Einführung – Orientalist und Kulturpolitiker

Zu den Briefwechseln, 1908-33

C.H.Becker berief 1928 Alfred Döblin, Kenner von Marx und Freud, in die preußische Dichterakademie. Döblin sagte bei dieser Gelegenheit:

Wer geistig selbständig sein will, ist in großer Gefahr und Not.“ (Nr. 1)

Das sollte wie eine Prophezeiung sein. Interessant auch der Briefwechsel mit dem französischen Kultusminister Edouard Herriot, in dem sich zwei unabhängige Geister dokumentieren (Nr. 2-10). 1927 schreibt Becker an Herriot über die Probleme internationaler Zusammenarbeit im Rahmen der Union Académique Internationale (Nr. 3, 10.8.1927). Vor einem deutschen Beitritt bedürfe es der Absprache, weil die Unionnur die Geisteswissenschaften betreut, während die deutschen Akademien Geistes- und Naturwissenschaften umfassen.“ 1930, inzwischen beide ohne Amt, bereitet CHB einer Volkshochschuldelegation aus Jena den Weg bei dem nunmehrigen Bürgermeister von Lyon. Die VHS habe

« une tendance purement républicaine. » (Nr. 8).

Die Vossische Zeitung in Berlin war demokratisch-republikanischer Tendenz und veröffentichte zwischen 1920 und 1933 zahlreiche Artikel Beckers, der die Redakteure auch jährlich mehrmals zu Hintergrundgesprächen empfing (Nr. 11-39). Themen sind unter anderem das neue preußische Studentenrecht (Nr. 11), oder „Die Erhaltung der geistigen Produktivität (Nr.12), aber auch das „Führerproblem“ (Nr. 13, nach dem Kapp-Putsch). These Beckers:

Das Führerproblem ist ein Geführtenproblem. Selbst der genialste Führer ist ein Raffael ohne Arme, wenn die Massen nicht bereit sind, sich führen zu lassen.“ (Nr. 14, 22.12.1922).

Und weiter unten heißt es:

Noch sind wir keine Nation; wir sind erst auf dem Wege dazu. Deshalb fehlt uns die politische Disziplin alter Staatsnationen. Der Egoismus der Unterführer, ihr Besserwissen, ihre Herrschsucht, ihr Stammtischehrgeiz machen jede große Wirkung auf die Massen unmöglich. Dazu kommt Überschätzung der Privatansicht und des Privatinteresses. Der Erfolg ist der Tod des Gemeinschaftsgefühls und der nationalen Solidarität.“

1924 schreibt Becker über „Westöstliche Kulturkritik“ (Nr. 15):

Als Graf Kayserling seine philosophische Asienfahrt antrat, entdeckte er, was dem kultur-philosophisch denkenden Orientalisten lange bekannt war, daß der Islam nicht zu Asien sondern zu Europa gehört. Schon Harnack hatte bei seiner Promotion die These verfochten, daß der Islam eine christlich-jüdische Sekte sei.“

Im folgenden verweist er auf die Urgewalten des Islam:

„Welches sind nun die Urgewalten des Islam?

  • Der alte Orient mit seinem semitischen Prophetismus, seiner jüdischen Gesetzesreligion, seinem iranischen Dualismus und Eschatologie, seinem babylonisch-magischen Weltbild und seiner bürokratisch-absolutistischen Staatsform.
  • Die klassische Antike in der Form des Hellenismus, besonders im täglichen Leben, in Wissenschaft und Kunst, wobei Hellenismus im Sinne einer Mischung von Antike und Iran gebraucht ist.
  • Das Christentum in seiner dogmatischen, kultischen und mystischen Ausprägung; denn das islamische Dogma ist im Kampfe gegen die christliche Polemik erwachsen und hat ihre Fragestellung übernommen. Der islamische Kult hat sich nach dem Die klassische Antike in der Form des Hellenismus, besonders im täglichen Leben, in Wissenschaft und Kunst, wobei Hellenismus im Sinne einer Mischung von Antike und Iran gebraucht ist.
  • Das Christentum in seiner dogmatischen, kultischen und mystischen Ausprägung; denn das islamische Dogma ist im Kampfe gegen die christliche Polemik erwachsen und hat ihre Fragestellung übernommen. Der islamische Kult hat sich nach dem Vorbild des christlichen entwickelt, und die mystische Welt ist hier wie dort die gleiche.“

Und weiter:

Zwischen dem Islam und Europa handelt es sich also nicht nur um Übernahme fremder, langsam assimilierender Kulturgüter, sondern um Berührungen verschiedenartig weitergebildeter Auswirkungen des gleichen kulturellen Mutterbodens…“

1925 starb Reichspräsident Friedrich Ebert. Aus diesem Grund schreibt Redakteur Dr. Mahrholz einen Offenen Brief an das Kultusministerium (Nr. 16, 12.3.1925), wobei er die positive Gedenkrede Beckers erwähnt, gleichzeitig aber das Verhalten der Studenten und Professoren rügt an Berliner Hochschulen und Gymnasien. Es gehört zur Tragik dieser Zeit, daß die bildungsbürgerlichen Schichten noch weitgehend dem alten Denken verhaftet waren – und schnurstracks in die Falle des Autoritarismus tappten.

Auch in der Angelegenheit der kulturellen Minderheiten wendet sich Mahrholz an Becker.

Wie ein kulturpolitisches Vermächtnis wirkt die Ansprache Beckers zur Eröffnung der Pädagogischen Akademie Breslau (Nr. 23), wo er klar die Grenzen für die Aufgaben der verschiedenen Hochschulen zieht.

