschudi mit, den Du mir bitte gelegentlich wieder zusenden willst. Ich hatte ihn gebeten, auf Mez einen Nachruf zu schreiben, er will aber nicht. Kannst Du ihn nicht noch einmal auffordern?

In der Redaktion haben sich jetzt so viele Manuskripte angehäuft, daß mir der Gedanke gekommen ist, den nächsten Band auf einmal herauszubringen. Ich will noch heute an den Verlag deswegen schreiben. Es liegen vor folgende Manuskripte:

  • Babingers Arbeit, die ich dieser Tage bekomme.
  • Ein Aufsatz von Herzfeld über die Bedeutung von Chorassan für die islamische Kultur- und Kunstgeschichte,
  • Kahle, Alexandrien,
  • Wiedemann über allerhand technische Dinge, wie Du bereits im Satz gesehen hast,
  • Sobernheim, die Inschriften der Zitadelle in Aleppo, und außerdem hat
  • Golziher zwei Manuskripte angekündigt.

Das würde für einen Band reichen. Wir kämen dadurch etwas wieder aus dem Mißverhältnis zwischen dem Sonnen- und dem Redaktionsjahre heraus. Kleine Mitteilungen sind auch reichlich da. Einen Teil hast Du ja schon gesehen.

Wenn Du mir auf die Hauptpunkte dieses Briefes bald kurz antworten könntest, wäre ich Dir recht dankbar. Ich möchte noch alles erledigen, ehe ich in die Ferien fortgehe.

Mit vielen Grüßen Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

286. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 1.7.1920

Der Staatssekretär

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Dein Brief vom 28. v. Mts. Ist mir eine wirkliche Erleichterung. Ich lege Dir einen Verrechnungsscheck über 2000 Mark bei, den Du an Deine Bank senden mußt. Diese Form der Geldüberweisung ist den Banken angenehmer als die direkte Überweisung durch Brief.

Wenn Björkman nichts taugt, mußt Du ihm kündigen, und er soll Oberlehrer werden. Ich habe ja nur seine ersten Anfänge erlebt. Ich würde es für gut halten, wenn Babinger sich erst einmal hier habilitiert. Er könnte ja dann immer später zu Dir übersiedeln. Dein Urteil über ihn deckt sich genau mit dem Meinigen. Statt Babinger käme übrigens auch der junge Schaeder in Frage, der zurzeit hier ist und mir einen sehr guten Eindruck gemacht hat. Daß Schaade Dich enttäuscht, tut mir leid, aber Du darfst nicht alle mit Deinem Maß messen.

Deine Ferienfreude kann ich verstehen. Auch ich kann den Zeitpunkt kam abwarten, an dem ich abreise. Ich bin zwar schon seit Montag in Urlaub, habe aber bisher nichts anderes getan, als die Reste meiner Korrespondenz, Korrekturen, Denkschriften und ähnliches erledigt, und will dabei noch vor der Abreise an dem Nachruf auf meinen Bonner Freund, dem Philosophen Ohmann, schreiben. Vorher reise ich nicht ab. Ich bin sicher bis Sonntag hier. Dann vom 10. – 20. Juli in Gelnhausen, am 24. in Göttingen, am 26. wieder in Berlin zurück. Wo und wann werden wir einmal zusammen sein?

Von Herzen Dein getreuer (CHB)

Anlage: 1 Verrechnungsscheck über M 2000,.

 

287. C. H. B. an Hellmut Ritter. Berlin, 23.8.1920

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter,

Du hast mir auf meinen Brief immer noch nicht geantwortet. Ich sehe aber aus dem Stempel der heute eingegangenen Korrekturen, daß Du daheim bist. Ich komme Dich besuchen, bin auch bereit nach Niederzwehren zu kommen, wenn es sich mit der Zeit ermöglichen läßt. Hauptsache aber ist, daß wir uns einige Stunden allein sprechen können. Ich komme Sonnabend 12.88 h in Cassel an und hoffe, daß Du mich am Bahnhof in Empfang nimmst. Ich komme den Tag über Bebra nach Gelnhausen und will mit dem gleichen Zug 24 Stunden später nach Berlin zurückfahren. Laß uns diese Zeit gut miteinander ausnutzen. Ich überlasse Dir vollkommen, wo wir die Zeit verbringen. Hältst Du Cassel für richtiger, so bestelle für uns beide Zimmer in einem Hotel und teile mir nach Frankfurt, Baseler Hof, die Adresse mit. Ich treffe Donnerstag früh in Frankfurt ein und bleibe dort bis Freitag gegen Abend. Es wäre mir jedenfalls lieb, dort eine Zeile der Bestätigung von Dir vorzufinden. Hast Du lieber Deine Ruhe, so fahre ich von Gelnhausen direkt nach Berlin. Mein Brief ging damals noch nach Hamburg. Hoffentlich ist er in Deine Hände gekommen.

Ich freue mich riesig, Dich wiederzusehen. (CHB)

 

288. C. H. B. an Hellmut Ritter. Berlin, 9.11.1920

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter,

Herzlichen Dank für Deinen Brief und Kartenbrief. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich über Deinen Brief gefreut habe. Glückauf! Was Deine Karte betrifft, so würde ich eine Übersetzung des Maverdi für einen glücklichen Gedanken halten. Die französische ist meines Wissens sehr gut. Ohne einen ausführlichen Kommentar hat das Ganze aber wohl wenig Zweck. Ob ich die Zeit dafür habe, eine wirklich gediegene Einleitung zu schreiben, weiß ich nicht. Locken würde es mich ungeheuer. Vielleicht könnte dieser Teil des Problems noch offen bleiben. Es wäre ja auch möglich, daß wir eine gemeinsame Einleitung schrieben. Ich bitte jedenfalls, mich noch nicht absolut festzulegen. Du müßtest ja wohl alle Parallelen und Quellen auch Deinerseits ins Auge fassen. Immerhin glaube ich, daß es eine Arbeit ist, die Dir liegen würde.

Besitzt Du eigentlich noch meinen Jhja, d.h. die unkommentierte Ausgabe? Ich bin von dem kleinen Schaeder darum gebeten worden und merkte erst, als ich schon zugesagt hatte, daß ich sie offenbar an jemand anderen verliehen hatte. Dieser Andere bist wohl Du? Wenn Du sie also nicht mehr unbedingt brauchst, wäre ich für Rücksendung dankbar.

Am Samstag ist endlich in der Kommission das Gesetz über die Altersgrenzen beschlossen worden. Danach werden mit Vollendung des 68. Lebensjahres alle Professoren emeritiert. Es ist kaum daran zu zweifeln, daß das Plenum in gleicher Weise beschließen wird, und dann bekommen wir eine ungeheure Verjüngung in Preußen, etwa 8-9% aller Ordinarien.26

Ich würde gern einmal wieder gemütlich mit Dir plaudern; aber ich habe im Augenblick zu viel zu tun. Nimm drum mit diesen wenigen Zeilen vorlieb. (CHB)

 

289. C. H. B. an Hellmut Ritter. Berlin, 15.11.1920

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Mir fällt nachträglich ein, daß mir irgend jemand anders erzählt hat, daß er eine Mawerdi-Übersetzung vorbereite. Ich weiß aber nicht mehr, wer es ist, am ehesten noch Rescher.; vielleicht weiß Babinger etwas davon. Die französische Übersetzung ist keine Hinderung, obwohl sie meines Erinnerns gut ist. Über Bauers Pläne weiß ich nichts. Du setzt Dich am besten mit ihm selbst in Verbindung. Mit der Redaktion der Revue du monde musulman würde ich unter keine Umständen in Verbindung treten. In dieser chauvinistischen Gesellschaft setzt Du Dich nur einer sehr unangenehmen Abweisung aus. (CHB)

 

290. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 19.11.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Die Babingersche Habilitationsschrift hat sich für uns zu einer ziemlichen Crux ausgewachsen. Babinger besorgte Manuskript und Korrektur seiner Arbeit so flüchtig und inkonsequent und machte dauern so viele Nachträge und Zusätze, daß die Korrekturkosten die Kosten des Satzes bereits überschritten haben. Der Verleger weigert sich, das zu bezahlen und will den Autor belasten. Ich halte das für ganz richtig; denn sonst muß um Babingers Korrekturen willen wieder den Umfang des Bandes einschränken. So oft man Babinger zur Rede stellt, versteckt er sich hinter geheimnisvollen, unaussprechlichen Schwierigkeiten, wie auch diesmal, als ich ihm diese neue Eröffnung machte. Ich schicke Dir seine Karte zur Orientierung zu. Welche persönliche Affäre im Hintergrunde spukt, ahne ich nicht.

Für Deine übrigen Auskünfte besten Dank.- Gesundheitlich geht es mir leidlich, wenn auch die Amöben, wie eine neue Untersuchung ergab, wieder in alter Frische ihr Wesen treiben. Sie werden auch kaum mehr ganz zu vertreiben sein. Ich arbeite zurzeit fleißig an meinen Schattenspielen.

Mit besten Grüßen Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

291. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 27.11.1920

(handschriftlich)

L(ieber) B(ecker),

ich sehe eben mit Schrecken, daß ich mit Babinger und Herzfeld im Islam schon auf 12 Bogen gekommen bin, und merke erst jetzt, wie nötig wir neue Geldmittel haben, wenn wir die Fahnen nicht ad infinitum liegen lassen wollen. Vielleicht sprichst Du mit Dr. Lüdtcke mal eingehender über die Frage.

An die Stiftung kann ich nicht schon wieder herantreten. Dein R(itter).

 

292. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 14.12.1920

(handschriftlich)

Lieber Becker,

beiliegende Karte schickte mir mein Vater mit der Bitte an Dich zu schreiben. Du siehst gewiß, was nötig ist. Zu Hause sieht’s wenig schön aus und mit graut ein wenig vor Weihnachten, das im Pfarrhaus ja unausstehlich ist.

Ich muß nächstens mal wieder nach Berlin kommen. Vielleicht setze ich mich Ostern (?) mal ein paar Wochen zu meinem Bruder in Pension, um mal Muki (?) kennen zu lernen.

Mir geht es wieder einigermaßen und ich sehe nicht mehr rechts und links vor Arbeit. Meine Schattenspiele kommen gut vorwärts. Zwischendurch schreibe ich eine Besprechung von Lasse(?)-Herzfelds Reise und gebe vielleicht die Besprechung schnell heraus. Gestern las ich Herzfelds neuestes Prachtwerk: Am Tor vor Wien (?). Alle Achtung, das in diesen Zeiten! Es ist erstaunlich, daß so etwas jetzt überhaupt feststellbar ist.

Mein Privatleben ist sehr eintönig und still. Alfred (?) und Liselotte tauchen (?) manchmal am (Gartentor) auf. Ich bin gespannt, was werden wird. Bald mehr!

In herzlicher Treue Dein H. Ritter.

 

293. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 15.12.1920

(Maschinenkopie))

Mein lieber Ritter.

Hab Dank für Deinen Brief. Ich habe sofort Weisung gegeben, daß die Angelegenheit Deines Vaters mir vorgetragen wird. Ich verstehe durchaus die fatale Situation, in der er sich befindet.

In Sachen Subvention des „Islam“ habe ich eine längere Unterredung mit Dr. Lüdtcke gehabt. Wir haben uns dahin geeinigt, daß es sich zunächst nicht empfiehlt um eine solche einzukommen. Mir scheint die Lage der Zeitschrift auch in finanzieller Hinsicht nicht allzu bedenklich zu sein. Auch über die Papierqualität habe ich lange mit ihm gesprochen. Ich fände es sehr erfreulich, wenn Du wieder einmal für längere Zeit hierher kämst. Meine Bibliothek stände Dir natürlich auch zur Verfügung, und es gibt allerlei nette und tüchtige Orientalisten hier. Meine Vorlesung über Kalifengeschichte macht mir viel Freude. Die Leute halten sich gut. Ich hielt neulich auch zwei Vorlesungen über „England im vorderen Orient“ in den Auslandsstudienkursen, die ebenfalls ein bis zum letzten Platz gefülltes Auditorium aufwiesen.

Kommst Du am 7. Januar mit nach Leipzig? Es wäre sehr erwünscht. Ich fahre mit den Berlinern am 6. abends hin, damit wir am 7. früh zur Stelle sind. Am 3. (Januar) ist hier in Berlin das Jubiläum des Vorderasiatischen (Museums), das in etwas größerem Stil gefeiert werden soll. Vielleicht könntest Du die Rückreise von Niederzwehren über Berlin antreten und dann noch den kleinen Abstecher nach Leipzig mitmachen.

Gestern hatten wir außerordentliche Generalversammlung der Gesellschaft für Islamkunde, die sich nun doch vorerst nicht auflöst und die Entwicklung abwartet.

Hast Du übrigens Blühers „Werke und Tage“ gelesen? Eine trotz aller Überheblichkeit recht interessante Selbstbiographie. Nicht ohne Interesse wird Dir auch Gundolfs „George“ sein.-

Ich habe im übrigen blödsinnig viel zu tun und sitze wieder einmal fast jeden Abend bis 12 Uhr hinter den Akten. Und dabei hat man diesmal zwischen Weihnachten und Neujahr nur 2 freie Tage. Ich kann jetzt das Dienstbotengefühl würdigen, das sich entrüstet, wenn einer der Feiertage auf einen Sonntag fällt und in diesem Jahr sogar auch noch der 1. Januar ein Sonntag ist. Der Staat braucht bei dem heutigen Apparat die Kräfte seiner Diener wirklich bis zum Äußersten auf.

Ich weiß nicht, ob ich noch dazu komme, Dir vor Weihnachten zu schreiben. Jedenfalls begleiten Dich meine innigsten Wünsche. (CHB)

 

294. Hellmut Ritter an C. H. B. Niederzwehren, 30.12.1920

(Postkarte, handschriftlich)

Lieber Becker,

Ich komme (arab.Wort) am 3. morgens nach Berlin, wohne bei Bruder Karl, und reise dann mit Euch nach L(eipzig?). Willst Du uns einen Abend opfern? Dann laß es bitte womöglich vor dem 6ten sein und gestatte mir einen jungen Maler namens Siegel, Konabiturient meines jüngsten Bruders, der sehr angenehm von den modernen Künstlern absticht, Dir sehr gefallen wird und im übrigen in Berlin schrecklich hungert, mitzubringen. Wir beide finden immer Gelegenheit, allein miteinander zu sprechen.

Gundolfs Georgebuch habe ich. Ein sehr richtiger Weg, den George einschlägt, die ganze Sache in eine höhere Sphäre zu rücken. Religionspolitisch(?) Schia, Ismaels Lehre der Ismaeliten, Babis etc. zu vergleichen. Die Unterschiede zwischen Schia und Sunna sind überhaupt viel religiös-grundsätzlicher als man darzustellen pflegt. Hic Buch – dort Gottmensch.

Tausend grüße Dein Ritter.

 

295. Preußische Landesversammlung Berlin SW, 24.1.1921

Ritter an Staatssekretär Becker, Berlin27

(Maschinenmanuskript)

Streng vertraulich (handschriftlich):

Dem Herrn Minister zu streng vertraulicher Kenntnis. URB 25/1/21

Sehr verehrter Herr Staatssekretär!

Darf ich Sie kurz auf die in der anliegenden Korrespondenz berührte Angelegenheit hinweisen mit der Bitte, doch noch einmal zu überdenken, ob nicht dem Wunsche des evangelischen Teiles der Bevölkerung in Köln entsprochen werden kann. Nach den Nachrichten, die ich aus dem Westen habe, insbesondere auch aus dem besetzten Gebiet meines Wahlkreises, ist die Politik, die das Zentrum dort macht betr. die höheren Schulen,- Ich erwähnte neulich im Hauptausschuß den Fall von der Übernahme des Gymnasiums in Montabaur, verschiedene andere ähnliche Bestrebungen sind mir inzwischen bekannt geworden – höchst bedenklich. National gesinnte Kreise, denen der konfessionelle Gegensatz ganz fern liegt28, haben die allerschwersten Bedenken, daß durch eine völlige Inanspruchnahme der höheren Erziehung durch ultramontane Strömung im Rheinland die nationale Erziehung aufs schwerste gefährdet ist. Sie wissen ja, wie wenig ich auf dem boden des Evangelischen Bundes stehe, wie sehr ich mich bemühe, z. B. mit Stegerwald in gutem Einvernehmen zu leben und ihm bei der Aufrichtung einer gemeinsamen christlichnationalen Front in der Arbeiterschaft diesseits des konfessionellen Haders zu helfen. Aber das hindert mich nicht, eine ganz unbedingte Gefahr in dem zu sehen, was sich dort im Westen anbahnt. Mit der Ernennung eines Katholiken zum Direktor des evangelischen Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Köln wird dieser ganzen Strömung weiterhin Vorschub geleistet. Die Erregung der nationalen evangelischen Kreise ist bedeutend und nicht zu unterschätzen. Es handelt sich um Menschen, die mitschwerer Sorge um die Erhaltung des deutschen Gedankens in der Westmark diesen Erscheinungen zuzusehen. Selbstverständlich bitte ich, diese meine Äußerungen streng vertraulich zur Kenntnis nehmen zu wollen.

Ihr stets ergebener und dankbarer (gez.) Ritter.

 

296. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 17.2.1921

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Nach einer Mitteilung der Druckerei zu schließen, mußt Du noch einige zum Imprimatur bei Dir liegende Bogen an den Verlag schicken. Bitte, sieh doch einmal nach, damit der Band herauskommen kann.

Eben schickt mir Heffenig seine Doktorarbeit. Sie ist sehr fleißig, aber begeistert mich nicht. Ich soll sie im „Islam“ abdrucken, habe jedoch keine rechte Lust dazu. Ich finde auch, wir dürfen nicht zuviel Doktorarbeiten und Habilitationsschriften hintereinander bringen.

Persönlich schreibe ich hoffentlich in den nächsten Tagen einmal.

Mit bestem Gruß Dein gez.) H. Ritter.

Anmerkung:

Geya hatte ich mit v. Berchem in (unleserlich) vorgeschlagen. Nachher gab’s aber bloß ein Extraordinariat und so kam ich um den Ruf. Schade!

 

297. C. H. B. an Hellmut Ritter (Berlin), 5.4.1921

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter.

Der Brief von Junker, den ich anbei zurücksende, hat mich sehr interessiert. Die Situation ist die, daß Junker als Erster und Einziger von der Fakultät als Nachfolger von Andreas vorgeschlagen ist; nur nebenbei wird noch Lommel genannt, über den es aber ausdrücklich heißt, daß die Fakultät ihn noch nicht auf die Liste setzen wolle. Ich hätte auch Junker schon längst berufen, wenn wir die Professur überhaupt wieder besetzen könnten. Sie ist nach dem Etat künftig fortfallend und nur für Andreas geschaffen. Der Finanzminister besteht jetzt auf diesem Schein, und es wird noch eines erheblichen Kampfes und wahrscheinlich eines Verzichtes auf andere Stellen bedürfen, um diese Professur ihrem Zwecke zu erhalten. Keinesfalls wird sie zu irgend einem anderen Zweck und ganz gewiß nicht für vergleichende Sprachwissenschaft verwendet.

Die Wiederbesetzung der Sachau’schen Stelle nach der Ablehnung Littmanns macht mir schwere Sorgen. Gegen Brockelmann spricht ja sehr viel, wenn ich auch zugeben muß, daß Du ihn ganz richtig charakterisierst. Littmann ist unbedingt für Mittwoch, Meißner mehr für Brockelmann. Ich habe jetzt den alten Nöldeke fragen lassen und einmal einen Ausländer, Rhodokanakis, um ein objektives Urteil zu bekommen; auch habe ich bei Bergsträßer angefragt, indem ich ihm offen sagte, daß ich ihn für Berlin noch nicht für geeignet hielte, obwohl er an dritter Stelle genannt ist.

Gestern war Siegel wieder einen Abend bei mir. In seinem Leben vollziehen sich große Änderungen. Da Du an dem Jungen Interesse nimmst, schicke ich Dir einen Durchschlag meines (Briefes) an seinen Vater, der Dir alles erklärt. Ich bitte um Rücksendung. Er wird also für 2, wenn nicht für 3 Jahre Buchbinderlehrling werden. (CHB)

 

298. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 20.4.1921

(handschriftlich)

Lieber Becker,

Einige Berichte Snoucks hatten mich geneigt (?), die französischen Herrschaften einmal zu einer klaren Stellungnahme zu zwingen, bes(onders) Massignon, da Herausgeber der R(evue du) M(oyen) O(rient) (?). Ich schrieb ganz geschäftsmäßig und kurz anfragend. Voici la réponse. Der Gruß am Schluß wird Dich sehr rühren. (Bitte um Rücksendung).

Morgen fahre ich nach Hannover um mich zu verloben. Dann auf ein Paar Tage nach Zwehren, um mich in meinem neuen Zustande meinen Eltern vorzustellen.

Inzwischen wirst Du Minister geworden sein. Dazu wünsche ich Dir von Herzen das taufiq alláh, ohne das all unsere Mühe umsonst ist! Von Herzen Dein H. Ritter

 

299. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 8.9.1921

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter.

Morgen früh fahre ich zur Kieler Woche und bin dort bis Montag Abend Hotel Continental. Mein Plan ist, Montag Abend 9.32 h in Altona einzutreffen. Dort habe ich eine gute Stunde, eventuell 2 Stunden, Zeit bis zur Abfahrt des Schlafwagens. Ich wäre Dir dankbar, wenn Du mich dort träfest. Wir könnten dann die Angelegenheit, die du in Deinem Briefe berührst, noch einmal besprechen. Auch würde ich wegen Toilette und Unterkunft bei Deiner Hochzeit gern noch näheres hören. Asin Palacios muß ich unbedingt lesen. Könntest Du es mir vielleicht mit auf den Bahnhof bringen und für 14 Tage leihen? Ich möchte es gern vor meinem Leipziger Vortrag einsehen.

Der arme Siegel hat einen Stirnhöhlenkatarrh, der ihn leider recht mitnimmt. Hoffentlich ist es bis zu Deiner Hochzeit wieder hoch.

Ich bin sehr belastet und grüße Dich herzlich. (CHB)

 

300. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 16.1.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Es sind einige Islamangelegenheiten, die dringend der Regelung bedürfen. Zunächst muß ich die Nachrufe haben, sowohl den auf Goldziher, als den Herzfeldschen auf van Berchem. Herzfeld schrieb mir kürzlich, daß er seinen Nachruf, so wie er ist, abgedruckt haben möchte; er braucht also nicht mehr liegen zu bleiben, bis Du Zeit findest , ihn zu lesen. Ich möchte gern mit den Nachrufen noch in das nächste Heft, das ziemlich fertig ist. Ich bitte Dich von ganzem Herzen, Dich dieser Sache anzunehmen. Die Holländer und Italiener haben längst über Goldziher und Seybold referiert, während wir noch nichts gebracht haben.

Zweitens finde ich meine Versuche, die Finanzlage der Zeitschrift durch die Bibliothek Warburg zu bessern, gescheitert. Es ist aber dringend wünschenswert, daß irgendwelche Geldquellen eröffnet werden. Kannst Du nicht in Deinem großen Bekanntenkreis einige Gönnerabonnements unterbringen oder uns sonst irgendwie Geld verschaffen oder mir Ratschläge geben, an wen ich mich wenden kann? Es geht nicht so weiter, es muß etwas geschehen.

Ferner hat mir Lüdtcke jetzt die Liste der Austausch- und Freiexemplare zugeschickt. Darauf fungiert u. a. Professor Hötzsch. Worauf gründet sich dessen Anspruch auf freie Zusendung? Wir müssen mit Freiexemplaren tunlichst sparen und dafür versuchen, möglichst viele zahlende Abonnenten zu gewinnen. Wenn es nicht unbedingt nötig ist, Hötzsch weiter zu bedenken, so möchte ich Dich bitten, entweder ihm anheimzustellen, doch durch Abonnement die Zeitschrift zu unterstützen, oder mir zu erlauben, ihn von der Liste abzusetzen.

Das Dringendste aber ist die Finanzlage29. Ich häufe hier Material auf Material und kann es nicht drucken. Bitte, sei so freundlich und widme der Sache einmal Dein Interesse, damit wir aus dem Elend herauskommen. Ich bin so ungeschickt, solche Dinge vernünftig anzufassen. Die Zeitschrift würde ihrem Begründer außerordentlich dankbar sein. (Randbemerkung Ritters: Ist Lüdtcke nicht überängstlich?)

Persönliche Nachrichten über mich wird Dir Siegel überbracht haben, so daß ich mich auf das rein Geschäftliche beschränken kann.

Mit vielen Grüßen Dein alter (gez.) H.Ritter.

 

301. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 11.5.1922

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Heute nur zwei Worte. Ich fahre morgen auf 14 Tage nach Padua und Venedig, zum Teil in amtlichem Auftrage, zum Teil zur Erholung, und bin erst Ende des Monats zurück. Ich teile das Dir nur mit, damit Du während dieser Zeit nicht an mich schreibst. Im Juni wirst Du dann wieder von mir hören.

Harro Siegel wird leider am 1. Juni nach Cassel übersiedeln. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie dankbar ich Dir bin, daß Du mir diesen Menschen zugeführt hast.

In Eile, wie stets Dein getreuer (CHB)

 

302. C. H. B. an Hellmut Ritter (Berlin), 16.9.1922

(Maschinenkopie)

Regierungsrat X. i.A.

Sehr geehrter Herr Professor!

Herr Staatssekretär Professor Dr. Becker, der zurzeit verreist ist, hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß die ihm am 6. September übersandten Korrekturbogen von ihm jetzt unter Briefschaften gefunden worden sind, die für ihn während seiner Anwesenheit in Gelnhausen hier zurückgelegt worden waren. Sie sind nunmehr heute mit Eilbrief an Herrn Dr. Schaeder, Breslau, mit der dringenden Bitte um sofortige Erledigung weitergegeben worden. An der Verzögerung, die Herr Staatssekretär Dr. Becker sehr bedauert, ist Herr Dr. Schaeder also völlig unschuldig.

Mit vorzüglicher Hochachtung

X, Regierungsrat (Duwe?)

 

303. Leo Frobenius an C. H. B. München, 12.9.1922

Forschungsinstitut für Kulturmorphologie, München, Schloß Nymphenburg

Per Einschreiben

Mein lieber Herr Staatssekretär!

Daß Sie viel zu tun haben, glaube ich. Dies passiert aber auch anderen Sterblichen. Ich kann es daher keinesfalls entschuldigen, wenn Sie weder meine Briefe noch meine Sendungen beantworten. In einer sehr geschmacklosen Weise erhielt ich ein Manuskript, das ich Ihnen seinerzeit zu Publikationszwecken lieh und das Sie im Januar 1914 selbst bearbeiten wollten, zurückgeschickt. Ich erwarte nunmehr die Zusendung der übrigen Ihnen geliehenen Manuskripte innerhalb der nächsten 8 Tage.

Da ich alle Unklarheiten vermieden sehen möchte, teile ich Ihnen mit, daß ich nach Verlauf dieser 8 Tage die Angelegenheit in die Hand des Syndikus meines Instituts legen werde. Ich bin erstaunt, daß ein preußischer Beamter in Ihrer Stellung es dahin kommen läßt, einen Kollegen zu zwingen, derartige Mitteilungen zu machen.

Ich bin der Ihre (gez.) L. Frobenius.

 

304. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 18.9.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Besten Dank für die Einsicht in den reizenden Brief von Frobenius. Die Geschmacklosigkeit bestand darin, daß Fräulein Hass ihm die Handschrift zurücksandte mit der geschäftsmäßigen Bemerkung „im Auftrage von Herrn Staatssekretär Becker ergebenst übersandt…“

Babinger hat neuerdings abgeblasen, wie es scheint, auf eine Einwirkung von Dir hin.

Inzwischen erhielt ich einen von Duwe unterzeichneten Brief, der mir die Verzögerung der Korrekturbogen meldete. Es schadet nichts und hält auch den Druck nicht sehr auf.

Heute morgen ist Reichmuth abgefahren. Wir haben ganz hübsche Tage hier verlebt, vor allen Dingen musikalische, da das Wetter ja unseren Ausflugsunternehmungen nicht sehr günstig war.

Ich fahre morgen nach Hause, dann nach Pforta, dann nach Breslau.

Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

305. C.H. B. an Leo Frobenius, München, Schloß Nymphenburg. Berlin, 15.9.1922,

an Hellmut Ritter zur Information

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr!

Ihren letzten Brief ließ ich unbeantwortet, da ich in dem Glauben lebte, das mir von Ihnen seinerzeit zu Publikationszwecken zur Verfügung gestellte zentralafrikanische Manuskript, das nachher auszugsweise von Dr. Bress veröffentlicht wurde, sei längst an Sie zurückgegangen. Sicherheitshalber habe ich aber doch noch einmal in Hamburg nachgefragt, und als ich erfuhr, daß es sich dort noch befände, habe ich Herrn Professor Ritter veranlaßt, Ihnen das Manuskript in meinem Auftrage zurückgehen zu lassen. Ich kann mir kaum vorstellen, daß das in geschmackloser Weise geschehen sein sollte. Andere Manuskripte habe ich von Ihnen nicht erhalten. Sollten Sie etwa solche an das Hamburgische Seminar gesandt haben, so bitte ich Sie, sich mit dem Direktor desselben in Verbindung zu setzen. Sie haben mir wohl andere Manuskripte in Aussicht gestellt, aber ich kann mich nicht darauf besinnen, je welche erhalten zu haben. Sollte ich mich darin irren, so wäre ich dankbar, wenn Sie mir eine Abschrift meiner Empfangsbestätigung zugehen lassen wollten.

Hochachtungsvoll ergebenst (CHB)

 

306. Hellmut Ritter an C. H. B. (Hamburg?), 24.11.1922

(handschriftlich)

Lieber Becker,

Aus der wortlosen Zurücksendung der Unb(ekannten?) entnehme ich, daß der Arme rasend zu tun hat. Du mußt gewiß Kabinett wache(?) halten! Nun, es werden ja auch mal ruhigere Zeiten kommen. Einstweilen nehme ich an, daß Du immerhin ganz gerne Brief kriegst, wenn Du sie auch nicht beantworten kannst. Ich schicke Dir einen Brief von Harro mit nachdem die akute Sache sich etwas gelegt hat. Es ist aber auch sehr kummervoll mit ihm! Aber man kann es ja so noch eine Weile mit ansehen. Wenn etwas geschehen muß, können wir es ja immer noch tun.

Beiliegend zwei Gedichte von Djeláleddin Rúmi. Die Übersetzung wurde von Schnever und Hass (..) gefunden. Vielleicht machen sie Dir in einigen stillen Stunden Freude.

In herzlichem Gedenken Dein H. Ritter.

Anlage 1

Aus dem Diwân i Schems i Tebrîs des Dschelaleddin Rûmi

Ich Bildner, der so manche Form gegossen:
Vor dir sind alle Formen mit zerflossen,

Konnt hundert Bilder wohl zum Leben zwingen:
Seh ich dein Bild, muß Feuer sie verschlingen.

Dein Trank, du Schenke, will den Sinn betören;
Bau ich ein Haus: Du wirst es rasch zerstören.

Mein Seele ist in dir, in dir vergangen,
Ob deines Dufts soll Pflege sie empfangen.
Zu deinem Staube spricht mein rinnend Blut:
„Mit dir vereint mich gleicher Liebe Glut“.

Soll ohne dich dies öde Haus mich fassen?
Komm! Oder laß die Hütte mich verlassen.

Anlage 2

Aus dem Diwân i Schems i Tebrîs

„Wer da in dieser Seele Haus?“ schrie ich zur Nacht.
„Ich bins, des Wange Sonn und Mond erblassen macht.“

„Was seh ich hier im Haus für fremder Bilder Spur?“
„Ach Schatten sind sie deiner hehren Schönheit nur.“

„Doch was ist dieses Bild von Blut so überflossen?“
„Ich selbst, das Herze krank, den Fuß vom Schlamm umschlossen.“

Zum Zeichen stellt die Seele gefesselt ihm ich dar:
„Verschone die geweiht in deiner Liebe war.“

Da gab er eines Seiles Ende mir voll Tücke:
„Zieh du, dann ziehe ich, doch reiß es nicht in Stücke!“

Drauf leuchtete sein Bild noch schöner als zuvor,
Die Arme streckt ich aus, er schlug mich: „Laß du Tor!“

Ich sprach: „Was bist du nun so barsch und rauh mit mir?“
„Zum Guten, nicht aus Haß und falschem Sinn zu dir.“

„Wer immer spricht: „Ich selbst“, dem muß so weh ich tun,
Der Liebe Tempel ist kein Ort dein Tier zu ruhn.“

Das „Heil der Seele30 scheint in diesem Bild verhüllt:
Reib hell die Augen, schau, schau an der Seele Bild!“

 

307. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 13.10.1922

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Ich habe heute die 50 000 Mark für Schaeder bei der Notgemeinschaft erwirkt. Sie werden sofort an Lüdtke gezahlt. Mit Lüdtcke ist alles besprochen. Schaeder habe ich benachrichtigt und ihn aufgefordert, das Manuskript, wie er es mit Dir verabredet, an Dich oder an Lüdtcke zu schicken.

In der Angelegenheit Frobenius kann ich Dir nur sagen, daß auch ich ein Verzeichnis von Handschriften nicht besitze. Meines Erachtens waren es höchstens 3-6 Stück, darunter mehrere dalail al ‚chairat. Die Empfangsquittung muß bei den dortigen alten Briefen sein. Ich wäre sehr dankbar, wenn Du auch mir einen Durchschlag davon schicken könntest. Sollte die in dem Brief erwähnte Empfangsbestätigung von mir nicht bei den dortigen Akten sein, so bitte ich mir sofort den Frobenius’schen Brief zurückzuschicken, damit ich an der Hand des dort angegebenen Datums unter meiner alten Korrespondenz nachsehe.

Ich will das Buch der Kommerzbibliothek mit auf meine Reise nehmen, die ich morgen nach Wiesbaden antrete, wo ich am Montag über „Antike und Islam“ sprechen will. Nach der Rückkehr sende ich sie gelesen oder ungelesen oder unbesprochen – jedenfalls aber zurück.

Von dem Mez’schen Buch weiß ich seit Jahren. Ich habe selbst noch mit dem lebenden Mez darüber gesprochen. Ich wäre Dir für Übersendung dankbar; ich will es gern anzeigen, da ich es doch lesen muß. Besonders dankbar wäre ich, wenn Du es mir dann auch umgehend schicken wolltest.

Den Picatrix dankend erhalten.

Mit herzlichen Grüßen Dein getreuer (CHB)

 

308. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 23.10.1922

Hamburgische Universität. Seminar für Geschichte und Kultur des Orients

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Aus den hiesigen Akten geht über die Angelegenheit Frobenius Folgendes hervor:

1910 hat Frobenius dem Museum für Völkerkunde eine Reihe von Handschriften übersandt, von denen eine Anzahl von Dir als wertvoll bezeichnet wurde, und die daraufhin dem Museum von Frobenius geschenkt worden ist. Die anderen sind ihm zurückgesandt worden. Unter diesen Handschriften befinden sich die dalá ‚il el-chairát, von denen Du mir schreibst. Eine Liste über diese Handschriften ist in unserem Besitz. Die erste Handschriftenaktion ist also erledigt.

Im Jahre 1912 hat Frobenius, wie aus der Abschrift beiliegenden Briefes hervorgeht, aufs neue Handschriften an das Seminar gesandt. Außer diesem Brief von Frobenius finden sich hier keine Aktenstücke, aus denen hervorgehen könnte, was weiter geschehen ist. Wir haben hier noch eine ganze Reihe von Handschriften liegen, durchweg ganz wertloses Zeug, bei denen aber jeder Vermerk, daß sie Frobenius gehören könnten, fehlt. Die einzig wertvolle Handschrift, die Brass bearbeitet hat, ist, wie Du weißt, an Frobenius zurückgegangen. Soll ich Weiteres in der Angelegenheit veranlassen, so müßte ich eine Abschrift der Quittung haben, die Frobenius über diese zweite Handschriftensendung im Jahre 1912 erhalten hat. Hier ist kein Duplikat einer solchen Quittung zu finden. Ohne nähere Spezifizierung, um was es sich handelt, kann ich nichts tun, zumal durch den doppelten Amtswechsel seit Deinem Weggang von Hamburg, der doch mancherlei Umräumungen im Seminar zur Folge gehabt hat, es jetzt überhaupt schwierig ist,, sich durch das von meinen Vorgängern aufgehäufte Material hindurchzufinden.

Mit vielen Grüßen bin ich Dein getreuer (gez.) H. Ritter

Handschriftliche Anmerkung:

Anbei eine Korrespondenz. Ich bitte Dich nunmehr einzugreifen. Die Honorare vom Islam sind von mir und Lüdtcke festgesetzt. 400 M(ark) pro Bogen. Auszahlung erst, wenn Betrag von 50 Mark erreicht! Die Korrespondenz dann bitte zurück. Ich schreibe Lüdtcke vorläufig nicht, schreibe auch B(abinger?) nicht.

 

309. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin?), 26.10.1922

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Besten Dank für Deine Mitteilung vom 23. Oktober. Der beigefügten Babinger-Korres-pondenz war ein Schreiben von F.F. Schmidt-Dumont beigefügt, das offenbar verwechselt ist mit dem Original des Schreibens von Frobenius, um dessen Rücksendung ich gebeten hatte. Bitte, schicke es mir umgehend, aber behalte zu den dortigen Akten Abschrift.

Nervöse Menschen sind in unserer Zeit übel dran. Der arme Babinger ist einfach krank, und man muß ihn dementsprechend behandeln. Leider habe ich mit Dutzenden solcher Typen zu tun, doch ist Babinger der Einzige, der mir menschlich nahe steht, weswegen ich ihm gegenüber naturgemäß mehr Nachsicht übe als bei anderen. Ich habe jetzt auch durch eine Aussprache mit Kahle festgestellt, daß Babinger keinesfalls nach Gießen berufen worden wäre. Er wäre wohl auf die Liste gekommen; das ist alles, was Kahle in Aussicht gestellt hatte. Er übertreibt leider immer gleich ins Groteske. Hältst Du es wirklich für richtig, daß ich eingreife? Dann will ich an ihn schreiben; aber, bitte, überlege es Dir noch einmal. Jedenfalls finde ich es unmöglich, aus einem privaten Streit zwischen Lüdtcke und Babinger Konsequenzen für die Aufnahme von Artikeln von Babinger in den Islam zu ziehen. Sag mir noch Deine Meinung, wenn Du mir die zurückgebliebene Anlage nachschickst, die ich im übrigen unbedingt wegen der nur dort gegebenen Daten brauche.

Ferner schicke ich Dir Durchschlag eines Briefes an Eduard Meyer in der Angelegenheit Le Coq nebst der Veranlassung. Porto und Papier sind jetzt wirklich zu teuer, um sie an solche Sachen zu verschwenden. Le Coq gehört übrigens auch zu dem oben charakterisierten Typ der nervösen Menschen.

Ich war gestern mit Ministerialrat Richter, Lüders und Kahle in Halle und Leipzig zur Lokalbesichtigung in Sachen der Frage der Bibliothek der D(eutschen) M(orgenländischen) G(esellschaft). Das Resultat ist für mich persönlich, daß der Lüdtcke’sche Plan der Verlegung tot ist. Amtlich wird die Sache natürlich noch weiter behandelt, und ich bin ganz froh, gedrängt zu werden, erhebliche Mittel für Halle aufzuwenden; aber von der Verlegung kann unter ernsten Menschen wirklich nicht mehr die Rede sein. Ich bitte, das aber einstweilen für Dich zu behalten.

Mit herzlichen Grüßen Dein getreuer (CHB)

 

310. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 30.10.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Anbei schicke ich Dir den versehentlich hiergebliebenen Durchschlag von Frobenius’ Brief und den Brief des Forschungsinstituts, ferner einen Durchschlag des Briefes, den ich Babinger geschrieben habe, nachdem Du die Angelegenheit als zu jenen minima gehörig betrachtest, um die sich der Praetor nicht kümmert.31 An Lüdtcke werde ich noch schreiben.

Gleichzeitig sende ich das Flötenlied, das Dir vielleicht Spaß machen wird.

Ernst Albers-Schönberg, der Sohn meiner Hauswirtin, ist jetzt studienhalber in Charlottenburg und wird eines Tages einmal seine Visitenkarte zu Dir in Ministerium hineinschicken. Wenn Du Lust hast, kannst Du Dir ihn ja einmal betrachten.

Dieser Tage war Kahle bei mir und erzählte mir von den Verhandlungen mit der DMG. Mir scheint die bevorstehende Regelung auch die einzig vernünftige zu sein; man zieht doch nicht umsonst um. Kahle ist überhaupt der Organisator, dessen Begabung man weitgehend ausnützen muß.

Sehr froh bin ich auch, nicht den Aufruf unterschrieben zu haben; es war mir gleich nicht ganz wohl dabei.

Mit vielen Grüßen Dein (gez.) H. Ritter.

Anlage

Das Flötenlied der Mevleviderwische

Aus dem Mesnevi des Dschelaleddin Rumi, gest. 1275 in Konia

Hör auf der Flöte Rohr, was es erzählt,
Hör, wie es klagt, von Abschiedsschmerz gequält:

Seit man mich aus der Heimat Röhricht schnitt,
Weint Mann und Weib bei meinen Tönen mit.

Ich such ein Herz, von Trennungsleid zerschlagen,
Von meiner Sehnsucht Schmerzen ihm zu sagen.

Dem Urgund fern, strebt jeder immerdar
Zurück der Zeit, da er vereint ihm war.

An jedes Ohr schlug meines Tones Welle,
Ward Frohen bald, Betrübten bald Geselle,

Ein jeder dünkte sich mein Freund zu sein,
Doch keiner drang in mein Geheimnis ein.

Und doch, so fern ists meiner Klage nicht,
Dem Aug und Ohre fehlet nur das Licht.,

Es ist der Leib dem Geist, der Geist dem Leibe klar,
Doch keinem Auge stellt der Geist sich dar.“

Kein Hauch, nein Feuer sich dem Rohr entwindet.
Verderben dem, den diese Glut nicht zündet.

Der Liebe Glut ists, die im Rohre saust,
Der Liebe Gären, das im Weine braust.

Dem Liebeskranken steht die Flöte bei,
Ihr Tönen riß die Schleier uns entzwei.

Was ist als Gift, als Gegengift ihr gleich?
An Sehnsucht und an Mitgefühl so reich?

Vom Pfad im Blute will das Rohr berichten,
Von Medschnuns Liebe erzählet es Geschichten.

Unsinnigen nur ist dieser Sinn vertraut,
Das Ohr allein begreift der Zunge Laut.

Im Kummer sind die Tage uns verflogen,
Mit Feuerbränden sind sie hingezogen.

Was liegt daran? Fahrt hin! ruft ihnen zu,
Wenn du nur bleibt, der Reinen Reinster du!

Der Fisch allein wird nie des Wassers satt,
Lang wird der Tag dem, der kein Tagbrot hat.

Der Rohe kann den Reifen nicht verstehn,
Kurz soll die Rede drum zu Ende gehen.

_____

Zerbrich die Fessel, mach dich frei, mein Sohn,
Zu lange dienst du Gold und Silber schon.

Wenn du das Meer in einen Krug willst gießen,
Nur eines Tags Bedarf kann er umschließen.

Nie wird das Auge satt, wo Gier sich regt,
Die Muschel, sich begnügend, Perlen trägt.

Wem immer Liebe riß das Kleid entzwei,
Der ward von Gier und jedem Fehle frei.

Heil Liebe dir, du Born der Fröhlichkeit,
Arzt, der von aller Schwäche uns befreit.

Du Arzenei für Stolz und Ruhmesgier,
Ein Plato und Galenus wardst du mir.

Der Erdenleib schwingt sich zum Sphärenkranze,
der Berg zerstiebt, den Liebe riß zum Tanze,

Es bebt der Gottesberg, von Liebe trunken,
Und Mose ist ohnmächtig hingesunken.

Wär nur vereint ich des Gefährten Munde,
Der Flöte gleich von manchem gäb ich Kunde.

Von dem, der seine Sprache spricht, getrennt,
Bleibt stumm der Mund, der hundert Weisen kennt.

Die Rose ging, der Garten stehet leer,
Nun singt der Sprosser keine Lieder mehr.

Du selbst verhüllst ihn, der in allem webt,
Tot ist, wer liebt, nur der Geliebte lebt.

Von wem die Liebe Pflege nicht empfinge,
Der bliebe, ach, ein Vogel ohne Schwinge.

Wie wüßt ich vor- und rückwärts meinem Steige,
So nicht sein Licht den rechten Weg mir zeige?

Die Liebe will, daß dies Geheimnis kläre,
Kein Spiegel wärs, der nicht Verräter wäre.

Dein Spiegel zeigt dir keinen Widerschein?
Er muß vom Roste erst gereinigt sein.

Übertragen von H. Ritter (Hamburg 1922?)

***

311. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 6.12.1922

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Ich habe nun also die Frobenius-Handschriften gefunden und dem Kulturmorphologischen Institut zurückgesandt. Beiliegend erhältst Du die Abschrift des Briefes an dieses Institut und einen Katalog32 der Handschriften. Hoffentlich ist nun die Angelegenheit für immer erledigt.

Ich habe dieser Tage meinen Picatrix-Vortrag Dir zugesandt und habe Cassirer gebeten, Dir einen Separatabdruck seines Vortrages zu schicken. Übrigens kommt die ganze Vortragsreihe in Kürze heraus.

In Aachen habe ich einen Vortrag über den Einfluß des Islam auf die Lebensauffassung der orientalischen Völker gehalten. Das Publikum war sehr dankbar und erbaut. In die Debatte griffen etliche Türken ein, die dort studierten und das Schlimmste befürchtet hatten. Sie hatten Koran, um mich mit dem Buche Gottes zu schlagen. Ich habe sie aber so honigsüß behandelt, daß sie hinterher sehr vergnügt waren und mir offiziell danken ließen.

Ich bin sehr froh, jetzt wieder in Ruhe an meine Magie gehen zu können.- Der Muhammed-Aufsatz bedeutete für mich eine ziemliche Hetzerei.

Als alter Seminardirektor wird Dich interessieren, daß nunmehr Fräulein Hass sich in eine Frau Winterstein verwandelt hat, und daß dieser Brief der erste ist, der von ihrer Nachfolgerin Fräulein Bartels geschrieben wird.33 Ich bin gespannt, wie ich mich mit ihr vertragen werde.

Hast Du Neueres von Harro gehört? Geschieht etwas mit ihm? Ich habe sehr schlechte Nachricht von meinem ältesten Bruder. Er liegt sehr ernst danieder, und es ist Grund zu schwerer Besorgnis vorhanden. Der Arme hat sich im Eifer für seine Volkshochschule scheinbar wahnsinnig überanstrengt.

Mit vielen herzlichen Grüßen Dein (gez.) H. Ritter

 

312. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 16.1.1923

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter.

Zunächst nimm herzlichen Dank für Dein schönes Buch, das ich mit Genuß gelesen habe. Man hat nirgends den Eindruck einer Übersetzung; es ist vollkommenes Deutsch, und trotzdem bewahrt es die volle Originalität des orientalischen Originals. Die Einleitung ist vortrefflich. Es wird natürlich philologische Nörgler geben, die Dein Auswahlprinzipkritisieren. Ich halte das für ganz ungerechtfertigt. Es kommt doch darauf an, die Seele des Orients wirklich verständlich zu machen, und dafür hast Du mehr geleistet als alle die, welche sich in sklavischer Abhängigkeit von einer zufälligen Form des Urtextes halten. Den schönen Spruch über Vater und Sohn, nach dem der Sohn mit der Mündigkeit entweder zum Feind oder zum Freund des Vaters wird, habe ich meiner gestrigen Tischrede zum Geburtstage Walters zugrunde gelegt. Er wurde 17. Also herzlichen Dank! Ich wäre Dir übrigens dankbar, wenn Du mir zwei gebundene Exemplare Deines Buches zum Buchhändler-Nettopreis, zu dem Du es ja beziehen kannst, verschaffen würdest. Ich würde es gern zweimal verschenken und sehe nicht ein, warum ich dem Sortiment die hohen Aufschläge in den Rachen werfen soll. Vielleicht läßt Du die zwei Exemplare direkt an mich schicken und die Rechnung an Dich. Ich überweise Dir dann das Geld. Auch daran magst Du ersehen, wie sehr mir Dein Buch gefallen hat.

Nun zu Deiner Berufung. Auf Deinen finanziellen Brief hin hielt ich es für richtig, nunmehr den Referenten zu Wort kommen zu lassen. Geheimrat Richter hat Dir dann auch sofort geschrieben, Du mögest Deine Bezüge mitteilen, damit er Dir eine Offerte machen könne. Dieser Brief ist, wie ich höre, obwohl er an den Universitätsprofessor Ritter gerichtet war, als unbestellbar zurückgekommen. Er ist nunmehr unter neuer Adresse abermals abgegangen und inzwischen hoffentlich in Deinen Händen. Ich wollte nur bei unseren nahen menschlichen Beziehungen die finanzielle Seite durch einen Fernerstehenden besorgen lassen. Du kannst Dich beruhigen, Du wirst schon anständig behandelt werden, denn Richter möchte Dich gern haben, da es Kahle etwas mit ihm verdorben hat. Ich habe auch angeregt, daß er Dich einmal herbestellen soll; das wird aber erst Anfang Februar möglich sein, da Ende des Monats die Hochschulkonferenz in Cassel ist und wir durch Landtag, Staatsrat, Reichsrat und sonstige Sitzungen momentan geradezu maßlos überlastet sind.

Über Mez werde ich ziemlich ausführlich schreiben. Ich hielt neulich einen neuen Vortrag über Antike und Islam, der sich im wesentlichen mit Mez auseinandersetzte. Ich habe das Buch dafür genau gelesen und möchte meine Kritik in die Form kleiden, daß ich eine Art Vor- oder Nachwort zu dem Buche schreibe, das ihm unbedingt fehlt, und das gleichzeitig auch eine Würdigung von Mez darstellen kann. Hätte ich das Werk herausgegeben, so wäre ich anders vorgegangen als Reckendorf.

Von Harro verhältnismäßig gute Nachrichten. Er hat eine schwere Aussprache mit dem Vater gehabt, wobei endlich einmal die Masken fielen. Ich war mir neulich mit Lohe darüber einig, daß der Vaterhaß plötzlich in eine leidenschaftliche Liebe umschlagen könnte. Noch ist es nicht so weit, aber der Weg dazu ist frei.

Verzeihe diesen Brief mit der Maschine. Er spricht nicht gegen die Gesinnung, zeugt aber für meine Belastung. (CHB)

 

313. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 24.2.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Schaeder hat mich vom 3. bis 10. März nach Breslau eingeladen, und ich habe eigentlich die Absicht, der Einladung Folge zu leisten.

Am liebsten würde ich spätestens bei meiner Rückkehr etwas ausführlicher mit Dir konferieren.

Die bewußte Berufungsangelegenheit scheint sich neuerdings sehr zu komplizieren; ich werde bei meiner Entscheidung stark Deines Rates bedürfen. Paßt Dir Sonnabend der 10. März?

Mit vielen Grüßen Dein (gez.) Ritter

 

314. C. H. B. an Hellmut Ritter, bei Schaede in Breslau. (Berlin), 5.3.1923

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Daß Du Sonntag, den 11. März, nicht hier bleiben kannst, tut mir leid. Natürlich stehe ich Dir nachmittags und abends zur Verfügung. Ich will sehen, daß ich mich nachmittags frühzeitig ausnahmsweise frei mache. Wenn Du Sonntag früh nach Hamburg fahren willst, würde ich Dir raten, in der Stadt und nicht bei uns zu wohnen, denn der Sonntag vormittag ist der einzige Tag, an dem sich bei uns das ganze Haus ausschläft und da ist Deine frühe Abreise außerordentlich störend, zumal Du mindestens eine Stunde vor Abgang des Zuges aus dem Haus mußt. Schreibe mir bitte möglichst frühzeitig wie Deine genauen Pläne sind. Was Heidelberg betrifft, so habe ich schon etwas vorgearbeitet, als ich neulich in Heidelberg mit Boll sprach. Ich weiß, daß Fakultät und Regierung zunächst Bergsträßer berufen werden. Nun werden wir Bergsträßer mit allen Kräften zu halten versuchen. Ich schreibe nochmals an Boll, dem ich neulich soviel von Dir vorgeredet habe, daß er ziemlich entschlossen war, warm für Dich einzutreten. Ich halte es also für durchaus möglich, daß Du nach Bergsträßer auf die Liste kommst. Alle Nähere mündlich.

Herzliche Grüße an Schaeder, dem ich nächstens einmal schreibe. Ich hätte ihn so sehr gern in den Osterferien hier gehabt, doch paßt das wieder mal bei mir zu Hause nicht, da meine Frau meine Tochter Herta nach Salem bringt, und wieder gleich die Schule beginnt, während ich doch eigentlich Walter Schaeder beim Ordnen meiner Bibliothek zur Verfügung stehen wollte. Sage ihm bitte, daß ich jedenfalls zum Orientalistenkongreß, 9.-11. April, auf sein Hiersein rechne. Du wirst doch dann wohl auch kommen, und zwar kannst Du dann bei uns wohnen. Schaeder kann natürlich mit einer Reiseunterstützung rechnen.

Mit herzlichen Grüßen getreulichst Dein (CHB)

 

315. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 3.4.1923

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter.

Teile mir doch bitte umgehend mit, wann Du kommst. Wie verabredet, wirst Du während der Kongreßtage bei mir wohnen. Am Sonntag ist offiziell noch nichts los. Ich nehme aber an, daß Du doch im Laufe des Sonntags ankommst; eventuell könnte ich Dir ein Billet für den Tristan mit Kirchhoff verschaffen. Nimm in Dein Programm auf, daß am Mittwoch Nachmittag ein Tee der Arabisten bei mir sein wird. Leider habe ich gleichzeitig Hauptausschuß des Kultusetats, sodaß ich mich nur sehr sporadisch an der Tagung werde beteiligen können.

Harro Siegel ist hier, und es geht ihm eigentlich ganz ordentlich. Deinen Brief habe ich ihm übergeben.

Herzliche Grüße Dein getreuer (CHB)

 

316. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 10.6.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

schönen Dank für die prompte Erledigung des Mez. Ich habe schon Anweisung gegeben zum Umbruch für die ganzen Kleinen Mitteilungen, mit Deinem Mez an der Spitze. Der Band wird diesmal dicker als die bisherigen. Es sind wieder viele Kleine Mitteilungen, erfahrungsgemäß das Einzige, was die Leute lesen, und eine sehr dicke Bibliographie.

Der Plan mit Deinen kleinen Schriften gefällt mir sehr, und ich freue mich sehr darauf.- Grüße Schaeder, wenn Du ihn siehst.

Hocherfreut bin ich, daß es Harro gut geht; das Faltboot hat, wie es scheint, gut gewirkt. Ich wünschte, ich hätte noch ein zweites, um derartige Unternehmungen öfter zu machen. Meine Faltbooterei scheint auch gar in Pforta gezündet zu haben, wie aus einem Artikel der Vossischen Zeitung hervorgeht, der den amtlichen Bericht über die Jahresfeier in rosigsten Farben gibt. Es wird darin dargetan, daß eben alles einfach vorbildlich und musterhaft dort ist. Ich empfehle Dir diesen Artikel (Donnerstag 7. Juni, 1. Beilage der Vossischen Zeitung) als Korreferat zu den Briefen Rodigs zu benutzen, welche letzteren ich gelegentlich zurück erbitte.

Ich würde Dich gern einmal wieder sehen, um etwas mit Dir zu plaudern, aber wann? Einstweilen keine Aussicht, daß ich nach Berlin komme.

Mit vielen Grüßen Dein (gez.) H. Ritter.

 

317. C. H. B. an Hellmut Ritter (Berlin), 16.6.1923

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter.

Wie ich höre, kommt Schriecke aus Niederländisch-Indien nach Hamburg und hält dort zwei Vorträge. Bitte teile mir doch sofort mit, wann das sein wird.. Wie ich heute von Babinger höre, ist hier nämlich das Mißgeschick passiert, daß ausgesucht Kampffmeyer die Berliner Repräsentanz übernommen und Schriecke nach der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde eingeladen hat, da die Ordinarien unseres Faches sich um diese gesellschaftlichen Angelegenheiten überhaupt nicht kümmern. Ich will versuchen, was sich noch einrenken läßt, gehe aber selbst am 5. Juli in Urlaub. Bitte, teile mir doch deshalb sofort mit, wann Schriecke kommt, und wann er ungefähr in Berlin sein wird.

Bergsträßer ist nach Heidelberg berufen, obwohl Rhodokanakis an erster Stelle stand. An dritter Stelle steht Hartmann. Ich weiß nicht, welche Einflüsse mitgewirkt haben, daß Du nicht auf die Liste kamst. Wir werden versuchen, Bergsträßer zu halten. Brockelmann strebt von hier fort, da er mit dem Leben und der Wohnung nicht zurechtkommen kann. Er ginge gern nach Breslau. Wir haben schon bei Bergsträßer sondiert, ob er zu einem Tausch bereit sei. Doch bleibt er lieber in Breslau. Er wird ja wohl der Versuchung Heidelbergs widerstehen. Brockelmann paßte am besten nach Gießen. Wir müssen hier jemanden haben, der auch repräsentative Fähigkeiten hat. Es ist ein wirkliches Elend.

Es wird Dich übrigens interessieren, daß die Mehrzahl der Lehrer des orientalischen Seminars sich von Kampffmeyer und Palme losgelöst haben und die Politik des Ministeriums stützen; da scheint Babinger etwas Nützliches geschaffen zu haben.

Heute Abend kommt Schaeder und wohnt bei mir. Wir wollen über Sonntag die Drucklegung meiner kleinen Schriften vorbereiten.

Harro geht es vortrefflich. Er ist zurzeit im Schülererholungsheim Wandlitzsee mit meinem Freunde Götsch zusammen, von dem Du wohl schon Einiges weißt, und hütet 25 kleine Mädchen. Ich fuhr Donnerstag mit ihm hin, blieb über Nacht und hatte die allerbesten Eindrücke. Harro blieb dann hängen. Es ist köstlich, ihn im Erziehungsmilieu zu beobachten; er ist ein zweiter Mensch und lebt ordentlich auf.

Sonst ist nichts Besonderes zu melden. Herzliche Grüße treulichst Dein (CHB)

 

318. Hellmut Ritter an C. H.B. Hamburg, 17.6.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

ich schicke Dir einen Brief von Strothmann mit. Wenn Du keine Zeit hast, ihn zu lesen, hat sie vielleicht Dein Referent. Strothmann möchte Urlaub haben, um ein großes Werk über die Schi’a zu schreiben, was ich sehr nützlich finde. Ich habe ihm viel Literatur zur Verfügung gestellt, und er ist der einzige Mann, der sie bearbeiten kann und bearbeiten wird. Er klagt über die Lehrernöte in Pforta nicht ohne Kritik an irgend welchen Regierungsmaßnahmen. Ich verstehe davon nichts, möchte aber glauben, daß sich für Strothmann auch ein vorübergehender Ersatz in Pforta finden lassen müßte; in der Wissenschaft ist Strothmann nicht zu ersetzen.

Du weißt, daß Du immer noch nicht aus den literarischen Schulden heraus bist. Es fehlt noch das englische Buch über den modernen Islam und der schöne dicke, arabische Historiker, den Du auch nicht ungestraft haben sollst. Meine Freunde sitzen alle auf Besprechungen, die sie nicht schreiben; Du und Schaeder, Ihr seid die Schlimmsten. Schaeder schicke ich nichts mehr, er übernimmt unendlich viel und kommt dann ins Gedränge. Das ist sehr schlimm, und wir armen Redakteure stehen händeringend da und warten auf Manuskripte, die nicht kommen. (Handschriftlicher Zusatz: Einstweilen aber Dank für das Gelieferte!)

Ich erhalte eben die ersten Druckproben meines Karagös. Ich schicke Dir eine Seite mit, ich hoffe, daß Dir die Type gefallen wird.

Mit vielen Grüßen Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

Randbemerkung Beckers: Herrn RR Landé vorlegen(?) B 18

Mit bestem Dank zurück J.19.6.

 

319. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 20.6.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

in Angelegenheit Schrieke sagt mir Schaede Folgendes: Er hat vor Monaten Sobernheim gebeten, etwas für Schrieke in die Wege zu leiten und Dir diese Angelegenheit vorzutragen. Sobernheim hat ihm aber nicht geantwortet. Daraufhin hat er Dir vor Wochen geschrieben in der gleichen Angelegenheit. Auch von Dir hat er keine Antwort bekommen. Darauf hat er sich in der Verzweiflung an Kampffmeyer gewandt, welcher sofort prompt zugesagt, ja sogar Schrieke samt Frau zu sich ins Haus eingeladen hat. Es ist anzunehmen, daß Schrieke diese Einladung inzwischen angenommen hat. Es scheint nicht, als ob sich noch irgend etwas an der Sache ändern ließe. Schaade meint, es käme allenfalls noch in Betracht, daß Schrieke außer bei Kampffmeyer noch vor einem anderen Gremium spricht.

Schrieke kommt hier in Hamburg um den 21. Juli herum; es würde also etwa der 25. Juli für Berlin in Betracht kommen.

Mit den besten Grüßen auch an Schaeder und Harro, wenn Du ihn siehst,

bin ich Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

320. C. H. B. an Privatdozent Dr. (Gerhard) Ritter, Heidelberg. (Berlin), 12.9.1923

(Maschinenkopie)

Für die freundliche Übersendung Ihres Lutherbeitrags zum „Kämpfer“-Buch spreche ich meinen verbindlichsten Dank aus.

Ich beglückwünsche Sie zu der großen Produktivität, die Sie in den letzten Jahren entfaltet haben. Ihre Humanismusstudien habe ich mit besonderem Interesse und reicher Belohnung gelesen. Dabei hat mich Ihre schöne Würdigung Paul Mestwerdts herzlich gefreut. Er hat mir menschlich sehr nahe gestanden.

Mit guten Wünschen und freundlichen Grüßen Ihr ergebenster (CHB).

 

321. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 21.12.1923

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

ich habe Dir lange nicht geschrieben. Ich habe sehr in Arbeit gesteckt, vor allem hat mich dies immer erneute Durcharbeiten meines Karagös unendlich viel Zeit gekostet. In der letzten Zeit war ich auch sehr in Anspruch genommen durch meinen Bruder Gerhard, der, wie Du weißt, an die Stelle von Lenz berufen ist, und fast acht Tage hier war, um sich die Gelegenheiten zu besehen. Es ist ja auch für mich ganz nett, daß unser Name nun doppelt in unserer Fakultät vertreten ist.

Die Kollegs waren dies Semester besser besucht als sonst. Es haben sich einige junge Indologen neuerdings für Persisch interessiert; es sind tüchtige Leute dabei. Weniger bedeutend hat mein Publikum funktioniert. Die Geschichte des alten Islam stößt auf kein erhebliches Interesse hier.

Der konkrete Anlaß zu diesem Brief ist Frobenius. Frobenius ist hier aufgetreten in äußerst unangenehmer Weise34, geschmückt mit dem Titel „Geheimrat“ und „Professor“. Soviel ich mich erinnere, hat er den Geheimratstitel nur vorübergehend für die Kriegszeit bekommen. Besitzt er den Professorentitel überhaupt? Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir darüber authentische Auskunft geben könntest. Der Mann hat hier die Köpfe in sehr erheblichem Maße verwirrt, den Leuten Geld aus der Tasche gezogen und sich dabei in sehr viel aufdringlicherer Art als etwa Keyserling als Propheten aufgespielt. Die Zeitungen wußten rühmlichst zu erwähnen, daß auch er wie Moses und Muhammed durch die Wüste gewandert sei und dgl. Die Sache beginnt also in groben Unfug auszuarten, und ich möchte ein wenig Front dagegen machen.

Wie Du weißt, hast Du noch literarische Schulden an den „Islam“. Es wäre mir sehr erwünscht, wenn Du demnächst Gelegenheit nähmest, sie abzutragen, sonst veralten die Bücher wieder, bis die Besprechungen erscheinen. Ibn abd al-Hakam kann ich auch nur gegen Besprechung abgeben.

Von Babinger höre ich traurige Nachrichten. Der Unglücksmensch scheint wieder krank zu sein und sich auch in drückender materieller Not zu befinden. Ich mache mir oft Sorge um ihn. Persönlich ist wie immer nichts zu berichten; man schlägt sich so durch.

Mit den besten Weihnachtsgrüßen bin ich

Dein getreuer (gez.) H. Ritter.

 

322. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 30.1.1924

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter.

Herzlichen Dank für die schnelle sachliche Erledigung. Ich habe Quelle & Meyer gebeten, Dir fünf Rezensionsexemplare für orientalische Zeitschriften zugängig zu machen, und habe ihm in Aussicht gestellt, daß Du ihm dann mitteilst, an wen Du sie gesandt hast. Es wird auch ein gebundenes Exemplar dabei sein, das auf meine Privatrechnung geht, und das ich Dich bitte, an die Jerusalemer als persönliches Geschenk von mir zu senden. Ich muß allerdings bei der Gelegenheit bekennen, daß der damals so schön von Dir entworfene Dankbrief noch bis heute nicht abgegangen ist. Es ist aber ein ganz netter Anlaß bei der Übersendung des Buches, darauf zurückzukommen.

Daß Kant und Jugendbewegung nichts miteinander zu tun haben ist mir natürlich klar; aber es kommt mir gerade darauf an, die ganz anders geartete Seinsbestimmtheit unserer Tage gegenüber der Kant’schen Epoche ins rechte Licht zu setzen. Nun laufen die entscheidenden geistigen Äußerungen unserer Tage irgendwie durch die Brennpunkte Marx und Nietzsche. Auch die Jugendbewegung ist nicht unabhängig von Nietzsche und gehört in dieser Hinsicht, so sehr sie sich davon sonst unterscheidet, in die gleiche große Ideologiengruppe wie z. B. der Stefan-George-Kreis und sogar die völkische Bewegung.

Schrieb ich Dir eigentlich über Freyers „Prometheus“? Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Lies doch auch einmal den Aufsatz über Marx und Nietzsche an Albert Dietrich im ersten Bande der Dioskuren.

Mit herzlichen Grüßen Dein (CHB)

 

323. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 4.2.1924

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Kühnel hat mir die Bibliographie über Kunstgeschichte geschickt. Ich kann Dir nur sagen, wie Du es tatest, sie mißfällt mir sehr. Es ist sehr betrüblich, daß diesmal die Bibliographie infolge dessen unter dem erwünschten Niveau steht; aber was soll man machen, Deutschland ist zu klein, um genügend Kräfte zu produzieren für solche Unternehmungen. Geradezu schrecklich ist der Zustand in Bezug auf Geschichte. Es gibt nicht mal mehr Menschen, an die man Besprechungen vergeben kann. Babinger hilft mir auch nicht, ich weiß nicht, was ich machen soll. Wenn es mir doch mal gelingen wollte, Dich zur Mitarbeit etwas tätiger heranzuziehen! Du hältst Vorträge, schreibst Aufsätze für die ZDMG, aber die Islam-Besprechungen erfreuen sich Deiner Ungunst. Es macht Dir doch gar nicht so viel Arbeit über ein neugeschriebenes Buch ein paar Worte zu sagen. Warum läßt Du mich so lange warten?

Jetzt ist eine neue Qusair Amra-Veröffentlichung erschienen von Jaussen und Savignac. Ich muß sie besprechen, obwohl ich nichts davon verstehe, es ist nicht angenehm. Ich wage Dir aber nichts mehr zu schicken.