In diesem Zusammenhang äußert sich Becker auch zum Amerikanismus:

Wir stehen in unserem Wesen dem Amerikaner vielleicht von allen europäischen Völkern am nächsten, wir laufen aber Gefahr, auf das Ausland wie Amerikaner zu wirken, denen die ethische Seite, die besonders humane Seite des Amerikanertums fehlt. Wir bemühen uns, und der gewaltige Strom unserer wirtschaftlichen und technischen Entwicklung treibt uns immer mehr dazu, uns dem Amerikanertum anzupassen. Vergessen wir dabei nicht, daß Schlagfertigkeit, Bereitsein, wirtschaftliche Tüchtigkeit, das, was der Amerikaner „efficiency nennt, das all dies ein seelisches und ethisches Gegengewicht haben muß, das die amerikanische Kultur – auf die historischen Zusammenhänge kann ich hier nicht eingehen – durch die eigentümliche geschichtliche Entwicklung bei sich erzeugt hat.“

Die deutschnationale Presse hetzt gegen die preußische Regierung wegen dieser Rede („Mehr human – weniger national“) und Reichwein bittet die Vossische Zeitung um Richtigstellung (Nr. 24)

In diesem Kontext ist auch die Bitte der Vossischen zu verstehen, Becker möge sich der Republikfeiern annehmen, die zum Teil desaströs waren.

Nach dem Tod des Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Harnack, Mai 1930 – Becker ist längst im „Ruhestand“ – bittet ihn die Vossische um einen Gedenkartikel. Becker wurde eigentlich als dessen Nachfolger gehandelt, wurde aber als Vizepräsident abgespeist, weil die Industrieverbände den hochbetagten Nobelpreisträger Max Planck bevorzugten, der seines Alters wegen leichter zu manipulieren war … (Nr. 28, 11.5.1930)

Der letzte Briefwechsel mit der Vossischen handelt von dem Persepolis-Artikel Beckers im Anschluß an seine Völkerbunds-Chinareise 1932 (Nr. 37). Und noch Anfang Februar 1933 erklärt sich Becker zu einer Rezension bereit, was durch seinen Tod nicht mehr zur Aus-führung kam.

Der Briefwechsel mir Carl Duisberg (Nr. 41-50) erstreckt sich über die Jahre 1924-1932. Da geht es mal um eine Ehrenpromotion für einen Mitarbeiter Duisbergs (Nr. 41), dem Zusammenschluß der chemischen Industrie zu den I.G. Farben, aber auch um die Errichtung des Carl-Duisberg-Hauses, die gemeinsame Arbeit in der Lincoln-Stiftung (Nr. 46), die Deutsche Studentenschaft. In einem handschriftlichen Zusatz Duisbergs vor seiner Asienreise 1928 heißt es (Nr. 46, 2.10.1928):

Wir müssen doch sehen, daß unsere Jugend einig bleibt oder wieder wird, wo immer es möglich ist. Nichts ist schlimmer als eine Zerrissenheit des deutschen Volkes gerade in dieser Zeit.“

Und selbst nach dem Rücktritt Beckers sendet Duisberg die neusten Vorträge an Becker über die „Handelspolitik“ (Nr. 47, 6.1.1931) oder die „Beziehung von Hochschule und Wirtschaft“ (Nr. 48, 11.3.1931).

Nach Beckers Chinareise übermittelt er Duisberg einen Brief der chinesischen Erziehungsmission in Europa, in dem es um Praktikantenstellen für Chinesen geht – eine Aufgabe, die die Carl-Duisberg-Gesellschaft heute mehr denn je wahr nimmt (Nr. 50, 12.12.1932).

***

Weitaus das umfangreichste Dossier ist aber jenes von Ernst Herzfeld zwischen 1908 und 1933 (Nr. 51 bis Schluß). Herzfeld, Archäologe und Orientalist, ist einer der Mitbegründer der islamischen Archäologie und trifft bei Becker auf einen kongenialen Förderer und Freund. Ihr geistiger Austausch über Jahrzehnte ist ein Gewinn für den heutigen Leser. Hin-und herge-rissen zwischen den Geheimräten Bode (Berliner Museen) und Sarre, seinem Professor an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität, entschied sich Herzfeld letztlich für eine Universitätskarriere – wenn auch der besonderen Art, nämlich ab Ende der 1920er Jahre als wissenschaftlicher Attaché an der Botschaft in Teheran.

Erschreckend wird deutlich, wie bedrückend die Abhängigkeit eines jungen Wissenschafters ist, bis er endlich habilitiert und Professor wird. Sarre war schon 1904 mit Herzfeld bei den Ausgrabungen von Samarra (heute Irak, damals Osmanisches Reich) und hat letztlich auch die Edition der Ausgrabungsergebnisse bis in die 20er Jahre hinein geleitet.

Eng ist aber auch die Zusammenarbeit Herzfelds mit Becker in der Zeitschrift „Der Islam“ über viele Jahre hindurch. Im Gespräch mit dem Althistoriker Eduard Meyer und Kekulé wird dann beschlossen, Herzfeld solle sich in historischer Geographie habilitieren … Dazu orientalische Archäologie. (Nr. 56, 17.4.1909). Die Habilitation erfolgt dann ohne Extraarbeit auf Grund der wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Juli 1909 vor der Welt- und Vortragsreise Meyers.

Im Januar 1910 reist Becker nach Paris und hatte engen Kontakt zum Kolonialminister (Nr. 60, 31.1.1910). Auch die Gouverneure von Algerien, Tunis, und Zentralafrika sowie viele Abgeordnete lernte er kennen.

Ende 1910 schreibt Becker an Herzfeld nach Bagdad (Nr. 66, 9.12.1910)

„Ich bin gewiß kein Alldeutscher, aber eine Expansion Deutschlands nicht nur auf dem Wege des Handels, sondern auch in der Form geistiger Stationen wie Missionen und Schulen halte ich für eine einfache politische Notwendigkeit deutscher Weltmachtstellung. Wodurch haben denn England, Frankreich und Rußland ihren Vorrang in Asien errungen? Wollen wir denn für alle Ewigkeit die Nachgeborenen markieren und mit unseren 75 Millionen ruhig innerhalb unseres engeren Vaterlandes bleiben, weil vielleicht hie und da mal diploma-tische Schwierigkeiten entstehen könnten? Wir müssen uns, lieber Herzfeld, die verfluchte deutsche Bescheidenheit abgewöhnen. Unsere gräßliche Objektivität. Wir brauchen ja nicht so naiv wie die Engländer nationalen Egoismus für identisch mit dem kategorischen Imperativ zu halten, wir können es bewußt als nationalen Egoismus empfinden, dürfen uns aber von seiner Betätigung nicht durch tausenderlei Rücksichten und Bedenken abbringen lassen. Geistiger und wirtschaftlicher Einfluß gehen nun einmal Hand in Hand und in der ewigen Reichstagsrederei von der ausschließlich wirtschaftlichen Seite der deutschen Orientpolitik liegt doch im Grunde ein gut Stück englischer Heuchelei. Es tut mir leid, daß wir über diesen Punkt nicht mehr ausführlicher vor Ihrer Ausreise reden konnten. Das einzige, was ich an dem Komitee auszusetzen habe, ist nicht sein Programm, sondern die Ungeeignetheit der Männer, die an seiner Spitze stehen.“

Herzfeld berichtet (Nr. 67, 10.12.1910) von Grabungskonflikten mit dem Franzosen Wollert, der 6 Wochen in Samarra gegraben habe. Der Franzose Violett habe in Bagdad „viele Terrains gekauft und will im nächsten Jahr als Stadtarchitekt in Bagdad mit 75 LT (Türkischen Pfund) Monatsgehalt wiederkommen.“

Zwischen 1911 und 1913 finden die Ausgrabungen in Samarra mit der Abassidenresidenz aus dem 10. Jahrhundert statt, wozu Moscheen und Paläste gehören.

Becker berichtet von seinen ägyptischen Plänen 1911 (Nr. 70, 118.1.1911), wo er „das moderne Leben, die Bruderschaften und Gewerbe“ studieren will. Gleichzeitig hält er viele Vorträge in Frankfurt am Main, über die „Araber in Spanien“, in Saarbrücken über den „Islam in den Kolonien“ und in Metz über die „Jungtürken“.

Herzfeld schwärmt am 23.3.1911 (Nr. 72) von dem wundervollen Frühjahr am Tigris nach den „zwei bösen (Winter-)Monaten“

(Die Türkei) geht gewiß trotz allem einmal auseinander. Wenn ich mir die orientalische Frage überlege, so bedauere ich sehr lebhaft, daß Deutschland darin notgedrungen die Rolle des Erhalters dieser fürchterlichen Zustände spielt. Gäbe es kein Deutschland, so wäre gewiß Persien und wohl auch die Türkei unter europäischer Regierung gekommen und in so blühendem Zustande wie heute Egypten. Jetzt liegt es, eine Sünde und Schande, brach. Deutschland könnte von einer Aufteilung keinen unmittelbaren Nutzen haben: Mesopotamien ist ihm schon vollständig verschlossen, Kleinasien durch Rußland auch und das Mittelmeer ist auch nicht unser Machtbereich. Nichts könnten wir besitzen, während Rußland, Frankreich, England, Österreich sich alle einigen könnten. Nun hat Deutschland aber die Macht, eine Teilung bei der es leer ausginge, zu verhindern. Da es keine Teile gibt, die es selber bekommen könnte, so besteht es unbedingt auf der Erhaltung des Status quo, das heißt in Persien die Anarchie, in der Türkei der Mißwirtschaft und des Brachliegens. Welche schreckliche retardierende Rolle! Und gerade Deutschland mit seiner zunehmenden Bevölkerung hätte das meiste directe Interesse daran, daß dies Ackerbauland ersten Ranges bestellt wäre.“

Abschließend bemerkt Herzfeld:

Ich glaube nicht, daß man mit Schulen Cultur bringt. Hier müßte zu allererst eines sein: die Besserung des materiellen Wohlstandes. Wer wie hier die Leute am Hungertuche nagt, und so notdürftig gerade das nackte Leben fristet, der braucht keine Schulen. Cultur kommt mit höherem Wohlstand als etwas Eigengewachsenes und Selbsterworbenes, sie kommt (ich glaube nach Spencer) mit vielen Waschungen, jedenfalls mit der Möglichkeit der Muße. Schulen können sie einer solchen Bevölkerung nicht importieren.“

Im April 1911 schreibt er an Becker über den „Fall Herzfeld“ – was ein bezeichnendes Licht auf die politischen Verhältnisse wirft (Nr. 73, 1.4.1911): Herzfeld muß die Grabungen stoppen.

Anfang Mai berichtet Becker (Nr. 74, 2.5.1911) von seiner überstürzten Heimkehr aus Kairo nach Hamburg, weil Sohn Walter schwer erkrankt sei. Doch wären die zwei Wochen Kairo nicht ganz nutzlos für seine Studien gewesen. Im Juni 1911 reist Herzfeld nach Qasr-i-Shirin in Persien (Nr. 76, 15.6.1911), wo es trotz guter Ausrüstung „eine Erschöpfungsreise geworden“ ist (45°C).

Juli 1911, wieder in Samarra, schreibt Herzfeld (Nr. 78, 15.7.1911): „In Persien, das wird hier ebenfalls deutlich, bereiten sich große Dinge vor.“ Persien, praktisch geteilt zwischen Russen im Norden und Briten im Süden, steht, so scheint es, vor einem Putsch der Baktiaren gegen den schwachen Schah. Sollten diese allerdings den Schah absetzen, so würde Aserbaidschan an die Russen fallen und Krieg mit den Kashgais in Südpersien bedeuten.