Ich habe den deprimierenden Eindruck, daß es mit der Blütezeit der islamologischen Studien in Deutschland vorbei ist. Als Redakteur der Zeitschrift empfindet man so etwas sehr lebhaft. Aber was soll das Klagen! Ich bitte Dich nochmals inständig, halt einen Vortrag weniger und schreib eine Besprechung mehr. Von meiner Perspektive aus gesehen, hast Du auch Verpflichtungen gegen den „Islam“. Laß mich nicht immer sitzen mit meinen Besprechungen!

Ich breche dies Lied ab, um Deinen Unmut nicht zu erwecken, den ich schon einmal zu spüren bekommen habe bei einer früheren Gelegenheit. Daß Du arbeiten mußt, weiß ich, aber wenn Du Vorträge über Spenglers magische Kultur halten kannst, kannst Du auch Besprechungen für den „Islam“ schreiben, meine ich. Aber genug davon, ich berühre dies für mich so schmerzliche Thema nur äußerst ungern und nur in Notfällen.

Übrigens habe ich die Absicht, die kleinen Schriften Goldzihers herauszugeben und weiß nur nicht, ob es da irgend welche juristischen Verpflichtungen gegenüber den Erben Goldzihers gibt und welcher Art die etwa sein könnten. Die vielen kleinen Aufsätze, die Goldziher in Petermanns Mitteilungen und in sonstigen Zeitschriften verstreut hat, verdienen eine Zusammenstellung.

Von Schaeder höre ich seit langem nichts mehr. Ich habe ihn auf Februar hierher eingeladen, aber er antwortet auf keinen Brief mehr, ich weiß nicht, was los ist. So vereinsamt man auch wissenschaftlich, von allem andern zu schweigen!

Irgendwann komme ich mal nach Berlin, um Trachtenbücher zu studieren und vielleicht Aufnahmen über türkische Musik zu machen. Wann weiß ich noch nicht.

Sei einstweilen herzlich gegrüßt von Deinem (gez.) H. Ritter.

 

324. C. H. B. an Hellmut Ritter. (Berlin), 13.5.1924

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter.

Harro erzählte mir in diesen Tagen von Deinem Auftrage, Dir einen sachkundigen Mann für die Beischriften Deiner Schattenspielfiguren zu besorgen. Ihm war Kühnel empfohlen, und ich habe trotz aller Kritik Kühnel gegenüber ihn für diesen Zweck doch für geeignet gehalten. Kühnel hat nun auf Harros Anfrage hin entschieden abgelehnt, da er Deine Figuren für künstlerisch wertlose, moderne Mischprodukte hält, wobei er zugleich auf die älteren und wertvolleren Spezimina in Sarres Besitz hinwies. Als mir Harro noch gestern abend die ganze Sache erzählte, bot ich ihm an, Dir meine Ansicht über zwei sich aus dem geschilderten Sachverhalt ergebende Fragen mitzuteilen.

  • Erstens müßte für Kühnel jemand anderes gewonnen werden. Harro hält dafür den Professor Dr. Fischel (Berlin NW 23, Siegmundshof 7) für den Geeignetsten, und stimme ihm bei. Nur halte ich es für ganz untunlich, daß Harro, der von der Kunstschule zu seinen Schülern gehört, in Deinem Auftrage zu ihm geht. Du mußt Dich wohl bemühen, an Fischel selber zu schreiben und ihm mitzuteilen, Du hättest Harro beauftragt, ihm das Material vorzulegen. Das Gleiche würde ich bei jedem anderen Manne von einiger Bedeutung empfehlen.
  • Zweitens habe ich den Eindruck gewonnen, als ob Du Dein Interesse bisher ausschließlich dem wertvollen Texte gegolten habe, daß aber eine solche Prachtausgabe noch wohl eine speziellere Behandlung auch der Figuren erfordert. Man wird es nicht recht begreifen, und die Kritik wird es Dir sicher ankreiden, daß Du weniger wertvolle Figuren in großer Aufmachung veröffentlichst, während künstlerisch wertvolleres Material zur Verfügung gestanden hätte.

Überlege Dir doch bitte noch einmal, ob es sich nicht empfiehlt, die Sarre’schen Figuren mit hineinzunehmen. Dann könnte doch auch irgend ein Sachkenner wie Fischel oder vielleicht Sarre selbst – in diesem Falle gewiß auch Kühnel – im Anhang das Kostüm- und Kunstgeschichtliche zusammenhängend darstellen, und Deine Publikation gewänne nur an Wert. Ich bin natürlich nicht so banausisch, den kulturgeschichtlichen Wert der europäischen Figuren zu verkennen; aber wenn es wirklich künstlerisches Material gibt, – z. B. die eine von Harro übrigens glänzend aquarellierte Soldatenfigur ist es gewiß -, so sollte man es doch verwerten, auch wenn es zunächst nicht zu Deiner Sammlung gehört, der ja doch das Mißgeschick passiert ist, daß Dir die wertvollsten Figuren unterwegs verloren gingen. Bitte überlege Dir die Sache also noch einmal, die mir schon deswegen auch ohne Verzögerung des Erscheinen des ersten Teiles durchführbar erscheint, weil Du Dein Werk ja doch in Faszikeln herausbringen willst. Ich würde Dir dann raten, einmal an Sarre zu schreiben und evtl. selbst herzukommen. Es ist doch gar nicht undenkbar, daß auch noch in anderen deutschen Museen leicht beschaffbare Figuren vorhanden sind, deren Mitveröffentlichung bei diesem Anlaß Dein Verdienst um dieses Studiengebiet nur erhöhen würde.

Verzeihe, daß ich Dir solange nicht schrieb. Deinen Kalifats-Aufsatz, der mir übrigens gut gefiel, habe ich bestens untergebracht, und ich bitte nur um einen Separatabzug. Ich bin gerade dabei, den Schlußaufsatz zu meinem zweiten Bande zu schreiben, wo ich die ganze politische Entwicklung des Orients nach dem Kriege darzustellen beabsichtige.

Ich hoffe, daß es nicht erst die Oktobertagung in München werden wird, die uns wieder einmal zusammenbringt.

Von Herzfeld habe ich fabelhafte Briefe. Einen will ich Dir nächstens schicken, einen anderen, ausführlicheren hat er leider ausdrücklich gebeten, niemandem zu zeigen. Die Ausbeute seiner Reise ist enorm. Er wird in den nächsten Wochen hier erwartet, will aber möglichst bald wieder nach Asien zurück. Ich will versuchen, ihn nach München mitzuschleifen.

Babinger ist jetzt wieder hier und entsetzlich nervös. Cave mulierem, kann man da wirklich sagen! Diese Frau bringt ihn noch ins Irrenhaus, wenn er sie nicht schleunigst heiratet. Aber er will nun einmal Professor und angestellt sein; das geht alles nicht so schnell. Ihn persönlich habe ich materiell sichergestellt. Daß er nicht schon angestellt ist, hat er Herrn Kampffmeyer zu verdanken, dessen Kampf gegen meine Pläne die ganze Sache ins Stocken gebracht hat. Er ist allerdings ziemlich anspruchsvoll, und die Stelle eines Professors am Orientalischen Seminar scheint ihm schon nicht mehr zu genügen.

Mit herzlichen Grüßen, freundschaftlichst der Deine (CHB)

 

325. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 14.5.1924

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

hab schönen Dank für Deinen Brief. Die Schattenspielangelegenheit verhält sich folgendermaßen: Die Auskünfte von Kühnel betreffend die Frage der Schattenspielfiguren sind irreführend; ich habe sämtliche Sarre’sche Figuren hier gehabt, es sind 1. arabische, 2. ganz neue und 3. stehen sie im Künstlerischen weit unter den Figuren, die ich mitgebracht habe. Eine Reproduktion Sarre’scher Figuren kommt also unter keinen Umständen in Frage. Was die kostümkundliche und kunstgeschichtliche Behandlung anbelangt, so will ich nun erst mal versuchen, mit meinen hiesigen Leuten (Byhan und Panofsky) allerhand rauszukriegen. Genügt das nicht, so wende ich mich an Fischel, den mir Harro empfiehlt. Ich werde mich dann selbstverständlich direkt an ihn wenden.

Was in Deutschland sonst an Figuren vorhanden ist, weiß ich einigermaßen; in Leipzig ist nichts von Belang, in München meines Wissens auch nichts; daß in Berlin Figuren sein sollen, habe ich noch nie gehört: Für Nachweise von Figuren wäre ich natürlich sehr dankbar; ich bezweifle aber, daß mir irgend etwas Wesentliches entgangen ist.

Für die Unterbringung meines Chalifats-Aufsatzes sage ich Dir besonderen Dank. Ich will Dir noch den Teil meines Manuskriptes heraussuchen, der Syrien und Ägypten behandelt; er enthält eine bequeme Übersicht über die Daten, die Dir vielleicht ganz angenehm ist.

Über die Hamburger Verhältnisse ist zu vermelden, daß unser Seminarbetrieb wieder anfängt, friedensmäßig zu werden. Es kommen wieder Kaufleute aus der Stadt, um Sprachkurse in allen möglichen Sprachen zu nehmen. Auch ist die Bücherwelt des Orients uns wieder erschlossen, und ich hoffe demnächst wieder größere Mengen von Texten hereinzubekommen.

Herzfelds Briefe interessieren mich enorm. Ich bin Dir sehr dankbar, wenn Du sie mir, soweit es möglich ist, zugänglich machst. Sie erhöhen immer mein Gefühl, daß die Orientalistik die einzige anständige Wissenschaft ist, wenigstens von den Geisteswissenschaften.

Zu der Oktobertagung in München muß ich folgendes bemerken:

Ich war in Basel bei Tschudi und hatte einen sehr guten Eindruck von ihm. Er hat die Absicht nach München zu kommen und muß unter allen Umständen von der islamologischen Abteilung aufgefordert werden, einen Vortrag zu halten. Er hat die schönsten Sachen auf der Pfanne. Er redet lieber als er schreibt. Ich habe keinen Begriff, wie sich die Kommission zusammensetzen wird und infolge dessen keinen Einfluß auf die Auswahl der Redner. Ich bitte Dich aber dringend, daß Du ihn in diesem Punkt im Auge behältst und die Aufforderung an Tschudi veranlassest.

Ich bin froh, wenn ich nichts mit Babinger zu tun habe. Ich kann ihm nicht helfen, und als Ablagekasten für seine nervösen Anfälle fühle ich mich nicht geeignet. Was will er denn? Will er vielleicht Sachaus Nachfolger werden?

In Italien ist es mir sehr gut ergangen, Harro wird Dir alle Einzelheiten erzählt haben. Überhaupt bin ich augenblicklich sehr zufrieden, nur könnte das Gehalt höher sein.

Hast??

(Schlußblatt fehlt!)

 

326. Postkarte von Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 27.6.1924

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Obermann ist aus Amerika zurück und erzählt, daß Torrey sich bitter darüber beklagt hätte, daß seine Ausgabe des IbnAbd el-Hakam in Deutschland gar nicht beachtet würde, und daß der „Islam“ gar nichts von sich hören ließe. Das Buch hast Du zur Besprechung bekommen, und Du bist der einzige Mensch, der es anständiger Weise rezensieren kann. Ich bitte Dich dringend, doch die Besprechung zu schreiben bzw. wenn Du gar nicht kannst, sie an Bergsträßer zu geben; die letzte Lösung aber nur im äußersten Notfalle. Ich muß aber die Besprechung in das nächste Heft bringen.

Für den schönen Abend bei Dir habe nochmals herzlichen Dank. Es hat mir sehr wohl getan und viel Freude gemacht.

Ich denke, daß der Karagös nun in einigen Wochen herauskommt.

Mit herzlichem Gruß Dein (gez.) H.Ritter

 

327. Hellmut Ritter an C. H. B. Hamburg, 16.3.1925

(Manuskript)

Lieber Becker,

hab schönen Dank für Deinen Brief und das wirklich (unleserlich) Bild, das Kunstwerk ist in der Tat schlimm!

Was Deinen Aufsatz anlangt, so ist er selbstredend sofort in die Druckerei gegangen. Wie Du weißt, führe ich nun seit Jahren einen völlig vergeblichen Kampf gegen diese unfähige Druckerei, ich habe im guten und im bösen Tone mit Liedtcke verhandelt. Es ist, als ob man auf Granit bisse. Jetzt hat er vorgeschlagen, den Islam abwechselnd in einer anderen Druckerei setzen zu lassen und hofft so 3 Bände à 20 Bogen in zwei Jahren herauszubringen. Ich habe nicht viel Zutrauen dazu. Der Trebbiner (?) Drucker ist so aber von Maßen langsam, daß ich auf mehr Gutes noch hoffe. Mein etwa in 14tägigen Pausen erfolgendes ewiges Drohen und Drängen ist ganz erfolglos geblieben. Es war immer „gerade besonders viel zu tun.“ Der vornehme (?) Herr kann wohl nicht genug kriegen und bringt infolgedessen alles so viel später. Ich wäre Dir direkt dankbar, wenn Du diesen Anlaß benutztest, um Liedtcke mit der Abwanderung zu einem anderen Verlag wenigstens zu drohen zugleich in meinem Namen. (Unleserlich) Gründung ist seinerzeit begründet durch das Schneckentempo des lieben VWV (?).. Oder willst Du mich ermächtigen, ihm unseren Islam zu entziehen (?), von ihm abzuwandern? Ich wäre es gern zufrieden.

Übrigens habe ich Deinen Artikel mit größter Freude gelesen. Ich glaube frei von aller Schmeichelei zu sein, wenn ich einmal ausspreche, daß mir Deine Islamstudien und was damit zusammenhängt, immer noch für das Gescheiteste ansehe, was überhaupt in den letzten 20 Jahren auf unserem Gebiet erschienen ist. Es ist wirklich ein erheblich höheres Niveau als alles andere und auch von den vielen kollegialen Schafsköpfen auch nicht entfernt nach Gebühr gewürdigt.

Du bist der 1. Mann auf unserem Gebiet. Aber warum willst Du nun mit aller Gewalt in Rom der zweite sein? Es kann ja gar nicht gut gehen. Wissenschaftsfragen sind nun einmal nicht geeignet, auch vom Gebildetsten, literarisch behandelt zu werden. Dazu gehört ein Maß philologischer Bildung, daß wir nun einmal nicht haben können. Warum nun grade da theoretisieren? Ich habe auf die Übersendung Deiner Bücher seinerzeit nicht gedankt, weil ich das nicht sagen mochte. Ich weiß nun einmal, daß Du es übel nimmst. Wenn einmal über Dich geschrieben werden muß, wird man sagen müssen:

Warum ist Becker nicht Becker geblieben, warum hat er sich theoretisch (gegen die Verwaltungspraxis richtet sich natürlich der Banause nicht) auf ein Gebiet begeben, wo er unbedingt eine Rolle spielen mußte für die er viel zu schade ist? Hatte er keinen guten Freund, der ihn warnte? Dann werde ich sagen: „Er hatte einen solchen Freund …“

Ich glaube, Du hast keinen Begriff, wie ungern ich diese Zeilen schreibe, am liebsten würde ich alles was zwischen uns ist in einem tiefen Schacht begraben, vielleicht mir einmal Lorbeeren holen auf einem Gebiet, wo nach meiner Überzeugung für Dich nur das Gegenteil zu holen ist, gut, dann sprechen wie niemals mehr darüber, Du hast noch so viel andere reiche Seiten, daß ich auf die eine leichten Herzens verzichten kann. Ich mag auf die Sache nicht eingehen, die Sprangersche These, unser (unleserlich)begriff stamme aus dem Deutschen Idealismus und sei damit relativ, halte ich und mit mir viele andere, für baren Unsinn, er stammt aus dem Griechentum (?) und ist im Mittelalter lebendig gewesen. Auch danach ist der Wille zur reinen Erkenntnis das Ziel der Akademien und Universitäten gewesen und wird es so lange uns Gott gnädig ist auch bleiben. Wer daran (unleserlich: dreht?), hieße er nun Relativismus-Spengler oder Erlebnis-Spranger, weiß nicht was er tut. Er begeht die Todsünde wider den Geist.

Doch genug davon.

Dein Brief zeigt mir, daß Du überhaupt etwas in gedrückter Stimmung bist, ich wünsche Dir von Herzen, daß die Periode des (arab. Wort) betr. reinen (arb. Wort) Platz machen möchte. Du weißt, daß ein solcher Zustand selbst dem fremd sind (und) sie mindestens mitzuteilen weiß.

Ich ziehe voraussichtlich Donnerstag um nach Groß-Flottbeck, Chemnitzstraße 4. Sehr ungern und mit dem Gefühl starker Heimatlosigkeit. Eine allgemeine Abspannung und kleine eklige Ohrenbeschwerden setzen meine Leistungsfähigkeit leider sehr herab.

Daß Du so freundlich an mich wegen Holland gedacht hast, danke ich Dir. Lieber wäre mir schon gewesen mal von anderen als von Dir bestätigt zu kriegen, daß ich nicht für die Katz gearbeitet habe. Ich verdanke in meinem Fortkommen Dir so viel auf reinen guten Glauben hin, daß ich gern einmal Dir möchte zeigen können, daß Du mit Deinem Glauben im Rechte bist.

Vorläufig will ich möglichst bald verreisen, um wieder auf den Damm zu kommen.

Herzliche, freundschaftlichste Grüße Dein H. Ritter

Anmerkung: beantwortet 23.3.25

 

328. Hellmut Ritter an C. H. B. (Bagdad??), 31.12.1927

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Dieser Neujahrsgruß wird Dich zwar nicht mehr rechtzeitig erreichen, ist aber doch nicht weniger herzlich gemeint. Ich kam vor lauter Geschäften und Verpflichtungen einfach nicht zum schreiben. Ich bin diese Weihnachten in sehr viel stärkerem Maße in das Leben der Kolonie mithineingezogen worden als voriges Jahr, ich habe bei Weihnachtsaufführungen der Schule Cello gespielt, entsetzlich viel Proben gehabt, dann war ich dauernd eingeladen. Meine gesellschaftliche Stellung hat sich also erfreulich gebessert, ich stehe mich jetzt auch mit Tauchnitz, dem Legationsrat, auf Schwatzfuß und ebenso mit Scheede. Dieser kam gestern von einer Tour zu den Ausgrabungen zurück und konnte daher erst jetzt das ministerielle Schreiben beantworten wegen unserer Publikationspläne. Mir ist noch etwas schleierhaft, was Kahle eigentlich machen will. Hat denn die DMG Geld? So dankenswert es ist, wenn sie sich der Sache annimmt, es darf m. E. nicht dazu führen, daß etwas getrennt von Scheedes Einrichtung organisiert wird. Diese Meinung ist mir nicht etwa von Sch(eede) suggeriert, sondern ergibt sich für den, der (die) hiesigen Verhältnisse kennt, ganz zwangsläufig. Scheede hat ein Büro, hat Hilfskräfte, hat eine Bibliothek. Außerdem möchte ich prinzipiell nicht mit Verwaltung von Geldern zu tun haben. Ich habe durch die zahlreichen Privatvermittlungsaufgaben schon verwirrend viel mit anderer Leute Geldern zu tun, und da ich sowieso immer halb auf dem Pumpfuß stehe, ist es mir nicht angenehm, wenn ich fremdes Geld verwalten soll.

Ich weiß ja nicht, was die Stellen, die der Wissenschaft Geld geben, in Bezug auf die Orientalistika hier für Ideen haben. Will man etwas aufbauen, und sich dabei meiner Person bedienen, so käme m. E. nur eine Form in Frage – gleichviel wer die Sache finanziert: Erweiterung der Scheede’schen Stelle um eine orientalistische Abteilung, die ich zu betreuen hätte, aber unter der Überdirektion von Scheede. Daß er Archäologe ist, schadet sowenig, wie daß Sachau kein Chinesisch verstand trotzdem er das O(rientalistische) S(eminar) dirigierte. Persönliche Schwierigkeiten sind nicht zu befürchten. Alles andere ist unpraktisch. Aber ich singe von fernen Zukunftshoffnungen und ahne nicht, ob irgend eine Möglichkeit besteht, um so etwas zu tun. Woran mir gar nichts liegt, ist, in irgendwelcher Zukunft Beamter zu werden, wohl aber möchte ich mit irgendwelchen beamtenmäßig honorierten Aufträgen betraut werden. An den Beamten stellt man die Forderung nach einer bestimmten bürgerlichen Lebensweise, eine Forderung die mir zu erfüllen nun mal unmöglich ist. Seit Krümmers Fortgang habe ich von Unstimmigkeiten in puncto punctorum nichts mehr gemerkt, mit seinem Nachfolger Tauchnitz habe ich mich sogar ein wenig angebiedert.

Große Freude hat mir der Besuch von Sobernheim gemacht, nicht nur wegen der herrlichen Gabe, die er mir mitbrachte und die mich aus den Schulden riß. Es war auch prachtvolles Wetter und ich habe das Zusammensein mit ihm sehr genossen.

Betrüblicherweise habe ich lange nichts von Harro gehört. Was machen wohl seine Personalangelegenheiten? Er war zuletzt recht unglücklich. Ob er mit seinem Theatroid Erfolg haben wird?

Dir und den Deinen von Herzen ein fröhliches Neujahr! Dein (gez.) H. Ritter

PS 1.1.(1928). Komme eben vom Botschaftsempfang, wo man mich begrüßte wie andere Menschen auch.

 

329. Hellmut Ritter an C. H. B. o.O. (in Istanbul?), 7.4.1928

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Ich werde Dir diesmal, gegen meine Gewohnheit, einen Geburtstagsbrief schicken. Also wünsche ich Dir von ganzem Herzen für Dein neues Lebensjahr erstens eine stabile Gesundheit und zweitens möglichst wenig dienstlichen und außerdienstlichen Ärger. Soll man Dir noch etwas wünschen? Ich hoffe es ist nicht nötig und Du hast alles andere, dessen Du bedarfst, soweit solches dem Erdgeborenen überhaupt zuteil wird.

Weil35 habe ich leider nicht heil an Berlin abliefern können, er hat sich zuguterletzt, nachdem er alle Fährlichkeiten einer fast phantastischen Reise gut überstanden hat, noch den Fuß verstaucht und fuhr recht jämmerlich und mißvergnügt ab. Hoffentlich überwindet er es bald. Mir hat die Trennung vom ihm, obwohl wir beide uns wohl manchmal gegenseitig auf die Nerven gefallen sind, eigentlich einen bösen Schlag versetzt. Zwei Monate lang tägliches Zusammensein mit einem anderen Menschen unter Umständen, die einen fast ausschließliches Bloß-aufeinander-Angewiesensein bedingten, so etwas ist mir in meinem Leben überhaupt noch nicht passiert, und nun fällt es mir entsetzlich schwer, wieder die Einspännerei zu beginnen, so schwer, wie mir das Leben in bösen Stunden überhaupt fällt, und ich fühle mich von ganzem Herzen und von ganzem Gemüte kreuzunglücklich.

Hier sagte man mir inzwischen, die Notgemeinschaft habe mir etwas geschrieben und man habe es mir nach Bagdad nachgesandt. Da ich bis zur Stunde das Schreiben nicht in Händen habe, dafür aber seit April keine Zahlungen mehr erfolgt sind, bin ich besorgt, was denn wohl los ist. Außerdem soll noch ein anderer Brief an mich abgegangen sein, aber auch der hat mich nicht erreicht, so daß ich einstweilen von tawakkul lebe, was ja in Bezug auf die äußeren Existenzmittel erstaunlicherweise noch nie versagt hat.

Nun quäle ich mich mit Unlust in meine Arbeiten hinein, den Ashari, die Handschriften; Wünsche der lieben Orientalisten etc. Da ohne Handschriftenkataloge einfach nicht mehr zu leben ist, habe ich sie von der BDMG36 bestellt, Printz will sie aber nicht hergeben, es sei denn auf kurze Dauer, womit mir natürlich gar nicht gedient ist. O, diese widerliche Geldgeschichten! Dabei sind sie weiß Gott mein geringster Kummer, wenn ich irgendeinen bestimmten anderen Beruf wüßte, der mich aus diesem Alleinsein erlöste, ich würde ihn gern ergreifen. Aber nun hat man nichts anderes gelernt, als dieses lächerliche Gelehrtenhandwerk, dem man nun verfallen ist.

Wie schwer lastet das Weltgesetz auf einem, daß man nicht allein sein soll! Soviel gerade sehe ich von Menschen, wie ich sie liebe, daß der Kummer nie stirbt und so wenig, daß ich niemals Freude und Ruhe habe.

Mir graut vor dem schönen Sommer hier. Ein Lichtpunkt in der Ferne: Fritz, Alfreds älterer Bruder, der Arzt, will bestimmt eine Ferienreise hierher machen und bei mir wohnen. Da er kein Türkisch kann, muß er sich an mich halten, wie Weil in Persien. Darauf freue ich mich wie ein Kind auf Weihnachten.

Nochmals die herzlichsten Wünsche Dein alter Trübetrost (gez.) H. Ritter

 

330. Dr.R./St an Hellmut Ritter, Konstantinopel. Hamburg, 3.5.1928

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Ritter,

ich höre durch Herrn Minister Becker, daß Sie jetzt wieder in Konstantinopel sind. Ich bin seit kurzer Zeit von einer Reise durch Südarabien zurückgekommen, die außerordentlich interessant war. Ich kann Ihnen den Verlauf nicht im einzelnen schildern, will nur erwähnen, daß ich vom Imâm sehr freundlich aufgenommen wurde, sein Vertrauen erwarb und wichtige politische und wirtschaftliche Aufträge erhielt. Die Italiener, die seit dem Vertrage von 1926 das Handelsmonopol hatten, sind vollständig erledigt, und der König setzt jetzt seine ganze Hoffnung und sein ganzes Vertrauen auf Deutschland.

Der Imâm bat mich eines Tages, ihm einen ausführlichen Bericht über die wirtschaftlichen Aussichten seines Landes zu geben, und ich benutzte diese Gelegenheit, um ihm zu erklären, daß er dringend eines europäischen Beraters bedürfe. Diesen Bericht lege ich Ihnen zur Orientierung bei. Der Bericht wurde sehr freundlich aufgenommen und mit einem Handschreiben erwidert, das ich Ihnen aber nicht beilegen kann, da es einzelne vertrauliche Sachen enthält. Für diesen Beraterposten halte ich Sie für den geeigneten Mann und möchte bei Ihnen aufragen, ob Sie wohl geneigt wären, wenn die Dinge so weiter gedeihen, wie ich hoffe, nach Sana zu gehen.

Natürlich wäre es nicht klug, dem Imâm einen Deutschen als Berater vorschlagen zu wollen, ehe er direkt darum bittet.. Man kann ihm aber Gelegenheit geben, einen geeigneten Mann kennen zu lernen. Dieser selbst würde das übrige tun, um sein Vertrauen zu erwerben. Da sehe ich nun folgende Möglichkeit, die ebenfalls bereits in Hinsicht auf Sie in Sana vorbereitet ist. Der Imâm interessiert sich sehr für die Altertümer des Landes. Er hat mich, ohne daß ich ihn darum gebeten habe, 14 Tage lang mit 100 Askaris und 10 Gespannen einen Ruinenhügel ausgraben lassen und hat sich später stundenlang mit mir über die Ergebnisse, die sehr interessant waren, unterhalten. Ich kann das nicht alles erzählen, kurz ich habe ihm gesagt, er müsse unbedingt in Sana ein Museum einrichten, um die vielen sabaischen Altertümer, die im Lande sind und mehr und mehr von allen möglichen Leuten, Liebhabern und Händlern aufgekauft werden, durch einen Sachverständigen sammeln und verwalten zu lassen. Er war damit sehr einverstanden und erwartet einen Vorschlag von mir. Ich habe dann mit dem Außenminister, einem Türken, verhandelt über die Person und die Bedingungen. Daß der betreffende von Deutschland besoldet und dem Imâm zur Verfügung gestellt wird, würde der Imâm glatt ablehnen. Der Betreffende müßte in die Dienste des Imâm treten wie alle Europäer, die in Sana sind (3 deutsche Junkersflieger, 7 Italiener). Wohl könnte man aber dem Imâm, der mit Geld sehr gerne sparsam umgeht, sagen, daß der betreffende mit einem bescheidenen Gehalt zufrieden wäre, und dieser müßte dann den Rest von irgendwelchen wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland bekommen. Für diesen Zweck würden ja wohl sicher Mittel zu Verfügung stehen. Außerdem braucht man in Sana, da man in allem Gast des Imâm ist, sehr wenig, ebenso wenig wie auf eventuellen Reisen. Wohl aber kann man, wenn man Geld zur Verfügung hat, die herrlichsten Sachen außerordentlich billig aufkaufen..

Ich habe nun mit dem Außenminister über Ihre Person gesprochen, auch über die Gründe, derethalben Sie Hamburg verlassen haben. Diese bilden absolut kein Hindernis, Sie vorzuschlagen. (Raghib Bey ist seit 20 Jahren in Yemen, ehemals türkischer Gouverneur, wohl der beste Kenner des Landes, übrigens der einzige am Hofe, der eine europäische Sprache spricht.)

Ich möchte Sie nun fragen, lieber Herr Ritter, ob Sie prinzipiell geneigt wären, die Museumseinrichtung in Sana zu übernehmen, und ob ich Sie dem König für diesen Posten vorschlagen darf. Ich habe mit Herr Minister Becker und mit dem Referenten im Auswärtigen Amt, Freiherr von Richthofen, gesprochen, und beide billigen meine Ideen. Ich bin fest überzeugt, daß Sie sich sehr bald mit dem Imâm, der ein außerordentlich angenehmer Mann ist, befreunden würden. Sana ist eine wundervolle Stadt mit idealem Klima, in der man auch an leiblichen Bedürfnissen nichts entbehrt – schöne Häuser und Gärten, immer herrliche Früchte, Gemüse etc. – vorläufig noch vollständig unberührt von jeglichen europäischen Einflüssen. Sie könnten allmählich ganz von selbst und ohne daß wir uns bei den Engländern und Italienern durch Entsendung eines Beraters unbeliebt machen, in die Position eines solchen Beraters hineinwachsen. Der Imâm ist, wie alle seine Ratgeber, bis zu einem gewissen Grade auch Raghib Bey, vollständig ahnungslos über ale europäischen Verhältnisse.

Mein Bericht ist mit Absicht sehr einfach abgefaßt, die angegebenen Beispiele beziehen sich auf ganz aktuelle Dinge, die man nur an Ort und Stelle verstehen kann.

Vielleicht kommt Raghib Bey in einigen Monaten nach Deutschland. Ich möchte aber bereits vorher einen Vorschlag nach Sana schicken, damit er eventuelle schon mit Vollmachten nach hier kommt. Ich bitte Sie also, mir möglichst bald mitzuteilen, ob Sie mich ermächtigen wollen, Sie in Vorschlag zu bringen. Über die Einzelheiten muß dann ja doch noch verhandelt werden.

Den Bericht an den Imâm senden Sie mir bitte nach Kenntnisnahme wieder zurück37. Daß die ganze Angelegenheit selbstverständlich vertraulich ist, brauche ich wohl nicht erst zu erwähnen.

Mit herzlichen Grüßen Ihr (Dr.R./St.)

 

331. Hellmut Ritter an C. H. B. (Konstantinopel), 27.6.1928

(Maschinenmanuskript)

Lieber Becker,

Ich mache soeben Generalabrechnung mit meinen persönlichen und den mir für bestimmte Zwecke, nämlich Handschriftenfotografien, anvertrauten fremden Geldern und sehe mit Entsetzen, daß ich mit rund 800 Mark im Debet sitze. Das sind zwei Monatsgehälter und meine Finanzbalancierkünste sind dem nicht gewachsen.

Die Ursachen dieses Fehlbetrags sind folgende:

Tatsächlich bin ich nie mit meinem Stipendium ausgekommen. Die Türkei gehört zu den abscheulichen Ländern mit einer Art Guldenwährung, d.h. 1 Pfund = 2,20 Mark hat im tägliche Leben nur sehr wenig mehr Kaufwert als bei uns eine Mark, dazu sind alle Einfuhrwaren durch einen ungeheuren Zolltarif schrecklich verteuert, und da bis auf Lebensmittel so ziemlich alles Einfuhrware ist, verbraucht man eben viel. Über Wasser gehalten habe ich mich immer nur durch allerhand erfreuliche Nebeneinnahmen, deren letzte die Ersparnisse durch die persische Reise (ein?) Monatsstipendium waren. Damit wäre es wohl auch noch eine Zeitlang gegangen, wenn nicht plötzlich eine Reihe von Extra hereingebrochen wären. Ich habe in Teheran allerhand Bücher gekauft und sie per Schiff abgesandt. Als sie ankamen, mußte ich plötzlich eine gewaltige Transportrechnung und einen geradezu unverschämten Zoll zahlen. Die Bücher waren nämlich zum Teil wie bei persischen Steindrucken üblich, in grobes Leder gebunden und Lederbände werden als Luxusware verzollt, ganz abgesehen davon, daß die Bücher an sich schon Zoll kosten. Wie die Sache hier vor sich geht, magst Du daran ermessen, daß man mir für ein aus der BDMG entliehenes in Leinen gebundenes Buch, Ethes Katalog der persischen Handschriften der India Office, den Gegenwert von 60 Mark Zoll verlangte, den ich durch Bestechung auf dreißig reduzieren konnte.

Das zweite Übel waren Bücherkäufe, die ich nun eben einfach nicht mehr vermeiden konnte. Man kann nicht wissenschaftlich arbeiten unter beständiger Ignorierung der Literatur. Entweder muß man eine Bibliothek zur Verfügung haben, die die Bücher anschafft, oder man muß die Bücher selber kaufen. Dennoch hätte ich hier vielleicht zurückhaltender sein müssen, als ich es gewesen bin. Es lief mir schließlich die Galle über ob der ewigen Bücherlosigkeit und das hätte sie jedenfalls nicht tun dürfen. Nun sitze ich in der Patsche.

Das dritte waren recht überflüssige Zahnarztrechnungen und dergleichen, wogegen man absolut nicht machen kann.

Du weißt, worauf ich hinaus will: Kannst Du mir irgendeinen Vorschuß auf zukünftige Einnahmen verschaffen? Du deutetest irgend wann einmal an, daß ich mich in solcher Not an ich wenden dürfe, und nun ist der Fall eingetreten…(Handschriftlicher Zusatz: Es ist mir schrecklich peinlich mit solchen Anliegen kommen zu müssen!)

Abgesehen von diesen Geldnöten geht es mir merkwürdig gut im Augenblick, meine Freunde sagen, ich würde dick, was mir recht zuwider ist, dabei esse ich so wenig wie möglich. Nach Berlin werde ich wohl erst im August kommen können, ich will den Asharí noch so weit wie möglich fördern ehe ich den Druck für Wochen stoppen muß. Es werden wohl 35 Bogen werden, 20 (?) sind fertig.

Mit vielen Grüßen Dein Dir ergebener (gez.) H. Ritter

PS (handschriftlich)

Je mehr ich über die Sache nachdenke, desto mehr schäme ich mich, solche Schulden gemacht zu haben. Eigentlich darf so etwas nicht vorkommen. Es ist einfach gräßlich solche hohe Summe wie sie sich aufgehäuft hat. Etwas werde ich ja hoffentlich durch den Aufenthalt bei meinen Eltern sparen, obwohl die doppelte Reise und die weiter laufende Wohnungsmiete ja auch etwas verschlingt. Ich kann auch ein paar Buchhändler-Gläubiger warten lassen, aber die ganze Summe kann ich nicht auflaufen lassen. Es sind mir auch lateinische Nachhilfestunden angeboten worden. Die werden mir auch helfen. Wenn Du mir über das Schlimmste helfen könntest, damit ich wenigstens die Orientalia beenden kann.

 

332. C. H. B. an Hellmut Ritter, Konstantinopel (Berlin), 11.7.1928

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter!

Im Moment meiner Abreise nach Marienbad, Hotel Weimar, will ich Dir doch noch in aller Kürze auf Deinen Brief vom 27.Juni antworten. Ich habe aus einem mir zur Verfügung stehenden Nebenfonds 800 Mark an Kahle überwiesen mit der Bitte, sie sofort an Dich weiterzuleiten. Ich habe diesen Weg gewählt, da wir auch Deine künftige Finanzierung über die DMG leiten wollen. Du wirst in diesen Tagen einen Brief meines Referenten Oberregierungsrat Leist erhalten, dem ein Protokoll beigefügt wird über eine Sitzung, durch die ich glaube Dein Druckunternehmen in Konstantinopel im wesentlichen finanziert und auch Dir eine leidlich mögliche materielle Basis verschafft zu haben. Näheres wäre dann bei Deinem Besuch in Deutschland zu besprechen.

Meine Pläne sind folgende: Ich bleibe bis zum 11. August in Marienbad, bin dann bis etwa 25. August in Berlin, fahre dann zum Orientalistenkongreß nach Oxford und bleibe dann noch ein paar Tage in England, werde aber etwa den 10. September in Berlin zurücksein. Ich halte es für selbstverständlich, daß ich Dich bei Deinem Besuch in Deutschland sehen werde, und lade Dich ein, bei Deinem Besuche Berlins in meinem Hause in Steglitz Quartier zu nehmen. Dann können wir alles besprechen. Am Bonner Orientalistenkongreß werde ich nur kurz teilnehmen und zwar nur den 22.-23. August. Ich muß meine Zeit etwas zusammenhalten. Jedenfalls bitte ich Dich, mich rechtzeitig über Deine Pläne zu informieren.

Verzeih heute die sachliche Kürze. Alles nähere besprechen wir ja doch besser bei Deinem Besuch.

In alter Freundschaft wie stets Dein getreuer (CHB)

 

333. Privatsekretariat an C. H. B. Berlin, 29.12.1929

(Maschinenmanuskript)

Herr Legationsrat Sobernheim, Auswärtiges Amt, teilte telephonisch mit, daß am 30. Dezember ein Kurier nach Konstantinopel fährt. Da Sie, Herr Minister, Zigarren an Herrn Professor Ritter mitgeben wollten, bittet er Sie, das betreffende Paket entweder bis zum 29. Dezember bei der Kurierabteilung des Auswärtigen Amts oder bei ihm abgeben zu lassen.

27. Dezember 1929. Privatsekretariat (gez. )Mai (?)

Anmerkung Zigarren für Ritter 50 Stück à 50 Pfennig erstehen.

2. Anmerkung Paket und Brief 29.12. vormittags bei der Kurier-Abteilung des Ausw.Amts abgegeben. Kroschuth 29.12.(1929)

 

334. Hellmut Ritter an C. H. B. (Konstantinopel, 17.2.1930

(handschriftlich

Lieber Becker,

wie ich aus dem Text der D(eutschen) A(llgemeinen) Z(eitung) entnehme, haben die Rechtsparteien auf den „Finger der Bestürzung“ gebissen, als Du abgingst. Was ich an Zeitungen hier las, bedauerte Deinen Fortgang sehr. Wie sehr ich selbst bedauere, Dich nicht mehr im Ministerium zu wissen, brauch ich Dir nicht zu sagen. Doch ich denke mehr an die menschliche Seite dieses großen Wechsels in Deinem Leben. Ich hoffe und glaube, daß das nun wohl zunächst einmal folgende otium Dir auch in der Seele wohltun wird. Du klagtest so oft über Amtsmüdigkeit, und nicht nur Frau Becker, sondern auch Du selbst wirst das Positive in der neuen Ruhe stark empfinden. Wer weiß, vielleicht werden wir’s auch empfinden, indem wir vielleicht manchmal Briefe bekommen, mehr als in den vergangenen Jahren, und so, wie in guten alten Zeiten, als auch die Welt noch vor uns offenstand und uns anzufeuern (?schlecht leserlich) schien. Ich denke zurück an die Bonner Zeit, so manchen verplauderten Nachmittag, voll Gewinn für die Schüler, als all das Böse noch im Schoße der Zukunft verborgen lag. Es sei kein gutes Zeichen, wenn man viel zurückschaue, sagen die Psychologen, man muß sein Glück in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit suchen. Und doch will und will die Gegenwart nicht mehr leuchten, man organisiert an seiner chose (?) herum und trifft nie das Richtige.

Ich bin gräßlich müde. Die vorigen Ferien waren kaum eine Erholung zu nennen, in Deutschland stieß ich überall auf einen unsichtbaren Bretterzaun, der mich von allem, was ich liebte, absperrte. Und dann habe ich immer nur gearbeitet und gearbeitet, um soviel wissenschaftliche Gasanàt anzuhäufen, daß die Schale der menschlichen saiji’át ein wenig erleichtert werde. Nun bin ich müde, nur müde. Morgen, Deo favente, werde ich dem letzten Bogen des 2. Bandes As’ári das Imprimatur erteilen und in ein paar Wochen kann er erscheinen. 615 Seiten arabischer Text, es ist kein Spaß, soviel hier im ganzen mit Band 1. Den 3. Band, der Indices, Biographien und Beilagen enthalten soll, stelle ich jetzt etwas zurück .Ich kann keine (?Druckfahnen) mehr sehen.

Mit Kypka mache ich die Nizámiedition weiter. Drucke an der Ausgabe des Sektenbuches (?) des Naubaxki (altes schiitisches hänsiographisches Werk) die ich mir aufgeladen habe, und führe Kahles Ibn Ajès durch die Presse, nachdem ich ihn zuerst selber druckfertig gemacht habe.

Aber ich will jetzt etwas mehr Musik machen und Romane lesen, um auf andere Gedanken zu kommen. Leider steht mir ein Umzug bevor. Hier ist’s vor Kohlendreck im Sommer aber doch nicht auszuhalten. Die neue Wohnung, auch am Bosporus, ist erheblich kleiner, aber luftig und leicht zu bewirtschaften. Du solltest mich eigentlich mal da besuchen. Ach, manchmal denke ich, Du wirst mir jetzt neu geschenkt. Laß mich wenigstens ein wenig mit der Hoffnung spielen, daß Dich nicht wieder ein gar zu arbeitsreiches Amt zu bald uns aufs neue entzieht. Merkwürdig, ich mache keine neuen Freunde mehr. Nur mein wissenschaftlicher Bekanntenkreis erweitert sich, aber gerade das ist nicht unbedingt das, was ich suche. Manchmal steht mir die Gestalt des alten Geheimrat Stuhlmann vor Augen. Ich traf ihn mal in Italien, seelisch vollkommen zerbrochen und sich zu Tode quälend mit seiner Einsamkeit. Sieht so der Lebensabend aus?- Siehst Du, ich blase nur Trübsinn, wie immer. Nun leb wohl, ich hoffe Dich erholt und Besitz der herrlichsten Muße wiederzusehen.

In treuer Liebe Dein H. Ritter.

 

335. Telegramm von C. H. B. an Hellmut Ritter, Stambul Berlin, 24.5.1930

Ministerium hat Dir achthundert Reichsmark für Wien bewilligt. Wohne Hotel Regina. Wiedersehen. Becker

 

336. C. H. B. an Hellmut Ritter bei Harro Siegel, Berlin. Berlin 25.6.1930

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter,

Dies nur zur Erinnerung, daß die Orientalisten sich Donnerstag um 2 Uhr Dir zu Ehren in der Deutschen Gesellschaft, Schadowstraße 6/7, versammeln. Wir wollen dann auch noch einmal ein näheres Zusammensein verabreden.

Mit herzlichem Gruß C. H. Becker.

 

337. C. H. B. an Hellmut Ritter, Stambul (Berlin), 10.8.1930

(Maschinenkopie)

Lieber Ritter,

Ich vermute, daß Du schon wieder auf der Rückreise bist. So wird Dich dieser Brief in Konstantinopel willkommen heiße. Es war mir interessant zu hören, daß Du nun doch einen jungen Orientalisten mitgenommen hast. Möge das Experiment gut auslaufen! Ich habe mich riesig gefreut, Dich wiedergesehen zu haben, und Du wirst ja auch selbst gefühlt haben, daß Du nicht nur bei mir sondern allseitig warm und herzlich aufgenommen wurdest. Der ganze Orientalistenkreis steht wirklich sehr fest zu Dir.

Zweck dieser Zeilen ist eigentlich nur, Dir einliegenden Brief zuzusenden, in dem ich Dir von meiner Korrespondenz mit Rodig Kenntnis gegeben habe. Ich habe nun nichts weiter mehr von ihm gehört. Ich verstehe nicht, daß man in der Bismarckstraße in Marburg nichts von Deiner Existenz wußte, oder ist das eine obsolete Adresse?

Zweitens wollte ich Dir noch einen Gruß vor meiner Abreise nach den Vereinigten Staaten senden. Meine dauernde Adresse ist c/o Institute of International Education, Two West, Fortyfifth Street, New York. Ich fahre morgen in acht Tagen, d. h. am 18. mit meinem Walter von Bremen mit der Columbus nach New York, wo wir am 25. eintreffen. Die weitere Reiseroute ist Dir ja bekannt. Ich freue mich eigentlich jetzt recht auf das Unternehmen. Zwar sind meine Vorträge noch nicht alle fertig, aber sie werden es wohl rechtzeitig. Am 15. November fahre ich von New York wieder zurück, um Anfang Dezember hier meine Vorlesungen zu beginnen.

Indem ich Dir einen recht guten Herbst und Winter wünsche, grüße ich Dich in alter Freundschaft als Dein getreuer (CHB)

Anlage fehlt.

 

338. C. H. B. an Hellmut Ritter, Istanbul. (Berlin), 12.1.1931

(Maschinenkopie)

Mein lieber Ritter,

Ein Brief von Dir hatte mir in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr gefehlt. Ich schloß aus dem Fehlen jeder Nachricht, daß es Dir gut geht. Außerdem hörte ich von Harro eine Kunde von der derzeitigen Harmonie in Deinen persönlichen Lebensumständen. Nach dem Bilde zu schließen, das übrigens ganz reizend ist, hast Du ja eine nette Gesellschaft um Dich. Dein Pommerscher Buchdrucker scheint aber auch noch ziemlich jung zu sein, denn auf den ersten Blick kann man ohne Kenntnis der Personen nach dem Bilde nicht entscheiden, wer der ältere der beiden Knaben ist. Ich freue mich von Herzen, daß Du auf diese Weise aus Deiner Einsamkeit erlöst bist und hoffe, daß sich Euer Zusammenarbeiten weiterhin glücklich entwickelt, denn Du mußt unbedingt von dem Technischen etwas mehr befreit werden, damit Du Dich ganz den rein wissenschaftlichen Aufgaben widmen kannst. Es ist eine großartige Liste von Arbeitsplänen, die Du mir mitteilst. Wo wir die 2000 Reichsmark für die persischen Typen hernehmen wollen, ist mir allerdings noch nicht klar. Es ist nicht nur die N(ot)-G(emeinschaft), die mit ihren Mitteln knapp geworden ist, sondern das Gleiche gilt für das Ministerium und alle privaten Geldgeber. Überhaupt ist die Verknappung der Mittel das Charakteristicum des gegenwärtigen Augenblicks. Man weiß nicht einmal wie man seine Steuern zahlen soll.

Meine Amerikareise ist ein fabelhaftes Erlebnis gewesen. Ich könnte Dir stundenlang davon erzählen. Es ist eben alles ganz anders, als man es sich vorstellt. Die Haupterlebnisse sind Land, Klima und Werden einer neuen Rasse, die auch eine neue Mentalität erzeugt. Die für uns manchmal unverständliche Problemlosigkeit hat auch eine sehr angenehme Seite, und man fühlt sich an das Wort Jesu erinnert, daß man wie die Kinder werden muß, wenn man das Himmelreich erben will. Ich bin durch Canada bis an den Pacific gefahren, dann die ganze Küste herunter nach Süden und durch den mittleren Westen nach den großen Universitäten des Ostens zurückgekehrt. Ich habe 42mal gesprochen und die ganzen Kosten für mich und meinen Sohn Walter, der mich als Sekretär begleitete, durch meine Vorträge aufgebracht, so daß mich die Sache keinen Pfennig gekostet hat. Zum Schluß war ich noch 8 Tage in England, wo ich auch 4mal sprach. Ich habe jetzt gelernt, freie englische Reden zu halten, was ein großer Gewinn ist. Von den genannten 42 Ansprachen waren nämlich 20 politische oder kulturpolitische freie After-Dinner-Speeches, nur der Rest waren wissenschaftliche Vorlesungen. Ich bin überall ungeheuer nett aufgenommen worden, und mein Bekanntenkreis hat sich so erweitert, daß ich manchmal kaum mehr durchkommen kann. Jede Post bringt Briefe aus Amerika. Du kannst Dir vorstellen, was das bei meinem europäischen Bekanntenkreis bedeutet.38

Hier habe ich mich mit Energie in die Vorlesungen gestürzt, lese zweistündig Muhammed und die Anfänge des Islam vor ca. 50 Hörern, interpretiere Abu Jusuf mit 6 sehr Fortgeschrittenen, darunter ein ausgezeichneter Inder, und halte noch zweistündige Übungen über neue Islam-Literatur, wobei Du auch verarztest wirst. Dr. Kraus, der ebenso wie Björkmann und Braune die Übungen mitmacht, hat es übernommen, Deine und Schaeders Muhammed-Biographie contradiktorisch darzustellen. Ich freue mich sehr darauf. Daß Schaeder nach langem Schwanken Berlin angenommen hat, wirst Du gehört haben. Ich kenne ja Dein Spannungsverhältnis zu ihm, freue mich aber doch, ihn jetzt herzubekommen, da es mich etwas von der Verantwortung entlastet, für alle Formen der Islamkunde gleichzeitig zu sorgen. Das kann ich einfach gar nicht. Ich habe es vor, mich in ähnlicher Weise wie in diesem Semester jeweils auf ein bestimmtes Zeitgebiet der islamischen Welt zu beschränken und meine Tätigkeit nicht im Extensiven sondern im Intensiven zu suchen. Neulich war Schacht hier. Von Bergsträßer kommen leider unerfreuliche Nachrichten: er scheint seit längerer Zeit recht krank zu sein. Ich bin zurzeit auch mit einem kleinen Bronchialkatarrh zuhaus. Auch Mittwoch ist nicht ganz wohl. Kurz, es ist so der europäische Winter, wie er Dir ja zur Genüge bekannt ist.

Ich bin in meinem Hause umgezogen und habe mein Studierzimmer jetzt in das frühere Wohnzimmer meiner Frau gelegt, da das Durchgangszimmer unten für ernstere Arbeit noch unbequem lag. Ich habe mich damit sehr verbessert. Aber die Verhältnisse sind doch verändert und so schlecht geworden, daß ich wirklich noch nicht weiß, ob ich auf die Dauer ein so großes und teures Haus werde halten können. Die Steuern vertreiben einen daraus. Zur Zeit lebe ich noch etwas von der Hand in den Mund. Über die Hälfte des Tages verbringe ich mit Abwicklung des ministeriellen Erbes, d. h. mit der Fülle der Wünsche und Anregungen, die mir aus allen Gebieten unserer Geistigkeit übermittelt werden. Zur wissenschaftlichen Arbeit komme ich eigentlich nur in den Abendstunden, die mir allerdings jetzt mehr zur Verfügung stehen als früher, da ich mich gesellschaftlich ungeheuer zurückhalte. Ich denke oft darüber nach, was Du mir geraten hast und werde vielleicht auch diesen Weg gehen. Zunächst will ich einmal den 2. Band meiner Islam-Studien herausbringen, um wenigstens den ersten Teil meiner wissenschaftlichen Lebensarbeit zusammenfassend abzuschließen. Innige Freude habe ich vor allem an Paul Kraus, der sich glänzend entwickelt und immer neue Perspektiven eröffnet. Ich habe mich auch persönlich sehr mit ihm befreundet, und eigentlich das erste Mal wieder seit dem Anfang unserer Freundschaft finde ich einen jungen Orientalisten, bei dem Menschliches und Wissenschaftliches konform geht. Braune entwickelt sich ja auch sehr nett. Er ist übrigens ebenso wie Kraus jung verheiratet; aber er hat noch nicht die große wissenschaftliche Chance gehabt, die das Schicksal dem Kraus geboten hat.

Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünsche für 1931 in alter Freundschaft

Dein getreuer (CHB)

 

339. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. Istanbul-Bekek, 16.2.1935

Deutsche Morgenländische Gesellschaft. Zweigstelle Istanbul

(Maschinenmanuskript)

Liebe Frau Becker,

endlich habe ich so etwas wie eine Antwort von den Türken wegen der Bibliothek39. Mittel für ein Institut in Stambul sind nicht in Aussicht genommen. Dagegen solle eine Fakultät in Ankara gegründet werden, und dann sei es wohl möglich, die Bibliothek anzubringen. Doch ist es noch so weit. Also mal wieder eine Vertröstung auf die Zukunft. Ich weiß nun nicht, was ich Ihnen raten soll. Viele der Bücher der Bibliothek sind vom Markt verschwunden und würden wohl in auch Europa Interessenten finden, aber eine Stelle zu finden, die das ganze kauft?

Inzwischen ist hier Amar40 eingetroffen und wir haben schon ein Konzert mit ihm gegeben. Es ist gut, daß ich das habe, so könnte die schwarze Galle zuweilen die Überhand gewinnen.

Hoffentlich ist es Ihnen inzwischen gelungen, Ihre Absicht, auf eigener Scholle Ihren Kohl zu bauen, durchzuführen oder doch in Angriff zu nehmen. Es ist schön, wenn einem mal eine Absicht gelingt. Hoffentlich wird es mir vergönnt sein, Sie dort mal zu besuchen und Proben des besagten Kohls zu kosten. Auch als Seelenheilstätte scheint sich ja der Ort zu bewähren. Wenigstens schrieb mir Harro, daß er wieder schlafe. Sind dessen Affären nun eigentlich in Ordnung gekommen? Und Ihre Kindersorgen? Möge alles sich zum Rechten wenden!

Mit besten Grüßen Ihr Ihnen ergebener (gez.) H. Ritter

 

340. Hellmut Ritter an Hedwig Becker Istanbul, 30.5.1935

(Maschinenmanuskript)

Liebe Frau Beckerin,

Ich habe nicht geglaubt, daß es werden würde, aber es scheinbar doch geworden: Der Nachruf ist geschrieben. Ich erinnere mich keiner Arbeit, keines Buches, das mir so schwer geworden wäre wie dieser kurze Nachruf. Ich weiß nicht genau, warum. Manchmal meine ich, es sei das Nachlassen der Formulierungskraft im Deutschen, weil man ja nichts mehr liest, manchmal glaube ich an Widerstände gegen das Thema, manchmal fürchte ich, es könnte mir ähnlich ergehen wie ihm. Jedenfalls war es ein entsetzliches Gewürge, und ich meine, man läse dem Nachruf das deutlich an. Er ist so trocken, so matt. Und dann denke ich immer, ich hätte das wichtigste vergessen. Nun, Sie werden ja sehen. Schreiben Sie mir offen, was ich alles anders machen soll und was alles ganz verkehrt ist. Auch Harro müßte ihn mal durchsehen. Er ist doch so gebildet und hat so einen guten Stil und kennt B(ecker?) doch so gut.

Die Türken haben neuerdings wieder Lust auf die Bibliothek. Sie soll nach Ankara kommen. Es ist noch nichts fest, aber die Absicht ist vorhanden.

Ich habe große Bekümmernis und denke manchmal, ich wäre nun auch fertig. Ich schreibe darüber ausführlich an Harro, er mag Ihnen erzählen, wenn Sie dies hören wollen.

Mit vielen Grüßen Ihr ergebener (gez.) H. Ritter

 

341. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. Istanbul, 19.6.1935

(handschriftlich)

Liebe Frau Becker,

Schönen Dank für Ihren Brief. Ich will dazu nur weniges bemerken. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, daß Sie mit mir Dinge allzu persönlicher Art besprochen haben. Ich habe nichts erfahren, was mir absolut neu gewesen wäre, nur bestätigt es mir, was ich wußte und ahnte. Natürlich war ich selbst in Zweifel, ob es richtig sei, diese Dinge in einem Nachruf zu sagen. Aber ich mußte sie eben mal formulieren; wenn auch nur für einen kleinen Kreis… Nun denke ich an eine neue umgearbeitete Auflage. Nicht das Fortlassen des All-zu-Intimen macht mir Sorge, aber andere Dinge. Einen nicht-kritischen Nachruf auf B(ecker) zu schreiben, der sich nicht von ihm distanziert, ist heute lebensgefährlich. Sie wissen, daß ich wegen meines Schülerverhältnisses zu B(ecker) vom Kultusministerium herausgeschmissen worden bin. Zwar hat mich das A(uswärtige) A(mt) wieder aufgenommen, aber nachdem heute Ausbürgerungen und Verfolgungen von Leuten die am 17. Mai geboren sind quasi an der Tagesordnung sind, nachdem ich freie Konzerte gegeben habe mit dem H.A. Amar, der eben ausgebürgert worden ist, würde mich ein (positiver?unleserlich) Nachruf auf B(ecker) ans Messer liefern.

Die notwendig dunklen Seiten durch Tuten ins heutige Horn à la U-dt (?) darzustellen, ist mir unmöglich. Vielleicht hat ein Instinkt mich verleitet, die Kalotte auf anderem Gebiete dunkel zu wählen. Aber es ist vielleicht überhaupt im Augenblick das Ratsamste, zu schweigen. Genug, daß der Nachruf für Sie geschrieben ist. Ihn zu veröffentlichen, insbesondere in der dargestellten Form, habe ich heute – nach den allerjüngsten Ereignissen – einfach Angst. Werfen Sie mir einen Mangel an Mut vor, wenn Sie wollen, Mut gegen Dampfwalzen aufzubringen sehe ich mich nicht in der Lage.

Ich werde gleichwohl arbeiten, um den Nachruf so zu gestalten, wie er einmal in Zukunft erscheinen kann.

Soviel für diesmal!

Mit meinen (unleserlich) Schmerzen will ich Sie nicht belästigen. Jeder hat „sein Päckchen zu tragen“. Ich freue mich des Gedankens, daß Sie mir wohlgesinnt sind. Wenn nur einige Menschen da sind, mit denen man sich verständigen kann, ist vieles viel leichter.

In herzlicher Hochachtung Ihr H. Ritter.

Anmerkung Hedwig Beckers:

In Eile zur Kenntnisnahme! Ich bin froh über die Vernunft! Vielen Dank für Ihren Brief. H.B.

 

342. Hellmut Ritter an Hedwig Becker, Kressbronn. Istanbul, 24.7.1935

Liebe Frau Becker,

Die Türken haben sich noch nicht gerührt. Es geht alles sehr langsam hier. Noch ist aber nicht alle Hoffnung geschwunden. Denn das Institut, für das sie in Frage kommt, soll erst noch gegründet werden.

Ich vergaß Ihnen im letzten Brief die Adresse meiner Mutter mitzuteilen. Marburg-Lahn, Ritterstraße 15! Sie ist aber erst von Ende August an dort, vom 20. an etwa.

Den Nachruf werde ich umarbeiten. Bisher hat freilich der Islam noch nicht wieder angefragt. Ob er auch Angst hat wie ich? Wahrscheinlich finden Sie mich jetzt sehr feige. Ich werde es mal so versuchen: Ich schreibe den Nachruf zu Ende und schicke ihn dann an Kahle, ob er meint, daß man ihn veröffentlichen soll. Ich warte eigentlich dauernd auf irgend einen Rausschmiß. Ich bin dabei fatalistisch (?unleserlich), spiele mit ausgebürgerten Ostjuden Quartett und bin am 17.5. geboren. Kann man stärker (unleserlich) sein? Andererseits möchte man gerne nicht zu Kreuze kriechen. Nun wir werden sehen.

Schade, daß Harro immer zu würgen hat. Aber wenn er glücklich verheiratet wäre, wäre er sicher längst in einem Lager angelangt, das uns trennte. Vielleicht ist er es schon, ich weiß es klugerweise nur nicht. Die Freunde werden so mir immer weniger.

Immerhin habe ich wenigstens wieder mit Scheib (?) einen, wenn auch schmalen(?) Schriftwechsel aufgenommen. Er war des Gattenmordes angeklagt, ist aber glänzend freigesprochen worden. Dafür hat er eine andere Affaire gehabt, die seinen Ausschluß aus der Kartei und allen Berufsorganisationen zur Folge gehabt hat, und läuft brotlos herum.

E. Zwirner (?), Vater eines zweiten Kindes, ist nicht so geeignet zur Aussprache. Bleibt Harro, dem man – unberufen – ein Denkmal errichten müßte.

Verzeihen Sie diesen grauenhaften Schluß. Der Füllhalter war an sich ein Mißkauf. Seit 30 Jahren suche ich einen Halter, mit dem ich schreiben kann. Bisher gänzlich vergebens.

Mit herzlichem Gruß Ihr ergebener H. Ritter.

 

343. Postkarte von Hellmut Ritter an Hedwig Becker. Istanbul, 6.8.1935

Lieber Frau Becker,

Ich sende Ihnen mit gleicher Post den Nachruf in neuer Form zu, und wäre begierig zu erfahren, ob Sie ihn nunmehr für geeigneter halten als vorher. Sollten Sie ihn für druckbar halten, so könnte er ja an Strischmann (unleserlich) gehen und erscheinen. Doch möchte ich vorher Ihre Ansicht wissen.

Mit bestem Gruß Ihr ergebener H. Ritter.

 

344. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. München 23, Tristanstr. 4, bei Prof. Pretz (o.D., August 1935 ?)

Sehr verehrte Frau Becker,

eben bietet Prof. Pretzl an, die Bibliothek zu kaufen, mit 3000 Reichsmark Anzahlung und neun Jahresraten zu ca. 700 RM. Im übrigen möchte ich Ihnen raten, noch bis Ende des Monats zu warten, da ich mich auf dem Orientalistentag auch nochmals umhören will. An sich ist der Vorschlag Ihres Maklers diskutabel, nur dürfte das Geld so etwas langsamer eingehen.

Ich schreibe Ihnen sofort, ob etwas Greifbares herausgekommen ist. Die Türkensache werde ich als ultima ratio betrachten.

Mit bestem Gruß Ihr ergebener H. Ritter.

 

345. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. München, 29.8.1935

Lieber Frau Becker

Ich bin zur Zeit in München, wo ich meinen Malentin auf die Photographenschule getan habe – mit blutendem Herzen. Denn das Loch, das er in Konstantinopel hinterläßt, ist fürchterlich groß und ich weiß absolut nicht, womit ich es zustopfen soll. Es wird mir einen gar jämmerlichen Abschied geben.

Ich wollte Sie fragen, ob Sie die neue Auflage des Nachrufes bekommen haben und Ihre erneute Kritik dazu hören.

Ich werde in Rom auf dem Orientalistenkongreß mich nach neuen Möglichkeiten für die Bibliothek umhören, wer weiß, wie lange die Türken, sehr langsame und schlechte Zahler, noch machen.

Ich möchte so sehr gerne hören, daß Sie mit Ihrem Kohlanpflanzen vorwärts kommen. Es wäre so angenehm zu wissen, daß wenigstens dieser und jener nette Mensch aus dem Gedränge herauskommt.

Kommen Sie nicht mal nach München? Hätte Sie gerne gesprochen.

Meine alte Mutter will mich hier unten irgendwann für 8 Tage besuchen. Ich suche einen stillen Platz für uns beide. Wo gibt es wohl so was?

Mit vielen Grüßen Ihr ergebener H. Ritter

 

346. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. München, 3.9.1935

Liebe Frau Becker,

Ich gratuliere Ihnen zu Ihren neuesten Kohlbauerfolgen und wünsche Ihnen viel Heil und Segen in Ihrer neuen Tätigkeit. In der Tat: Unkraut jäten ist eine schöne Sache. Wenn man das doch auch mit den Menschen so machen könnte!

Ihre Bücherangelegenheit behalte ich weiter im Sinn. Ich werde mich auf dem Orientalistentag noch mal weiter umhören.

Was den Nachruf anlangt, so bin ich nicht entsetzt, nur ziemlich ratlos. Denn ich sehe nicht, was ich noch ändern soll. Aber es ist vielleicht am besten, Sie sind so freundlich und schicken ihn mir hierher, damit ich ihn baldigst ein paar Kollegen zeigen kann. Ob es überhaupt Sinn hat, ihn zu drucken, ist ja auch noch fraglich.

Ich danke Ihnen für Ihr Angebot wegen einer Unterkunft für mich und meine Mutter am See. Ich denke, ich werde an den Starnberger See gehen.

Kommt Harro durch München? Er sollte mich dort aufsuchen.

Herzlichst grüßend Ihr ergebener H. Ritter.

 

347. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. Istanbul, 11.10.1935

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrte Frau Becker,

also in Rom ist nichts greifbares herausgekommen. Ankara scheint mir nach den neuesten Nachrichten auch sehr zweifelhaft zu sein. Bleibt übrig das Angebot von Prof. Pretzl, München 23, Tristanstr.4, mit dem Sie sich ja in Verbindung setzen können. Sollte das auch nichts werden, so rate ich allerdings dann auch zum Einzelverkauf. Leider kann ich den Franz’schen Brief im Moment nicht finden. Ich hoffe, er wird sich beim Kramen noch auftun. (Handschriftlicher Zusatz: Schon geschehen).

Sehr herzlichen Dank für die überaus gütige Übersendung des Kelims an meine Mutter.

Mit herzlichem Gruß Ihr ergebener (gez.) H. Ritter.

 

348. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. Istanbul, 17.10.1935

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrte, liebe Frau Becker,

Ich sitze mal wieder am Nachruf. Weiß nicht, warum es so schwer ist. Es war doch ein so guter und netter und gescheiter Mann. Er hat sich doch auch um einen gekümmert, weiß Gott. Aber irgendwo geht die Rechnung nicht auf, wie ein periodischer Dezimalbruch. Nun also, ich möchte gern wissen das Jahr des Abiturs und des Einzugs in die Universität, und zweitens, ob Sie irgendeine Vorstellung haben, warum er eigentlich Orientalist geworden ist. Mir schwebt so etwas vor, als ob es religionsgeschichtliche Interessen gewesen wären. Aber von wem wurden die geweckt? Von wem ist er eigentlich in Heidelberg besonders beeinflußt oder gefesselt gewesen? Ich weiß darüber gar nichts sicheres. Könnten Sie mir ein wenig darüber schreiben?

Was macht Ihr Kohl? Ist er nun endlich angebaut? Der meinige will augenblicklich nicht recht gedeihen. Man murxt sich so hin.

Ihr ergebener (gez.) H. Ritter

 

349. Hellmut Ritter an Hedwig Becker. Istanbul, 23.2.1936

Deutsche Morgenländische Gesellschaft

Liebe Frau Becker,

Das Ankara Schreiben besagt nur, was wir hier ohnehin wissen. Daß das Budget des türk(ischen) K(ultus)M(inisteriums) derzeit, d.h. bis Ende Mai, erschöpft ist. Vor Juni läßt sich gar nichts tun und auch über Aussichten in keiner Weise orakeln.

Inzwischen habe ich, frech wie ich bin, beim Preußischen K(ultus)Ministerium den Antrag gestellt die Bibliothek des früheren K(ultus)Ministers mir bzw. der obigen Firma, zur Verfügung zu stellen. Was dabei herauskommen wird, ahne ich nicht. Aber kein Ding ist unmöglich.

Ich habe zunächst einmal den Erfolg dieser Aktion abzuwarten, aber ob da je in nächster Zeit entschieden wird, nach meiner Kenntnis des Geschäftsverfahrens im K.M.. Vielleicht tun sie es in zwei Raten, wenn die Summe für sie in einem Jahr zu hoch ist. Der Antrag geht gleichzeitig mit diesem Briefe ab.

Mit besten Wünsche Ihr ergebener H. Ritter.

 

350. Hedwig Becker an Hellmut Ritter. Kreßbronn, 7.3.1936

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Ritter!