Über den Islam äußert er sich wie folgt:

„Ich glaube nicht, daß der Islam die Kraft findet, sich mit der modernen Kultur auseinan-derzusetzen. Sein Verhängnis ist doch, daß der Koran ganz und gar göttliche Offenbarung zu sein prätendiert, nur im Grunde so elend allzumenschlich ist. Ein oberflächliches Berühren mit unserer Cultur führt bei denen, die ich kennen gelernt habe, immer zum Atheismus, und zwar nicht wie bei den europäischen Atheisten zum Ersatz der Religion durch Ethik, sondern durch bloße Immoralität. Wie oft haben mir Leute gesagt, – einer indem er sich mir vorstellte – „Je bois du vin et je ne crois pas en Dieu, je suis franc-maçon.“ Ein tiefes Eindringen in europäische Cultur habe ich bei einem Orientalen noch nicht kennen gelernt. Ein einziger, ein Militärarzt, der die Petroleum-Commission der Deutschen Bank begleitete, hatte vielleicht etwas vom Wesen unserer Cultur erfaßt. Es war unter dem alten Regime der Türkei, und er wußte und sagte: die islamischen Staaten werden an der Unfähigkeit des Islams, sich der modernen Welt anzupassen, und an der Polygamie zu Grunde gehen. Unter dem neuen Regime hat die Bewegung, die die Viertelcultur anführen läßt, weite Kreise gezogen. Man trägt europäische Tracht, vernachlässige die Formen der islamischen Religion, und kommt sich als Vollblut-Culturmensch vor. Von der weltenweiten Kluft, die uns von jenen trennt, hat man gar keinen Begriff. Man glaubt, es fehle nur noch etwas Geld, um Europa ebenbürtig zu sein. So denkt man vom Wali bis zum kleinsten Beamten und Leutnant. Daß die besten Elemente, der Bauer und der kleine Handwerker, je die Regierenden werden, glaube ich nicht. Alle, die für die Regierung in Frage kommen, sind aber oder werden bald verdorben sein. Und ich glaube daher, daß es nur eine wahre Lösung der orientalischen Fragen gibt: europäische Regierung, wie in Indien und in Ägypten.

Über das Verhältnis von Arabern und Türken äußert sich Herzfeld wie folgt: (Nr. 81 vom 1.9.1911)

Das sind die guten Elemente in der Türkei, die arabischen Bauern und Landarbeiter, und ebenso die türkischen in Anatolien. Aber diese Schicht sind das, was in Ägypten die Fellachen sind: die zahlenden Parias. Alles andere aber ist verdorben von oben bis unten. Und da keine Aussicht ist, daß jene je an das Ruder kommen, so wird das türkische Staatsschiff ewig von mehr oder weniger großen Gaunern geleitet werden. Miss Bell, die mich auch so haßt und so wirklich geistreich ist, sagt einmal, wo sie das Leben in einer isolierten Qyshla in der Euphrat-gegend schildert: „If you will reckon up the volume of unquestioning, of (unleserlich), obedience upon floats she ship of the Turkish State, you will wonder that it should ever run aground.” Das ist auch sehr wahr.“

Im Oktober vertieft Herzfeld seine Kritik an der politischen Lage und der Unfähigkeit der neuen Türken wie der alten (Nr. 85, 17.10.1911) und vertieft seine Haltung im November (Nr. 88, 15.11.1911): Stichwort „die Heeresorganisation sei reines Blendwerk“.

Der Islam wirkt überall als Hemmungsmittel – das große Problem die Religion mit der Gegenwart in Harmonie zu bringen, dämmert in keinem Kopfe hier auf.“

aus: Großer Historischer Weltatlas III, Neuzeit, bsv München 1967, S.163

Ich verweise auf den gewaltigen Umfang des Osmanischen Reiches allein in Europa!

Quelle siehe oben bsv München, 1967, S. 1631

Ende 1911 deutet Herzfeld eine Reise nach Persepolis an (Nr. 90, 29.11.1911):

Die englischen Truppen in Shiraz sichern das Land, und ich bekomme englische Empfehlungen.“

Wunderbar Herzfelds Reisebericht Januar 1912 auf dem Tigris (Nr. 102, 29.2.1912)!

Im Februar 1912 ermuntert Becker seinen Freund, sich doch von Bode zum Orientalistenkongreß nach Athen senden zu lassen.

In der Folge bereitet Herzfeld in Berlin seine 2. Samarra-Expedition vor (Nr.104, 4.5.1912); dazu gehört vor allem eine Feldbahn, dessen Schienen vom Kriegsministerium (!) kommen; der Generalstab wird einen Offizier der topographischen Abteilung entsenden zur Stadtplanaufnahme. Aus diesem Brief geht auch hervor, daß Herzfeld, trotz der Ablehnung von Mitteln durch Bode, in Athen war. Begeistert berichtet er Becker von seiner Begegnung mit Massignon.

Vor der Ausreise zur Samarra-Expedition wird deutlich, mit welch zweifelhaften Methoden man die türkische Seite zu düpieren sucht (Nr. 109, 19.6.1912), da sie, wie er meint, nicht in der Lage seien, alle Dinge nach Konstantinopel zu transportieren: Die Bagdadbahn war ja noch nicht fertig. So empfehlen Bode und Wiegand, „es müssen die Originale als Abgüsse declariert und exportiert werden.“

Im November 1912 ist Herzfeld wieder in Samarra (Nr. 122, 4.12.1912). Informationen über den aktuellen Balkankrieg und den Kämpfen in Tunesien gegen die Italiener höre man nur Gerüchteweise. Allgemeine Uninformiertheit, auch hoher Militärs. Von Dr. Hesse, nominiertem Konsul in Bagdad, berichtet Herzfeld „daß man im Auswärtigen Amt endlich einsieht, daß die von Marschall von der Goltz geleitete türkenfreundliche Politik ein großer Irrtum war. Ich habe es ja nie begriffen und male mir mit Angst aus, was für Einbuße an Ansehen Deutschland zu allen Mißerfolgen der letzten 10 Jahre jetzt noch durch die türkischen Niederlagen in militärischer Beziehung erleiden wird. Es ist wirklich fürchterlich.

Auch diese Prophezeiung Herzfelds sollte sich bewahrheiten. Vielleicht hätte man im AA doch zuweilen mal auf die Fachleute vor Ort hören sollen …

Becker muß Herzfeld nach den Ereignissen In Konstantinopel zustimmen:

Die Auflösung der Türkei scheint unaufhaltsam und Sie sind ja der erste, der das begrüßt.“
(Nr. 123, 25.1.1913)

Interessant der Hinweis Herzfelds, daß „alle Räume des Palastes einst bemalt“ waren in Samarra, und daß der Stadtplan La Gubis „absolut zuverlässig“ sei. (Nr. 124, 27.1.1913).

Im März 1913 schreibt Herzfeld über ein „jungpersisches Comité“, daß alle islamischen Kräfte bündeln wollte im Kampf gegen England und Rußland (Nr.127, 15.3.1913), die sich ja zu diesem Zeitpunkt Persien praktisch geteilt hatten angesichts der Schwäche des damaligen Kadjarenherrschers. Durch ihren Boykottaufruf gegen England mußten sie in die Illegalität – und auch „Rußland dachte nicht daran seine Truppen aus Nord-Persien abzuziehen. Die seltsame Rußland-Bank machte immer mehr Leute durch Vorschuß bankrott und dehnte allmählich ihren Landbesitz über die Hälfte des ganzen nördlichen Persien aus. England schickte eine Garnison nach Shîraz.“

Becker schreibt über sein Interesse über Holzprobleme Ägyptens (Nr. 130, 26.5.1913). Die Pharaonen führten bereits große Mengen an Holz aus dem Libanon ein. In jüngster Zeit wurde es durch die Wissenschaft bestätigt, daß die Ägypter durchaus in der Lage waren, seetüchtige Schiffe zu bauen von ca. 40 m Länge, mit denen sie im Auftrag der Pharaonin Hatschesput bis zum sagenhaften Lande Punt im Süden des Roten Meeres segelten … (Nachbau in Alexandria durch Universität Florida). (Arte, 17.10.2009)

aus: Putzger, Historischer Atlas, Cornelsen, Berlin 102. Auflage S. 36

Ende Juni 1913 reist Herzfeld zurück nach Berlin, nachdem er sich die verschiedensten Schutzbriefe bei den Kurden-Chefs besorgt hatte (Nr. 131, 1.6.1913). Im folgenden Brief faßt er für Becker die Ergebnisse der Samarra-Grabungen zusammen (Nr. 132, 9.6.1913):

„Das Resultat ist nun, daß nach Bagdad, d.h. als Samarra gebaut wurde, die islamische Kunst bereits ganz interlokal und universell war. Infolgedessen hat es keinen Sinn mehr, im III. Jahrhundert (nach Hedschra?) irgend etwas als „persisch“ bzw. als „ägyptisch“ zu bezeichnen. Denn die Kunst hat keine Beziehungen mehr zu den einzelnen Provinzen. Und daß die Mitarbeit aller sie geschaffen hat, läßt sich gerade noch erkennen. Diese Betrachtung schließt sogar Spanien mit ein, das schon etwas früher sich von den anderen Ländern loslöst. Hier ist alles auf dem aufgebaut, was die Umaiyadenzeit geschaffen hat. Im ganzen sonstigen Orient ist der Abschluß erst in der ersten Abbasidenzeit erfolgt. Wir müssen diese ganze universelle und lokallose Kunst abbasidisch nennen.“

Der Gedankengang der „Genesis“ war also ganz richtig. Mschatta und tutti quanti sind natürlich ummayadische Monumente. Obwohl Bock sagt, es solle noch Leute geben, die Mschatta nicht für islamisch hielten. Und die islamische Kunst entsteht eben von 1 nach Hedjra bis 225 auf dem Wege der Zeiten gie (?unleserlich). Auch von den Nebendingen scheint mir das meiste immer noch richtig.“

Im letzten Brief aus Samarra (Nr. 133, 29.6.1913) berichtet Herzfeld von dem Chaos, das (sein Chef) Sarre und Kühnel angerichtet hätten, und das er korrigieren mußte.

In der Türkei sähe es schlecht aus, so heißt es weiter, drei hohe Beamte seien in Basra ermordet worden; im folgenden Brief, auf dem Tigris geschrieben, führt er das im Detail aus (Nr. 135, 10.7.1913).

Am 23.8.1913 ist Herzfeld zurück in Berlin (Nr. 135) und berichtet, wie er von einem Kurden-chef zum nächsten weitergereicht wurde, zu Pferd bei 50°C …

Von Interesse ist gewiß die Geschichte der Großen Moschee von Amida (Nr. 141, 9.1.1914), die im Jahre 20 Hedshra von Iyod erworben wurde.

Im März/April 1914 reiste Herzfeld mit Sobernheim erneut in den Orient und zwar mit Sobernheim nach Aleppo (Nr. 143/4.

Im Juli 1914 (Nr. 147, 2.7.1914) schreibt er an seiner Sassanidischen Kunstgeschichte.