Ich möchte Ihnen doch gleich mitteilen, daß es mir nun doch gelungen ist die Bibliothek zu einem annehmbaren Preis an ein deutsches Antiquariat zu verkaufen. Die Sache war schon im Gange und fast abgeschlossen, als Ihre Nachricht von der Eingabe an das KM kam; es wäre mir leid, wenn von da nun eine zusagende Antwort käme, ich mußte aber schnell zugreifen, da im Augenblick anscheinend mehrere ähnliche Objekte angeboten sind.

Ich möchte Ihnen auch gleichzeitig sehr für all Ihre Mühe in dieser Sache danken!. Es ist mir nicht leicht geworden, diese mit so viel Sorgfalt zusammengestellte Bücherei zu veräußern; aber es hatte keinen Sinn, da sentimental zu sein.

Mit vielen Grüßen Ihre (HB)


1 Hellmut Ritter *1892 Hessisch-Lichtenau +1971 Oberursel/Taunus, Orientalist, Schüler und Assistent von C.H.B., 1919 Professor in Hamburg nach seiner Rückkehr aus der Türkei, 1935 Istanbul und 1949 Frankfurt am Main. Herausgeber und Interpret klassisch-arabischer und persischer Texte, Rezeption des türkischen Schattenspiels und christlich-neuaramäischer Erzähl- und Märchenstoffe; grundlegend auch seine Arbeiten zur islamischen Mystik.- Bruder des Historikers Gerhard Ritter *1888 + Freiburg und des Theologen Karl Bernhard Ritter *1890 +1968. Brockhaus 1996

2 Metropolitankirche ist lt. Brockhaus 1885, die erzbischöfliche Mutter- oder Hauptkirche der Hauptstädte; wie dieser Titel Metropolitan nach Kassel kommt, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht aus der Zeit des napoleonischen Königreichs Westfalen. Der Herausgeber.

3 Freie Kost? Der Herausgeber

4 hier wohl: fotografiert. Der Herausgeber.

5 Christen? Der Herausgeber

6 Hervorhebung vom Herausgeber.

7 Die Bagdadbahn ist rund 1600 km lang und wurde zwischen 1903 und 1940 gebaut. Sie schließt sich an die Anatolische Bahn von Istanbul nach Ankara und Konya an. Mit den Nebenstrecken in Syrien und dem Irak ist sie über 3200 km lang!. Sie ist (nach Wikipedia 2008) eines der aufwendigsten Infrastrukturprojekte des deutschen Finanzimperialismus. Dadurch wurde sie zu einer der Ursachen des 1. Weltkrieges, denn Großbritannien sah seine Position im Vorderen Orient bedroht.- Der Höhepunkt liegt bei 1478 m im Taurusgebirge, denn dort verlief die Bahn aus strategischen Gründen, mit insgesamt 37 Tunneln. Sultan Abdülhamid II. wollte dadurch seinem Reich eine gute Struktur geben – denn nicht nur Bagdad, sondern auch Jerusalem und Mekka wurden in den Bau mit einbezogen. „Die Bagdadbahn spielte auch beim Völkermord an den christlichen Armeniern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg stellte der Osmanische Staat unzählige Armenier zu Arbeitseinsätzen beim Eisenbahnbau ab. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Zwangsarbeit ausgeweitet. Mehrer zehntausend Armenier starben bei Bau der Strecke. Ab Oktober 1915 diente die Bahn mit deutscher Unterstützung auch als Transportmittel für die systematische Deportation der Armenier aus ihren Siedlungsgebieten in Richtung der Syrischen Wüste.“ Für weitere Details verweise ich auf den Artikel in Wikipedia 2008. Der Herausgeber

8 Hervorhebung durch den Herausgeber.

9 Leo Frobenius, Völkerkundler und Kulturphilosoph *1873 +1938, entwickelte den Begriff des ‚Kulturkreises’, unter dem er Gebiete mit ähnlichen Kulturelementen zusammenfaßte, sowie seine Lehre von der Kulturmorphologie, in der die einzelnen Kulturen als lebende Organismen angesehen wurden. 1932 Prof. in Frankfurt am Main, 1934 Direktor des dortigen Völkerkundemuseums. 12 Forschungsreisen zwischen 1904 und 1935, bei denen er Materialen zur traditionellen Kultur, altafrikanisches Erzählgut und Felsbilder erforschte. (Nach Brockhaus 1996)

10 Die Abbildung fehlt. Der Herausgeber

11 Neben der kriegsrechtlichen Kapitulation, die keinerlei Auswirkung auf die Völkerrechtssubjektivität des kapitulierenden Staates hat, gibt es auch eine Kapitulation im Friedensrecht, die allerdings der Geschichte angehört. Es handelt sich hierbei um die zwischen europäischen und nichteuropäischen Staaten abgeschlossenen Verträge, durch welche die Europäer von der Rechtsordnung und Gerichtsordnung des Aufenthaltsstaates ausgenommen und statt dessen einer Konsulargerichtsbarkeit ihres Heimatlandes unterstellt wurden. (nach Brockhaus 1996.

12 Bernhard Graf (1899 Fürst) Bülow *1849 + 1929, Reichskanzler 1900-1909. Nach seinem Abschied ging er 1914/15 als Botschafter nach Rom und suchte vergeblich, Italien vom Kriegseintritt abzuhalten.

13 Nauen und der Eiffelturm sind vermutlich Kurzwellensendepositionen.

14 Liegt nicht bei. Der Herausgeber

15 Hervorhebung vom Herausgeber.

16 Die beiden Aufnahmen stammen aus der sehenswerten Sammlung von Wegner (1887-1978) aus dem Literaturarchiv in Marburg, die zum Teil im November 2008 in der Berliner Guardini-Galerie gezeigt wurden. Sie zeigen das ganze Elend der Armenier, die von den Türken erbarmungslos massakriert wurden. Man könnte ihn als Kronzeugen aufführen für die Berichte von Ritter u.a. 1916. Der Herausgeber

17 Diese Lichtbilder befinden sich zusammen mit den von Becker gemachten 1900/1902 im Privatarchiv der Familie Becker in Berlin. Sie sind sehenswert und sollten, wenn es möglich wäre, eigentlich hier mit gedruckt werden. Ich habe sie gesichtet und eine Auswahl getroffen. Der Herausgeber.

18 Hervorhebungen vom Verfasser.

19 Wohl Ramadan. Der Herausgeber.

20 Hervorhebung des Herausgebers.

21 Die diakritischen Zeichen bei der Umschreibung arabischer Wörter ist mit einer normalen Schreibmaschine bzw. mit dem PC (Word) nicht möglich: So befinden sich in der Handschrift zuweilen ein Punkt, manchmal aber auch zwei unter den Konsonanten. Der Herausgeber.

22 Hervorhebung vom Herausgeber.

23 Es handelt sich um Beckers Zeitschrift Der Islam.

24 Es handelt sich um die Briefe Ritters an Prof. Kampffmeyer, Berlin wegen die Koordinierung der Zeitschriften „Die Welt des Islam“ der DMG und des „Islam“ von Becker, sowie einer weiteren Zeitschrift der „Neue Orient“. Der Brief von Lüdtcke an Ritter vom 28.10.1919 befaßt sich ebenfalls mit der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft und ist eher von Zurückhaltung gegenüber Becker geprägt; die Herausgeber der verschiedenen Zeitschriften und die jeweiligen Verleger würden sich einig werden!

Die Antwort Ritters an Lüdtcke vom 8.11.1919 verweist auf die Arbeitsbelastung bei der Zusammenlegung der Zeitschriften. Der Gründung eines größeren Verbandes steht nichts im Wege: Franke, Konow, der Iranist Junker sind dafür, Meinhof hielte sich zurück. Die Sektion Sinologie und Turkologie müsse man wohl umbenennen, so Franke, in Ost- und mittelasiatische Forschung. Sie könne sich auch nicht aus der ZDMG (Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft) entwickeln, sondern müsse sich an die Ostasiatische Zeitschrift anschließen. – Ritter plädiert auch für eine neue Sektion Zeitgeschichte des Orients.

25 Den Brief Trübners vom 3.4.1920 habe ich nicht abgedruckt: Nur 131 inländische und 31 ausländische Bezieher der Zeitschrift „Der Islam“. Ständiges Defizit. Bogenzahl absolut begrenzen auf 18. Bildtafeln verteuern stark. Abo-Preis muß erhöht werden von 25 auf 40 Mark. Der Herausgeber.

26 Hervorhebung des Herausgebers.

27 Meines Erachtens ist der Brief nicht von Hellmut Ritter, sondern von einem Ritter in der Landesversammlung. Die Unterschrift ist ebenfalls nicht identisch. Ein typischer Aktenirrläufer, den ich aber aus inhaltlichen Gründen nicht ausgeschlossen habe. Im Handbuch über den Preußischen Staat für das Jahr 1922 wird auf Seite 27 unter den Landtagsmitgliedern ein Dr.Ritter, Pfarrer in Berlin und MdL für Hessen-Nassau genannt.

Der Herausgeber.

28 Unterstreichung des Empfängers.

29 Aus einem Brief von Vater Ritter, Niederzwehren 12.3.1922, geht hervor, daß der Zeitschrift „Islam“ etwa 10 000 Mark fehlten. Dazu kommt die persönliche Misere Hellmut Ritters, der seine Verlobung hat platzen lassen und seinen Eltern ziemlich verstört vorkam, weswegen der Vater diesen dringenden Brief an Becker sandte!

30 Anmerkung Ritters: Heil der Seele ist zugleich ein Personenname.

31 Diese Briefe wurden von mir nicht abgedruckt. Der Herausgeber

32 Die Liste der afrikanischen Handschriften wurde von mir nicht kopiert. Der Herausgeber.

33 Arabische Anmerkung

34 Vom Empfänger unterstrichen. Der Herausgeber

35 Offenbar waren Weil und Ritter gemeinsam in Persien. Der Herausgeber

36 Bibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft? Der Herausgeber

37 Natürlich liegt er nicht bei. Der Herausgeber

38 Hervorhebung durch den Herausgeber.

39 Es handelt sich um die Bibliothek von CHB, deren Verkauf nach Amerika nach dem Tode Beckers 1933 scheiterte an der Wirtschaftskrise.

40 Das Konzert der Freunde der Kammermusik fand am 3.2.1935 in Galata Saray statt; es spielten L. Amar, Violine, Viola K. Schrickel, Cello Dr. H. Ritter, Flöte G.Ernst, Horn R. Eidler und Baß H. Pöckh. Am Klavier F. von Statzer. Programm: Bach, Brahms und Schubert

Professor C. Bezold, 1897-1921

VI.HA. Nachl. C. H. Becker. Nr. 6431

111. Bezold1 an C. H. B. Heidelberg, 27.8.1897

Sehr geehrter und lieber Herr Becker!

Anbei, in aller Eile, aber mit nicht weniger herzlichem Dank für Ihren freundlichen Brief, in dem mich besonders die Opport-Erzählung höchlichst ergözte, die versprochenen Empfehlungen:

  1. den geschlossenen Brief an Bürge, den Sie persönlich abzugeben suchen sollten (B. ist in London);
  2. die Empfehlung für den Reading Room, nur dann zu präsentieren, wenn B. eine verlangen sollte, was ich kaum glaube;
  3. eine Karte an King, auf der ich zum Jux in Keilschrift beifügte: lû suhmer ana kâsa adamis adannies – „Friede sei mit Dir, sehr, sehr“, d.h. die assyrische Grußformel;
  4. Mr. Russel Martineau, M.A., kenne ich, obwohl er sich meiner kaum erinnern wird, ganz gut; er ist im Printed Book Department, soviel ich weiß für Spanisch u.dgl., ist aber (wenn ich aufrichtig sein darf) am vergnügtesten, wenn man ihn in Ruhe läßt. So habe ich Ihnen keine Empfehlung an ihn geschrieben
  5. Der Superintendent des Manuscript Room, dessen Namen ich Ihnen neulich zu nennen vergaß, ist Mr. Bickley, ich kenne ihn nicht näher.
  6. Im Reading-Room würde ich ihnen, falls Sie ein ganz besonderes Anliegen haben, mich an Mr.Fortescue oder Mr. Wilson halten; beide kennen mich.
  7. Der Keeper des Manuscript-Departments (also Brüge entsprechend), ist Prof. Douglas, dem Sie mich allenfalls auch empfehlen können, ebenso seinen Assistenten Margolionth und Mr. Ellis, die letzten fünf alle nur für den Notfall.
  8. Grüßen Sie auch bitte sehr die Attendants von Bürge, besonders Mr. Jarois und Mr. Spencer von mir, so auch Mr. Seally, Micky und Grimmit!
  9. Demjenigen Attendant, der Sie hauptsächlich mit Handschriften usf. bedient würde ich 10-20 sh(illing) geben, je nach der Zeit die Sie bleiben; für 4-5 Wochen genügen 10 Mark, jetzt das so unter der Hand; denn offiziell sind keine Trinkgelder gestattet.

(In einem arabischen Text geht Bezold auf kalligraphische Unterschiede ein: dicke Schrift und flüchtige Schriftart,) die im 7. Jahrhundert neben der (wohl klassischen) um sich griff, aber vom Qoran ausdrücklich ausgeschlossen war; vgl. Sie Nöldeke, Geschichte des Qorans, Sure 329& 349, Notu.

Ein Boarding House weiß ich leider nicht, da unseres heruntergekommen ist; vielleicht kann Ihnen der liebenswürdige Luzae, den ich herzlich zu grüßen bitte, etwas sagen.

Und nun reisen Sie glücklich! Meine Frau erwidert Ihre Empfehlungen herzlich. Lassen Sie bald einmal hören, wie Sie drüben eingewöhnen. Seien Sie herzlich gegrüßt. C. Bezold.

 

112. C. Bezold an C. H. B. , London Heidelberg, 4.11.1897

Geehrter und lieber Herr Becker,

Hoffentlich sind Sie gut in Ihrem neuen Domizil eingetroffen!

Lagarde hat, wie ich bald nach Ihrer Abreise aus der von Gottheil verzeichneten Bibliographie seiner Werke ersah, den Psalmenkommentar von Barheb. Ediert; aber – keine einzige der Londoner HSS vermerkt (nur S.244, Note ist eine kurze Stelle aus Add. 14620 citiert). Es wird sich nun fragen, ob sich nicht doch eine Neuausgabe des ganzen Opus verlohnt, zumal L’s hebräische Transrciption wirklich nahezu ungenießbar ist. Ohne die Varr. (…) Texte zu kennen, kann ich das natürlich nicht entscheiden. Vielleicht könnten Sie gelegentlich auch einmal mit Geheimrat Sachau über die Sache reden!. Aber zu einer Dissertation haben Sie vollauf genug Material, wie Sie nach einem Blick auf die „Prätamissa“ sofort erkennen werden.

So leid es mir tut, daß Sie auf diese Weise vielleicht keine größere Textedition von der Londoner Reise einheimsen, so glaube ich doch, daß Sie von Ihrem genauen Copien viel gewonnen haben und daß sich Ihre Reise vollauf lohnen wird. Lagarde hat wie mir scheint (vgl. die Vorrede, p. iv) nicht einmal alle die von Ihnen gesammelten Dissertationen gekannt. Aber ich bitte Sie, besonders darauf zu achten, daß Ihnen jetzt aus der neueren und neuesten Literatur nichts mehr darauf bezügliches entgeht.

Anbei ein paar kurze Einführungen für Sie an Geheimrat Sachau und Professor Barth; bitte empfehlen Sie mich beiden Herren und ihren Gemahlinnen auch mündlich auf angelegentlichste!

Und lassen Sie bald einmal von sich und Ihren Arbeiten hören Ihrem Sie bestens grüßender

C. Bezold.


Promotion in Heidelberg


113. C. Bezold an C. H. B. (Heidelberg), 3.11.1899

Lieber Herr Doctor,

Zur gleichen Zeit wie Ihre Sendung der „Bibliotheca (unleserlich)“, für die ich bestens danke, kam beiliegende Karte von Goldziher.

Ich denke, damit können wir sehr zufrieden sein!-

Nun hoffe ich, daß Sie lauter schöne Zuschriften auf Ihre Arbeit bekommen; ebenso, daß Sie ein schönes Semester in B(erlin) verleben.

Mit besten Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr sehr ergebener C. Bezold.

 

114. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 20.11.1899

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Endlich komme ich dazu, Ihnen für Ihren freundlichen Brief vom 16. d. M. zu danken und returniere beigeschlossen die fünf Schriftstücke der Arabisten, die Sie so freundlich mitsandten.

Ich glaube, Sie dürfen trotz aller Ausstellungen mit dem Resultat doch zufrieden sein; Arabisten wie de Goje gibt es eben nicht sehr viele! Und von Barth haben Sie ein schönes Lob erhalten! Das schließt natürlich nicht aus, daß Sie auch in der Öffentlichkeit einmal unsanft angerührt werden; besonders von den „Grünen Blättern“ hätte ich in dieser Hinsicht (weggelocht: weniger Verdruß?) – schon meinetwillen!

Wie ich über die Setzung von Hampe und Jastid denke, haben wir ja besprochen – gerade mit Bezug auf Brockelmann; bei dem Gedicht, dachte ich mir, wollten Sie die Vocalisation der Handschrift wiedergeben; anders natürlich die Ausgabe eines Dichters! „Unelegant“ käme es mir nur vor, wenn man eine Qoranstelle ohne volle Vocalisation wiedergäbe; (arb.Wort) ist mir neulich noch aufgefallen, schadet aber gewiß nicht!

Prof. Brünnow ist übrigens, wie mir neulich Geheimer Hofrat Zangemeister versicherte, in Vevey. Den Betrag Ihrer Rechnung hat mir Herr Baensch mitgeteilt, ebenso die Höhe der Manuscriptcopien!

Daß Sie so viele Sprachen – moderne und abgestorbene – zu beherrschen sich anschicken, darum könnte ich Sie fast beneiden. Schade aber, daß Sie den Baidáwí nicht hören können! Über das Factum der Fortsetzung Ihrer assyriologischen Studien berichtete mir heute Herr Prof. Dulitzsch (Berlin?).

Wir gehen und sehn dem Höhepunkt des Wintersemesters – 22. November – entgegen. Ich selbst habe das liebgewordene Docieren, Redigieren, Recensieren und Musicieren wieder aufgenommen; aber oft klingt noch die schöne Erinnerung an den Süden durch. Verschiedene nette Photographien aus Lugano – von Frau Dr. Jaffé – sind wohl auch Ihnen zugegangen.

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn ich Ihnen – nach Ihrer deutsch-orientalistischen Centrale – etwas neues zu schreiben versuchte. Darum nur noch die besten Grüße, von meiner Frau und Ihrem stets ergebensten C. Bezold.

 

115. Neujahrskarte C. Bezolds an C. H. B., Gelnhausen München, 30.12.1899

Viel Glück 1900

Und dazu besten Dank für Ihren freundlichen Brief, sehr geehrter und lieber Herr Doctor, d.d.4. d. M.! Wir hatten stark gehofft, Sie zu sehn und am 20., als wir eine Stunde gegen Abend ausgingen, sogar das Gas brennen lassen, damit Sie bei Ihrem Besuch ev(entuell) ein erleuchtetes Zimmer bei uns vorfänden. Nun werden wir uns in diesen Ferien wohl kaum sehen, da wir erst am 7. Januar 1900 wieder nach H(eidelberg) zurückkehren wollen.

Mit der Verzögerung Ihres Artikels bin ich ganz einverstanden; ev(entuell) dann aber für’s nächste Heft! Daß Sie einen Aufenthalt bei Nöld(eke, Straßburg) wenn auch aufgeschoben, so doch nicht aufgehoben habe, freut mich. Über den hittitischen Fund in Babylon hatte mir Prof. Delitzsch schon vor längerer Zeit geschrieben,

Betr(effend) in Angelegenheit „B.“ ist zwar noch nichts definitives entschieden, aber es ist so gut wie sicher, daß er seine Stellung, auch die an der (arab.Text) aufgeben muß.

Alles schöne und gute für Sie zum kommenden Jahrhundert von meiner Frau und Ihrem stets ergebensten C. Bezold.

 

116. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 12.3.1900

Geehrter und lieber Herr Doctor,

Besten Dank für Ihre Ansichtspostkarten und Ihren freundlichen Brief vom 9. d. M.! Wir wollten im März sicher noch hier bleiben; Sie würden uns durch Ihren Besuch sehr erfreuen; was dann wird, Lugano oder Baden-Baden oder gar nicht, wissen wir selbst noch nicht. Natürlich schon jetzt vielen Dank für Ihre freundliche Einladung nach Gelnhausen!

Über Ihre Arbeiten freue ich mich sehr, mündlich mehr zu hören. Mit dem Artikel hat es noch 1-2 Monate Zeit, vielleicht noch länger; aber teilen müßten wir einen 4 Bogen füllenden Artikel jedenfalls.

Ich bin noch nicht dazu gekommen, einen „Kodak 2“, ein Weihnachtsgeschenk meiner Frau in Gebrauch zu nehmen.

How do you and your friend develop? Ich hoffe, leiblich, geistig und photographistisch aufs allerbeste!

Mit diesem Wunsche grüßt Sie, auch seitens der Gattin Ihr stets ergebenster C.B.

Anmerkung: Seybold schrieb mir, er würde Ihre „hübsche“ Arbeit kurz in WZKM besprechen.

 

117. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 5.6.1900

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Ihre liebenswürdige, heute morgens eingetroffene Einladung hat uns, meiner Frau und mir, nicht ganz wenig Kopfzerbrechens gemacht, da wir es gar nicht recht verantworten können, Ihre hochverehrte Frau Mutter, die uns noch gar nicht kennt, – und noch dazu zu zweit – ins Haus zu fallen.

Aber die Aufforderung ist so liebenswürdig, all das Schöne und Interessante, das Sie in Aussicht stellen, so verlockend, und vor allem die Hoffnung, auf diese Weise die persönliche Bekanntschaft Ihrer Frau Mutter zu machen, so erfreulich, daß wir nicht widerstehen können und deshalb übermorgen zu der von Ihnen bestimmten Zeit in Gelnhausen einzutreffen beabsichtigten.

Indem ich unserer Ankunft die angelegentlichsten Empfehlungen voraussende, und mit den besten Grüßen an Sie von meiner Frau und mir bin ich Ihr stets ergebenster C. Bezold.

 

118. C.Bezold an C. H. B. Heidelberg, 19.8.1900

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

herzlichen Dank! Anbei der Schluß Ihres Artikels! Ich bitte die Correctur entweder morgen, Montags, hierher zu returniren, oder, falls Sie keine Zeit finden, in ein oder zwei Tagen nach Engelberg, Hôtel Engel. Ihre Separatabzüge lasse ich Ihnen dann seinerzeit (d.h. wenn der ganze Bogen 3 reingedruckt ist), wie verabredet, an Ihre Frau Mutter nach Gelnhausen expediren.

Zu Ihrer Reise in jeder Beziehung alles Glück! Werden wir ein oder das andere Mal etwas von Ihnen hören?

Hoffentlich haben Sie von Ihrem Herrn Schwager zufriedenstellende Nachrichten erhalten. Ihnen und all den verehrten Ihrigen sendet meine Frau herzliche Empfehlungen, und schließe mich mit besonderen Grüßen an Sie an Sie als Ihr stets ergebenster C.Bezold.

 

119. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 24.9.1900

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Ich beeile mich nun, meine Karte vom 19.d.M. aus Engelburg zu ergänzen:

A.Haffner (nicht Bittner!) hat, wie Sie mittlerweile wohl schon aus Brockelmann Lit I., S.105 ersehen haben, das (Arab.Wort) edirt. Er schreibt dort in der Einleitung:

  • „Ich beabsichtige, die noch mod(erneren) Worte al-Asmaris…zu ediren… Hierbei wollte ich mit dem Kitâb el-ibid beginnen. Herr Dr. R. Geyer hatte die Freundlichkeit, mich auf einer HS Kopenhagen aufmerksam zu machen, die ebenfalls das Kitâb el-ibid enthalte … habe ich Abschrift davon genommen…. Wenn ich es (arab.Wort) aber in Angriff nahm, wie das Kitâb el-ibid, geschah es, weil… die Verschiedenheit der beiden (arab.Wort) – das der Escurial-Bibliothek nimmt nur ungefähr den vierten Teil des hiesigen ein und weist auch inhaltlich große Differenzen auf – zunächst noch größere Schwierigkeiten bot …“

Sie sehen also, daß sich leider meine neulich geäußerte Befürchtung bestätigt hat. Dr. Haffners Adresse kenne ich nicht.

Beiläufig noch eine literarische Notiz für Ihre Pferdebuch-Studien. Zu Heffnés Ausgabe der K al-Zait von al-Asmaî hat D.H.Müller einen kleinen Aufsatz beigesteuert, der nicht einmal in Scherman’s O.B. steht: An Arabian book of the Horse from the 2nd century of the Hejra“, scheint’s in irgendeiner hippologischen Zeitschrift, deren genauen Titel ich nicht ersehen kann. Doc. Heinr(ich?) würde Ihnen ev(entuell) gewiß Aufschluß geben; auch können Sie seiner Zeit bei mir den Separatabzug einsehen.

Hoffentlich geht es Ihnen recht gut! Jetzt jährt sich bald unser römischer Aufenthalt, eine schöne Zeit!

Mit den besten Wünschen und Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr stets ergebenster C-Bezold.

Nachtrag: Gestern erhielt ich von Nöldecke den II. Teil seiner „Früh Mittelalterzeit“.

 

120. C .Bezold an C. H. B., Napoli 2 Heidelberg, 24.11.1900

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Herzlichsten Dank dafür, daß Sie unserer immer so freundlich gedenken! Ich habe Ihre zwei Karten vom 2. und 19. d. M. ganz richtig erhalten und mit größtem Vergnügen daraus ersehen, daß Sie so schönes genossen haben. Glück auf zur weiteren Fahrt!

Nach der neuen Recension Ihres Buches hab ich gleich gestern auf der Bibliothek gefahndet, aber noch nicht erhalten. Die „Zeitschrift“ ist seit ein paar Tagen (endlich!) ausgegeben; also nun Ihr Artikel aller Welt zugänglich.

Guidi, die Ihre Adresse nicht kennt, ersucht mich die „ingraziarte da sua parte par l’amabile invio“

Seit Semesteranfang ist meine Übersetzung des (Arab. Titel) ganz fertig; jetzt arbeite ich täglich ein paar Stunden am Text – eine sehr langwierige Geschichte.

Seit ein paar Tagen ist (arab.Wort) Mitglied der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften! Brockelmann ist Extraordinarius in Breslau; Erlangen noch unbesetzt. Bitte empfehlen Sie mich Ihren Reisegenossen, und seien Sie herzlich gegrüßt von meiner Frau und Ihrem stets ergebenen C. Bezold.

 

121. C. Bezold an C. H. B., Kairo, Heidelberg, 3.3.1901

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Tag für Tag hatte ich die Absicht, Ihren lieben Brief vom 22. December v.J., der sich mit meiner Karte an Sie aus München vom 29.December kreuzte, zu beantworten; da kam neulich Ihre letzte freundliche Karte vom 7. Februar, aus der ich ersah, daß Sie Nachrichten erst wieder am 12.d. M. erreichen können; deshalb die späte Antwort!

Nun haben Sie vor allem für alle Ihre Nachrichten schönsten Dank! Was haben Sie nicht alles in wenigen Monaten schönes und interessantes gesehen und erlebt! Ich freue mich schon jetzt auf Ihre genauen mündlichen Berichte im Sommer.

Ihre mir namhaft gemachten Beiträge sind im letzten (weggelocht) (am 31. Januar an mich gelangten Heft der ZDMG3 noch nicht erschienen; nun hoffe ich aufs nächste Heft. Zum Aufstöbern der in Syrien befindlichen Kelti-Handschrift noch besonderes Glück!

Daß Sie Converstionsstunden nehmen, ist wohl sehr gut – neben allem anderen täglichen Gebrauch der Sprache.

Für Ihr freundliches Anerbieten von Büchereinkäufen herzlichen Dank! Ich fürchte, bis Sie diesen Brief erhalten, wird es für Sie zu spät, noch lange Besorgungen zu machen. Immerhin gebe ich Ihnen für den Fall, daß Sie etwas finden, was Sie für unser Seminar für nützlich halten Carte blanche bis zu Mark 100; mehr kann ich in diesem Jahr nicht gut aufbringen. Aber Sie haben ja die gute Absicht, das Land der Pharaonen bald wieder zu besuchen; eventuell nähme ich für mich selber etwas von dem Einkauf ab.

Ihre Wüstenexpedition muß herrlich gewesen sein! Die Gattin von Lebna Dengeler – er nahm nur eine einzige Frau – hieß „Ähre des Evangeliums“ (griech.Text); „Chronique de Galâdêwos“, ed. W.E. Conzelman (Paris 1895/Bouillon), p.4. (griech. Text).

Neulich schrieb mir Snouck aus Batavia: „…und danke ich Ihnen …für die Zusendungen…welche mich sehr interessiert haben; in der Zeitschrift namentlich Beckers Studien…!; auf dieses Dictum dürfen Sie – bei Snoucks bekannter Zurückhaltung – besonders stolz sein!

Daß Brockelmann nun glücklich die Breslauer und nun auch Jacob die Erlanger Professur erhalten hat, freut mich sehr. Wieviel Arabisch sich Meissner in Mesopotamien angeeignet hat, weiß ich nicht; aber ich teile natürlich bis zu einem gewissen Grade Ihre Bedenken; übrigens hat M(eissner) für seine bisherigen assyriologisch-philologischen Arbeiten entschieden eine Beförderung irgend welcher Art verdient.

Im übrigen haben die ersten Monate dieses Jahres noch nicht viel besonders Neues gebracht; ein sehr schönes äthiopisches Bilderbuch von Lady Meux-Bürge und Teil I und II (Text und Übersetzung) von Somi’s Diwan aus Centralarabien, herausgegeben von Stumme.

Wir stehen unter dem Zeichen der ernsten Trauer um den vorgestern vom Schlag gerührten Geheimrat Erdmannsdörffer, dem ich manchmal auch von Ihren Plänen (Habilitation etc.) erzählte; er wird morgen zu Grabe geleitet, ein betrübender Semesterschluß!

Nächsten Samstag wollen wir beide von hier direct (via Marseille) nach Tunis, dort ca. 10 Tage bleiben (kommen Sie doch ein bißchen rüber!!) und dann Sicilien kennen lernen; dann via Neapel, Rom, Lugano zurück. Etwaige Nachrichten erreichen uns bis ca. 23.d. M. in Tunis, Hôtel de Paris, oder kurz darauf Palermo, Hôtel Trinacria; ca. Mitte April in der bekannten via Frattina 119 in Rom.

Ich fürchte, in T(unis) trotz meines Studiums von „Stummer“ eine ziemlich „stumme“ Rolle zu spielen (on parle francais!), freue mich aber doch sehr, den Staub Europas einmal von den Füßen zu schütteln.

Ihr Verbindungsbruder Eisenlohr hat die Bilzis-Geschichte bei mir –ich glaube bis S. 12 – eingenommen.

Nun leben Sie wohl; viel Glück und gute Gesundheit zu Kommendem! Meine Frau grüßt Sie herzlich – ebenso wie Ihr stets ergebenster C. Bezold.

 

122. C.Bezold an C. H. B., Kairo……………………………..München, 16.3.1901

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Herzlichsten Dank für Ihre mir gestern zugegangenen freundlichen Zeilen! Ich glaube, Sie haben sich selbst schon den richtigen Weg vorgezeichnet: zunächst an die Botschaft in C(airo) schreiben, und, wenn – was ich nicht hoffe – Ihr Ansuchen dort auf energischen Widerstand stößt, Mitte October bis Mitte Nov(ember) dort zuzubringen.

Die Habilitationsangelegenheit wird Ihnen mit recht im Vordergrunde Ihrer Interessen stehen: ich selbst will gewiß gern alles nach Kräften beschleunigen, möchte aber ja nicht, daß irgendein Schritt zur Vorstellung berechtigt, als wollten Sie irgendwie hetzen, da dies unter Umständen in der Facultät einen nicht angenehmen Eindruck erwecken könnte.

Der vorläufigen und privaten Übersendung Ihrer Arbeit sehe ich gegen Mitte October gern und mit Spannung entgegen. Wir treffen wohl erst am 5. (Oktober) in H(eidelberg) ein, der Straßburger Philologenversammlung halber.

Zur glücklichen Rückkehr Ihres Herrn Schwagers aus dem Mittelreich4 unsere besonderen Glückwünsche! Dazu schönste Empfehlungen von meiner Frau und mir an Ihre verehrten Angehörigen und Ihnen selbst herzliche Grüße!

Ihr stets ergebenster C.Bezold.

 

123. C. Bezold an C. H. B., Kairo, Heidelberg, 27.10.1901

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Endlich komme ich, nach der neulich vorausgehetzten Karte, zur Beantwortung Ihres Briefes vom 20.d.M. Von Ihrer Arbeit habe ich noch nicht viel gelesen, da ich mit Geschäften geradezu überhäuft bin. Aber ich habe keinen Zweifel, daß sie so bleiben kann. Ich sende Ihnen beiliegend unsere Habilitationsordnung und ersuche Sie nun bald die Bedingungen des §1 zu erfüllen. Ihre Bewerbung mit Detaillierung der Beilagen 1, 2 usf. sei wie beim Doctor-Gesuch auf Foliobogen! Sie bewerben sich wohl darum, an der hiesigen Universität „über semitische Sprachen und Persisch“ oder „über semitische Sprachen, Persisch und Türkisch“ Vorlesungen halten zu dürfen? Oder über „orientalische Sprachen“ – was ein wenig zu viel sagen dürfte? (wegen Sanskrit, Egyptisch etc.). Übrigens würde auch „semitische Sprachen“ genügen, aber wie Sie wollen! Am Ende doch „semitische Sprachen und Persisch“. Als Beilagen würden Sie wohl senden: Maturitätszeugnis, Heimatschein, Bescheinigung über Militäruntauglichkeit, Abriß Ihres Lebenslaufes und Bildungsganges, Zeugnisse (Matrikeln!) der Universitäten etc. Lausanne, Heidelberg, Berlin; Doctordiplom; ferner extra angeführt die Drucksachen, nicht veröffentlichte Abhandlungen, Beitrag zum (unleserlich: Forschungsbericht?); ferner an Druckschriften: Dissertation, den Aufsatz in der Zeitschrift und was Sie sonst etwa noch haben: Alles!

Ich würde Ihnen raten, mir („dem Decan“) dies alles baldmöglichst einzuschicken. Der Eingang Ihrer Arbeit datirt dann natürlich vom selben Tag wie das übrige. Ich nehme mir dann drei Wochen zur Begutachtung der Arbeit und lege alles der Fac(ultät) vor, worauf Sie, im günstigen Falle aufgefordert werden, mir (dem Decan) drei Themata für die Probevorlesung einzureichen. 1. also Mahdi etc. 2. (unleserlich: Adamsage?) 3. würde ich ganz ruhig „Jerusalems Rolle und die orientalischen Religionen“ (so wohl bessere Fassung als „Die religiös-geschichtliche Bedeutung Jerusalems“ ) wählen; voraussichtlich wird dann 1. genommen.

Über Verleger mündlich; ich wüßte, glaube ich, was!

Am 31.d.M. bin ich nicht hier; aber nachher bald auf Wiedersehen!

In Eile grüßt Sie Ihr stets ergebener C. Bezold.

 

124. C.Bezold an C. H. B., Gelnhausen. Heidelberg, 28.10.1901

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

am Mittwoch dem 30.d.M. um 4 (Uhr) sehr willkommen, auch schon um 3 ½ Uhr. Auf meinen gestrigen Brief hier wird nicht so viel zu besprechen sein, daß wir nicht um 5 ¼ (Uhr) fertig würden, um welche Zeit ich (zu Hause) Colleg habe.

Ich adressire noch nach G(elnhausen), da ich Sie morgen noch dort glaube.

Mit herzlichen Grüßen stets Ihr CBzd.

Anmerkung von Ernst von Blumenstein:

Hast Du die Cigarren nicht vergessen? Traf heute fünf Stück Dammwild, wovon ich morgen 1-2 schießen (will? Weggelocht). 11.45 h schoß ich beinahe einen Bock. Hals- und Beinbruch. Gruß Ernst

 

125. C.Bezold an C. H. B., Kairo München, 31.12.1901

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

haben Sie recht herzlichen Dank für Ihren interessanten und lieben Brief vom 21.d.M., der mich gestern hier erreichte! Ich habe schon vor einigen Wochen alle Ihre Papiere an Ihre verehrte Frau Mutter returnirt zusammen mit einem officiellen Schreiben, daß das vorgesetzte Gr(oße) Ministerium Ihre Zulassung zur Habilitation genehmigt hat, und daß wir jetzt die gedruckten Exemplare Ihrer Habilitationsschrift erwarten, um den Termin zur öff(entlichen) Probevorlesung zu vereinbaren. Ich sehe also jetzt in H(eidelberg) (wohin wir nächsten Sonntag zurückkehren wollen) Ihrem „Teildruckgesuch“ entgegen und werde dieses sofort empfehlend in der Facultät circuliren lassen.

Wie freue ich mich, daß Sie in C(airo) wieder eine so schöne und interessante Zeit verleben. Auch die Übernahme Ihrer Arbeit seitens Trübner, der jüngst noch einmal in H(eidelberg) war und mit mir darüber gesprochen hat, gereicht mir natürlich zu großer Freude. Ich teile durchaus mit Ihnen die frohe Hoffnung und Erwartung, daß sich unser Zusammenwirken in H(eidelberg) aufs schönste und ersprießlichste gestalten werde.

Auf Ihre Einrichtung in der Keplerstraße 19 sind wir natürlich sehr begierig.

Und nun zum Jahreswechsel – wenn auch etwas spät – noch von uns beiden die allerherzlichsten Wünsche für Sie, Ihre Gesundheit und Zukunft! Bitte empfehlen Sie uns auch herzlich Ihrer Frau Mutter und Ihren Geschwistern! Auf frohes Wiedersehen freut sich schon jetzt Ihr stets ergebenster C.Bezold.

P.S. Recht schöne Grüße an Dr. Bissing!.

 

126. C. Bezold an C. H. B., Kairo Heidelberg, 13.2.1902

Sehr geehrter und lieber Herr Doctor,

Herzlichen Dank für die Karte vom 10.d.M. und für den Brief vom 7.d.M., den ich soeben erhielt! Wir freuen uns von Herzen, daß Sie eine schöne Zeit verleben und nun noch so eine interessante Reise vor sich haben.

IR und Layard haben Sie billig erworben; für das Ajání um 3 Pfund Sterling (?) würde Ihnen das Seminar zu Dank verpflichtet sein.

Ihre öff(entliche) Probevorlesung soll 45 Minuten dauern, grade wie ein regelrechtes Colleg.

Selbstverständlich bin ich zu allen Corr(ecturen) und Revisionen, die Sie mir senden lassen, stets bereit. Von der DMG habe ich noch nichts erhalten, hoffe aber, daß man mir die Corr(ec-turen) schickt, wenn Sie die dortige Redaction darum ersucht haben. Baensch schickte grade jetzt Ihren Titel – mit dessen neuer Fassung ich mich hiermit einverstanden erkläre (dies auch officiell!); ich will ihn heute returniren. Allem weiteren sehe ich bald entgegen. Ihr „Heft I“ ist von Tr(übner)5 auch auf dem Umschlag meines neuen Zeitschrift-Heftes schon als „unter der Presse“ befindlich angezeigt.

Über die Mitteilung betr. Erdmannsdörfer’s (?) Bibliothek besten Dank! Ich will sehen, was sich seiner Zeit thun läßt, und habe heute schon mit einem älteren Collegen in diesem Sinne gesprochen.

Und nun recht viel Glück und gute Gesundheit zu Ihrer Reise! Wie werden Sie mit Schätzen und Erinnerungen aller Art beladen wiederkehren! Herzliche Grüße von meiner Frau und

Ihrem stets ergebensten C.Bezold.

Anmerkung:

Grüße an Dr. von Bissing.

 

127. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 2.10.1902

(Maschinenmanuskript!)

Hochverehrter und lieber Herr College!

Endlich komme ich dazu, Ihnen für Ihre freundliche Karte herzlichsten Dank zu sagen. Bitte, empfangen Sie zugleich auch unsere besten Glückwünsche zur neuen Onkelschaft!

Wir haben in Berlin (zum Teil mit Kuhns), Dresden, Leipzig, Jena eine wunderschöne Zeit verlebt; hingegen habe ich mich hier tüchtig erkältet und wir mußten deshalb unsere Reise nach Lugano bis übermorgen aufschieben. Dann soll’s aber endlich fort! Mittlerweile beschäftige ich mich vorzugsweise mit meiner neuen Schreibmaschine, die ich endlich in Leipzig unter Herrn Bänschs gütiger Anleitung erstanden habe. Was sagen Sie dazu?

Wincklers bewußtes Buch habe ich noch immer nicht zu Gesicht bekommen, bin natürlich sehr gespannt darauf. Hingegen erhielt ich in diesen Tagen die erste Hälfte von Zimmerns Bearbeitung von Schraders K.A.T., die mir sehr gut gefällt. Er ist glaub’ ich nicht zu weit mit Vergleichen gegangen.

Hoffentlich läuft Ihre Angelegenheit mit Prof. Wille recht gut ab.

Mit diesem Wunsche und unseren herzlichen Empfehlungen an Ihre verehrte Frau Mutter grüßt Sie, auch von meiner Frau, herzlich Ihr stets ergebenster (gez.) C. Bezold

Anmerkung:

Adresse in Lugano: Hôtel Belle-vue au Lac. Wassalâm!

 

128. C.Bezold an C. H. B., Heidelberg…………… …Lugano, 27.10.1902

Sehr geehrter und lieber Herr College,

Herzlichen Dank für die freundliche Karte vom 21.d.M. Auch ich freue mich nun schon sehr auf das Wiedersehen; wir haben hier schöne, aber ziemlich arbeitsreiche Tage verlebt. Denken Sie, Kreysing schreibt mir gestern, die Correctur Ihres Artikels für ZDMG sei an mich nach Heidelberg geschickt. Und unser Briefträger, der (arab. Schimpfwort?) hat sie nicht umadressiert. Wollen Sie bitte am 30. (Donnerstag), vielleicht am Besten nachmittags ca. 4 Uhr (oder später) zu mir kommen, damit wir die Sache rasch in Angriff nehmen. (Arb.Wort) Stets Ihr C.Bezold

 

129. C. Bezold an C. H. B. Weggis, 28.9.1903

Streng vertraulich!

Sehr geehrter und lieber Herr College,

Ihr letzter Brief hat mich, was die v.B.’sche6 Angelegenheit angeht, aufrichtig gesagt, sehr in Erstaunen versetzt, und ich fürchte fast, wir kommen nun nicht zum Ziel!

Es ist mir unerfindlich, wie v. B., dem Sie doch gewiß die Mitteilung von mir als eine streng vertrauliche machten, Decan, Facultät, Referenten und Ministerium ganz ruhig davon berichten konnte!! Wäre es nicht selbstverständlich gewesen, davon zu schweigen, bis der Ruf an ihn kam, zumal ja in den Ferien nirgends etwas geschieht?!

Unsere Facultät ist ja über die ganze Sache, d.h. die Personalfrage, noch nicht informirt. In welchem Licht würde ich nun erscheinen, wenn irgendein Mitglied von auswärts etwas erführe, wovon es zu Hause noch gar nicht unterrichtet ist?!

Sie können Herrn von B. unter den jetzigen Umständen nur darauf hinweisen, daß von uns noch gar nichts ins Werk gesetzt ist, und daß er durch Übereilung der Sache nur schadet. Ohne die Unterlage eines wirklichen, officiellen Rufes läßt sich nun einmal kein Druck ausüben; das ist ein alter Erfahrungssatz!

Schade, daß wir auf diese Weise um ruhiges Vorgehen gebracht werden können! Ein Besuch Herrn von B.’s bei mir in Österreich (?) dürfte für diese Sache zwecklos sein, da ja erst im Nov(ember) von mir aus irgend etwas geschehen kann.

Die beiden Briefe von B.’s sende ich Ihnen anbei zurück!-

Für alle Fälle sende ich Ihnen dies alles noch nach G(elnhausen), da Sie wohl erst anfangs October reisen wollten. Diesen meinen Brief bitte ich natürlich nur für sich zu behalten!-

Übermorgen wollen nun auch wir wieder nach Hause. Alle möglichen Arbeiten ziehen mich dorthin.

Ich hoffe von Herzen, daß Ihre Operation gut verläuft und Ihnen die Zeit des unfreiwilligen Nichtstuns rascher vergeht als Sie jetzt fürchten!

Dies der aufrichtige Wunsch Ihres Sie auch von meiner Frau herzlich grüßenden C. Bezold.

 

130. C. Bezold an C. H. B., Leipzig, Krankenhaus St. Jacob. Heidelberg, 14.10.1903

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter und lieber Herr College!

Herzlichsten Dank für Ihre Karte und das schöne Geschenk, zu dessen Vollendung ich Ihnen von Herzen gratuliere! Nicht minder zur Besserung Ihrer Gesundheit! Einen Teil Ihrer Schrift (Die Arabisierung) habe ich schon mit größtem Interesse gelesen; im übrigen stecke ich zutiefst in der Arbeit.

Vielleicht halten Sie Ihre Besprechung lieber am Mittwoch (28.)? Es kommt ja nicht darauf an; aber ich glaube, ich habe schon einem oder dem anderen darüber gesprochen oder auch geschrieben, daß ich am 29. „besprechen“ wollte. Daher meine Bitte!

Bis zu einem recht frohen Wiedersehen von uns beiden an Sie die herzlichsten Grüße und Wünsche für Ihre Gesundheit!

Ihr allzeit treuergebener (gez.) C. Bezold.

P.S. Viele Grüße an Freund Dr. J.B.-D.!

 

131. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 23.12.1903

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter und lieber College!

Herzlichen Dank und dazu die schönsten Glückwünsche zu der mir soeben von Ihnen zugegangenen Recension Goldzihers über Ihr zweites Heft, auf das Sie wirklich stolz sein können. Man sieht, wie sehr sich G(oldziher) über Ihre Arbeit gefreut hat, und mit wie großem Interesse er Ihren Studien nachgegangen ist. Einen besseren Recensenten als ihn konnten Sie sich ja gar nicht wünschen! Das wird Ihnen eine wahre Weihnachtsfreude sein! Und ich freue mich mit Ihnen darüber!

Ich sende Ihnen die Recension gleich wieder zurück. Auch für Ihre Sendung der grünen Blätter und der „Mitteilungen“ noch schönsten Dank! Bei der Lektüre der ersteren tut es einem wirklich leid, wie verbittert Peiser nun geworden ist, und wie ungerecht er doch manchmal urteilt. Er macht doch seine Aussichten damit nicht um ein Stäubchen besser! Und dabei ist er im Grunde ein guter, aber freilich recht unbedeutender Mann, was ich von Winckler ja durchaus nicht behaupten möchte!

Heute früh hatte ich auch einen Brief von Goldziher und gestern einen von Goeje; nun wird der Prospect für die „Festschrift“ wohl wirklich bald werden.

Empfehlen Sie bitte uns beide Ihrer hochverehrten Frau Mutter aufs herzlichste und seien Sie selber nochmals von meiner Frau und mir zum Feste begrüßt!

Mit herzlichem collegialen Gruß Ihr allzeit getreuer (gez.) C. Bezold.

 

132. C. Bezold an C. H. B., Gelnhausen Engelberg/Schweiz, 24.9.1905

Verehrtester und lieber Herr College,

Noch immer hatte ich Ferien,, kehre aber morgen zurück! Nehmen Sie vielen herzlichen Dank für den lieben Brief vom 6. d. M.! Und Glückauf zur Fortsetzung der Papyri-Arbeit. Alles darin hat mich sehr interessiert (auch über AT!). Hoffentlich sind die Aufnahmen nun gelungen! Hilprechts Kauf hatte ich ziemlich genau kritisch prophezeit!

Der Anfang ist mir natürlich ganz recht; ich fange wohl ein paar Tage früher an.

Sehr wichtig war mir die Nachricht über den rückständigen Straßburger Mitarbeiter, das ist K. J. Neumann! Ev(entuell) muß ich Sie damit noch quälen!

Herzlichste Empfehlungen von uns beiden an Ihre Frau Mutter und viele Grüße an Sie! Stets Ihr C. Bezold.

 

133. C. Bezold an C. H. B., Berlin, Hotel Continental. Heidelberg, 20.10.1905

Verehrtester und lieber Herr College,

Haben Sie recht herzlichen Dank für Ihre beiden lieben Karten vom 6. und 15. d. M.! Ich schreibe erst jetzt, da ich annehmen darf, daß Sie mittlerweile wieder nach B(erlin) zurückgekehrt sind. Während Sie in den Papyri dort schöne Funde machen, habe ich hier zum Einstand zunächst wieder einen Brustkatarrh erlebt und muß mich immer noch halten. Aber nächsten Donnerstag soll’s nun an ein Vorbesprechen und ins Semester rein! Anfang des Monats hatten wir auf ein paar Tage den lieben Besuch von Sir Charles L., dem auch unsere Papyri sehr gut gefielen. Er läßt Sie schönstens grüßen.

Sonst nicht viel neues. Die Angelegenheit des Straßburger Mitarbeiters hat sich zur vollen Zufriedenheit Aller erledigt.

Heute früh kam schon eine vergnügte Karte aus München von Walter N.

Von hiesigen Coll(egen) habe ich fast noch niemanden gesehn, desto mehr Druckbogen aus Gießen.

Herzliche Grüße von uns beiden auch an Ihre Frau Gemahlin! Auf baldiges Wiedersehen freuen sich m(eine) Frau und Ihr getreuer C. B.

 

134. C. Bezold an C. H. B., Gelnhausen7 Heidelberg, 15.8.1906

Verehrtester und lieber College,

Verzeihen Sie, wenn ich jetzt schon als Plagegeist komme: können Sie mir angeben, wann ungefähr Ihr M(anuskript) für ZA druckfertig sein wird, d.h. ob schon in den nächsten Wochen? Und ungefähr, wieviel es sein wird? Ich könnte darnach unser Heft etwas leichter einrichten!

Meine Adresse bis Samstag früh die hiesige; dann bis 23. incl. Herrenalb, Villa Grüner Wald; dann unbestimmt bis ca. 30.sten.

Haben Sie Wellhausens Anzeige der Festschrift in den GGN gesehen?

Gerhard, der uns vor ein paar Tagen besuchte, erzählte von dem griechischen Qorra-Text: – sehr interessant!

Herzliche Empfehlungen von uns beiden auch für Ihre liebe Gattin und hochverehrte Mutter! Und viele Grüße von Ihrem stets ergebenen C. Bezold.

 

135. C. Bezold an C. H. B., Gelnhausen Heidelberg, 17.8.1906

Verehrtester und lieber College,

Herzlichen Dank! Ganz einverstanden! Da Sie Ihr Manuskript so schön druckfertig machen, habe ich schon gestern bei Straub Auftrag gegeben, es mit der Folge der Artikel so einzurichten, daß ein direkt von Ihnen in München eintreffendes Manuskript bald möglichst zum Satz kommt und anderes warten muß! Ich bitte Sie also sehr, wenn Sie einmal fertig sind, Ihr Manuskript gleich direkt an die Akademische Buchdruckerei von Herrn F. Straub. München,

Otto-Str. 12 abzuschicken; aber bitte zugleich auch eine Karte an mich (am besten Adresse: Heidelberg!), damit ich gleich au fait bin.

Wellh(ausen) ist oft sehr „suggestiv“!!- Haupt habe ich schon vor Erhalt Ihrer Karte abgelehnt (natürlich), aber Sie wärmstens empfohlen.

Morgen früh soll’s fort! In haste and hurry – mit herzlichen Grüßen und Empfehlungen stets Ihr C. Bezold.

 

136. C. Bezold an C. H. B., Gelnhausen. Engelberg/Schweiz, 9.9.1906

Herzlichsten Dank, verehrtester und lieber College, für die freundlichen Zeilen und vor allem auch für das schöne, durchweg sehr gute Bild!

Ich hoffe, daß Str(aub) mit dem Satz des Manuskriptes bald beginnen kann und dank Ihrer umsichtigen Bemerkungen alles in Ordnung bringt.

Wir verleben hier schöne Tage bei ganz entzückendem Wetter; wollen hier möglichst lang aushalten, dann vielleicht noch ein bißchen(?) nach Lugano.

Mit schönsten Empfehlungen von uns beiden grüßt Sie Ihr stets getreuer C. Bezold.

 

137. C.Bezold an C. H. B., Heidelberg. Lugano,4.10.1906

Herzlichen Dank, verehrter und lieber Coll(ege)!

Sie können es auch Samstag oder Sonntag mit der Corr(espondenz) werden lassen! Ich berechne aus unserer Tabelle, daß von 2 ½ Bogen 50 Abz(üge): 25 Mark kosten (soviel wird es wohl werden?) 3 Bog(en) = 30 Mark. Wenn Sie dies aufwenden wollen, bitte – einen Vermerk auf Corr(espondenz) oder sonst Nachricht. Dann lasse ich 100 herstellen, Ihnen sofort nach Fertigst(ellung) die 50 Gratisex(emplare) zusenden, wegen der übrigen vorhandenen in H(eidelberg). Die ersten 50 werden dadurch nicht verzögert.

Herzlichste Grüße von Haus zu Haus! Ihr in Sonnenwärme schwelgender (unleserlich, weggelocht), stets getreuer C.Bezold.

 

138. C. Bezold an C. H. B., Heidelberg Lugano, 9.4.1907

Verehrter und lieber Herr College,

Herzlichen Dank für Ihre lieben Zeilen, die uns nur leider so ernste Nachrichten über Ihre hochverehrte Frau Mutter bringen! Von ganzem Herzen wünschen wir beide, daß das Aufgeben Ihrer geplanten Reise von denselben günstigen Folgen begleitet sein möge, wie bei unserer Orientfahrt, und daß die Besserung Ihrer Frau Mutter ebenso rasch fortschreite wie die meiner Schwiegermutter!

Schade, daß nach dem was Sie mir schreiben, K. einfach den Kopf verliert! Auf Ihren und N(öldekes?) Artikel ist m.E. nur ein vernünftiges Schweigen am Platz!

Ich weiß absolut nicht, was mit meiner Druckerei ist, von der ich seit über einer Woche Fahnen mit arab(ischem) Satz erwarte (drucken vermutlich was anderes: Hommet?, Glaser?) Ich habe Ihren Artikel schon zwischen Ihrem früher geschickten einschicken lassen, will ihn, wenn es irgend geht, bei meiner Anwesenheit in M(ünchen?) noch mehr beschleunigen.

Nochmals von uns beiden alle guten Wünsche für die Besserung in Gelnhausen und dazu herzliche Grüße von Haus zu Haus! Stets Ihr C. Bezold.

P.S. Adresse wie oben bis 20., dann im Notfall: bei Frau Prof. Bussian, München, Neureutherstr. 2.

 

139. C. Bezold an C. H. B., (Hamburg) Heidelberg, 31.12.1908

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Nehmen Sie recht herzlichen Dank für Ihren lieben langen Brief, der mich, wie Sie sich denken können, durch und durch interessiert! Nicht nur das „Was“ – auch das „Wie“! Alles atmet Arbeit und riecht nach Volldampf, und dann ist es gut so. Die Verpflanzung Ihrer Tätigkeit war an der Zeit. Ich muß wieder an mir selber messen: solche Briefe schrieb ich (mutatis mutendis) 1888 aus London!

Vor allem gratuliere ich Ihnen zum Erfolg Ihrer Vorlesungen und zu der schleunigen Errichtung des Seminars. Ihren „Vortrag“ habe ich ziemlich sorgfältig durchgelesen und kann mir nun Ihr Colleg vorstellen; dabei müssen Sie freilich auf den Vortrag mehr Gewicht legen als unsereiner. Auch das ganze forsche Vorgehen des Instituts, das ich aus der Eröffnungsfeier ersehe (besten Dank auch dafür!), ist imposant und klingt durch und durch gesund -, wenn Sie vielleicht mit Ihren Universitäts-Gründungs-Gedanken und der gesellschaftlichen Verschiebung Ihrer Zeit auch etwas vorauseilen! Item, Sie werden später vielleicht noch mehr wie jetzt überblicken, welche Summe von Arbeit Sie grade jetzt leisten. Es ist gut, daß die Verantwortung des Fachvertreters, das Muß der Sitzungen etc. jedem zunächst im idealischen Licht verklärt wird.

Was Sie über Meinhof schreiben, hat mich natürlich sehr interessiert; davon erzählen Sie mir gewiß mündlich noch. Daß ich nicht vergesse: dürfen wir Sie an einem der beiden Tage, Freitag 29. oder Samstag 30 Jan(uar) 1909 bitten, ganz einfach mit uns beiden zu essen (1 Uhr), damit man dabei plaudern kann? Wollen Sie uns baldmöglich mit zwei Worten freundliche Zusage geben und den Tag bestimmen?

Wegen Beádhorí stehe ich natürlich stets zu Ihren Diensten.- Die grünen Blätter besorge ich bald, aber in besonderer Eile sind Sie damit wohl nicht.—Über die Wirkung unserer Adresse in der Barth-Fischer-Sache kann nach meiner Meinung erst die Zukunft entscheiden. Ob der jetzige Zustand haltbar ist??

Wir haben bisher ein ruhiges Semester verlebt, sind aber jetzt beide mit Krampfhusten und Heiserkeit behaftet; schon vor 10 Tagen, als uns auf einen Tag Littmann (mit Schwester) besuchte, konnte ich kein lautes Wort mehr sprechen. Die Langeweile dieser Zeit der Gefangenschaft verkürzte ich mir durch die Behandlung der Sumerischen Frage, um die mich Halévy seit Monaten quält. Ob er es nun wirklich über sich gewinnen wird, sie auch drucken zu lassen?! Nehmen Sie zum Schluß für sich, Ihre liebe, recht herzlich von uns beiden gegrüßte Frau und die Kinderlein alle guten Wünsche für ein gesundes, gesegnetes 1909 entgegen! Daß ich diese Wünsche auch auf Ihre verehrteste, gottlob! wieder so rüstige Frau Mutter und die seit der Kindheit verehrten Schwiegereltern ausdehne, brauche ich Ihnen kaum zu sagen.

Auf baldiges Wiedersehen freuen sich meine Frau und Ihr treuer (gez.) C. Bezold.

 

140. C. Bezold an C. H. B., Hamburg. Heidelberg, 24.3.1909

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Endlich und im allerletzten Moment vor unserer morgigen Abreise nach Italien und weiter komme ich dazu, Ihnen nochmals zu schreiben. Zunächst nehmen Sie bitte recht herzlichen Dank, daß Sie mir solange die „grünen Blätter“ geliehen haben, die mir gerade in diesen letzten Wochen noch von besonderem Nutzen waren. Heute nachmittag ist die ganze in Ihrem Besitz befindliche Zeitschrift von Buchbinder Koch abgeholt worden und wird Ihnen dann wohl bald ganz gebunden zugehen.

Dazu aber noch ein freimütiges Wort! Als neulich der Procuraträger von Trübner, Herr Dr. G. Lüdtke, bei mir war, besprachen wir das Wohl und Wehe von ZA und ich mußte auf Goldzihers & Co Idee von der (übrigens verwerflichen) Zweiteilung in assyriologische und semitistische Bände kommen. Dabei mußte ich (natürlich streng vertraulich!) auch Ihre Idee der Islamischen Zeitschrift zur Sprache bringen, was Sie mir gewiß nicht verargen werden. Dr. L(üdtke) war darin sehr interessiert und ich verhehlte ihm nicht, daß ich schon mündlich Sie auf den Tr(übner)’schen Verlag hingewiesen hätte. Ich versprach ihm nun auf seine Anregung, „unverbindlich“ noch über die Sache mit Ihnen zu conferieren, und er schrieb mir noch vor ein paar Tagen, daß, wenn Sie ihn zunächst unterrichten wollten, sobald Sie die Ausführung Ihrer Absicht näher ins Auge faßten, Sie der ernsten Absicht begegnen würden, in gewissenhafte Prüfung der zur Fundierung des Unternehmens notwendigen Bedingungen einzutreten und danach die Entscheidung zu treffen.

Ich muß nun dem ein Wort wärmster Empfehlung beifügen. Der Verkehr mit der Firma

Trübner hat sich für mich in den letzten paar Jahren zu einem äußerst angenehmen gestaltet, und ich kann das Entgegenkommen in jeder Weise von dort aufs höchste rühmen! Pro domo darf ich dem aber auch beifügen, daß, wenn unsere beiden Organe in demselben großen Verlag erschienen, auch jeder Schein einer Concurrenz schwände und wir, soviel ich sehen kann, alle dabei nur gewinnen könnten. Bitte überlegen Sie sich die Sache einmal!

Ich schicke Ihnen anbei nur meinen Halévy-Artikel, weil Sie (?weggelocht) den Schrader-Nekrolog ja in der ZA zu lesen bekommen und ich sonst nichts greifbares vorzuweisen habe.

Nun bin ich froh, dem Heidelberger Winter zu entrinnen und endlich einmal meinen Husten ganz gründlich pflegen zu können, der noch immer nicht weichen will.

Hoffentlich sind Sie und alle die lieben Ihrigen ganz wohlauf und denken gern an das erste Hamburger Halbjahr zurück! Mit herzlichen Grüßen von uns beiden, auch an Ihre verehrteste, liebe Frau, Ihr allzeit getreuer (gez.) C.Bezold

P.S. Adresse am besten immer Heidelberg.

 

141. C. Bezold an C. H. B., Hamburg Heidelberg, 13.5.1909

Verzeihen Sie, lieber Freund,

daß ich erst jetzt zur Beantwortung Ihres lieben, interessanten Briefes vom 10.4. und zum Dank für 2 freundliche Sendungen (über Volkers? und Ihre Professoren) komme! Und daß die Antwort wieder so kurz wird! Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, wie sehr mich alles in dem Brief interessierte und wie vorzüglich und inhaltsreich ich Ihren (Nach?weggelocht)ruf finde. Sie sind V. durchaus gerecht geworden!

Daß Sie den Anknüpfungspunkt mit Trübner aufgenommen haben, freut mich sehr; nun hoffe ich auch, daß die mündliche Unterredung in Berlin, die mir die Firma vor ein paar Tagen andeutet, befriedigend und fruchtverheißend verlaufen ist. Es wäre recht schön, wenn wir uns auf gemeinsamem Boden in die Hände arbeiten könnten!

Menaggio haben Sie wahrscheinlich reichlich verdient; ob Sie meine Karte aus Ägypten dort erreicht und mein Halévy-Artikel noch in H(amburg) getroffen hat?


Bezolds Ägyptenreise


Wir haben die schönste Reise, die wir je gemacht haben, hinter uns: am eindrucksvollsten ein Sandsturm in Sa’ara (unter Bissings Führung), am schönsten Philae, am großartigsten die Königsgräber in Theben (aber ach, der lange Eselsritt!) und der Abstieg nach Dír el batric; am lehrreichsten wohl der Tempel in Edfu(?). In Assuan regnete es – wie seit mindestens30 Jahren nicht geschehen war. Borchardts und besonders Oppenheim waren von überwältigender Liebenswürdigkeit; Büge sprach ich kurz, Sayre etwas länger und gemütlich wie in Vor-Museums-Zeiten!

Fuhren von Kairo durch bis Lugano (in 4 Tagen, davon 4 Stunden in Rom) und kamen am 5. an, wo 14 Zuhörer warteten. Einige Empfehlungen und Grüße von Haus zu Haus! Ihr wie immer treuer C. Bezold.

 

142. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 27.5.1909

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Ihr lieber Brief vom 16. d. M. samt Einlagen hat mich außerordentlich gefreut, und ich hätte ihn längst beantwortet, wären mir nicht ein paar Tagesbesuche (am Himmelfahrtstag ein sehr lieber von Littmann und letzten Montag ein langgeplanter von Münchner Verwandten), dazu noch recht viel unaufschiebbare Correcturen dazwischengekommen. Aber jetzt folgt endlich der herzlichste Dank, auch Ihrer verehrtesten Gattin, für alle Ihre freundlichen Wünsche und für Ihr liebes Geschenk! Ja, das kam mir auch merkwürdig vor, daß diese Wünsche diesmal schriftlich waren; aber man spricht da oft mehr aus als von Mund zu Mund. Daß ich diesmal 50 Jahre alt geworden bin, ist mir vor der hand noch nicht so peinlich, als mir vor 10 Jahren die 40 wurden. Man gewöhnt sich eben allmählig an die absteigende Bewegung: kostet weniger Schweiß und geht schneller!

Abgesehen von Ihren mich beschämenden Worten über ZA ist das, was Sie Trübner als Ihr vorschwebendes Ziel bezeichnet haben, so trefflich geschrieben, daß Sie es ohne weiteres drucken lassen könnten. Das habe ich auch Herrn Dr. de Gruyter gesagt, der mich am am 21. d. M. besuchte – gleichfalls mit den Schriftstücken bewaffnet, die ich Ihnen anbei mit vielem Dank zurücksende. Ich war hoffentlich in Ihrem Sinne nicht indiscret, als ich ihm auch Ihre An- und Absichten ad rem ziemlich unverhüllt merken ließ. Ein Vorschlag von mir, die anzunehmende Abonnentenzahl auf 200 zu steigern, und ein zweiter, den Ladenpreis auf 25 Mark zu erhöhen, fanden beide keinen Beifall bei ihm. Hingegen versteht er sehr wohl, daß Sie jetzt die Verhandlungen nicht übereilen können und wollen. Er wünschte mir nur, daß sowohl Sie wie auch ich überzeugt sein möchten, daß er in seinem unverbindlichen Vertragsentwurf „fair“ gehandelt habe, und ich muß sagen, ich habe nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln. Auch daß er die Zuschüsse jeweilig nur zur Deckung von Deficits verwenden will und zunächst aus dem Unternehmen keinen Gewinn zu ziehen beabsichtigt, ist gewiß vollauf anzuerkennen. Item, ich wünsche Ihnen nach wie vor von Herzen, daß sich später oder früher ein für alle Teile und obenan für die gute Sache erwünschter Abschluß erzielen lassen möchte, und sehe natürlich allem Weiteren mit regstem Interesse entgegen.

Außer für Ihre „Christianity“, die ich wenigstens teilweise wieder durchgelesen und mich dabei der guten Übersetzung gefreut habe, danke ich Ihnen noch ganz besonders für den Abdruck aus der „Kolonialen Rundschau“, die mir vorgestern zuging. Ich muß sagen, ich habe noch nie etwas gelesen, was mich so gründlich und dabei so rasch über die Vorgeschichte unserer Kolonien unterrichtet hätte. Die sachliche Ruhe, mit der Sie sehr heikle Fragen behandelt haben, ist dabei besonders zu rühmen, und daß Sie andererseits sehr energisch für die wissenschaftliche Bildung der Beamten eintreten und am Schluß auch ein Wort pro domo reden, finde ich ganz in Ordnung. Das Zugeständnis, daß die Missionen „ein Kulturfactor sind, den wir einfach nicht entbehren können“, hätte ich nicht über mich vermocht. Ich weiß nicht, wie weit die Holländer dem beistimmen würden; und die halten doch wohl auch Sie für die besten Kolonisatoren? Aber Sie wissen ja, ich spreche als fernstehender outsider. Und eine, nur wenig überzuckerte Pille, daß die Mission dem Islám – in die Hände arbeitet, bleibt für alle Gläubigen zu schlucken!

Auch was Sie sonst noch schreiben: über Moritz, über Ihren Professorenantrag, Ihren Lector, einen besonders begabten Schüler, „Enzyklopädie“, Schreibmaschine und Secretärin, Alles hat mich aufs wärmste berührt und interessiert.

Ich freue mich, daß mein Halévy-Artikel Anklang gefunden hat, am meisten über Thureau-Dangin’s volle Zustimmung. Ungnad will eine Richtung darin weiter verfolge.