In dem Zusammenhang bemerkt er, „es gibt überhaupt keine semitische Kunst. Im alten Babylon ist alles schlechthin sumerisch bis in die Hammurabi-Zeit. Wo die Sumerer als Volk aufhören, hört auch die Kunst auf.“

Im August, nach Kriegsbeginn (Nr. 150, 14.8.1914), kommt Herzfeld an die Westfront. Einen Monat später meint er bereits: „Es steht alles gut. Alles vertraut auf unseren Sieg, trotzdem der Kampf sehr schwer ist. Dann wird es wohl entschieden sein.“

Becker antwortet (Nr. 153, 16.10.1914), „die Türken scheinen sich vollständig Deutschland in die Arme geworfen zu haben. Deutsche Offiziere kommandieren das türkische Heer.“

Herzfeld äußert sich sehr skeptisch, was die Türkei angeht (Nr. 154, 2.11.1914):

„Überhaupt kann ich trotz allem nicht über ein sehr großes Bedauern hinaus, daß es alles so kommen mußte. Und ich fürchte immer noch, daß im Falle eines großen, ganz durchschlagenden Sieges von unserer Seite, doch unendlich viel Kultur in der Welt verloren gehen wird, daß Anarchie und Rückgang da eintreten werden, wo die Engländer so unglaublich viel geleistet haben, und daß wir das auch im für uns günstigsten Falle nicht aufhalten, daß wir von Englands Niedergang nicht den Vorteil haben werden, der den Opfern des Krieges entspräche. Wenn thatsächlich, was ich nicht glaube, ein Wiederaufleben des Islam möglich wäre, so verlieren wir die islamische Welt genau so wie ganz Europa sie verliert.

Becker hofft im Gegensatz zu Herzfeld auf

„eine Erhaltung der Türkei unter deutscher Führung trotz Ihrer Vorliebe für England.“ (Nr. 155, 7.11.1914).

dtv-Atlas Weltgeschichte Bd. 2, 39. Auflage 2006, S. 402. (Herzfeld war also mitten drin!)

Trotzdem bemüht sich Herzfeld, daß er in die Türkei versetzt wird (Nr. 162, 17.1.1915). Und kurz darauf heißt es bei ihm (Nr. 166, 23.1.1915):

„was WIR nicht in der Türkei thun, das wird nicht geschehen. Der Djihâd ist m. E. nichts anderes, als das was ich Ihnen seiner Zeit aus (Samarra? unleserlich) und Kerbela schilderte. Den Islam wird kein heiliger Kriegsruf erwecken. Wenn es überhaupt möglich wäre, die muhammedanischen Völker, bloß die in der Türkei, zu organisieren, zu bewaffnen, militärisch zu einer Aktion zusammenzufassen, so existierte die Türkei längst nicht mehr. Sie existiert bloß noch, weil diese Völker eben nichts mehr sind, nur Vergangenheit, und weil das komische Bißchen von Organisiertheit der Türkei schon genügt, jene unterjocht zu halten. Ein Ruf zum Kriege aber, ausgehend von der verhaßten Regierung, deren Unfähigkeit, Verlogenheit und Betrügerei man ein Jahrhundert und mehr kennen gelernt hat, wie soll das wirken? Ich wüßte, was uns helfen würde, was wir aber nie thun werden: WIR müssen den Noch-Neutralen die Teilung anbieten. Damit thäte man ein Kulturwerk. Ich habe große Besorgnis wegen des Djemal(Pascha) in Syrien. Wie hieß doch der ägyptische General, der seinerzeit in Alexandrien von den Engländern bestochen war?“

Im Mai 1915 Versetzung an die Ostfront (Nr. 170, 18.5.1915). Herzfeld schreibt über die Verbündeten:

Es ist eine greuliche Ironie, daß wir mit den beiden desorganisiertesten Staaten verbündet sind, und aß wir die traurige Aufgabe haben, sie zu erhalten, deren einzig verdientes, nur nach diesem Kriege auch nicht aufzuhaltendes Schicksal die Verteilung ist.“

Im Juni meint er, Deutschland habe (unter Bismarck) zwei große Fehler gemacht:

  • Erstens die Annexion Elsaß-Lothringens,
  • Zweitens den Dreibund.“ (Nr. 172, 1.6.1915)

Becker schließt sich gewissermaßen der Kritik an den Bündnispartnern an (Nr. 173, 4.6.1915) – aber er meint indirekt: Augen zu und durch. „Der Nationalstaats-Rummel scheint mir nur eine zeitgeschichtliche Mode. Österreich braucht nur eine starke Hand, hoffentlich findet es sie.“

Und weiter, über die Türkei: „Wenn es uns nicht glückt, für die arabischen Provinzen eine rein-arabische Verwaltung und eine Art bundesstaatliches Verhältnis durchzusetzen im Stile der Personalunion, ist dieser Teil der Türkei für Stambul verloren.“

Herzfeld antwortet (Nr. 174, 11.6.1915) „In bezug auf den Balkan habe ich doch große Sorgen, ich mag gar nicht daran denken: die Staaten haben nun einmal das natürliche Interesse am Untergang der Türkei. Das ist 1000mal echter, als die Interessengemeinschaft der Türkei mit uns. Die Stärkung Österreichs und der Türkei durch uns läuft allen ihren Zukunftswünschen zuwider. Ich bleibe dabei: wir müßten denen die Teilung anbieten. Denn auch für uns gibt es nur eine Zukunft im Falle eines Sieges, die Alternative: Beherrschen oder Zurückziehen. Nur ersteres werden wir nicht thun.“

Im August, ein Jahr nach Kriegsbeginn, äußert sich Herzfeld interessant über die Zukunft Europas nach dem Kriege (Nr. 177, 7.8.1915). Ich zitiere nur einige Sätze:

  • Der Krieg ist schlechterdings ein Verbrechen. Alle Civilisation, die mit diesem Mittel arbeitet, ist keine Civilisation und kann ruhig zu Grunde gehen.“
  • Der eigentliche Kriegsgrund ist der Nationalismus der Civilisation des XIX. Jahrhunderts.“
  • Jede Nationalität ist etwas Fließendes.
  • Der europäische Krieg ist also verursacht durch den Nationalitätenschwindel des XIX. Jahrhunderts. Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, daß Europa mit diesem Kriege den Gipfel seiner Macht überschreitet.
  • (Es wird) Europa in der Zukunft einmal seine verwerfliche und kulturfeindliche Kleinstaaterei, seinen Nationalitätenwahnsinn“ überwinden.

So viel Weitsicht war in dieser Zeit leider recht selten!

Im September 1915 ist Herzfeld in Berlin. Becker betont seine Übereinstimmung, was die Ablehnung des „Nationalitätswahnsinns“ angeht (Nr.179, 29.9.1915) – doch da war Herzfeld schon wieder an der Westfront (Nr.180, 8.10.1915):

„Man kann auch mit Deutschlands Macht, mit der größten Macht sich nicht Entwicklungen entgegenstemmen. Man muß nur ein Gefühl für diese Entwicklungen haben, und nur diese wie ein Gärtner einen Baum zu ziehen suchen. Die Blüten werden nie in der Erde und die Wurzeln nie in die Luft wachsen. Ich habe die Empfindung, daß unsere Politik unseren Verbündeten gegenüber Unmöglichstes, Entwicklung gesetzwidriges, geradezu Widernatürliches will. Es ist die Stärke unserer Gegner, und auch die Erklärung dafür, daß wir die ganze Welt zum Gegner haben, daß sie mit dem großen Strom der Entwicklung schwimmen.“

Und weiter bei Herzfeld:

„ich habe immer gewußt, daß Rußland unbesiegbar und unerschöpflich ist. Daher verstehe ich auch die Haltung der Balkanvölker vollkommen. Wir können noch so viel siegen und Rumänien wird doch nie gegen Rußland auftreten. Es weiß, daß Rußland in einem Menschenalter wieder dieselbe macht ist, die es vor dem kriege war. Wer wird das heute noch von Österreich und der Türkei glauben?“

Anfang 1916 wird Herzfeld abkommandiert zum Generalstab zur Bearbeitung seiner Orientkarten (Nr. 182/3). Im Februar 1916 wird er zum Professor ernannt. Am 19.2.1916 (Nr. 187) schreibt Herzfeld an Becker:

Ihre Censurgeschichten sind ergötzlich. Ich fände das beste, man schwiege die Türkei tot. So wie die Türken Erzurum totschweigen: was gehört dazu, nun jetzt schon 2mal zu melden: „Von der Caukasusfront nichts von Bedeutung!“

Wen wollen sie dumm machen? Wenn wir später darauf verzichten würden, die Verluste der Türkei auf unsere Kosten zu kompensieren, so finde ich, wären solche Verluste sehr wünschenswert. Z. B. wäre Armenien doch recht nett für Rußland. Sünden pflegen sich zu rächen, und ich sehe nicht ein, warum sich die Sünden der Türken gegen die Armenier und andere Völker nicht rächen sollten. Der ungeheure Hochmut muß bestraft werden. Wenn sie nicht ganz klein werden, ist unsere Thätigkeit in der Türkei aus. (…)

Leider fehlen die Briefe von 1916-19 aus dem Orient. Vielleicht müßte man mal in den Zensurakten nachschauen …

Eckart Ehlers, Iran, Grundzüge einer geographischen Landeskunde, wbg Darmstadt 1980, nach Seite 100

1920 ist Herzfeld Professor in Hamburg und Becker schon vier Jahre im Kultusministerium. 1921 ist Herzfeld erstmals in London – und ist begeistert (Nr. 197, 5.8.1921). Auch sein Besuch bei dem Cambridge-Orientalisten Browne beeindruckt ihn sehr.

1923 reist Herzfeld (mit englischen Empfehlungen) nach Indien, dem Irak, Persien, wo er im Juli 1923 ist. Er berichtet von der feindlichen Stimmung auf dem englischen Schiff und den

Schwierigkeiten mit dem anglo-indischen Zoll in Bombay (Nr. 202, 27.7.1923) und der Polizei

Sylvia A. Matheson, Persia, An Archaeological Guide, London 1972, S. 13/14

in Karachi. Dann beschreibt er den miserablen Zustand der (im Kriege hastig gebauten) englischen Bagdadbahn und Bagdad selbst. Und schließlich sein Wiedersehen mit Samarra, Paikuli. Von dort fährt er nach Persien. Kleine Bemerkung am Rande:

Durch Khaniqun wäre ich nie gekommen, und doch war alles unterrichtet. Gerade das Gebiet mit seinen Naphta-Quellen ist plötzlich irakisch-englisch. Es war immer persisch. Das ist wieder so eine stillschweigende Erweiterung. Dabei ist es sehr komisch: angeblich hat die vor und während des Krieges arbeitende türkisch-persische Grenzkommission das Gebiet der Türkei zugesprochen. Das ist aber hinfällig, denn die Türkei war gar nicht mehr vertreten!“

Die Reise führt ihn weiter nach Sarpat, Taq-i-Bustan und Bisotun, und endlich kam Herzfeld auch nach Isfahan, Pasagardae, Persepolis und Schiras (Nr.203, 30.9.1923), wo er mit finanzieller Unterstützung der indischen Parsis die achämenidischen Denkmale untersuchen wird. Ende 1924 gelingt es Herzfeld, doch noch die Einreise nach Afghanistan zu erreichen (Nr.204, 23.12.1924). Es war wohl ziemlich furchtbar!

Er berichtet:

Dann kam eine Woche Dienersuche und Warten auf die Pässe in Peshawar, was mir furchtbar vorkam. Nichts Öderes, als eine angloindische Stadt, Posemukel ist Paris dagegen. Dann zwei Tage Auto für 750 Mark nach Kabul. Als ich 14 Tage später zurückkam, kam mir Peshawar wie das Paradies vor.