Sonst gibt es von hier nichts Neues zu berichten. Außer Vorlesungen und einer Doctorarbeit bin ich noch immer mit dem Aufräumen alter Briefschulden, Nachholen versäumter Lektüre und Redactionsgeschäften in Anspruch genommen. Hoffentlich kommt bald die ersehnte Zeit, wo ich wieder an mein Äthiopisch und Assyrisch gehen kann!

Für Ihre liebe Frau hoffen und wünschen wir beide, daß längst aller Ärger mit den Sklavinnen überwunden sei und Sie den Hamburger Sommer, der nach 1902 zu schließen herrlich sein muß, in vollen Zügen genießen mögen; auch Ihren Kindern gelten natürlich diese Wüsche mit.

Und nun noch Glückauf! Zu einer frohen Pfingstfahrt und viele herzliche Grüße von uns beiden an Sie beide! Ihr stets getreuer (gez.) C. Bezold.

 

143. C. H. B. an C. Bezold. Hamburg, 11.6.1909

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

Was raten Sie mir? Kurz vor Pfingsten erhielt ich nach dem Schweigen eines Jahres die arabischen Druckbogen von Helbig’s Dissertation. Wie Sie erinnern, hatte ich sie ihm bereits einmal zurückgeschickt, weil Sie unpublizierbar waren. Nun habe ich heute den ganzen Tag auf die paar ersten Seiten verwandt. Sie wimmeln von Fehlern. Koranstellen sind nicht erkannt und sogar emendiert. Der zu Grunde liegende Text meist durch die Fehler der anderen Handschriften verbessert, dabei ein fürchterliches Durcheinander in den Handschriften, und was das Schlimmste ist, Helbig kann unmöglich auch nur zwei Zeilen hintereinander verstanden haben. Wenn ich in dem Tempo weiter korrigiere, ist es nicht mehr seine Arbeit. Ich habe deshalb große Lust, nicht weiter zu korrigieren und ihn eine Anmerkung machen zu lassen, daß ich nur die ersten Seiten des arabischen Textes durchgesehen hätte. Das deckt mir den Rücken und überdies Sapienti sat.

Ich möchte Sie nun um Rat bitten. Ich könnte mich höchstens auf ein Bitten von Ihnen entschließen, den Text zu Ende durchzukorrigieren, denn Helbig hat es weder um mich noch überhaupt verdient, daß ich für zwei bis drei Wochen meine wenigen freien Stunden widme. Ich habe wirklich viele Anfängertexte gesehen, aber so ein gänzlich hoffnungsloser ist mir noch nie unter Händen gekommen.

Ich glaube, ich habe Ihnen auch noch gar nicht gedankt für Ihren liebenswürdigen Brief vom 27. Mai. Sie können sich denken, daß sehr verschiedenartige Antworten auf meinen kleinen politischen Islamartikel einliefen. Meine von Ihnen beanstandete Stellung zur Mission ist ein Produkt der Hamburger Luft, d.h. ein Kompromiß mit den Tatsachen und der Praxis. Wer beobachtet, wie die kolossalen amerikanischen Missionsunternehmungen in Ostasien der politischen Propaganda Amerikas den Boden bereiten, der erkennt, was für ein wichtiger Faktor die Mission bildet. Fragen Sie einmal Troeltsch darüber, der gewiß kein Missionsfreund ist.-

Kennen Sie Stumme persönlich? Es besteht nämlich die Gefahr, daß Meinhof unseren Ruf ablehnt und dann werden wir die afrikanischen Sprachen wohl etwas anders interpretieren müssen. Glücklicherweise liest Stumme auch Kisuaheli. Natürlich müßte er dann in Zukunft die afrikanischen Sprachen zu seinem Hauptstudium machen. Ich kenne ihn leider gar nicht und bin für jede Auskunft über seine Persönlichkeit dankbar. Daß man versucht, Meinhof in Berlin zu halten, ist natürlich eine Chicane, denn er ist dort total überflüssig. Ich hoffe aber doch, daß er annimmt; ich muß mich nur bei Zeiten über einen Ersatz informieren. Wüßten Sie einen anderen als Stumme? (CHB)

 

144. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 12.6.1909

Lieber Freund,

herzlichen Dank für den Brief und den interessanten Artikel! Daß Sie in Holland vergnügt waren, hatte ich mittlerweile schon durch Snouck erfahren.

Ich meine, nachdem Sie H(elbig) einmal das Thema gegeben und ihn sonst unterstützt haben, können Sie ihn jetzt nicht gut vor Torschluß (31. Juli) in Stich lassen. Übrigens hab’ ich aus der Dissertation gar nicht sehr viel ar(abischen) Text in Erinnerung, eigentlich nur in der „Distom“ (?). Ist denn noch viel hinzugekommen und ist das für die Dissertation nötig? Sonst lassen Sie’s, bitte, ruhig weg! Item – auch mir wär’s natürlich lieb, wenn die Sache jetzt erledigt würde. Den Zusatz eines arabischen Textes, der nicht in dem ursprünglichen Ma(nu-skript) der Diss(ertation) enthalten war und nicht von Ihnen angesehen ist, könnte ich nicht billigen. Wenn Sie also Ihre Hand abziehen, müßte die Diss(ertation) so gedruckt werden, wie sie der Fac(ultät) vorgelegen hat. Ich meine aber, Sie nützen der Sache, wenn Sie sich opfern.

Nach dem, was Sie mir früher erzählten, wäre es zu begrüßen, wenn Ihnen A. einen Korb gäbe. St(umme) kenne ich persönlich leider gar nicht. Daß er in Jena abgelehnt hat, wissen Sie; wie man dort zu ihm kam, ist mir nach dem, was ich vorher über die Wiederbesetzung hörte, nicht klar geworden. Und an den Ersatz durch einen Deutschen?

Für heute nur diese Zeilen! Dazu aber noch die herzlichsten Wünsche und Grüße von Haus zu Haus! Ihr stets getreuer C. Bezold.

 

145. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg), 8.7.1909

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

mit der Übersendung des Akademieberichtes habe Sie mir eine unerwartete große Freude bereitet. Wir fingen gerade an, ärgerlich darüber zu werden, daß uns Eisenlohr nicht darüber orientierte, wo wir doch mit begreiflichem Interesse diese neue Entwicklung Heidelbergs verfolgten. Durch Ihre Güte war ich der erste der alten Heidelberger hier, der den Anderen die bedeutungsvollen Nachrichten übermitteln konnte. Es muß eine große Schwierigkeit gewesen sein, bei der Auswahl der Mitglieder Verstimmungen zu vermeiden. Hier wollte zunächst niemand glauben, daß Jellineck nur außerordentliches Mitglied sei. Bei großer persönlicher Empfindlichkeit kann eine solche Neugründung wohl den Fakultätsfrieden stören. Gerade deshalb war ich riesig gespannt, welche Auswahl man treffen würde. Zur Sache selbst kann man Heidelberg nur gratulieren und ich hoffe, daß Sie vielen Erfolg mit Ihren Unternehmungen haben werden.

Ich habe Ihnen noch gar nicht gedankt für die Übersendung der posthumen Arbeit von Vollers. Es hat mich sehr gefreut, aus der Anmerkung erneut zu ersehen, daß Sie mit meinem Nachruf auf Vollers einverstanden sind.

Um auf den Gegenstand unseres letzten Briefwechsels zurückzukommen, so habe ich mit einem ungeheuren Opfer an Zeit Helbig’s Arbeit durchkorrigiert. Trotz meiner ca. 200 Verbesserungen auf den wenigen Seiten bleiben immer noch eine gute Anzahl schwieriger Stellen, die so sicher unrichtig sind; aber ich habe jedenfalls (einen) einigermaßen lesbaren Text hergestellt, vorausgesetzt, daß Helbig die Revision richtig liest.

Meine Sorge um Meinhof hat sich als überflüssig herausgestellt, wie Sie inzwischen gelesen haben werden. Wir haben ihn vorigen Samstag mit seiner Frau als neuen Kollegen angefeiert. Auch der Sinologe Dr. Francke hat angenommen und ihm gewinnen wir eine sehr wertvolle Bereicherung unseres Professorenrates. Der Kiautschouvertrag stammt aus seiner Feder, ebenso der Staatvertrag über die neugegründete chinesisch-deutsche Hochschule. Er faßt seine Professur ebenso wie ich als eine Realienprofessur, selbstverständlich auf philologischer Basis. Auch für die übrigen noch im Schoße der Kommission schlummernden Professuren dürfen wir das Beste hoffen. Wir arbeiten alle jeder in seiner Weise momentan auch politisch, da man hier nicht nur den Regierenden sondern auch der Volksvertretung so nahe ist. Unsere Professorengesellschaften sind die reinsten parlamentarischen Abende. Die Verhältnisse liegen äußerst kompliziert, da auch im Kollegenkreise nicht allseitig dasselbe gewollt wird.

  • Da ist einmal der Gegensatz zwischen Professor und Museumsdirektor,
  • zweitens zwischen den exclusiven Universitätsleuten, die das ganze Heil in der Schaffung einer Universität alten Styles erblicken,
  • und den modernen Leuten, die wie ich der Meinung sind, daß bei einer Neugründung wohl alles Gute, sowie alle Berechtigungen der Universitäten übernommen werden sollen, daß aber vor Allem den Bedürfnissen des modernen Lebens mehr Rechnung getragen werden muß als daß auf den Universitäten der Fall ist.

Diese letztere Anschauung ist nun nicht nur die für mich theoretisch erwünschtere, sondern auch praktisch leichter durchführbar, da in den Kreisen der hiesigen Bürgerschaft Sinn für etwas großes Neues besteht, aber starke Opposition gegen die Universität alten Styles nicht zu leugnen ist. Man fürchtet zunächst die Studenten, besonders die bunten Mützen, dann aber namentlich in Kaufmannskreisen die Schaffung eines selbständigen, neuen Körpers, der unausbleiblich die führende Rolle in dem geistigen Leben Hamburgs übernehmen wird und damit neben dem bisher anerkannt ersten Stand des Kaufmanns einen neuen Faktor von unübersehbarer Tragweite einführt. Wie die Dinge jetzt liegen, muß die Entscheidung nach den Ferien fallen. Wir haben uns in einem privaten Gutachten dahin ausgesprochen, daß das Kolonialinstitut ohne Studenten auf die Dauer zu einer technischen Fachschule herabsinken würde, daß es wissenschaftlich nur Frucht bringen könne, wenn es als Glied eines größeren Ganzen funktioniere. Deshalb haben wir vorgeschlagen, das Vorlesungswesen weiter auszubauen, Abteilungen d.h. Fakultäten zu bilden, die inoffiziell schon längst bestehen, und dem Ganzen einen Namen zu geben und korporative Rechte zu verleihen. Wir verlangen weiter hauptsächlich Studenten, was nur bei Semesteranrechnung möglich wird, und das Doctor-examen, das nach einem juristischen Gutachten uns ohne Weiteres durch den Senat und Bürgerschaft verliehen werden kann; die übrigen Bundesstaaten sind durch bereits bestehende Verträge zur Anerkennung dieses Doctors verpflichtet. Über all diese Dinge, wie auch über die notwendige Berufung von Philologen wird nun eifrigst hinter den Kulissen verhandelt; dabei muß man furchtbar vorsichtig sein, daß man an den vielen mitsprechenden Stellen immer die richtigen Argumente verwendet. Ich muß Sie natürlich auch Sie bitten, alle diese Mitteilungen als streng vertraulich anzusehen.

In diesem Zusammenhange möchte ich nun eine Frage an Sie richten. Von unseren sämtlichen Kollegen besitzt nur Meinhof den Doctortitel nicht. Ich möchte mich nun darum umtun, in welcher Weise man ihn ihm am besten verschafft. Verdient hat er ihn zweifellos; er ist eben einmal der Begründer der Bantu-Philologie. Wäre es nun nach der Heidelberger Praxis möglich, daß die dortige philosophische Fakultät etwas unternehme. Wenn nicht, käme die theologische Fakultät in Frage. Ich habe kürzlich in Amsterdam mit Weiß darüber gesprochen. Ehe ich diesem mein Material gebe, möchte ich Sie gefragt haben, weil Meinhofs hauptsächliche Leistungen auf streng philologischem Gebiete liegen. Vielleicht sprechen Sie gelegentlich einmal mit Troeltsch über die Sache. Ich wäre Ihnen für jeden Rat dankbar, denn es ist natürlich für Meinhof nicht angenehm, späterhin den Doctortitel zu verleihen, ohne ihn selbst zu besitzen.

Wir stehen vor den ersten Prüfungen. In Islamkunde werde ich acht, in Kisuaheli zwei zu prüfen haben. Einer hat sogar seine Hauptarbeit über den Islam in Kamerun gemacht und mir ein Scriptum von 90 eng beschriebenen Folioseiten eingereicht. Trotzdem sehe ich der Prüfung gerade dieses Jünglings mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Die Kurse des Vorlesungswesens hören schon in der nächsten Woche auf und auch das Kolonialinstitut wird in der letzten Juliwoche zu Ende gehen. Meine Frau geht mit den Kindern am 15. Juli nach dem Ostseebad Timmendorfer Strand, wohin ich folge, sobald ich frei werde. Am 7. August kehren wir auf 4 Wochen nach Hamburg zurück, da ich einmal endlich wieder etwas Productives schaffen möchte. Die mittleren Wochen des September verbringen wir in Gelnhausen. Ich würde dann gern einmal für einen Tag zu Ihnen herüberfahren.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr stets dankbar ergebener (CHB)

 

146. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg), 2.11.1909

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

Verzeihen Sie einem Vielbeschäftigten, daß er Ihnen und Ihrer verehrten Gattin erst heute für Ihre gastliche Aufnahme dankt. Und schon wieder muß ich an Ihre Güte appellieren. Wollen Sie mir bitte erneut Ihren Rat in Sachen meiner Zeitschrift zur Verfügung stellen. Als Grund-lage meiner weiteren Verhandlungen mit Trübner hatte ich einliegende Bemerkungen, in denen Sie Ihren Geist spüren werden, aufgesetzt. Auf Grundlage dieser Bemerkungen habe ich vorigen Sonntag in Berlin mit Herrn de Gruyter verhandelt. Gleichsam als Protokoll unserer Aussprache sandte mir heute Herr de Gruyter seinen Bericht an Trübner über unsere Besprechung. Derselbe ist ungemein zuvorkommend und sympathisch. Wie Sie sehen, besteht eine Meinungsverschiedenheit nur in Bezug auf die Separate. Ich gebe in diesem Punkte sehr ungern nach, da eine wissenschaftliche Zeitschrift meines Erachtens in erster Linie zur Erleichterung der Organisation der Arbeit dienen soll und erst in zweiter Linie als wirtschaftliches Unternehmen aufgefaßt werden darf. Ich verstehe durchaus den Standpunkt des Verlegers, möchte aber gern meine Position nicht aufgeben. Was meinen Sie dazu?

In Bälde mehr. Heute nur diese Schriftstücke mit der Bitte um baldmögliche Rücksendung. Uns geht es vortrefflich; nur habe ich viel zu tun. So heute Abend noch mein Publikum. In Berlin habe ich eine neue auch Sie interessierende Deutsch-Österreichische Gründung vorbereiten helfen, von der ich Ihnen nächstens mehr erzählen werde. Geyer war extra dazu nach Berlin gekommen.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus. Ihr stets dankbar ergebener (CHB)

 

147. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 4.11.1909

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Herzlichsten Dank! – Um gleich in medias res zu gehen, so weiß ich gar nicht, ob Ihnen über Punkt c) noch eine Äußerung von mir erwünscht ist. Für alle Fälle erlaube ich mir aber zu bemerken, daß auch ich das durchgehende Honorar von M 100 für die Berichte zu hoch finde und eher auf ein Bogenhonorar recurrieren würde.; eine Scheidung zwischen aufgeforderten und unaufgeforderten Einsendern von solchen Berichten erscheint mir ebenso wie Herrn de G(ruyter) sehr gefährlich und zweischneidig.

Aber nun zum Hauptpunkte d)! Wir geben in der Regel für „Artikel“ 50 Separata, für „Sprechsaalbeiträge“ 25; dabei sind die ersteren als einen Bogen überschreitend, die letzteren als dies nicht tuend gedacht. Natürlich kommen Ausnahmen vor, wodurch die Einsender kurzer Artikel gewinnen und die langer Sprechsaalbeiträge verlieren.

  • Wäre es nun (da Sie ja keine ähnliche Einteilung wie Z.A. haben) nicht geraten, die Bogengrenze zum Einteilungsmodus zwischen50 und 25 Separata zu machen, oder dgl.?
  • Ferner: nur einzelne Autoren legen auf Separattitel Wert: wäre es nicht tunlich, deren Wünsche von Fall zu Fall zu befriedigen unter möglichst billiger Anrechnung des Titelzusatzes. Ich vermisse (oder habe es in der Eile übersehen) eine ausdrückliche Bemerkung, daß auf dem Separattitel jedenfalls stehen muß: Sonderabzug aus „Islam“ 190, Bd…., S….ff oder dgl., nehme dies aber als ganz selbstverständlich an, in jedermanns Interesse.
  • Endlich drittens: Die Früher-Ausgabe der Separata würde ich zäh festhalten. Die meisten meiner Herren Mitarbeiter legen darauf besonderes Gewicht, und ich habe noch keinerlei Erfahrung gemacht, inwiefern die Früher-Ausgabe „für die Zeitschriftenliteratur verhängnisvoll“ wurde. Aber natürlich: buchhändlerisch-merkantile Erfahrung steht mir nicht zu Gebote. Ich weiß nur, daß mir sicher mancher Artikel entgangen oder doch manche unliebsame Korrespondenz entstanden wäre, wenn ich über die Ausgabe der Separata zeitlich nicht frei schalten könnte.

Soweit das Geschäftliche! Und dazu wie immer die herzlichsten Wünsche zum Gedeihen auch dieses Ihres schönen Unternehmens!

Ich stecke bis über die Ohren in Kolleg und Kolleg-Vorbereitung; vorgestern begann die Genesis mit über 20, gestern das Alttest(amentarische) Seminar mit 7 Zuhörern. Aber die tägliche Vorlesung und noch dazu mit Vorbereitung ist mir neu und läßt mir herzlich wenig übrige Zeit. Wo bleibt die Verwirklichung all der liebgewordenen Pläne, die ich wälze: Assyr(ische) Literatur, 2. Auflage; Supplement zum Katalog; Supplement zu Brünow: Meissner; ja selbst mein armer äthiopischer Heiliger? Und dabei brennt einem die entsetzliche „Weltgeschichte“ auf die Finger!

Wundernett war’s in Wien und München; dort zusammen mit Troeltsch, der auch einen Vortrag hielt (am selben Abend, an dem der erste Teil meiner „Trilogie“ stieg), und in München einen Tag nach Windelband’s Vortrag. Wir wohnten bei Müllers und haben diese ordentlich genossen.

Für heute in der bekannten Eile Addio! Schönste Wünsche und Grüße von Haus zu Haus!

Stets ihr alter, treuer (gez.) C. Bezold.

 

148. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 16.12.1909

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Verzeihen Sie dem 12-Stunden-Dozenten, wenn er erst heute zur Beantwortung Ihrer lieben Zeilen vom 10. d. M. kommt! Es ging wirklich nicht früher.

Daß ich Ihrem Unternehmen eigentlich ziemlich fern stehe, darüber brauche ich Sie nicht erst lang aufzuklären; unser langjähriges Zusammensein, an das ich oft und gern zurückdenke, hat Ihnen ja alle Falten meines wissenschaftlichen Herzens geöffnet! Aber wenn Ihnen neben den anderen auch an meinem Namen etwas gelegen ist, so bin natürlich gern bereit, beizutreten. Verfügen Sie also nach Wunsch über mich!8Nöldeke haben Sie nicht in Aussicht genommen?

Wir erwarten in ein paar Tagen Littmann hier, mit dem ich viel zu besprechen habe; der wird mich wohl auch über Ihren „engsten Arbeitsausschuß“ noch weiter aufklären.

Was mir neben Kolleg und manchem anderen noch viel Zeit kostet, ist die Akademie; da ist eben noch so gut wie Alles in die Wege zu leiten, wobei mir Verschiedenes anvertraut worden ist.

Daß wir statt Gunkel nun Beer bekommen haben, ist Ihnen wohl mittlerweile bekannt geworden. Als ich neulich mein Alttestamentliches Seminar bei uns zu Tisch hatte, sah ich übrigens erst, wie viel Liebe Merx unter den Studenten gesät hat, die noch über seinem Grabe wächst.

Möchten Sie und Ihre liebe Frau sammt den Kindern ein recht frohes, gesundes Weihnachten verleben! Dieser herzliche Wunsch von uns beiden, meiner Frau und

Ihrem getreuen (gez.) C. Bezold


Vorbereitung der Zeitschrift „Der Islam“


149. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 11.2.1910

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Verzeihen Sie es meiner sehr knappen Zeit, daß ich Ihren Vertrag bis heute habe liegen lassen! Ich bin mit fast allen Sätzen darin einverstanden. Da Sie ihn aber einmal geschickt haben, so erlaube ich mir doch noch ein paar – ganz unmaßgebliche! – Vorschläge, nämlich

  1. Abgesehen davon, daß Sie sich (wie Sie schreiben) vorbehalten, daß Ihr Name „für alle Zeiten irgendwie auf dem Titel bleibt“, würde ich in §3 sagen „… der Begründer und erste Herausgeber der Zeitschrift. Er behält das Amt des leitenden Herausgebers9 auf jeden Fall …“
  2. In §7 würde ich schreiben: „… und jeder Band soll tunlichst in … (Sie könnten z. B. eine größere Reise unternehmen müssen oder dgl.: chi sa?
  3. In §8: „… gedruckt werden (verzeihen Sie dem Pedanten!) können Typen für arabische, türkische und persische Einfügungen in Kontext- und Anmerkungsschrift sind erforderlich“.
  4. §14: Nach „pro Exemplar“ würde sich vielleicht empfehlen noch beizufügen: und weiterer entsprechender Berechnung für etwaige eigene Paginierung, Separattitel oder sonstige Zusätze.
  5. In §15 würde ich (schon um die Zeit für überflüssige Korrespondenzen zu ersparen) darauf dringen, daß die Worte „unter Zustimmung des Verlegers“ gestrichen werden.

Wir haben uns gewiß nicht minder als Sie über Ihren lieben Besuch gefreut; ob uns ein baldiges Wiedersehen (im Süden?) beschert wird?!

Herzliche Grüße von uns beiden an Sie und Ihre liebe Frau – auch an Troeltsch! Ihr treuer (gez.) C. Bezold.

 

150. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 9.3.1910

Lieber Freund,

Gestern abends von Wilhelmshaven zurückgekehrt, fand ich Ihren Artikel vor, und erhielt heute ein Duplicat davon sowie den Prospekt Ihrer Zeitschrift: für alles herzlichsten Dank!

Da bei der Duplicatsendung offenbar ein Versehen der Expedition vorlag und ich weiß, wie gern man überschüssige Exemplare hat, hab ich mir erlaubt das zweite Ex(emplar) an Sie zurückzusenden.

Die Lektüre des Artikels fand ich heute vor lauter Correcturen und dringenden, seit 5 Tagen lagernden Korrespondenzen noch keine Zeit, habe aber noch die Vorfreude – aber nur mehr sehr kurz. Dagegen kann ich Sie zu der vornehmen und sachlichen Abfassung des Prospekts beglückwünschen. Ich habe das Gefühl, daß es Ihnen mit der Verwirklichung Ihrer Ideen gut gehen werde, und – ohne alle Schmeichelei – bei Ihnen in den besten Händen sei.

Wir waren auf der Reise und an den Vortragstagen vergnügt; morgen soll ich auf 6 Tage Strohwitwer werden und dann evviva Lugano! Mit den herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus Ihr alter treuer C. Bezold.

 

151. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 8.5.1910

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Längst wollte ich Ihnen schreiben und bemerke mit Schrecken, daß das Semester nun schon ordentlich in Gang kommt und die Schuld nicht getilgt ist. So empfangen Sie denn endlich – spät aber herzlich – Dank für Alles, den lieben Brief vom 6. April, die Sendung der französischen Fassung Ihres Vortrags (auch die deutsche für unser Seminar) und die Rezension über Leonard, die ich mit größtem Interesse gelesen habe!

Wir sind seit 14 Tagen zurück nach einem 2tägigen Aufenthalt in Straßburg, der reizend wie immer war. Dort sagte mir Littmann auch, daß Ihr deutsch-österreichischer Verein aufgelöst sei und Sie mir nächstens darüber schreiben wollten; das mag unbewußt meine heutige Antwort verzögert haben.

Und nun zur Sache: 1. Für Herrn Windfuhr habe ich nach dem, was Sie über ihn schreiben, gar keine Angst; wir können ja dann im Examen einen syrischen und einen arabischen Text nehmen. Übrigens hat mir seine Schrift einen sehr guten Eindruck gemacht. Ich sehe einer Eingabe also jederzeit gern entgegen.

2. Auch Herrn Schmidt nehme ich nach Ihren Mitteilungen natürlich gern als Candidaten auf (in seine Arbeit werde ich mich selber wohl erst tüchtig einlesen müssen!) Bei ihm wäre also der Schwerpunkt aufs Arabische zu legen. Und für die bekannten „allgemeinen Fragen“ über Semitica kann er sich wohl aus Nöldeke’s „Die semitischen Sprachen“ und Ähnlichem etwas vorbereiten? Weder von Nationalökonomie noch von Philosophie höre ich, daß sie als Nebenfächer wegen ihrer Schwierigkeiten gescheut würden. Russisch ist hier ausgeschlossen. Spanisch wird wohl gelesen, aber für das Examen fürchte ich, daß ein ziemliches Maß von romanischer Philologie im Allgemeinen (vergleichende Grammatik &c.) vorausgesetzt würde. Ich würde die erstgenannten Fächer mehr empfehlen, wenn sich der Cand(idat) da zu Hause fühlt. – Hoffen wir also auf doppeltes Gelingen!

Für die erste Nummer Ihrer Zeitschrift haben Sie ja treffliche Namen beisammen; möge das immer so bleiben!

Ich habe, ohne Theologie und mit „Hinansetzung“ der Aethiopica – ich muß sagen, seit Jahren! – mich wieder einmal in die Keile10 gestürzt und sehe aufs Neue, wie interessant da Alles und jedes ist, wie sehr uns aber auch ein wenig Zusammenfassung nottut. Hoffentlich reichen meine Kräfte, um eine solche Zusammenfassung auch wirklich zum Nutzen der Wissenschaft zu Stande zu bringen; ich habe fest vor, jetzt nicht mehr „luck“ zu lassen!

In Lugano war’s ungewöhnlich kalt und unfreundlich, genau so wie jetzt hier. Ein Besuch in Locarno (bei Quinckes) verschaffte uns den Genuß eines kurzen Zusammenseins mit Troeltschs und Rathgens; das war sehr nett. Rathgen berichtete auch über seinen Aufenthalt bei Snouck, dem jungen Bräutigam.- Nöldeke war frischer denn je, und ich habe ihn diesmal u.a. als Hebraisten bewundern gelernt; wie enorm reinlich und gradlinig der Mann in Allem denkt, – und ohne Philosoph zu sein!

Mögen Sie mir Ihrer vielmals gegrüßten Gattin und den Kindern einen recht frohen und vor allem gesunden Sommer verleben! Dies der Wunsch meiner herzlich grüßenden Frau und Ihres stets getreuen (gez.) C. Bezold.

 

152. C. H. B. an C. Bezold, Lugano (Hamburg?), 6.4.1910

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Unter meinen wenigen wirklichen Schülern ist ein wahres Wettrennen ausgebrochen, das Doktorexamen zu machen. Neulich hat sich schon Herr Pastor Windfuhr an Sie gewandt und Sie hatten ihn liebenswürdig aufgenommen. Es interessiert Sie vielleicht, noch ein wenig über die Kenntnisse dieses Herrn orientiert zu werden. Er kann hebräisch ausgezeichnet und ist recht eingelesen auch in die rabbinische Literatur. Er wäre so recht ein Mann für unseren seligen Merx gewesen. Auch syrisch liest er recht gewandt und frisch. Die Lecture von Josuas Stylites ging einfach großartig. Seine Kenntnisse im arabischen sind weniger groß, doch hat er nicht ohne Geschick Bohári und Noeldekes Delectus bei mir gelesen. Ich glaube sein Examen wird keinerlei Schwierigkeiten machen, wenn seine Arbeit genügt. Das kleine Schriftchen, das er Ihnen gesandt hat, ist von Strack sehr gelobt worden.

Noch kenntnisreicher, wenn auch ganz anders geartet, ist ein anderer Schüler von mir, der ebenfalls diesen Sommer bei Ihnen promovieren möchte. Dr. jur. F. S. Schmidt macht eben sein Assessorexamen und will dann sofort seine Dissertation, die aus einer Seminarübung bei mir erwachsen ist, fertigstellen. Schmidt ist ein Mensch von ungewöhnlichem Sprachtalent und spricht arabisch mit vollendetem Accent. Er hat in Berlin das Dolmetscherexamen für Marokko gemacht, hat sich aber dann auch ziemlich viel, namentlich in den letzten 1 ½ Jahren, bei mir mit der klassischen Sprache beschäftigt. Bei der Lecture von Abu Júsuf entdeckte er, daß die verschiedenartigsten Institutionen, die unter dem Begriff der Ganima 11behandelt werden, den verschiedenen Abteilungen des römisch-rechtlichen Begriffes der Occupatio entsprachen. Auf meine Veranlassung ging er der Sache nach und legte mir vor einigen Tagen eine Arbeit vor, die wirklich sehr hübsche ganz neue Resultate zur Entstehungsgeschichte des islamischen Rechtes enthält. Ich riet ihm nun, die Arbeit noch etwas auszubauen und als Dissertation zu benutzen. Ich will sie ihm dann gern in meiner Zeitschrift drucken. Er soll nur die Institution jetzt erst noch etwas weiter durch das islamische Recht hindurch verfolgen; bisher hatte er bloß die ältesten Quellen herangezogen. Es wird zweifellos eine sehr hübsche Arbeit. Was noch fehlt, kann er etwa in 4 Wochen machen. Daß Herr Schmidt bei Ihnen im Arabischen glänzend bestehen wird, dafür ist mir nicht bange, nur ist er natürlich kein ausgebildeter Semitist. Er hat zwar hebräisch auf der Schule gelernt und meint leichtere Texte wie die Bücher der Könige bald wieder lesen zu können. Auch ins Syrische hat er sich leidlich hineingearbeitet, wenn er auch etwas Angst vor einem unpunktierten syrischen Texte hat. Ich möchte Sie nun fragen, ob Sie ihn unter diesen Umständen annehmen wollen. Ich kann ihn auf das Wärmste empfehlen. Er kann jedenfalls zehn mal mehr wie Helbig. Was ihm im Syrischen und Hebräischen fehlt, ersetzt er durch eine tüchtige Realienbildung. Über die religiöse Geschichte des Islam und vor allem über die Hauptkapitel des islamischen Rechtes kann er gut Auskunft geben. Die Wahl der Nebenfächer macht ihm auch keine großen Schwierigkeiten. Er denkt an Nationalökonomie (Gotheim) und Philosophie. Gelten diese Fächer als sehr schwierig? Herr Schmidt ist ein vorzüglicher Kenner des Russischen und seiner Literatur. Auch im Spanischen ist er wohl beschlagen. Gibt es eine Möglichkeit, eine dieser Sprachen als Nebenfach zu nehmen? Ich habe ihm versprochen, über alle diese Punkte einmal bei Ihnen anzufragen, ehe er sich selbst an Sie wenden wird. Ich möchte noch hinzufügen, daß Schmidt nicht nur ein sehr kenntnisreicher, sondern auch ein ungewöhnlich reizender Mensch ist. Er hat seit 1 Jahr selbständig den arabischen Anfängerunterricht auf dem Kolonialinstitut erteilt; er war also mein Hülfsarbeiter. Seit dem 1. April besitze ich erst einen Assistenten, der Orientalist im Hauptamt ist, Dr. Tschudi, ein Schüler Jacobs.

Meine Zeitschrift ist im Druck. Ich habe sehr viel Manuskripte bekommen und freue mich von allen Seiten zu hören, daß meine Gründung wirklich einem Bedürfnis entgegenkommt.

Ich habe diese ganzen Ferien ruhig durchgearbeitet, gönne mir nur gelegentlich mit meiner Frau etwas Reiten und Bootfahren. Meistens war hier herrliches Wetter, so daß uns der Verzicht auf eine Reise nach dem Süden eigentlich nicht allzu schwer fällt. Immerhin beschleicht mich doch ein leichtes Neidgefühl, wenn ich an Sie Troeltschens und Rathgens und andere denke. Ich wünsche Ihnen einen recht genußreichen Aufenthalt.

Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus wie stets in dankbarer Verehrung Ihr getreuer (CHB)

 

153. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg?), 18.7.1910

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Herzlichen Dank für die beiden wertvollen Zusendungen, die Sie mir gemacht haben. Ihre Geschichte präsentiert sich ja in prachtvollem Gewande. Ich weiß, daß sie ein Schmerzenskind von Ihnen war, glaube aber, daß das wenige Leser merken werden. Überaus geschickt ist die Betonung der Kulturgeschichte. Ich habe schon ein gut Stück darin gelesen und mich darüber gefreut.

Mit noch größerem Interesse habe ich die Akademiepublikationen durchgelesen. Auch hiervon wußte ich ja aus Ihren Erzählungen schon so viel, daß ich mit Genuß diese überaus wichtige Arbeit durchnehmen konnte, obwohl sie meinem eigenen Arbeitsgebiet ja so sehr fern liegt.

Als kleine Gegengabe sende ich Ihnen in den nächsten Tagen Heft 2 des „Islam“, in dem Sie meine erste größere afrikanische Arbeit finden werden.

Auch hoffe ich Sie Ende Juli oder Anfang August auf der Durchreise in Heidelberg wiederzusehen, denn wir werden ja mancherlei zu besprechen haben. Hier geht alles frisch voran. Vier neue Professuren sind bewilligt und ein Organisationsplan ist in Arbeit. Meine Residenz während des August wird Augsburg sein, während des September Gelnhausen.

Ich bin neugierig, wie Ihnen die Arbeit von Dr. Schmidt gefallen hat. Ein älterer Orientalist hätte vielleicht mehr herausgeholt, aber auch so sind die Resultate doch schon recht erheblich. Mich hat besonders gefreut, daß Schmidt nicht zwangsweise vergleicht, sondern auch ruhig betont, wo Entlehnungen unwahrscheinlich sind. Schmidt ist jetzt auf der Bank tätig, hatte aber auf mein Gutachten hin einen Ruf als Oberbeamter nach Ostafrika, wo er die Entwicklung des Islam beaufsichtigen sollte. Leider war er schon vorher bei der Bank festgelegt. Hoffentlich haben Sie Freude von ihm im Examen.

Kollege Meinhof bat mich neulich, gelegentlich Ihnen nochmals seinen Dank für Ihre Bemühungen in seiner Sache auszusprechen. Er hofft, daß Sie es richtig verstanden haben, warum er seine Arbeit nicht in der Akademie publizieren wollte. An Druckgelegenheiten fehlt es ihm nicht, da er ja selbst Redakteur unserer Institutspublikationen werden wird. Es kam ihm nur darauf an, das Ohr der Semitisten zu erreichen. Da die Arbeit Ihnen, wie ich wohl begreife, etwas aus dem Rahmen Ihrer Zeitschrift zu fallen schien, wird sie Meinhof jetzt wohl in der ZDMG12 veröffentlichen.

Mit verbindlichen Grüßen von Haus zu Haus in bekannter Verehrung Ihr aufrichtig ergebener (CHB)

 

154. C. Bezold an C. H. B., Gelnhausen. Engelberg/Schweiz, 8.9.1910

(Postkarte)

Von der Arnialp senden herzliche Grüße A. Bezold, Otto Cartellieri.

Dazu noch herzlichen Dank, lieber Freund, für das 2. (sehr interessante) Heft des Islam, Ihren freundlichen Brief, den ich noch in Heidelberg, und die Karte, die ich in Oberndorf erhielt! Daß wir uns am 16.8. nicht in der Ausstellung trafen, ist schade (lernten dort Sasse und Nöldeke kennen).

Wir wollen noch ca. 10 Tage hier in Engelberg (Hotel Engel) bleiben, dann nach Heidelberg zurückkehren. Es wäre sehr schön, wenn wir uns dort wiedersähen.

Unsere ehrerbietigen Empfehlungen Ihrer Frau Mutter und viele herzliche Grüße an Ihre l(iebe) Frau! In alter Treue Ihr C. Bezold

 

155. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 10.11.1910

(Postkarte)

Lieber Freund,

Heute komme ich wieder mal mit Dank, herzlichstem Dank für das Schlußheft Ihres „Islam“. Dazu die allerbesten Glückwünsche zur Vollendung des ersten Bandes mit einem multos in annos“! Ich habe das meiste in dem Doppelheft schon durchgelesen, und zwar mit größtem Interesse. Bei den Übersetzungen aus dem Türkischen stieg mir lebhaft der Abend auf, wo mir der freundliche Hilmy Bey dasselbe über die Brautschauen und, was damit zusammenhängt, erzählte.

Was Sie selbst über N(öldekes) neues Werk geschrieben haben, das haben Sie ganz vortrefflich gesagt! Glück auf!

Gleichzeitig sende ich Ihnen eines der ersten Exemplare unseres Rundschreibens und dazu endlich ein Ex(emplar) der Ak(ademie)-Stift(ungs)-Satzungen, das ich in diesen Tagen erhielt.

Bei uns geht’s jetzt ordentlich ins Semester hinein. Gestern war ich unter 170 Zuhörern in Ranke’s Publicum (mit Lichtbildern) über ägyptische Kultur.

Außer N(öldekes) Neue Beiträge lese ich in Mußestunden des genialen Igratins Vorlesungen über den Islam. Gleich us. Igratin ist ganz famos; nicht?

Hoffentlich geht es bei Ihnen Alles gut! Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus! Ihr treuer C. Bezold

P.S. Das Examen des Herrn W(indfuhr) soll am 23. d. M. sein

 

156. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 24.11.1910

Lieber Freund,

vielen Dank für Ihre liebe Karte vom 13. d. M. Heute muß ich Ihnen nun leider melden, daß gestern abends Herr Windfuhr nicht bestanden hat. Die allgemeinen Fragen bei mir gingen kläglich, aber noch an; das Syrische war schon ziemlich schlimm (Unkenntnis ganz gewöhnlicher Worte wie –syrische Worte –Liebe, Taufe usw. usw.) aber ich hätte allenfalls noch durch die Finger sehen können. Hingegen war’s bei Boll, der sich auf Wunsch des Herrn W(indfuhr) auf Catull beschränkt hatte, so bös, daß darauf das Examen abgebrochen wurde und Windelband das zweite Nebenfach ausfallen ließ. Ich bedauere dies (wie wir alle) natürlich sehr lebhaft.

Man fühlte nur zu deutlich, daß Herr W. schon zu lange von der Hochschule abgegangen ist, um unsere Anforderungen zu verstehen. Dadurch möchte ich ihn aber nicht entmutigt wissen. Da die Arbeit angenommen ist, kann er ja das Examen wiederholen.

Ich wollte Ihnen doch auch gleich von mir aus über diese Angelegenheit Mitteilung machen. Es ist betrübend; aber scharf angefaßt hat Herrn W. keiner von uns beiden Examinatoren!

Für heute nur noch die schönsten Grüße von Haus zu Haus! Ihr treuer C. Bezold.

P.S. Die Zusagen zur G(oldziher)-Festschrift treffen schon jetzt recht zahlreich ein.

 

157. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 1.1.1911

(Postkarte)

Herzlichen Dank, lieber Freund, und innige Erwiderung der Wünsche für Sie, Ihre liebe Gattin und ganzen Familie!

Sie Glücklicher! Dies Jahr winkt uns keine weite Reise.

Könnten Sie am 26. d. M. ca. 1 Uhr mit uns essen? Darüber würden sich herzlich freuen Ihre vielmals grüßenden, meine Frau und Ihr treuer C. Bezold

 

158. C. Bezold an C. H. B., Kairo Heidelberg, 3.3.1911

(Postkarte, abgestempelt Cairo 8.3.1911!)

L(ieber) Fr(eund),

Heute muß ich Sie mit der (Goldziher)-Festschrift quälen. Denn 20 Herren, die noch mit ihren M(anuskripten) im Rückstand sind, werde ich in den nächsten Tagen den 15. d. M. als letzten Ablieferungstermin angeben; sonst wird das Gelingen der Sache gefährdet.

Da ich weiß, daß Sie mich nicht im Stich lassen, wollen wir entre nous deux noch eine weitere Hinausschiebung vereinbaren, sagen wir bis Ende März; ist Ihnen das recht?

Aber: umgehend bitte ich Sie um genaue Angabe des Themas, da die Beiträge schon in den nächsten Tagen geordnet werden sollen.

Für heute nur in aller Eile diese paar Zeilen. Ich hätte Ihnen viel Schönes auf Ihre beiden freundlichst übersandten Artikel zu sagen, ganz besonders auch über den Islam II, 1 ff!! Aber die Zeit drängt. Meine Frau dankt herzlich für Ihren freundlichen Brief vom 10.d. M.

Grüßen Sie L. (sein Brief richtig eingetroffen; vielen Dank!) und W. vielmals und seien Sie herzlichst gegrüßt von meiner Frau und Ihrem alten treuen C. Bezold

 

159. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 29.3.1911

(Postkarte)

L(ieber) Fr(eund),

Ihre liebe Karte erreichte mich, zwei Tage nachdem ich von Nöldeke (via Littmann) über Ihre Rückreise gehört hatte: wie leid Sie uns beiden tun! Bei allem und allem bin ich sehr froh über Ihre Worte „wir hoffen ihn jetzt gerettet“ und wünschen Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie darüber nun volle Gewißheit haben und daß die Besserung nun rasche Fortschritte macht! Grüßen Sie in diesem Sinne auch Ihre liebe Frau herzlich von uns beiden, denen mit Ihrer Rückkehr eine Last wenigstens vom Herzen genommen wurde!

Ich schrieb Ihnen am 16. einen Kartenbrief nach „Villa Victoria“, der jetzt gewiß in Ihren Händen ist.

Wir wollen am nächsten Sonntag nach Lugano (“Bellevue“); bis dahin soll aber noch schrecklich viel fertig werden, deshalb auch diese kurze Nachricht.

Mit allen guten Wünschen und herzlichen Grüßen Ihr treuer C. Bezold.

 

160. C. H. B. an C. Bezold (Hamburg), 30.3.1911

(Maschinenkopie)

Hochverehrter lieber Herr Professor,

Herzlichen Dank für Ihre freundliche, teilnehmende Karte. Unser Walter ist wirklich auf dem Wege der Besserung. Heute durfte er sogar schon ein Viertelstündchen an die Luft. Seine Wunden heilen ausgezeichnet und er hört wieder gut. Natürlich ist er noch ziemlich nervös und bedarf ebenso wie meine Frau nach der langen Pflege einen Aufenthalt in irgendeinem sonnigen Ländchen. Da ich am 6. Mai in London einen Vortrag halte, werden wir es wahrscheinlich verbinden und an die englische Südküste, eventuell Insel Wight, gehen. Sollten Sie dort irgendein Plätzchen wissen, das besonders für diese Jahreszeit empfehlenswert ist, so wäre ich Ihnen für eine Mitteilung aus Lugano sehr dankbar. Vor Mitte April werden wir kaum Hamburg verlassen.

Ihren freundlichen Brief nach Cairo habe ich inzwischen auch erhalten. Mein Beitrag für Goldziher nähert sich der Vollendung. Den Titel Bilderstreit und Bilderverbot werde ich kaum beibehalten können, da sich der Aufsatz über dieses Thema hinaus ausgewachsen hat. Es wird eine Studie über die erste christliche Polemik gegen den Islam in ihrer Wirkung auf das Hadith und die islamische Glaubenslehre .Ich suche noch nach einem hübschen, kurzen Titel. Nach dieser Inhaltsangabe werden Sie meiner Arbeit bei der Manuskriptordnung den ihr gehörigen Platz anweisen können. Ich hoffe Ihnen das Manuskript in 8 bis 10 Tagen nach Lugano senden zu können, wenn ich inzwischen nicht anderes von Ihnen höre.

Mit allen guten Wünschen auch von meiner Frau für Ihr und Ihrer Frau Erholung in dem lieblichen Lugano Ihr Ihnen dankbar ergebener (CHB)

 

161. C. H. B. an C. Bezold, Lugano. Hamburg, 15.4.1911

(Maschinenkopie)

Mit gleicher Post sende ich Ihnen separat eingeschrieben meinen Beitrag für die Goldziher ’sche Festschrift. Sollte er, was ich nicht glaube, den zulässigen Umfang überschreiten, so soll mich Trübner mit den Mehrkosten belasten. Ich denke, die Arbeit wird Goldziher freuen.

Bei uns geht es zur Zeit wieder alles recht ordentlich. Mein Junge ist zwar noch immer in ärztlicher Behandlung, aber man kann sagen, er ist wieder gesund.. So werden wir ein frohes Osterfest feiern und ich wünsche Ihnen und Ihrer Gattin von Herzen ein gutes Fest und weitere Erholung in dem geliebten Lugano.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr getreuer (CHB)

 

162. C. Bezold an C. H. B. Lugano, 15.4.1911

(Postkarte)

Lieber Freund,

Ich habe bis heute auf Ihr Manuskript gewartet und deshalb nicht auf Ihren Brief vom 30.3. geschrieben. Jetzt wollen wir aber nicht länger säumen, Ihnen und Ihrer lieben Frau die herzlichsten Osterwünsche zu senden, besonders daß Ihr lieber W(alter) wieder ganz frisch und munter sei.

Wir waren seinerzeit in Ventuor (Isle of Wight!) und fanden das ganz reizend, auch für die Ausflüge praktisch. Meine Adresse von jetzt bis 21.4.: Locarno, Grand Hôtel Locarno, dann wieder Heidelberg. Mit recht herzlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr ganz getreuer C. Bezold.

 

163. C. Bezold an C. H. B. Lugano, 17.4.1911

(Postkarte)

Lieber Freund,

Nur mit wenigen Worten herzlichsten Dank für l(ieben) Brief und M(anuskript)! Letzteres überschreitet, denke ich, den Raum nicht.

Wie froh sind wir, daß Sie von Ihrem Walter Gutes berichten können.

Über Kiel weiß ich zunächst gar nichts.

Morgen früh wollen wir nach Locarno und am nächsten Sonntag heim. Herzlichste Grüße von Haus zu Haus! Ihr alter treuer C. Bezold.

 

164. C. H. B. an C. Bezold, Heidelberg (Hamburg), 16.5.1911

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Ich möchte nicht versäumen, Ihnen zum 18. meine herzlichsten Glückwünsche auszusprechen. Es ist doch zu schade, daß ich nicht mehr wie früher bei Ihnen selber antreten kann, sondern daß ich mich auf einen geschriebenen Glückwunsch beschränken muß. Meine Gefühle und Wünsche sind darum aber nicht weniger herzlich und meine Frau und ich treten im Geiste an Ihren Geburtstagstisch im Klavierzimmer und schmücken ihn mit Blumen treuen Gedenkens und dankbarer Verehrung.

Wir haben in diesen Tagen unser neues, prunkvolles Vorlesungsgebäude eingeweiht und ich rüste mich gerade, dort meine erste Vorlesung zu halten. Es war eine schöne Feier mit Festrede von Marcks, feierlichem Senatsdiner usw. Dabei fielen manche Andeutungen über den Ausbau unserer Organisation. Alle Zeitungen sind jetzt voll davon. Jeder hat seine Meinung in dieser Sache, wirkliche Sachkenntnis aber selten. Wir tun ja alles, um den kolonialen Überseecharakter des Bestehenden zu wahren, aber es ist sehr schwer, den Leuten hier verständlich zu machen, daß unsere Spezialitäten doch nur wirken können, wenn sie von den verschiedensten Berufen ohne Zeiteinbuße für die fachmännische Berufsausbildung ausgenutzt werden können. Gottlob ist der Senat jetzt einig, und ein bestimmtes Projekt liegt vor, das bei strengster Diskretion von Vertretern des Senats neun Vertrauensmännern der Bürgerschaft vorgelegt werden wird. Man will die allzu dilettantische Erörterung dieser schwierigen Fragen im Plenum der Bürgerschaft verhindern. Ob diese Verhandlungen noch im Sommer abgeschlossen werden, bleibt zweifelhaft. Jedenfalls aber dürften wir im Winter einen erheblichen Schritt vorwärts kommen.

Von Weiß werden Sie wohl Mancherlei über unsere gemeinsame Reise gehört haben. Es war eine ganz famose Zeit, und gerade in diesen Tagen habe ich meine alten Photographien für Weiß geordnet und wieder so manche halbverblichene Erinnerung aufgefrischt. Hoffentlich gelingt es mir im Herbst, wieder herauszukommen, doch wird das natürlich von der Entwicklung der hiesigen Verhältnisse abhängen.

Ich stecke wieder tief in Arbeit und habe jetzt zunächst meine Papyrie druckfertig gemacht. Außerdem habe ich jetzt natürlich wieder viel mit dem Kolleg zu tun. Ich habe noch nie so viele Hörer gehabt wie dieses Semester. In meiner zweistündigen Privatvorlesung über den Islam in Afrika habe ich nicht weniger als vierzig regelmäßige Hörer. Sehr mangelhaft ist dagegen die Beteiligung an den höheren philologischen Kollegs: für Syrisch und Koranlektüre ist kein rechtes Publikum, außer meinen Assistenten nehmen hieran nur noch zwei andere Herren teil.

Mit herzlichsten Grüßen und nochmaligen besten Wünschen von Haus zu Haus Ihr wie stets dankbar ergebener (CHB)

 

165. C. Bezold.an C.H. Becker Tutzing(bei Starnberg) 10.6.1911

(Postkarte)

Lieber Freund,

Endlich, endlich jetzt, auf einer kleinen Pfingsttour, komme ich dazu, Ihnen – und auch Ihrer verehrtesten, lieben Frau – recht innig für Ihre freundlichen Glückwünsche zu meinem Geburtstag zu danken. An solchen Tagen der Rückschau sind Sie mir besonders nah.

Aber auch sonst wurde ich an (Sie? weggelocht) erinnert, obwohl es der Erinnerung nicht bedürfte: durch Ihre mancherlei Sendungen gediegenen Inhalts. Ich darf Sie auch heute wieder nicht eitel machen, wüßte aber über Ihre Arbeiten gar nicht genug zu loben: von der vornehmen, sachlichen Sprache und klaren Disposition an bis zu dem eigentlichen Kern, um den es Ihnen zu tun ist. Den „Islam“ und den Artikel über das neue Blaubuch hab’ ich mit größtem Genuß und zu reicher Belehrung gelesen, wüßte nichts, was die heutige englische Politik in Eg(ypten) so präzis und verständlich lehrte! Alles Glück zu Weiterem, auch für London, wo Sie am Ende gerade jetzt sind, aber auch zur Eröffnung Ihres Vorlesungsgeb(äudes)!

Weiß hab’ ich nur erst kurz aber begeistert berichten hören, von Littmann (hier) endlich vor ein paar Tagen eine Karte aus Str(aßburg?) erhalten; der wird uns hoffentlich bald in H(eidel-berg) besuchen.

Wenn Sie in diesen Tagen Nöldeke sprechen sollten, bitte ich unsere vielen Empfehlungen an ihn und die Mitteilung, daß mich seine Karte (wegen Festschrift) hier noch rechtzeitig erreicht hat (ich weiß nämlich seine Hamburger Adresse nicht); besten Dank für Vermittlung im Voraus!

Ich stecke noch tief in Astrologie und hoffe meiner neulichen Sendung in nicht allzuvielen Wochen eine zweite (vom Bett aus) zukommen zu lassen. Gestern verlebten wir hier den Abend mit Jastrows.

Auch zu Ihren Papyri alles Heil; sollen sie schon bald fertig werden?

Darf man Sie mit einer ganz kurzen Anzeige von Meinhofs Zeitschrift für ZA (Bedeutung für Semitisten!) quälen??

Allerherzlichste Wünsche und Grüße von Haus zu Haus! Stets Ihr treuer C. Bezold.

 

166. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg), 3.7.1911

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Ich habe Ihnen für eine ganze Reihe freundlicher Zusendungen zu danken. Ihren Akademievortrag habe ich mit wirklichem Genuß gelesen und mir zum ersten Male eine Anschauung von diesen schwierigen astronomischen Sachen gemacht. Ich bewundere übrigens Ihre astronomischen Kenntnisse. In der Astrologie weiß ich jetzt auch einigermaßen Bescheid, aber von der Astronomie habe ich keine Ahnung. Noch ehe ich Ihnen für dieses schöne Geschenk gedankt habe, erhalte ich schon wieder eine Gabe, die so wertvoll erweiterten babylonisch-assyrischen Texte. Auch hierfür danke ich Ihnen aufrichtig.

Sie werden inzwischen eine kleine Gegendedikation in Gestalt des Doppelheftes meiner Zeitschrift erhalten haben. Es ist doch merkwürdig, wie sich Ihre alte Prophezeiung bewahrheitet hat, daß ich noch einmal die Cairoer Papyri herausgeben würde. Ich mußte schon in Cairo immer daran denken. Auch die anderen Artikel werden Sie interessiert haben, so vor allem Marokko, das ja jetzt do hoch aktuell ist. Ich wußte schon seit langem, daß etwas bevorstand und bin wirklich froh, daß es endlich so weit ist. Das Vorgehen der Franzosen bedeutete doch eine derartige Verachtung des deutschen Standpunktes, daß es sich nur mit der allgemeinen deutschen Uninteressiertheit in der auswärtigen Politik erklärt, daß sich die öffentliche Meinung das so lange gefallen ließ. Mit brennender Spannung sehe ich der Weiterentwicklung der Dinge entgegen; denn die Interessen, die speziell auch hamburgische Firmen in jener Gegend haben, sind außerordentlich groß.

Ich habe mich hier zwei Tage lang der türkischen Studienkommission gewidmet, endlose Diners mit ihr vertilgt und bin nach Helgoland mit ihr gefahren. Es waren reiche, interessante Stunden. Die Leute machten einen vorzüglichen Eindruck. Wenn nur alle Türken so wären!

Gottlob neigt sich jetzt bald das Semester seinem Ende zu. Am 2. August siedeln wir nach Mölln in Lauenburg über. Wir werden diesesmal wohl nicht nach Süddeutschland kommen, höchstens nur ganz kurz.

Von Gotheil hörte ich neulich, daß Sie demnächst nach Amerika gehen, und ich gratuliere Ihnen zu diesem ehrenden Rufe. Anstrengend muß die Sache aber sein, denn 36 Vorträge sind keine Kleinigkeit.

Was sagen Sie übrigens zu Jacob? Ich bin natürlich sehr erfreut, ihn so in die Nähe zu bekommen, wenn ich mich auch ein klein wenig auf Littmann gespitzt hatte. Ich finde es ein kolossales Wagnis von ihm, seine glänzende Erlanger Position mit einem unbekannten Etwas in Kiel zu vertauschen, und ich bin überzeugt, daß die Annahme des Rufes durch Jacob alle Welt überrascht hat, so sehr ihm wohl jedermann den Ruf gegönnt haben wird.

Mit nochmaligem Danke und herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr dankbar ergebener (CHB)

 

167. C. Bezold an C. H. B, Mölln. Heidelberg, 13.8.1911

(Postkarte)

Lieber Freund,

Herzlichen Dank für die soeben erhaltene Korr(espondenz)! Es ist unverantwortlich, daß ich Ihnen noch immer nicht für Ihren l(ieben) Brief vom 3.7 und besonders für den letzten Islam gedankt habe. Beides geschieht hiermit aufs herzlichste. Ich hab’ alles im Islam mit größtem Interesse gelesen; zur Papyrusausgabe besonderen Glückwunsch. Aber (arab. Text)!!

Heute nur in aller Eile ein paar Fragen wegen Ihrer Korr(espondenz), um deren event(uelle) umgehende Beantwortung ich bitte. (Griech. Text) ist in Ordnung; die Anmerkung über DLZ lassen wir so, da ich nicht ausgehen kann.

Famos hat Nöldeke in Herrmatt (gewiß in Ihrem Sinne) die Korr(ektur) auch noch durchgemessen und dabei verbessert „mit dem Klosterleben vertauschte“ (statt gegen das Klosterleben); (es folgen weitere griechische Textkorrekturen.) Aber die Hauptsache: am Schluß verstand ich die Worte gar nicht; Nöldeke sagte, es könne nur heißen: (arab. Text); sie hab ich jetzt geändert.

Wenn Sie nun damit einverstanden sind, daß diese Änderungen vorgenommen werden, aber (griech. Text) stehen bleibt, dann bedarf es keiner Antwort; sonst bitte (wie gesagt, umgehend) um ein paar Zeilen.

Wir freuen ns, daß Sie so vergnügt sind. Auch wir waren (trotz leichten Unwohlseins von N(öldeke?) und Snoucks in H(amburg?) froh. Aber von dort hab’ ich einen bösen Bronchialkatarrh mitgebracht, der mich schon seit einer halben Woche arbeitsunfähig macht! Dumm! Im Verlauf dieser Woche hoff’ ich Ihnen Bolls und meine Akad(emie)-Abh(andlung) zu schicken. Da sind Sie wohl noch in M(ölln)?

Mit allen guten Wünschen und herzl(ichen) Grüßen von Haus zu Haus

Stets Ihr treuer C. Bezold

 

168. C. Bezold an C. H. B., Gelnhausen Heidelberg, 16.9.1911

Lieber Freund,

Das hat uns beiden, meiner Frau und mir, sehr leid getan, aus Ihrem soeben eingetroffenen l(ieben) Brief erfahren zu müssen, daß Sie und Ihre verehrte, liebe Frau so viele Sorgen durchgemacht haben. Wir wünschen von ganzem Herzen baldigste Besserung und Genesung des armen kleinen Patienten.

Wegen der Festschrift lassen wir’s also wie Sie wünschen, beim Mai, und ich nehme Ihr Thema als feststehend in die Ordnung auf; ich bitte nur dann um das M(anuskript) sobald wie irgend möglich.

Die kurze Frist, die den Mitarbeitern gesteckt werden mußte, wirkte nicht gut; noch heute sind eine Anzahl M(anuskripte) ausständig, obwohl gestern der – verlängerte – Termin war. Das macht mir viele Schreibereien! Unter uns: D.H.M. hat noch (trotz früherer Zusage) vor Torschluß wegen Arbeitslast abgesagt; das wird Littmann, den ich von uns beiden herzlichst zu grüßen bitte, interessieren (Komitee-Mitglied!)

Ihre Übereinkunft mit Moritz ehrt ihn; und wir können uns dazu gratulieren!

Ich sitze noch immer über den heillosen Anm(erkungen) zu meiner Akademierede.; ein ganzes Stück Arbeit without showing!

Es wird allmählig hohe Zeit, daß wir ein wenig ausspannen; dann sollen die Rosse zügellos in Lugano grasen

Alle guten Wünsche von uns beiden und dazu herzliche Grüße, auch nach Hamburg, bitte! Ihr alter C. Bezold.

 

169. C. Bezold an C. H. B. Lugano, 22.10.1911

Postkarte)

Wenigstens einen kurzen, aber recht herzlichen Gruß möchten wir Ihnen, lieber Freund, und Ihrer verehrtesten Gattin noch schicken, wo wir heut’ über 8 Tage von umstehendem netten Häuschen wieder ins Semester heimfahren! Ich denke noch an unseren fidelen Nachtimbiß, wie wir damals um 1 Uhr von Rom ankamen, und an so manches! Nicht wahr, unsere „Reflexe“ haben Sie noch auf dem Land gekriegt (Schweigen bedeutet „ja“)?

Daß Sie Wienr’s (arab. Text) angenommen haben, freut mich sehr; hoffe, s’macht Ihnen keine Umekehr(?)!

Alle guten Wünsche für gesunden frohen Winter Ihnen und Ihrer ganzen lieben Familie! Ihr alter Freund C. Bezold.

 

170. C. H. B. an C. Bezold. Hamburg,27.10.1911

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Ihre so sehr erfreuliche Postkarte aus Lugano erreicht mich so ungefähr am anderen Ende Europas, nämlich in Cuxhaven. Ich kam aber doch nicht gleich dazu, ihnen auf einer Postkarte zu danken und so hole ich es jetzt mit diesen Zeilen nach. Ich freute mich sehr, seit langem einmal wieder Nachricht von Ihnen zu erhalten. Mit Bedauern ersehe ich jedoch aus Ihrer Karte, daß ich bei dem ständigem Ortswechsel dieses Sommers offenbar ganz übersehen habe, daß ich meiner Freude über und meines Interesses an Ihren schönen Studien in Gemeinschaft mit Boll noch keinen entsprechenden Ausdruck gegeben habe. Ich hatte erst neulich Gelegenheit, mich von der unmittelbaren Nützlichkeit, und von dem Eindruck zu überzeugen, den Ihre Arbeit in den speziell interessierten Kreisen gemacht hat. Dr. Warburg nämlich, ein erstklassiger Privatgelehrter hier, wie wir wenige in Deutschland haben, der die Beziehungen auf mittelalterlicher, orientalischer und antiker Astrologie verfolgt, sprach in den höchsten Tönen von der großen Bedeutung Ihrer Arbeit für seine Studien. Auch ich begrüße es, wenn auch nur als Laie, mit Freude, daß die so oft vermuteten Beziehungen einmal überzeugend bewiesen werden konnten, und ich gratuliere Ihnen zu dieser schönen Arbeit.

Mit Ihrem offenbar vortrefflichen Schüler Dr. Wiener hatte ich eine ausgiebige Korrespondenz über seine Arbeit. Ich schlug ihm eine Reihe von Veränderungen vor, namentlich eine schärfere Herausarbeitung der vorislamischen Quellen und der Beziehungen zum Hadith. Er ging mit sehr viel Freude auf meine Anregungen ein und hat inzwischen noch recht wertvolle Entwicklungslinien herausbekommen, von denen er mir neulich in einem sehr langen Briefe Kenntnis gab. Das Erscheinen der Arbeit wird sich allerdings dadurch etwas verzögern, doch habe ich die Möglichkeit genutzt, die Arbeit unterzubringen, da ich ja jetzt auch unter dem Titel von „Studien“ Beihefte zum Islam herausgebe. Das nächste Heft wird ausführliche Mitteilungen darüber bringen. Es ist übrigens bereits vollständig gedruckt und wird Ihnen sehr bald zugehen. Ich habe wieder ziemlich viel darin geschrieben. Ich hoffe, Sie lesen auch einmal meine zahlreichen Anzeigen. Ich habe mich zu einer Stellungnahme zwischen Herzfeld und Strzygowski entscheiden müssen.

Meine Frau und ich beneiden Sie um Ihren schönen Aufenthalt in Lugano. Meine Frau ist diesen Sommer gar nicht nach dem Süden gekommen, und ich war nur wenige Tage ausschließlich in Gelnhausen. Wir hatten einen reizenden Aufenthalt in Mölln. Danach war ich in Gelnhausen und jetzt noch vierzehn Tage in Cuxhaven, wo meine Vorträge über Orientpolitik einen Zulauf hatten, der meine kühnsten Erwartungen übertraf. Sie mußten wegen baulicher Arbeiten etwas später stattfinden, so daß für mich das Semester diesesmal erst mit dem 1. November beginnt. Aber schließlich habe ich in Cuxhaven ja auch schon im Auftrage meiner Behörde gesprochen.

Man diskutiert hier zu Zeit in der Öffentlichkeit sehr viel die Universitätsfrage, und es ist in maßgebenden Kreisen eine nicht unerhebliche Opposition: Doktorexamen und ähnliches gönnt man uns, aber der Name Universität wirkt hier über die Maßen abschreckend. Der Senat ist sich aber einig und hat die Universität beschlossen, nur ist die Frage, ob er sie in der Bürgerschaft durchbekommen wird. Die Sache liegt hier umgekehrt wie in Frankfurt, dort will die Bürgerschaft und die Regierung nicht, bei uns will die Regierung und die Bürgerschaft nicht. Jedenfalls wird diesen Winter viel davon die Rede sein. Ich kann es schließlich persönlich am besten abwarten, denn ich habe in meinem reizenden Seminar mit meinen guten Mitteln, meiner Zeitschrift, meinen Assistenten ein so reizendes Wirkungsmilieu, daß ich mich wirklich wohl fühle.

Dabei fällt mir ein, daß ich Ihnen noch gar nicht erzählt habe, daß ich seit der Verheiratung von Dr.Tschudi einen neuen Assistenten Dr. Graefe und einen zweiten wissenschaftlichen Hülfsarbeiter, einen Professor Jaeger für Neupersisch, einen Oberlehrer, der in Persien gewirkt hat, habe. Außerdem ist es mir möglich gewesen, einen gebildeten Ägypter, leider allerdings ein Christ, als ständige Hülfskraft und Lektor an meinem Seminar anzustellen. Da außerdem die Assistenten der anderen Seminare zum Teil ebenfalls Semitisten sind und sofern sie es nicht sind, zum Teil arabisch lernen, so hat sich jetzt hier unter der Fahne der Arabistik ein großer Kreis strebsamer junger Leute in höheren Semestern zusammengefunden, wie ich ihn in Heidelberg niemals besessen habe. Schon in den Ferien sind wir täglich zwischen zwei und vier Uhr auf dem Seminar zusammengekommen, um arabische Sprechübungen mit dem Lektor zu veranstalten. Von meinem orientalischen Abend habe ich Ihnen glaube ich schon früher geschrieben. Es ist für mich ein großer Vorteil, nun jeden Tag auf dem Seminar arabisch sprechen zu müssen.

In der Hoffnung, daß es Ihnen Beiden gut gegangen ist und in der freudigen Aussicht, Sie vielleicht wie jedes Jahr Ende Januar um Kaisers Geburtstag herum auf einen Sprung wiederzusehen, bin ich mit herzlichen Grüßen auch von den Meinen (CHB).

 

171. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg 15.11.1911

Postkarte

Lieber Freund,

Herzlichen Dank für Ihren lieben, interessanten Brief vom 27. d. M. und für die Drucksendung des Seminars! Heute schreib’ ich nur eilig in einer Angelegenheit die unseren Festschriftjubilar (Goldziher) betrifft. Das Fest ist, wie Sie wissen, am 20. Dezember: größere Univ(ersitäts)-Deputation, vom Senat geführt; Ansprache vom Rektor und Dekan etc. Am 29.1312. Empfangsabend beim Rektor „zu Ehren der ausländischen Gelehrten“. So gut wie sicher kommen (arab. Text) wir beide; sehr wahrscheinlich (arab. Text mit Anmerkung: Dies ganz vertraulich!). Bei (unleserlich, wohl Nöldeke) will ich am nächsten Montag in Str(aßburg) persönlich anklopfen (muß wegen Festschrift hinüber), habe aber nicht viel Hoffnung.

Wie wär’s wenn Sie kämen?!! Ich sage: es wäre famos! Eisen Sie sich ein paar Tage los und kehren Sie dann mit uns froh zur Weihnacht heim! Im Falle der (hochwillkommenen!) Bejahung ersucht Prof. Ed. Mahler (Budapest IX, Franzensring 24) bis spätestens 22.-25. November Nachricht an ihn.

Bitte überlegen Sie sich den Fall! G(wohl Goldziher!) würde sich gewiß riesig freuen!

Herzliche Grüße und Empfehlungen von Haus zu Haus! Ihr treuer C. Bezold.