Das Ganze ist also nichts als ein aufgelegter Schwindel und Humbug, ohne großes Interesse, dessen einzige Existenzberechtigung darin liegt, daß man in England die zweifelhafte Idee hat, Indien und andere Länder müßten von buffer-states umgeben sein. Wenn man andere Ideen hätte, würde dieser und andere Staaten nicht existieren, und das wäre besser. Aber Ideenreichtum ist uneng-lisch. Die Deutsche Gesandtschaft besteht aus 3 Räumen. Sie ist damit völlig charakterisiert, daß sie nach x-jähriger Existenz noch kein Closett besitzt. Es wäre in jeder Beziehung besser, sie existierte nicht. Nur absolut notwendig ist es, alles zu thun, um der dortigen deutschen Colonie ein Ende zu bereiten, selbst auf Staatskosten. Die Hälfte sind Betrüger, die Hälfte Betrogene. So was habe ich weder erlebt noch für möglich gehalten. Einige bemitleide ich tief, so Sebas-tian Beck, der mir früher gräßlich war. Können Sie ihm helfen? Diese Leute müssen zurücktransportiert werden. Allein die Tatsache, daß ca.70 Deutsche dort in unwürdigsten Verhältnissen leben, macht jede ernste Arbeit da unmög-lich. Die Mißachtung die sie genießen, wird sofort auf jeden anderen Deutschen übertragen. Ich habe mich totgeschämt, und war froh und atmete auf, wie ich wieder in Indien war. Grobbe ist meines Erachtens ganz ungeeignet für die Stellung. Mit einem Wort: er imponiert sich. Leider niemandem anderen. Nicht den geringsten Einfluß, steckt die unverschämtesten Grobheiten ein. Das heißt er diplomatisch. Ich höre lieber auf, es ist zu fürchterlich. Verheimlichen Sie niemandem mein Entsetzen. Zu Hause muß ich doch etwas dagegen unternehmen.2

Dazu mußte ich in Bombay mir eine völlig neue Ausrüstung besorgen, da die Afghanen meine Sachen alle nicht durch das Zollamt passieren ließen: einfach alles geraubt. Selbst die photographischen Platten.

In Bombay hielt ich zwei Vorträge und habe die Finanzierung der Freilegung und Conservierung von Persepolis (25 000 Pfund Sterling) ziemlich gesichert. Da Eduard Stinnes statt erwarteter 5000 Mark ebensoviel Dollar schickte, reise ich über Belutschistan und (unleserlich .essin) nach Teheran zurück. In Karachi treffen mich meine alten Araber aus Hilla bei Baghdad.“

Im Februar 1925 reiste Herzfeld zurück nach Persien via Belutschistan (Nr.205, 3.2.1925) – immer weitergereicht von einer –gut informierten – englischen Station zur nächsten, nach Sistan.

1928 reist Herzfeld erneut nach Persien (Nr. 207, 27.1.1928) über Konstantinopel, Athen, Kairo – von dort 9 Stunden Flug nach Bagdad und weiter über Kasr-i-Shirin nach Isfahan und Teheran, wo er sich ein Haus neben der Deutschen Gesandtschaft mietet. Allerdings sitzt er fast ohne Geld da, weil ihn das Auswärtige Amt sitzen ließ. Das soll sich jedoch ändern (Nr. 208, 24.2.1928) und Herzfeld der Botschaft attachiert werden. Im April endlich nach Gesprächen Beckers mit Stresemann und dem persischen Außenminister Ansari, leiert Legationsrat von Richthofen die Sache an, die im Kompetenzstreit zu ersticken drohte … (Nr. 209, 114.4.1928)

1932, nach dem Besuch Beckers in Persepolis auf der Rückreise von China (Nr. 213, 15.3.1932) berichtet Herzfeld von einer Gruppe „Parsis in Bombay, die die Totenaussetzung abschaffen wollen.“

Nun entdeckte Herzfeld kleine achämenidische Felsgräber, die die Einbalsamierung der Könige beweisen, wie es schon Herodot berichtet hat. Diese Aussetzung in den Türmen des Schweigens sei „eine barbarische ostiranische oder centralasiatische Sitte.“ Sie war übrigens unter dem Regime der letzten Schahs im Iran verboten.

Im Herbst desselben Jahres schreibt Herzfeld an seinen Freund von seinen Ausgrabungserfolgen (Nr. 212, 23.10.1932) und der Restaurierung bzw. Sicherung von Persepolis. An Hand von gefundenen Inschriften stellt er fest, daß schon unter Dareios Mittelpersisch gesprochen wurde, Altpersisch aber nur noch in gelehrten Texten vorkam.

Im Weihnachtsbrief an Becker (Nr. 214, 6.12.1932) erzählt er von den Ausgrabungen der Apadana und der verschiedenen Paläste in Persepolis, vor allem auch von der wundervoll erhaltenen Treppe, sowie von Ausgrabungen in Istakr.

Der letzte Brief Beckers an seinen Freund (Nr. 215, 5.1.1933) ist geprägt von Altersweisheit gegenüber dem, nur drei Jahre Jüngeren, wo er versucht die wissenschaftlichen Kontroversen zwischen dem Philologen Schaeder und dem Archäologen Herzfeld zu glätten, zu vermitteln.

In unserem Alter muß man irgendwie von dem göttlichen Erbarmen mit der Schwäche des anderen im Herzen tragen, aber es muß auch wirklich ein Erbarmen, kein Ärger, keine Verachtung und kein Schimpf sein.“

Berlin, im Dezember 2009


1 In den Balkankriegen wurde die Türkei reduziert auf einen Brückenkopf mit Adrianopel

2 Hervorhebung vom Herausgeber. Übrigens hatte sich 1971 in dieser Hinsicht nicht allzuviel geändert