 

172. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 1.12.1911

(Postkarte)

L(ieber) F(reund),

das ist ganz famos, das Sie kommen können! Wir wollen hier am 18. d. M. früh ca. 6 ½ Uhr abreisen und abends (über Würzburg) ca. 9 ½ Uhr in Wien eintreffen; dort im Hôtel de France übernachten; am 19. morgens 9 Uhr weiterfahren und alle (arab. Wort) um 1.40 Uhr in Pest eintreffen und im Hungaria absteigen.

Vielleicht schreiben Sie mir noch eine Zeile, ob, wann und wo wir uns unterwegs ev(entuell) treffen könnten – to be on the look out!

Auf frohes Wiedersehen und herzliche Grüße von Haus zu Haus! Ihr treuer C. Bezold.

 

173. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 24.12.1911

(Postkarte)

Mein lieber Freund,

Haben Sie herzlichen Dank für alle Ihre freundlichen Nachrichten! Wie leid Sie uns getan haben, und ganz besonders jetzt tun, brauche ich Ihnen nicht zu sagen; Sie wissen es und müssen es fühlen, daß wir alle Ihre Freude und all Ihr Leid immer von Herzen mitfühlen! Diesen Tag vollständig.

Wir suchten Sie am Dienstag morgens (früh 9 Uhr) schon auf dem Staatsbahnhof in Wien, trafen aber leider nur Snuock, mit dem wir nach Pest fuhren. Dort kündete uns Mahler auf der Bahn Ihre Verzögerung, und abends in seiner Wohnung, wo wir mit Jacob, Snouck, Sohn Goldziher etc den Abend verbrachten (kam) – leider! – Ihre definitive Absage an. Den Jubilar begrüßten außer uns Ausländern am Mittwoch mittags ca. 30 Kollegen, darunter auch Löw und der 83jährige Vambug. Rektor und Dekan sprachen ungarisch, ich natürlich deutsch. Dann Lunchen an kleinen Tischen. Abends Festessen im Hôtel Bristol (ca. 25 Personen) mit guten Reden (hauptsächlich Deutsch (!), aber auch Ungarisch, Lateinisch, Arabisch und Assyrisch (Name unleserlich). Unsere Damen kamen um 11 Uhr aus einem Symphonieevenement nach, dann kneipten wir bis nach Mitternacht und – im kleinen Kreis – in unserem Hotel noch bis 2 Uhr weiter. Von den Äußerungen G(oldzihers) müssen Ihnen die Ohren mächtig geklungen haben!

Von einem gemütlichen Mittagessen bei Goldziher mit Snouck und Mahlers fuhren wir am Donnerstag nachmittags die Nacht durch direkt bis München!

Alle guten Wünsche für 1912 und auf Wiedersehen im Januar. Ihr immer treuer C. Bezold.

 

174. C. H. B. an C. Bezold. Hamburg, 28.12.1911

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Ich möchte Ihnen heute nur kurz danken für den ausführlichen Bericht über Budapest, den ich Ihrer Güte verdanke, sowie für die freundlichen Worte, die Sie meiner Frau und mir widmen. Gottlob war meine Frau am Weihnachtsfest wieder so weit, daß wir doch recht vergnügt feierten. Harmonisch und still sind die Festtage verflossen. Hoffentlich hatten auch Sie nach den schönen Budapester Eindrücken ein erfreuliches Fest. Zum neuen Jahre senden meine Frau und ich Ihnen aufrichtige und herzliche Wünsche und Grüße. Ich freue mich sehr, Ende Januar wieder einmal auf ein Stündchen bei Ihnen einkehren zu dürfen. Es hat diesesmal zwar gewisse Schwierigkeiten, da der Geburtstag meiner Mutter auf Sonnabend, den 28. fällt, und Sie an Kaisers Geburtstag wohl besetzt sein werden. Ich schreibe Ihnen zeitig das Nähere.

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen von Haus zu Haus Ihr wie stets dankbar ergebener (CHB)

 

175. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg), 18.1.1912

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Noch vor unserem persönlichen Wiedersehn möchte ich heute zugleich im Namen von Littmann mit einer großen Bitte an Sie herantreten. Littmann und ich haben auf Veranlassung von Trübner die Herausgabe eines Grundrisses der semitischen Philologie übernommen. Wir haben ein sehr umfangreiches Programm entworfen, das auch das ganze große Gebiet der Realien mit Ausnahme der Geschichte mit einbezieht. Ehe wir nun mit diesem Plane an die Öffentlichkeit treten, möchten wir uns der Mitarbeiter einiger der Hauptvertreter der wichtigsten Disziplinen versichern. So schreiben wir in diesen Tagen außer an Sie an Goldziher, Snouck, Wellhausen, Ed. Meyer und Brockelmann. Mit Jacob haben wir anläßlich unseres hiesigen Zusammenseins mündlich gesprochen, und heute erhalte ich von Littmann einen Brief mit der frohen Botschaft, daß auch Nöldeke sich zur Übernahme einiger Kapitel bereit erklärt hat. Erst, wenn die genannten Herren uns ihre Teilnahme zugesagt haben, wollen wir an die weiteren Kreise der Kollegen herantreten.

Es bedarf ja wohl keiner weiteren Versicherung, daß Littmann und ich von Anfang an damit gerechnet haben, daß Sie uns für das Assyrisch-Babylonische teils mitarbeitend, teils beratend zu Seite stehen würden. Wir wollten Sie in erster Linie bitten, die assyrische Literatur zu übernehmen, die als eigener Band der Serie Literaturgeschichte erscheinen soll. Umfang und Einrichtung wäre natürlich vollkommen Ihnen überlassen. Aber wenn wir die Literaturgeschichte nennen, so soll das keine Beschränkung ausdrücken, sondern es steht Ihnen wie den anderen obengenannten Herren zunächst selbstverständlich freie Wahl zu, und wir werden jeden Wink und jeden Beitrag dankbar und freudig annehmen. Ich sende Ihnen anbei unseren vorläufigen Entwurf, damit Sie sehen, wie wir uns die Sache gedacht haben. Der Entwurf ist natürlich als provisorisch anzusehen und soll nicht so veröffentlicht werden.14

Über alles Nähere sprechen wir wohl am besten mündlich. Wenn Sie mir nur bald Ihre prinzipielle Geneigtheit bestätigen wollten. Ich kann mir gar nicht denken, daß Sie sich von diesem Unternehmen ausschließen werden; ich hoffe vielmehr, daß Ihre schon lange ausgereifte assyrische Literaturgeschichte nun in diesem Grundriß erscheint, eine seiner schönsten Zierden und hoffentlich einer seiner ersten Bände wird. Welche Gebiete Littmann und ich selber bearbeiten, ergibt sich ja wohl auch ohne nähere Angaben aus der Übersicht.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus in bekannter Verehrung Ihr stets ergebener (CHB).

 

176. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 17.1.1912

(Postkarte)

Lieber Freund,

Vielen Dank für Ihre beiden Nachrichten! Recht herzlich freuen wir uns beide auf Ihr Kommen und haben mit W.’s verabredet, daß Sie uns am Samstag dem 27. mittags gewährt werden; also dürfen wir – wohl ohne weitere Nachricht – wohl sicher auf Ihren lieben Besuch an diesem Tage, gegen oder um 1 Uhr, zählen.

Von dem anderen „Unternehmen“ hat mir L(ittmann) schon vor Jahren erzählt, und ich habe damals nicht „nein“ gesagt. So darf ich’s wohl auch jetzt nicht, obwohl mir der Himmel voll astrologischer Baßgeigen hängt und ich – beispielsweise – in der ganzen Weihnachtsvacanz vor lauter fremden Anfragen nicht zu einer Zeile selbständiger, eigener Arbeit gekommen bin. Sie werden das jetzt in Ihrer Stellung in H(amburg) sehr gut zu würdigen wissen!

Also auf gesundes, frohes Wiedersehn! Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr treuer C. Bezold

 

177. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 6.3.1912

(Postkarte)

Lieber Freund,

Sehr freuen wir uns auf das Wiedersehn mit Ihnen!! Mit dem Hôtel bin ich ein bissl in ungeschützter (unleserlich, weggelocht) Lage. Wir hatten im Dez(ember) in München mit Kuhns verabredet, daß wir jedenfalls mit ihnen zusammen sein wollten, und daraufhin hatte ich neulich „Palace“ vorgeschlagen, womit wir beidseitig dorthin schrieben. Schon die Preise sind uns zu exorbitant (francs 18). Nun hab ich mir (kurz vor Eintreffen Ihrer lieben Karte) ganz in K(uhns( Hand gegeben; er macht wahrscheinlich mit „Minerva“ etwas aus, ev(entuell aber mit „Hermes“.

Sobald ich erfahre, wo wir unterkommen sollen, teile ich es Ihnen mit; möchte Sie aber deshalb ja nicht hinhalten. Ich fürchte fast, Sie können meine Antwort nicht mehr gut abwarten. Wie gesagt, „Minerva“ ist das wahrscheinlichste, aber ich kann nicht dafür garantieren.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus; und (arab. Text), auf gesundes frohes Wiedersehen an Bord des Baron Beck in Brindisi.

Ihr treuer C. Bezold.

 

178. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 7.3.1912

(Postkarte)

L(ieber) Fr/eund), heute erfahre ich, daß K(uhn) im „Minerva“ für uns mitbestellt hat. Da dort voraussichtlich Platz ist, so ist es allem Ermessen nach so gut wie sicher, daß wir dort wohnen werden.

Wie immer herzlichstes Gedenken von Haus zu Haus! Ihr treuer C. Bezold.

 

179. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg), 15.5.1912

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Zu Ihrem Geburtstag sende ich Ihnen, wie alle Jahre auch diesmal zugleich im Namen meiner Frau unsere aufrichtigsten Wünsche. Möge Ihnen noch viele Jahre die erstaunlich Arbeitsfrische und –Freudigkeit erhalten bleiben, wegen deren ich Sie schon immer beneidet und von der ich bei unserem kürzlichen Zusammensein einen neuen lebendigen Eindruck empfangen habe.

Es war wirklich zu schön, daß wir in Athen so intensiv zusammen sein konnten und Ihre freundliche Aufnahme in Heidelberg ist uns beiden noch in lieber Erinnerung. Ich habe wenige ruhige Augenblicke seitdem gehabt, da man hier gleich wieder in das große Räderwerk eingestellt wird und sich mit drehen muß, wenn man wirken will. Ich habe in diesem Semester in meiner Islamkunde die Rekordziffer von 50 Teilnehmern erreicht, was mich besonderer Genugtuung erfüllt, da Martin Hartmann in Berlin, trotz der Universität, es auf keine 20 bringt.

Herrn von Goutta habe ich leider eine Absage schicken müssen, da ich erweiterte Drucke von anderswo publiziert ungern nehme, namentlich, wenn es sich um reine Übersetzungen handelt, in denen nicht einmal sehr viel Islamisches vorkommt. Ich habe ihm aber sehr freundlich geschrieben und ihn zur Mitarbeit am Islam aufgefordert.

Martin Hartmann schickte mir neulich eine sehr begeisterte Botschaft über das Blühen seiner Gesellschaft. Wie ich höre, hat er aber in der Vorderasiatischen Gesellschaft seine Liste vergeblich herumgehen lassen, nicht ein Anwesender trug sich ein. Er meinte, politisch wäre seine Sache unbedenklich, weil ein Kammerherr des Kaisers seinem weiteren Vorstande angehört. Diese Bemerkung charakterisiert seinen ganzen Überblick über die Verhältnisse zur Genüge. Ich fürchte, der Verein wird ebenso unpolitisch werden, wie die unpolitischen Briefe der Türkei.

Mit verbindlichen Grüßen und nochmaligen Wünschen von Haus zu Haus

Ihr aufrichtig ergebener (CHB).

 

180. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 19.5.1912

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Haben Sie recht herzlichen Dank für Ihre lieben Zeilen vom 15. d.M., mit den freundlichen Glückwünschen von Ihnen und auch von Ihrer verehrtesten, herzlich gegrüßten Frau Gemahlin! Sie glauben kaum, wie sehr mich immer diese Wünsche freuen und jedesmal an alte Zeiten frohen und – dürfen wir wohl beide sagen – nicht ganz unfruchtbaren Zusammenseins und –arbeitens erinnern! Auch Ihr neulicher Besuch lebt noch gar schön in unserer Erinnerung fort, und die Athener Tage mit Ihnen bleiben unvergessen.

Daß Sie ein so großes Auditorium in der Islamkunde haben, freut mich sehr, überrascht mich aber hinsichtlich des Vergleichs mit Hartmann gar nicht, obwohl ich mir denken kann, daß, wer H(artmann) richtig versteht, vieles von ihm lernen kann. Dem Ableben seiner „Gesellschaft“ sehen wir also ruhig entgegen.- Dr. Goutta ist ein sehr begabter, aber auch sehr merkwürdiger Mensch; ich könnte es gut begreifen, wenn er ganz in der Philosophie, womit er sich gegenwärtig beschäftigt, stecken bliebe und da entweder gar nichts oder etwas ganz besonderes leistete.

Wenn ich Sie nicht jedesmal zu einer Folge Ihres „Islam“ beglückwünsche und Ihnen für die Übersendung danke, so ist das von mir reine Bummelei, und ich bitte um Indemnität. Diesmal geschieht es aber ausdrücklichst und herzlich. Außer Ihren eigenen Beiträgen hat mich, wie Sie sich denken können, besonders Saxl’s Aufsatz nahe berührt; aber studieren muß ich ihn erst!

Was ich schon bei einer anderen Gelegenheit für ZDMG vorhatte, unterbreite ich Ihnen hier zu Kahle’s Artikel: würden Sie ein paar Zeilen von mir („aus einem Brief“ oder dgl.?) aufnehmen (oder wenn Sie wollen selber schreiben), worin ich die Herren ersuche, bei ihren Notenbeispielen auch die Geschwindigkeit, am besten wohl nach Mälzel’s Metronom zu notieren?

Ich habe heute mit Schmerz eine syrologische Dissertation (über Homilien), die mir heillos Zeit gekostet hat, zurückweisen müssen (privatim) und dasselbe steht mir in ein paar Tagen mit einer arabistischen über die Chidrlegende bevor. Der jüdisch-holländische Verfasser der letzteren hat einen Haß gegen Muhammed, wie ich ihn noch nie in meinem Leben kennen gelernt habe; merkwürdig, nicht?

Auf frohes Wiedersehen in Leiden mit Ihnen beiden freuen wir uns schon jetzt und grüßen herzlich von Haus zu Haus: meine Frau und Ihr treuer (gez.) C. Bezold.

 

181. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 24.5.1912

(Maschinenmanuskript)

Aus einem Briefe von C.B(ezold), Heidelberg, d. 24 Mai 1912

…Gelegentlich der sehr willkommenen Notenbeispiele in P. Kahle’s Artikel über „Zâr-Beschwörungen in Egypten“ im letzten Doppelheft von der „Der Islam“ (Bd.III, S.40f.) möchte ich anregen, daß bei solchen Beigaben in Zukunft die Herren Verfasser auch das Tempo der Vorträge angeben, am besten wohl nach Mälzel’s Metronom. Bei Aufzeichnungen phonographischer Wiedergaben würde auch die Minuten-Umdrehungszahl der Walze eines Edison-Apparats genügen…

Lieber Freund!

Die in aller Eile zur Antwort auf Ihre liebe Karte vom 21.d. M. ! Wir wollen – faul wie ich bin – in einer Stunde schon wieder in die Ferien verreisen – nach Tutzing, Hôtel Simson, um von da aus auch allerhand Besorgungen in München zu erledigen.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr treuer (gez.) C. Bezold.

P.S. Bitte, ändern und verbessern Sie in dem obigen, rasch hingeschriebenen Zeilen, was Ihnen gutdünkt (auch Stilistisches)! D.O.

 

182. C. Bezold an C. H. B. Tutzing, 25.5.1912

(Postkarte)

Lieber Freund,

Da ich vermute, daß Sie mir von den Ihnen gestern geschickten paar Zeilen nicht erst Corr(ecturen) senden, bitte ich noch um eine Verbesserung: statt der zweideutigen „Aufzeichnungen“ (phonographische Walze) ist lieber „Bestimmungen“ oder – wenn es gut hineinpaßt – Tempobestimmungen zu setzen. Besten Dank im Voraus für Remedur.

Wir fuhren gestern bis Augsburg als Schutzengel von Fräulein Edith Stählin, dann nachts noch hier heraus. Wetter sehr naß, aber dabei Blütenpracht und Vogelsang.

Nochmals für Sie und Ihre ganze Familie gute Pfingstferien von meiner Frau und Ihrem alten treuen C. Bezold.

 

183. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 2.11.1912

(Postkarte)

Lieber Freund,

zwei liebe Nachrichten (19. und 25.d, M.) liegen mir von Ihnen vor und ich komme nun endlich dazu, Ihnen herzlich dafür zu danken. Der kurze Bericht von dem hohen Besuch in Ihrem Institut hat mich sehr interessiert; aber das muß ich mündlich erzählt bekommen, nicht wahr?-

Heute hab’ ich Ihren großen und grundlegenden Artikel im Islam endlich genau gelesen, – und kann natürlich auch meinerseits nur beistimmen. Das haben Sie, auch in der überzeugenden Darstellung wieder famos gemacht! Daß man (ni fallor) auch heutzutage eine rak’a vor dem (katholischen) Hochaltar macht (cf.S.390), ist Ihnen wohl längst bekannt. Aber eingehende Studien à la (griech. Text) sollten uns doch noch einmal den wirklichen Kanal der Übernahme weisen.

Natürlich bin ich auch ganz Ihrer Meinung über die Kongreß-Vorschläge (Krüger’s Artikel in der „Christlichen Welt“ habe ich noch nicht gesehen. Übrigens haben wir zusammen mit Littm(ann) in L(eipzig?) Ihren Kongreßbericht gelesen und uns herzlich gefreut, wie reizend (und dabei wahr) Sie in allem (auch über Snouck) geschrieben haben. Mittlerweile werden Sie meine Sendung der Diss(ertation) vom 30.10. erhalten haben. Es hat mich sehr gefreut, daß ein Snouck die Diss(ertation) (bei allen möglichen Aussetzungen) „mit Geschick und Kenntnis behandelt“ und „ein nützliches kleines Buch, das sich außerdem angenehm liest“, nennt.

Denken Sie, meine arme Frau hat sich heut vor 8 Tagen den Fuß verstaucht und liegt nun noch immer in Massage-Behandlung in Lugano, das ich am Montag verließ; ich erwarte sie aber in 2-3 Tagen zurück.

Mit dem herzlichen Wunsch, daß bei Ihnen Alles gut gehen möge, und vielen Grüßen von Haus zu Haus Ihr treuer C. Bezold.

 

184. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 10.11.1912

(Postkarte)

Lieber Freund,

Heute wollten wir an Anna von Reitzenstein schreiben und anfragen, an welchem Tag dieses Monats Ihr Herr Schwiegervater sein 70. Lebensjahr vollendet. Da kommt morgens die Trauernachricht vom Hinscheiden ihres teuren Vaters.

Nun kann ich dorthin meine Anfrage nicht richten, sondern muß Sie damit belästigen; hoffentlich kommt sie nicht zu spät!

Für freundliche Antwort (mit 2 Zeilen) im Voraus dankend und mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr treuer C. Bezold.

 

185. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg), 12.11.1912

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihre inhaltsreiche Postkarte und für die Übersendung der Dissertation Ihrer Schülerin.

Zunächst möchte ich meinem lebhaften Bedauern darüber Ausdruck geben, daß Ihre verehrte Gattin erst verspätet nach Heidelberg zurückkehren konnte, und ich hoffe, daß sie inzwischen längst wieder in alter Frische bei Ihnen eingezogen ist. Grüßen Sie sie bitte von mir und meiner Frau herzlichst.

Daß Sie meinem Artikel zustimmen, freut mich. Bisher ist meine These von keiner Seite bestritten. Die Rak-a der Katholiken, auf die Sie mich aufmerksam machen, ist schon in meinem Aufsatz angedeutet in der Bemerkung über die Rak-a li Tahijjat al Masdjie (Seite 390). Die Parallele ist für mich außer Zweifel. Man soll beim Betreten der Moschee jedesmal eine solche Rak-a machen, ob Gottesdienst ist oder nicht.- Von allen Seiten bekomme ich noch kleine Ergänzungen, und es wird bald lohnen, die ganze These einmal auf breitester Basis systematisch darzustellen.

Dann noch herzlichen Dank für Fräulein Reitemeyers Buch, das ich bisher erst auszugsweise kennen gelernt habe. Als Dissertation ist es natürlich sehr gut. Mir persönlich fehlt etwas die prinzipielle Fragestellung. Ich habe natürlich zunächst die Geschichte von Fustat mit meiner eigenen Darstellung verglichen, die sie ja leider noch nicht kennen konnte. Ich werde in der nächsten Nummer des „Islam“ darauf zurückkommen.- Schade ist z. B. auch, daß sie die eingehende Studie von Massignon über Fes nicht kennt. Doch wer an seine eigene Dissertation denkt, wird keinen Stein auf diese Dame werfen.

Nun ist der Vater Ihrer Freunde ja auch heimgegangen. Es war ein großes Glück, denn er war doch schon lange sehr schwer leidend. Ob Sie wohl zur Beerdigung gefahren sind? Ich habe s auf ausdrücklichen Wunsch meiner Augsburger Verwandten unterlassen, umsomehr, als ich kommenden Sonnabend den 70. Geburtstag meines Schwiegervaters mitfeiern werde. Auf der Durchreise mache ich in Berlin die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde mit, wo Imhoff Pascha über die derzeitige Lage spricht.- Über die Türkei will ich lieber nichts sagen, weil sonst dieser Brief überhaupt kein Ende nehmen würde.

Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr dankbar ergebener (CHB).

 

186. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 17.11.1912

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Herzlichen Dank für Ihre lieben Zeilen vom 12. d. M. ! Ich hoffe, Sie haben gestern in Augsburg frohe Stunden verlebt, blicken mit einiger Befriedigung auf die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde zurück und sind glücklich zu Ihrer Familie zurückgekehrt.

Hoffentlich sind Sie gegen Fräulein Reitemeyer’s Büchlein auch so gnädig wie Snouck! Sie schreibt mir, daß sie in der letzten Zeit besonders Persisch geschrieben habe; offenbar hat sie sich aber überarbeitet, da ihr der Arzt nun viel Spazierengehen empfohlen hat.

Und nun zur Hauptsache Ihres lieben Briefes: vielen Dank für die freundliche Aufforderung zur Teilnahme an Ihren Ferienkursen! Ich habe, da die Sache zu eilen scheint, gestern Boll ermächtigt, Koll. Warburg offizielle meine Zusage mitzuteilen, und will auch gern bei dem von diesem vorgeschlagenen Thema („Die astrologische Praktik der Babylonier“) bleiben. Ich selbst lege für diesen Vortrag keinen großen Wert auf Lichtbilder und glaube, wenn solche nicht erwünscht würden, mit zweimal 45 Minuten (inclusive Diskussion) gut auskommen zu können. Mit Lichtbildern würde ich wohl 3mal 45 Minuten (inclusive Diskussion) beanspruchen müssen. Sie veranlassen wohl freundlich die offizielle Zusendung der Einladung, wenn dies nicht schon von Warburg geschehen sollte.

Troeltsch hoffe ich dieser Tage zu sehen; er scheint aber, soviel ich von Boll höre, schon von sich aus Lust zur Teilnahme zu haben.

Wir freuen uns sehr auf Hamburg, auf Sie und die lieben Ihrigen. Aber was da Alles noch dazwischen liegt!

Meiner Frau geht es recht ordentlich; sie hofft in den nächsten Tagen ein wenig ausgehen zu können.

Für heute nur noch die herzlichsten Grüße von Haus zu Haus, besonders von Ihrem alten, treuen (gez.) C. Bezold.

 

187. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 8.1.1913

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Drei Nachrichten von Ihnen liegen mir vor: der herzliche Brief vom 31. vorigen Monats, der sich mit meiner Drucksendung an Sie (Akademiebeschluß über mein Babylonisch-assyrisches Lexikon!) gekreuzt hat; die liebe Glückwunschkarte an meine Frau; und – leider – auch die Trauernachricht vom Ableben Ihres Herr Schwagers. Ich habe Ihrer hochverehrten Frau Schwester, die wir von ganzem Herzen bedauern, unser Beileid zum Ausdruck gebracht. Für Ihre freundliche Gratulation, die sie ganz besonders freute, will meine Frau Ihnen selbst noch danken. So komme ich gleich zur Beantwortung Ihres Briefes und erwidere Ihre Wüsche innig von Haus zu Haus. Möchte die ernste Zeit, der Sie in Ihrer Familie entgegensehen, aufs glücklichste verlaufen und Ihnen beiden ungetrübte Freude bringen!

Mit Sorgen habe ich von Ihrem Unwohlsein gelesen. Ehrenvolle Ämter wie der Vorsitz im Professorenkonvent gehen nicht spurlos an den angestrengten Nerven vorüber. Desto mehr wünsche ich Ihnen neue Kraft und Ausdauer und bedauere die Verschiebung Ihrer afrikanischen Pläne nicht allzu sehr. Ihr Prospekt, dessen Empfang ich Herrn Senator von Melle dankend bestätigte, ist weitblickend und, wie ich glaube, sehr glücklich disponiert; wenn auch die Zukunft noch dies und jenes korrigieren wird, so sind doch die Richtlinien deutlich vorgezeichnet. Mögen die Hamburger nun auch durch den Erfolg für ihre Mühe belohnt werden!

Bei uns will sich am nächsten Samstag ein praktischer Schulmann (Gymnasium hier),

Güntert, für Iranisch habilitieren; ich glaube aber nicht, daß er für Ihr Persisch zu haben wäre.

Ich habe die ganze Weihnachtsvakanz – selbst auf die Gefahr hin, mit meinen Vorträgen für Amerika schließlich hetzen zu müssen – auf die Vorbereitung für Hamburg verwandt, und ich glaube, es ist einiges brauchbare dabei herausgekommen. Die elf Bände bab(ylonisch)-ass(yrischer) Briefe, die ich auf die astrologischen „Praktik“ durchgenommen habe, geben darüber mehr Anhaltspunkte als irgend welche anderen Texte! Auch das scheint u.a. klar daraus hervorzugehen, daß der Sabbath keine babyl(onische) Einrichtung gewesen sein kann. Übrigens soll, in schá’llah, der ganze Sommer außer dem Lexikon noch dieser Arbeit gewidmet werden!

Lassen Sie uns, sobald Sie können, wissen, an welchem Tage wir Sie hier mittags erwarten dürfen (wenn möglich nicht Dienstags oder Donnerstags, da ich an diesen Tagen von 3-5 Uhr Vorlesungen habe) ?

Darüber würde sich herzlich freuen Ihr von Haus zu Haus vielmals grüßender, altgetreuer (gez.) C. Bezold.

P.S. Ist Marcks schon in USA, und wie lang bleibt er dort?

 

188. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 11.1.1913

Lieber Freund,

Herzlichen Dank für alle lieben Nachrichten! Es ist sehr schade daß Sie nicht hierherkommen, aber unter diesen Umständen natürlich völlig begreiflich.

Denken Sie, die HAPAG hat uns immer noch nicht geschrieben, mit welchem Dampfer sie uns befördern will; s’wird wohl ca. Mitte Februar sein, und ich hoffe Sie dann flüchtig zu sehen. Möglich wär’s daß wir am 25. April zusammen mit Marcks zurückführen.

Die Sache mit Herrn C. Schoy hat ganz Ihre Richtigkeit; er hat vor kurzem hier in der naturwiss(enschaflichen Facultät das Examen gemacht: Hauptfach Wolf, Naturgeschichte Königsberger und Klebs, und hat die II. Note erhalten. Diese Kenntnisse habe ich mir durch unseren Pedell verschafft. Hätte ich heute bei der Rektorwahl (Gottlob) Wolf getroffen, so hätte ich ihn wohl unter der Hand über den Wert sp.(?) der Arbeit befragen können; er war aber nicht da. So bitte ich dann mit obigem vorlieb zu nehmen und – vor allem es vertraulich zu behandeln. (Natürlich steht Ihnen, wenn Sie einmal das M(anuskript) haben der Weg zu Wolf jederzeit offen.) Ob der Mann Arabisch kann? Warum er das nicht als Nebenfach wählte? Ich hatte vorher keine Ahnung von ihm.

Alle, alle guten Wünsche von Haus zu Haus, mit denen Sie herzlich grüßt

Ihr treuer C. Bezold.

 

189. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 26.1.1913

(Postkarte)

Lieber Freund,

Nun scheint unsere Reise wirklich Ernst werden zu wollen. Meiner Frau Fuß ist brav, mein Urlaubsgesuch liegt beim Ministerium, und das M(anuskript) der Vorträge wächst. So hoffen wir am Freitag, den 7. Februar spät abends in H(amburg) einzutreffen und am 9. mit der „President Grant“ zu crossen. Wir wollen bei „Moser“ (in alter, freundlicher Erinnerung) absteigen; es ist doch noch der alte Betrieb? Nur wenn Sie gegenteiliges wüßten, bäte ich um eine Zeile Nachricht, eventuell mit Angabe eines anderen Hôtels. Am Samstag, den 8. müssen wir gleich ins Bureau der Hapag und dann sofort all unser Gepäck verstauen. Ob wir dann zum Sonntag noch auf terra firma übernachten, weiß ich nicht. Aber nett wär’s, wenn wir uns sehen könnten, vielleicht Samstag nachmittags.

Einstweilen herzliche Empfehlungen und Grüße von Haus zu Haus!

Ihr alter treuer C. Bezold.

 

190. C. H. B. an C. Bezold. (Hamburg), 28.1.1913

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

Meine Frau und ich freuen uns herzlich darauf, Sie Ende nächster Woche hier begrüßen zu dürfen. Über „Hotel Moser“ sind mir keinerlei nachteilige Nachrichten zu Ohren gekommen, die Lage ist bequem und wissen Sie ja, daß es ein altmodisches Hotel ist. Sie scheinen sich vorzustellen, als ob Sie in Hamburg an Bord gingen; nach meinen Erfahrungen, gerade mit dem „Präsident Grant“, liegt die Sache aber so, daß sämtliche Reisende am Morgen des Abfahrttages mit Extrazügen nach Cuxhaven befördert werden, wo sich die Einschiffung vollzieht. Auch das Gepäck geht dann erst mit. Sie werden also nach Ihrer Rücksprache auf dem Bureau den Nachmittag und Abend voraussichtlich ganz frei haben und rechnen wir jedenfalls auf Sie. Näheres machen wir später aus. Ich werde Sie jedenfalls Sonnabend Früh im Hotel aufsuchen.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr getreuer (CHB)

 

191. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 19.7.1913

(Postkarte)

L(ieber) Fr(eund),

Herzlichste Glückwünsche zum Bonner Ruf, den wir soeben in der Zeitung lasen!

Und in aller Eile Grüße von Haus zu Haus!

Ihr treuer C.B.

P.S. Morgen kommt (arab. Text).

 

192. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 26.7.1913

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Wann wird die Entscheidung wohl bei Ihnen fallen? Wir sind natürlich riesig begierig auf Ihre Nachrichten!

Für heute nur mit ein paar Worten unser Reise-Programm, damit Sie ungefähr wissen, was wir in Hamburg vorhaben und auf wie lange!

Ich möchte am nächsten Donnerstag hier vormittags noch zwei Stunden lesen, dann um 11.23 Uhr abfahren und mit dem schönen Nachtzug in Hamburg eintreffen; will dort im „Esplanade“ vorbestellen. Am 1. August möchte ich dann gern vormittags Herrn Senator Melle meine formelle Aufwartung machen und womöglich wollen gern auch Ihnen und Ihrer lieben Gattin und ev(entuell) dem Ehepaar Warburg einen Besuch abstatten. Nachmittags wenn irgend tunlich Stellingen. Oder macht man die Besuche besser nachmittags? Abends ist also dann der Vortrag – ohne Lichtbilder; doch wohl im Frack? Ich hoffe mit 110 Minuten reichlich durchzukommen. Amüsant ist der Vortrag leider gar nicht geworden, da ich eben kein „general Public“ im Auge habe, sondern einige Zuhörer, die sich wirklich für den Gegenstand interessieren. Die Vorbereitung hat recht viel Zeit gekostet, d. h. ungefähr das ganze Semester.

Samstag nachmittags möchten wir uns wohl gern an der Besichtigung des Phonetischen Laboratoriums beteiligen. Braucht meine Frau da eine Karte und kann sie überhaupt mit? Braucht sie für meinen und für Boll’s Vortrag eine Karte?15

Eigentlich wollten wir schon am Samstag mit dem Nachtzug zurückfahren. Aber ich soll doch wohl wenigstens einmal Boll hören? (Sie, Warburg und Troeltsch zu genießen wird mir ja leider wegen dringender Arbeit, die meine baldige Rückkehr erfordert, ganz unmöglich.) Wenn wir noch einen Tag zugeben, wäre wenigstens für mich der Sonntag auch das Zentralgefängnis lockend, aber nicht notwendig. Und könnten wir uns dann abends noch an dem geselligen Beisammensein in Eppendorf beteiligen und doch noch unseren Zug um 11.04 Uhr erwischen?

Für ein paar freundliche, ganz knappe Winke auf einer Festkarte wäre Ihnen sehr dankbar Ihr Ihrem wichtigen Entschluß alles Glück wünschender, von Haus zu Haus herzlichst grüßender treuer (gez.) C. Bezold.

 

193. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 28.7.1913

Lieber Freund,

Von ganzem Herzen innigen Glückwunsch zur Rückkehr an die Hochschule! Ja, ich habe gewünscht, daß Sie annehmen möchten und zwar wegen Ihrer Gesundheit und wegen des Gegenstandes, dem Sie die Hauptarbeitskraft Ihres Lebens, d.h. die besten Arbeitsjahre, widmen. Die Hamburger haben Recht, Ihnen dafür dankbar zu sein; denn wenn die Universität einmal kommt, schuldet die Organisation vieles Ihnen! Egoistisch freue ich mich, Sie nun ein bissl näher zu kriegen. Und welche Freude wird es für Ihre verehrteste Frau Mutter sein!

Warum ich wirklich nicht länger in Hamburg bleiben kann, so leid es mir tut, Sie und Warburg nun nicht zu hören, kann ich Ihnen mündlich leicht erklären

Wenn Sie und Ihre verehrteste Frau sich wirklich mit uns plagen wollen, dürften wir vielleicht am Sonntag mittags zu Ihnen kommen? Zu Warburgs nimmt meine Frau soeben an; wir bestellen dann um ½ 11 Uhr ein Auto zur Bahn. Ans Esplanade hab’ ich soeben geschrieben.

Sehr nett wär’s freilich, wenn Sie uns am Freitag früh im Hôtel aufsuchen wollten zur Besprechung von allem weiteren. Vielleicht ist’s besser, wir verschieben Stellingen auf Samstag, damit ich für den Vortrag nicht müd werde. Si vedrà.

Herzlichste Grüße von Haus zu Haus! Ihr alter treuer C. Bezold.

 

194. C. Bezold an C. H. B., Bonn Heidelberg, 31.12.1913

(Postkarte)

Zum nahen Rhein ziehen dies Jahr unsere Wünsche für Sie, Ihre liebe Gattin und die Kinder! Ein inniges Prost 1914! Ich hoffe, Littmann kann uns mündlich mehr Gutes von Ihnen berichten, wonach wir uns sehnen. In alter Treue A. und C. Bezold.

 

195. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 1.2.1914

Lieber Freund,

Es tut mir sehr leid, daß Sie aus diesem Grund Ihr Kommen am 9.8. „nicht bestimmen können“. Hoffentlich sind aber alle Ihre Sorgen so, daß eine genaue Untersuchung sie völlig beheben kann; das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen.

Ich will mich jetzt einmal bei Littmann erkundigen, ob er sich am 9. freimachen kann; davon wird dann weiteres abhängen. Übrigens sprach ich vor ein paar Tagen Kracht(?) und fragte ihn, wann er fortginge; er sagte mir, er würde „so gut wie gar nicht“ während der Ferien fortgehen: wobei freilich das „so gut wie“ zu betonen sei; verschwören könne er natürlich nichts, und 1-2 Tage würde er wohl auch so wie wir einmal abwesend sein.

Ich dachte, diese Mitteilung würde Sie interessieren, und schreibe deshalb schon jetzt, damit Sie ev(entuell) Ihre Dispositionen leichter treffen können.

Ich selbst will mich nun ev(entuell) nach dem bewußten 9. richten und damit Herrenalb zu kombinieren suchen; für unser geliebtes Engelberg kommt dann wohl erst die letzte Augustwoche in Betracht. Was soll bis dahin noch alles an Arbeiten werden!! Es gruselt mir, wenn ich daran denke.

Und nun alle guten Wünsche für Ihre Gesundheit und die herzlichsten Grüße von Haus zu Haus! Ihr treuer C. Bezold.

 

196. C. Bezold an C. H. B. Montreux, Hôtel Beau Rivage, 10.4.1914

Lieber Freund,

Ihr Lebenszeichen aus Meran vom 29. vorigen Monats hat uns doppelt gefreut, 1. weil es uns zeigte, daß Sie sich einmal nach langer Zeit Erholung gönnten, und 2. weil des das erste in diesem Jahr war, wonach ich mich schon sehr gesehnt hatte; vielen Dank!

Nun ist unser hiesiger, am 23. v. M. angetretener Ferienaufenthalt schon fast wieder zu Ende (wir wollen nächsten Mittwoch nach München, um dort die Hochzeit im Hause Müller mitzufeiern),und erst jetzt komme ich zu diesem langgeplanten Brief.

Ich habe ein recht arbeitsreiches Wintersemester hinter mir, darunter viele Dinge, die der Außenstehende so gar nicht merkt: Sie kennen das! Unter anderem hat mir die (ehrenvolle) Stellung eines Korrespondenten für die Angelegenheiten der von Freiburg und Heidelberg gemeinsam unternommenen Ausgrabungen in Ägypten ungemein viel Zeit und Arbeit gekostet. Auch mein „Lexikon“ hat nun endlich in diesem Winter (nach Weihnachten) angefangen und ist eine neue „Rosen-Fessel“ zu den anderen hinzu. Dazu kann nächstens der Prospekt für ein „Reallexikon der Assyriologie“ mit der Werbung von Mitarbeitern versandt werden, etc. etc. Sie sehen, zu der vielgeliebten Astrologie bleibt zunächst nicht viel Zeit, und auch der Druck des Hamburger Vortrags ist noch um einige Wochen verschoben.

Nun aber etwas anderes und aktuelles: die Heidelberger Herren Kollegen, die für die Sache interessiert sind, haben mich zum ersten und Troeltsch zum 2. Vorsitzenden des Lokalkomités des nächsten, für 1916 geplanten Kongresses für Religionswissenschaft ernannt. Ich nahm Gelegenheit, in der betr(effenden) konstituierenden Sitzung Ihren Ägyp(ten)artikel im „Islam“ wörtlich vorzulesen, der großen Beifall fand. Nun möchte ich aber gern, daß wir die „Richtlinien“ möglichst klar vorzeichnen, um sie bei den Einladungen gleich mitzuverwerten. Ein kleines inoffizielles „Meeting“ im Semester gelang schon deshalb nicht mehr, weil Bertholet nicht dazu zu haben war. Ich habe deshalb dieses Meeting, wozu ich außer Troeltsch und evtl. Boll oder anderer Heidelberger gerne Sie und Littmann (und Bertholet) hätte, mir für die Pfingstzeit als ausführbar gedacht und frage deshalb bei Ihnen an, ob Sie in der Pfingstzeit abkömmlich und ev(entuell) geneigt wären, für einen oder zwei Tage nach H(eidelberg) zu kommen. Auf Littmann glaube ich (nach mündlicher Unterhaltung!) sicher rechnen zu dürfen. Wir könnten dann in meiner Wohnung die integrierenden Punkte zur Festlegung des Arbeitsverlaufs des Kongresses gemütlich und „informally“ besprechen, und ich könnte später das Facit dem Lokalkomité zur Genehmigung unterbreiten.

Eine freundliche Antwort, welche Tage (bitte eine möglichst große Auswahl) Sie etwa zur Verfügung hätten (am besten nach Heidelberg addressiert), würde sehr freuen Ihren von Haus zu Haus vielmals und herzlichst grüßenden, alten treuen C. Bezold.

 

197. C. H. B. an C. Bezold. (Bonn?), 14.5.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

Könnten Sie mir nicht mitteilen, für welches Datum Sie sich in der Pfingstwoche entschlossen haben, da ich meine übrigen Pläne danach einrichten muß. Ich habe in der Woche vor Pfingsten in Hamburg zu tun, könnte aber Samstag Abend in Heidelberg sein.

Was unsere Arbeiten betrifft, so habe ich mir für den Islam zwei Themata überlegt, die man natürlich noch schärfer präzisieren könnte.

  1. Die Anfänge der islamischen Religion (Leben Muhammed Forschung, die Einflüsse der älteren Religionen usw.),
  2. Die Modernisierung des Islam unter dem Einfluß Europas (Hier könnten Einzelreferate für Ägypten, Türkei, Persien und Indien in Aussicht genommen werden.)

Welche Themata in der allgemeinen Religionsgeschichte gerade en vogue sind, ist für mich schwierig zu sagen. Mir fallen gerade Themata ein wie

    • Prinzipien der Kult- und Lithurgiebildung, oder
    • Typische Züge des Heiligenbildes in den verschiedenen Religionskreisen,
    • Initialriten (Religionsstifter, Königswahl)

Man müßte sich einmal mit Frazer oder einem anderen der führenden Leute in Verbindung setzen. Meinen hiesigen Kollegen Clemen mag ich darüber nicht fragen, da er doch keine

erste Leuchte ist.

Jedenfalls würden Sie mich sehr zu Dank verpflichten, wenn Sie mir bald über den Termin nähere Mitteilung machen wollten.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr Sie dankbar verehrender (CHB).

 

198. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 15.5.1914

Lieber Freund,

Längst wollte ich Ihnen für Ihren lieben Brief vom 14. April danken, da kommt heute Ihr zweites freundliches Schreiben mit den wertvollen Themata, etc.

Meinem Doppeldank muß ich aber nun die Mitteilung beifügen, daß unsere Zusammenkunft sich nun doch noch etwas verschiebt. Littmann hätte ja allerdings kommen können; aber von Bertholet hab’ ich immer noch keine Nachricht, wann der Kongreß eigentlich stattfinden soll, und was er sonst disponieren kann. Und meine eigenen Pläne (u.a. eine gründliche Bücherräumerei) wollen sich auch der Pfingstwoche nicht fügen. Ich möchte deshalb das Semester-Ende oder den Ferienanfang für die erbetene Zusammenkunft vorschlagen und hoffe, auch dann bei Ihnen – nach vorheriger, rechtzeitiger Vereinbarung – keine Fehlbitte zu tun.

Hoffentlich ist Ihre Gesundheit nun wieder ganz gestärkt. Ich stehe vor dem Auspacken unserer in Ägypten erworbenen Schätze – 49 Kisten, was noch manchen Schweißtropfen kosten wird. Das Semester hat sich gut angelassen, nette arbeitsame Leute. Bei Ihnen hoffentlich ebenso!

Nochmaligen herzlichen Dank für alle Ihre Vorschläge und für heute nur noch von uns beiden die schönsten Empfehlungen und alle guten Wünsche für Sie, Ihre verehrteste Gattin und die Kinder, mit den Sie vielmals grüßt Ihr alter, treuer C. Bezold.

 

199. C. H. B. an C. Bezold. (Bonn?), 19.5.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

Dieses Jahr bin ich wirklich von einer unglaublichen Vergeßlichkeit. So habe ich auch glücklich Ihren gestrigen Geburtstag vollständig verschwitzt, aber ich hoffe, Sie nehmen auch heute noch einen herzlichen Glückwunsch dazu freundlich auf. Mir geht etwas viel durch den Kopf zur Zeit, da ich außer vier Stunden historischer Vorlesungen noch sechs Stunden philologische, zum Teil neue, zu halten habe., und daneben meine Hamburger Vorträge für die kommende Woche vorbereiten muß. Ihr freundlicher Brief hätte mich aber eigentlich erinnern sollen. Haben Sie herzlichen Dank

Es tut mir leid, daß aus der Pfingstverabredung nichts wird, doch stehe ich auch gern in der ersten Augustwoche zur Verfügung. Ich bitte dann aber um die Tage zwischen dem 3. und 5., da ich mit Beginn der Schulferien am 5. meine Kinder in die Sommerfrische bringen muß. Ob wir unsere übrigen Pfingstpläne nun durchführen, d.h. die Pfingsttage doch nach Heidelberg kommen, steht dahin. Wenn es bei unserer ersten Absicht bleibt, werde ich jedenfalls auch bei Ihnen vorsprechen.

Für heute nur diese kurzen Zeilen und meinen herzlichen und aufrichtigen Glückwunsch, sowie alles Gute von Haus zu Haus. Ihr Sie dankbar verehrender (CHB)

 

200. C. Bezold an C. H. B. Wien, 29.5.1914

(Postkarte)

Herzlichen Dank, lieber Freund,

für Ihre lieben Glückwünsche, der mich um nichts minder freute, daß er am 19. abging! Ich habe noch in Heidelberg an Littmann geschrieben, daß Sie gern die Zeit vom 3.-5. August zu unserer Zusammenkunft hätten.

Seit Dienstag bin ich hier beim Kartelltag der Deutschen Akademien; interessante Tage. (Arab. Name) war von ausnehmender Freundlichkeit. Morgen hoffe ich mich mit meiner Frau und Müllers in Prien zu treffen. Recht frohe Pfingsten Ihnen und Ihrer verehrtesten Gattin vom alten C. Bezold.

 

201. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 22.6.1914

(Postkarte)

Lieber Freund,

Wie sehr ich Ihre treffliche Darstellung der orientalischen Wissenschaften genoß, hab ich Ihnen schon angedeutet. Heute komme ich nur mit Geschäftlichem: Bertholet kann unmöglich 3.-5-August wegen der dortigen Examina; könnte wohl vom 9. August an; dann ev(entuell) Ende September. Letzteres würde mir sehr wenig passen. Wäre es Ihnen denn nicht doch möglich, am 9. August hierher zu kommen? Ich würde im Bejahungsfalle sofort Bertholet und Littmann benachrichtigen, damit wir zu einem Resultat kommen. Bitte geben Sie wenn irgend möglich, Ihrem Herzen einen Stoß!

Ich hab’ noch immer schrecklich viel mit unseren ägyptischen Ausgrabungen zu tun, komme noch zu gar keinem continuierlichen wissenschaftlichen Arbeiten!

Herzlichste Grüße von Haus zu Haus!

Ihr alter treuer C. Bezold.


Ausbruch des 1. Weltkrieges


202. C. H. B. an C. Bezold. (Bonn), 26.8.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor,

Seitdem wir uns trennten, hat sich Gewaltiges ereignet. In der allgemeinen Spannung kam ich noch nicht dazu, Ihnen zu schreiben, um Ihnen für Ihre mancherlei Freundlichkeiten zu danken, die Sie mir bei meinem letzten Aufenthalt in Heidelberg wieder in so reichem Maße erwiesen. Ich lese soeben, daß mein lieber Freund Weiß von seinen Leiden erlöst wurde, und ich weiß nicht, ob es mir möglich sein wird, zur Beerdigung zu kommen. Deshalb bitte ich Sie freundlichst, mir für einliegende 10 Mark einen schönen Kranz zu besorgen. Ich muß Sie darum ersuchen, weil alle meine jüngeren Heidelberger Freunde zur Zeit ausgerückt sind; aber ich hoffe, die Mühe wird Ihnen nicht zu groß sein, da es ja in der Brückenstraße mehr als einen Blumenladen gibt. Jedenfalls danke ich Ihnen bestens für diese Gefälligkeit. Sollte ich noch Reisegelegenheit finden, was nicht allein von den Eisenbahnzügen abhängt, sondern von meinen freiwillig übernommenen Hülfspflichten, so würde ich mich natürlich persönlich bei Ihnen einstellen.

Ich wirke hier bei der Verwundeten-Verpflegung mit, um mich wenigstens auch etwas nützlich zu machen. Im Übrigen arbeite ich still für mich und freue mich, wieder die Nerven dazu zu haben. Auch gesundheitlich geht es uns allen nach Wunsch.

Daß unser guter Weiß erlöst wurde und nicht noch lange leiden mußte, war ein rechter Segen. Schmerzlich ist es nur für seine einem solchen Schlag so gar nicht gewachsene Frau, daß der eine Sohn gleichzeitig vor dem Feinde steht. Mir war bei meinem letzten Besuch im Hause Weiß ganz klar, daß es ein Abschiedsbesuch war.

In der Hoffnung, daß es Ihnen gut geht, mit nochmaligen besten Dank im Voraus und herzlichen Grüßen von Haus zu Haus in bekannter Verehrung Ihr ergebener (CHB).

 

203. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 16.9.1914

(Postkarte)

Lieber Freund,

endlich, endlich komme ich dazu, Ihnen für Ihre freundlichen Zeilen vom 26.v.M. zu danken, die ich am Nachmittag nach der Beerdigung unseres treuen Kollegen W(eiß) erhielt. Der Kranz wurde natürlich sofort besorgt. Es war eine ernste, durch eine tief zu Herzen gehende Rede Frommels verklärte Feier.

Gottlob, daß Sie von sich Gutes melden können. Wieviel weltbewegende Größe hat sich ereignet, seit wir zuletzt zusammen waren! Der Grund meines langen Schweigens ist, daß ich hier für’s Rote Kreuz einen Zentralnachweis aller hier befindlichen Verwundeten organisiert habe: Zettel und Kasten von meinem Assyr(iologischen) Lexikon übernommen. Dies nimmt meine Zeit Tag für Tag von morgens ½ 6 Uhr bis abends 8 Uhr, und ich bin recht froh, wenn ich in dieser Zeit mit dem Tagespensum fertig werde. An irgendwelche andere Beschäftigung für mich und meine Frau (die genau so viel zu arbeiten hat wie ich selber) ist nicht zu denken. Nur ein paar Korrespondenzen, besonders mit Nöldeke (?) halte ich aufrecht. Unser Büro ist im Orientalischen Seminar.

Nun aber genug dieser langen Erklärungen über uns selbst!

Ich hoffe von Herzen, daß Ihre verehrteste Gattin und ganze Familie in bester Gesundheit sind, und Sie selbst den altem Adam wirklich und gründlich auszuziehen die Nervenkraft fanden oder doch jetzt finden.

Was mag von Ägypten kommen? Ein (weggelocht!) Ich halte Englands Erniedrigung auf die Kulturstufe, die es jetzt vor aller Welt eingenommen hat, für eine Schmach für ganz Europa gegenüber dem Orient; den 22916 hab’ auch ich niedergelegt.

Tausend gute Wünsche und herzlichste Grüße von Haus zu Haus! Ihr treuer C. Bezold.

 

204. C. H. B. an C. Bezold Bonn, 28.12.1914

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Der Jahreswechsel gibt mir Anlaß, Ihnen wieder einmal von mir zu berichten. Vor allem aber möchte ich Ihnen und Ihrer verehrten Gattin zugleich im Namen meiner Frau ein gutes neues Jahr wünschen. Ich hoffe, daß wir uns 1915 wieder einmal gemütlich sehen werden und daß es auch nach den schweren, bangen Kriegszeiten uns einen ehrenvollen Frieden bringe. In diesem Wunsche ist sich wohl die ganze Welt einige; denn so gut alles bisher bei unseren Operationen geht, so schmerzlich ist es doch zu sehen, welch ungeheure Opfer uns der Krieg kostet. Meine zahlreichen Verwandten im Felde sind zwar bisher scheinbar gut durchgekommen, aber liebe Freunde habe ich umsomehr verloren, und am Tage vor Weihnachten wurde mir die traurige Kunde, daß auch Dr. Graefe den Heldentod gefallen ist. Er, der wie Sie wissen wie kein anderer in meinem Sinne arbeitete, in zweijähriger täglicher Gemeinschaft unter meinen Augen zu einem wirklichen Gelehrten herangereift war und in Hamburg meine spezielle Tradition noch mehr vertrat als Tschudi. Er wurde am 11. September verwundet und ist am 25. September in einem französischen Lazarett auf der Insel St. Nazaire gestorben. Es hat zwei Monate gedauert, bis seine Eltern und seine Braut die erste Nachricht erhielten. Auch um meine zweite Hoffnung, um Ritter, fange ich an, mich zu sorgen, da ich nach einer regelmäßigen Korrespondenz nun bereits mehrere Wochen ohne Nachricht von ihm bin. Er steht allerdings am Yserkanal in schwierigster Position.

Aus meinen mancherlei kleinen Broschüren werden Sie gesehen haben, daß ich mich etwas politisch beschäftige. Jetzt will ich ein Lehrbuch des Islam fertig machen. Aber wenn das alles auch zeitgemäß ist, so ist es doch nur ein schwacher Surrogat für eigentliche vaterländische Tätigkeit. Hoffentlich funktioniert Ihr Verwundeten-Büro gut und haben Sie Befriedigung von dieser nützlichen Schöpfung.

Ich beabsichtige am 1. Januar auf einige Zeit nach Hamburg zu gehen, um die Neuordnung der Zeitschrift und so manches Andere mit Tschudi zu besprechen. Dort treffe ich auch Littmann und werde wohl auch Jacob sehen, dessen Schüler Thorning übrigens auch vermißt wird. Ich werde meine Reise über Gelnhausen und Berlin nehmen und besonders bei meiner Mutter Einschau halten, um die wir kürzlich mal wieder recht in Sorge waren. Gottlob hat sie sich aber doch wieder hindurch gearbeitet und war in der Lage, mit drei Kinderfamilien ein trotz aller Sorge frohes Weihnachtsfest zu feiern. Auch bei uns behielten die Kinder ihr Recht, und das Fest ist harmonisch verlaufen.

Trotz des Krieges habe ich fast alle meine Vorlesungen zustande gebracht und sogar einen Doktoranden gehabt, der am Tage nach dem Mündlichen eingezogen wurde. Auch sonst bleiben in den philologischen Vorlesungen hauptsächlich die Schlacken, während die gesunde Jugend hinaus ist. Trotzdem harren in meiner Geschichte Afrikas, zweistündig, immer noch fünfzehn Mann aus.

Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus und allen guten Wünschen Ihr Ihnen wie stets dankbar ergebener (CHB).

 

205. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 20.1.1915

(Postkarte)

Lieber Freund,

verzeihen Sie vielmals, wenn ich erst endlich jetzt zur Beantwortung Ihrer beiden sehr lieben Briefe komme. Den ersten ließ ich deshalb zunächst ein wenig liegen, weil ich dachte, Sie blieben länger in H(amburg?). Und dann kam wieder so viel Arbeit (Verwundetentransporte etc.), daß ich zu keiner Zeit Privatkorrespondenz kam. Auch den 6. Januar, zu dessen gedenken Ihnen meine Frau ganz besonders danken läßt, haben wir von früh bis abends gearbeitet. Sn(oucks)s Broschüre erhielt ich zugleich mit einem entrüsteten Brief Littmann’s darüber. Ich teile natürlich völlig seine und Ihre Ansicht. Am Sonntag habe ich das, was mir die Lektüre des Artikels zu äußern auferlegte, auf einer Postkarte an Nöldeke geschrieben, darauf aber bis jetzt keine Antwort von ihm erhalten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Karte die Zensur nicht passiert hat. Sobald ich wieder etwas aufatmen kann (außer dem „Amt“ hab’ ich vier Stunden Kolleg; daneben fortwährend das Assyrische Wörterbuch, das viel Arbeit macht, und noch die Korrektur einer syrisch-griechischen Evangelien-Konkordanz, letztere die erweiterte Dissertation eines im Felde stehenden Schülers), aber wie gesagt, sobald die Zeit freier wird, schreibe ich Ihnen mal ausführlicher. Was mag H(erzfeld?) sagen? Es ist doch jammerschade, daß gerade das kommen mußte!

Für heute nur noch wiederholten Dank und innige Wünsche für Sie alle und Grüße von Haus zu Haus! Stets Ihr treuer C. Bezold.

 

206. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 28.2.1915

(Postkarte)

Lieber Freund,

Jetzt hab’ ich die am 20. Januar versprochene Antwort doch wieder so lang liegen lassen, bis Ihr Artikel erschienen ist, und kann ich nur auch Ihnen wiederholen, was ich vor kurzem an Littmann schrieb: seien Sie mir wegen des Schweigens nicht böse: jeder größere Truppentransport wie der vom 19. und vom 25. d. M. nimmt auch meine knappe häusliche Zeit noch in Anspruch; ich erübrige mit Mühe und Not ein Stündchen früh, um mit der Maschinenschreiberin unseres Lexikons Schritt zu halten!

Schön haben Sie geschrieben, vornehm, sachlich, eindringlich. Es freut mich, daß sich unsere Gedanken mehrfach getroffen haben; so über die läppische Bemerkung Seite 19, Zeile 16: de bevolkung schijnt etc.17– Die Anmerkung auf S.29 haben Sie wohl absichtlich ignoriert! Ich suchte möglichst sachlich nach Sn(ouck)s Motiven; eins ist entschieden der Gedanke an die niederl(ändisch)-ind(ischen) Moslims, der ja auf S. 31 letzter Absatz zum Vorschein kommt und worüber Sie nun auch sprechen; das andere sehe ich darin, daß Sn(ouck) ja selber Moslim ist (ob aus Überzeugung, tut hier kaum etwas zur Sache) und am Ende auch durch den „Zwang“ Fes g’hàdverärgert“ wird. Aber das pazifistische (utopistische) Element gehört wahrhaftig nicht in die Fluten – die blutgetränkten – der jetzigen Politik, und dem Gespenst des „Glaubenshasses“ sind Sie mit Recht energisch zu Leibe gegangen. Möchten nur weite Kreise sich die Zeit nehmen, Ihren Artikel gründlich zu lesen!!

Armer Gräfe!

Uns geht es körperlich gut und wir hoffen von Herzen bei Ihnen und Ihrer ganzen lieben Familie das Gleiche.

Mit herzlichsten Grüßen von Paar zu Paar Ihr stets treuer C. Bezold.

P.S. Daß Sie im letzten „Islam“ (vielen Dank dafür) sich so kräftig über Köhler öffentlich ausgesprochen haben, hat mich nun definitiv von ihm abgeschreckt!-

 

207. C. H. B. an C. Bezold. (Bonn?), 17.5.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Zu Ihrem bevorstehenden Geburtstage möchte ich nicht versäumen, Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche auszusprechen. Wie gern würde ich persönlich, wie in früheren Jahren, bei Ihnen antreten. Hoffentlich treffen wir uns bald einmal wieder, denn dieses Jahr mit seinen andersartigen Interessen hat uns noch nicht zusammenkommen lassen. Alles Gute für Ihre Gesundheit und für Ihre Arbeit!

Aus meinen beiden letzten Schriften werden Sie ersehen haben, daß die Diskussion mit Snouck ihr Ende erreicht hat. Wir haben nach Abschluß auch persönliche Briefe getauscht und betrachten auch menschlich die Sache als erledigt. Eine gewisse trübe Erinnerung wird wohl bleiben; man wird aufhören müssen in Snouck schlechthin einen der Unsrigen zu sehen, aber man wird bei aller Verschiedenheit des nationalen und politischen Standpunktes doch die alten persönlichen Beziehungen bewahren können. Mein holländischer Artikel ist von der ganzen holländischen Tagespresse übernommen worden.

Wenn Italien nicht eingreift, wie ich noch immer glaube, so wird der Krieg wohl bald zu Ende sein; aber die Zahl der Opfer, die er gefordert hat, ist auch enorm. Trauernd dachte ich dieser Tage an Walther Neumann, dessen Geburtstag ja am 14. war, und heute erhalte ich eine Todesanzeige über Eduard Meyers jüngeren Sohn. Gerade die letzten Wochen haben wieder viele Opfer gekostet, aber Gottlob geht ja alles so gut voran.

Mir geht es gesundheitlich so einigermaßen, doch ist mein altes Leiden über den Krieg nicht besser geworden. Ich habe viel Politisches geschrieben und halte Vorträge in Berlin und anderswo. Mein Kolleg ist besucht wie in Friedenszeiten: im Publikum habe ich weit über 100 Leute.

Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus und mit nochmaligen besten Wünschen bin ich Ihr Ihnen dankbar ergebener (CHB).

 

208. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 28.5.1915

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Es war mir eine große, herzliche Freude, außer Ihren mancherlei mich immer besonders interessierenden Druckschriften zum Geburtstag einen so ausführlichen und lieben Brief von Ihnen zu erhalten, und ich danke Ihnen herzlich für diesen neuen Beweis Ihrer treuen Freundschaft.

Von ganzem Herzen beruhigte es mich, daß nun die Sache mit Snouck zu einem gewissen Abschluß gebracht ist. Ich habe ihm soeben geschrieben – in altgewohnter Weise – und für seine beiden Zusendungen (holländisch und deutsch) gedankt. Freilich konnte ich ihm nicht verhehlen, daß auch mir die erste Schrift „ein Dorn im Auge und ein Schmerz in der Seele“ war; und auch mir wird die „gewisse trübe Erinnerung“ bleiben, trotz alles Djihad Akhar!

Daß Sie mit Ihrer Gesundheit noch immer nicht recht zufrieden sind, das hat mir ungeheuer leid getan. Ich hoffe aber zuversichtlich, daß gerade bei Ihrer Willensstärke dieses auf nervöser Basis entstandene Leiden bald ganz behoben sein wird; alle guten Wünsche dazu!

Wir haben unsere Rote-Kreuz-Tätigkeit mit Ostern eingestellt; denn die mancherlei Amtspflichten, die mir mit der jetzt seit Monaten andauernden schweren Erkrankung Windelbands und mit meiner Wahl in den Engeren Senat – als Prorector designatus – erwuchsen, ließen sich mit jener täglich 6 und mehr Stunden beanspruchenden und dabei geistlosen Tätigkeit nicht mehr vereinen. So widme ich denn jetzt mit doppeltem Eifer die verfügbare Zeit meinem Lexikon, der Zeitschrift, anderen Kleinigkeiten und dem Kolleg, das auch im Sommer wieder genau wie in Friedenszeiten zu Stande kam. Freilich, zur fruchtbaren Tätigkeit (ich denke an Bolls und meine astrologisch-astronomischen Studien) will es noch nicht kommen; dazu gehört eben eine andere Konzentration als sie die Kriegsnachrichten zulassen.

In den Osterferien waren wir drei Wochen am „Kohlhof“, wollen auch morgen wieder auf einige Tage dorthin. Wir hatten dort viele Besuche, u.a. auf mehrere Tage das Ehepaar Neumann, von dem die Mutter mit am allerschwersten von allen hier betroffenen Familien über den Verlust des lieben Sohnes hinwegkommt. Es ist entsetzlich, wie sich bei uns von Woche zu Woche die Trauernachrichten häufen. Und neben denen aus dem Feld hatte ich selbst noch eine besonders schmerzliche durch den Heimgang einer über alles geliebten Tante, Salesianerin im Kloster Beuergerg, womit das letzte Glied meiner mütterlichen Familie erlosch. Auch Heigels Tod hat mich nahe berührt.

Letzten Freitag waren wir beim Kartelltag der deutschen Akademien in Leipzig: eine ernste und würdige Aussprache vornehm denkender Männer. Mit Kuhn und Crusius wohnten wir im selben Hôtel. Diels und Roethe sprachen vortrefflich. Auch mit Zimmern sprach ich mich so gut wie seit lange nicht.

Ich muß hoffen, daß unser Littmann, wie er mir vor ein paar Tagen schrieb, nun eingezogen wird; und doch bangt mir grade bei dem Gedanken an ihn, wenn er einmal an die Front kommt.

In allen diesen Sorgen und Wünschen weiß ich mich eins mit Ihnen; es ist zweifellos, daß uns Freunde alle der Krieg noch enger zusammenschließt. Haben Sie nochmals Dank! Und alle guten Wünsche für Ihre Arbeit, Ihre reiche Lehrtätigkeit und obenan Ihre und der lieben Ihrigen Gesundheit! Herzlichst gegrüßt von Haus zu Haus Ihr alter treuer (gez. C. Bezold.

 

209. C. H. B. an C. Bezold. Bonn, 24.7.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Ich annonciere Ihnen, daß Sie in meinem Auftrage von Teubner ein Exemplar des Werkes „Deutschland und der Weltkrieg“ erhalten werden, zu dem ich ein Kapitel beigesteuert habe. Ich dachte mir, daß Ihnen das Ganze lieber sein werde, als ein Separatabzug.

Mit herzlichen Grüßen Ihr ergebenster (CHB)

 

210. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 1.8.1915

Lieber Freund,

Recht herzlichen Dank für Ihre lieben Zeilen vom 24.v. M. und das wunderschöne Geschenk, das vorgestern in meine Hände kam! Sie haben mir damit eine große Freude bereitet: das Buch, in dem Heidelberg (sammt Ihnen und Troeltsch!) so trefflich vertreten ist, war schon auf meinem Wunschzettel; aber – Sie wissen, wie saumselig und schwerfällig ich im Buchbestellen bin.

Ihren Artikel (und den von Troeltsch, und von Marcks) hab’ ich gleich gelesen; ich gratuliere Ihnen zu der neuen, ruhigen, sachlichen Äußerung. Auch für das neue Islam-Heft schönsten Dank: ich griff natürlich gleich zu dem Barth’schen Nekrolog: gerecht und warm! Übrigens hatte ich, da nie sein Schüler, gar nicht gewußt, daß B(arth) so streng sein konnte.

Hoffentlich sind Sie mit Ihrer und der lieben Ihrigen Gesundheit zufrieden! Haben Sie ausgereifte Ferienpläne? Wir wollten nächsten Donnerstag nach Herrenalb und freuen uns schon ungemein auf den Meister und die Seinen; Littmann will wohlmöglich auch kommen. Ca. 1.8. wollen wir zu von Müller nach Mittenwald. In der 2. Hälfte des Monats zu Kuhns nach Oberstdorf; anfangs September zurück.

Hätten Sie Zeit und Lust, sich mit einem kleinen Beitrag, 6-8 Seiten, an einer Festschrift für Kuhn zu beteiligen; soll ich Ihnen den Prospekt schicken? (Adresse 5.-10.8. Herrenalb, „Grünen Wald“) (Keine Antwort bedeutet für mich Ablehnung!)

Wann werden wir uns einmal wiedersehen? Wissen Sie noch, vorm Jahr?

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr alter treuer C. Bezold.

 

211. C. Bezold. an C. H. B. Heidelberg, 14.10.1915

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Herzlichen Dank für Ihre liebenswürdige letzte Sendung, aus der ich mit Freuden – außer Ihren fortgesetzten aktuellen Studien – ersehe, daß Sie auch der „anderen“ Zeitschrift etwas zukommen lassen, was Ihnen dort gewiß hoch angerechnet wird.

Ich hoffe, es geht Ihnen und allen den lieben Ihrigen gesundheitlich gut und Sie können dem Semester mit frohem Mut entgegensehen. Wir haben im August-September eine recht schönen Ferienmonat verlebt, teils mit Nöldekes, teils mit Müllers (Mittenwald) und teils mit Kuhns und Lüders’ (Oberstdorf). Heute wollen wir noch zu Nachferien etwas auf den Kohlhof umziehen, um dann mit frischen Kräften ins Semester steigen zu können.

Nun komme ich mit zweierlei Anliegen:

  • Der Druck der Kuhn’schen Festschrift hat begonnen und ich darf vielleicht fragen, wann Ihr freundlichst zugesagtes M(anuskript) eintreffen könnte. Wollen Sie dann so freundlich sein und es gleich Scherman schicken (Galeriestr.4, Ethnographisches Museum), da dieser die eigentliche Redaktion übernommen hat und ich nur die semitistischen Artikel einmal durchlese?
  • Und 2. Für die von Andreas und Littmann geplante kleine Festgabe für unseren Altmeister habe ich daran gedacht, einmal etwas aus unserer hiesigen Papyrisammlung zu geben, und dabei zunächst drei Stücke angesehen, die Sie in Ihrem Verzeichnis als für mich geeignet bezeichnet haben.

Es sind drei Papierstreifen, die ersten zwei, ziemlich gut erhalten, einst ein Ganzes, das vor dem „Beschriften“, wie man jetzt so schön sagt, mit einem scharfen Instrument zerschnitten wurde. Das dritte, das nicht so gut erhalten ist, fügt sich nicht an, ergiebt sich aber inhaltlich als sicher zur selben Materie gehörig.

  • Anbei finden Sie eine ganz flüchtige Übersetzung, die ich gern noch vor der Abreise zu Papier bringen wollte. Ich würde sehr gern Ihre Meinung hören, was Sie von dem Plan halten, und zwar besonders: ob Sie meinen, daß der abstruse Gegenstand unseren Scheich interessieren wird;
  • ob Sie solche koptisch-arabischen Zaubergebete auch sonst kennen, (daß auch die Abgar-Korrespondenz von den Kopten als Amulett verwertet wurde, bemerkt Leipoldt, Geschichte der Koptischen Literatur, bei Amelang, S.173 ausdrücklich)
  • und ob Sie denken, daß es sich verlohne, von den Stücken, die z. T. schlecht, ohne diakritische Punkte geschrieben sind, Photographien beizugeben.

Ich werde alle diese Fragen seinerzeit natürlich auch an Littmann stellen, wollte aber doch vorher von Ihnen als dem „Nährvater“ unserer Papyri die Sache unterbreiten.

Ich habe eventuell vor, auch noch die anderen, von Ihnen als „literarisch“, „religiös“ oder „christlich“ bezeichneten Stücke finde.

Für ein paar freundliche Antwortzeilen (bis auf weiteres nach dem Kohlhof) wäre Ihnen sehr verbunden Ihr von Haus zu Haus herzlich grüßender altgetreuer (gez.) C. Bezold.

N.B.! Dies ist der erste Brief, den ich selbst in einen Lindström’schen Parlographen gesprochen und dann davon Diktat (selbst) auf einer ganz neuen Remington (Modell Nr. 10) geschrieben habe!

 

212. C. H. B. an C. Bezold. (Bonn), 16.10.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Brief mit der schönen Schreibmaschine. Zum Parlographen kann ich mich noch nicht recht entschließen, habe es auch in Hamburg nicht gekonnt, wo er immer neben mir stand. Aber eine neue Schreibmaschine werde ich mir bald leisten müssen, da meine jetzige schmutzt. Vielleicht raten Sie mir einmal als Sachverständiger, welche ich mir am besten kaufe?

Nun zu Ihren Anliegen: Schermann hat mir geschrieben, daß er mein Manuskript für Kuhn erst Ende des Monats braucht, und ich kann es auch vorher sicher nicht fertigstellen. Ich werde das Thema behandeln: „Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere“, ein Thema, für das ich lange sammle, und das die Gedankenverbindung zwischen Ost und West an einer anderen Stelle aufzeigt, als wie es Kuhn getan hat.

Von der kleinen Festgabe für Nöldeke habe ich noch gar nichts gehört, doch darf ich als bestimmt annehmen, daß man mich zur Mitarbeit auffordern wird.

Ihren Plan, die christlichen Amulette der P.S.R. zu veröffentlichen, finde ich sehr hübsch. Die Arbeit ist allerdings nicht ganz einfach, da Sie nicht darum herumkommen werden, die ganze orientalisch-christliche und auch die späthellenistische Zauberliteratur anzusehen. Da haben Sie ja aber in Bonn eine vortreffliche Hülfe. Ich habe mich nie spezieller mit dem Gegenstand beschäftigt, doch empfehle ich Ihnen Crum’s „Catalogue of the coptic manuscripts in the Rylands library“, No.100 ff. Auch die anderen coptischen Kataloge Crums müßten Sie wohl durchsehen. Die dort verzeichnete Literatur wird ja wohl ziemlich abschließend sein. Ähnliche Bruchstücke sind wohl in allen Papyrussammlungen enthalten. Ich erinnere sie mir bestimmt in Hamburg, wo sie allerdings noch nicht geordnet sind. Auch in Berlin gibt es sicher solche. Ich glaube, daß es unmöglich ist, einigermaßen abschließend darüber zu schreiben; nur die Sammlung des Materials würde bis zum 80.Geburtstag ganz unmöglich sein. Aber jeder, der sich mit diesen Dingen beschäftigt, wird demjenigen dankbar sein, der einmal die schwierige Aufgabe auf sich nimmt, mutig ein paar Stücke herauszubringen.

Über die Bedeutung des Abgar-Briefes finden Sie ziemlich wichtige Bemerkungen im Islam, Band V, S.370ff., besonders S.380. Auf Doutte’sMagie », Canaan’s « Volksmedizin und Aberglaube im Lande der Bibel » brauche ich Sie wohl nicht aufmerksam zu machen. Ich denke mir die Arbeit besonders reizvoll für Sie, da es ja so viele abessinische Parallelen gibt und damit die geistigen Beziehungen zwischen Ägypten und Abessinien neues Licht fällt.

Ob sich allerdings der Scheich darüber freuen wird, ist schwer zu sagen; ich glaube wohl, da ihn alles interessiert, was mit dem Leben direkt zusammenhängt, und da ein wirklicher Kommentar nicht ohne Fühlungnahme mit den orientalischen Legendenkomplexen abgeht, und die haben ihn ja von jeher interessiert.

Zu A möchte ich noch bemerken, daß Absatz 3 ein reines Lehrbuch des Zauberwesens enthält. An dem Hanefiten18 nehme ich neben dem Moslim Anstoß, wie Sie es wohl auch tun. Sollte nicht ein Hanif damit gemeint sein?

Ich würde mich übrigens nicht wundern, wenn noch andere solche Stücke in den Heidelberger Papyri sind. Das große zweisprachige Stück ist wohl gar kein Amulett, doch erinnere ich mich nicht mehr sehr genau daran.

Als Probe würde ich jedenfalls eine Tafel beigeben; aber es durchaus überflüssig, alles zu photographieren. Jedenfalls haben Sie schon eine ganz respektable Leistung hinter sich, daß Sie den wesentlichen Zusammenhang des Textes festgestellt haben; denn ganz einfach war das nicht. Ihre Übersetzung darf ich wohl behalten; vielleicht fällt mir noch was dazu ein.

Wenn ich auch mitarbeite, mache ich vielleicht auch etwas Koptisch-Arabisches, nämlich die Daniel-Apokalypse in ihren Beziehungen zum Sturz der Omajaden.

Aus Konstantinopel habe ich dauern sehr interessante und ausführliche Nachrichten von F.F. Schmidt und Ritter19. Die Armeniergreuel übertreffen alles bisher Dagewesene. Der Krieg dauert zu lange für die Türkei, und es wird über kurz oder lang das deutsch-türkische Verhältnis eine ziemlich radikale Lösung finden müssen. Der Krieg und die Armeniergreuel haben die sowieso schwachen Finanzen der Türkei in einer Weise ruiniert, daß eine normale Sanierung ziemlich ausgeschlossen erscheint. Es ist allerhöchste Zeit, daß der Weg nach Konstantinopel frei wird, nicht sowohl wegen der Munition, als damit wir etwas nachdrücklicher in Konstantinopel auftreten können, um die ziemlich trostlosen inneren Verhältnisse, besonders in der Verwaltung, energisch in die Hand zu nehmen. Die Armenierfrage beginnt die frommen Kreise Deutschlands sehr erheblich zu interessieren, und namentlich von Missionskreisen aus wird scharf antitürkische Politik gearbeitet. Die Regierung scheint ratlos, wie man dem deutschen Publikum die Türkenbegeisterung erhalten soll, wo man auf die Dauer die Armeniergreuel nicht verschweigen kann20. Ich habe gerade einen Artikel an die Frankfurter Zeitung geschickt unter dem Titel „Armenier, Türken und wir“, wo ich die Stimmung zu beeinflussen suche. Ähnliche Artikel werden in der ganzen Zentrumspresse erscheinen. Das geschieht natürlich auf Verabredung, wie ich Ihnen discretissime mitteilen möchte. Ich bin neugierig, ob die Frankfurter meinen Artikel bringt. Mündlich könnte ich Ihnen mehr erzählen.

Uns geht es so weit allen gut. Freund Eisenlohr ist z. Zt. wieder hier zur Erholung von einem schweren Malariaanfall. Er hat ein buntes Kriegsleben hinter sich, in Afrika, in Gibraltar, an der Lorettohöhe und in der Champagne. Gottlob geht es ihm aber wieder recht gut. Ich bin bis Ende des Monats militärfrei, kann später aber jederzeit als Dolmetscher eingezogen werden.

Sie werden nächstens von meiner Mutter eine Rede zugeschickt erhalten, die ich am hundertsten Geburtstag meines Großvaters Schöffer in Gelnhausen gehalten habe. Da Sie das Milieu kennen, glaube ich, daß auch meine Worte Sie interessieren würden, und deshalb veranlaßte ich meine Mutter, Ihnen ein Exemplar zu schicken.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus in dankbarer Verehrung Ihr getreuer (CHB).

 

213. C. H. B. an C. Bezold. (Bonn), 30.12.1915

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Zum Neuen Jahre möchte ich Ihnen und Ihrer verehrten Gattin meinen herzlichsten Glückwunsch aussprechen. Wir wünschen uns ja alle dasselbe, da braucht es in diesem Jahre nicht vieler Worte. Dankbar blicken wir zurück auf das verflossene Jahr, und mit freudiger, sicherer Hoffnung blicken wir in das kommende.

Von mir kann ich nicht viel Neues berichten. Ich bin noch nicht militärisch eingezogen, obwohl ich als Dolmetscher gemustert bin. Inzwischen arbeite ich intensiv, meistens natürlich an Kriegsproblemen orientalischer Art; aber von Zeit zu Zeit drängt mein Herz zu einigen wissenschaftlichen Pererga, wie ich sie jetzt in der Festschrift für Kuhn und für Nöldeke niederlegen werde. Die Arbeit für Nöldeke über die koptische Daniel-Apokalypse und die Omajjaden ist etwas sehr groß geworden; aber ich hoffe doch, daß ihr Druck keine Schwierigkeiten macht. Im Januar bin ich beurlaubt, um an einem Ausbildungskursus der Deutsch-Türkischen Wirtschaftszentrale in Berlin Vorträge zu halten. Ich habe 9 Vorträge, die dann gedruckt werden sollen; außerdem halte ich einen Vortrag in der GEHE-Stiftung in Dresden, der ebenfalls gedruckt wird, noch 2-3 andere öffentliche Vorträge in Berlin und Dresden und außerdem, was aber noch Geheimnis ist, hier am 27.Januar bei der Universitätsfeier die Kaiserrede. Sie werden zugeben, daß das ein ganz nettes Arbeitsprogramm ist und verstehen, daß ich einigermaßen unter Hochdruck stehe, da ich bisher noch nicht allzuviel vorgearbeitet habe. Mein Kolleg über die Türkei wurde bisher von über 200 Leuten besucht, und auch meine Fachvorlesungen haben doch noch recht erheblichen Zuspruch. Gesundheitlich fühle ich mich arbeitsfähig und empfinde doch in dieser Hinsicht eine große Besserung nach meiner sommerlichen Kur in Frankfurt. Meine alten Beschwerden sind allerdings leider noch nicht behoben worden.

Ich muß Ihnen doch erzählen, daß der Krieg für mich auch zu einem persönlichen Krach mit Mr. Worrell geführt hat. Eine Arbeit von ihm stand im Islam im Satz, als er, der ja lange in Hamburg studiert hatte, einen so unverschämten Brief an das Hamburger Kolonialinstitut, das ihm seine Kriegspublikationen geschickt hatte, sandte, daß mir gar nichts anderes übrig blieb, als diesem Hasser Deutschlands das Gastrecht im Islam zu kündigen. Ich halte es für ausgeschlossen, daß man nach seinem Auftreten diesem aufgeblasenen Amerikaner, der sein Bestes Deutschland verdankt, in Zukunft noch irgendwo bei uns zu Wort kommen läßt. Die Akten stehen Ihnen gern zur Einsicht zur Verfügung. Auch Trübner war, als ich ihm Worrells Briefe einsandte, sofort der Meinung, daß der Satz wieder auseinandergenommen werden müsse. Worrel hatte sofort von sich aus die Rücksendung des Manuskriptes erbeten, schnappte dann allerdings nach meinem Brief noch besonders ein und schickte mir nicht nur einige ungezogene Artikel, die er in amerikanischen Zeitungen verfaßt hatte, sondern auch die Portoauslagen in internationalen Briefmarken zurück. Die Kriegspsychose scheint in Amerika noch stärker zu wüten, als in Europa. Für mich ist jedenfalls Herr Worrell erledigt.

Gottlob hat man auch erfreulichere Erlebnisse. Mit Snouck stehe ich wieder in regelmäßigem Verkehr, und durch ihn höre ich auch von meinem Freunde Massignon, der zuletzt als Dolmetscher auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz war, und der seine innere Stellung zu mir nicht im geringsten geändert hat. Ein wirklicher Gegner, zumal, wenn er es aus nationalen Notwendigkeiten ist, steht uns näher, als ein Feind in der Maske der Neutralität.

Hoffentlich sehen wir uns im neuen Jahre bald einmal wieder. Jedenfalls begleiten meine Frau und ich Sie und Ihre liebe Gattin mit herzlichen Wünschen in 1916 hinein.

In bekannter Verehrung Ihr ergebenster (CHB)

 

214. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 20.3.1916

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Seit Wochen, um nicht zu sagen Monaten, wollte ich Ihnen wieder einmal ausführlicher schreiben, um Ihnen für Ihre beiden lieben Briefe vom 16. Oktober und vom 30. Dez(ember) v.J. zu danken. Aber Sie wissen, wie das geht: die Gedanken beschäftigen sich so gern mit dem Brief; aber die Ausführung … ! Es ist also – wenigstens für mich – ganz gut, daß jetzt eine äußere Veranlassung in Form einer Bitte an Sie dazukommt, die Sie unten finden werden.

Also nochmals vielen Dank! Und ganz besonders für Ihre mancherlei Zusendungen, die ich natürlich alle mit größtem Interesse gelesen habe! Zu Ihrer schönen Kaiserrede gratuliere ich Ihnen von Herzen: das haben Sie vortrefflich gemacht und lehrreich für Jedermann, was eine Kunst ist.

Ihre Abhandlung in der Nöldeke-Festgabe zeigt, wie vortrefflich Sie mit Ihrer Zeit haushalten können, um noch solche umfangreichen Studien neben allem „Aktuellen“ zum Abschluß zu bringen.

Über den Artikel in der Kuhn-Festschrift möchte ich wohl einmal mündlich mit Ihnen sprechen: ob Sie das S.104 erwähnte „Jüdisch“ nicht doch noch tiefer einschneidet als Sie annehmen wollen usf. (auf wichtige assyrische Parallelen besinne ich mich bis jetzt allerdings vergeblich!) Kurzum, wir sollten uns einmal wieder sehen; aber wann?

Besonderen Dank schulde ich Ihnen für Ihr freundliches Eingehen auf meine Papyrusangelegenheit. Ihre Literaturnachweise waren mir in der Tat schon größtenteils bekannt (aber Canaan hätte ich ganz übersehen!) Gerade Ihre aufmunternden Worte aber ebenso wie die bald nach Ihrem Brief auch von Littmann eingetroffenen veranlassen mich, die Sache nun nicht mehr aufzugeben. Mit Littmann habe ich neulich auf dem Kohlhof meine Abschrift des Textes eingehend durchgenommen, wobei er mir eine ganze Reihe von wichtigen Lesungen an die Hand gab. Auch seither hat er noch weiteres zum Cyprianus– (nicht Kyriakos-)Gebet gefunden. (Daß die Arbeit aus technischen Gründen nicht für die Nöldeke-Festgabe vorbereitet werden konnte, haben Sie mittlerweile wohl von ihm selbst erfahren.) Ich will nun, so rasch es meine Prorektor-Tätigkeit erlaubt, noch die übrigen christlichen Papyri durchnehmen, um zu sehen, ob noch etwas ähnliches hier vorhanden ist.

Und nun komme ich heute schon wieder mit einer Bitte zu Ihnen, die unsere Facultät betrifft und für deren baldige Erfüllung Ich Ihnen sehr verbunden wäre. (Ich schreibe dies natürlich vertraulich.) Es handelt sich um den 30jährigen, zu Konstantinopel geborenen türkischen Staatsangehörigen Nathan Vitalis, Lektor für türkische Sprache an der Universität Frankfurt und an der dortigen städtischen Handelslehranstalt, der bei uns promovieren möchte. Er besuchte eine Vorschule, dann die 7klassige Schule der Alliance Israelite Universelle in Konstantinopel, ferner die dortige österreichisch-ungarische Bürgerschule sowie die Pittmann-Schule in London, war dann eine Zeit lang als Kaufmann tätig und setzte dann seine Studien an der Frankfurter Akademie für Handelswissenschaften (4 Semester) und der dortigen Universität (3 Semester) fort, wo er im Wintersemester 1914/15 die Handelslehrerprüfung mit „sehr gut“ bestand. (Das betreffende Zeugnis der Universität zensiert die „freie wissenschaftliche Arbeit“ als „ausgezeichnet“.) Dieses sein Studium wird ihm jetzt von dem ottomanischen General-Konsulat in Frankfurt bescheinigt mit dem Zusatz: „Hieraus ergibt sich, daß Herr N.V. berechtigt ist an einer türkischen Universität zu studieren“.

Wie Sie wissen, verlangen wir zur Promotion das Reifezeugnis eines Gymnasiums oder Realgymnasiums des deutschen Reiches oder einer gleichgestellten Anstalt des Auslandes. Herr V(italis) schreibt aber nun noch die Worte: „Da die französischen Schulen in der Türkei geschlossen sind, war es mir leider unmöglich ein Programm über die verschiedenen Fächer, die daselbst durchgenommen werden, hier mitzusenden, und ich selbst bin leider nicht in der Lage, eine Aufstellung hierüber zu machen, da es schon zu lang her ist, daß ich diese Schule verlassen habe.“

Wir werden aus allen diesen Dingen nicht recht klar. Darf ich Sie nun bitten, mir so bald wie möglich Ihre Ansicht zu sagen, was Sie von der Vorbildung des Herrn V(italis) halten. Sie würden dadurch mich und unsere Facultät zu herzlichem Dank verpflichten.

Die Kuhn-Feier am 7. Februar, wozu wir nach München reisten, verlief sehr nett und gemütlich. Der Jubilar hat sich offenbar über die reiche Festgabe sehr gefreut. Auf der Rückreise waren wir ein paar Stunden bei Anna von Reitzenstein in Augsburg, wo ich auch die große Freude hatte, wieder einmal mit dem Bruder und der Schwester Ihres Herrn Schwiegervaters zusammen zu sein. Nach Straßburg gingen wir nicht, da Nöldeke wegen der Trauer in der Familie ziemlich deutlich abgewinkt hatte. Desto ausführlicher mußte uns Littmann erzählen.

Und nun für heute genug. Daß Sie, Ihre liebe Gattin und Kinder unsere steten Wünsche begleiten, wissen Sie! Mit den herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus Ihr treuer (gez.) C. Bezold.

 

215. C. H. B. an C. Bezold (Bonn), 21.3.1916

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Professor!

Herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Brief und die freundliche Übersendung Ihres Beitrages zur Nöldeke-Festschrift. Ich hatte mich zwar eigentlich auf die Papyri gespitzt, war auch schon sehr neugierig, und es war der erste Aufsatz, den ich in der Festschrift aufschlug. Jedenfalls hat mich aber auch der neue Aufsatz sehr interessiert; denn diese Heiligenleben sind doch literaturgeschichtlich von allergrößter Wichtigkeit. Ob ich will oder nicht, ich werde immer in diese Zauber- und Mythenwelt hineingezogen.

Bis hierher hatte ich geschrieben, da meldet mir ein Telephongespräch die unerwartete Ankunft meines Schwiegervaters in Köln, mit dem ich auch gestern und heute den ganzen Tag zusammen bin. So verzögert sich die sofort gewünschte Antwort, was ich freundlich zu entschuldigen bitte.

Was die Alliance Israelite betrifft, so habe ich noch nie gehört, daß sie auch höhere Schulen im Orient unterhält. Es sind alles französische Schulen, die man am besten als gehobene Volksschulen bezeichnet. Ob es wirklich siebenklassige Anstalten gibt, kann ich hier nicht nachprüfen. Ich glaube nicht, daß es sich um eine Schule handelt, die einer deutschen Mittelschule entspricht. Auch scheint es mir sehr merkwürdig, daß der Doktorand sich nicht mehr erinnern will, was er in den sieben Schuljahren gelernt hat. Ich bin in doch älter und weiß noch genau, was ich in den ersten Schuljahren ungefähr gelernt habe. Bei Orientalen ist angesichts des bunten Schulwesens auch das strenge Schema der Promotionsordnung wohl überhaupt nicht durchzuführen. Der Ausdruck „gleichwertig“ trifft doch unter gar keinen Um-ständen zu. Wenn der Mann sich inzwischen bewährt hat – und ich meine mich zu erinnern, daß auch Horowitz ganz günstig über ihn sprach -, würde ich die Schönheitsfehler seiner Vorgeschichte nicht allzu stark bewerten. Sollte ich mich aber in Beziehung auf die Schulen der Alliance Israelite täuschen, so sind doch wohl die Jahresberichte der Alliance auf der Universitätsbibliothek vorhanden, zumal einer der Hauptsitze dieses Gesellschaft in Mannheim ist. Sonst wird Ihnen wohl Horowitz, Melemstraße 2, Frankfurt a/M., sowohl als Jude wie aus persönlicher Kenntnis des Kandidaten heraus zuverlässige Auskunft geben können. Für die eigentlich türkischen Schulen habe ich das ganze Gesetzesmaterial zur Hand, aber über alle die vielen europäischen Gründungen in der Türkei leider nicht. Es tut mir also aufrichtig leid, Ihnen nur eine so ungenügende Auskunft geben zu können.

Den türkischen Generalkonsul in Frankfurt kenne ich persönlich. Er hat keine Ahnung von türkischen Dingen. Trotzdem dürfte seine Bemerkung richtig sein; denn ein Mann, der sieben Semester an deutschen Hochschulen studiert hat, kann in der Türkei natürlich promovieren, da man sich über jeden freut, der sich eine Bildung angeeignet hat.

Sie haben ja nur zu Recht, daß es höchste Zeit wäre, daß wir uns endlich einmal wiedersähen. Auch Ihre Papyrus-Angelegenheit interessiert mich sehr. Ich schwankte neulich stark, ob ich nicht von Gelnhausen aus, wo ich damals kurz weilte, nach Heidelberg kommen sollte, wo ich wußte, daß auch Littmann gerade da war; aber dann überwog doch das Bedürfnis, bei meiner Mutter zu bleiben, und die Sehnsucht, möglichst schnell an die Arbeit zurückzukommen. Wie schade, daß ich Sie nicht als Prorektor in Heidelberg miterlebt habe. Hoffentlich können Sie noch einen Frieden einleiten; denn das Rektortum während des Krieges macht doch nicht halb so viel Freude als im Frieden. Wenn möglich, will ich versuchen, Sie in der ersten Hälfte April einmal zu begrüßen, da ich auf einige Tage mit der ganzen Familie nach Gelnhausen fahre, aber Ostern schon wieder in Bonn sein will. Mich ziehe auch mancherlei Interessen zu Boll.

Leider kostet mir die Zeitschrift (Der Islam) in letzter Zeit sehr viel Arbeit, und ich führe jetzt auch die Arbeit meines Schülers Ritter, der seit über einem Jahr im Orient im Stabe von v.g.Goltz ist, durch den Druck und arbeite sie um, was mich leider nicht so sehr zu dem eigentlichen Ziel dieser Ferien kommen läßt, nämlich der Schaffung eines Islam-Handbuches. In meiner Vortragstätigkeit habe ich z. Zt. auch eine Pause eintreten lassen. Hingegen sind noch eine Reihe kleinerer Artikel im Druck, die ich Ihnen bald zuzusenden hoffe, ausschließlich für Aufklärungsarbeit.

In der Türkei stand es einige Zeit recht schlecht, und die Hungersnot ist noch immer sehr groß. Das Vorrücken der Russen schien eine Zeitlang bedrohlich, doch haben mich jetzt eine Reihe von Indizien beruhigt. Von alledem hoffe ich Ihnen mündlich einmal mehr erzählen zu können.

Mit herzlichen Grüßen vom ganzen Hause, auch von meinem Schwiegervater, an Sie und Ihre Gattin Ihr Sie dankbar verehrender (CHB).

 

216. Postkarte von C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 8.5.1916

Lieber Freund,

herzlichen Dank für Ihre letzte Karte: ich fühlte, daß Sie ebenso wie ich das Wiedersehen genossen haben; das ist doch immer gegenseitig. Auch noch schönen Dank für den letzten „Islam“, für dessen regelmäßige Zusendung ich Ihnen immer aufs Neue verbunden bin, und für Ihren Ostergruß-Beitrag; da haben Sie offen und deutlich Ihre Meinung gesagt, und das halte ich für sehr gut.- Endlich folgt anbei unsere kleine Gabe für Kuhn.

Heute schreibe ich wegen zweier Dinge:

  • Erstens ist’s mir schon länger klar geworden, daß der schöne Bestallungstext, für den Sie an Ihren „Islam“ dachten, nicht griechisch, sondern koptisch-arabisch ist. Nun war neulich C. Schmidt aus Berlin hier, und dem zeigte ich ihn. Er fand ihn sehr interessant, übersetzte das meiste glatt weg. Ich bat ihn, mir bei der Herausgabe ev(entuell) zu „helfen“, was er gern tun wollte: Ist es Ihnen recht, wenn wir ihn zusammen für den Islam bearbeiten? Schmidt möchte das Original wohl für eine Zeitlang nach Berlin haben.
  • Ganz harmlos, vielleicht unvorsichtig, erwähnte ich neulich in einer Karte an Goldziher, daß ich die Papyri angesehen hätte: er schloß daraus gleich sanguinisch auf eine Fortsetzung Ihrer schönen Publikation, wovon ja gar keine Rede sein kann! Aber er meint auch, es seien auch viele „Judaeo-Arabica!, darunter (Arabisch in hebräischer Schrift, durch deren Studium er der Sammlung eventuell nützlich werden könnte; ob er solche Stücke leihweise nach Budapest bekommen könne. Ich glaube nun, hier liegt ein Mißverständnis vor; denn mir scheint, die wenigen Hebraica sind entweder Übersetzungen des umstehenden arabischen Textes oder aber davon unabhängig, enthalten aber hebräische Sprache. Ob sie jetzt soweit verschickt werden können, weiß ich noch nicht, müßte erst mit Wille reden. Jedenfalls möchte ich bei Ihnen zuerst anfragen, ob ich G(oldziher) auf grund Ihrer (und meiner) Notizen die hebräischen Nummern (?) mitteilen darf und ob Sie – worauf ich die Antwort ja eigentlich schon weiß – damit einverstanden sind, daß ev(entuell) Goldziher sie bearbeitet.

Bei mir ist die Amtstätigkeit im Vordergrund; aber es wird auch gewiß wieder anders kommen. Mit den herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus Ihr treuer C. Bezold.

 

217. C. H. B. an C. Bezold. Heidelberg, 11.5.1916

(Maschinenkopie)

Hochgeehrter Herr Professor!

Herzlichen Dank für Ihre inhaltsreiche Karte und die Übersendung Ihres und Boll’s Beitrags für die Kuhn-Festschrift. Ihre Zusammenarbeit zeitigt wundervolle Resultate.

Der schöne Bestallungstext schien mir anfänglich auch koptisch zu sein; später hat mich aber jemand belehrt, daß er griechisch sei. Ich meine, es wäre der Kopte Schmidt gewesen, doch kann ich mich irren. Es wäre mir außerordentlicherfreulich, wenn Sie und Schmidt den Text zusammen bearbeiten wollten. Im Islam ist natürlich Platz dafür, auch Geld für eine Tafel. Eine entsprechende Verkleinerung wird ja auch den arabischen Text nicht unlesbar machen.

Wenn Goldziher sich bereit finden lassen wollte, die jüdischen Stücke der Sammlung zu edieren und zu bearbeiten, so könnte mir gar nichts Erfreulicheres passieren; auch halte ich es für gänzlich unbedenklich, sie als eingeschriebene Drucksache zu verschicken.

Ich bin seit unserem Zusammensein schon zweimal in Berlin gewesen und fahre vermutlich in den nächsten Tagen wieder hin. Neulich war ich mit Littmann sehr intensiv zusammen; aber auch anderen Kollegen sehe ich gelegentlich. Ich werde Ihnen nächstens einmal ausführlich schreiben über manches, was mich beschäftigt. Heute darf ich mich auf diese wenigen Zeilen der Beantwortung Ihrer Anfragen beschränken

In bekannter Verehrung

Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB).


Berufung Beckers ins Preußische Kultusministerium, April 1916


218. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 20.5.1916

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Für zwei liebe Briefe habe ich Ihnen zu danken, was hiermit – besonders auch für die freundlichen Glückwünsche zu meinem Geburtstag – aufs herzlichste geschieht.

Aber wie wichtig sind Ihre heutigen Nachrichten – für Sie, für uns alle, für Deutschland! Ich mußte mich, wie Sie sich denken können, mit dem Gedanken Ihrer neuen Tätigkeit erst ein wenig zurechtfinden; wollte eigentlich erst morgen schreiben, und doch drängt es mich, Ihnen gleich wenigstens ein Lebenszeichen zu geben.

Obenan: innigste Glückwünsche von uns beiden für Sie und die Ihrigen! Dazu noch ganz besondere Wünsche, daß Ihre Gesundheit bei der Übernahme all’ der neuen Verpflichtungen standhalte – zu Ihrer eigenen Zufriedenheit und zum Wohl unseres Vaterlandes! Daß man bei Ihnen an den richtigen Mann gekommen ist, darüber ist überhaupt gar keine Frage. Daß man aber auch uns Orientalisten einen empfindlichen Verlust zufügt, ist ebenso klar. Denn an Ihre Rückkehr zur reinen Wissenschaft „in 5-6- Jahren“ kann ich nicht recht glauben! Ist es nicht merkwürdig, daß ich gerade am 18. Mai, als mir Geheimrat Quincke persönlich zum Geburtstag gratulierte, mit ihm des längeren von Olshausen sprach!

Sie wissen ja, wie sehr ich es begrüßt habe, daß Sie nach der anstrengenden Arbeit in Hamburg so glücklich in den Hafen der wissenschaftlichen Arbeit an einer unserer Vornehmsten Universitäten einliefen. Der Krieg hat freilich da wohl manche Ihrer Pläne geändert oder verschoben, aber die „Ruhe“ – sit venia verbo – winkte wieder mit dem Friedensschluß. Nun ist Alles anders gekommen, und ich sage es mir, es bei Ihrer speziellen Begabung und Kraft wohl so kommen müssen. Jetzt beglückwünsche ich Sie auch zu der trefflichen Schule, die Sie in Hamburg durchgemacht haben. Da war Bonn ein Ruhepunkt. Möge nun Alles glücklich weitergehen und Ihnen, woran ich durchaus nicht zweifle, die Organisation gelingen, die Ihnen selbst vorschwebt und die Sie bei Ihrer Personalkenntnis und Energie durchzusetzen gewillt sind. Die Aufgabe ist ganz großzügig und sicher voller Reiz, daß Sie auch die kleinen oder größeren Widerwärtigkeiten, die da niemand erspart bleiben können, nicht zu scheuen brauchen.

Aber wie Sie andeuten, eine „beschränkte“ Lehrtätigkeit bleibt Ihnen ja, und ich hoffe von Herzen, daß Sie immer wieder einmal mit alter Freude aus dem Referentenzimmer auf das Katheder zieht. Die Hoffnung teilen gewiß Littmann, Nöldeke und alle die „Unsrigen“. Daß auch Sie der „unsrige“ bleiben, das steht mir fest, so vielleicht noch mehr, als wenn Sie Direktor des Orientalischen Seminars in Berlin geworden wären (woran ich oft dachte) und weniger wirken könnten, als Ihnen jetzt bevorsteht.

Für heute nur nochmals alle, alle guten Wünsche von meiner Frau und Ihrem alten, treuen (gez.) C. Bezold.

 

219. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 13.8.1919

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen aus Michelstadt! Hoffentlich haben Sie und Ihr lieber Walter eine recht angenehme Ferienreise hinter sich! Wie sehr uns Ihr lieber Besuch freute, kann ich Ihnen gar nicht genug sagen. Es war ein orientalistischer Lichtschein im Halbdunkel der Fakultätssitzungen und mancher sonstiger Amtsgeschäfte!

  • Heute komme ich mit ein paar dringenden Bitten, die Sie hoffentlich rechtzeitig vor Ihrer Besprechung über die Zukunft unserer Zeitschriften erreichen. Erstens hat neulich Töpelmann wegen der ZATW bei mir als Sekretär unserer Akademie angeklopft; er fürchtet, die , Zeitschrift trotz aller Zubuße seinerseits nicht mehr über Wasser halten zu könne. Ich mußte, so wie die Verhältnisse bei uns liegen, glatt ablehnen (ebenso wie seinerzeit bei der Mischna-Ausgabe); tat es aber mit schwerem Herzen; den T(öpelmann) sind wir Semitisten wirklich zu Dank verpflichtet: er hat in der Nöldeke-Festschrift mit schweren eigenen Opfern ein Monumentum errichtet, das ihm nicht leicht Einer – und sei er auch viel begüterter – nachmachen wird. Ich bitte sehr, in diesem Sinn an T(öpelmann) zu denken.
  • 2. pro domo: wie Sie wissen, steht es um Goldzihers Gesundheit nicht zum Besten. Nun schickte er mir (durch das Wirtschaftsinstitut für den Orient) Ende Juli ein Manuskript: „Ijádat al-maríd“ von ca. 1 ¼ Bogen für Z.A. Da mir viel daran liegt, es möglichst umgehend zu Satz zu bringen, der erlaubte Raum im laufenden Heft aber schon verbraucht ist, schrieb ich an den Verleger, habe aber wegen der Unkosten eine Absage erhalten. Ich wurde daraufhin heute abermals vorstellig und hoffe, daß Trübner, wenn auch Sie Ihrerseits noch ein gutes Wort einlegen, sich erweichen lasse. Ob Ihnen freilich bei all Ihren allgemeinen Auseinandersetzungen in der betreffenden Sitzung Zeit bleiben wird, Lüdtke über eine solche private Angelegenheit zu sprechen, kann ich nicht ermessen. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es möglich machen könnten.—

Von Herrn Probsthain, der mir Ihren Brief zeigte, habe ich für unser Seminar mehrere Neuerscheinungen erworben, anderes der Bibliothek aufgebürdet. Er hat wirklich Mut, unter den jetzigen Verhältnissen eine neue Zeitschrift zu gründen.

Im September oder Oktober soll in Berlin (wohl hauptsächlich wegen des Reichsnotopfers) ein Kartelltag der deutschen Akademien stattfinden, den ich, wenn irgend möglich, besuchen will. Sie auf diese Weise bald wieder persönlich zu sehen würde sich besonders freuen Ihr von Haus zu Haus grüßender altgetreuer (gez.) C. Bezold.

 

220. C. H. B. an C .von Bezold, Bonn (Berlin?), 17.1.1920

Geheimer Regierungsrat

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Kollege!

Wider meinen Wunsch und Willen ist Ihnen frühzeitig bekannt geworden, daß in den Staatshaushaltsplan eine Ergänzungsprofessur für Sie eingestellt worden ist. Ich möchte ausdrücklich bemerken, daß es sich hierbei nicht um eine Ersatz- sondern um eine Ergänzungsprofessur handelt, und es war meine Absicht, mit Ihnen in Verbindung zu treten, ehe die

Fakultät offiziell zu Vorschlägen für diese Professur aufgefordert würde. So konnte das Vorgehen der Regierung als eine Unfreundlichkeit gegen Sie gedeutet werden. Die Absicht war aber gerade die umgekehrte. Während sonst Ersatzprofessuren eingestellt werden, handelt es sich in Ihrem Falle um eine Ergänzungsprofessur, d.h. Sie sollen nicht etwa emeritiert werden, sondern Ihre volle bisherige Stellung behalten. Es soll Ihnen nur zum Ausbau des Unterrichts und zu Ihrer persönlichen Entlastung eine volle Kraft cum spe succedendi zur Seite gestellt werden. Nachdem jetzt in den nächsten Tagen die Fakultät zu Vorschlägen für diese Professur aufgefordert werden wird, ist es mir ein persönliches Bedürfnis, Ihnen das auszusprechen und Ihnen bei der Gelegenheit zum Ausdruck bringen, daß das Kultusministerium sich vollauf der großen Verdienste bewußt ist, die Sie um Wissenschaft und Universität aufzuweisen haben., und daß wir Ihnen mit diesem neuen Kollegen nur eine Entlastung verschaffen wollen. Wir haben jetzt in der gleichen Weise auch neben den Kollegen Riehl seinen Kollegen Spranger aus Leipzig berufen, ohne daß die Wirksamkeit von Riehl dadurch eingeschränkt werden wird. Ganz unabhängig davon kann es ja allerdings möglich sein, daß im Zusammenhang mit der Besoldungsreform, die zum 1. April bevorsteht, durch Gesetz eine Emeritierung und

Pensionierung aller Beamten über 65 Jahre erfolgt; aber das ist nur auf dem Wege der Gesetz-gebung möglich und steht in keinerlei Zusammenhang mit der Begründung der Ergänzungsprofessur, die den Gegenstand dieses Briefes bildet.

Mit dem Ausdruck meiner besonderen Verehrung und verbindlicher Empfehlung, auch an Ihre verehrte Gattin, Ihr sehr ergebener (CHB).

 

221. C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 2.11.1920

(Maschinenmanuskript)

Lieber Freund!

Sehr leid hat es mir getan, daß ich Sie während meines neunstündigen Aufenthaltes in Berlin am letzten Samstag (anläßlich der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft) nicht begrüßen konnte; ich bin sofort nach der Sitzung wieder nach dem Bahnhof gezogen, da die Zeit jetzt am Semesteranfang sehr kostbar ist. Meine Karte, die ich vormittags zwischen 1o & 11 Uhr abgab (Sie lasen um diese Zeit wohl Kolleg?) haben Sie gewiß erhalten.

Heute komme ich nun in Sachen unserer Papyri zu Ihnen, nachdem mir unsere Bibliothek mitgeteilt hat, die Nummern 22-49 unserer Sammlung würden auf Ihren Rat in das Orientalische Seminar der Universität Frankfurt erbeten. Ich hatte seinerzeit dem betreffenden Herrn auf Befragen mitgeteilt, daß ich meine eigene Abschrift des „Buches“ einem anderen Fachgenossen überlassen hätte. Nun möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, daß letzterer niemand anderes ist als unser teuerer Nöldeke. Als ich im Sommer bei ihm in Karlsruhe war, brachte ich ihm meine Kopie als „Mitbringsel“, und er meinte, er wolle sich den Text einmal ansehen, sobald er vor anderen Arbeiten dazu die Zeit fände. Wie weit dies nun der Fall ist oder nächstens sein wird, darüber möchte ich ihn natürlich nicht vorwitzig fragen. Aber schade wäre es doch wohl, wenn er wirklich eine Untersuchung über den Text anstellte und ihm dann eine andere Bearbeitung dazwischenkäme. Ich überlasse es nun ganz Ihrem Ermessen, mit oder ohne Anfrage bei N(öldeke) das Weitere zu veranlassen; wenn Sie dann der Übersendung der Papyri nach Frankfurt noch weiter befürworten, so steht dieser meinerseits natürlich nicht im Wege.

Wie Ihnen vielleicht gleichfalls bekannt ist, wurde ich von anderer Seite auch befragt, ob die Judaica in unserer Papyrussammlung zugänglich seien, und mußte damals wiederum ausweichend antworten. Um die Übersendung solcher Stücke (bzw. von Judaeo-Arabica) ersuchte mich nämlich Goldziher am 12. April 1916, und ich antwortete ihm damals (20. Mai 1916): „Wie man mir auf unserer Bibliothek sagte, steht nichts im Wege, daß Du diese Stücke nach Pest bekommst, wenn auch natürlich während des Kriegs die Sicherheit der Sendung einigermaßen gefährdet erscheint. Und daß wir alle froh sind um jedes Stück, dessen Du Dich annimmst, brauche ich nicht erst zu versichern.“

Haec hactenus. Meine letzte Nachricht an Sie (von Anfang Oktober) ist wohl gut in Ihre Hände gelangt?21 Ebenso der Sonderdruck aus der Hirth-Festschrift.

Bitte, seien Sie von uns beiden der Übermittler schönster Grüße an Ihre verehrteste Gattin und seien Sie selbst herzlich gegrüßt von Ihrem alten treuen (gez.) C. Bezold.

 

222. C. H. B. an C. Bezold. (Berlin), 9.12.1920

Der Staatssekretär. (Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor.

Würden Sie wohl die Freundlichkeit haben, mir in Sachen der Nachfolge Delitzsch’s mit

Ihrem bewährten Rate zur Seite zu stehen? Die Fakultät hat uns in dieser Reihenfolge die Herren Zimmer, Meissner und Ungnad genannt. Ich habe mich etwas gewundert, daß Ihr Name auf der Liste fehlte. Ich weiß, daß man ausführlich von Ihnen gesprochen hat; aber man wird es wohl für aussichtslos gehalten haben, Sie zu gewinnen, oder man hat an Ihren fortgeschrittenen Jahren Anstoß genommen. Aber Zimmern ist doch eigentlich nur wenige Jahre jünger als Sie. Wie dem auch sei, mir kommt es jetzt vor allem darauf an, bei der Entscheidung Ihr Urteil in die Wagschale werfen zu können. Ich bin natürlich im Bilde über Ihre Beziehungen zu Meissner resp(ektive) über sein abscheuliches Verhalten Ihnen gegenüber. Aber ich weiß, daß Sie sich trotzdem ganz objektiv äußern werden. Ich habe nämlich das Gefühl, als ob man an ihm trotz aller persönlichen Bedenken nicht vorübergehen kann. Zimmern ist eigentlich schon etwas alt, wirkt vor allem noch älter als er ist, und Ungnad, dessen wissenschaftliche Leistungen ich nicht verkenne, ist keinesfalls die Persönlichkeit, die wir hier brauchen. Er hat uns mit seinen Jämmerlichkeiten hier im Ministerium über Gebühr geödet. So liegt für mich die Wahl eigentlich nur zwischen Meissner und Zimmern. Ob Zimmern überhaupt kommen würde, scheint mir sehr zweifelhaft. Jedenfalls würde ich Meissner direkt berufen, wenn auch Sie diesen Schritt für richtig halten.

Freundlichen Dank für Ihren letzten Brief, den ich in der Füller meiner Arbeiten noch nicht beantworten konnte. Die Chizanet können Sie natürlich noch länger behalten. Die Sira-Papyri müßten natürlich dem Scheich vorbehalten bleiben, doch glaube ich, daß der Interessent sie nur auf die Version hin prüfen will, so daß eine Konkurrenz nicht eintreten würde. Ich hatte übrigens gerade gestern einen langen Brief von Nöldeke, den ich heute Morgen mit einem ebenso langen beantwortet habe.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus in alter Dankbarkeit

Ihr getreuer gez. Becker.

 

223. C. H. B. an C. Bezold. (Berlin), 4.1.1921

Der Staatssekretär

(Maschinenkopie)

Hochverehrter, lieber Herr Professor.

Verbindlichen Dank für Ihre freundliche Einladung. Herr Wende und ich werden uns also erlauben, Sonntag den 9., abends um 7 ½ Uhr, bei Ihnen zu erscheinen. Was Boll betrifft, so habe ich mir überlegt, daß es doch unauffällig ist, wenn Sie ihm sagen, daß ich die Hoffnung geäußert hätte, ihn vielleicht bei dieser Gelegenheit wiederzusehen. Mich verknüpfen mit ihm ja seit langer Zeit starke gemeinsame Interessen. Herr Wende erscheint dann bloß als mein Begleiter und braucht ja gar nicht weiter erwähnt zu werden. Ich komme um 9 Uhr an, werde dann den Vormittag mit meinem Freunde Groß verbringen und bei ihm zu Mittag essen. Nach Tisch will ich zu Wolf auf die Sternwarte. Montag habe ich mir frei gehalten, um mit Wende einen Gang ins Neckartal zu machen. Hoffentlich haben wir anständiges Wetter. In herzlicher Vorfreude und mit nochmaligem Dank Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB).

 

224. A. und C. Bezold an C. H. B. Heidelberg, 21.4.1921

Zur Übernahme des Ministeriums

Wünschen Ihnen, lieber Freund, und Ihrer verehrten Gattin alles Glück, Kraft, Ausdauer und Gesundheit

Die alten treuen Heidelberger

A.und C. Bezold.


1 Carl Christian Bezold *1859 Donauwörth + 1922 Heidelberg, Professor für Assyriologie in Heidelberg seit 1894. Brockhaus 1954

2 Nachtrag: Postkarte C. Bezolds an Frau Consul J. Becker, Gelnhausen, Heidelberg, 31.10.1900:

Sehr geehrte gnädige Frau,

Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie diese Karte an Ihren Herrn Sohn beischlössen. Ich weiß nicht sicher, ob er noch in Neapel weilt, und falls er das Folgende noch nicht kennt, dürfte es ihn interessieren und freuen:

In dem mir heute zu Gesicht gekommenen July-Heft, 1900, des Journal of the Royal Asiatic Society findet sich p.570-80 eine 1 ½ Seiten lange, mit A.G.E. signirte Anzeige des Herrn Ganzt, deren letzter Absatz lautet:

„The editor, while(?) only a single MS. has been accessible to him, has done his work conscientiously and will, making the best use for critical purposes of such parallel text as were available to him. He has not presented us with the text of the book, but only with a judicious selection from it, including the purpose of Usáma. An introduction is prefixed in which are treated the origin and nature of Ibn al-Janzi’s work, with a brief survey of the (weggelocht! Secondary?) matter contained in it. The purely historical materials afforded by the book the editor proposes to discuss in another place.-

Besten Dank noch für die Übersendung eines Separatabzuges des Artikels Ihres Herrn Sohnes, und herzliche Empfehlungen an Sie und Ihre ganze werte Familie von meiner Frau und Ihrem ganz ergebensten C. Bezold.

3 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

4 Ernst von Blumenstein kehrte aus China zurück, wo er dem deutschen Expeditionskorps angehörte.

5 Leipziger Verleger

6 Aus dem Kontext wird leider nicht ersichtlich, um wen es sich handelt.

7 Bezold schreibt nunmehr an den „Herrn Universitätsprofessor“! Zumeist engbeschriebene Postkarten.

8 Rot geschrieben im Text von Bezold

9 Rot geschrieben im Text von Bezold

10 Bezold meint natürlich die Keilschrift der Assyrer, die ja Becker bei ihm studierte.

11 Im Manuskript mit einem Punkt auf dem G.

12 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

13 Muß wohl 19. heißen, denn Weihnachten waren alle wieder zu Hause! Der Herausgeber.

14 Die Liste liegt nicht bei. Der Herausgeber.

15 Rot unterstrichen im Text. Der Herausgeber.

16 Bedeutung unklar. Der Herausgeber.

17 Es handelt sich um Beckers Antwort auf die Polemik Snoucks.

18 Hanefiten, Hanafiten. Anhänger einer der vier Schulrichtungen im Islam, genannt nach ihrem Stifter Abu Hanifa (*Kufa 699, +767). Sie bilden die von der überwiegenden Mehrheit der Mohammedaner (besonders von den Türken) befolgte Richtung. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den vier orthodoxen Richtungen beziehen sich nicht auf die Glaubenslehren, sondern auf Einzelheiten der Gesetzesauslegung, der Gesetzesanwendung und des Ritus. (Brockhaus 1954 )

19 Evtl. die Autoren der drei anonymen Texte Nr.56 v.1.8.1915, 57 v.21.9.1915, 59 v.19.2.1916 im 1. Teil.

20 Hervorhebung vom Herausgeber.

21 Fehlt in den Akten. Der Herausgeber.

Dr. von Bergen, 1923-29

HA.VI. Nachl. C.H.Becker. Rep 92 B. Nr. 6370

108. C.H.B. an Botschafter in Rom beim Heiligen Stuhl von Bergen. (Berlin), 12.2.1923

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr von Bergen!

Ich möchte nicht verfehlen, von dem abschriftlich beigefügten Schreiben1 an den Apostolischen Nuntius in München vom 29. Januar d. Js. ergebenst Kenntnis zu geben, das ich aus Anlaß seiner mit Exzellenz Pacelli in München gehabten Unterredung in Angelegenheit des Reichskonkordats an ihn gerichtet habe. Wenn dieses Schreiben Ihnen auch auf amtlichem Wege übermittelt werden wird, so glaubte ich doch, in der Annahme, daß es Ihres besonderen Interesses sicher sein dürfte, es auch unmittelbar und persönlich zu Ihrer Kenntnis bringen zu sollen.

In bekannter hoher Verehrung Eurer Exzellenz ergebenster (CHB).

Durch Kurier des Auswärtigen Amtes.

 

109. Botschafter von Bergen an C.H.B. Rom, 20.2.1923

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Becker!

Gestatten Sie mir, Ihnen für Ihr gütiges mir mit dem gestrigen Kurier zugegangenes Schreiben vom 12. d. Mts. Nebst Anlagen, von denen ich mit Interesse Kenntnis genommen habe, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Der Nuntius Pacelli betreibt mit Energie das bayerische Konkordat, um bald nach Berlin übersiedeln zu können, doch scheinen sich dem Abschluß dieses Vertrages immer neue Hindernisse in den Weg zu stellen.

Mit angelegentlichen Empfehlungen verbleibe ich Ihr ganz ergebenster (gez.) Berger.

 

110. Telegramm des Botschafters von Bergen an C.H.B. Rom, 10.7.1929

Herrn Staatsminister Becker

Darf Ihnen zu erfolgreichem Abschluß Vertragswerkes meine wärmsten Glückwünsche übersenden. Bergen

Konzept der Antwort Beckers vom 10.7.1929

Germanova Rom

Herzlichen Dank für den freundlichen Glückwunsch und für Ihre dauernde wertvolle Mitarbeit. Becker.


1

Otto Dibelius, 1929/1930

VI. HA. Nachl. Becker, C.H. Nr.226

104. Otto Dibelius, Generalsuperintendent der Kurmark, an C. H. B. Berlin-Steglitz, 22.10.1929

(Handschriftlich) Kaiser-WilhelmStr.11

Sehr verehrter Herr Staatsminister!

Ich habe die räumliche Nachbarschaft, in der ich mich zu Ihrem Hause befinde, noch niemals zu einem amtlichen Anliegen benutzt. Wenn ich es heute um des Joachimsthalschen Gymnasiums willen tue, so geschieht es, weil ich weiß, daß auch Sie an dieser Anstalt besonderes Interesse nehmen und weil mir für meine Kurmark unendlich viel an dieser alten Bildungsstätte liegt – ganz besonders auch um meiner Pfarrer willen, die dort ihre Söhne haben und denen es ein sehr ernstes Anliegen ist, daß dort die rechten Erzieherhände walten. Es war mir eine Freude, daß ich dem Provinzialschulkollegium, als es sich um den Geistlichen Inspektor handelte, zwei junge, treffliche Leute nennen konnte, zu deren pädagogischer und pastoraler Qualifikation man volles Vertrauen haben konnte. Jetzt geht es um den Direktor. Den Befürchtungen, die in der Uckermark umgehen, bin ich mit Bestimmtheit entgegengetreten, weil ich überzeugt bin, daß die Kultusverwaltung bei ihrer Wahl dem Charakter der Anstalt verständnisvoll Rechnung tragen wird. Aber Sie werden es gewiß verstehen, daß ich gerade deshalb, weil ich Vertrauen zur Kultusverwaltung gefordert habe, nun auch die Bitte aussprechen möchte: schicken Sie uns einen Mann, der der christlich-humanistischen Tradition des Joachimsthalschen Gymnasiums mit demselben innerlichen Verständnis gegenübersteht wie es der bisherige ausgezeichnete Direktor getan hat! Und wenn es irgend möglich ist, wieder eine unpolitische Persönlichkeit! Nirgends habe ich es so schwer, die Überparteilichkeit der evangelischen Kirche durchzusetzen, wie in der Uckermarck. Ich würde unendlich dankbar sein, wenn das Joachimsthalsche Gymnasium in die politischen Gegensätze nicht hineingezogen würde, sondern die Insel christlich-humanistischen Erziehungsfriedens bleiben könnte, die es bisher gewesen ist.

In aufrichtiger Verehrung Ihr ganz ergebener (gez.) Dibelius.

 

105. C. H. B. an Otto Dibelius. Berlin, 23.10.1929

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr General-Superintendent!

Freundlichen Dank für Ihre Zeilen in Angelegenheit der Direktorstelle des Joachimsthal’schen Gymnasiums. Ich habe Ihren Brief zum Anlaß genommen, mit meinen Herren die Angelegenheit zu besprechen und von ihnen erfahren, daß Gerüchte im Umlauf sein sollten, ich beabsichtigte einen Dissidenten zum Direktor in Joachimsthal zu machen. Uns ist allen völlig unverständlich, wie ein derartiges Gerücht entstehen konnte. Ich suche einen möglichst hochqualifizierten Direktor und wollte mich deshalb nicht mit den üblichen Listenvorschlägen abfinden. Ich habe eine Rundfrage bei Universitätsprofessoren und den Provinzialschulkollegien auch anderer Provinzen gemacht, um für diese wichtige Stelle einen möglichst hochqualifizerten Mann zu bekommen. Die Antworten sind noch nicht alle eingegangen und zurzeit existiert überhaupt noch keinerlei Kandidat für diesen Posten. Daß bei der Neubesetzung des Direktorpostens das Schülermilieu und die Tradition der Anstalt berücksichtigt werden müssen, versteht sich für mich von selbst.

In ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener (CHB).

 

106. C. H. B. an Otto Dibelius (Berlin), 15.5.1930

(Staatsminister a.D.) (Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Generalsuperintendent!

Wie ich höre, feiern Sie heute Ihren 50. Geburtstag. Da ich selbst vor wenigen Jahren diesen Tag mit einer gewissen intimen Feierlichkeit begangen habe, weiß ich, was die Vollendung eines halben Jahrhunderts für einen geistig lebendigen Menschen bedeutet. In unserem Alter kann man ja Gottlob den Blick noch mehr nach vorn als nach rückwärts richten, und der 50. Geburtstag ist kaum der Anlaß zu einer Rückschau, sondern eher ein Moment der Sammlung zu neuem Vorstoß in die Weiten der Arbeit und in die Fülle des Lebens. Ich wünsche Ihnen Kraft, Freude und Gesundheit für die kommenden Jahrzehnte.

In nachbarschaftliche Verbundenheit und mit verbindlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr sehr ergebenster (CHB).

 

107. Otto Dibelius an C. H. B. Berlin, 17.5.1930

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Haben Sie herzlichen Dank für Ihren so freundlichen Gruß zu meinem Geburtstag! Früher wurde von einem 50. Geburtstag noch nicht Notiz genommen. Man gab dem Leben mehr Zeit, seine Früchte reifen zu lassen. Heute hat man es eiliger. Wenigstens in der Öffentlichkeit. Für unsereinen aber kann solch ein Tag nur eine Mahnung sein, den Tag zu nutzen, an dem man noch wirken kann. Und wenn diese Wirksamkeit von freundlicher und verständnisvoller anderer begleitet wird, dann ist das freilich ein Geschenk, für das ich aufrichtig dankbar bin.

Mit herzlicher Empfehlung von Haus zu Haus Ihr ganz ergebenster (gez.) Dibelius

Deutsche Kolonialgesellschaft, 1909-1933

HA.VI. Nachl. C.H.Becker. Nr. 191

 

95. C. H. B. an die Abteilung Hamburg der Deutschen Kolonialgesellschaft.

Hamburg, 7.5.1909

(Maschinenkopie)

Der gehorsamst Unterfertigte bittet die Abteilung Hamburg der Deutschen Kolonialgesell-schaft, eine Unterstützung der „Enzyklopädie des Islam“ bei dem Gesamtvorstande zu befürworten respektive zu beantragen.

Die „Enzyklopädie des Islam“ ist ein gleichzeitig in deutsch, französisch und englisch erscheinendes geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker und wird im Auftrage der Association des Academies von einem internationalen Komitee und unter Mitarbeit aller namentlich auch deutscher Orientalisten

herausgegeben. Das großzügige Unternehmen, das eine entschiedene Lücke ausfüllt und das bestimmt ist namentlich auch bei praktischen Kolonialzwecken als ein wichtiges Nachschlagebuch zu dienen, ist im Jahre 1903 auf dem 13. Internationalen Orientalisten-Kongreß unter Vorsitz von Senior Behrmann in Hamburg beschlossen wurden. Unter großem Beifall der wissenschaftlichen Welt sind bisher drei Faszikel erschienen. Nun aber ist das Werk ins Stocken geraten, weil die Aufgabe sich bei der Durchführung als größer und vor allem kostspieliger erwies, als man anfangs glaubte, annehmen zu dürfen; und weil auch zum Teil die Unterstützungen ausblieben, auf die man gerechnet hatte. Namentlich Deutschland ist bisher nur jährlich mit 500 Mark vertreten, während England mit jährlich 4000, Frankreich, Holland und Österreich-Ungarn mit fast ebenso großen, andere Länder mit geringeren Summen vertreten sind. Das Nähere über die finanzielle Grundlage des Unternehmens ist aus den beigefügten offiziellen Berichten zu ersehen. Das finanzielle Versagen Deutschland ist umso peinlicher, als das Werk in Deutschland beschlossen wurde, in deutsch als Hauptsprache erscheint und die Honorare zum guten Teil an deutsche Gelehrte bezahlt werden.; es wird aber zu einer Gefahr für das ganze Unternehmen, da es ein Weitererscheinen des ganzen Werkes überhaupt in Frage stellt. Deshalb hat sich das Internationale Komitee an den Unterzeichneten gewandt mit der Bitte, in Deutschland für finanzielle Unterstützung des Unternehmens Propaganda zu machen.

Da die Bedeutung des Islam für unsere Kolonien Ostafrika, Togo und Kamerun immer mehr begriffen wird, da jetzt sogar unsere Beamten spezielle Islamkurse durchmachen müssen, gehört eine Förderung unserer Kenntnisse des Islam zweifellos zu den ideellen Aufgaben der Kolonialgesellschaft. Deshalb wende ich mich an die Abteilung mit der Bitte, das vielversprechende Unternehmen der Gesellschaft für eine Subvention von etwa 1000 Mark zu empfehlen. Wenn auch zunächst nur eine einmalige Bewilligung möglich ist, so hoffe ich doch meinen Antrag später erneuern zu dürfen. Sollten die laufenden Mittel der Gesellschaft versagen, könnte vielleicht der Lotteriefonds in Anspruch genommen werden.

Da in den schwierigen Zeiten der Finanzreform eine Subvention des Reiches oder Preußens nicht zu erwarten steht, da auch die preußische Akademie auf Grund ihrer Finanzlage höchstens zu einer geringen Subvention imstande ist, bleibt zu hoffen, daß große Privatgesellschaften in die Bresche springen und Deutschland in diesem internationalen Unternehmen die Stellung ermöglichen, die es kraft seiner Beziehungen zur islamischen Welt bei der Fundierung eines solchen Unternehmens einnehmen müßte. Die Abteilung Hamburg ist besonders dazu berufen, diesen Antrag zu stellen, da Hamburg seinerseits so unendlich viel für die Kolonien tut und Hamburg die Mutterstadt der Enzyklopädie des Islam ist.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst (CHB) Professor am Kolonialinstitut.

 

96. Abteilung Hamburg der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) an C. H. B.

Hamburg, 8.5.1909

Sehr geehrter Herr Professor Becker!

Den Antrag an die Kolonialgesellschaft habe ich soeben unterzeichnet. Er wird heute nebst den 3 Heften der Enzyklopädie und Abschriften1 der mir anvertrauten und anbei zurückfolgenden Berichte nach Berlin abgehen. Es dürfte nunmehr angezeigt sein, daß Sie Herrn Vohsen für den Antrag zu gewinnen suchen.

Mit hochachtungsvollem Gruß Ihr ergebener (gez.) Dr. L. Friedrichsen.

 

97. DKG Hamburg an C.H.B. Hamburg, 3.9.1909

(Maschinenmanuskript)

Geehrter Herr Professor!

Die auf unseren Antrag von der DKG zur Unterstützung der Enzyklopädie des Islam bewilligten 1000 Mark sind am 1. d. Mts. Bei unserem Kassenführer eingegangen. Unter Bezugnahme auf Ihr an unsere Abteilung gerichtetes Gesuch vom 7. Mai d.J. bitte ich höflich, eine Verfügung über diesen Betrag zu dem bezeichneten Zweck gefällig herbeiführen zu wollen.

Das in derselben Angelegenheit an den Verwaltungsrat der Wohlfahrtslotterie zu Zwecken der Deutschen Schutzgebiete von unserem Herrn Vorsitzenden gerichtete Unterstützungsgesuch ist noch nicht erledigt; weitere Mitteilung bleibt vorbehalten.

In vorzüglicher Hochachtung (gez.) Kähne, Schriftführer der Abteilung Hamburg der DKG

 

98. DKG an C. H. B., Hamburg Berlin, 19.9.1910

(Maschinenmanuskript)

Herrn Professor C.H. Becker, Herausgeber des „Islam

Wir interessieren uns für die von Ihnen herausgegebene Zeitschrift „Der Islam“, da sie in vielen Punkten sich mit kolonialen Fragen berührt. Eine Reihe von Aufsätzen werden wir in der alljährlich erscheinenden Übersicht „Die Deutsche Kolonialliteratur“, die der Unterzeichnete herausgibt, aufnehmen.

Es sei uns gestattet, Ihnen den Vorschlag zu machen, mit unseren Veröffentlichungen in einen Tauschverkehr zu treten. Wir erklären uns bereits, Ihnen die Wochenschrift „Deutsche Kolonialzeitung“ und die Monatsschrift „Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft“ zuzusenden und sehen Ihrerseits der Überweisung des „Islam“ entgegen.

Schriftleitung der Deutschen Kolonialzeitung. Usw.(gez.) Henos.

 

99. C. H. B. an Dr. L. Friedrichsen, DKG Hamburg. Hamburg, 3.10.1910

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Doktor!

In höflicher Erwiderung Ihres Schreibens vom 1. Oktober erkläre ich mich bereit, am Sonnabend, den 12. November im Kreise der Kolonialgesellschaft einen Vortrag zu halten. Als Titel möchte ich vorschlagen:

Die Araber als Kolonisatoren.

Mit dem Ausdruck meiner Hochachtung in bekannter Verehrung

Ihr sehr ergebener (CHB)

 

100. C. H. B. an DKG, Hamburg . Hamburg, 3.11.1910

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Rat!2

Ich werde Ihnen gern eine kurze Inhaltsangabe meines Vortrages für die Zeitungen und Ihren Jahresbericht zur Verfügung stellen. Ich bin dazu aber natürlich erst in der Lage, wenn ich meinen Vortrag gemacht habe, das geschieht aber immer erst in den letzten Tagen bevor er gehalten wird.

Mit vorzüglicher Hochachtung Ir sehr ergebener (CHB)

 

101. DKG London an C. H. B. (London), Februar 1912

Bericht über das Jahr 1911

Sehr geehrter Herr!

Die Zahl unserer Mitglieder ist im verflossenen Jahr von 167 auf 190 gestiegen. Der Besuch der Vortragsabende war durchweg gut. Die Jahresabrechnung wurde von Herrn G. Rose geprüft und richtig befunden.

Es fanden fünf Vorträge statt:

  • 10. Februar (1911): Egon Fr. Kirchstein über „Auf Zentralafrikas Feuerbergen, Erlebnisse und Forschungen in der Vulkanwelt am Kiwu-See“ (mit Lichtbildern.
  • 29. März: Sir I.D.Rees, KCIE, CVO, über „Indien, Probleme der Gegenwart“ in englischer Sprache.
  • 6. Mai: Professor Dr. C.H. Becker vom Hamburgischen Kolonialinstitut über

Der Islam und die Kolonisierung Afrikas“.

  • 7.Oktober: Frau Margarete von Eckenbrecher über „Reise und Jagderlebnisse in Deutsch-Ostafrika“ (mit Lichtbildern)
  • 2. Dezember: (Anläßlich der Feier des 25jährigen Bestehens der Abteilung) Dr. C.R. Hennings über „Unsere deutschen Kolonien“.

(Rest vom Hg. weggelassen. Interessant vielleicht noch der Jahresbeitrag von 10 shilling, wovon 8 Mark an die Zentrale gehen für die Zeitung.)

 

102. C.H. B. an DKG Hamburg Hamburg, 24.5.1912

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Rat!

In der Beantwortung Ihrer geschätzten Zuschrift über Dr. Grothe und das Deutsche Vorderasienkomitee kann ich mich nur der Äußerung des Herrn Dr. Friederichsen und der Ihrigen rückhaltlos anschließen, d.h. ich habe bei Dr. Grothe stets gewisse Bedenken, sehe aber nicht ein, warum er nicht als Redner für die Kolonialgesellschaft tätig sein soll, ja ich halte ihn sogar für nicht ungeeignet für diese Aufgabe. Soviel über diesen persönlichen Punkt.

Was das Vorderasienkomitee betrifft, so stehe ich auf dem Standpunkt, daß man alle Betätigungen des Deutschtums im Auslande unterstützen soll. Auch ist der Beitrag nicht hoch und man bekommt dafür die Beiträge zur Kenntnis des Orients, die meist einige ganz gute Aufsätze enthalten. Vor kurzem bat mich Dr. Grothe, in den Vorstand des Komitees einzutreten, doch habe ich es abgelehnt, offiziell mit der Begründung, daß ich in den Vorstand derartiger Gesellschaften nicht nur als dekoratives Moment wirken möchte, in Wirklichkeit aber, weil mir eine nahe Zusammenarbeit mit Dr. Grothe und Martin Hartmann, der sicher seinerzeit auch sehr dafür interessiert hatte, nicht sympathisch war.

Indem ich Sie bitte, diese offene Äußerung als diskret zu betrachten, zeichne ich mit vorzüglicher Hochachtung als Ihr sehr ergebener (CHB).

 

103. C. H. B. an DKG, Berlin (Berlin), 24.1.1931

(Maschinenkopie)

Der Unterzeichnete bittet, ihn aus der Liste der Mitglieder der Deutschen Kolonialgesellschaft streichen zu wollen.

Hochachtungsvoll ergebenst (CHB).


1 Vom Herausgeber nicht abgedruckt.

2 Es handelt sich wohl um den Herrn Rat Dr. Kähne vom Senat. Vgl. Brief vom 12.5.1912

Deutsche Demokratische Partei, 1921-1930

HA VI. Nl. C. H. Becker. Nr. 184

75. Robert Jansen MdL an C.H.B. Berlin, 20.5.1921

Hochverehrter Herr Minister!

In der Anlage übersende ich Ihnen ein Schreiben des Herrn Dr. Fritz Brüggemann, das er an die Abgeordnete Fräulein Dr. Lüders gerichtet hatte und das mir zur weiteren Veranlassung übergeben worden ist. Herr Dr. Brüggemann beruft sich darauf, daß Sie über die Angelegenheit, die er in seinem Schreiben behandelt, schon früher unterrichtet worden seien. Ich würde Ihnen zu Dank verpflichtet sein, wenn Sie dem Inhalt des Schreibens einige Augenblicke widmen wollten.

In vorzüglicher Hochachtung (gez.) Robert Jansen

MdL und Hauptgeschäftsführer der Deutschen Demokratischen Partei

Anmerkung TR(endelenburg?) vom 25.5.:

Dem Herrn Referenten mit der Bitte um gefl. Äußerung wegen Prof. Herrmann, dessen Berufung auch vom Herrn Reg(ierungs)präs(identen) befürwortet.

Wegen des Deutschen Instituts (Lehrauftrag und einmalige Zuwendung) ist das Erforderliche unsererseits verfügt. Tr 25.5.

Anlage:

Dr. Fritz Brüggemann, Privatdozent an der TH Aachen an Dr. Maria Elisabeth Lüders, MdR (Demokratische Fraktion) Aachen, 4.4.1921

(Maschinenmanuskript) Vermerk MK: EILT

Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!

Seitdem das Loch im Westen geschlossen ist, hat sich die Verwelschungsgefahr für Aachen sehr gemindert. Von einem Koramieren1 der Bevölkerung mit den Truppen der Besatzung ist auch bei den unteren Bevölkerungskreisen kaum die Rede. Aber wir wissen nicht, welchen Zeiten wir entgegengehen, und müssen daher beständig auf der Hut sein und für alle Fälle

Gegenmaßregeln treffen. Sollte jetzt mit der neuen Zollregelung sich das Loch im Westen wieder für uns öffnen, dann entsteht die Verwelschungsgefahr mit einem Schlage wieder in dem ganzen Umfang, in dem wir sie vor einem Jahre hier gehabt haben. Wir werden wieder von französisch sprechender Zivilbevölkerung überschwemmt, die zu Handelszwecken nach Aachen kommt, das ganze Wirtschaftsleben muß sich wieder auf die französisch sprechende Kundschaft einstellen, kein junges Mädchen und kein junger Mann kann dann wieder in einem Laden eine Anstellung finden, der nicht der französischen Sprache mächtig ist. Französische Theateraufführungen werden wieder rentabel und deshalb auch von den Besatzungsbehörden eingerichtet, und die jungen Leute besuchen sie, schon um sich in der französischen Sprache zu vervollkommnen. Die weiteren Folgen brauche ich nicht auszumalen. Wir müssen deshalb hier für die Pflege und Erhaltung des Deutschtums tätig bleiben, um gegebenen Falls an den inzwischen getroffenen Einrichtungen einen Rückhalt zu haben. Dazu ist es vor allen Dingen notwendig, Männer und Frauen herzubekommen, die in diesem Sinne wirken können.

Aus diesem Gesichtspunkt heraus hatte ich der Hochschule vorgeschlagen, eine Berufung des Historikers Prof. Dr. Alfred Herrmann an die Hochschule beim Ministerium zu beantragen. Herrmann war Professor an der Akademie in Posen und hat sich dort hervorragend als Vorkämpfer für deutsche Kultur bewährt, er bezieht von dieser Stellung her noch für die nächsten fünf Jahre ein Staatsgehalt und hat inzwischen eine Stellung als Redakteur der Oldenburgischen Landeszeitung angenommen. Er möchte aber gerne zur akademischen Lehrtätigkeit zurückkehren und ist geneigt, einem Ruf nach Aachen zu folgen, wenn ihm wirtschaftlich die erforderlichen Sicherheiten geboten werden, um eine Lebensstellung, wie er sie inne hat, aufgeben zu können. Staatssekretär Becker, der Herrmann von Bonn her von gemeinsamer Lehrtätigkeit gut kennt und schätzt, hat meinen Vorschlag, wie ich weiß, lebhaft begrüßt.2 Ein entsprechender Antrag wurde auch von der Hochschule am 7. Dezember (1920) an das Kultusministerium gestellt. Nun verhandelt man schon vier Monate, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Man glaubt die Bedingungen Herrmanns nicht erfüllen zu können, weil natürlich gespart werden muß. Aber es fragt sich doch, ob hier nicht sehr am falschen Platze gespart wird. Vor allen Dingen fehlt im Ministerium, wie es scheint, das rechte Verständnis für die Aktualität eines Entschlusses von politischen Motiven. Kommt die Berufung von Herrmann noch jetzt zustande – aber ohne eine wirksame Nachhülfe wird das nicht der Fall sein – so wird ihre Wirkung schon heute nicht mehr die sein, wie wenn Herrmann bereits drei Monate hier gewirkt hätte, wenn das Loch im Westen sich wiederöffnen wird. Herrmann will, soviel ich weiß, nur als ordentlicher Professor nach Aachen kommen, und darin hat er auch ganz recht, denn nur als solcher kann er den Einfluß ausüben in der Abteilung für allgemeine Wissenschaften, der ihm die Wirksamkeit ermöglichte, um deretwillen er hier erwünscht wäre. Will man keine neue Professur für Geschichte schaffen, dann kann man doch vielleicht für Herrmann eine persönliche Professur3 einrichten, die nach seinem Fortgang nicht wieder besetzt zu werden braucht.

Sie sind im Oktober vorigen Jahres in der „Hilfe“ so freundlich für das Deutsche Institut eingetreten, indem Sie die Notwendigkeit des Ausbaus zum kulturwissenschaftlichen Institut betonten und die staatliche Subventionierung für notwendig erklärten. Auch diesbezüglich sind Anträge von der Hochschule am 23. Dezember (1920) an das Ministerium gerichtet worden, aber geschehen ist bis heute nichts, wiewohl mir seit Oktober, als Staatssekretär Becker hier war und sich von den Verhältnissen überzeugt hatte, von Monat zu Monat erneute Versicherungen von Vertretern des Ministeriums gemacht worden sind, daß die Unterstützung eine beschlossene Sache wäre. Ich fürchte, daß die Hülfe nun zu spät kommt, da meine persönliche wirtschaftliche Lage mich einfach dazu zwingt, meine reichhaltige Bibliothek zu verkaufen, aus der das Institut vorläufig besteht, und dann ist das Institut vernichtet.

Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie in diesen verschiedenen Angelegenheiten einmal vermittelnd eingreifen würden oder, wenn Sie persönlich nicht dazu in der Lage sein sollten, dieses Schreiben als material einer zuständigen Stelle zugehen lassen würden.

Mit freundlichem Gruß Ihr ganz ergebener (gez.) Fritz Brüggemann.

Handschriftlicher Nachtrag:

Auch in der Sache des Deutschen Instituts zeigt sich das mangelnde Verständnis für die Aktualität der Politik. Hinter dem Deutschen Institut steht eine „Gesellschaft für deutsche Literaturund Kulturgeschichte im Regierungsbezirk Aachen“, die seit Monaten auf die Entschließung der Regierung hinsichtlich des Institutes wartet und dadurch in ihren eigenen Entschlüssen und Wirksamkeit durch die Verzögerung des Ministeriums völlig brach gelegt ist. F.B.

 

76. Dr. Fritz Brüggemann an C.H.B. Aachen, 1.6.1921

(Maschinenmanuskript)

Euer Excellenz!

Wochen- und wochenlang habe ich es mir überlegt, ob ich mich als Leiter des von mir ins Leben gerufenen Deutschen Instituts an der Technischen Hochschule Aachen persönlich an Excellenz wenden darf. Nachdem jetzt aber alle offiziellen Wege ohne praktisches Ergebnis erschöpft sind, bleibt mir nichts mehr anderes übrig. Wir haben heute den 1. Juni, und ich habe daher heute alle periodischen Publikationen, die bisher für das Deutsche Institut bezogen wurden, zum 1. Juli kündigen müssen, da ich nicht mehr in der Lage bin, die Kosten für die dieselben aus meiner eigenen Tasche zu tragen, noch sie aus anderen Privatmitteln zu bestreiten. Eine Staatshülfe ist aber bis zur Stunde ausgeblieben, wiewohl nun schon dreiviertel Jahr Monat für Monat teils in Berlin, teils hier in Aachen immer erneute Zusicherungen ausgesprochen worden sind, daß eine staatliche Subvention erfolgen werde. Praktisch sind wir noch nicht einen Schritt weiter als am 24. Oktober vorigen Jahres, als Excellenz die Freundlichkeit hatten, das Institut zu besichtigen und gutzuheißen. Leider muß ich sogar bekennen, daß wir durch die nicht realisierten Zusicherungen nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu benachteiligt worden sind; denn es sind Freunde des Instituts, die geneigt waren, dasselbe zu unterstützen, durch die ausbleibende Staatsunterstützung stutzig geworden, ob das Unternehmen auch der Unterstützung wert sei.

Vor allen Dingen war im vergangenen Jahr eine besondere Gesellschaft in der Bildung begriffen, die nicht nur Mittel aus privaten Kreisen zur Förderung des Instituts sammeln wollte, sondern die besonders auch gestützt auf das Deutsche Institut Bestrebungen zur Erhaltung und Verbreitung deutscher Kultur in der hiesigen Grenzmark pflegen wollte. Die Konstituierung der Gesellschaft kam aber nicht zustande, weil die beteiligten Herren abzuwarten wünschten, ob der Erlaß des Ministeriums zur Unterstützung des Instituts sich mehr für ein Deutsches oder ein allgemein Kulturwissenschaftliches4 Institut erklären würde. Danach sollten sich die eigenen Bestrebungen der Gesellschaft richten. Der vorbereitende Ausschuß der Gesellschaft wartet nun schon bald ein ganzes Jahr auf diese Entscheidung des Ministeriums, und diese ganze kostbare Zeit ist für eine sehr segensreiche Arbeit der Gesellschaft verloren gegangen. Die Lust und Liebe zur Sache wurde dadurch nicht gestärkt. Auch hier habe ich viel Vertrauen zu den von mir angeregten Bestrebungen durch die Verzögerung der in Aussicht gestellten Staatsunterstützung eingebüßt. Die Hochschule selbst hat nichts unversucht gelassen, eine Entscheidung des Ministeriums zu veranlassen. Immer wieder wurde versichert, daß Mittel bewilligt seien, aber der offizielle Erlaß blieb bis zur Stunde aus. Es wird sicher nur eines Wortes von Excellenz bedürfen, um die Ausführung des angeblich vorliegenden Beschlusses zu bewerkstelligen. Ich wende mich daher vertrauensvoll an Excellenz mit der Bitte, der von mir vertretenen Sache diese freundliche Hilfe nicht zu versagen. Das Interesse der Studentenschaft an den Einrichtungen ist beständig im Wachsen.

Mit verbindlichem Gruß Euer Excellenz ganz ergebener (gez.) Fritz Brüggemann.

Anmerkung Beckers: Herrn MR Trendelenburg Bitte um Rücksprache. B. 3.6.

 

77. C.H.B. an Robert Jansen, MdL-DDP Berlin, 4.8.1921

(Maschinenkopie, Entwurf mit handschriftlichen Veränderungen)

Sehr verehrter Herr Jansen!

In Erwiderung des gefl. Schreibens vom 20.Mai d. J. teile ich Ihnen ergebenst mir, daß dem Antrage des Herrn Privatdozenten Dr. Brüggemann in Aachen auf finanzielle Unterstützung des von ihm geleiteten Instituts bei der Technischen Hochschule in Aachen inzwischen durch die Gewährung einer Beihilfe von 30 000 M(ark) entsprochen worden ist.

Was den mir bestens bekannten früheren Kollegen Professor Dr. Herrmann anlangt, so steht für ihn eine Professur an der Technischen Hochschule in Aachen nicht zur Verfügung. Meine Absicht, die Mittel für eine künftig fortfallende Professur flüssig zu machen, mußte im Hinblick auf die gegenwärtige trostlose Finanzlage aufgegeben werden. Es käme also nur die Erteilung eines Lehrauftrages in Frage.. Eine solche Regelung würde aber, wie auch Dr. Brüggemann selbst betont, dem Professor nicht genügen. Unter diesen Umständen sehe ich zu meinem großen Bedauern gegenwärtig keine Möglichkeit, in dieser Sache etwas zu tun. Ich werde sie aber auch weiterhin im Auge behalten und würde mich freuen, wenn sich schließlich doch noch ein Weg finden sollte, diesem tüchtigen Gelehrten und Lehrer der akademischen Laufbahn zu erhalten.

In größter Hochachtung (gez.) B.

Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung.

 

78. DDP an C. H. B. Berlin, 9.10.1925

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Minister!

Ich bin in der peinlichsten Verlegenheit. Für den 19. (Oktober) ist es unmöglich, noch einen Saal zu beschaffen, der groß und würdig wäre, die 1500 bis 2000 Männer und Frauen, die durchweg den gebildeten Schichten der Berliner Bevölkerung angehören, zu fassen.

Gibt es wirklich keine Möglichkeit, daß Sie am 20. abends uns eine Stunde opfern, so wäre ich gezwungen die Kundgebung ausfallen zu lassen, was ich im Interesse der Partei außerordentlich bedauern müßte.

Vielleicht haben Sie einmal die große Güte, mir auf beigefügter Karte einen Ausweg zu zeigen.

Mit vorzüglicher Hochachtung sehr ergebenst (gez.) Merten.

Anmerkung Beckers: Herrn ORR Duve: Fällt nun die Sache aus? B 15.10

Anmerkung Duves: Ja lt. Schreiben vom 15.10.

 

79. DDP an C. H. B. Berlin, 9.10.1925

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Minister!

Soeben erfahre ich von dem Kollegen Bohner, daß Sie grundsätzlich bereit sind, zu einer demokratischen Versammlung über ein von Ihnen selbst zu formulierendes Thema zu sprechen. Ich danke Ihnen verbindlichst für das außerordentliche Opfer, das Sie damit der Partei bringen und bitte ergebenst, auf der beigefügten Karte das Thema anzugeben.

Nun ist allerdings dem Herrn Bohner insofern ein Irrtum unterlaufen, als die Versammlung nicht am 21., sondern am 20. Oktober im Kaisersaal des Rheingold stattfinden soll. Ich nehme an, daß auch Dienstag der 20. Ihnen noch genehm ist. Daß der Eintritt nur gegen Karten erfolgt, möchte ich noch besonders betonen.

Indem ich mich der Hoffnung hingebe, auch für diesen Tag eine Zusage von Ihnen zu erhalten zeichne ich mit vorzüglicher Hochachtung sehr ergebenst (gez.) Merten, MdL

Anmerkung Duves: 20.10. Einladung zu Schmidt-Ott.

Abschrift der Antwort (vom Herrn Minister eigenhändig geschrieben):

Berlin, den 9.10.1925

Hochverehrter Herr Oberregierungsrat!

Leider ist mir der 20. und 21. völlig unmöglich. Herrn Dr. Bohner gegenüber verpflichtet, am 19.ten zu sprechen.

Thema: Kulturpolitische Fragen der Gegenwart.

Ich hoffe, daß der 19.te auch möglich ist.

Mit verbindlicher Empfehlung Ihr ergebenster (gez.) Becker

 

80. DDP an C. H. B. Berlin, 15.10.1925

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Minister!

Es ist trotz allen Versuchen nicht möglich gewesen, für den 19. einen geeigneten Saal zu beschaffen, so daß wir gezwungen sind, an dem 22. festzuhalten.

Ich bedauere es unendlich, daß wir nicht Gelegenheit haben, Sie zu hören und bin nun dabei, einen anderen Redner zu gewinnen. Sollte mir das nicht gelingen, müßte die Versammlung überhaupt ausfallen, was allerdings von schwerem Nachteil für die Partei wäre.

Indem ich Ihnen nochmals verbindlichst danke für die grundsätzliche Bereitwilligkeit, bei uns zu sprechen, gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß wir in absehbarer Zeit Gelegenheit haben möchten, Sie zu hören.

Mit ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebenst (gez.) Otto Merten (MdL)

 

81. DDP an C. H. B. Berlin, 29.1.1926

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Minister!

Die Gruppe Berlin-Mitte der (Deutschen) Demokratischen Partei veranstaltet am Dienstag, 16. Februar 1926, im großen Sitzungssaal des ehemaligen Herrenhauses einen Vortragsabend. Wir möchten Sie bitten, den Vortrag des Abends zu übernehmen. Die Veranstaltung soll selbstverständlich nicht parteipolitischen, sondern einen allgemein kulturpolitischen Charakter tragen. Wir würden die Wahl des Themas Ihnen vollständig überlassen.. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir auf Ihre gütige Zusage rechnen dürften.

Mit ausgezeichneter Hochachtung bin ich, hochverehrter Herr Minister,

Ihr Ihnen sehr ergebener (gez.) Dr. Ernst Feder.

 

82. C. H. B. an DDP (Berlin), 30.1.1926

Privatsekretariat (Maschinenkopie)

Sehr geehrte Herren!

Auf das gefällige Schreiben vom 29. d. Mts. Erkläre ich mich gern bereit, Ihrem Wunsche gemäß für die für Dienstag, den 16. Februar, geplante Veranstaltung den Vortrag zu übernehmen.

Eine weitere Mitteilung wegen des Themas mir vorbehaltend, bin ich in vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster (CHB)

 

83. DDP an C. H. B. Berlin, 24.9.1926

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Minister!

Am Sonnabend, den 16. Oktober, feiert unser Wahlkreis im Sport-Palast ein Herbstfest unter Schwarz-Rot Gold. Es soll unsere Winterarbeit finanzieren, zugleich aber auch ein wirkungsvoller Auftakt für die Herbstarbeit in ganz Groß Berlin sein. Es ist dringend notwendig, daß nach dem Eintritt in den Völkerbund der demokratische Anteil an den großen außenpolitischen Erfolgen sich nicht im Gedächtnis der Wählerschaft verwischt. Die Vertagung des Parteitages läßt diese Gefahr akut erscheinen. Darum müssen wir uns jetzt vernehmlich zum Worte melden.

Wir bitten Sie, hochgeehrter Herr Minister, sich am Abend des 16. Oktober für unsere Veranstaltung mindestens ¼ Stunde frei zu halten. Wir freuen uns natürlich sehr, wenn Sie den ganzen Abend unser Gast sein werden. In jedem Falle aber würden Sie uns außerordentlich verbinden, wenn Sie bei uns eine kurze Ansprache von etwa 10 Minuten halten würden. Wir rechnen auf eine Massenbeteiligung. Durch Lautsprecher werden alle Ansprachen in jedem Teile des großen Saales vernehmlich gemacht.

Indem wir Ihnen für Ihre Zusage herzlich danken, zeichnen wir mit hochachtungsvollem

Parteigruß ergebenst (gez.) Otto Merten (?unleserlich), MdL.

 

84. Ansprache des Preußischen Kultusministers Professor Dr. Becker auf dem Herbstfest der DDP im Sportpalast am 16.10.1926

Wir haben uns zu einem Herbstfest versammelt. Tage des Sturms liegen hinter uns und eine graue und finster werdende Natur rüstet sich den nahenden Winter zu empfangen. Wie anders sieht es da aus in unserem Inneren.

Wenn wir den Blick auf unsere Volksgemeinschaft, auf unseren Staat lenken, schlägt uns das Herz nicht höher?

Wenn wir bedenken, was in den letzten acht Jahren im Rahmen der deutschen Republik geleistet worden ist?

Liegt da nicht der Winter unseres Mißvergnügens bereits hinter uns?

Gewiß erleben auch wir noch Stürme, aber das sind keine Herbststürme, sondern es ist das Brausen des Vorfrühlings, das wir erleben. Noch sind die Blüten des neuen Deutschland nicht aufgegangen, aber wir sehen überall ihre Ansätze. Der Saft schießt ein, und ein neuer Frühling ist uns gewiß.

Wer hätte vor acht Jahren zu hoffen gewagt, daß der zusammengebrochene Staat von 1918 im Jahre 1926 nach innen politisch gefestigt, in seiner Valuta stabilisiert und mit einer immer sicheren Tendenz nach aktiv werdender Handelsbilanz dastehen würde und daß er, zwar außenpolitisch noch nicht ganz frei, aber doch wieder im Rate der Völker geachtet, ja umworben, ein Faktor der Weltpolitik sein würde?

Als die alte Staatsautorität zusammenbrach, gab es nur ein Mittel, eine neue Rechtsbasis zu schaffen, und dieses Mittel war der demokratische Gedanke. Danken wir unserem Schicksal, daß das deutsche Volk, viel mehr als es das selber wußte,

  • bis in sein tiefstes Innere hinein demokratisch gesonnen war, daß es willig das rettende Majoritätsprinzip anerkannte,
  • daß die überstimmte Minorität sich zwar grollend aber tatsächlich5 unterordnete,
  • und daß auch die Opposition sich die demokratischen Methoden aneignete.

So wurde die deutsche Republik geboren, von dem einen um jubelt, von dem andern gehaßt, von der großen Menge aber verstandesmäßig anerkannt. Die aus der Not geborene Republik, die aus der Asche des Kaiserreiches entstand, hatte es schwer, ihren Phönixcharakter zu erweisen, suggestiv die Herzen höher zu stimmen, und sich liebenswürdig zu machen. Im politischen Leben entscheidet nun einmal der Erfolg; nur er gewinnt die Herzen, und so wächst der republikanische Gedanke mit den beginnenden Erfolgen. Gewiß können und sollen diese Erfolge nicht ruhmreiche Kriege sein, nicht Flottengründungen und Interessensphären, sondern mühselig errungene Resultate aufopferungsbereiter Wiederaufbauarbeit. Die Welt sieht diese Leistungen mit wachsendem Respekt, und allmählich wird man ja wohl auch in allen Schichten des deutschen Volkes erkennen, welch bewundernswerte Arbeit in den letzten Jahren geleistet worden ist. Und wenn dabei die Opposition alles Erreichte herabmindert oder über-haupt verschweigt, und dabei gern den Namen des Freiherrn vom Stein und den Aufstieg Deutschlands im Anfang des vorigen Jahrhunderts als Parallele anführt, so darf doch nie vergessen werden, daß niemand die Wiederaufbaupolitik des Freiherrn vom Stein so erschwert und bekämpft hat, als gerade die Kreise, die auch heute wieder in Opposition stehen.

Im übrigen aber: welch ein gewaltiger Unterschied zwischen damals und heute! Gewiß war der Staat auch damals zusammengebrochen, aber die Staatsform war erhalten geblieben und damit die Staatsidee. Der Zusammenbruch von 1918 hat einen neuen Staatsgedanken geboren. Gewiß sind auch im Jahre 1918 die äußeren Formen vom Reich und Ländern und Kommunen die gleichen geblieben. Aber sie haben eine neue Funktion erhalten und im gewissen Sinne ist eine Vergesellschaftung des Staates eingetreten, in dem der Staat nicht mehr ein über dem Volke schwebendes Machtzentrum darstellte, sondern in dem das Volk selber zum Staate wurde, und damit jeder einzelne Bürger teilhaftig wurde an der Verantwortlichkeit dem Ganzen gegenüber.

Gewiß hat es auch früher ein allgemeines Wahlrecht gegeben. Aber was bedeutete damals das Parlament gegenüber der ungeheuren Autorität der Krone. Wir wollen nicht rechten mit der Vergangenheit. Wir ehren uns selber, wenn wir der Vergangenheit ihre Größe nicht schmälern. Wir stehen zu ihr wie die Kinder zum Elternhaus. Aber wir Kinder von ehedem sind jetzt Erwachsene geworden. Wir haben unser Schicksal selbst in die Hand genommen, und es ist undenkbar, daß die gewonnene Freiheit jemals wieder dem Autoritätsverhältnis von ehemals weichen könnte. Je stärker jeder von uns heute seine Verantwortung der Gemeinschaft empfindet, desto williger wird er sich den Notwendigkeiten des Staates unterordnen. Und bei aller Unabhängigkeit des Einzelnen, bei aller Lockerung autoritärer oder bürokratischer Bindungen verlangen wir doch von dem neuen demokratischen Staat eine feste Führung und in erster Linie ein freudiges Bekenntnis zu sich selber.

Wer ist denn nun dieser neue Staat? Er schwebt nicht mehr in Wolken über uns. Er ist gebildet aus dem ich und dem Du und dem Wir, die wir in freier Selbstverantwortung uns die Hände reichen, um einer für den andern und alle für Einen zu stehen. Den unbeschränkten Individualismus der liberalen Zeit bindet der demokratische und der soziale Gedanke der freiwilligen Unterordnung unter selbstgesetzte und selbsterwählte Autoritäten.

So ist aus dem Umsturz der Dinge ein neuer Staatsgedanke geboren und dieser Staatsgedanke, der selbst etwas geistiges ist, trat in Wettbewerb mit anderen geistigen Mächten, die unsere Zeit beherrschen. Das charakteristische Merkmal der geistigen Lage der deutschen Gegenwart ist die eigentümliche Mischung von Revolution und Tradition. Wir haben nicht wie die Russen alle Traditionen über Bord geworfen und auf einer tabula rasa eine neue Welt zu errichten begonnen, wir haben es mutig unternommen, unsern neuen Staatsgedanken mit dem großen geistigen Erbgut unseres Volkes zu versöhnen. Damit haben wir nicht etwa neuen Wein in alte Schläuche gefaßt sondern edlen alten Wein in neuen für lange Zeit haltbaren Schläuchen geborgen. Damit ist zugleich der Weg der Versöhnung gewiesen. Hat auch unser Staatsgedanke sich geändert, unser Kulturgedanke ist geblieben. Mögen noch so sehr politische Meinungsverschiedenheiten uns trennen, uns verbindet die kulturelle Einheit.

Haben wir Nachsicht mit den Brüdern und Schwestern, die der neuen Zeit noch kritisch oder ablehnend gegenüberstehen. Wir Republikaner haben es leicht, uns der neuen Zeit zu freuen, aber so energisch wir uns jede Sabotage der Republik verbitten müssen, so weitherzig wollen wir sein, die noch Fernstehenden brüderlich demokratisch zu uns herüberzuziehen.

Denn die Zukunft gehört uns ja doch. Langsam wandelt sich widerwillige oder nüchterne Anerkennung der Republik in freudige Bejahung. Aus Industrie und Beamtenschaft, selbst aus richterlichen und akademischen Kreisen mehren sich die Stimmen – noch mannigfach abgetönt, aber laut und vernehmlich -, die sich zur Republik bekennen und gerade in den letzten Wochen hat bei manchen Krisen in den Zentren politischer Machtstellung oder erst gestern bei der Hohenzollerndebatte der neue Staat bewiesen, daß er nicht mehr zur Diskussion steht, daß er wohl umstritten und kritisiert wird, aber als rocher de bronce stabilisiert gelten darf.

(Handschriftlicher Zusatz)

Denn Glauben, Glauben, Glauben:

Zu neuen Ufern lenkt (?unleserlich) ein neuer Tag.

 

85. DDP an C.H. B. Hagen in Westfalen, 29.9.1926

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Minister!

Wir erlauben uns, Ihnen den anliegenden Aufsatz aus der deutschen La Plata Zeitung in Buenos Aires (abgedruckt in der La Plata Post vom 7./8.1926) zu überreichen, der einen unqualifizierbaren Angriff gegen Ihre Person enthält. Die Tatsache einer Kritik an sich würde uns nicht veranlassen, den Ausschnitt zu übersenden. Bestimmend ist dafür vielmehr der Umstand, daß viele Kritiken der deutschen Presse im Ausland, für die dieser Aufsatz nur ein Beispiel von tausenden ist, in ganz unverantwortlicher Weise abgefaßt sind und einen geradezu krankhaften Haß gegen die Republik und alle demokratischen Gedanken verraten.6

Es liegt daran, daß die bessersituierten Kreise der Deutschen im Auslande durch Deutsche, die nach dem Kriege ausgewandert sind, Offiziere waren oder sonst durch den Ausgang des Krieges enttäuscht sind, zu stark beeinflußt werden. Dieselben Kreise beeinflussen die Redaktionen der deutschen Auslandspresse, die sich außerdem noch hauptsächlich durch Korrespondenten reaktionärer Herkunft aus Deutschland speisen läßt. Wir haben oft Gelegenheit, deutsche Zeitungen aus dem überseeischen Ausland zu lesen und haben schon oft Gelegenheit genommen, auch andere amtliche Stellen auf die krassesten Auswüchse hinzuweisen.

Als es sich damals um beinahe nicht wiederzugebende Angriffe auf den Reichsaußenminister Dr. Stresemann handelte, haben wir in einer Korrespondenz mit dem Herrn Außenminister darauf hingewiesen, daß es doch wohl die Aufgabe der diplomatischen Vertreter im Auslande sein könnte und müßte, durch Einwirkung auf die Redaktionen wenigstens die blödesten und unsachlichsten Angriffe hintan zu halten. In Beantwortung unserer Korrespondenz wurde in Aussicht gestellt, daß in dieser Hinsicht Abhülfe geschaffen werden würde. Tatsächlich ist damals auch eine Besserung zu verzeichnen gewesen. Aber seit einigen Monaten – vielleicht ist es ein Zufall, daß der Zeitpunkt mit dem Erlaß der Flaggenverordnung des Reichspräsidenten zusammenfällt – ist wieder eine schärfere Tonart festzustellen, wie sie auch aus dem beigefügten Aufsatz hervorgeht. Irgendwas muß einmal endlich darin geschehen, denn es ist doch äußerst bedenklich, wenn die Deutschen im Ausland immer solche Entstellungen lesen, besonders in den Gegenden, wo ihnen irgendeine andere Zeitung mit sachlicherer Tendenz nicht zur Verfügung steht. Es müßten Mittel und Wege gefunden werden, um der deutschen Presse den reaktionären Nachrichtendienst abzuschneiden, und zwar wenigstens solchen Nachrichtendienst, der noch aus amtlichen Quellen gespeist wird. Wir haben schon früher den Verdacht ausgesprochen, daß das Deutsche Auslandsinstitut in Stuttgart nicht ganz unschuldig an der Verbreitung entstellender Nachrichten ist. Neuerdings werden sogar Nachrichten in spanischer Sprache für die spanische Presse, insbesondere in Südamerika, verbreitet, die auch nicht von gewissen Tendenzen ähnlicher Art frei zu sein scheinen.

Sollte der Verdacht gerechtfertigt sein und da Deutsche Auslandsinstitut eine Mitschuld treffen, so würde diese Tatsache noch besonders absurd mit Rücksicht auf den Umstand erscheinen, daß das Institut doch höchstwahrscheinlich Unterstützung aus Staatsmitteln erhält. Nach unserer Kenntnis der Dinge wird dieser Oppositionsgeist gegen den deutschen Staat auch in deutschen Schulkreisen im Auslande gepflegt. Wir würden uns denken können, daß bei den Bindungen, die zwischen dem deutschen Schulwesen im Ausland und Reichsstellen in bezug auf geistige und moralische Unterstützung, Überweisung von Lehrkräften, Anerkennung von Prüfungen und unter Umständen auch geldliche Unterstützungen bestehen, diese Beziehungen auch ausgenutzt werden könnten, um auch in das deutsche Schulwesen des Auslandes einen anderen fortschrittlichen Geist hinein zu bringen. Es erscheint nicht richtig, die beklagten Dinge einfach laufen zu lassen.

In der Annahme, daß Ihnen diese Mitteilungen nicht unerwünscht sind, bin ich mit demokratischem Gruß! Hochachtungsvoll!

(Gez.) Ihr ergebener W.Hennings

Mitglied des Bezirksvorstandes der DDP Südwestfalen.

Anlage bei der Antwort Beckers vom 30.10.26 (siehe unten)

 

86. DDP an Demokratischen Zeitungsdienst Berlin Stuttgart, 1.10.1926

(Maschinenkopie)

Anbei erhalten Sie eine Nummer der in New-Ulm, in Minnesota, Amerika, erscheinenden Neuen Zeit mit einem Angriff auf den preußischen Kultusminister Becker. Wir sind der Ansicht, daß dieser Maulwurfsarbeit eines unserer schlimmsten politischen Gegner, Dr. Hoelscher, Mitglied der Deutschnationalen Partei und in der Fraktion der Bürgerpartei und des Bauernbundes unseres Landtags, begegnet werden sollte. Die „Neue Zeit“ wird nicht bloß von vielen Deutsch-Amerikanern gelesen, sondern ist auch mit Unterstützung derselben vielfach auf den deutschen Universitäten und Hochschulen verbreitet; besonders aus diesem Grunde sollte der Angelegenheit entschieden begegnet werden, Erhalten wir die nötigen Unterlagen, werden wir schon für deren weitere Verwertung und Verbreitung Sorge tragen.

Mit aller Hochachtung

Deutsche Demokratische Partei gez. Horn

 

87. C. H. B. an die DDP, Postdirektor W Hennings. (Berlin), 30.10.1926

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Postdirektor!

Aus Ihrem gefälligen Schreiben vom 29. d. J. habe ich mit großem Bedauern ersehen, daß in einer wesentlichen auslandsdeutschen Zeitung wiederum unhaltbare und unqualifizierte Angriffe gegen die Staatsregierung erhoben sind, ohne daß die Schriftleitung der Zeitung sich die Mühe gegeben hätte, den wahren Sachverhalt des geschilderten Tatbestandes kennen zu lernen. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß ich Ihre ersten Besorgnisse um die Stellung eines Teiles des Auslandsdeutschtums zur deutschen Republik teile. Allerdings möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich der gesunde Sinn für Gerechtigkeit und Wahrheit auch bei diesen auslandsdeutschen Gruppen durchsetzt. Sie werden mich bei Ihren Bemühungen, das Auslandsdeutschtum objektiv zu beeinflussen, auf Ihrer Seite finden.

Mit verbindlichen Empfehlungen bin ich Ihr sehr ergebener (CHB)

 

88. DDP an C. H. B. Halle a.d. Saale, 12.5.1928

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Minister!

Mit Ihrem Schreiben vom 19.4. stellten Sie uns noch eine Nachricht wegen Ihres Eintreffens am 17.5. in Naumburg in Aussicht.

Wir bitten Sie, uns diesen Bescheid nun recht bald zukommen zu lassen, damit wir ihn nach Naumburg weitergeben können.

Auch wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns zugleich das Thema, über das Sie zu sprechen gedenken, angeben wollten.

Für heute zeichnen wir mit ergebenen Grüßen (gez.) Dr. Markner

Randbemerkung Beckers:

Thema: Preußisch-deutsche Kulturpolitik seit der Staatsumwälzung.

 

89. DDP Ortsgruppe Pillau/Ostpreußen an C. H. B. Pillau, 18.6.1928

(Maschinenmanuskript)

Persönlich!

Sehr geehrter Herr Parteifreund!

Der unterzeichnete Vorstand der hiesigen Ortgruppe der DDP gestattet sich, Ew. Hochwohlgeboren die beiliegenden Leitsätze zur Kenntnisnahme und mit der Bitte zu überreichen, für die Anerkennung und Durchführung derselben im öffentliche Leben und für ihre Durchdringung des eisernen Bestandes des demokratischen Ideenschatzes nach Kräften mitwirken zu wollen. Er ist der festen Überzeugung, daß nur eine ganz entschiedene Grundsatzpolitik im demokratischen Geiste die Entwicklung der Demokratie und der DDP begünstigt und die in den einzelnen Ortsgruppen der DDP geleistete Kleinarbeit mit Erfolg krönt.

Der Vorstand! (gez.) Direktor Dr. Lomber, Vorsitzender, Mittelschullehrer Lemke, Kassierer

Köpping, Schriftführer

Anlage

Die Ortsgruppe Pillau der DDP

Hält im Interesse der Zukunft der DDP in der Innenpolitik insbesondere die Berücksichtigung der folgenden demokratischen Leitsätze für durchaus notwendig:

  • Wir fordern von allen Parteimitgliedern in führenden Stellungen in Reden und taten ein entschiedenes Bekenntnis und Festhalten an der demokratischen Idee der Gleichberechtung aller Staatsbürger auf der Grundlage gleicher Pflichten. Jede zwiespältige Haltung ist unbedingt zu vermeiden.
  • Die sogenannten „wohlerworbenen“ Rechte (Sonderrechte) der Oberschicht des Volkes sind umgehend auf das allgemein gültige Maß der gleichen Rechte aller Staatsbürger im Volksstaat zu reduzieren. Namenbezeichnungen, die auf frühere Adelsprädikate hinweisen, sind durch Gesetz zu beseitigen.
  • Die Ansammlung von Riesenvermögen in einzelnen oder wenigen Händen ist zu verhindern.
  • Die soziale Frage der handarbeitenden Bevölkerung ist bis an die Grenze des Interesses eines gesunden Wirtschaftslebens des Staates Zulässigen zu heben und gesetzlich zu regeln.
  • Die Republikanisierung der unmittelbar im öffentlichen Dienste stehenden Staatsbürger – Beamtenschaft und Reichswehr – ist sofort und rücksichtslos durchzuführen.
  • Da die deutsche Kultur auf dem deutschen Schulwesen beruht, ist bei der Auswahl und der Beförderung der Beamten in der Regel der Grad der Allgemeinbildung als in hohem Grade ausschlaggebend zu betrachten. Im Interesse des Staates gebührt den republikanischen Beamten mit geringerer Allgemeinbildung vor den antirepublikanischen Beamten mit höherer Allgemeinbildung der Vorzug.
  • Eine Vereinigung der DDP mit der DVP betrachten wir als Verrat an der Demokratie und lehnen sie infolgedessen ab. Dagegen würden wir als republikanische Sammelpartei die Vereinigung der beiden genannten Parteien mit der SPD unter einem entsprechenden Namen warm begrüßen. Bei einem selbständigen Fortbestehen der DDP ist eine Änderung des seitherigen Namens durchaus erforderlich.7

I.A. Der Vorstand (wie oben)

 

90. DDP, Wahlkreis Potsdam an C. H. B. Berlin, 21.6.1928

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Minister!

Sie waren so freundlich, uns in unserem Wahlkreis durch einen Vortrag zu unterstützen. Im Namen des Wahlausschusses sage ich Ihnen dafür unseren verbindlichen Dank.

Wenn es uns gelungen ist, nicht nur unser Reichstagsmandat, sondern auch zwei Landtagsmandate aus eigener Kraft zu behaupten, und darüber hinaus noch an den Verbands-Wahlkreis Berlin und die Reichs- und Landesliste Reststimmen abzugeben, so freuen wir uns mit Ihnen, daß Sie einen Anteil an diesem Ergebnis haben.

Wir gehen sofort an den Ausbau der Organisation; ein neuer Wahlkampf wird uns nicht ungerüstet finden. Wir hegen die Hoffnung, daß gleichviel wann er kommen wird, wir uns wieder Ihrer wertvollen Unterstützung versichert halten zu dürfen.

Mit hochachtungsvollem (Partei)8Gruße sehr ergeben (gez.) Otto, MdL

Vorsitzender des Wahlausschusses

 

91. DDP an C. H. B. Berlin, 19.7.1929

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Staatsminister!

Unsere Parteigruppe in Augsburg ist an uns mit der Bitte herangetreten, an Sie die Anfrage zu richten, ob Sie freundlichst bereit wären, im Herbst in Augsburg auf einer großen Kundgebung der Partei zu sprechen. Unsere Augsburger Freunde versprechen sich von der Kundgebung, auf der Sie, Herr Minister, sprechen, sehr viel und fragen darum schon jetzt an, weil sie möglichst frühzeitig Klarheit haben wollen, um eine gute propagandistische Vorbereitung treffen zu können. Unsere Augsburger Freunde haben einmal den Wunsch, wie gesagt, bei einer großen öffentlichen Kundgebung eine Rede von Ihnen zu hören und zum Zweiten, auch einen Vortrag im kleineren Kreise, weil man annimmt, daß auf Grund der Tatsache, daß Sie verwandtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen in Augsburg haben, der Parteiarbeit Kreise gewonnen werden können, die uns sonst nicht so nahestehen.

Wir wären Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, zu außerordentlichem Dank verpflichtet, wenn Sie uns bald eine Antwort zuteil werden ließen und empfehlen uns Ihnen mit aufrichtig ergebenen Grüßen

Reichsstelle der Deutschen Demokratischen Partei (gez.) Sowarpf

 

92. C.H.B. an DDP, Reichsgeschäftsstelle. (Berlin), 21.9.1929

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Wolff!

Verbindlichen Dank für Ihr freundliches Schreiben vom 19. Juli. Ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich wegen Urlaubs und daran anschließenden Dienstreisen es versäumt habe, Ihren liebenswürdigen Brief rechtzeitig zu beantworten. Wie Sie wissen, habe ich mich, da ich der Partei nur nahestehe, ohne ihr direkt anzugehören, bisher mit Vorträgen bei großen Parteiveranstaltungen stark zurückgehalten, wenn ich auch bei allgemeinen kulturellen Veranstaltungen gelegentlich im demokratischen Kreise gesprochen habe. Ich bin kein eigentlich politi-scher Redner und bitte, freundlich dafür Verständnis haben zu wollen, wenn ich eine so schwierige Mission wie die Gewinnung des Augsburger Milieus lieber nicht übernehme. Ich glaube, daß ich der demokratischen Idee und der Demokratischen Partei in der Stille mehr nutzen kann, als wenn man mich bei großen politischen Kundgebungen herausstellt. Sie haben wohl die Freundlichkeit, die Augsburger Herren entsprechend zu verständigen.

In bekannter hoher Verehrung Ihr sehr ergebener (CHB).

 

93. DDP Kreisverein Melsungen an den Regierungspräsidenten in Kassel

und die DDP Geschäftsstelle Berlin Spangenberg, 23.10.1929

Abschrift durch Staatsförster Stein an C. H. B.

Durch den Herrn Landrat Dr. Schuster erfahren wir, daß er aus persönlichen Gründen von seinem Amt als Landrat des Kreises Melsungen zurückgetreten ist. Diese Entschließung kam uns allen so überraschend und zu einem für seinen Rücktritt so ungeeigneten Zeitpunkt, daß wir Demokraten und alle anderen Republikaner des Kreises Melsungen die schwersten Besorgnisse für die Zukunft haben. Wir hoffen, daß die Staatsregierung den Landrat Dr. Schuster möglichst bald wieder in einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Stellung beschäftigt.9 Hier in unserem Kreise , wo seit 10 Jahren die schärfsten Gegensätze zwischen “Rechts und Links“ bestehen und wo die Hochburg der NSDAP sitzt, ist es für jeden Republikaner besonders schwer, seinen Demokratischen und Republikanischen Standpunkt zu behaupten, besonders wenn es gilt, dem heutigen Staate die nötige Achtung zu verschaffen. In diesen Belangen aber hat Herr Dr. Schuster sein Bestes getan und alle Republikaner ohne Ausnahme sind ihm hierfür aufrichtigen Dank schuldig. Deshalb erachten wir es als unsere Pflicht, für das Fortkommen unseres rührigen Mitgliedes Dr. Schuster bemüht zu sein. Wir hoffen keine Fehlbitte getan zu haben und gestatten uns weiter zu bitten, dem Herrn Preußischen Innenminister von diesem Schreiben Kenntnis zu geben.

Mit Deutschem Demokratischen Gruß Hochachtungsvoll gez. Stein. 1. Vorsitzender

 

94. DDP (Kreisverband) Breslau an C. H. B., Breslau, 1.2.1930

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Staatsminister!

Im Namen meiner Parteifreunde habe ich die Ehre, Ihnen, Herr Minister, ehrerbietige und dankbare Grüße zu senden. Ihr Ausscheiden aus dem Ministerium bewegt uns schmerzlich. Wir sind zu kritisch, um etwa jede Ihrer Handlungen gebilligt zu haben, ja, wir haben gerade etwa in unserem hiesigen Kulturausschuß die immer weitergehende Zersplitterung und Zerlösung des höheren Schulwesens mit Sorge verfolgt. Aber während Ihrer mehr als zehnjährigen Tätigkeit an leitender Stelle im Ministerium und als Minister haben wir immer zu Ihnen aufgesehen. Bei vielem Unerfreulichen, das nicht veranlaßt wurde durch die Schwere der Zeit, sondern durch das eigene politische Ungeschick, war es uns eine Genugtuung, daß ein Mann wie Sie im Preußischen Staatsministerium war. Sie wissen selbst genug, welch bedeutsame Gestalt Sie im öffentlichen Leben sind durch die in Deutschland sehr seltene Verbindung von umfassender Gelehrsamkeit und praktischer Verwaltungsgabe, durch Vereinigung von weltmännischem Gebaren und Forschernst und schließlich durch die heute überaus seltene Vereinigung von politischer Klugheit und charakterlicher Verläßlichkeit. Wir sind überzeugt, daß Ihr Name in die Geschichte eingeht. Wenn in einer Zeit, in der ein Teil der Menschen zwar eine starke Bezogenheit auf den Geist besitzt, ein anderer jedoch nicht minder starker Bevölkerungsteil lediglich auf das Nützliche tendiert, wenn in einer solchen Zeit die Aufgaben der Kultur weiter erfüllt wurden und die kulturellen Institutionen gefördert werden konnten, so ist das, Herr Minister, wir wissen das sehr wohl, Ihr Verdienst.

Wir sind auch überzeugt, daß Sie an bedeutsamer Stelle weiter Einfluß nehmen werden auf die geistige Gestaltung unseres Volkes, und daß Sie immer, wenn nicht in amtlicher Funktion, so doch ebenso stark als Gestalt wirken. Uns liegt heute nur daran, jetzt, da ein Wort des Dankes den Dankenden nicht mehr in den Verdacht irgendeines Strebertums bringt, Ihnen zu sagen, daß Sie durch Ihre Arbeit und durch Ihr Sein den Impuls gegeben haben, an anderer, bescheidenerer Stelle in unserer Arbeit nicht müde zu werden.

In Ehrerbietung der Vorstand der Deutschen Demokratischen Partei,

Wahlkreisverband Breslau i.A. (gez.) Lic.th(eol) Momutz (unleserlich) 1. Vorsitzender.


1 Koram (lat.) vor aller Augen vgl. coram publico (veralteter Ausdruck für tadelnswertes Verhalten. Duden 1996

2 Unterstreichungen vom Referenten im MK.

3 Am Rande mit großem Fragezeichen versehen.

4 Hervorhebung vom Herausgeber.

5 Im Typoskript unterstrichen. Der Herausgeber.

6 Hervorhebungen vom Herausgeber.

7 Vom Empfänger am Rande angestrichen. Der Herausgeber.

8 Das Wort Partei wurde von Otto gestrichen, denn Becker war zwar Sympathisant, aber kein Mitglied

9 Unterstreichungen vom Empfänger bzw. dem Referenten. Der Herausgeber.

Alfred Brémond, 1910

Nachl. C.H. Becker. HA VI. Rep.92. Becker B. Nr. 7991

65. Alfred Brémond an C.H.B. Paris, 21 Janvier 1910

Lieutenant au 149e Régiment d’Infanterie, Licencié en Droit

(lt. Beiliegender Visitenkarte) (Manuskript)

Monsieur le Professeur,

En vous envoyant ma carte, en échange de celle que vous aveu eu l’amabilité de me remettre hier, je tiens à vous renouveler l’expression de mon admiration pour la savante et l’instructive conférence que j’ai entendue. Je suis heureux de me trouver en communauté d’idées avec le savant et distingué Professeur que vous êtes; je regrette que la distance, séparant Hamburg de Paris, m’empêche de vous entendre d’autres fois.

Je me permettrai de vous adresser en jours-ci un résumé des principales idées que j’ai développés, en différentes conférences, devant le corps des officiers de mon Régiment, alors que j’appartenais à l’Armée.

Je recevrai d’autre part, avec grand plaisir, le travail que vous avez bien voulu me promettre, avec une amabilité dont je suis très flatté.

Je vous prie d’agréer, Monsieur le Professeur, avec mes remerciements anticipés, l’expression de mes sentiments les plus distingués.

Lt. A.Brémond

 

66. C.H.B. an A. Brémond, Paris. (Hamburg), 10.2.1910

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr!

Einem Mann, der so vorzüglich deutsch schreibt, freue ich mich, auf Deutsch danken zu können. Ihr Brief hat mich außerordentlich interessiert und von Ihrem Exposé habe ich gern Kenntnis genommen. Ich fürchte allerdings, wie Sie es richtig voraussetzen, daß Sie den Islam doch etwas enthusiastisch ansehen. Sie werden sich aus meinem Vortrag erinnern, daß ich die Verhältnisse etwas anders ansehe. Auch über die Religion des Islam in ihrem Verhältnis zum Christentum habe ich kürzlich ein kleines Büchlein geschrieben, das ich mich beehre, Ihnen anbei zu übersenden. Nach Druck meines Pariser Vortrags werde ich nicht verfehlen, Ihnen einen Abzug zugehen zu lassen.

Mit erneutem Dank für Ihre große Liebenswürdigkeit und in der Hoffnung, Sie wieder in Hamburg begrüßen zu können bin ich mit dem Ausdruck meines vorzüglichsten Hochachtung Ihr sehr ergebener (CHB)

Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1914-28

Nachl. C.H. Becker, Rep.92. Becker D. Nr. 2976

59. DVA an C.H.B., Bonn Stuttgart, 24.9.1914

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Professor!

Wir senden Ihnen anbei per Eilboten zwei Abzüge Ihres Beitrages für unsere Flugschriftensammlung „Der deutsche Krieg: Deutschland und der Islam.“ Im Auftrag von Herrn Dr. Jäckh in Berlin W 35, Schöneberger Ufer 36a, möchten wir Sie bitten, das von Ihnen korrigierte Exemplar so rasch wie möglich an diesen Herrn zu senden; da wir das Heft schon übermorgen in 8 Tagen verschicken, ist dringend Eile geboten und wir sind Ihnen außerordentlich zu Dank verpflichtet, wenn Sie die Korrektur des Artikels umgehend per Eilboten nach Berlin senden.

In ausgezeichneter Hochachtung ergebenst DVA (zwei unleserliche Unterschriften)

 

60. C.H.B. an DVA. (Bonn?), 28.9.1914

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr!

Gestern Sonntag früh erreichte mich Ihre Korrektursendung und zwei Stunden danach Ihr Brief. Wunschgemäß habe ich noch am gleichen Tag die Korrektur erledigt und als Eilbrief an Herrn Dr. Jäckh weitergesandt.

Ich benutze die Gelegenheit Sie zu bitten, das mir zustehende Honorar dem Hülfsfond für Ostpreußen zu überweisen.

Mir selbst bitte ich für meine Rechnung incl. der mir zustehenden Freiexemplare im Ganzen 50 Stück meiner Flugschrift zu schicken.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst (CHB)

 

61. DVA an C.H.B., Bonn Stuttgart, 30.9.1914

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Professor!

Wir danken verbindlichst für Ihr Schreiben vom 28.ds.Mts., aus dem wir gerne ersehen haben, daß Sie die Korrektur Ihres Beitrages noch am Sonntag an Herrn Dr. Jäckh in Berlin abgesandt haben.

Wir haben auf Ihren Wunsch hin unserer Berliner Filiale Anweisung gegeben, das Ihnen für Ihren Beitrag zustehende Honorar dem Hilfsfond für Ostpreußen zu überweisen.

50 Exemplare Ihrer Flugschrift, einschließlich der 15 freien Exemplare, hoffen wir Ihnen am Samstag zusenden zu können.

Wir empfehlen uns Ihnen in ausgezeichneter Hochachtung als Ihre ergebene DVA

(gez.) Hugo Wagner (zweite Unterschrift unleserlich)

 

62. DVA an C.H.B., Bonn Berlin, 2.10.1914

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Professor!

Wir beehren uns Ihnen mitzuteilen, daß wir das Honorar von M(ark) 100,- für Ihren Beitrag zu unserer Flugschriftensammlung „Der Deutsche Krieg“, „Deutschland und der Islam“ dem Herausgeber der Sammlung, Dr. Jäckh, hier, zur Überweisung an den Hilfsfond für Ostpreußen ausbezahlt haben. Gegen diese Honorarzahlung geht nach den Vereinbarungen mit dem Herrn Herausgeber die Arbeit mit unbeschränkten Verlagsrechten in unseren Besitz über.

In dem wir Ihnen für diesen Beitrag auch unsererseits verbindlichen Dank aussprechen, empfehlen wir uns Ihnen mit vorzüglicher Hochachtung DVA (gez. Unleserlich)

 

63. DVA an C.H.B. Stuttgart, 18.11.1926

(Maschinenmanuskript)

Hochgeehrter Herr Minister!

Im Namen und Auftrag unseres Autors, Herrn Professor Dr. Hermann Stegemann, beehren wir uns, Ihnen ein Exemplar seines „Trugbilds“ zu übersenden. Herr Professor Dr. Stegemann fühlt sich hierzu durch Ihre auf dem Historikertag in Breslau gehaltene bedeutsame Rede über historische Aufgaben der Gegenwart besonders veranlaßt.

In vorzüglicher Hochachtung ergebenst DVA (gez.) G.Kipper

Anmerkung Beckers: Danken an Prof. Stegemann.

Anmerkung 2: Auf Anordnung des Herrn Ministers ablegen. Duwe 23.3.

 

64. C.H.B. an DVA. (Berlin), 12.4.1928

(Maschinenkopie)

Der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart

Sage ich für die freundliche Übersendung des Buches „Johannes Miquel“ von Wilhelm Mommsen1 meinen besten Dank.

In vorzüglicher Hochachtung (CHB)

Anmerkung Beckers: Rücksprache wegen Brief an Mommsen. B 14.4.


1 Wilhelm Mommsen *1892, Historiker, Enkel von Theodor Mommsen, wurde 1929 Professor in Marburg.

Werke: Bismarcks Sturz und die Parteien (1924), Johannes Miquel (1928), Die politischen Anschauungen Goethes (1948), Größe und Versagen des deutschen Bürgertums 1848/49 (1948), Stein, Ranke, Bismarck (1954)

Prof. Wilhelm Flitner, 1926-33

Nachl. C. H. Becker.HA VI. Rep.92 Becker F. Nr. 680

Briefwechsel C.H.Beckers mit Prof. Wilhelm Flitner1 1926-1933

67. Wilhelm Flitner an C.H.B. Kiel, 20.7.19262

(Maschinenmanuskript)

Hochverehrter Herr Minister!

Die philosophische Fakultät der Universität Leipzig und die Sächsische Regierung fordern mich auf, nach Leipzig zu kommen und dort die Tätigkeit des a.o. Professors für praktische Pädagogik zu übernehmen. Da ich über praktisch erzieherische Tätigkeit zur Auswirkung meiner theoretischen Produktion noch nicht habe kommen können, so scheint es mir, daß ich diesen Ruf kaum ablehnen kann; würde ich ihn ablehnen, so müßte das bedeuten, daß ich auf die akademische Lehrtätigkeit und auf wissenschaftliche Produktion in größerem Umfang innerlich Verzicht leiste.

Ich erlaube mir, Ihnen das zu schreiben, um jeden Anschein zu vermeiden, als wolle ich die so überaus bedeutungsvolle und schöne Arbeit in der Preußischen Lehrerbildung aus einem Zweifel an der Sache wieder verlassen. Ich bin unverändert der Meinung, daß die Preußische Neuregelung den gegenwärtig allein gangbaren Weg geht, wenn ich auch über die Durchformung der einzelnen Anstalt einige vom jetzt Gültigen abweichende Gedanken habe.

Wenn ich jetzt, im Interesse meiner wissenschaftlichen Produktion, aus der Kieler Arbeit auszuscheiden gedenke, so wäre es mein innigster Wunsch, mich weder innerlich noch auf die Dauer äußerlich von dem Werk der Preußischen Lehrerbildung zu trennen. Ich möchte wünschen, daß meine Entscheidung auch Ihre Billigung findet, und ich möchte um die Gunst bitten, in einer rein privaten kurzen Besprechung Ihnen etwas deutlicher darlegen zu dürfen, warum ich mir auf Ihre innere Zustimmung Hoffnung mache.

Ihr verehrungsvoll ergebener (gez.) Dr. Wilhelm Flitner

Dozent an der Pädagogischen Akademie Kiel.

 

68. Preußisches Kultusministerium an Wilhelm Flitner. (Berlin), 22.7.1926

(Maschinenkopie)

An den Dozenten der Pädagogischen Akademie in Kiel Herrn Dr. Wilhelm Flitner.

Auf das an den Herrn Staatsminister Professor D. Dr. Becker gerichtete gefällige Schreiben vom 20.Juli d.Js. um Gewährung einer Unterredung teilt das Privatsekretariat ganz ergebenst mit, daß der Herr Minister sich bis Mitte August in Urlaub befindet. Ihre Eingabe wird dem Herrn Minister nach seiner Rückkehr vorgelegt werden.

Privatsekretariat (gez.) H. Amtsrat

Anmerkung: Herrn Ministerialdirektor Kaestner gehorsamst weitergereicht.

Ich habe Herrn Flitner geschrieben, daß der Herr Minister Anfang September für ihn zu sprechen ist, habe ihm nochmals zugeredet, in Kiel zu bleiben, und ihn gebeten, keinen endgültigen Entschluß vor seiner Unterredung mit dem Herrn Minister zu fassen.

Hinweis an ORR Duve: Die Sache ist gemäß Besprechung (nicht lesbar) erledigt.

 

69. Professor Wilhelm Flitner an C.H.B. Altona, 3.6.1932

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter lieber Herr Becker!

Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Einladung zum Nizzaer Kongreß. Ich sage Ihnen gern zu, darf aber wohl den Vorbehalt, den man jedem Deutschen heute zubilligen muß, machen, daß man die Entwicklung der politischen Zustände abwarten muß, um zu entscheiden, ob man im August über die Grenze zu gehen noch Lust verspüren wird. Es ist eine sehr frohe Aussicht, Sie in Nizza wiederzusehen und die Gespräche von Davos fortzusetzen.

Mit herzlichen Grüßen und Empfehlungen Ihr treulich ergebener (gez.) W. Flitner.

 

70. C.H.B. an Wilhelm Flitner, Hamburg. (Berlin), 15.6.1932

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Flitner!

Ich bin außerordentlich glücklich, daß Sie den Hauptvortrag für Nizza übernommen haben. Es stellt sich jetzt heraus, daß wir doch nicht drei sondern nur über zwei Hauptvorträge verfügen können. Ich habe deshalb sofort geschrieben, daß Herr Dessauer und Sie die gegebenen Redner für diesen Zweck wären, da Sie sich auch nach der theoretischen und praktischen Seite bestens ergänzen, während ich in einem anderen Zusammenhang über das gleiche Thema wie projektiert sprechen werde. Man wollte gern, daß ich englisch spreche, doch kann ich das als deutscher Hauptredner natürlich nicht, aber in meiner Eigenschaft als Vizepräsident könnte ich in anderem Zusammenhang nach einer deutschen Einleitung doch die wichtigen Dinge, die ich zu sagen habe, auch in Englisch vorbringen, ohne gleich als anational zu erscheinen.

Bei unserer Besprechung mit den Behörden in Berlin ist erwogen worden, ob die Reisekosten für Sie nicht von der Hamburgischen Oberschulbehörde übernommen werden könnten. Die Finanzierung macht überhaupt einige Schwierigkeiten. Ich bekomme gerade von Frau Dr. Rotten einen Brief, worin sie die Hoffnung ausspricht, daß entweder Sie oder Dr. Gebhard finanziell von der Hamburger Oberschulbehörde übernommen würden. Darf ich Sie einmal fragen, wie Sie darüber denken, und ob Sie es für zweckmäßig halten, daß ich vielleicht einmal als Vizepräsident an den Herrn Senator de Chapeau Rouge ein paar Worte schreibe; in Hamburg war man früher in solchen Dingen immer sehr großzügig.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)

Anlage o.D.(Mai/Juni 1932)

C. H. B. an Wilhelm Flitner, Professor in Hamburg

Lieber Herr Flitner!

Ich hoffe, Sie haben schon von Weniger gehört, daß wir auf Sie das Attentat machen wollen, auf dem Nizzaer Kongreß mit mir und Dessauer das dritte deutsche Referat in den Main Lectures zu der Grundthese des Kongresses zu übernehmen. Wir hatten uns die Arbeitsteilung so gedacht, daß ich Education and Social Change vom internationalen, Dessauer, Frankfurt, vom soziologischen und Sie vom pädagogischen behandeln sollten. Frau Dr. Rotten, die für die Headquarters spricht, soll die Auswirkung auf die Seele des individuellen Lehrers behandeln. Bitte tun Sie mir den Gefallen, ich würde mich ganz besonders freuen, wieder einmal mit Ihnen bei einer Sache zusammen wirken zu können. Näheres über den Kongreß brauche ich einem Fachmann, wie Ihnen, ja nicht zu schreiben. Als Reiseunterstützung werden von amtlicher Stelle RM 200 zur Verfügung gestellt werden.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB).

 

71. Wilhelm Flitner an C.H.B. Hamburg, 17.6.1932

(Maschinenmanuskript)

Lieber hochverehrter Herr Becker!

Für Ihren Brief danke ich Ihnen sehr und möchte nicht versäumen, meinen Vortrag Ihnen wieder zur Verfügung zu stellen. Wenn Deutschland nur zwei Vorträge zu halten hat, so wäre es meiner Ansicht nach sehr viel repräsentativer, wenn außer Herrn Dessauer Sie sprechen würden. Ich verzichte dann gern, zumal die Beschaffung der Mittel Schwierigkeiten macht. Ich habe mich an unsere Hochschulbehörde mit einer Anfrage gewandt, noch keine offizielle Antwort bekommen, aber der Herr Senator teilte mir mit, daß Mittel gar nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Es könnte natürlich sei, daß er Ihnen ungern eine abschlägige Antwort erteilt, wenn Sie als Vizepräsident sich an ihn wenden würden, aber vielleicht ist das nicht nötig, wenn Sie selbst den Vortrag übernehmen. Ich möchte Sie jedenfalls bitten, ganz danach zu verfahren, wie sich das Ganze am praktischsten arrangieren läßt.

Mit herzlichen Grüßen Ihr treulich ergebener (gez.) Flitner.

 

72. C. H. B. an Wilhelm Flitner. Berlin, 21.6.1932

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Flitner

Ich freue mich herzlich, daß Sie mir treu bleiben. Herr Rawson teilt mir mit, daß wir alle drei an hervorragender Stelle zu Wort kommen, daß nur einer der Vorträge vielleicht am Vormittag stattfinden müßte, was bei einem Kongreß dieser Art evtl. noch das bessere ist. Da er mich gleichzeitig bittet, einen Titel für meinen Vortrag zu finden, habe ich lange darüber nachgedacht und dann folgende etwa umständliche, aber deutliche Formulierung gewählt:

„Der soziale Wandel und die Erziehung unter dem Gesichtspunkt der Verschiedenheit der Völker.“

Weiter kann ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß die RM 3000 des Auswärtigen Amts bereitgestellt sind. Ich erhielt die offizielle Mitteilung und habe die Pädagogische Auslandsstelle, die als Zahlstelle fungiert, gebeten, zunächst einmal RM 500 Frau Rotten zu überweisen. Ich werde nun heute noch ein Gesuch an Minister Grimme richten, daß auch Preußen sich mit RM 500 beteiligt, desgleichen schreibe ich mit gleicher Post an de Chapeaurouge.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen freundschaftlich ergebener (CHB)

 

73. C. H. B. an Wilhelm Flitner. (Berlin), 31.1.1933

(Maschinenkopie)

Lieber Herr Flitner!

Ihr Besuch bei Jacob war mir besonders erfreulich, und ich möchte Ihnen gern noch einmal von Herzen dafür danken. Das nächste Mal werde ich nicht verfehlen, Sie und ihre Gattin bei sich aufzusuchen. Ich versprach, Ihnen zwei Artikel zu schicken, über die wir gesprochen haben. Den über den Dritten Humanismus können Sie behalten, den über Amerika muß ich allerdings zurückerbitten, da ich leider keine Exemplare mehr zur Verfügung habe und es doch noch einige Zeit dauern wird, bis der erweiterte Druck erscheint.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Ihnen aufrichtig ergebener (CHB)

 

74. Wilhelm Flitner an C. H. B. Klein-Flottbeck bei Hamburg, 7.2.1933

(handschriftlich)

Hochverehrter Herr Staatsminister!

Vielen Dank für die beiden Sonderdrucke und den freundschaftlichen Gruß. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie am Tag Ihres zweiten Vortrags noch Zeit für mich fanden; die beiden Tage werden mir festlich in Erinnerung bleiben. Den Sonderdruck über Amerika sende ich beiliegend zurück und freue mich, das andere behalten und in mein Helbling(?)-Exemplar hineinlegen zu können. Indem ich beiden Gedankenreihen mich hingab, habe ich mich gefragt, ob die Kirche von der im Humanismus nicht die Rede ist, wirklich so vergangen ist, wie es hier scheint. Weder die Sowjets noch die Amerikaner noch diese neuen Mythosleute wie Helbing wissen noch um sie und um die neue, unsichtbare Kirche, die doch die Substanz dessen enthält, was Blut, Leib, Mythus nicht geben und was da sein muß, bevor ein Humanismus kommen kann, es zu verfeinern. Die Konfessionalität der Päd(agogischen) Akademien – so wie Kittel sie seinerzeit interpretierte – war wohl die Grundlage ihres praktischen Humanismus, und jene Konfessionalisierung, die politisch notwendig wurde, hat wirklich nicht zufällig jener Idee des neuen Humanismus das Fundament gegeben.

Verzeihen Sie die Ausführlichkeit dieses Dankes. Meine Frau freut sich mit mir auf Ihren nächsten Besuch in Hamburg – vergessen Sie nicht uns aufzusuchen.

Mit herzlichen Wünschen für Spanien-Marokko Ihr getreulich ergebener W. Flitner.


1 Wilhelm A. Flitner * 1889 Bad Berka + 1990 Tübingen. Erziehungswissenschaftler, 1926 Prof. in Kiel, 1929 Hamburg. Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, verband historische. Forschung, die die Erziehung in den Kulturzusammenhang einbettet, intensive Zuwendung zu pädagogischen Gegenwartsfragen der Erwachsen- und Lehrerbildung, der Schule und Hochschule. (Nach Brockhaus 20.Aufl. Mannheim 1996)

2 Hervorhebungen von Becker.

Preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun, 1922-30

29. C.H.B. an MP Otto Braun. (Berlin), 28.8.1922

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Als ständiger Mitarbeiter Ihres Parteigenossen Haenisch während seiner Ministerzeit erlaube ich mir heute, Ihnen die Bitte vorzutragen, Herrn Haenisch zu einer seiner früheren Stellung entsprechenden Verwendung im Staatsdienst zu verhelfen. Von vertrauenswürdiger Seite ist mir berichtet worden, daß er demnächst in eine materiell bedrängte Lage kommen muß, wenn ihm nicht in irgend einer Hinsicht geholfen wird. Da ich während seiner ganzen amtlichen Wirksamkeit in täglicher Zusammenarbeit seine rechte Hand gewesen bin, so kann ich ihn vielleicht besser als irgend jemand sonst beurteilen, auf welchem Gebiete die Kraft des Herrn Haenisch zum Besten des allgemeinen Staatswohles eingesetzt werden könnte. An nächsten läge natürlich, ihn im Rahmen der Unterrichtsverwaltung zu verwenden. In Frage könnte nur eine selbständige oder eine leitende Stellung kommen. Derer gibt es im Rahmen der Unterrichtsverwaltung eigentlich nur die Kuratorstellen an den Universitäten und die Direktorstellen der Prrovinzialschulkollegien. Seit dem Ausscheiden des Herrn Haenisch aus dem Ministerium habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen und mit anderen hin und her überlegt, ob es möglich wäre, ihn auf einem dieser beiden Posten zu verwenden. Sämtliche von mir befragte Sachverständige halten das aus sachlichen oder aus politischen Gründen für unmöglich. An der Spitze der Provinzialschulkollegien ist nur ein technisch gründlich geschulter Beamter denkbar, und die hier zu lösenden Fragen liegen auch Herrn Haenisch ferner, da während seiner Ministerschaft in erster Linie die Volksschulfrage im Mittelpunkt des Interesses gestanden hat. Es sind hier entweder streng juristische oder speziell schultechnische Aufgaben zu lösen, zu denen eine akademische Fakultas in einem oder mehreren Fächern gehört. Die Leitung eines Provinzialschulkollegiums kann also aus sachlichen Gründen für Herrn Haenisch nicht in Betracht kommen. Ich glaube auch, daß er sich selber diese Aufgabe nicht zutrauen würde.

Anders liegen die Dinge bei einem Universitätskuratorium. Ein Kurator ist zwar kein leitender, aber doch ein selbständiger Beamter, und als Ruheposten für einen früheren Minister ist diese Stelle durchaus würdig. Allerdings gibt es auch hier sachliche Schwierigkeiten. Als Minister hatte Herr Haenisch zur Ausführung seiner Wünsche einen großen Stab nach allen Richtungen hin geschulter Beamter zur Verfügung. Er brauchte also nur die Ideen angeben, und sie wurden dann in die juristisch und technisch richtige Form gebracht. Als Kurator ist er der einzige höhere Beamte in einer Behörde, muß also die entscheidenden, oft auch juristisch wichtigen Berichte persönlich abfassen, wenn ihm auch in den rechnerischen fragen ein Büro zur Seite steht. Immerhin glaube ich, daß Herr Haenisch diese sachlichen Schwierigkeiten nach einigem Einarbeiten wohl überwinden würde. Es könnte ja vielleicht für eine entsprechende Hilfe gesorgt werden. Aber hier liegen nun leider die Schwierigkeiten auf anderem Gebiet. Ich befürchte, daß eine Ernennung des Herrn Haenisch zum Kurator – wobei ich ganz absehe, ob sie für den gegenwärtigen Herrn Kultusminister überhaupt politisch tragbar wäre – eine Radikalisierung der langsam abflauenden Oppositionsbewegung der Studentenschaften und auch der Universitäten gegen den neuen Staat herbeiführen würde. Ich kann es zwar Herrn Haenisch bezeugen, daß er immer nur das Beste für die Universitäten gewollt hat. Ich weiß, daß er mit zarter, aber fester Hand die akademische Welt mit den neuen Verhältnissen hat versöhnen wollen. Ja, man kann geradezu von einem Haenisch’schen Liebeswerben um die Universitäten reden. Aber es ist ihm leider hier der Erfolg versagt geblieben. Die Universitäten sind zweifellos jetzt auf dem Wege der vollen Versöhnung mit den neuen Verhältnissen. An ihrer Loyalität ist nicht zu zweifeln; aber Herr Haenisch ist für diese akademischen und namentlich die studentischen Kreise doch nun mal der Inbegriff dessen, was sie bekämpfen. Besondere Schuld trägt daran seine unglückliche Behandlung der Marburg- Mechterstaedt’schen Affaire. Sein Wort von den Marburger Mordbuben hat eine geradezu verhängnisvolle Wirkung ausgeübt und seine ziemlich fortgeschrittene Versöhnungspolitik auf ihre allerersten Anfangsstadien zurückgeworfen, vor allem, als er nach Spruch der Gerichte nur als Minister, nicht aber als Mensch seine schweren Beschuldigungen zurücknahm. Würde er nun Kurator werden, so glaube ich, daß wir mit sehr erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen haben würden, die man, wenn irgend möglich, vermeiden sollte. Wir haben in den letzten Jahren systematisch die Kuratorposten von den Oberpräsidentenposten getrennt, weil wir sie entpolitisieren wollten. Die Ernennung von Herrn Haenisch würde diese ganze Politik desavouieren und auch diese im Interesse der Versöhnung unbedingt neutral zu haltenden Posten in die machtpolitischen Verteilungspläne der Parteien einbeziehen. Ich würde diese Entwicklung für geradezu verhängnisvoll halten und habe deshalb gegen die Verwendung des Herrn Haenisch auf einem Kuratorposten, wenigstens für die nächsten Jahre, nicht nur persönliche, sondern auch erhebliche sachliche Bedenken.

Welchen Posten soll man aber sonst in Vorschlag bringen? Ich sehe den einzig möglichen Ausweg in einer Ernennung des Herrn Haenisch zum Regierungspräsidenten. Auf diesem leitenden Posten können gerade seine besten Qualitäten sich voll auswirken. Er hat als Minister einen guten Überblick über die Staatsverwaltung gewonnen. Er besitzt als Regierungspräsident ein sachverständiges Personal zu juristischen und technischen Beratungen. Sein persönlicher Einsatz besteht nun in einer, ich darf wohl sagen, ungewöhnlichen Begabung zur Leitung schwieriger Verhandlungen, zur Beruhigung aufgeregter Gemüter, zur Abfertigung unverschämter Antragsteller und zur Sicherstellung staatlicher Belange gegenüber privaten Interessenten. Ich habe ihn sehr hochmögende Professoren mit geradezu bewundernswürdigem Geschick abfertigen sehen und beobachtete, wie er mit den schwierigsten Verhandlungsmaterien durch seine Ruhe und Liebenswürdigkeit glänzend fertig wurde. Auch versteht er es einzigartig, eine dem Staate zugute kommende Fühlungnahme zwischen seiner Arbeit und der öffentlichen Meinung herzustellen. Alles das sind Eigenschaften, die ihn zu einer leitenden Regierungsstellung wie der des Regierungspräsidenten geradezu prädestinieren. Wie es ihm als Minister gelang, sich das Vertrauen auch oppositioneller Parteien zu erwerben, ohne seinen eigenen Parteistandpunkt jemals aufzugeben, so würde es ihm auch als Regierungspräsident sicher gelingen, in einem Kreise mit starken politischen Spannungen im Interesse der Versöhnung zu wirken.

Unter diesen Umständen möchte ich Sie als Privatmann und alter Mitarbeiter des Herrn Haenisch dringend bitten, Ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß ihm durch die Ernennung zum Regierungspräsidenten aus der peinlichen Situation des Augenblickes geholfen werde.. Ich kann diese Bitte mit um so größerem Freimut wagen, als Herr Haenisch mich nach seinem Abgang ja ziemlich stark angegriffen hat und dadurch eine leise Trübung in unserem Verhältnis eingetreten ist. Ich habe aber zu genau beobachten können, mit wie rückhaltloser Hingabe und mit wie großem Erfolge er als Minister gewirkt hat, sodaß ich aus ehrlicher Überzeugung sagen darf: Das Vaterland ist ihm einen Dank schuldig.

Abschrift dieses Briefes habe ich mir erlaubt, auch Herrn Minister Severing zugehen zu lassen.

In bekannter Verehrung Ihr sehr ergebener (CHB)

Anmerkung: Herrn Minister Boelitz zur gef(älligen) K(enntnisnahme). B. 28.8.

 

30. Der Preußische Ministerpräsident Otto Braun an C.H.B. Berlin, 5.9.1922

Wilhelmstraße 63

(Maschinenmanuskript)

Persönlich

Sehr geehrter Herr Staatssekretär!

In Ergänzung meiner neulichen gelegentlichen Mitteilung teile ich Ihnen auf Ihre geschätzte Zuschrift vom 28. vorigen Monats noch ergebenst mit, daß es auch mir sehr am Herzen liegt, dem Herrn Haenisch eine ihm gewisse materielle Sicherstellung bietende Tätigkeit zu verschaffen. Ihr Vorschlag, ihn für den Posten eines Regierungspräsidenten in Aussicht zu nehmen, erscheint mir, wie ich Ihnen bereits gelegentlich der Eröffnung der Gartenbauausstellung sagte, ganz abwegig. Haenisch eignet sich nach seinen ganzen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften für den Posten eines Regierungspräsidenten am allerwenigsten. Ich glaube, daß nur im Bereiche des Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die Möglichkeit wäre, Haenisch eine seinen Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung zu verschaffen. Die Einwände politischer Natur, die Sie gegen seine Bestellung zum Kurator einer Universität geltend machen, kann ich als berechtigt nicht anerkennen. Wollte man sie gelten lassen, würde das darauf hinaus kommen, daß Sozialdemokraten für derartige Stellen überhaupt nicht in Frage kämen. Das würde aber eine Praxis ergeben, die mit den heutigen verfassungsrechtlichen und tatsächlichen politischen Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen wäre.

Als glücklichste Lösung würde ich es ansehen, wenn Haenisch die Möglichkeit einer Lehrtätigkeit an einer der Berliner Hochschulen eröffnet werden könnte. Die Fähigkeiten dazu hat er zweifellos und die ihm vielleicht noch fehlende wissenschaftliche Disziplin würde er sich unter dem Einfluß seiner Stellung bald aneignen. Man könnte vielleicht mit einem Lehrauftrag beginnen und ihm später eine ordentliche Professur geben. Bei einigem guten Willen, den ich bei Ihnen und bei Ihrem Herrn Minister ohne weiteres voraussetze, dürfte sich auf diesem Wege wohl für Haenisch ein geeigneter Wirkungskreis schaffen lassen.

Mit dem Ausdruck meiner ergebensten Hochachtung verbleibe ich

Ihr (gez.) Braun.

 

31. C.H.B. an MP Otto Braun. (Berlin), 5.2.1925

Privatsekretariat

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Als Anlage gestatte ich mir, Ihnen das Reinkonzept des Erlasses zu übersenden, der morgen vormittag 10 Uhr Gegenstand des gemeinsamen Vortrages mit der Finanzverwaltung bei

Ihnen sein wird. Es handelt sich in dem Erlaß um die nicht mehr aufschiebbare Ausführung des Staatsministerialbeschlusses vom Oktober vorigen Jahres über die Neugestaltung der Lehrerbildung und zwar zunächst insoweit, als die Auflösung der Seminare und die Einrichtung staatlicher Aufbauschulen in ihren Gebäuden jetzt geregelt werden muß. Ich glaube, daß Sie den größten Teil des Erlasses, der sich mit technischen Problemen befaßt, ungelesen lassen können, und bitte, Ihre Aufmerksamkeit im wesentlichen nur auf Ziffer 11 des Erlasses (Seite 10 ff.) lenken zu dürfen. Durch die in Ziffer 11 enthaltene Anordnung werden über 500 Leiter und Lehrer der Ostern des Jahres eingehenden Seminare auf Wartegeld gesetzt. Ich habe Bedenken, diese Ziffer des Erlasses meinerseits zu zeichnen, und hatte mich der Finanzverwaltung gegenüber nur bereit erklärt, eine Ankündigung in dieser Richtung zu erlassen, wogegen die Anordnung, die Lehrer auf Wartegeld zu setzen, dem künftigen Unterrichtsminister vorbehalten bleiben sollte. Die Herren der Finanzverwaltung stehen demgegenüber auf dem Standpunkt, daß die Versetzung der Lehrer in den einstweiligen Ruhestand nicht länger hinausgeschoben werden kann. Da ich inhaltlich nach Lage der Sache vollkommen beitreten muß und nur formal, bei der augenblicklich gegebenen staatsrechtlichen Lage, Bedenken habe, diesen Punkt meinerseits abschließend zu zeichnen – den ganzen übrigen Inhalt des Erlasses hätte ich unbedenklich meinerseits gezeichnet -, so ist es eben dieses Punktes wegen notwendig geworden, Sie, hochverehrter Herr Ministerpräsident, um die abschließende Zeichnung des Erlasses zu bitten.

Ich habe geglaubt, Ihnen den Entwurf des Erlasses bereits vor dem Vortrag vorlegen zu sollen.

In aufrichtiger Verehrung Ihr ganz ergebener (CHB)

 

32. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin, 4.11.1925

(Maschinenmanuskript)

Persönlich

Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, hier

In der Anlage überreiche ich Ihnen, verehrter Herr Minister, eine Bewerbung des Lehrers Syttkus aus Mallinken/Ostpreußen um die Schulstelle in Schemionken mit der Bitte, der Angelegenheit Ihre persönliche Aufmerksamkeit zuwenden zu wollen. Wie mir aus Ostpreußen mitgeteilt wird, ist die Ablehnung durch die Regierung in Allenstein auf parteipolitische Gründe zurückzuführen. Der zuständige Dezernent bei der Regierung in Allenstein, der Oberregierungsrat Siebert ist ein intimer Freund des Leiters der deutschnationalen Ortsgruppe in Widminnen, Pfarrer Jencio, der bei einer Familienfeier im Hause eines Gutsbesitzers dem dortigen Hauslehrer gegenüber erklärt haben soll, daß der ihm politisch nicht genehme Lehrer Syttkus nicht nach Schemionken hinkomme, dafür werde er schon sorgen. Sachlich scheint mir die Bewerbung durchaus begründet, und nach Lage der Sache wäre es mir auch sehr erwünscht, wenn dem Lehrer Syttkus die Stelle übertragen werden könnte. Es wäre damit der Wunsch einer durch den Krieg schwer heimgesuchten Familie erfüllt, und zudem diesem ostpreußischen deutschnationalen Ortsgewaltigen zum Bewußtsein gebracht, daß sie nicht allein entscheidend sind. Für eine freundliche Mitteilung über Ihre Entscheidung wäre ich Ihnen sehr verbunden sein. (gez.) Braun.

 

33. A. Oestreicher MdL an MP Otto Braun Berlin, 17.3.1926

Herr Ministerpräsident,

darf ich mir erlauben hierdurch an die von uns besprochene Angelegenheit des Schulrats Greff Raynit und der Regierungsratbesetzung K(olberg) zu erinnern

Mit vielen Grüßen A Oestreicher.

Auf der Rückseite:

Der Preußische Ministerpräsident an Minister C.H.B Berlin, 18.3.1926

Urschriftlich (Maschinenmanuskript)

Persönlich

Weitergereicht. Für eine Rücksprache vor der Entscheidung über die Besetzung der in Frage kommenden Stelle würde ich dankbar sein. (gez.) Braun.

Anmerkung Beckers: Herrn ORR Duve, bitte die betreffenden Referenten informieren und mir wieder vorzulegen nach Rückkehr. B. 12.5.

Anmerkung Duves. Herr ORR Leist ist verständigt. Duve 24.5.

 

34. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin, 6.5.1926

(Maschinenmanuskript)

Herrn Minister etc.,

In der Angelegenheit betreffend die Besetzung der Stelle eines Regierungsrats in Königsberg/Preußen wäre ich für eine baldige Erledigung meiner Urschrift vom 18. März d.J. dankbar. (gez.) Braun

 

35. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin 11.6.1926

(Maschinenmanuskript)

Herrn Minister etc.,

In der Angelegenheit, betreffend die Besetzung der Stelle eines Regierungsrates in Königsberg/Preußen bitte ich nochmals um baldige Erledigung meiner Urschrift vom 18. März d.J.

(gez.) Braun

Anmerkung Duves: Herrn MinDir. Kaestner im Auftrag des Herrn Ministers ergebenst vorgelegt. Duve 16.6.

Anmerkung MinDir. Kortums: Am 22. habe ich Herrn Ministerpräsidenten über den Sachverhalt vorgetragen. Ergebnis: Nach der bevorstehenden Versetzung des Studienrats Bistacke (unleserlich) von Bartenstein nach Oranienburg möge Rektor Ray in Saalfeld zum Schulrat in Bartenstein ernannt und bei nächster Vakanz einer Regierungsschulratstelle versetzt werden, so daß (?) Requit als Regierungsrat für Königsberg in Frage kommen kann. Die Sache wird bei U III verfaßt werden? Dürfte einstweilen erledigt sein. K. 22.6.

Anmerkung Beckers 23.6.

Herrn MinDir. Kortum: Einverstanden, erbitte Erinnerung. B 23.6. Gesehen: K.24.6.

 

36. C.H.B. an Otto Braun (Berlin), 30.12.1926

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Mit Schrecken höre ich, daß Sie ein neuerlicher Unfall betroffen hat. Da drängt es mich,

Ihnen von Herzen gute Besserung zu wünschen. Damit möchte ich zugleich meine besten Glückwünsche zum neuen Jahre verbinden. Auch Ihrer Frau Gemahlin bitte ich mich und meine Frau freundlichst empfehlen zu wollen. Hoffentlich sind Sie bald nach dem Jahreswechsel wieder wohlauf in unserer Mitte. Ich persönlich danke Ihnen besonders für die mir

auch im vergangenen Jahre allzeit bewiesene Unterstützung. Auf dem Rücken des armen Kultusministers werden manche der großen geistigen Kämpfe ausgepaukt, die sich nun einmal aus den Spannungsverhältnissen in unserem Volke ergeben. Da war ich oft dankbar erfreut über das Verständnis dieser Situation, dem ich immer bei Ihnen begegnet bin.

In bekannter hoher Verehrung Ihr ergebenster (CHB)


Kontroverse um das Ostprogramm


37. C.H.B. an MP Otto Braun. Berlin, 16.7.1927

(Maschinenkopie eines Persönlichen Schreibens des Herrn Ministers.)

Vertraulich

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Unter Rückreichung des Schreibens des Herrn Ministers des Innern vom 13. Mai d.J. –III O.I.622 nebst Anlage – teile ich Ihnen folgendes ganz ergebenst mit:

Es ist zutreffend, daß von den auf mein Ressort entfallenden Mitteln des Sofortprogramms für 1926 2% als Reservefonds verwendet worden sind. Diese Regelung hat sich als durchaus sachgemäß erwiesen. Da nämlich einerseits die Verwendung der Reichsmittel nach dem vom Reich aufgestellten allgemeinen Richtlinien den preußischen Ressorts überlassen bleiben sollte, andererseits nach der überhasteten Art der Vorbereitung die Projekte noch nicht voll durchgearbeitet sein konnten, erschien es geradezu notwendig, einen Teilbetrag in Reserve zu halten.

In diesem Sinne ist die Angelegenheit wiederholt im Reichsministerium des Innern vertreten worden. Der Vertreter des Herrn Reichsministers des Innern, Ministerialdirektor Dr. Dammann, hat nach wiederholten Erörterungen trotz gewisser Bedenken zugestimmt, wobei er lediglich den selbstverständlichen Vorbehalt machte, daß auch die Verfügung über diesen Reservefonds sich im Rahmen des Sofortprogramms zu halten habe. Bereits durch Schreiben vom 15. November 1926, II 10251 B., hatte übrigens der damalige Herr Reichsminister persönlich wegen Unterstützung des Oberschlesienfilms auf diesen Reservefonds verwiesen.

Was die hier zur Sprache gebrachten Zuschüsse für die Oper, die Vereinigten Schauspiele und das Landesorchester Breslau angeht, so ist zu bemerken, daß ein Abzug an der für das Landesorchester bewilligten Beihilfe von 80 000 RM überhaupt nicht erfolgt ist. Die in dem Schreiben des Herrn Reichsministers des Innern vom 9. April d.J. angegebene Differenz von 80 000 RM – 53 000 RM = 27 000 RM erklärt sich daraus, daß diese 27 000 RM bereits bei Bereitstellung der Reichsmittel vorschußweise aus preußischen Mitteln gezahlt worden waren, eine Zahlung, die selbstverständlich auf die Reichsmittel zu verrechnen waren.

Die bei der Oper und den Vereinigten Schauspielen in Breslau einbehaltenen Beträge von 6000 RM + 1000 RM = 7000 RM sind zu dem Reservefonds geflossen. Es handelt sich hierbei um ganz geringfügige Beträge. Außerdem hat der hiesige Ostreferent dem Regierungsrat D. Hamburger , MdL, aus Breslau, der die in Rede stehenden Interessen sowohl in Breslau als im Ostausschuß des Landtags vertritt, bereits vor Wochen über die Gründe der Einbehaltung jenes Reservefonds und die dabei in Betracht kommenden Verwendungszwecke Aufklärung gegeben. Der Regierungspräsident von Breslau ist gleichfalls unter dem 23. März d.J. entsprechend benachrichtigt worden. Seitdem ist weder Dr. Hamburger noch ein anderer Interessent auf die Angelegenheit zurückgekommen.

Bezüglich der ostpreußischen und oberschlesischen Theater, bei denen der 2%ige Abzug gleichermaßen erfolgt ist, sind Beschwerden überhaupt nicht hervorgetreten.

Hiernach nehme ich an, daß das Schreiben des Herrn Ministers des Innern vom 13. Mai d.J. überholt ist.

Wenn in diesem Schreiben geltend gemacht wird, daß die bei dem Kultusministerium erfolgte Bildung eines Reservefonds bei der Reichsregierung ein Mißtrauen gegen die Preußische Regierung hervorgerufen und die Ablehnung des preußischen Vorschlages auf eine Überweisung der Reichshilfe en bloc bewirkt habe, so muß ich dies, soweit ich die Dinge irgendwie kenne, nachdrücklich zurückweisen.

Wenn allerdings weiter in interessierten Kreisen die Meinung vorübergehend aufgetreten ist, es handele sich bei dem Abzuge der 2% um eine „Bankprovision“, oder wenn nach einer vor kurzem erfolgten Äußerung der zuständige Abteilungsleiter des Preußischen Ministeriums des Innern Zweifel hegte, ob die 2% überhaupt im Sinne des Ostprogramms oder für andere Zwecke des hiesigen Ministeriums Verwendung finden, so handelt es sich hierbei um Irrtümer, die unschwer zu widerlegen sind.

Ich möchte danach annehmen, daß gegenwärtig nichts zu veranlassen ist, die weiteren Erörterungen vielmehr für die Verhandlungen über das Ostprogramm 1927 vorzubehalten sind.

In ausgezeichneter Hochachtung und aufrichtiger Verehrung Ihr sehr ergebener (CHB 15.7.)

Anlage: Entwurf durch Trendelenburg für Minister Becker vom 5.7.1927 (nicht abgedruckt, da von Becker weitgehend verwendet.)

Anmerkung: Bitte um Entwurf eines vertraulichen Schreibens an den Herrn Ministerpräsidenten. B. 13.7.

 

38. C.H.B. an MP Otto Braun. Marienbad, 28.8.1927

(am 30.8. durch Herrn MR Landé zum Abgang gebracht)

(Maschinenkopie)

Eigenhändig!

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Ich habe soeben die Denkschrift über das Reichsschulgesetz, die ich hier eine ganze Woche lang mit meinen Referenten durchberaten habe, gezeichnet. Sie ist sehr umfangreich, aber stellt die ganze Problematik klar und bringt eindeutige Vorschläge zu einer alle Teile befriedigenden Lösung. Sie ist ganz auf Versöhnung gestellt, ohne etwa Konzessionen an den Konfessionalismus zu machen.

Ganz vertraulich will ich je ein Exemplar auch an Marx und Keudell persönlich gelangen lassen; denn alles kommt darauf an, daß wir uns mit dem Reichskabinett verständigen. Wie die Sachen einmal liegen, fällt die Entscheidung im Preußischen Kabinett, da unsere Zentrumskollegen doch nur in Fühlungnahme mit Marx stimmen werden. Wäre es da nicht viel praktischer und würdiger, wir bildeten einen Ausschuß der beiden Kabinette, die sich vielleicht unter Zuziehung der führenden Parlamentarier verständigten? Dann wäre der Beschluß des Preußischen Kabinetts die Garantie für die Verwirklichung. Ich bin am 12.ten in Berlin zurück, dann müßten bald diese Verhandlungen hinter den Kulissen beginnen.

Zu Ihrer Informierung bemerke ich noch, daß der Verfasser der Denkschrift MinRat Landé ist, ein Sozialist und zugleich wissenschaftlich und praktisch seit Jahren einer der besten Kenner der Materie. Die politische Einleitung habe ich selbst geschrieben. Wenn Sie persönlich noch nähere Informationen brauchen, lassen Sie sich bitte Landé kommen, der auch mit dem Vertreter der preußischen Landtagsfraktion sich ständig in Fühlung gehalten hat. Natürlich sind auch alle anderen Weltanschauungen im Ministerium ausführlich gehört worden. Einiges zum Abhandeln habe ich aus taktischen Gründen mit hineingenommen. Jedenfalls glaube ich, daß wir mit unserem Votum nach rechts wie nach links ein gut Stück vorwärts gekommen sind.

In bekannter hoher Verehrung Ihr ergebenster (gez.) Becker.

 

39. MP Otto Braun an C.H.B. in Marienbad. Berlin, 1.9.1927

(Maschinenmanuskript)

Persönlich

Sehr verehrter Herr Kollege

Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeilen vom 28.vorigen Monats. Inzwischen habe ich auch die Denkschrift in 3 Exemplaren erhalten, bin indes noch nicht dazu gekommen, sie durchzusehen. Gegen Ihre Absicht, die Denkschrift schon vor Verabschiedung im preußischen Kabinett Marx und von Keudell persönlich zugehen zu lassen, habe ich schwere Bedenken. Ob sich im späteren Verlauf der Bearbeitung des Schulgesetzes die Basis für ein gemeinsames Vorgehen der beiden Kabinette ergeben wird, möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls wird durch eine vorzeitige Bekanntgabe Ihrer, des preußischen Ressortministers, Stellungnahme die Position der preußischen Regierung der Reichsregierung gegenüber nicht gestärkt. Auch will es mir zweifelhaft erscheinen, ob es zweckmäßig ist, bevor die Vorlage an den Reichstag gelangt, bereits im Stadium der Reichsratsverhandlungen Parlamentarier der verschiedensten Parteien zur Mitarbeit heranzuziehen. Doch darüber können wir nach Ihrer Rückkehr noch sprechen. Immerhin würde ich Sie bitten, auch in Fragen der taktischen Behandlung der Vorlage sich nach keiner Richtung hin festzulegen.

Mit den besten Wünschen für eine gute Erholung verbleibe ich in alter Hochschätzung mit kollegialen Grüßen Ihr sehr ergebener (gez.) Braun.

 

40. C.H.B. an MP Otto Braun. Marienbad, 2.9.1927

(Maschinenkopie 2.Fassung)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Verbindlichen Dank für Ihr freundliches Schreiben, das ich soeben erhalte. Ich hatte angeordnet, daß der Brief an Sie einige Tage früher abgehen sollte, als die Übersendung der Denkschrift an Marx und Keudell. Ich hatte angenommen, Sie würden eventuell Herrn Landé antelephonieren lassen, wenn Sie Bedenken hätten. Inzwischen sind aber die beiden Briefe leider abgegangen. Immerhin halte ich die Tatsache, daß Marx nicht amtlich, sondern persönlich die Denkschrift mit der Bitte um strikteste Geheimhaltung von mir erhalten hat, für durchaus unbedenklich, ja sogar für ein entspannendes Moment., da unsere Zentrumskollegen doch gar nicht umhin können werden, eines der ihnen überwiesenen drei Exemplare sofort mit Marx und mit Heß zu beraten, ebenso wie ich von Anfang an Landé beauftragt hatte, wenigstens in der Sache mit König in Fühlung zu bleiben. HöpkerAschoff, mit dem ich hier alles gründlich durchberaten habe, kam immer wieder darauf zu sprechen, wie sehr er es begrüßen würde, wenn meine Denkschrift durch Indiskretion in die Öffentlichkeit gelangte. Dazu habe ich mich natürlich nicht hergeben wollen, aber ich bin allerdings auch der Meinung,

  • erstens daß die Denkschrift die preußische Position nur stärken wird und
  • zweitens, daß bei dem großen Interesse der Öffentlichkeit an dieser Frage eine in drei Exemplaren an jedes Ministerium versandte Denkschrift heutigen Tages nur noch durch ein Wunder geheim bleiben kann.

Aus diesem Grunde habe ich der Denkschrift den versöhnlichen politischen Vorspruch gegeben, weil, wenn aus diesem umgangreichen Material etwas durch Indiskretion veröffentlicht wird, natürlich zunächst diese Einleitung abgedruckt werden würde und damit nicht eine mehr oder weniger uns festlegende Einzelformulierung, sondern zunächst die uns vollkommen die Hände offenlassende feste aber zugleich versöhnliche und zum Verhandeln bereite Stellungnahme bekannt werden würde.

Herr von Keudell hat, wie die Dinge liegen, gar kein Interesse daran, eine Indiskretion zu begehen und er damit mein gentlemanlikes Vertrauen in der schnödesten Weise enttäuschen. Ich halte das für vollkommen ausgeschlossen. Viel weniger sicher bin ich mir des Zentrums, aber hier war eine gewisse Gefahr im Verzuge. Mir lag daran, daß Marx für seine Person schon vor dem Dortmunder Katholikentag Bescheid wußte, um den sonst dort vielleicht energisch auftretenden Bischöfen etwas politische Nüchternheit entgegen halten zu können, denn wenn schon ich, als der Zentrumsfreundlichkeit verdächtiger Ressortminister so ernste Bedenken gegen die Vorlage äußere, so ist ohne Weiteres klar, daß die Linke noch ganz anders denken muß. Mit Höpker habe ich verabredet, daß er scharf über mich votieren wird, damit mein Votum schließlich als die gesunde Mittellinie übrig bleibt, auf der man sich einigen kann.

Es ist ja wenig erfreulich, daß diese Angelegenheit so durchgehetzt werden muß und daß ich hier in Marienbad und Sie in Berlin sitzen, aber ich glaube bisher in allen Einzelheiten im Sinne Ihrer Politik gehandelt zu haben. Höpker war sehr dafür, möglichst bald auch die Volkspartei mit der Denkschrift bekannt zu machen, da sie auf die Reichsregierung in unserem Sinne drücken würde. Es ist für die Volkspartei eine Lebensfrage, das preußische Votum zu stützen. Bei der Abwesenheit von Stresemann schien mir Curtius als geeignete Mittelsperson, aber ich habe natürlich nichts unternommen und werde auch nichts unternehmen ohne vorherige Fühlungnahme mit Ihnen. Vielleicht nehmen Sie einmal Gelegenheit mit Höpker über die Angelegenheit zu sprechen, der sich in die Materie sehr gut eingearbeitet hat und bei Eintreffen dieses Briefes wieder in Berlin ist.

Da ich annehme, daß am Dienstag, wie regelmäßig, die Staatsministerialsitzung stattfindet, werde ich meine Kur so abschließen, daß ich spätestens Dienstag den 13. in Berlin bin. Die nächste Woche wollte ich gern noch hier meine Kur vollenden, die mir ehrlich gesagt über Erwarten gut zu tun scheint.

Die zum 1. Oktober in Aussicht gestellte Neuordnung des Studentenrechts hat durch meine und meiner Referenten Urlaubsreisen leider eine gewisse Verspätung erfahren. Ich erwarte heute Ministerialdirektor Richter zum Vortrag und Sie werden die Sache dann sofort erhalten. Ich wäre sehr dankbar, wenn diese Verordnung im Staatsministerium beschleunigt verabschiedet werden könnte. Meine persönliche Anwesenheit ist dabei nicht nötig, aber die Beschlußfassung wird ja wohl kaum vor dem 13. September stattfinden können und dann kann ich die Sache ja selbst vertreten. Jedenfalls wäre ich dankbar, wenn die Verordnung spätestens auf die Tagesordnung des 13. gesetzt werden könnte.

Mit verbindlichen Grüßen bin ich in bekannter hoher Verehrung Ihr sehr ergebener (CHB)

 

41. C.H.B. an MP Otto Braun Berlin, 21.9.1927

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Auf Ihre heutige telefonische Anfrage über das Historische Institut in Rom beehre ich mich, Ihnen mitzuteilen, daß die Übersendung des neuen Satzungsentwurfs für das Institut bisher unterlassen worden ist, weil eine Mitwirkung des zurzeit noch dienstlich abwesenden zuständigen Ministerialdirektor und künftigen Vorsitzenden des Kuratoriums geboten erscheint.

Ich habe Vorsorge getroffen, daß der Satzungsentwurf Ihnen in der kommenden Woche zugeht.

In bekannter hoher Verehrung Ihr sehr ergebener (gez.) B. 21

 

42. C.H.B. an MP Otto Braun. Berlin, 10.11.1927

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

In der Angelegenheit der Rektoren Rinck und Schmidt in Wittenberge beehre ich mich, ergebenst mitzuteilen, daß der Rektor Rinck mit Wirkung vom 1. November d.J. ab von Wittenberge nach Neuruppin versetzt worden ist. Die Sache hat damit eine nach Mitteilung der Herren Abgeordneten König und Siering auch die Landtagsfraktion der SPD befriedigende Erledigung gefunden.

In bekannter hoher Verehrung Ihr sehr ergebener (CHB)

 

43. Carl Heinrich Becker (Berlin, November 1927??)

Handschriftliche Notiz ohne Empfängerangabe, wohl Entwurf für den folgenden Brief von MP Braun an den Reichskanzler, auf einem kleinen Briefbogen für ein Mitglied des Preußischen Landtags.

Das Preußische Staatsministerium nimmt gern davon Kenntnis, daß die Reichsregierung als solche in der Studentenangelegenheit keinerlei Stellung genommen hat, daß das Sympathie-telegramm des Herrn Reichsinnenministers also eine rein private Angelegenheit des Herrn von K(eudell?) gewesen ist. Bei aller Anerkennung der verfassungsmäßigen Rechte und vor allem jedes Abgeordneten auf freie Meinungsäußerung, kann das Preußische Staatsministerium es nicht für zweckvoll erachten, daß die Minister des Reiches oder Preußens von diesem Rechte Gebrauch machen, wenn sie damit die Politik der anderen Regierung erschweren. Als Mindestforderung darf wohl der Wunsch ausgesprochen werden, daß ein Minister vor Stellungnahme sich bei der zuständigen Stelle über die Sachlage informiert.

Herrn von K(eudell) war persönlich jede erwünschte Auskunft angeboten worden, sie wurde aber leider nicht eingeholt, vielmehr einseitig mit der student(ischen) Opposition Fühlung gehalten. Das war um so bedauerlicher, als dadurch gerade diejenigen Kreise gestärkt wurden, gegen die Preußen (und zwar nicht nur die Regierung, sondern auch der Landtag und der Staatsrat) im Interesse der Durchsetzung der Reichsverfassung vorzugehen genötigt war.

Die große Beunruhigung der Öffentlichkeit, die durch das Telegramm des Herrn von K(eudell) entstanden ist, dürfte zur Genüge beweisen, daß durch derartige Privataktionen weder die Autorität der beteiligten Regierungen gestärkt, noch die doch von beiden Kabinetten gewünschte vertrauensvolle Zus(ammen)arbeit zwischen dem Reich und Preußen gefördert wird. Das Pr(eußische) St(aatsministerium) darf deshalb wohl als Ergebnis dieses Briefwechsels feststellen, daß eine Wiederholung derartiger Vorkommnisse von beiden Kabinetten als unerwünscht betrachtet wird.

 

44. MP Otto Braun an den Reichskanzler Berlin, 30.11.1927

(Maschinenkopie)

Hochgeehrter Herr Reichskanzler!

Der Herr Reichsminister des Innern hat zur Kundgebung der Deutschen Studentenschaft, die am vorigen Sonntag, den 27. d.M., gegen das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung stattgefunden hat, an den Vorstand der Deutschen Studentenschaft nach unwidersprochen gebliebenen Zeitungsnachrichten folgendes Telegramm gerichtet:

  • Im Geist unter Ihnen in innerer Verbundenheit bekennt sich erneut zu Ihnen mit herzlichen Grüßen und Wünschen

Von Keudell

Auf Erkundigungen bei den zuständigen Stellen des Reichsinnenministeriums ist die Tatsache der Absendung des Telegramms bestätigt, allerdings hinzugesetzt worden, daß man den authentischen Wortlauf nicht kenne, daß er aber dem Sinn der oben angeführten Depesche entspreche.

Ich muß bei Ihnen, hochgeehrter Herr Reichskanzler, auf das entschiedenste dagegen Verwahrung einlegen, daß ein Mitglied der Reichsregierung in einer Frage, die die preußischen Hochschulen und Studentenschaften aufs tiefste erregt und die Hochschulen in heftige politische Kämpfe hineinzuziehen droht, gegen die verantwortliche preußische Regierungspolitik in einer Weise öffentlich Stellung nimmt, die sich mit dem gegen das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gerichteten Angriffen identifiziert. Ich muß hierin wie jedermann eine starke Brüskierung der Politik der Preußischen Regierung erblicken, um so mehr, als der Herr Reichsminister des Innern bereits mehrfach studentische, insbesondere völkische Gruppen, die gegen die Preußische Regierung Stellung genommen haben, in ihren Angriffen durch seine Haltung ostentativ bestärkt hat.

Da sich eine derartige Einstellung des Herrn Reichsministers Dr. von Keudell mit ausgesprochener Spitze gegen die Preußische Regierung auch schon bei anderen Gelegenheiten bemerkbar gemacht hat, so darf ich Sie, Herr Reichskanzler, ergebenst bitten, dafür Sorge zu tragen, daß sich derartige Fälle unter keine Umständen wiederholen, da die Preußische Regierung andernfalls sich zu ihrem Bedauern genötigt sehen würde, jeden dienstlichen Verkehr mit dem Herrn Reichsminister Dr. von Keudell abzubrechen.

In bekannter Hochachtung und Verehrung Ihr (gez.) Braun.

 

45. C.H.B. an MP Otto Braun. (Berlin), 23.3.1928

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Obwohl es mir aus allgemein politischen Erwägungen nicht unbedenklich erschien, aus einer pommerschen Kleinstadt einen wirklich republikanisch gesinnten Studienrat zu versetzen, habe ich doch versucht, den Studienrat Dr. Berndt in Dramburg wunschgemäß anderswo unterzubringen, da seiner Frau das Klima Pommerns nicht zuträglich ist. Zu meinem lebhaften Bedauern hat sich eine Versetzungsmöglichkeit bisher nicht ergeben. Ich werde die Angelegenheit aber im Auge behalten.

Den mir seinerzeit übergebenen Brief1 nebst Anlage gestatte ich mir, wieder beizufügen.

In bekannter hoher Verehrung Ihr sehr ergebener (CHB)

 

46. MP Dr. Otto Braun an C.H.B. Berlin, 7.6.1928

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Kollege!

Anliegend überreiche ich Ihnen einen Entwurf zu der Regierungserklärung, die ich am Sonnabend im Landtage namens der Staatsregierung abzugeben gedenke. Der Entwurf, den ich erst schnell diktiert habe, bedarf noch der Durcharbeitung. Ich wollte Sie nur bitten, den auf Ihr Ressort bezüglichen Passus durchzusehen und aus Ihrer eingehenderen Kenntnis der Verhältnisse ihn vielleicht etwas, aber im Rahmen der Gesamtrede hineinpassend, zu präzisieren. Detailfragen könnten nur erwähnt werden, wenn es ganz besonders aktuelle und wichtige für die zukünftige Politik sind. Doch muß ich dringend bitten, da die Erklärung möglichst kurz gehalten werden soll, über den Raum nicht wesentlich hinauszugehen. Sodann würde ich

Ihnen, sehr verehrter Herr Kollege, sehr dankbar sein, wenn ich den Entwurf mit Ihren evtl. Änderungen und Anregungen bis heute Abend erhalten könnte. Auch darf ich wohl als selbstverständlich voraussetzen, daß Sie den Entwurf ganz vertraulich behandeln und ihn rein persönlich bearbeiten.

Mit ergebensten kollegialen Grüßen Ihr (gez.) Braun

Anhang:

Entwurf zur Regierungserklärung des MP Dr. Braun, Juni 1928

Die eben vollzogenen Neuwahlen zum Preußischen Landtage haben in diesem hohen Hause für die bisherige Regierungskoalition und damit für die Regierung eine Mehrheit ergeben. Damit hat die bisher geübte Regierungspolitik die Billigung der Mehrheit der Wählerschaft gefunden. Dieses billigende Volksurteil würde zweifellos noch klarer und wuchtiger ausgefallen sein, wenn die preußischen Landtagswahlen nicht zusammen mit den Reichstagswahlen, sondern gesondert stattgefunden hätten.

Die Regierung hat noch vor den Wahlen in den letzten Tagen der Verhandlungen des Landtages diesem und damit der preußischen Wählerschaft einen kurzen Abriß über ihre Politik in der zu Ende gegangenen Legislaturperiode des Landtages gegeben, der infolge meiner durch Krankheit verschuldeten Verhinderung von dem Herrn Wohlfahrtsminister dem hohen Hause vorgetragen wurde. Die preußischen Wählerinnen und Wähler waren daher in der Lage, in voller Kenntnis der Ergebnisse der Regierungspolitik ihre Entscheidung am Wahltage zu treffen. Leider ist dieser Rechenschaftsbericht der Regierung nicht in alle Kreise der Wählerschaft gedrungen, da zahlreiche, vornehmlich rechtsstehende Blätter in Verkennung ihrer journalistischen Pflicht den Abdruck der Regierungserklärung unterlassen und damit ihren Lesern vorenthalten haben. Die Regierung war daher gezwungen (von Becker eingeklammert: um dieser journalistischen Sabotage wenigstens einigermaßen entgegen wirken zu können)

auf andere Weise und auch unter Aufwendung von Staatsmitteln dem Bericht die weitmöglichste Verbreitung zu geben.

Wenn dieses Vorgehen der Staatsregierung von den Oppositionsparteien in der Presse und in Versammlungen kritisiert und als Wahlbeeinflussung bezeichnet worden ist, so muß ich demgegenüber erklären, daß von letzterem keine Rede sein kann. Im Gegensatz zu dem früheren Regime liegen die Dinge heute so, daß die Staatsregierung in ihrer Gesamtheit und die einzelnen Minister nicht mehr einem Monarchen verantwortlich und in ihrer Stellung von dessen Vertrauen abhängig sind, sondern daß sie heute, wo nach der Verfassung die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, als wahre Diener des Volkes diesem für ihre Tätigkeit verantwortlich sind und nur so lange im Amte bleiben können, als sie das Vertrauen der Mehrheit des Volkes, das durch die Volksvertretung bekundet wird, haben. Sie haben daher nicht nur das Recht, sondern vielmehr die Pflicht, dem Volke, insbesondere vor der Wahl, Rechenschaft abzulegen über ihre Tätigkeit und, wenn nicht alle Zeitungen (von Becker eingeklammert: ihre journalistische Anstandspflicht erfüllen und) ihren Lesern von diesem Bericht Kenntnis geben, ihn auf andere geeignete Weise zur Kenntnis des Volkes zu bringen.

In diesem Vorgehen kann schon deshalb keine Wahlbeeinflussung erblickt werden, weil der Rechenschaftsbericht keine Aufforderung zur Wahl bestimmter Parteien enthält, sondern den Wählern lediglich Tatsachen unterbreitet, wodurch es ihnen ermöglicht werden soll, sich ein Urteil über die Politik der Regierung zu bilden und am Wahltage ihre Entscheidung zu treffen.

In dieser Entscheidung am 20. Mai d. Js. hat sich die Wählerschaft mit Mehrheit für die Politik der Preußischen Regierung ausgesprochen, sodaß für die Regierung kein Anlaß vorliegt, von ihrem Amte zurückzutreten.

Die Regierung wird vielmehr, gestärkt und in ihrer Auffassung von der Richtigkeit ihrer

Politik bekräftigt, diese Politik unbeirrt fortsetzen. Es ist das die Politik, die die Preußische Regierung seit März 1920, wo ich zum ersten Male die Ehre hatte, ein neues preußisches Kabinett diesem hohen Hause vorzustellen, konsequent und zielklar getrieben hat. Es bedarf daher keines neuen Regierungsprogramms, sondern die Richtlinien der Politik, die in den 8 Jahren, wo ich die Ehre habe, mit kurzen Unterbrechungen, die preußischen Regierungsgeschäfte zu führen, zielweisend waren, werden auch in Zukunft für die Tätigkeit der Regierung maßgebend sein.

Wie sich diese Richtlinien praktisch ausgewirkt haben, ist aus den zahlenmäßigen Angaben der zusammenfassenden Darstellung, die Herr Minister Hirtsiefer am 27. März d. Js. dem hohen Hause vorgetragen hat, klar ersichtlich.

Die Regierung wird demnach auch in Zukunft mit besonderer Sorgfalt und Dringlichkeit daran arbeiten, den Teilen des preußischen Volkes, die besonders unter der Ungunst der wirtschaftlichen Verhältnisse leiden, im Rahmen des praktisch Möglichen nach Kräften beizustehen.

  • Das sind einmal jene breiten Massen des um seine Existenz schwer ringenden und durch den Krieg und seine Folgen vielfach verarmten Mittelstandes
  • und weiter die Riesenheere der Industrie- und Landarbeiterschaft, die stets am ersten und schwersten von Konjunkturschwankungen, von dem Steigen der Preise für Konsumgüter und von Absatzschwierigkeiten der heimischen Industrie und Landwirtschaft betroffen werden.
  • Vor allem wird die Regierung konsequent mit dem Ziel der Produktionssteigerung ihre die Landwirtschaft fördernde Tätigkeit fortsetzen, um die jetzt schwer unter der umfangreichen Agrarkrise leidenden landwirtschaftlichen Bevölkerung über die sich aus dieser Krise ergebenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinwegzubringen.
  • Die Regierung wird auch weiter ihren Einfluß in gewissen, für die Allgemeinheit wichtigen Betriebs-Unternehmungen ausbauen und erweitern, nicht um Staatsmonopole zuschaffen, sondern vielmehr um die für die Allgemeinheit schädlichen Auswirkungen sich anbahnender Privatmonopole zu vereiteln.
  • Sie wird auch in der sozialen Fürsorge nicht erlahmen und vor allem wie bisher der Bekämpfung der Wohnungsnot ihre größte Aufmerksamkeit zuwenden. Da die Wohnungsnot nur wirksam und nachhaltig durch umfangreichen Neubau von Wohnungen bekämpft werden kann, wird die Regierung vor allem die Neubautätigkeit nach Maßgabe der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel weiter fördern.
  • Auch die kulturelle Hebung unseres Volkes soll durch die planmäßige Fortsetzung der auf weite Sicht berechneten Neugestaltung unseres gesamten Schul- und Bildungswesens weiter gefördert werden. (Einschub Beckers: Insbesondere wird sich die Staatsregierung einer tatkräftigen Förderung aller Begabungen angelegen sein lassen.)
  • Denn nicht nur durch die wirtschaftliche, sondern auch durch die geistige Hebung des Volkes wird jener Lebensstand erreicht, der nicht nur in der Steigerung der wirtschaftlichen Leistungen und damit des materiellen Wohlstandes, sondern auch in der Hebung des geistigen und ethischen Niveaus des Volkes und damit auch in einem Rückgang der Kriminalität und somit in einer der Justizveraltung erwünschten Entlastung der Strafrechtspflege seinen Ausdruck findet.
  • Die Justizverwaltung wird in ihren Reform-Maßnahmen auf dem bisher beschrittenen Wege fortfahren, der auf das Ziel gerichtet ist, die Rechtsprechung mit dem Rechtsempfinden des Volkes weitgehendst in Einklang zu bringen.
  • Auch in der inneren Verwaltung wird die Staatsregierung den alten Kurs konsequent fortsetzen, der darauf gerichtet ist, die heutige Staatsform zu befestigen und in allen Zweigen der Staatsverwaltung zur restlosen Auswirkung zu bringen.
  • Es wird weiter an der Verwaltungsreform mit dem Ziel der Vereinfachung und Sparsamkeit gearbeitet werden, wie überhaupt die sich immer schwieriger gestaltende Finanzlage des Reiches, die auch bei der Verbundenheit der Finanzen des Reiches, der Länder und Gemeinden in den letzten Jahren ihre Auswirkung erfährt und für die Zukunft die größtmöglichste Sparsamkeit gebieterisch zur Pflicht macht.
  • Die Staatsregierung wird daher nach wie vor bemüht sein, die steuerliche Belastung der Wirtschaft mit deren Leistungsfähigkeit in Einklang zu halten und ihren Einfluß auf die Gestaltung des endgültigen Finanzausgleichs zwischen Reich, Länder und Gemeinden, der nun doch endlich kommen muß, dahin geltend zu machen, daß den Ländern und Gemeinden eine festere finanzielle Grundlage für eine längere Zeit gewährleistet werde.
  • Im Verhältnis zwischen Reich und Ländern wird die Staatsregierung, das Primat des Reiches anerkennend, doch die verfassungsmäßigen Rechte und Interessen Preußens auch in Zukunft mit Nachdruck vertreten. Preußen hat stets treu zum Reiche gestanden und wird auch diese Haltung in Zukunft einnehmen. Es muß indes verlangen, daß es in lebenswichtigen Fragen vom Reiche nicht schlechter behandelt wird, als andere Länder.
  • Die Außenpolitik, die in den letzten Jahren von der Reichsregierung getrieben wurde, hat stets die Unterstützung der preußischen Regierung gefunden, und wenn sie sich weiter auf der gleichen Linie der Völkerverständigung und des friedlichen Ausgleichs bewegt, wird sie von der Staatsregierung mit Nachdruck unterstützt werden. Die Staatsregierung glaubt dadurch insbesondere auch der Bevölkerung jener preußischen Gebietsteile, die noch heute unter fremder Besatzung leben müssen, und denen ich auch bei dieser Gelegenheit den Gruß der Staatsregierung entbiete, am besten zu dienen.
  • Die endgültige Lösung des Reparationsproblems, die über kurz oder lang kommen muß, wird an die Wirtschaft und die Finanzen des Reiches und der Länder große Anforderungen stellen, die Regierungen und Parlamente vor große wichtige Aufgaben stellen. Diese Aufgaben können nur gelöst werden, wenn alle Teile des Volkes sich unbeschadet ihrer parteipolitischen und weltanschaulichen Gegensätze zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden.
  • Sollten daher, außer den derzeitigen Regierungsparteien, Parteien dieses hohen Hauses, die zu dem heutigen Staat positiv eingestellt und bereit sind, an der Festigung und dem Ausbau der heutigen verfassungsrechtlichen Verhältnisse mitzuwirken, sich zur loyalen Mitarbeit in der Regierung bereit finden, dann werden die Regierungsparteien und die Staatsregierung zu gegebener Zeit nicht abgeneigt sein, in eine Beratung über die Erweiterung der Regierungsbasis einzutreten.2

Die Preußische Staatsregierung geht, gestärkt und ermutigt durch das Vertrauensvotum der Wähler, die nicht in den mannigfachen Versprechungen der zahlreichen kleinen Parteien sondern in der Fortsetzung der bewährten preußischen Staatspolitik der letzten 9 Jahre die Gewähr für eine bessere Zukunft unseres Landes erblicken, an die schwere verantwortungsvolle Arbeit, für die sie die tatkräftige Mitarbeit und das Vertrauen dieses hohen Hauses erbittet.

Damit begrüße ich namens der Staatsregierung den neuen Landtag bei seinem ersten Zusammentritt auf das wärmste und hoffe mit Ihnen, meine Damen und Herren, auf ein gedeihliches und vertrauensvolles Zusammenwirken zum Wohle des preußischen Landes und Volkes und damit zum Nutzen und Frommen auch des größeren Ganzen des gesamten deutschen Vaterlandes.

 

47. C.H.B. an MP Otto Braun. (Berlin), 7.6.1928

(Maschinenkopie)

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident!

Mit dem Entwurf der Regierungserklärung, den Sie mir heute übersandten, bin ich gern einverstanden; nur möchte ich empfehlen, die Ausführungen auf Seite zwei und drei des Entwurfes, die die Notwendigkeit einer Veröffentlichung der damaligen Regierungserklärung darlegen, etwas zu kürzen, andernfalls aber den Halbsatz „um dieser journalistischen Sabotage wenigstens einigermaßen entgegen wirken zu können“ auf Seite zwei und die Worte „ihre journalistische Anstandspflicht erfüllen und“ auf Seite drei zu streichen, da meines Erachtens das sachlich Notwendige deutlich genug gesagt ist, und man es vielleicht vermeiden sollte, in dieser Angelegenheit allzu polemisch zu werden.

Einige Anregungen, die ich für den Absatz, der die Kulturpolitik betrifft, an sich zu geben hätte. möchte ich, um den Rahmen der Regierungserklärung nicht zu erweitern, zurückstellen, wäre Ihnen jedoch sehr dankbar, wenn Sie auf Seite sieben hinter die Worte „gefördert werden“ den kurzen Satz einschieben würden: „insbesondere wird sich die Staatsregierung eine tatkräftige Förderung aller Begabungen angelegen sein lassen“.

Mit dem Ausdruck meiner aufrichtigen Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener (CHB).

 

48. C.H.B. an MP Otto Braun (Berlin), 24.6.1929

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Ich habe die Angelegenheit des Professors Löwe in Kiel nachgeprüft. Es trifft nicht zu, daß Professor Löwe dreimal zum ordentlichen Professor vorgeschlagen und trotzdem nicht berücksichtigt sei. Vielmehr hatte die Kieler Fakultät beantragt, daß für Löwe eigens eine neue etatmäßige Professur gegründet werde, da die vorhandenen Professuren besetzt waren. Diesem Wunsche konnte ich nicht entsprechen, weil der Herr Finanzminister neue Stellen nicht bewilligt und obendrein in Kiel der Landtag zwei neue Professuren (für Tierzucht und für niederdeutsche Sprache) seit Jahren beantragt hat. Auch diese beiden Professuren habe ich vom Herrn Finanzminister nicht erreichen können. Für die Tierzucht hat sich im vorigen Jahr die Demokratische Fraktion ohne Erfolg bei Herrn Höpker-Aschoff eingesetzt. Da Kiel drei volkswirtschaftliche Professuren hat,, würde der Herr Finanzminister für eine vierte Professur, die Professor Löwe bekäme, sicherlich nur zu haben sein, wenn Sie, Herr Ministerpräsident, sich Ihrerseits sehr stark dafür einsetzten. Die Bewilligung einer solchen Professur und die Ernennung des Professors Löwe wird in meinem Ministerium seit langem mit Nachdruck erstrebt. Da Professor Löwe zurzeit einen Ruf in die Schweiz hat, haben meine Herren sich auch für ihn anderwärts bemüht. Wir dachten an Frankfurt, wo eine Professur frei ist. Die Fakultät hat ihn in ihrem soeben eingetroffenen Vorschlag aber nicht berücksichtigt. Doch ist bereits eine Prüfung darüber im Gange, ob er nicht seitens des Ministeriums den Frankfurtern nahegebracht werden kann.

(Handschriftlich:) In bekannter hoher Verehrung Ihr ergebenster B.

 

49. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin, 9.8.1929

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Kollege!

Ich benachrichtige Sie ergebenst, daß ich am 15. d. M. bis Ende September in Urlaub gehe. Ich darf Sie als den zurzeit anwesenden dienstältesten Ressortminister wohl um die Freundlichkeit ergebenst bitten, mich in der Zeit meiner Abwesenheit bis zur Rückkehr des Herrn Ministers Dr. Hirtsiefer hinsichtlich der zwangsläufigen Unterschriften und insbesondere auch bei etwa dringend notwendig werdenden Sitzungen des Staatsministeriums vertreten zu wollen.

In kollegialer Hochschätzung ergebenst Ihr (gez.) Braun-

 

50. MP. Otto Braun an C.H.B. z. Zt. Bad Oeynhausen, 7.9.1929

(Maschinenmanuskript)

Persönlich.

Sehr verehrter Herr Kollege!

Aus sozialdemokratischen Lehrerkreisen ist bei mir Beschwerde darüber geführt worden, daß Sie durch eine zielbewußte Personalpolitik in Ihrem Ministerium bemüht sein sollen, Anhänger der sozialdemokratischen Partei möglichst auszuschließen. Zum Nachweis dafür ist mir die beiliegende Aufstellung, um deren gefällige Rückgabe ich bitte, unterbreitet worden, die allerdings, wenn sie richtig ist, ein wenig koalitionsparitätisches Bild bietet. Für eine Stellungnahme zu der Angelegenheit würde ich ihnen sehr verbunden sein. Inzwischen verbleibe ich in alter Hochschätzung Ihr ergebener (gez.) Braun.

Anhang

Die Abteilung für Volks- und Mittelschulen des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ist wie folgt besetzt:

Partei des Ministers Becker
Parteilos
Zentrum Deutsche Volkspartei
1. Minister Becker 1. Staatssekr. Lammer 1. ORR Hollmann
2. Min. Direktor Kaestner 2. MR Stolze 2. ORR Schneider
3. Min. Dir. Wende 3. MR Thugarten 3. ORR Schweckendieck
4. MR Dr. Frank 4. MR v.d.Driesch
5. MR Steinbicker
ORR Ermler
ORR u.Schulrat Runge
StR Sell
Deutschnational Demokraten Sozialdemokraten
1. MR Gürich 1. ORR/SR Hylla 1. MR Menzel

2. MR Jaecke

2. ORR Zierold

2. MR Landé

3. MR Kohlbach (unleserlicher Zusatz)

2 Stellen frei (mit Bleistift)

2. Anhang: Die Aufstellung Beckers:

Soz(ialdemokraten) Demokraten Zentrum DVP DNVP
1. Menzel v. Rottenbur Schellberg Richert Lezius
2. Landé Heinemann Schlüter Windelband Gürich(?)
3. Woldt Leist Metzner v. Staa Kohlbach
4. Keschenber Hylla Stolze Scheckendieck
5. Seelig Sell Theegarten (?)
6. Zylena v.d.Driesch
7. Reichwein Breuer
Haslinde
Steinbicker, Ermler u. Runge

Mit fraglicher Parteibindung?

Hiecke, Stalmann Ottendorff, Gall, Hane, Frank (Demokrat?), Boer, Hubrich, Grünbaum, Klingelhöfer, Schneider, Zierild, Willenberg, Runge, Haesler, Kuhnhold, Kuhnert, Peters

 

51. Otto Braun an C.H.B. z.Zt. Hubertusstock, 26.9.1929

(Maschinenmanuskript)

Persönlich

Sehr verehrter Herr Kollege!

Nachdem Professor Lederer die Berufung an die Frankfurter Universität abgelehnt hat, soll die Fakultät für den frei gewordenen Lehrstuhl für Soziologie u.a. auch den Professor Dr. Hans Kelsen aus Wien in Vorschlag gebracht haben.

Nach dem was mir von Wiener Freunden, die Kelsen genau kennen und in seiner wissenschaftlichen und sonstigen Tätigkeit jahrelang beobachten konnten, mitgeteilt wird, soll er nach seinem wissenschaftlichen Können und seinen persönlichen Charaktereigenschaften für den Frankfurter Lehrstuhl sich vorzüglich eignen. Man sieht ihn ungern von Wien scheiden, glaubt aber im persönlichen Interesse Kelsens doch, seine Berufung nach Frankfurt empfehlen zu sollen., da durch die nationalistische und antisemitische Einstellung gewisser Studenten- und Dozentenkreise an der Universität und deren, ja auch über die Grenzen Wiens hinaus bekannt gewordene skandalöse Treiben er dortselbst in seiner Lehr- und Forschungstätigkeit derart beeinträchtigt wird, daß für ihn persönlich der Wechsel seines Wirkungskreises sehr erwünscht ist.

Ich wäre Ihnen, sehr verehrter Herr Kollege, sehr verbunden, wenn Sie vor Ihrer Entscheidung über den Frankfurter Lehrstuhl mit mir persönlich Rücksprache nehmen wollten. Inzwischen verbleibe ich in alter Hochschätzung mit kollegialen Grüßen Ihr (gez.) Braun

 

52. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin, 7.10.1929

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Staatsminister!

Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, mit Ihnen wegen der Versetzung des Lehrers und jetzigen Reichstagsabgeordneten Mertins aus Gutenfeld zu sprechen. Sie waren so freundlich, die ins Auge genommene Versetzung zunächst nicht auszusprechen und mir nähere Informationen nach meiner Rückkehr in Aussicht zu stellen. Ich wäre Ihnen zu Dank verbunden, wenn Sie die Freundlichkeit haben wollten, mir die einschlägigen Akten für kurze Zeit zur Durchsicht zu überlassen.

In alter Hochachtung Ihr sehr ergebener (gez.) Braun

 

53. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin, 10.10.1929

(Maschinenmanuskript)

Sehr geehrter Herr Kollege!

Anliegend überreiche ich Ihnen einen Artikel aus dem Vorwärts zur Kenntnisnahme. Ich setze voraus, daß die Angabe des Artikels über die Empfehlung des genannten Buches von Winnig im Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung Preußens zutreffend ist. Davon ausgehend muß ich allerdings mein Bedauern aussprechen, daß ein derartiges Buch als Prämie für Schüler höherer Lehranstalten und zur Aufnahme in Bibliotheken im amtlichen Blatt des Ministeriums empfohlen werden kann. Aufgabe der Schule ist es, die Kinder zum neuen republikanischen Staatsgedanken zu erziehen. Das fragliche Buch verfolgt aber die entgegengesetzte Tendenz, nämlich die, seinen Lesern den heutigen Staat zu verekeln. Wenn man derartige Bücher den Schülern, sei es als Prämie, sei es als Leihgabe aus der Schülerbibliothek, in die Hand drückt, darf man sich allerdings über Vorgänge, wie sie sich kürzlich in Goslar abgespielt haben, nicht wundern.

Für eine Stellungnahme zu der Angelegenheit würde ich Ihnen, sehr verehrter Herr Minister,, sehr dankbar sein.

In alter Hochachtung Ihr (gez.) Braun.

Randbemerkung Beckers: Antwortentwurf sofort

 

54. C.H.B. an MP Otto Braun. (Berlin), 23.10.1929

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Auf Ihren Brief vom 10. Oktober d. Js. –M.Pr. 482 – hin bin sofort der Frage nachgegangen, wie es möglich gewesen ist, daß das Buch von August Winnig „Das Reich als Republik“ im Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen als Prämie für höhere Schulen hat empfohlen werden können. Die Angelegenheit hat sich dahin aufgeklärt, daß die Sektion für Dichtkunst bei der Akademie der Künste vor längerer Zeit beauftragt worden ist, als Prämien geeignete neuere Bücher ihrerseits zusammenzustellen, damit bei der Prämienvergabe an höheren Schulen auch die neueste Literatur angemessen berücksichtigt werden kann. Die Sektion für Dichtkunst hat darauf eine größere Reihe von Büchern in Vorschlag gebracht. Bei dem Range dieser Körperschaft und den Persönlichkeiten, die die Bücher vorgeschlagen haben – ich erinnere nur daran, daß der Vorsitzende der Sektion für Dichtkunst, Walter von Molo, doch gewiß in seiner politischen Einstellung einwandfrei ist – , ist in meinem Ministerium dieses von der Sektion Dichtkunst aufgestellte Verzeichnis von Büchern im nichtamtlichen Teil des Zentralblatts bekanntgegeben worden, ohne daß es nötig erschienen oder möglich gewesen wäre, das einzelne Buch in jeder Hinsicht noch einmal zuvor durchzuprüfen. Ich bedauere es außerordentlich und bin in der Beurteilung des Vorfalles mit Ihnen einig, daß auf diese Weise ein politisch für Schüler höherer Schulen durchaus ungeeignetes Buch in dieses Verzeichnis geraten ist. Ich habe Vorsorge getroffen, daß derartige Vorfälle künftig vermieden werden.

In bekannter hoher Verehrung Ihr ergebenster (CHB).

 

55. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin, 6.11.1929

(Maschinenmanuskript)

Privatsekretärin des MP

Persönlich

Der Herr Ministerpräsident würde für baldgefällige Rückgabe des mit Schreiben vom 7. September d. Js. überreichten Ausschnittes aus der Zeitschrift „Der heimattreue Ost- und Westpreuße “ mit der Überschrift „Was will Warschau im Kreise Stuhm?“, betreffend Anstellung polnischer Lehrer in polnischen Minderheitsschulen auf deutschem Gebiet, und Äußerung in dieser Angelegenheit dankbar sein.

I.A. (gez.) Gesenger

Privatsekretärin des Herrn Ministerpräsidenten.

Randbemerkung Vorgang U III 5237. Erledigt durch Erlaß vom 12.11.1929

 

56. Carl Heinrich Becker an MP. Otto Braun. (Berlin), 30.1.1930

(Maschinenkopie)

Rücktrittsgesuch Beckers

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Die politische Entwicklung der letzten Zeit hat mich zu der Überzeugung gebracht, daß die Auffassung führender Parteien von der Bedeutung der großen kulturellen Aufgaben meines Ministeriums so stark von dem Geiste abweicht, den ich in langen Jahren mühevoller Arbeit im Dienste der geistigen und politischen Erstarkung der deutschen Republik zu verwirklichen bemüht war, daß für mich eine gedeihliche Wirksamkeit nicht mehr gegeben ist. Ich lege deshalb hierdurch mein Amt nieder.

Ihnen, Herr Ministerpräsident, danke ich bei diesem Anlaß für die persönliche und sachliche Unterstützung, die ich in fünf Jahren meiner Ministerschaft unter Ihrem Präsidium oft bei Ihnen gefunden habe.

In hoher Verehrung Ihr ergebener gez. Becker3

 

57. MP Otto Braun an C.H.B. Berlin, 30.1.1930

(Maschinenmanuskript)

Sehr verehrter Herr Minister!

Bei Ihrem Ausscheiden aus dem Amt des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung spreche ich Ihnen den Dank der Staatsregierung für die wertvollen Dienste aus, die Sie dem Vaterlande in schwerster Zeit der geistigen Umstellung und Neugestaltung durch Ihre Arbeiten auf dem Gebiete des gesamten Unterrichtswesens geleistet haben. Ihr ideenreiches und richtungsweisendes Wirken hat sich noch über die Grenzen Ihres für die kulturelle Entwicklung unseres Volkes überaus bedeutsamen Ministerium hinaus auf alle Gebiete des geistigen Lebens erstreckt. Sie haben sich durch diese umfassende Arbeit ein bleibendes Verdienst erworben.

Mir persönlich ist es ein inneres Bedürfnis, Ihnen für die jahrelange verständnisvolle und kollegiale Mitarbeit im Staatsministerium herzlichen Dank zu sagen!

Ich verbleibe in alter unveränderter Hochschätzung Ihr ergebener (gez.) Braun.

 

58. C.H.B. an MP Otto Braun. (Berlin), 28.7.1930

(Maschinenkopie)

Hochverehrter Herr Ministerpräsident!

Nachdem der Kampf um die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sein Ende gefunden hat, ist es mir ein lebhaftes Bedürfnis, Ihnen für das persönliche Interesse zu danken, mit dem Sie meine Kandidatur unterstützt haben. Ich glaube, daß der für alle Teile tragbare Kompromiß, vor dem wir stehen, nicht möglich gewesen wäre, wenn sich die andere Seite nicht dieses Ihres Interesses an meiner Wahl bewußt gewesen wäre. Persönlich ist mir die jetzige Lösung im Augenblick fast noch sympathischer als die Präsidentschaft selbst, da für mich Harnack zu früh gestorben ist und ich gern wieder einige Zeit meiner Wissenschaft leben möchte. Nachdem meine Kandidatur aber einmal in die Öffentlichkeit getragen war, bin ich froh, daß durch die Ernennung zum Vizepräsidenten eine alle Teile wirklich befriedigende Lösung gefunden worden ist. Ihnen, hochverehrter Herr Ministerpräsident und Ihren Mitarbeitern danke ich für Ihr bekundetes Wohlwollen von Herzen.

In bekannter hoher Verehrung Ihr ergebenster (CHB)


1 Liegt nicht bei. Der Herausgeber

2 Hervorhebungen vom Herausgeber.

3 Im handschriftlichen Entwurf vom 30.1.1930 heißt es einleitend:

Heute früh von Wien zurückgekehrt finde ich eine politische Situation vor, die ich, obwohl ich nur passiv beteiligt bin, weder sachlich noch persönlich für tragbar erachte.

Und etwas weiter unten heißt es:

Die Entwicklung der polit(ischen) Verhältnisse in den letzten Tagen hat mir bewiesen, daß es für einen keiner Partei angehörigen Minister im Augenblick keine Wirkungsmöglichkeit mehr gegeben ist. Ich bedauere das nicht nur aus dem Grunde, weil ich persönlich von einer Arbeit scheiden muß, der ich 14 Jahre meines Lebens gewidmet habe, sondern vor allem, weil die von der Bildungsschicht stets geforderte Überparteilichkeit der Führung der Geschäfte des Bildungsministers des größten deutschen Landes in Frage gestellt wird.